Dresden / Semperoper: EINE GRANDIOSE „AIDA“-NEUPRODUKTION MIT CHRISTIAN THIELEMANN AM PULT – 5.3.2022 Premiere
![aih]()
Foto: Ludwig Olah/Semperoper
Wenn Christian Thielemann ein Dirigat übernimmt, steigen die Erwartungen, umso mehr, wenn es sich um eine Neuproduktion handelt. Um es vorwegzunehmen, die hohen Erwartungen wurden nicht enttäuscht, sondern weit übertroffen. Obwohl diese Neuproduktion die erste „Aida“ in seiner künstlerischen Laufbahn ist, war sie „ein großer Wurf“. So klar von Anfang bis Ende mit allen emotional ergreifenden Szenen und ausgefeilten Details hat man die „Aida“ wohl selten gehört. Thielemanns Wirken beschränkt sich bei einer Oper nicht nur auf das Orchester, es strahlt – abgesehen von seinen Aktivitäten im Vorfeld einer Neuproduktion – auf die gesamte Aufführung aus, inspiriert auch Sängerinnen, Sänger und Chor.
Aus aktuellem Anlass wurde die Premiere mit der ukrainischen Nationalhymne „Noch sind der Ukraine Ruhm und Freiheit nicht gestorben …“, die auf eine alte Hymne von 1865 zurückgeht, eröffnet. Das Publikum erhob sich von den Plätzen, und nach betroffenen Schweigeminuten begann dann mit leisen, feinen Tönen die Ouvertüre zur „Aida“, bei der das Publikum im Stillen die Parallelen zur Gegenwart wahrscheinlich nachdrücklicher zog als bei einer bewusst (oft auch abwegig)) aktualisierenden Inszenierung.
Thielemanns Wunschkandidatin für diese „Aida“-Neuproduktion, der sechsten in Dresden seit 1876 (die fünfte schuf Udo Samel 1997/98), war die Schauspielerin und Regisseurin Katharina Thalbach, die bisher an der Semperoper mit ihrer Inszenierung von Engelbert Humperdincks Märchenoper „Hänsel und Gretel“ präsent war und auch noch ist, denn ihre kindgemäße Inszenierung läuft noch immer in der Weihnachtszeit. Sie inszeniert erfreulicherweise mit dem Stück und lässt den Sängern Zeit zum Atmen, um in Ruhe auszusingen und ihre Opernfigur glaubwürdig zu gestalten, ohne dass es langatmig würde. „Dazu geht man ja in die Oper“ meint nicht nur sie. Es ist ihr wichtig, „dass in der Sterbeszene auch die leisen Töne hörbar sind“, was Thielemann, der sich immer ganz in das vertieft, was er in Musik ausdrücken will, sehr entgegen kommt.
Sie hat keinen Fokus, will einfach ganz langsam und genau umsetzen, was im Libretto steht, auch wenn sich dann „die Fuilletons beklagen“, wie sie befürchtete, sehr zu Unrecht, wie sich erwies. Wenn sie Opern inszeniert, fühlt sie sich als ganz normales Publikum, sie „liebt die großen starken Stimmen, und will dem Text und dem, Ausdruck der Sängerinnen und Sänger folgen, verstehen, worum es wirklich geht, auch wenn nicht deutsch gesungen wird. „Es wird jedenfalls nicht besser, wenn sie nebenbei häkeln oder Augen sezieren“ verleiht sie ihrer Ansicht Ausdruck.
Von einer aktuellen Übertragung der Handlung wie Putzfrau (Neuenfels) oder Migranten hält sie nichts, auch wenn die Themen aktuell sind. Dafür gibt es andere Medien wie Funk und Fernsehen, Presse und Kino. Die Oper ist eine andere Kategorie mit eigenen Ansprüchen. Immer wieder ist sie überrascht, wie gut Opernsänger auch die Handlung umsetzen und agieren können, obwohl das in manchen Situationen aufgrund des geforderten Stimmeinsatzes gar nicht leicht ist. „Sie agieren oft besser als manche Schauspieler“ sagt die Schauspielerin.
