Franz Schmidt: Notre Dame, 16. St.Galler Festspiele, Premiere: 25.06.2021
«Ich liebe Deinen Heldenmut, mein Ritter»
«Ich liebe Deinen Heldenmut, mein Ritter», gesteht die Zigeunerin Esmeralda dem Offizier Phoebus beim vermeintlich geheimen Stelldichein. Phoebus, der rasend in Esmeralda verliebt ist, sieht im Karneval die Gelegenheit näheren Kontakt mit ihr zu knüpfen. Esmeralda ist allerdings mit Gringoire verheiratet, der sich ins Lager des fahrenden Volks verirrt hatte und den sie durch die spontane Heirat vor dem Tode rettete. Der Dritte, der ihrem Reiz nicht widerstehen kann («Eh ich Dich kannte, war ich rein und glücklich und meine Seele voll Klarheit»), ist der Archidiaconus von Notre Dame. Als Gringoire das Rendezvous von Esmeralda und Phoebus heimlich beobachtet und mitanhören muss, wie seine Frau dem Offizier die Liebe gesteht, erdolcht er sie und stürzt sich in die Seine. Esmeralda wird für die Mörderin gehalten und soll hingerichtet werden. Im letzten Moment zieht der Glöckner sie in die Kathedrale und rettet sie. Um ihrer habhaft werden zu können, hat der Archidiaconus kurzerhand das Kirchenasyl aufheben lassen. Bei der letzten Beichte erfährt Esmeralda, die der Archidiaconus für eine Zauberin hält, dass Phoebus den Angriff überlebt hat und bittet um ihre Freilassung. Der Archidiaconus aber, der hofft durch ihren Tod seine innere Ruhe wiederzufinden, lässt sie hinrichten und muss dann während der Hinrichtung erkennen, dass er seinen Seelenfrieden nicht wiederfinden wird und eine Unschuldige geopfert hat. Quasimodo emanzipiert sich von seinem Ziehvater und stürzt diesen vom Turm in die Tiefe. Jetzt sind die beiden Menschen, die er liebte, tot.
Dies die Geschehnisse der Oper «Notre-Dame» des österreichischen Komponisten, so wie sie die 16. St.Galler Festspiele coronakonform um ein Stunde gekürzt und pausenlos zur Aufführung bringen.
Copyright: Toni Suter Fotographie
Franz Schmidts Opernerstling entstand von August 1904 bis August 1906, wurde dann aber, weder Hofoperndirektor Gustav Mahler noch sein Nachfolger Felix Weingartner, erst am 1. April 1914 unter dem Direktor Hans Gregor in der Wiener Hofoper uraufgeführt. Schmids Herkommen von der Orchestermusik ist dem Werk mehr als deutlich anzuhören: die instrumentalen Passagen in spätromantisch, impressionistisch-pastosem Stil, so schön sie auch sind, verursachen in einer Oper immer wieder Längen.
Um den Corona-Bestimmungen zu genügen, spielt das Sinfonieorchester St.Gallen unter Leitung von Michael Balke in der Tonhalle und wird von dort in den Klosterhof übertragen. Die musikalische Umsetzung gelingt hervorragend, so dass Schmidts Musik bestens zu Geltung kommen kann. Beim Ton besteht noch Verbesserungspotential: weniger laut und weniger Bass-lastig wäre hier mehr. Die Chöre (Chor des Theaters St. Gallen, Opernchor St. Gallen und Prager Philharmonischer Chor) vorbereitet hat Michael Vogel.
Regie geführt hat Carlos Wagner, der im Klosterhof bereits «La damnation de Faust» und «I due Foscari» inszenierte. Bestimmendes Element seiner Inszenierung (Bühnenbild: Rifail Ajdarpasic) ist eine heruntergestürzte gotische Rosette, vor der er dann die einzelnen Szenen spielen lässt. So imposant das Bühnenbild in den verschiedenen Beleuchtungen (Guido Petzold) auch ist: auf der riesigen Bühnen verliert sich das intime Drama fast zwingend, insbesondere wenn die Regie einem Aktionismus mit Parallelhandlungen erliegt. Die gleichermassen geschmackvoll wie opulenten Kostüme verantwortet Christophe Ouvrard, die Choreografie der Chöre und der Tanzkompanie (Bérénice Durozey, Dustin Eliot, Charlott Fischer-Wachsmann, Lorian Mader, Lena Obluska, Florent Operto, Emily Pak und Alessio Russo) Alberto Franceschini.
Einmal mehr ist es dem Theater St.Gallen gelungen ein hervorragendes Ensemble zu versammeln. Anna Gablers leidenschaftliche Interpretation der Esmeralda erinnert an «Carmen» und es ist sofort zu verstehen, warum ihr die Männer erliegen. Simon Neal gibt den Archidiaconus mit wunderbar kräftigem Bariton. In seinem schwarz-silbernen Habit, der ohne weiteres von einem Modeschöpfer stammen könnte, ist er eine imposante Erscheinung. Der Quasimodo von David Steffens ist der Höhepunkt des Abends: mit grosser Bühnenpräsenz macht er die Gespaltenheit seiner Figur jederzeit nachvollziehbar. Clay Hilley leiht dem Phoebus seinen hellen, bestens geführten Heldentenor. Cameron Becker als Gringoire und Shea Owens als Ein Offizier ergänzen das Ensemble.
Eine interessante Entdeckung!
Weitere Aufführungen:
Samstag, 26. Juni 2021, 21:00-22:50, Klosterhof
Dienstag, 29. Juni 2021, 21:00-22:50, Klosterhof
Freitag, 2. Juli 2021, 21:00-22:50, Klosterhof
Samstag, 3. Juli 2021, 21:00-22:50, Klosterhof
Mittwoch, 7. Juli 2021, 21:00-22:50, Klosterhof
Freitag, 9. Juli 2021, 21:00-22:50, Klosterhof
26.06.2021, Jan Krobot/Zürich