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KARLSRUHE/ Internationale Händel-Festspiele: HERCULES von G.F. Händel

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Georg Friedrich Händel: Hercules • Internationale Händel-Festspiele Karlsruhe • Badisches Staatstheater Karlsruhe • Vorstellung: 26.02.2022

(4. Vorstellung • Premiere am 18.02.2022)

Die diesjährige Festspiel-Premiere ist das Musical Drama «Hercules», das am 5. Januar 1745 im King’s Theatre am Londoner Haymarket uraufgeführt wurde. Als weltliches Drama steht «Hercules» wie «Semele» in der Nähe der Oper und wurde bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nur selten aufgeführt.

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Foto © Falk von Traubenberg

Regisseur Floris Visser sieht die Hauptfigur Hercules als Gründervater einer neuen Gesellschafter und Botschafter der Demokratie und siedelt seine Inszenierung im mediterranen Raum gegen Ende des Zweiten Weltkriegs an. Eigentlich ein interessantes Setting. Der Ausstatter Gideon Davey hat dafür eine vielfältige, stimmungsvolle Villa auf die Drehbühne gestellt. Ohne das ewige Gerenne und Türen Zuschlagen, das keinerlei Rücksicht auf die Musik nimmt, hätte sogar Atmosphäre entstehen können. So aber wirkt die szenische Seite des Abends einfach ermüdend.

Um die musikalische Seite des Abends ist es leider nicht besser bestellt. Die Deutschen Händel-Solisten unter der musikalischen Leitung von Lars Ulrik Mortensen klingen seltsam matt, fast breiig und wenig spritzig. So kennt man das Ensemble nicht, denn würde man es nicht im Graben sehen, würde man nicht vermuten, dass ein Ensemble für historische Aufführungspraxis spielt. Der von Marius Zachmann vorbereitete Händel-Festspielchor war mit grosser Akkuratesse klangschön am Werk.

Brandon Cedel gibt den Hercules mit grosser Bühnenpräsenz und frischem, kernigem Bariton. Der Mezzosopran Ann Hallenbergs (Dejanira) hat an diesem Abend wenig Körper und wirkt schnell scharf. Lauren Lodge-Campbell singt die Iole frischem, klarem Sopran und keckem Spiel. Moritz Kallenberg gibt den Hyllus mit elegant geführtem, hellem Tenor. Die Überraschung des Abends ist mit glasklarem, hellem Countertenor James Hall als Lichas. Annika Stefanie Netthorn ergänzt das Ensemble als Nurse.

Keine weiteren Aufführungen in dieser Saison.

01.03.2022, Jan Krobot/Zürich


KARLSRUHE/ Internationale Händel-Festspiele: TOLOMEO – RE DI EGITTO. Eine Perle aus Händels Schafffen

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Georg Friedrich Händel: Tolomeo, Re di Egitto • Internationale Händel-Festspiele Karlsruhe • Badisches Staatstheater Karlsruhe • Vorstellung: 27.02.2022

(2. Vorstellung • Wiederaufnahme am 25.02.2022)

Eine Perle aus Händels Schaffen

Die diesjährige Wiederaufnahme der Internationalen Händel-Festspiele Karlsruhe ist die Neu-Produktion des Jahres 2020, das Dramma per musica «Tolomeo, Re d’Egitto». Händels vierzehnte und letzte Oper für die Royal Academy of Music bietet einen guten Kontrast zur diesjährigen Festspiel-Premiere, dem Musical Drama «Hercules».

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Foto © Falk von Traubenberg

«Tolomeo, Re d’Egitto» behandelt eine Episode aus der reichhaltigen Familiengeschichte der Ptolemäer. Tolomeos Mutter Cleopatra hat ihren erstgeborenen Sohn, den rechtmässigen König Ägyptens, ins Exil nach Zypern vertrieben, ihm sein Verlobte Seleuce entzogen und ihren Lieblingssohn Alessandro zum Mitregenten gemacht. Nachdem Alessandro seine offenbar nicht ganz einfache Mutter hat umbringen lassen, musste er fliehen und wird als Schiffbrüchiger am Gestade Zyperns angespült. Tolomeo, der mit dem Leben abschliessen will, rettet seinen Bruder, obwohl er ihn erkennt.

Nach allerlei Wirrungen, massgeblich mitverursacht vom zypriotischen König Araspe und dessen Schwester Elisa, finden Tolomeo und Seleuce, die, ohne voneinander zu wissen, als Schäfer Osmin und Schäferin Delia auf Zypern lebten, zusammen und Alessandro setzt seinen Bruder wieder als König ein.

Bei der Umarbeitung der Vorlage, des 1711 erstmals von Domenico Scarlatti erstmals vertonten Librettos «Tolomeo e Alessandro, overo La corona disprezzata» («Tolomeo und Alessandro, oder die verschmähte Krone») von Carlo Sigismondo Capece, kürzte Händels Librettist Nicola Francesco Haym dieses, um «fremdsprachige» (das heisst italienische) Rezitative möglichst zu vermeiden, deutlich ein, so dass «Tolomeo» nur gut die Hälfte der Rezitative anderer zeitnah entstandenen Opern enthält. Zudem kommt das Sujet Händels Neigung zum pastoralen Milieu und Naturschilderungen entgegen: zehn der fünfundzwanzig Arien drehen sich um die Natur.

Regisseur Benjamin Lazar die Themen Nähe und Distanz, Tolomeo und Seleuce, die sich auf der gleichen Insel befinden und doch nicht zueinander finden. Bühnenbildnerin Adeline Caron hat sich für ihre Arbeit vom direkt an der Atlantikküste gelegenen und von Marcel Proust und Marguerite Duras gern besuchten Grand-Hotel «Les roches noires» im französischen Trouville-sur-Mer inspirieren lassen. Ein grosser Saal mit Aussicht auf das Meer (höchst stimmungsvolle Videos von Yann Chapotel) nimmt die ganze Bühnenbreite ein und ermöglicht es den Figuren so, ganz dem Konzept entsprechend, sich nahe zu sein, ohne es zu merken. Alain Blanchot siedelt mit seinen Kostümen die Handlung in der Zeit zwischen den Weltkriegen an.

Cameron Shahbazi gibt den Tolomeo mit stupender Leichtigkeit und einer Klarheit und Frische, die an sprudelndes Quellwasser in den Bergen erinnert. Louise Kemény als Seleuce wird als leicht indisponiert angesagt. Das mag vereinzelte Schärfen in der sonst tadellosen, leicht dramatischen Interpretation von Toloemeos Geliebter erklären. Eléonore Pancrazi als Elisa begeistert mit ihrem lebendigen und jugendlich-frischem Sopran, der wunderbar mit der Stimme Keménys kontrastiert. Meili Li als Tolomeos jüngerer Bruder Alessandro ist der zweite Countertenor auf dem Besetzungszettel. Sein Countertenor ist etwas heller als jener von Shabazi, aber nicht minder virtuos. Das ergibt in der Summe einen guten Kontrast: Li wirkt so auch stimmlich als jüngerer Bruder. Mit agil geführtem Bass und balsamischem Wohlklang singt Morgan Pearse den Araspe.

Unter der musikalischen Leitung von Federico Maria Sardelli wirken die Deutschen Händel-Solisten an diesem Nachmittag wie ausgewechselt. Es wird wieder höchst lebendig und mit sichtbarer Leidenschaft musiziert.

Hier gibt es eine Perle aus Händels Schaffen zu entdecken.

Weitere Aufführung: 02.03.2022, 19.00.

28.02.2022, Jan Krobot/Zürich

WIEN / Vienna’s English Theatre: A DOLL’S HOUSE, PART 2

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WIEN / Vienna’s English Theatre:
A DOLL’S HOUSE, PART 2 von Lucas Hnath
Premiere: 1. März 2022 

Jeder kennt „Nora“, ist Ibsens Heldin doch eine der berühmtesten Figuren der Theatergeschichte. Hausfrauchen, Mutter dreier Kinder und Spielzeug für ihren Gatten. Man weiß, wie es ausging: Sie fühlt sich unverstanden, in ihrem Wert nicht erkannt, dreht sich um und geht. Es ist heute nicht mehr vorstellbar, welchen Skandal dieses 1879 geradezu undenkbare weibliche Verhalten damals erregte…

Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hat, darüber hat sich schon Elfriede Jelinek den Kopf zerbrochen und die arme Nora in die Fabrik geschickt. Auch der amerikanische Autor Lucas Hnath denkt die Geschichte weiter, ist allerdings freundlicher zu ihr. Die Nora, die 15 Jahre nach ihrem Abgang wieder im Haus ihres ehemaligen Gatten Torvald Helmer steht, ist eine klassische Emanze geworden, die in ihren Büchern die Frauen ermutigt, aus ihren unbefriedigenden Ehen auszubrechen. Was auch gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch nicht besonders erfreut aufgenommen wird, zumal von der offiziellen Männerwelt.

In Vienna’s English Theatre steht die neue Nora nun auf der Bühne und findet wenig Verständnis: nicht bei Anne Marie, ihrer alten Kinderfrau, die nach ihrem Verschwinden die drei verlassenen Kinder aufgezogen hat; nicht bei Torvald, der ziemlich empört ist, wie Nora ihn in einem Schlüsselroman darstellt, Und am allerwenigsten bei ihrer etwa 18jährigen Tochter Emmy, die die „fortschrittlichen“ Ansichten der Mutter gar nicht teilt und eine konventionelle Ehe will.

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Lucas Hnath hat der Nora „15 Jahre danach“ einige originelle Aspekte gegeben. Sie kommt, weil sie festgestellt hat, dass der Gatte keineswegs die Scheidung durchgezogen hat, wie sie meinte (was ihr einige legale Schwierigkeiten bereitet). Dass er die Umwelt in dem Glauben ließ, die verschwundene Gattin sei tot, ist auch eine Pointe. Am stärksten überzeugt allerdings die Haltung der Tochter, die dem mütterlichen Abgang von einst ohne die geringste Sentimentalität gegenüber steht

Der Schwachpunkt des Stücks: Nora kommt gar nicht sympathisch über die Rampe, sondern als Phrasen dreschende Egozentrikerin, und wenn sie am Ende des Stücks nach knapp zwei Stunden wieder die Tür hinter sich zuschlägt, ist man so klug als wie zuvor. Die Geschichte hat ihre neuen Aspekte bekommen, aber sich eigentlich nicht bewegt. Nora kämpft weiter, der hier etwas larmoyante Gatte bleibt wieder allein, die Tochter wird heiraten. Irgendwie ist man mit diesem Ergebnis nicht ganz zufrieden.

Natürlich macht Regisseur Ken Alexander in der schlichten Ausstattung von Vernon Marshal durchaus anregendes Boulevard-Theater daraus, wobei die Pointen vor allem bei dem Auftritt der Tochter fliegen: Kaum zu glauben, dass es für Eleni McDonald als Emmy ihr Debut-Abend auf dem Theater war, so souverän wusch sie der Mutter den Kopf. Das ist allerdings die einzige Stelle, wo Adrienne Ferguson als Nora sprachlos wird, im übrigen verteidigt sie ihre Weltanschauungen souverän – und zur Not auch handgreiflich gegen den hier etwas knieweichen Gatten, den Howard Nightingall so sympathisch macht. Um einiges netter als bei Ibsen ist Torvald schon geworden. Dazu kommt noch Kathy Tanner, die der neuen Nora mit begreiflicher Skepsis gegenüber steht.

Viel Applaus für einen Abend, der auch den nicht zu unterschätzenden Vorteil hatte, etwas Neues zu bieten (das Originalstück kam erst 2017 am Broadway heraus).

Renate Wagner

Film. DREI ETAGEN

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Filmstart: 4. März 2022 
DREI ETAGEN
Tre Piani  / Italien  /  2020
Regie: Gianni Moretti
Mit: Margherita Buy, Gianni Moretti, Alba Rohrwacher u.a.

Es beginnt mit einem schweren Unfall, der auf fahrlässige Tötung hinaus läuft, und schon das schlägt den Ton für den jüngsten Film von Nanni Moretti an. Der im nächsten Jahr auch schon Siebzigjährige, der noch immer als „zorniger junger Mann“ des italienischen Films in Erinnerung ist,  lässt hier seine politischen Aussagen fast ganz beiseite (eine lautstarke Demo läuft da nur am Rande), In „Drei Etagen“ geht es ihm um – Familiengeschichten und -tragödien, am Beispiel von Menschen, die in einem dreistöckigen Haus in Rom nebeneinander leben.