Eigentlich wollte sie überhaupt nicht mehr inszenieren und schon gar keine Opern mehr, aber wenn Thielemann anfragt und dirigiert und die Semperoper mit ihrer großartigen Akustik lockt, kann sie nicht wiederstehen. Es war „kein Traum“ von ihr, aber schließlich hat sie auch schon viele große Opern wie „Fidelio“ und „Salome“ inszeniert und mit „Rigoletto“ auch schon eine große Verdi-Oper. Für „Aida“ lässt sie ihre Vision vom alten Ägypten auferstehen, für die Ihr langjährig vertrauter Bühnen- und Kostümbildner, der Italiener Ezio Toffolutti, den im wahrsten Sinne des Wortes „zauberhaften“ Rahmen schuf, ein illusionäres „Ägypten der Pharaonen“ mit Assoziationen aus dem Art Déco und der frühen Filmarchitektur.
Um auch die leisen Stimmen zur Geltung kommen zu lassen, ließ die Ägypten-begeisterte Thalbach in ihrem Inszenierungskonzept einen der Akustik gewidmeten Bühnenbild-Klangraum entwickeln, um „großen Stimmen die Kraft und Zartheit von Verdis Komposition „in all ihren Facetten erhör- und erlebbar“ zu machen, einen rechteckiger Raum vom Fußboden bis zur Decke aus Holz-Täfelung, in dem sich Türen öffnen und schließen und die jeweilige Handlungssituation auch optisch wirkungsvoll ins rechte Bild rücken, belebt durch stimmige Kostüme, auch leicht bekleidet, ästhetisch und historisch orientiert, und durch ebenso stimmige Dekorationsstücke wie Fahnen, Teppiche usw., die an das alte Ägypten auf historischen Darstellungen erinnern, altägyptisches Kolorit vermitteln und Farbe ins Bild bringen.
Einfache, aber wohl durchdachte, wirkungsvolle Regieeinfälle erhöhen die Spannung. Wenn Aida langsam den Vorhang über dem Geschehen zuzieht, über einer Welt, die nicht die ihre ist, und allein vor dem Vorhang ihre große Arie singt oder die Gerichtsverhandlung gegen Radamès als Landesverräter – nur akustisch wahrnehmbar – im Hintergrund stattfindet und sich den Blicken entzieht, sind das große Theater-Momente, keinesfalls antiquierend oder „verstaubt“, sondern ganz aus heutiger Sicht, gekonnt mit einfachen Mitteln die Opernhandlung illustrierend, auf der die Musik aufbaut. Oper ist nun einmal eine Sondergattung und kann – wie es sich bereits abzeichnet – nur weiter bestehen, wenn sie das bleibt, was sie immer war, eine mit musikalischen Mitteln dargestellte illusionäre Welt. Der konträren Inszenierungen seit mehr als 30 Jahren ist man nun langsam müde.
Hier entstand wieder ein Gesamtkunstwerk, wie es Chr. W. Gluck und Richard Wagner erstrebt haben, aber aus heutiger Sicht. Musik, Bühnenbild, Kostüme, Handlung und auch Tanz bilden eine Einheit. Ja, hier wurde auch der Tanz, der früher zu fast jeder Oper gehörte, wieder sinnvoll in die Handlung eingebunden. Ballett gibt es zwar in Neuinszenierungen jetzt öfter, aber meist verkompliziert es nur die Übersicht. Hier treten Balletttänzerinnen und -tänzer mit religiösen Tänzen in einer feierlichen Zeremonie zur Überreichung des Schwertes an den neu gewählten Heerführer Radamès auf und später, um die gekränkte und enttäuschte Amneris aufzuheitern. Sie zeigen sehr anspruchsvolle Leistungen mit entsprechenden Schwierigkeiten, perfekt ausgeführt, von Amneris aber immer wieder brüsk abgebrochen – ein sehr wirkungsvoller Effekt (Choreografie: Christopher Tölle).
Sächsischer Staatsopernchor (Einstudierung: André Kellinghaus), Sinfoniechor Dresden und Extrachor der Semperoper untermalen stilvoll die Szenen, kraftvoll, aber auch besonders eindrucksvoll bei den leisen Hintergrund-Auftritten.
Thielemann und die Sächsische Staatskapelle sind ein eingeschworenes Team geworden, eine musikalische Einheit, die eigentlich nicht mehr zu trennen ist. Umso schmerzlicher, dass durch die Nichtverlängerung seines Vertrages seitens der sächsische Landesregierung ohne triftigen Grund ein so glückliches Zusammenwirken, das gegenwärtig so selten ist, auseinandergerissen wird. Will man denn keine Glanzleistungen, keine internationale Ausstrahlung mehr? Jetzt, auf dem Höhepunkt der künstlerischen Leistungen, ist es ein Frevel, so etwas zu zerstören.