Ungeachtet dessen, dass Moretti hier einen Roman des israelischen Autors Eshkol Nevo verfilmt, hat er die Ereignisse ganz in die italienische Welt und Mentalität versetzt. Daneben geht es sicher auch darum, vom Baby bis zu den alten Leuten sowohl durch die Generationen wie auch durch die sozialen Schichten zu wandern. Dabei wird klar, dass jene, denen es besser geht, es nicht wirklich besser  haben. Was macht ein wohl bestalltes Richter-Ehepaar (Nanni Moretti selbst spielt Vittorio, Margherita Buy seine Frau Dora), wenn es ihr Sohn ist (Alessandro Sperduti als Andrea), der nächtlich besoffen den schweren Unfall mit allen möglichen Folgen (u.a. eine tote Frau) verursacht hat, wobei er ins Parterre des eigenen Hauses hinein gekracht ist? Das kann eine Familie schon einer schweren Zerreißprobe aussetzen.

Lucio (Riccardo Scamaracio) und Sara (Elena Lietti) wiederum verdächtigen einen alten Mann im Haus, ihrer kleinen Tochter zu nahe zu kommen, und der Verdacht wird zur zerstörerischen Manie. Die alten Leute, Renato (Paolo Graziosi), der Verdächtigte, und Giovanna (Anna Bonaiuto), haben wiederum in der minderjährigen Charlotte (Denise Tantucci) eine Enkelin, die Lucio ins Auge sticht… die Folgen kann man sich denken.

Monica (Alba Rohrwacher) hat gerade ein Baby bekommen, ist meist allein, denn ihr Gatte Giorgio (Adriano Giannini)  arbeitet  auswärts, sie ist von Seelenqualen geplagt und nicht unempfindlich für die Avancen ihres Schwagers Roberto (Stefano Dionisi). Kurz gesagt, ein etwas überladenes Personengeflecht, und klischeebehaftet zudem.

Darüber hinaus springt der Film mit zweimal fünf Jahren über den Zeitraum von zehn Jahren hinweg (Kinder-Rollen sind mehrfach besetzt), und da begibt sich vieles, das ziemlich „kinomäßig“ anmutet, so viel wird wirkungsvoll geweint und gelitten.

Keine Frage, dass Moretti „Alltag“ zeigen will mit all seinen Problemen, Kümmernissen und Tragödien, aber die zweifellos angestrebte Einfachheit der Schilderung gelingt nicht wirklich, die Geschichte „tremoliert“ stets ein wenig in ihrem Untergrund, ist allzu bedeutsam aufgeladen und mit allzu viel Musik unterlegt. Wenn am Ende auf der Straße getanzt wird, fühlt man sich als Zuschauer ein wenig manipuliert. Happy End? Eher Melodram.

2021 wurden die „Drei Etagen“ in Cannes gezeigt, im Gegensatz zu früheren Jahren verließ Moretti das Festival ohne Preis…

Renate Wagner

FRANKFURT/ Alte Oper: BEHZOD ABDURAIMOV – ein Klavier-Recital der Sonderklasse

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Frankfurt / Alte Oper: „BEHZOD ABDURAIMOV“ – 28.02.2022

Klavier-Recital der Sonderklasse

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Foto: Festspielhaus

Der usbekische junge Pianist Behzod Abduraimov gastierte am Rosenmontag mit einem aufsehenerregenden Klavierabend im Mozart–Saal der Alten Oper. Erstmals begegnete mir das noch blutjunge Talent mit Rachmaninows 3. Klavierkonzert in Baden-Baden als Einspringer für Daniil Trifonov und versetzte das damals ausverkaufte Festspielhaus in rauschartige Euphorie und ließ das Publikum vor Begeisterung toben. Nun sind zehn Jahre vergangen, Abduraimov begegnete mir inzwischen während diversen großartigen Konzert-Interpretationen und Recitals.

Sein Solo-Programm eröffnete der hervorragende Pianist mit „Bénédiction de Dieu dans la Solitude“ von Franz Liszt. In funkelnder Klangschönheit malte der pianistische Hexenmeister die unerschöpfliche melodische Farbpalette des ungarischen Komponisten in kristallklarer, brillanter, fein abgestufter Anschlagstechnik, erfüllt von instrumentaler Opulenz.

Lupenrein, bravourös, vortrefflich differenziert in prächtiger Ausformung des barocken Ideals präsentierte Abduraimov die traumhaft anmutenden Triller der „Corelli-Variationen“ von Sergej Rachmaninow. In souveräner Einbindung von rhetorischen Bögen, welche die Attraktivität und den Charme dieser keineswegs leichten Komposition wesentlich mitbestimmten, rückte der einfühlsame geniale Solist mit Noblesse ins rechte Bild.

Florence Price die erste afroamerikanische Komponistin, Pianistin etc. erblickte am 09. Juli 1897 als Florence Beatrice Smith in Little Rock/Arkansas das Licht der Welt und begann bereits als 14jährige eine kompositorische Karriere und verstarb 1953. Inzwischen wird die fast vergessene Künstlerin auch in unseren Breiten erfolgreich wiederentdeckt. Aus ihren umfangreichen Kompositionen stellte nun Behzod Abduraimov die „Fantasie Négro für Klavier Nr. 1“ in den Focus der heutigen interessanten Programmgestaltung. Ein eloquent virtuoses Musikstück angelehnt an das Spiritual Sinner, please don´t let this harvest pass

welches der Solist auf unvergleichliche Art interpretierte und sich dabei in einen explosiven finalen Taumel steigerte.

Zum krönenden Abschluss erklangen die „Bilder einer Ausstellung“ welches Modest Mussorgsky in seiner Originalität für Klavier komponierte, jedoch heutzutage mehr oder weniger in der orchestralen Bearbeitung aufgeführt wird, sodass man von zwei Werken sprechen kann. Wer jedoch den „echten“ Mussorgsky sucht, bevorzugt die ursprüngliche Klavier-Instrumentation. Der Komponist ließ sich beim Betrachten von Zeichnungen des Malers Viktor Hartmann zu diesem episodischen Werk inspirieren, welches er in zehn Abschnitte gliederte und den Hörer gleich in einer Galerie akustisch von Bild zu Bild wandeln läßt.

In konstruktiver Tastensprache modellierte Abduraimov  hohe Töne in partikulare Intervalle gab den Episoden Gnomus – Tuillerien – Küken in den Eierschalen – Samuel Goldenberg und Schmuyle – Der Marktplatz von Limoges den bitterbösen ironischen Touch, die feinsinnige Delikatesse eines Perpetuum mobile in prächtig brillanter Tastatur. Einem Feuerwerk gleich erklangen die Couleur-Akkorde in düster schauriger, faszinierender Rhythmik der wilde Hexenritt der Baba Yaga – Die Katakomben – Bydlo und schließlich in majestätischer Erhabenheit, gebündelter Instrumentation und klangvoller Faszination das finale Große Tor von Kiew. Unglaublich mit welch pianistischer Intensität der begnadete Pianist die einkehrenden Heerscharen im Glockengeläut sukkulent offerierte.

Ein Bravosturm brandete dem sympathischen Künstler entgegen und man feierte Abduraimov vehement wie bereits zuvor nach den Abschnitten. Als Dank für die Ovationen servierte der Gefeierte eine wunderschön gespielte Rachmaninow-Zugabe.

Gerhard Hoffmann

ZÜRICH/ Opernhaus: LIEDERABEND STEPHEN COSTELLO – Ein Liederabend als Privatissimum

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Liederabend Stephen Costello • Opernhaus Zürich • 02.03.2022

Ein Liederabend als Privatissimum

Nach seinen Auftritten in Verdis «Messa da Requiem» im November und Dezember 2019 ist der amerikanische Tenor Stephen Costello für einen Liederabend ans Opernhaus Zürich zurückgekehrt. Am Klavier begleitete ihn Anthony Manoli.

Stephen Costello - Opéra national de Paris
Foto © Simon Pauly

Der erste Teil des Liederabends umfasste Barockkompositionen sowie die Vertonung dreier Sonette von Petrarca durch Franz Liszt (1811-1886). In «Caro mio bene» von Giuseppe Giordani (1751-1798) ist eine virile, frei strömende, leicht metallische Stimme zu hören. «Vergin, tutto amor» von Francesco Durante (1684-1755) ist von einer innigen Intensität geprägt auf. In «Nina» von Giovanni Battista Pergolesi (1710-1736) sind blitzsaubere Höhen und ein flehender Unterton zu vernehmen, in «Per la gloria d’adorarvi» von Giovanni Battista Bononcini (1670-1747) eine heldische Attitüde. Bei den drei von Franz Liszt (1811-1886) vertonten Petrarca-Sonetten «Pace non trovo», «Benedetto sia‘l giorno» und «L‘ividi in terra» ändert sich die Stimme deutlich: die Aussprache wird immer verwaschener, die Passagen über der Mittellage klingen gequetscht und in den Höhen rutscht die Stimme in den Hals. Von Anfang an, und es wird bis zur letzten Zugabe so bleiben, ist der Sänger äusserst nervös und völlig verkrampft.

Im Repertoire des zweiten Teil des Liederabends, einer Opernarie von Gounod, vier englischsprachigen Liedern und drei Canzonen von Tosti fühlt sich Costello hörbar wohler. Die lyrischen Passagen in «Ah! lève-toi soleil!», der Arie des Roméo aus «Roméo et Juliette» von Charles Gounod 1818-1893) gelingen formidabel. Die Stimmprobleme aber bleiben auch im zweiten Teil: die Höhen bleiben kritisch, denn hier beginnt die Stimme an Körper und Kontur zu verlieren. Es folgen «Mother Machree» von Chauncy Olcott (1858-1932) und Ernest R. Ball (1878-1927), «I’ll Walk Besides You» von Alan Murray (1890–1952), «I’ll Take you Home Again, Kathleen» von Thomas Paine Westendorf (1848-1923) und «Danny Boy» von Fred Weatherly (1848-1929). Am besten gelingen Costello die Canzonen «Non t’amo più» «A Vuchella» und «Ideale» von Paolo Tosti (1846-1916).

Es ist absolut bewundernswert, wie Costello den Liederabend vor einer doch sehr intimen Zuschauerzahl gehalten hat. Mit drei Zugaben, «Core n’grato» von Salvatore Cardillo (1874-1947), «Amor ti vieta», Arie des Loris aus «Fedora» von Umberto Giordano (1867-1948) und «Dein ist mein ganzes Herz», Lied des Sou-Chong aus «Das Land des Lächelns» von Franz Lehár (1870-1948), hat er sich vom Zürcher Publikum verabschiedet.

02.03.2022, Jan Krobot/Zürich

WIEN/ Staatsoper: TOSCA – die 630. Vorstellung der Wallmann-Tosca

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Wien/ Staatsoper
Wallmann-Tosca – 630. Vorstellung“ am 28.2.2022

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Elena Stikhina. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Die aktuelle „Tosca“-Serie in der Wiener Staatsoper wartet mit einer neuen Tosca und einem neuen Scarpia auf: Elena Stikhina gibt mit dieser Vorstellungsserie ihr Hausdebüt in der Titelpartie, Roberto Frontali singt am Haus erstmals den Scarpia.
http://www.operinwien.at/werkverz/puccini/a31tosca.htm

Dominik Troger/ www.operinwien.at

WIEN/ Staatsoper: L’ELISIR D’AMORE -mit Umbesetzungen

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WIEN / Staatsoper: „L’ELISIR D’AMORE“  –   02.03.2022

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Misha Kiria (Dulcamara. Wenn er nur etwas mehr Humor zulegen könnte, wäre er eine sehr gute Besetzung. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

 Acht Stunden vor Beginn der Vorstellung habe ich online eine nicht gerade billige Karte für diese Vorstellung gekauft. Nur wenige Minuten später wurde auf der Homepage der Wiener Staatsoper die Umbesetzung von zwei der vier Hauptpartien bekanntgegeben. (Am besten, man kauft seine Karten nur noch eine Stunde vor der Vorstellung!) Krankheitsbedingte Umbesetzungen in Corona-Zeiten kann man der Wiener Staatsoper sicher nicht anlasten, sehr wohl aber, dass der Umbesetzungs-Newsletter schon lange nicht mehr funktioniert. Wenn man nicht zufällig auf der Homepage nachschaut, bekommt man von den Umbesetzungen gar nichts mit und erlebt am Abend eine (manchmal auch unangenehme) Überraschung. Da kann sich die Wiener Staatsoper ein Beispiel an der Bayerischen Staatsoper München nehmen, bei der jede noch so kleine Umbesetzung umgehend mit Newsletter bekanntgegeben wird.