Thielemann stellte sich unmerklich auch auf die Sänger und ihre Tempi ein, ohne den langen musikalischen Atem der Partitur zu unterbrechen. Mit großer Klarheit, durchdrungen bis in jedes Detail (bei Verdi gibt es keinen unwichtigen Takt) hielt er die Spannung von den ersten leisen Tönen bis zum tragischen Ende, bei dem geschickt zwei Ebenen sichtbar werden, die langsam sich absenkende Gruft unter dem Altar des Vulkan mit den beiden Liebenden, der Sklavin Aida und dem Heerführer Radamès, und die dadurch auf höherer Ebene sichtbar werdende, zwar siegreiche, aber unglückliche, verzweifelte Königstochter Amneris (Oksana Volkova), die sich nach anfänglicher Zurückhaltung mehr und mehr in ihrer Rolle steigerte und zur glaubhaften Gegenspielerin Aidas wurde.
Krassimira Stoyanowa erschien als Inkarnation der Aida, eine ideale Sängerin mit allen gesangstechnischen Raffinessen vom feinsten Piano bis zu den emotionalen Gefühlen der unterdrückten Sklavin und sehr natürlicher, wie selbstverständlicher Darstellung. Mit jugendlicher Stimme und glaubhaft gespielter jugendlicher Erscheinung war sie die ideale Verkörperung dieser Partie. Hier stimmte einfach alles, betörten die leisen, feinen, gefühlvollen Töne genauso wie die leidenschaftlich kraftvolleren, ergänzt durch ihre dezente und dadurch umso eindrucksvollere Darstellung einer liebenden und leidenden jungen Frau, die „die glühende Liebe“ nicht vergessen kann, „die das Herz der Sklavin, der Unterdrückten, wärmte wie Sonnenstrahlen“.
Francesco Meli bewältigte die anspruchsvolle Partie des Radamès sängerisch in allen Phasen, wenn man ihm auch als Heerführer etwas mehr Power gewünscht hätte. Neben Georg Zeppenfeld, der sich zuverlässig und mit seiner sprichwörtlich guten Tiefe wieder eine neue Partie, den Hohepriester Ramfis, erschloss, bei der er zu seiner natürlichen Körpergröße noch extrahohe Plateauschuhe tragen musste, wirkte Radamès extrem klein, was die Machtverhältnisse verdeutlichen sollte.
Wenig Macht strahlte Andreas Bauer Kanabas, der 2015 in Axel Köhlers Dresdner “Freischütz“-Inszenierung unter Thielemann den Eremiten sang, als König der Ägypter aus. Lediglich in der Szene, als er seine Tochter Amneris dem Radamès zur Frau gibt, blühte er auch stimmlich kurzzeitig auf. Als sein Gegner, der äthiopische König Amonasro, war der von Hawaii stammende Bariton Quinn Kelsey stimmlich und darstellerisch glaubwürdig, und mit angenehmer, geschmeidiger Stimme beschwor die junge russische Sopranistin Ofeliya Pogosyan vom Jungen Ensemble als reine, unschuldige Oberpriesterin, hier als „Tempelsängerin“ bezeichnet, die Göttin Isis.
Bei dieser Premiere verschmolzen dank Höchstleistungen der Sächsischen Staatskapelle, deren Mitglieder Thielemanns Intuitionen minutiös folgten und optimal umsetzten, die großen Arien, eingebettet in das Gesamtgefüge des musikalischen Geschehens, und der Triumphmarsch mit seinen „Aida“-Trompeten, die Verdis Opera lirique in vier Akten weltberühmt machten, im Zusammenwirken mit der stimmigen Inszenierung, Bühnenbild und Kostümen zu einer glücklichen Einheit, bei der man auch nicht hundertprozentige Sängerleistungen wohlwollend zu tolerieren geneigt ist.
Nachdem sich der Vorhang am Ende geschlossen hatte, verstummten die wenigen notorischen, sehr zaghaften und völlig unbegründeten Buhrufe sehr schnell unter dem ehrlichen, langanhaltenden Beifall der Premierenbesucher.
Wenn die Oper eine Zukunft haben soll, dürfte diese Mischung aus Moderne und Historie, die auch die Ausführenden inspiriert, der richtige Weg sein.
Weitere Vorstellungen finden am 9., 13., 17., 20. März sowie am 3., 5., 9. Juli 2022 statt.
Eine Live-Übertragung erfolgt am 13.3. auf dem ARTE Fernsehkanal und wird im Rahmen der Saison ARTE Opera ab dem 13.3. im Stream-Angebot bereitgestellt.
Ingrid Gerk