Aber was für ein Glück, dass wir Donizettis Meisterwerk in der einmaligen und unersetzlichen Otto Schenk-Inszenierung im Repertoire haben, in die jeder Sänger problemlos auch kurzfristig einsteigen kann. Und was für ein Glück, dass in Wien viele Sänger leben, auch solche, die von der jetzigen Direktion nicht übernommen wurden, wie z.B. die amerikanische Sopranistin Andrea Carroll. Da sie die Adina hier bereits mehrmals gesungen hat, ist sie mit dieser Inszenierung ebenso vertraut wie Clemens Unterreiner, der an diesem Abend ebenfalls kurzfristig die Partie des Belcore übernehmen musste.

Die Inszenierung von Otto Schenk in der Ausstattung von Jürgen Rose kam ursprünglich im Theater an der Wien heraus, im Jahr 1973, mit Reri Grist, die vor wenigen Tagen – hoffentlich bei bester Gesundheit – ihren 90. Geburtstag gefeiert hat, als Adina. An ihrer Seite sangen damals unter der musikalischen Leitung von Silvio Varviso Nicolai Gedda den Nemorino, Robert Kerns den Belcore und Eberhard Waechter den Dulcamara. 1980 wurde die Produktion dann ins Haus am Ring mit einer Traumbesetzung (Ileana Cotrubas, Peter Dvorský, Bernd Weikl und Giuseppe Taddei) unter der musikalischen Leitung von Jesus López-Cobos übernommen. In den folgenden 22 Jahren konnten wir dann in bisher 259 Aufführungen u.a. Kathleen Battle, Angela Gheorghiu, Anna Netrebko und Pretty Yende als Adina, Roberto Alagna, Francisco Araiza, Benjamin Bernheim, Lawrence Brownlee, Joseph Calleja, Javier Camarena, José Carreras. Vittorio Grigolo, Alfredo Kraus, Luis Lima, Luciano Pavarotti, Ramón Vargas und Rolando Villazón als Nemorino, Mariusz Kwiecien, Leo Nucci und Ingvar Wixell als Belcore sowie Fernando Corena, Ildebrando D’Arcangelo, Ambrogio Maestri, Leo Nucci, Rolando Panerai, Erwin Schrott, Alfred Šramek und Bryn Terfel als Dulcamara in dieser Inszenierung erleben.

Eigentlich war ich sehr neugierig auf die armenische Sopranistin Nina Minasyan, nun sang also Andrea Carroll die Adina. Mit ihrem in allen Lagen sicher und gut klingenden, dunkel timbrierten Sopran hebt sie sich wohltuend von den vielen dünnstimmigen Soubretten ab, mit denen die Partie der Adina so oft besetzt wird. Carrolls Stimme besitzt genügend Volumen für die lyrischen Szenen, jedoch auch die notwendige Beweglichkeit um alle Koloraturen mühelos zu bewältigen. Und mit ihrem überzeugenden und sympathischen Spiel betörte die bildhübsche Amerikanerin nicht nur Nemorino, sondern auch das Publikum. Diese Adina muss man einfach lieben.

Juan Diego Flórez war wieder einmal in einer seiner Paradepartien zu erleben. Wie er diesen schüchternen und ein wenig tollpatschigen Bauernburschen spielt, muss man einfach gesehen haben. Und wie er ihn singt, dass muss man gehört haben. Bereits in seiner Auftrittsarie und im Duett mit Dulcamara legt er sich zusätzliche Höhen ein. Und wie er seine Arie im 2. Akt („Una furtiva lagrima“) mit einer Träne in der Stimme nicht nur schön, sondern auch berührend vorträgt, ist ein Lehrstück in Sachen Belcanto. Kein Wunder, dass das Publikum danach so lange jubelte und tobte, bis er die Arie wiederholte, und bei der Wiederholung eigentlich noch schöner sang als beim ersten Mal. Warum versucht er dauernd in einem anderen Fach Fuß zu fassen, in dem er bestenfalls zweit- oder drittklassig sein wird? Er möge doch wirklich im Belcanto-Fach bleiben, da steht er nach wie vor an der Spitze.

Clemens Unterreiner (als Ersatz für Sergey Kaydalov) ist für Belcore eine Idealbesetzung. Er ist als fescher Soldat und eitler Geck eine gute Erscheinung und mit viel Spielwitz bei der Sache. Stimmlich schöpft er mit seinem markanten Bariton aus dem Vollen, man merkt, dass ihm diese Partie liegt.  

Der Georgier Misha Kiria stellte sich mit seinem geschmeidig geführten, voluminösen Bass als Dulcamara erstmals dem Wiener Publikum vor. Wenn er vielleicht noch ein bisschen an Humor zulegen wird, dann könnte auch er eine Idealbesetzung des Quacksalbers werden. Vielleicht findet sich ja noch ein diesbezüglicher Zaubertrank in seiner Reiseapotheke.

Marco Armiliato war der richtige Mann, um Chor und Orchester der Wiener Staatsoper und die Solisten samt Einspringern sicher durch die Aufführung zu bringen. Gerade in solchen Vorstellungen erweist es sich als großer Vorteil, wenn ein routinierter und sängerfreundlicher Dirigent am Pult steht.

 

Am Ende gab es viel Jubel für alle Beteiligten und ein glückliches und zufriedenes Publikum. Die Wiener Staatsoper hat wieder einmal bewiesen, dass sie auch mit kurzfristigen Umbesetzungen eine erstklassige Aufführung zustande bringen kann. Bravo!

 

Walter Nowotny


Film: CYRANO

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Filmstart: 3. März 2022 
CYRANO
GB  /  2022 
Regie: Joe Wright
Mit: Peter Dinklage, Haley Bennett, Kelvin Harrison Jr. u.a.
Österreichisches Prädikat: Wertvoll

Cyrano de Bergerac ist immer „in“, der historische französische Dichter, den Edmond Rostand mit seinem Theaterstück unsterblich gemacht hat. Immer wieder auf der Bühne (demnächst spielt das Burgtheater eine Fassung des modernen Engländers Martin Crimp), immer wieder auf der Leinwand, von José Ferrer bis Gerard Depardieu. Und nun wieder ein Film – ein bisschen anders.

Erstens ist Cyrano hier nicht durch die übergroße Nase gebrandmarkt, die gewissermaßen sein Markenzeichen ist und ihn als Objekt der Begierde für schöne Damen ausscheidet. Aber die Kleinwüchsigkeit von Peter Dinklage erzielt dasselbe Ergebnis: ein netter Kerl zum Plaudern, aber in so etwas verliebt man sich wirklich nicht…

So könnte man diese Geschichte neu erzählen, man tut es auch, aber aufgehübscht zum Musical. Es stammt von Aaron und Bryce Dessner, wurde 2018 in den USA aufgeführt, und langweilt mit der trivial-süßlichen, nichtssagenden Musik, die heute das Genre so oft begleitet. Und wer so etwas nicht wirklich mag, dem kann das den ganzen Film vergällen, wenn auch schöne, scharfe Dialogszenen (zumal so exakt gesprochen, wie sie sein sollten), dann endloses Song-Gesülze mit entsprechenden Tanzszenen im Hintergrund folgt…

Man fragt sich wirklich, warum Regisseur Joe Wright, der schon einige gelungene Literaturverfilmungen geliefert hat, diese „Fassung“ wählte, die der Qualität des Stücks Abbruch tut. Allerdings hat er einen schön ausgestatteten Historienschinken gewebt, der durchaus nicht auf der Oberfläche gefälliger Bilder tümpelt. Der Film hat auch jedes Verständnis für die Tragikomödie, die sich da in den Schicksalen der drei – vortrefflich besetzten – Hauptfiguren spiegelt.

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Cyrano, der Soldat und Dichter, liebt die schöne Roxane, die ihn gern zum Freund hat, weil man mit ihm so gut und auf hohem Niveau plaudern kann. Es gibt eine Szene, wo sie Cyrano gesteht, sie sei verliebt – und er ein paar Sekunden lang glauben kann, will, dass sie vielleicht ihn meint. Bevor die Enttäuschung, die ebenso wenig gezeigt werden darf wie die Hoffnung, ihn innerlich niederschmettert: Peter Dinklage ist wunderbar in dieser Rolle, und in Szenen wie dieser erst recht.

Da ist Roxane, die nicht nur ein schönes Gesicht, sondern auch ein Köpfchen hat, vielleicht ist sie ein bißchen auch eine lächerliche Preziöse, wie Molière die semi-gebildeten Frauen nannte, aber nein, Cyrano hat sie in der Bibliothek ihres Vaters kennen gelernt, von Literatur, Poesie und Worten versteht sie etwas. Natürlich verliebt sie sich in das hübsche Gesichte von Christian, aber man sehe sich nur an, wie Haley Bennett die Enttäuschung, ja, den Ärger spielt, als sie von ihm literarische Liebesbezeugungen erwartet und er nur ein „Ich liebe dich so sehr“ herausbringt… Das ist bezaubernd wie die ganze Figur, die sie da hinstellt.

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Ja, und der schöne Christian, der gleich zugibt, dass er mit Schöngeistigkeit nichts am Hut (und im Hirn) hat, weshalb Cyrano ja einspringen und ihm die richtigen Worte in den Mund legen muss. Kelvin Harrison Jr., PoC, hat genau das „pretty face“, in das man sich leicht verlieben kann, gibt der Figur aber auch ihren Charakter, wenn er erst übermütig meint, Cyrano nicht mehr zu brauchen, nachdem er Roxanes Liebe sicher ist – und reumütig zurückkehrt, wenn er merkt, dass doch noch etwas Verstand von ihm erwartet wird.

Kurz, Wright hatte eine vorzügliche Besetzung, hat in Sizilien gedreht und altes Gemäuer und schöne historische Kostüme mit großem Reiz umgesetzt, gibt dem Werk aber am Ende mit seinen Kriegsszenen und Cyranos Tod im Kloster auch die schöne Tragik. Kurz, alles wäre vorzüglich – wenn sie nicht singen würden!

Renate Wagner

Film: THE CARD COUNTER

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Filmstart:  4. März 2022  
THE CARD COUNTER
USA – GB / 2021 
Drehbuch und Regie: Paul Schrader
Mit: Oscar Isaac, Willem Dafoe, Tye Sheridan, Tiffany Haddish u.a.

Der Titel und die Anfangsszenen lassen vermuten, dass es einfach um Glücksspiel geht (und der Erzähler aus dem Off konzentriert sich anfangs ganz darauf). Wie machen das die Profis, die sich bei Poker, Blackjack und anderen Kartenspielen die besten Chancen ausrechnen dürfen, weil sie imstande sind, sich jede gefallene Karte zu merken?  

Da gibt es Spieler, die von Casino zu Casino reisen, und auch solche, die von Agenten geführt werden und für Organisationen spielen. Man kann sogar bei Meisterschaften kämpfen… Ganz schön kriminell, sicher gut für einen unterhaltenden Thriller, vielleicht à la „Casino“?

Aber um Glamour geht es Regisseur und Drehbuchautor Paul Schrader (in letztgenannter Eigenschaft ewig berühmt für Scorsese / De Niros „Taxi Driver“) nicht, er will es schon anspruchsvoller. Sein Held, der William Tell heißt (was hierzulande ein Lächeln erzeugt), flieht quasi in die Welt der Karten, in Mathematik und Scheinprobleme, um seine Vergangenheit hinter sich zu lassen. Die höchste Konzentration, die die Karten verlangen, die wortlos ausgetragenen Machtspiele der Beteiligten, das fast meditative Versenken in die Situation – hilft es Tell, vor seinen Erinnerungen davon zu laufen, nicht an Armee, Gefängnis und Folter zu denken, die er hinter sich gelassen hat? Dafür koppelt er sich ab, einsame Hotelzimmer, Spieltische ohne Glamour, das totale Abtauchen ins Einzelgängertum. Da ist nur eine Agentin namens La Linda (Tiffany Haddish), die ihn beobachtet, engagiert und immer wieder auftaucht, nicht loslässt und doch eine Art von Beziehung zu ihm aufbaut.

Schrader, der hier seine Version von Schuld und Sühne erzählt,  hat die zentrale Rolle mit Oscar Isaac besetzt, den man oft gut, sehr gut gesehen hat, aber nie so eindrucksvoll, so enigmatisch wie hier. Der klassische Einzelgänger kann aber den jungen Cirk (Tye Sheridan) nicht abwehren, der ein Anliegen hat, das eng mit Tells Vergangenheit zusammen hängt. Denn Tell war einst mit seinem Vater in dem berüchtigten Gefängnis von Abu-Ghuraib in Bagdad unter der Ägide von Major John Gordo (Willem Dafoe), wo sie auf dessen Befehl gezwungen waren, zu foltern und zu morden. (Er habe Talent dazu, hatte Gordo befunden, und Tell dazu abgestellt…)

Man kennt den Fall als Abu Ghuraib-Folterskandal, und nun stellt sich heraus, dass es eigentlich darum geht. Wie kann man, wenn man es als Täter überlebt hat, damit leben? fragt Paul Schrader. Tell und Cirks Vater kamen nach dem Auffliegen der amerikanischen Verbrechen ins Gefängnis (Gordo nicht), Cirks Vater konnte die Schuld nicht ertragen und brachte sich um, Tell stieg in die gesichtslose Welt des Kartenspiels ein…

Von da an läuft der Film auf zwei Ebenen – Tell zieht nun mit Cirk durch die Casinos, aber die Vergangenheit ist allgegenwärtig. Der Film erspart das dem Zuschauer nicht, die verzerrten Szenen aus Abu Ghuraib in Rückblicken, hier ist die Verfremdung durch die Kamera ein Teil des Schauderns.  Der Showdown der Rache, die dann doch an dem wahren Täter stattfindet, ist vor allem zu hören.

Und dann ist Tell wieder im Gefängnis, als ob es der Ort sei, an den er gehörte – als Sträfling, verurteilt für seine Taten. Er und La Linda können nur an der Glasplatte, die sie trennt, die Fingerspitzen an einander legen. Und doch ist es Paul Schrader gelungen, dass man das Gefühl der Katharsis mit dem Hauptdarsteller teilt. Er hat getötet, Er hat gebüßt. Er hat sich selbst erlöst.

Paul Schrader hat in einem faszinierenden Mix zweier Welten, des Folter-Gefängnisses und der Casino-Kartentische, ein Schicksal gestaltet, das unter die Haut geht und zu seinen unvergeßlichen Filmen zählen wird.

Renate Wagner

Film: THE BATMAN

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film thebatmanplakat

Filmstart: 3. März 2022 
THE BATMAN
USA  / 2022 
Regie: Matt Reeves
Mit: Robert Pattinson, Zoë Kravitz, Colin Farrell, Jon Turturro, Paul Dano, Jeffrey Wright, Andy Serkis u.a.

Es gibt einen Ausdruck für Filme, die sich beim Publikum behaglich einnisten: „juicy“. Die Batman-Filme der späten achtziger und neunziger Jahre waren das. In ihrer Besetzung und in ihrer Machart. Das riß ja dann bekanntlich ab, bis Regisseur Christopher Nolan Anfang der 2000er Jahre die „Dark Knight“-Trilogie schuf, um einiges düsterer, aber gleichfalls filmische Gustostücke.

Einen Helden wie diesen Batman, unter schwarzer, lederner Halbgesichtsmaske, der so verlässlich Geld einspielt, gibt man nicht auf. Also ist ein neuer „Batman“ auf der Leinwand. Aber die Kinowelt hat sich verändert. „Juicy“ ist der neue Film nicht mehr. Eher dröge. Was aber. zugegeben, eine ziemlich vereinzelte Meinung ist, wenn man ein wenig unter den enthusiastischen Kritiken stöbert…

Wieder Batman also, der reiche Bruce Wayne in der moralisch so herabgekommenen Stadt Gotham City, der Mann, der in seine Fledermaus-Uniform schlüpft und loszieht, das Verbrechen zu bekämpfen, und der dabei vielen bekannten Typen aus dem Comic-Universum begegnet, dem auch er entstammt. Wie oft kann man das melken? Nun, einmal geht’s noch, sozusagen, wenn man es aus früheren Zeiten viel besser, interessanter, spannender in Erinnerung hat.

Der Fehler liegt bei der Handlung, die über zweidreivietel Stunden ausgewalzt wird, aber nie wirklich spannend ist. Es wird gnadenlos in Serie gemordet, und dass der „Riddler“ dahinter steckt, tut er durch Botschaften kund, die bei den Leichen gefunden werden und an Batman gerichtet sind. Natürlich hat Regisseur Matt Reeves immer wieder turbulente und zerstörerische Action-Szenen eingefügt, die man von einem Comic-Spektakel mit einem Superhelden erwartet, aber sie sind routiniert das Übliche, was man schon immer gesehen hat. (Mit Karacho mit dem Auto in eine Kirche zu rasen  und ein Begräbnis stören, ist wenigstens nicht ganz so abgegriffen.) Und auch, wenn die Stadt Gotham City atmosphärisch so beängstigend darstellt wird, dass man dorthin sicher nicht auf Urlaub fahren will, ist das keine besondere Neuigkeit.

Noch weniger die Geschichte, die sich zerfasert und dann eigentlich nur die Figuren vor der Kamera auf und ab laufen lässt. Wobei diese natürlich einiges Interesse verdienen, schließlich ist es ihre Qualität, die den Film dann mit sich schleppen muss (noch einmal: zweidreiviertel Stunden! Am Ende versäumt der Regisseur gut zehn Möglichkeiten, endlich Schluß zu machen – und es geht immer weiter, bis zu einem dann gar nicht so wirkungsvollen Ende).

Robert Pattison hat, obwohl die „Twilight“-Filme (von 2008 bis 2012) auch schon lange genug her sind, noch immer das Image des Teenager-Schwarms. Das schminkt sich der 35jährige in diesem Film total ab. Man könnte meinen, die Visagisten hätten sich vorgenommen, ihn optisch in eine Art Joaquin Phoenix zu verwandeln, so düster kommt er mit dunkel wirrem Haar und tief liegenden Augen einher. Wenn er nicht sowieso die meiste Zeit seine Maske trägt und dann nur auf seinen eher ausdruckslosen Mund angewiesen ist, um einen im Grunde durch ihn nicht wirklich definierten Charakter darzustellen. Immerhin, er ist der neue Batman, und er wird es, wie es schon heißt, einige Zeit bleiben.

Dass Zoë Kravitz trotz ihrer etwas künstlich wirkenden (aufgespritzten?) Lippen eine fabelhaft aussehende Catwoman ist, wird jeder gern bestätigen, aber mir Vorgängerinnen wie Michelle Pfeiffer, Halle Berry oder Ann Hathaway tut man sich schwer, die Rolle auf originelle Art zu spielen – zumal dieser Teil der Figur hier winzig ausgefallen ist.  Meist ist sie einfach Selina, die zwar einmal auf ihre weibliche Eigenständigkeit besteht, im übrigen aber vor allem mit schmachtendem Blick das Weibchen herauskehrt, das in einem Film, wo jeder sein Smartphone hat und Geheimnisse per Stic weiter gegeben werden, ziemlich altmodisch anmutet. Am Ende gibt es für sie und Batman kein Happyend, aber da ja sicher mit einer Fortsetzung zu rechnen ist, wird sich da künftig sicher mehr Erotisches abspielen als diesmal.

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Ja, und dann ist da unter den Bösewichten des Films die große Überraschung. Auf der Besetzungsliste steht Colin Farrell als „Oz“ Cobblepot alias „der Pinguin“ – bloß erkennt man ihn nicht. Man wehrt sich sogar, wenn man es weiß: Nein, das kann nicht sein, das darf nicht sein. Einer der attraktivsten Männer des Films hat sich in einen abstoßend hässlichen, fetten alten Mann verwandelt. (Vermutlich steckte schon bei Vertragsunterzeichnung die Zusage dahinter, dass der „Pinguin“ einen eigenen Spin-Off-Film erhalten würde.) Tatsächlich ist Farrell dermaßen nicht er selbst, dass es schwer fällt, diesen widerlichen Bösewicht irgendwie mit seiner Person zusammen zu bringen.

Da ist John Turturro als Carmine Falcone durchaus er selbst, zynisch, überheblich und ganz erstaunt, als er dann doch sterben muss. Und als Edward Nashton alias der „Riddler“ beweist Paul Dano wieder einmal, dass irre Paranoiker zu seiner Spezialität zählen, so dass man ihm den ultimativen Bösewicht gerne glaubt.

Es gibt auch ein paar „gute“ Figuren .- als Alfred, der hier weniger Butler als vielmehr Freund und Vertrauter erscheint, ist Andy Serkis ungemein sympathisch (wenn man bedenkt, wie jenseits des Menschlichen er als Gollum in „Der Herr der Ringe“ war!), und Jeffrey Wright weiß als Commissioner James Gordon, der einem brutalen Mörder auf der Spur ist, die Hilfe von Batman zu schätzen.

Am Anfang erklingt das Ave Maria, zwischendurch scheint die Musik ironisch leicht verfremdete Sequenzen der Bond- und Pate-Filme zu zitieren. Was man uns damit sagen will, ist nicht klar. Und so wirklich begreift man auch nicht, warum es diesen „Batman“-Film gebraucht hat. Als Variation eines alten Themas lässt er es an Inspiration und  Innovation fehlen.

Renate Wagner

LINZ/ Brucknerhaus: MESSA DA REQUIEM von Giuseppe Verdi

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Linz: „DREI – MESSA DA REQUIEM“ – Konzert im Brucknerhaus Linz, Großer Saal, 03. 03.2022

Giuseppe Verdi

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Markus Poschner. Foto: Volker Weihbold für Bruckner-Orchester

Die Geschichte des ursprünglich als Erinnerung an Gioacchino Rossini von Giuseppe Verdi als Gemeinschaftswerk von insgesamt 13 italienischen Komponisten geplanten Requiems ist ja hinlänglich bekannt; auch, daß es schließlich nicht zu einer widmungsgemäßen Aufführung kam – erstmals erklang es erst 1988! Aber Verdis dafür verfaßtes „Libera me“ sollte zum Anker seines zweiten Anlaufes zu einer groß angelegten Totenmesse werden.

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 San Marco zu Mailand (nach 1871), gefunden bei Bibliothek Universität Würzburg

Dieses zum ersten Jahrestag des Todes des Dichters Alessandro Manzoni am 22. Mai 1874 in San Marco, der zweitgrößten Kirche von Mailand, uraufgeführte Werk weckte schon beim Komponisten die Idee, daß es eher in den Konzertsaal als in die Kirche gehöre – gespeist auch durch die Erfahrung der „nicht-liturgischen“ Folgeaufführungen in der Scala, 25. – 27. des selben Monats. Was Verdi freilich auf die akustischen Bedingungen bezog, die für die Rezeption der hochkomplexen, feingewebten Partitur in einem „trockenen“ Konzertsaal günstiger seien als in einem Kirchenraum mit unendlichem Nachhall.

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Manzoni und Verdi, gefunden bei Bibliothek Universität Würzburg

Das anfänglich „Manzoni-Requiem“ genannte Werk, das 1875 schon in allen wichtigen Musikstädten Europas und in Übersee zu hören gewesen war, zog allerdings einige Kritik auf sich, die sich auf die Adjektive „zu opernhaft“ und „zu wenig sakral“ konzentrierte. Hans von Bülow, der noch dazu die Uraufführung, zu der er eingeladen war, „geschwänzt“ hatte,  polemisierte in der „Augsburger Allgemeinen Zeitung“ sogar über „eine Oper im kirchlichen Gewande“ vom „allgegenwärtigen Verderber des italienischen Kunstgeschmacks“, einen „Triumph romanischer Barbarei“. Das wiederum veranlaßte den „Lutheraner“ Johannes Brahms zur Bemerkung „Bülow hat sich lächerlich gemacht. So ein Werk kann nur ein Genie schreiben!“. Das Ehepaar Wagner war zugegen und auch nicht begeistert – aber das fand wenigstens nur Eingang in Cosimas Tagebuch, nicht in eine Zeitung. Die Kritiken, zeitgenössisch, teils aber bis heute („das Requiem als beste Oper Verdis“), stoßen sich – reichlich unsachlich – daran, daß Verdi an religiösen Fragen wenig Interesse zeigte, ja vielleicht, wenn auch durchaus tugendhafter, Atheist oder Agnostiker war; und schließlich käme ja religiöse Machtdurchsetzung in „Don Carlo“ und „Aida“ nicht gerade gut weg…

Giovanni Bietti schreibt über den Hintergrund dieser Diskussion: “Der springende Punkt ist ja, daß der Totenmesse-Text, speziell des „Dies irae“, reich an Beschwörungen und Bildern ist: Tod, Licht, Feuer, die Posaunen des Jüngsten Gerichtes, die ungeheure Majestät, Tränen, Verdammte, Selige. Schwer vorstellbar, daß sich ein Komponist verkneifen kann, diese Texte nicht wenigstens zum Teil in musikalische Bilder umzusetzen.“ Also: Verdis Requiem ist sicher ein dramatisches, außerordentlich farbenreiches Werk, aber zur Opernhaftigkeit fehlen ganz wesentliche Elemente.

Jedenfalls: das Bruckner Orchester Linz unter Markus Poschner hat sich hier eine wahre „pièce de résistance“ vorgenommen, bei der es vom Tschechischen Philharmonischen Chor Brno (Leitung: Petr Fiala) und dem Chor Ad Libitum (Heinz Ferlesch) aus St. Valentin unterstützt wird – beide mit reicher Erfahrung  im Chorwerke- wie Opernbetrieb. Die Soli kommen vom auf die großen Chorwerke spezialisierten Sopran Susanne Bernhard, vom jungen ukrainischen Mezzosopran Olga Syniakova, vom aus Sibirien stammenden, seit 2007 in Europa, den USA und Israel aktiven Tenor Alexey Dolgov und dem künstlerisch in München verwurzelten Bass Tareq Nazmi, der ebenfalls eine Reihe prominenter internationaler Engagements vorweisen kann.

Die Programmierung erfolgte vor ungefähr zwei Jahren. Die besondere Aktualität des Requiems ist nun eine beklemmende Fügung, die den Dirigenten zu einer kurzen Einleitung drängte, sinngemäß: „Die Musik kann leider keinen Krieg beenden. Aber sie bringt uns mehr Humanität, Verständnis und Zusammenhalt.“

Optimale Akustik – im Sinne von Verdis zitierter Aufführungspräferenz – des diesbezüglich ohnedies gut angelegten Brucknerhauses war durch den endlich wieder einmal weitestgehend ausverkauften Saal garantiert. Diese war auch wichtig, denn Markus Poschner leitete sein Orchester zu immensem Dynamikumfang an – besonders die leisen Stellen, von Streichern wie Bläsern feinst ziseliert, hört man atemlos. Natürlich endet aber auch die Wucht des „Dies irae“ niemals im Tumult – nein, Chor und Orchester halten immer Disziplin, klare Diktion, Differenzierung, Präzision und, könnte man fast sagen, Swing! Und darüber hinaus gerät auch über die gesamten 1½ Stunden Aufführungsdauer der große Spannungsbogen perfekt, auch dank organischer und plausibler Tempi.

Neben den perfekt studierten Chören überzeugen auch die fast immer in perfekter Balance zu Chor und Orchester stehenden Solistinnen und Solisten: Frau Bernhard läßt ihren druckvollen, niemals scharfen Sopran leuchten; das tatsächlich zumindest in der ersten Hälfte im Opernidiom verfaßte finale „Libera me“ gestaltet sie auch großartig dramatisch. Olga Syniakova ist, eine Stimmlage tiefer, zwischen Milowsor an der Scala (lt. Operabase noch unter Gergiew gelistet!) und Cherubino in Seattle hier und heute die wunderbar samtig strahlende Ergänzung, glänzt besonders bei „Lux aeterna“ und mit ihrer Soprankollegin und drei Flöten beim „Agnus Dei“. Tenor Alexey Dolgov klingt zu Beginn nicht ganz frei, ab dem „Ingemisco“ aber läßt er lyrische Perfektion hören, auch mit ausgewogenem Passaggio. Von A – Z perfekt die Leistung von Herrn Nazmi mit samtigem Ansatz und scheinbar müheloser Saaldominanz.

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 Schlußapplaus © Peter Rieder

15-minütiger Jubel, Begeisterung, standing ovation.

Petra und Helmut Huber

Zitate aus

Giovanni Bietti, „Ascoltare Verdi“, Laterza/Bari 2021

Torsten Roeder, „Die Rezeption der Messa da Requiem von Giuseppe Verdi im deutschsprachigen Raum 1874–1878“, Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg 2017

WIEN / Staatsoper: L’ElISIR D’AMORE von Gaetano Donizetti

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Juan Diego Flórez (Nemorino), Nina Minasyan (Adina) und  Sergey Kaydalov (Bemonte). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn.

WIEN / Staatsoper: Donizettis L’ELISIR D’AMORE

260. Aufführung in dieser Inszenierung

4. März 2022

Von Manfred A. Schmid,

Otto Schenks liebevoll „menschelnde“ L’Elisir D“Amore-Inszenierung aus dem Jahr 1980 hat von ihrem bezaubernden Flair auch in der 260. Aufführung nichts eingebüßt. Das sonnendurchflutete Bühnenbild von Jürgen Rose, von dem auch die Kostüme stammen, entführt in ein südländisches (laut Libretto baskisches) Bauerndorf und schafft so die Basis für eine weitgehend originalgetreue Umsetzung der Oper im Sinne ihrer Schöpfer Donizetti und Romani. Auch die Musik versprüht sonnige Italianità, auch wenn ihr tragische Momente nicht fremd sind. Die musikalische Gestaltung liegt in den Händen von Marco Armiliato, der auch in der dritten Vorstellung der derzeit laufenden Serie seinem Ruf als Garant für das italienische Fach mehr als gerecht wird. Das die Partitur kennzeichnende stete Changieren zwischen ausgelassener Heiterkeit und melancholischen Eintrübungen wird fein herausgearbeitet. Buffo-Elemente, vor allem bei den Auftritten Dulcamaras, und schmerzvolle Reflexionen, wie sie der unglücklich verliebte Nemorino anstellt, machen den Reiz dieses Melodramma giocoso aus.

Die Buffo-Partien der beiden Baritone Belcore und Dulcamara rufen nach komödiantisch versierten Sängern. Der junge Sergey Kaydalov, Ensemblemitglied seit der letzten Saison, wird in der parodistisch angelegten Rolle des Belcore dieser Anforderung weitgehend gerecht. Sein Belcore ist ein lebenslustiger Berufssoldat, selbstverliebt und eitel, sich seiner Wirkung auf Frauen, angesichts der Gewissheit, in jedem Standort seiner militärischen Karriere eine Braut zu haben, voll bewusst. Auch stimmlich kann Kaydalov mit einem wandlungsfähigen Bariton aufwarten. Bei den tieferen Tönen ist er nicht so präsent wie in der Mittellage und dringt zuweilen nicht ganz durch.

Stimmliche Wandlungsfähig ist auch das Stichwort, wenn es um die Einschätzung der Leistung des georgischen Baritons Misha Kiria geht. Sein mächtiger, farbenreicher Bariton verleiht dem umtriebigen, gerissenen Quacksalber Dulcamara schon in der Auftrittsarie „Udite, udite o rustici“ ein komisches, vor allem aber auch eigenständiges Profil, denn aufgrund seiner hünenhaften Gestalt ist Dulcamara diesmal nicht der wendige Schalk, wie man es von dieser Rolle gewohnt ist, sondern Dulcamara wirkt eher wie ein etwas tollpatschig daherkommender Tanzbär.

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Misha Kirica (Dulcamara)

Die junge armenische Sopranistin Nina Minasyan hat an großen Bühnen schon als Königin der Nacht und Lucia brilliert und wurde bereits als Nachfolgerin von Größen wie Edita Gruberova proklamiert. Als Adina ist sie eine anmutige, aber auch schelmische junge Frau, die ihre Reize auf die Männerwelt auskostet und dabei ihr grausames Spiel mit dem insgeheim von ihr geliebten Nemorino gefährlich überdreht, aber gerade noch rechtzeitig einlenkt.  Eine stimmtechnisch mit dem Belcanto bestens vertraute Sängerin mit ausgeprägter Mittellage, die mit Leichtigkeit Höhen erklimmt und sich schwerelos in Koloraturen vom Pianissimo bis zum Fortissimo und zurück steigern kann. Dass sie zudem auch eine zierliche, strahlend schöne junge Frau ist, kommt der Wirkung ihrer Stimme und ihres Spiels natürlich auch zugute.

Überstrahlt wird Minasyan an diesem Abend, wen wundert’s, nur von einem: Juan Diego Flórez. Er ist und bleibt der beste Nemorino, den man sich vorstellen kann. Fast hat es den Eindruck, dass Flórez an diesem Opernabend mit besonderer Liebe bei der darstellerischen Gestaltung ans Werk geht: Wenn er die bauchige Flasche mit dem vermeintlichen Liebestrank innig ans Herz drückt und küsst, wenn er seine Hand, nachdem sie von Belcore wohl zu fest gedrückt worden war, in der Gießkanne zum Abkühlen eintaucht, wenn er weinselig über die Bühne torkelt oder wenn er seinem Schmerz und seinen Gefühlen mit beredter Mimik und Gestik Ausdruck verleiht. Der naive Bauernbursch, der nicht lesen und schreiben kann, offenbart sich dabei dennoch nie als Hanswurst, sondern weiß immer zu berühren und Sympathie für sich und seine Sorgen zu wecken. Dass er „Una furtiva lagrima“ wiederholen muss, ist bei diesem Ausnahme-Belanto-Sänger längst keine Überraschung mehr. Dennoch hat man nie das Gefühl, dass hier Routine herrschen würde. Ganz im Gegenteil wirkt es eher so, als ob er mit Freude und Negier an jedem Abend den vertrauten Nemorino neu entdecken würde

Ileana Tonca ist als Gianetta eine gute Hausbesetzung, der Chor fühlt sich im Hof von Adinas Anwesen hörbar so wohl wie auf einem Betriebsausflug in den sonnigen Süden. Die gute Laune ist ansteckend: Angesichts der zu Ende gehenden Corona-Beschränkungen ist es nun wohl höchste Zeit, den Sommerurlaub zu planen. Angesichts des begeisterten Beifalls lässt sich erahnen, wohin es für viele wohl auch diesmal wieder gehen mag.

5.3.202

WIEN / Volkstheater, Bezirke: MUSKETIERE

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Foto: Volkstheater

WIEN / Volksthetater, Bezirke:
MUSKETIERE von Calle Fuhr
frei nach Motiven von Alexandre Dumas
Uraufführung
Premiere: 18. Februar 2022,
besucht wurde die Vorstellung am 5, März 2022 in Hietzing

Also viel von den drei Musketieren des Alexandre Dumas, die ja bekanntlich vier sind, ist nicht übrig geblieben in der Außenbezirks-Vorstellung des Volkstheaters. Calle Fuhr, hier sozusagen als All-Verantwortlicher eingesetzt, besetzt sich selbst auch tüchtig als Autor und Regisseur.

Von den berühmten Abenteuern der Herren im 17. Jahrhundert, die mit Kardinal Richelieu im Clinch lagen, gibt es rein gar nichts. Wir begegnen erst einmal den ursprünglichen dreien, die sich nach einer Trennung wieder zusammen gefunden haben und ziemlich jammerlappig agieren. Was Athos da über das Verlassen-Werden durch Papa erzählt, schluchzte man im 19. / 20. Jahrhundert beim Psychiater auf dem Sofa, aber nicht ein gestandener Mann seiner Epoche, der mit dem Degen kämpft…

Aber Calle Fuhr will ja ohnedies nicht die Geschichte erzählen, sondern eine kleine Politparabel. Läse man es nicht im Programmheft nach, käme man allerdings nicht auf die Idee, dass es sich um ein Bashing der Grünen handelt, die durch die Regierungsbeteiligung ihre Ideale verraten haben, und man müsste sich auch ziemlich das Gehirn verdrehen, um darauf zu kommen.

Fakt ist – nachdem Athos, Aramis und Porthos ihre Seelen-Weh-Wehchen leider nicht nur ausgesprochen, sondern auch ausgesungen haben, kommt d’Artagnan zurück, der sie verlassen hat, um in die Politik zu gehen (was sie ihm nicht verzeihen können, auch wenn seine Motive angeblich noch so edel waren). Nun geht es um Loyalität und Zusammenhalt, auch wenn die Überzeugungen ziemlich angespannt werden (soll man oder soll man nicht?), aber so richtig happy endet es nicht, wie die Geschichte überhaupt keine echte Substanz hat.

Gehalten ist sie in Knittelversen, teils abenteuerlichen (reime „Schnurz“ auf „kurz“ und Ähnliches in solcher Preisklasse), meist wackelig und in Gegenwartssprache. Und leider besteht ein gerüttelter Teil des Abends aus Musik von Finck von Finckenstein (Künstlernamen gibt es!), wobei die Darsteller dann in Mikros „belten“ und die Verständlichkeit des Textes verloren geht (war kaum ein großer Verlust sein dürfte).

Immerhin, die Darsteller bringen es größtenteils. Dass zwei der Musketiere Frauen sind (weshalb eine, Aramis, sich lang und breit über das Gendern auslassen darf), ist heute schon eine Selbstverständlichkeit. Immerhin dominieren in dem Trio der Athos des Luka Vlatkovic und der Porthos des Martín Peñaloza Cecconi, beide glänzende Sprecher, was ein Vergnügen ist, aber im Vergleich die Frau Aramis von Runa Schymanski sprachlich doch um einiges abstürzen lässt. Rebekka Biener, die Madame d’Artagnan, kann es dann wieder, das blitzende Fechten mit Worten.

Vor einem Hintergrund, der ein wenig an die Gloriette erinnert (Bühne Patrick Loibl), sorgt Calle Fuhr für den Ablauf – viel kann er nicht tun, denn eine richtige Handlung hat er seinen Musketieren ja nicht gegeben.

Was ist der Nutzeffekt eines solchen Abends? Ein 80minütiges Mini-Musical mit holprigen Versen anstelle eines echten Stücks. Das ist der von der Kulturstadträtin versprochene Fortschritt der neuen Volkstheater-Direktion? Das „neue“ Publikum, auf das man vielleicht wartet, ist nicht erschienen. Und die wenigen Leute, die ihr Abo noch nicht gekündigt haben und versprengt im Saal saßen, müssen sich damit zufrieden geben, was man ihnen bietet.

Renate Wagner

STUTTGART/ Staatsoper: BORIS GODUNOW von Mussorgski / SECONDHAND-ZEIT von Serge Newski

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„Boris Godunow“ von Mussorgski und „Secondhand-Zeit“ von Sergej Newski in der Staatsoper Stuttgart am 5.3.2022

Zuletzt lebendig begraben

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Foto: Matthias Baus

  In der abwechslungsreichen und vielfältigen Regie von Paul-Georg Dittrich (Bühne: Joki Tewes, Jana Findeklee; Kostüme: Pia Dederichs, Lena Schmid) weckt die Krönung Boris Godunows Hoffnungen auf eine bessere Zukunft. Und doch wird der neue Zar von der Vergangenheit eingeholt, denn ein Mann erhebt als Zarensohn Dimitri Anspruch auf den Zarenthron. Er soll als Kind jedoch in Godunows Auftrag ermordet worden sein. Fakten, Fiktionen, Legenden und Lügen werden in einer Zeitebene von mehreren Jahrhunderten hier in wahrhaft raffinierter Weise vermischt und verwoben. Das tote Kind verfolgt den Zaren bis zuletzt – und er zerbricht und stirbt daran.

In Dittrichs Inszenierung wird er am Ende lebendig eingemauert. In collagenhafter Manier wird das Werk von Modest Mussorgski hier mit Sergej Newskis „Secondhand-Zeit“ verwoben. So sind zwei Partituren und zwei Zeiten gleichzeitig entstanden. Mussorgski bringt den Weg des Zaren von der Krönung bis zum Tod in sieben exemplarischen Bildern packend auf die Bühne. Sergej Newski setzt dokumentarische Geschichten dagegen wie ein Mosaik zusammen – sechs Interrmezzi und ein Epilog sprechen den Hörer ganz direkt an. Simultanes Erzählen steht dabei im Mittelpunkt des Geschehens. Liebe, Gewalt und Verlust gehen nahtlos ineinander über und werden mit Mussorgskis Oper in raffinierter Weise verzahnt. Polyphonie steht auch hier im Zentrum. Die Errichtung eines Neo-Zarentums bei Mussorgski mit Masken von Putin, Gorbatschow, den Zaren Peter dem Großen, Alexander II. oder Nikolaus II. korrespondieren dabei in unheimlicher Weise mit apokalyptischen Visionen der Stalin-Zeit. Newski hat nämlich sechs Lebensgeschichten vertont, die die weißrussische Autorin Swetlana Alexijewitsch in Gesprächen zwischen 1991 und 2012 aufgezeichnet und in ihrem „Roman der Stimmen“ Secondhand-Zeit zu einem vielstimmigen Erinnerungschor ergänzt hat. So kommt es bei Swetlana Alexijewitsch zu einer lebendigen Widerspiegelung der Vergangenheit durch die warme menschliche Stimme. In ihren Büchern erzählt demnach der „kleine Mensch“ von sich als „Sandkorn der Geschichte“. Andererseits erfährt man viel über den erschütternden Fall der Sowjetunion und erlebt grausame Parallelen zum jetzigen Ukraine-Krieg mit brennenden Häfen und Häusern. Die Live-Videos von Vincent Stefan hinterlassen bestürzende Eindrücke. Der Krieg um Macht gipfelt in traumatischen Erfahrungen. Das hat der Komponist Sergej Newski in seiner auch mit seriellen Strukturen aufwartenden Musik voll erfasst. In extremen Intervallen ergänzt hier die menschliche Stimme das komplizierte kontrapunktische Gerüst dieser differenzierten Komposition, deren Glissandi-Momente und abrupten Klangfarbenänderungen den Hörer fesseln.

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Matthias Klink. Foto: Matthias Baus

Unter der einfühlsamen Leitung von Titus Engel musiziert das Staatsorchester Stuttgart sehr konzentriert und man erfährt nicht nur bei den Tremolo-Effekten viel von den Abgründen und wuchtigen Komplexen in Mussorgskis Partitur. Das Geheimnis der Tonsprache wird hier auch vom grandiosen Staatsopernchor Stuttgart unter der Leitung von Manuel Pujol voll entschlüsselt. Die großartigen Chorszenen des Prologs atmen sogleich wilde Leidenschaft, die sich immer mehr steigert. Und das Glockenthema gewinnt dabei geradezu ekstatische Größe. Klösterliche Ruhe und bewegtes Volkstreiben begegnen sich im ersten Akt sehr kontrastreich, während Adam Palka (Bariton) als Boris Godunow bei seinem Angsmonolog im zweiten Akt über sich selbst hinauswächst. Die westliche Zivilisation des in Polen spielenden dritten Aktes wird bei der Inszenierung angedeutet. Der Abschiedsmonolog des Zaren Boris mit seinem geheimnisvollen Hinübergleiten in sphärenhaftes Des-Dur hinterlässt an diesem Abend ebenfalls tiefe Eindrücke.

In weiteren Rollen überzeugen bei diesem doppelten Musiktheater von Mussorgski/Newski ferner Alexandra Urquiola als Fjodor/Aktivistin, Kyriaki Sirlantzi als Xenia/Die Geflüchtete, Christina Daletska (Gesang ) und Veronika Schäfer (Szene) als Xenias Amme/Mutter des Selbstmörders, Maxim Paster als markanter Fürst Wassili Schuiski, David Steffens als Pimen, Elmar Gilbertsson  als Grigori Otrepjew/jüdischer Partisan, Ramina Abdulla-zade als jüdischer Partisan (Kind), Urban Malmberg als jüdischer Partisan (alter Mann), Friedemann Röhlig als Warlaam, Stine Marie Fischer als Schenkwirtin/Frau des Kollaborateurs sowie Petr Nekoranec als Gottesnarr und Obdachloser. Hinzu kommen noch Jorge Ruvalcaba als Schtschelkalow, Alberto Robert als Missail/Leibbojar, Gerard Farreras als Mikititsch/Offizier der Grenzwache sowie Heiko Schulz als Mitjucha, die allesamt eindringliche Rollenporträts bieten. Für das gesamte Ensemble gab es viele „Bravo“Rufe.

Alexander Walther


BONN/ Bundeskunsthalle: GEBALLTE FRAUENPOWER IM RHEINLAND ZUM WELTFRAUENTAG 2022

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Geballte Frauenpower im Rheinland zum Frauentag 2022

Von Andrea Matzker und Dr. Egon Schlesinger

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Vom 4. März bis zum 16. Oktober 2022 zeigt die Bundeskunsthalle von Bonn eine informative Ausstellung mit dem Titel „Simone de Beauvoir und ‚Das andere Geschlecht‘“. Das Werk mit dem französischen Originaltitel „Le deuxième sexe“ ist wahrscheinlich das berühmteste Buch von ihr neben ihrer Autobiografie „Der Lauf der Dinge“. Die Ausstellung zeigt die Entstehung des Werkes im Paris der Nachkriegszeit und berichtet von der Bedeutung und Rezeption dieser „Bibel des Feminismus“, zu der es innerhalb der Frauenbewegung längst geworden ist. Literarische und journalistische Beiträge, viele groß projizierte Fotos, Interviews und Filme stellen das Denken der Schriftstellerin und Philosophin und ihr Verständnis vom freien und unabhängigen Leben vor.

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Wichtige Weggefährtinnen und Weggefährten kommen zu Wort. Darunter auch Alice Schwarzer, die bei der Pressekonferenz zur Eröffnung der Ausstellung zugegen war. Alice Schwarzer führte seit 1972 regelmäßig Interviews mit Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre in Paris. Diese Gespräche veröffentlichte sie in der 1977 gegründeten feministischen Zeitschrift EMMA, wodurch Simone de Beauvoir auch in der Bundesrepublik Deutschland zum wichtigen Bezugspunkt der Frauenbewegung wurde.

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Bonn-Bundeskunsthalle-Alberto-Giacometti-Simone-de-Beauvoir-

bonn bundeskunsthalle alberto giacometti simone de beauvoir foto andrea matzker p5060741

Simone de Beauvoir behandelte sämtliche Tabuthemen. „Das andere Geschlecht“ wurde in mehr als 40 Sprachen übersetzt und gilt heute sowohl als Standardwerk des modernen Feminismus als auch als Klassiker der Frauenbewegung. Bekannt ist die Episode mit Albert Camus, der ihr Buch quer durch den Raum schleuderte und ausrief, dass sie den französischen Mann lächerlich gemacht habe. Die Atmosphäre der Ausstellung ist der schummrigen Dunkelheit der Cafés der Nachkriegszeit in Paris nachempfunden, es gibt Bistro-Tische und Jazzmusik, an den Wänden flimmern Texte zu ihrem Leben und Werk, denen man folgen kann.

Frauenmuseum Bonn

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Frauenmuseum Bonn, aktuelle Ausstellung. Foto: Andrea Matzker

Parallel zu dieser Ausstellung zeigt das älteste Frauenmuseum der Welt, nämlich das Frauenmuseum Bonn, vom 6. März bis zum 30. Oktober 2022 die Ausstellung: „Wir sind! – Neue Frauenbewegung und feministische Kunst.“ Die Ausstellung präsentiert mit Werken gegenwärtiger Künstlerinnen die Erfolgsgeschichte feministischer Bewegungen in Gesellschaft, Kunst und Politik. Texttafeln und digitale Medien vertiefen die Einblicke in das Werk der Protagonistinnen. Anlässlich seines 40-jährigen Jubiläums leistet das Frauenmuseum mit dieser Ausstellung einen aktuellen Beitrag zur Kanonisierung von Künstlerinnen in der Kunstgeschichte. Diese Ausstellung findet in der ersten Etage des weiträumigen Museums statt.

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„Göttinnen im Rheinland“. Foto: Andrea Matzker“

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Museumsgründerin und Direktorin des Hauses, Frau Dr. Marianne Pitzen.Foto: Andrea Matzker

Im Erdgeschoss sollte man in keinem Fall verpassen, die äußerst sehenswerte und interessante Ausstellung zu den „Göttinnen im Rheinland“ zu besichtigen, auch mit äußerst eindrucksvollen Werken der Museumsgründerin und Direktorin des Hauses selbst, Frau Dr. Marianne Pitzen. Ihre Papier-Matronen thronen im Zentrum herrlicher Exponate, die ausgesprochen geschmackvoll angeordnet sind. Über 800 Steine, die den Matronen gewidmet waren, sind auf dem Gebiet der ehemaligen römischen Provinz Niedergermanien gefunden worden und bezeugen die Bedeutung der Muttergottheiten vom ersten bis zum dritten Jahrhundert nach Christus. Verschiedenste Funde von Grabbeigaben weisen auf Fertigkeiten römischer Frauen hin, wie unter anderem auf Sportausübung oder medizinische Praxis. Alle Exponate zeigen die Bedeutsamkeit, den Geist und die Weisheit von Frauen.

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Frauenmuseum Bonn, aktuelle Ausstellung. Foto. Andrea Matzker

Auch diese zauberhafte Ausstellung läuft noch bis zum 30. Oktober 2022. In der zweiten Etage finden zusätzlich wechselnde Ausstellungen nennen verschiedene Künstlerinnen statt wie zum Beispiel eine Ausstellung von Mary Bauermeister vom 12. Juni bis zum 24. Juli 2022. Die Ausstellung verfügt auch über einen umfangreiches Begleitprogramm, das seinen Abschluss findet mit einem Expertinnenaustausch zur Finissage am 30. Oktober 2022 um 14:00 Uhr.

Andrea Matzker und Dr. Egon Schlesinger

STUTTGART/ Staatsgalerie/“Internationale Hugo Wolf-Akademie: GALERIEKONZERT MIT LIEDERN VON GUSTAV MAHLER (Christiane Karg/ Malcolm Martineau)

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Internationale Hugo-Wolf-Akademie: Galeriekonzert mit Liedern von Gustav Mahler am 6. März in der Staatsgalerie/STUTTGART

Himmlische Sphären

Das neue Album A Christmas Promenade | Christiane Karg
Christiane Karg. Copyright: Christiane Karg.de

So unerbittlich Gustav Mahler als Orchesterleiter war, so streng beurteilte er auch seine eigenen Kompositionen. Dies betrifft insbesondere seine frühen Lieder, die erstmals im Jahre 1892 erschienen sind. Man kann dieses Urteil heute kaum noch nachvollziehen –  zumal es hervorragende Interpretinnen wie Christiane Karg (Sopran) gibt, die diesen Werken eine geheimnisvolle Tiefe und Größe verleihen.

In der Staatsgalerie wurde sie nun sehr einfühlsam von dem schottischen Pianisten Malcolm Martineau begleitet. Gleich zu Beginn erwachte beim „Frühlingsmorgen“ aus dem Jahre 1882 eine unglaublich vielfältige Harmonik, die sich immer mehr auszuweiten schien. Tonfall, Rhythmus und Wortwahl des alten Volksliedes schimmerten hier in geheimnisvoller Weise durch. Malcolm Martineau (Klavier) gelang es vorzüglich, die sphärenhaften Momente dieser Lieder zu betonen. Dadurch erhielt Christiane Karg auch bei den weiteren Nummern „Rheinlegendchen“, „Verlorne Müh‘!“ sowie „Hans und Grete“ genügend Freiraum. Bei letzterem Lied vertreibt ein volkstümlicher Ländler das Liebesleid. „Ich ging mit Lust durch einen grünen Wald“ stammt ebenfalls aus „Des Knaben Wunderhorn“. Die magische Eigenart erinnerte hier sogar schon ganz entfernt an die Tonsprache Arnold Schönbergs. „Erinnerung“ weckte fast schon metaphysische Assoziationen. Harmonische Ebenen verbanden sich dabei mit reizvollen Klangfarbenspielen,  die Christiane Karg mit ihrer ausdrucksvollen Sopranstimme in bewegender Weise illustrierte. Eine weitere wunderbare Steigerung brachten bei diesem bemerkenswerten Konzert die Rückert-Lieder, deren thematische  Zusammenhänge Christiane Karg und Malcolm Martineau in ausgezeichneter Weise erfassten. Da beeindruckte nicht nur bei „Blicke mir nicht in die Lieder“ und „Ich atmet‘ erinen linden Duft“ die gesangliche Tragfähigkeit der Gesangsstimme, die beim Lied „Um Mitternacht“ auch die dynamischen Schattierungen nicht außer Acht ließ. „Liebst du um Schönheit“ sowie „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ entführten den Zuhörer plötzlich in eine andere Welt. Alles wirkte sparsam, knapp und doch ungeheuer ausdrucksvoll. Einen geradezu hymnischen Abschluss brachten die Lieder aus „Des Knaben Wunderhorn“. „Wo die schönen Trompeten blasen“ und vor allem „Des Antonius von Padua Fischpredigt“ gefielen aufgrund der traumhaft gleitenden Melodien, die Christiane Karg und Malcolm Martineau sensibel auffingen. Das Leid der hilflosen Kreatur bewegte Mahler zeitlebens am meisten. Und hier trat diese Intention deutlich in den Vordergrund.

Die beiden letzten Lieder „Das irdische Leben“ und „Das himmlische Leben“ weckten wiederum Reminiszenzen an die dritte und vierte Sinfonie Gustav Mahlers. Und auch Malcolm Martineau ließ die sinfonischen Dimensionen bei seiner Klavierbegleitung nie außer Acht. Als Zugabe folgte noch das facettenreich dargebotene Mahler-Lied „Nicht wiedersehen!“

Alexander Walther

DRESDEN/ Semperoper: AIDA – Neuproduktion mit Christian Thielemann am Pult. Premiere

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 Dresden / Semperoper: EINE GRANDIOSE „AIDA“-NEUPRODUKTION MIT CHRISTIAN THIELEMANN AM PULT – 5.3.2022 Premiere

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Foto: Ludwig Olah/Semperoper

 

Wenn Christian Thielemann ein Dirigat übernimmt, steigen die Erwartungen, umso mehr, wenn es sich um eine Neuproduktion handelt. Um es vorwegzunehmen, die hohen Erwartungen wurden nicht enttäuscht, sondern weit übertroffen. Obwohl diese Neuproduktion die erste „Aida“ in seiner künstlerischen Laufbahn ist, war sie „ein großer Wurf“. So klar von Anfang bis Ende mit allen emotional ergreifenden Szenen und ausgefeilten Details hat man die „Aida“ wohl selten gehört. Thielemanns Wirken beschränkt sich bei einer Oper nicht nur auf das Orchester, es strahlt – abgesehen von seinen Aktivitäten im Vorfeld einer Neuproduktion – auf die gesamte Aufführung aus, inspiriert auch Sängerinnen, Sänger und Chor.

Aus aktuellem Anlass wurde die Premiere mit der ukrainischen Nationalhymne „Noch sind der Ukraine Ruhm und Freiheit nicht gestorben …“, die auf eine alte Hymne von 1865 zurückgeht, eröffnet. Das Publikum erhob sich von den Plätzen, und nach betroffenen Schweigeminuten begann dann mit leisen, feinen Tönen die Ouvertüre zur „Aida“, bei der das Publikum im Stillen die Parallelen zur Gegenwart wahrscheinlich nachdrücklicher zog als bei einer bewusst (oft auch abwegig)) aktualisierenden Inszenierung.

Thielemanns Wunschkandidatin für diese „Aida“-Neuproduktion, der sechsten in Dresden seit 1876 (die fünfte schuf Udo Samel 1997/98), war die Schauspielerin und Regisseurin Katharina Thalbach, die bisher an der Semperoper mit ihrer Inszenierung von Engelbert Humperdincks Märchenoper „Hänsel und Gretel“ präsent war und auch noch ist, denn ihre kindgemäße Inszenierung läuft noch immer in der Weihnachtszeit. Sie inszeniert erfreulicherweise mit dem Stück und lässt den Sängern Zeit zum Atmen, um in Ruhe auszusingen und ihre Opernfigur glaubwürdig zu gestalten, ohne dass es langatmig würde. „Dazu geht man ja in die Oper“ meint nicht nur sie. Es ist ihr wichtig, „dass in der Sterbeszene auch die leisen Töne hörbar sind“, was Thielemann, der sich immer ganz in das vertieft, was er in Musik ausdrücken will, sehr entgegen kommt.

Sie hat keinen Fokus, will einfach ganz langsam und genau umsetzen, was im Libretto steht, auch wenn sich dann „die Fuilletons beklagen“, wie sie befürchtete, sehr zu Unrecht, wie sich erwies. Wenn sie Opern inszeniert, fühlt sie sich als ganz normales Publikum, sie „liebt die großen starken Stimmen, und will dem Text und dem, Ausdruck der Sängerinnen und Sänger folgen, verstehen, worum es wirklich geht, auch wenn nicht deutsch gesungen wird. „Es wird jedenfalls nicht besser, wenn sie nebenbei häkeln oder Augen sezieren“ verleiht sie ihrer Ansicht Ausdruck.

Von einer aktuellen Übertragung der Handlung wie Putzfrau (Neuenfels) oder Migranten hält sie nichts, auch wenn die Themen aktuell sind. Dafür gibt es andere Medien wie Funk und Fernsehen, Presse und Kino. Die Oper ist eine andere Kategorie mit eigenen Ansprüchen. Immer wieder ist sie überrascht, wie gut Opernsänger auch die Handlung umsetzen und agieren können, obwohl das in manchen Situationen aufgrund des geforderten Stimmeinsatzes gar nicht leicht ist. „Sie agieren oft besser als manche Schauspieler“ sagt die Schauspielerin.

Eigentlich wollte sie überhaupt nicht mehr inszenieren und schon gar keine Opern mehr, aber wenn Thielemann anfragt und dirigiert und die Semperoper mit ihrer großartigen Akustik lockt, kann sie nicht wiederstehen. Es war „kein Traum“ von ihr, aber schließlich hat sie auch schon viele große Opern wie „Fidelio“ und „Salome“ inszeniert und mit „Rigoletto“ auch schon eine große Verdi-Oper. Für „Aida“  lässt sie ihre Vision vom alten Ägypten auferstehen, für die Ihr langjährig vertrauter Bühnen- und Kostümbildner, der Italiener Ezio Toffolutti, den im wahrsten Sinne des Wortes „zauberhaften“ Rahmen schuf, ein illusionäres „Ägypten der Pharaonen“ mit Assoziationen aus dem Art Déco und der frühen Filmarchitektur.

Um auch die leisen Stimmen zur Geltung kommen zu lassen, ließ die Ägypten-begeisterte Thalbach in ihrem Inszenierungskonzept einen der Akustik gewidmeten Bühnenbild-Klangraum entwickeln, um „großen Stimmen die Kraft und Zartheit von Verdis Komposition „in all ihren Facetten erhör- und erlebbar“ zu machen, einen rechteckiger Raum vom Fußboden bis zur Decke aus Holz-Täfelung, in dem sich Türen öffnen und schließen und die jeweilige Handlungssituation auch optisch wirkungsvoll ins rechte Bild rücken, belebt durch stimmige Kostüme, auch leicht bekleidet, ästhetisch und historisch orientiert, und durch ebenso stimmige Dekorationsstücke wie Fahnen, Teppiche usw., die an das alte Ägypten auf historischen Darstellungen erinnern, altägyptisches Kolorit vermitteln und Farbe ins Bild bringen.

Einfache, aber wohl durchdachte, wirkungsvolle Regieeinfälle erhöhen die Spannung. Wenn Aida langsam den Vorhang über dem Geschehen zuzieht, über einer Welt, die nicht die ihre ist, und allein vor dem Vorhang ihre große Arie singt oder die Gerichtsverhandlung gegen Radamès als Landesverräter – nur akustisch wahrnehmbar – im Hintergrund stattfindet und sich den Blicken entzieht, sind das große Theater-Momente, keinesfalls antiquierend oder „verstaubt“, sondern ganz aus heutiger Sicht, gekonnt mit einfachen Mitteln die Opernhandlung illustrierend, auf der die Musik aufbaut. Oper ist nun einmal eine Sondergattung und kann – wie es sich bereits abzeichnet – nur weiter bestehen, wenn sie das bleibt, was sie immer war, eine mit musikalischen Mitteln dargestellte illusionäre Welt. Der konträren Inszenierungen seit mehr als 30 Jahren ist man nun langsam müde.

Hier entstand wieder ein Gesamtkunstwerk, wie es Chr. W. Gluck und Richard Wagner erstrebt haben, aber aus heutiger Sicht. Musik, Bühnenbild, Kostüme, Handlung und auch Tanz bilden eine Einheit. Ja, hier wurde auch der Tanz, der früher zu fast jeder Oper gehörte, wieder sinnvoll in die Handlung eingebunden. Ballett gibt es zwar in Neuinszenierungen jetzt öfter, aber meist verkompliziert es nur die Übersicht. Hier treten Balletttänzerinnen und -tänzer mit religiösen Tänzen in einer feierlichen Zeremonie zur Überreichung des Schwertes an den neu gewählten Heerführer Radamès auf und später, um die gekränkte und enttäuschte Amneris aufzuheitern. Sie zeigen sehr anspruchsvolle Leistungen mit entsprechenden Schwierigkeiten, perfekt ausgeführt, von Amneris aber immer wieder brüsk abgebrochen – ein sehr wirkungsvoller Effekt (Choreografie: Christopher Tölle).

Sächsischer Staatsopernchor (Einstudierung: André Kellinghaus), Sinfoniechor Dresden und Extrachor der Semperoper untermalen stilvoll die Szenen, kraftvoll, aber auch besonders eindrucksvoll bei den leisen Hintergrund-Auftritten.

Thielemann und die Sächsische Staatskapelle sind ein eingeschworenes Team geworden, eine musikalische Einheit, die eigentlich nicht mehr zu trennen ist. Umso schmerzlicher, dass durch die Nichtverlängerung seines Vertrages seitens der sächsische Landesregierung ohne triftigen Grund ein so glückliches Zusammenwirken, das gegenwärtig so selten ist, auseinandergerissen wird. Will man denn keine Glanzleistungen, keine internationale Ausstrahlung mehr? Jetzt, auf dem Höhepunkt der künstlerischen Leistungen, ist es ein Frevel, so etwas zu zerstören.

Thielemann stellte sich unmerklich auch auf die Sänger und ihre Tempi ein, ohne den langen musikalischen Atem der Partitur zu unterbrechen. Mit großer Klarheit, durchdrungen bis in jedes Detail (bei Verdi gibt es keinen unwichtigen Takt) hielt er die Spannung von den ersten leisen Tönen bis zum tragischen Ende, bei dem geschickt zwei Ebenen sichtbar werden, die langsam sich absenkende Gruft unter dem Altar des Vulkan mit den beiden Liebenden, der Sklavin Aida und dem Heerführer Radamès, und die dadurch auf höherer Ebene sichtbar werdende, zwar siegreiche, aber unglückliche, verzweifelte Königstochter Amneris (Oksana Volkova), die sich nach anfänglicher Zurückhaltung mehr und mehr in ihrer Rolle steigerte und zur glaubhaften Gegenspielerin Aidas wurde.

Krassimira Stoyanowa erschien als Inkarnation der Aida, eine ideale Sängerin mit allen gesangstechnischen Raffinessen vom feinsten Piano bis zu den emotionalen Gefühlen der unterdrückten Sklavin und sehr natürlicher, wie selbstverständlicher Darstellung. Mit jugendlicher Stimme und glaubhaft gespielter jugendlicher Erscheinung war sie die ideale Verkörperung dieser Partie. Hier stimmte einfach alles, betörten die leisen, feinen, gefühlvollen Töne genauso wie die leidenschaftlich kraftvolleren, ergänzt durch ihre dezente und dadurch umso eindrucksvollere Darstellung einer liebenden und leidenden jungen Frau, die „die glühende Liebe“ nicht vergessen kann, „die das Herz der Sklavin, der Unterdrückten, wärmte wie Sonnenstrahlen“.

 Francesco Meli bewältigte die anspruchsvolle Partie des Radamès sängerisch in allen Phasen, wenn man ihm auch als Heerführer etwas mehr Power gewünscht hätte. Neben Georg Zeppenfeld, der sich zuverlässig und mit seiner  sprichwörtlich guten Tiefe wieder eine neue Partie, den Hohepriester Ramfis, erschloss, bei der er zu seiner natürlichen Körpergröße noch extrahohe Plateauschuhe tragen musste, wirkte Radamès extrem klein, was die Machtverhältnisse verdeutlichen sollte.

Wenig Macht strahlte Andreas Bauer Kanabas, der 2015 in Axel Köhlers Dresdner “Freischütz“-Inszenierung unter Thielemann den Eremiten sang, als König der Ägypter aus. Lediglich in der Szene, als er seine Tochter Amneris dem Radamès zur Frau gibt, blühte er auch stimmlich kurzzeitig auf. Als sein Gegner, der äthiopische König Amonasro, war der von Hawaii stammende Bariton Quinn Kelsey stimmlich und darstellerisch glaubwürdig, und mit angenehmer, geschmeidiger Stimme beschwor die junge russische Sopranistin Ofeliya Pogosyan vom Jungen Ensemble als reine, unschuldige Oberpriesterin, hier als „Tempelsängerin“ bezeichnet, die Göttin Isis.

Bei dieser Premiere verschmolzen dank Höchstleistungen der Sächsischen Staatskapelle, deren Mitglieder Thielemanns Intuitionen minutiös folgten und optimal umsetzten, die großen Arien, eingebettet in das Gesamtgefüge des musikalischen Geschehens, und der Triumphmarsch mit seinen „Aida“-Trompeten, die Verdis Opera lirique in vier Akten weltberühmt machten, im Zusammenwirken mit der stimmigen Inszenierung, Bühnenbild und Kostümen zu einer glücklichen Einheit, bei der man auch nicht hundertprozentige Sängerleistungen wohlwollend zu tolerieren geneigt ist.

Nachdem sich der Vorhang am Ende geschlossen hatte, verstummten die wenigen notorischen, sehr zaghaften und völlig unbegründeten Buhrufe sehr schnell unter dem ehrlichen, langanhaltenden Beifall der Premierenbesucher.

Wenn die Oper eine Zukunft haben soll, dürfte diese Mischung aus Moderne und Historie, die auch die Ausführenden inspiriert, der richtige Weg sein.

Weitere Vorstellungen finden am 9., 13., 17., 20. März sowie am 3., 5., 9. Juli 2022 statt.

Eine Live-Übertragung erfolgt am 13.3. auf dem ARTE Fernsehkanal und wird im Rahmen der Saison ARTE Opera ab dem 13.3. im Stream-Angebot bereitgestellt.

Ingrid Gerk

 

ZÜRICH/ Opernhaus: IL TURCO IN ITALIA von Gioacchino Rossini. Wiederaufnahme

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Gioacchino Rossini: Il turco in Italia • Opernhaus Zürich • Vorstellung: 04.03.2022

(4. Vorstellung • Wiederaufnahme am 20.02.2022)

 Telefon von Gioacchino

Kurz vor Ende der Vorstellung läutet ein Mobiltelefon (Hammerklavier: Andrea Del Bianco). Der Komponist ist in der Leitung. Was er wohl mit dem Dichter zu besprechen hat?

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 Foto © Hans Jörg Michel

«Was für ein Theaterstück! Ich bin zufrieden: Einen besseren Stoff hätte man nicht finden können, noch könnte man wünschen, auf bessere Art und Weise einen Knoten zu schlingen» äusserst sich der Dichter. Darüber, was der Komponist zum Dichter sagt, können wir nur rätseln. Er dürfte hocherfreut über die Umsetzung seines Dramma buffo sein, denn er zeigt Menschen der Gegenwart, des Heute, mit denen sich das Publikum identifizieren kann. Das ist ganz in des Komponisten Sinne, denn die Themen, die Jan Philipp Gloger in seiner Inszenierung zur Sprache bringt, des Publikums Umgang mit dem Fremden, den «Clash of Cultures», Parallel-Gesellschaften, Integration und Ausländerfeindlichkeit, sind Themen, die sowohl im Heute des Komponisten wie im Heute des Dichters (Gegenwart der Aufführung) aktuell sind. Die «prachtvollen» Ausstattungen und der Zauber des Exotischen sind Ausprägungen der Themen, die im Heute des Dichters keine Wirkung mehr haben. Den Zwang einen fremdländischen Potentaten auf die Bühne zu bringen, um Kritik üben zu können oder allgemein Gesellschaftskritik ins Gewand des Exotischen kleiden zu müssen, konnten wir uns in den vergangenen Jahrzehnten kaum noch vorstellen. Gerade erfahren wir aber, dass das nur etwas mehr als zwei Flugstunden von uns entfernt, wieder nötig ist. Ben Baur (Bühnenbild) hat als Ort des Dramas das Mehrfamilienhaus Nummer 37 auf die Drehbühne gebracht. Da wohnen der sympathische Pantoffelheld Don Geronio (mit herrlichem Bariton Renato Girolami) mit seiner attraktiven Gattin Donna Fiorilla (stimmlich so attraktiv wie optisch Olga Peretyatko) in der ersten Wohnung, in der zweiten lebt der Dichter Prosdocimo (Pietro Spagnoli mit grosser Bühnenpräsenz) und die dritte bezieht gerade mit Hilfe des Hausmeisters Don Narcisio (mit Luft nach oben Mingjie Lei) und begleitet von seinen Landsleuten (höchst lebendig und stimmprächtig der Zusatzchor Opernhaus Zürich) Selim, ein türkischer Fürst (Nahuel Di Pierro mit fürstlichem Bass). Die Ruhe im Mehrfamilienhaus stören Zaida (Chelsea Zurflüh mit frischem, jugendlichem Sopran), die Selim in der Heimat hat sitzen lassen und ihr Begleiter Albazar (Luis Magallanes). Die Philharmonia Zürich unter Riccardo Minasi verleiht dem Leben im Wohnhaus das Brio und südländische Farben.

Was hat der Komponist mit dem Dichter besprochen? Er wird mit der Umsetzung seines Werks zufrieden gewesen sein.

Keine weiteren Aufführungen in dieser Saison.

07.03.2022, Jan Krobot/Zürich

LAUSANNE/ Opéra: ALCINA von G.F. Händel. Premiere

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„ALCINA“ von Georg Friedrich Händel. Premiere an der Opéra de Lausanne vom 6.3.2022

Die Zauberin Alcina ist die Herrscherin über eine Insel der Lüste. Mit betörenden Sirenengesängen zieht sie Männer in ihren Bann, verführt sie und verwandelt sie, wenn sie ihr überdrüssig ist, in Steine, Pflanzen oder Tiere. Auch Ruggiero verliebt sich in die geheimnisvolle Fremde, doch seine Verlobte Bradamante macht sich auf den Weg ihn zu finden.

An der Opéra de Lausanne feierte Stefano Podas Inszenierung von Händels Oper „Alcina“ Premiere. Der Abend war nicht nur ein Sängerfest, sondern brillierte mit einer durchdachten Inszenierung wie auch gelungenen Personenregie. Lenneke Ruiten glänzte in der Titelpartie ebenso wie Franco Fagioli in der Rolle des Ruggiero.

Auf der Suche nach ästhetischer und konzeptioneller Einheit umfasst die künstlerische Arbeit von Stefano Poda stets Regie, Bühnenbild, Kostümdesign, Beleuchtung und Choreografie in einem persönlichen Siegel, das auf einer visionären, vielschichtigen Prägung zwischen antiken Bildern und zeitgenössischer Kunst beruht. Er hat eine Sprache entwickelt, die ebenso verständlich ist wie Musik, Bildhauerei, Malerei und Architektur.

In diesem Bühnenbild ziert eine riesige drehbare Kugel das gesamte Bühnengeschehen. In der Vision des Regisseurs ist der Palast der Zauberin Alcina eine halbkugelförmige Kuppel, die in der Luft hängt.

Zitat des Regisseurs; Wir kommen aus einer Zeit, in der der Mensch sein Wesen und seine gemeinschaftliche und soziale Berufung vergessen und vernachlässigt hat. Es wurde versucht, eine abgeschottete virtuelle Welt zu errichten, in der sogar die Kunst immateriell geworden ist. Wir müssen uns dagegen wehren: Wir müssen uns an unsere Wurzeln erinnern und eine Dimension des wahren geistigen Friedens suchen“.

Diese abgeschottete Welt findet in dieser Kugel statt. Man kann sie als Insel wahrnehmen oder eben als eine eigene in sich geschlossene Welt in der Alcina lebt, liebt und verwandelt.

Musikalisch punktet die Produktion mit starken Stimmen. Lenneke Ruiten legt als Alcina ein schönes und dramatisches Pathos in die Sopranpartie, auch Marina Viotti als Bradamante hat einen bemerkenswerten Mezzo. Gepflegte Leichtigkeit zeigt Marie Lys als Morgana.

Faszinierend der Countertenor Franco Fagioli mit seinem wunderbar klaren Soprantimbre als Ruggiero. Das Ensemble wurde hervorragend ergänzt von Juan Sancho als Oronte, Guilhem Worms als Melisso und Ludmila Schwartzwalder als Oberto.

Hervorragend und sehr präzise gespielt von Maestro Diego Fasolis, welcher am Pult des Orchestre de Chambre de Lausanne seine facettenreiche Kunst zur barocken Musik, transparent und musikalisch, wunderbar darbieten konnte.

Marcel Emil Burkhardt

 

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