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SCHWERIN/ Schlossfestspiele/Alter Garten: NABUCCO.

Schlossfestspiele Schwerin des Mecklenburgischen Staatstheaters

Open Air am Alten Garten NABUCCO, 5.7.2014

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Schlossfestspiele_Nabucco_quer_1

Copyright: Silke Winkler

Trotz heftigem Gewitter spielt eine Stadt Oper und überzeugt durch Ensemblestärke und zwei sehr gute Solisten

 Wer kennt ihn nicht, den berühmte Gefangenenchor „Va, pensiero, sull‘ ali dorate“, Symbol des Risorgimento, der italienischen Einigungsbewegung des 19. Jahrhunderts. Viele im Publikum werden sich auf diesen veritablen Verdi-Hit in diesem sängerisch enorm anspruchsvollen Frühwerk Giuseppe Verdis besonders gefreut haben. Ich gestehe, dass das auch mein erster live Nabucco auf einer Bühne war. Glücklicherweise gibt es eine Handvoll an herausragenden Gesamtaufnahmen dieser mitunter zwar plakativen, aber vor allem in den Ensembles dramaturgisch großartigen Musik. Während der Autofahrt von Berlin nach Schwerin habe ich mir zur Einstimmung die Gardelli-Aufnahme mit Elena Suliotis und Tito Gobbi angehört. 

 Mit Bangen ging ich dann in die Vorstellung, wer könne schon die beiden wichtigsten Rollen, die Agigail und die Titelpartie, überhaupt stimmtechnisch bewältigen? Und wurde eines Besseren belehrt. Siehe da, sowohl die Russin Katja Levin als auch der Mexikaner Jorge Lagunes lieferten erstklassige Interpretationen der machtgierigen angeblichen Tochter Nabuccos und eben dieses zwischen geistiger Verwirrung und die Hebräer befreienden Königs von Babylon. Beide haben nicht nur alle Finessen der extremen Tessitura ihrer Rollen klangschön mit Feuer und hoher Musikalität singen können, sondern auch schauspielerisch konflikt- und affektbeladene Menschen aus Fleisch und Blut auf die Bühne gezaubert. Katja Levin erinnert zudem vom Timbre her vor allem in der unteren Lage luxuriös an Grace Bumbry.

 Die restlichen Solisten (Mario Sofroniou als Ismaele, der beide Hände stets über den Kopf haltende Young Kwon als Zaccaria, Itziar Lesaka als Fenena, Igor Storozhenko als Oberprieser des Baal, Matthias Siddhartha Otto als Abdallo und Katrin Hübner als Anna) fügten sich nach Kräften in die gute Ensembleleistung, blieben aber darstellerisch allzu blass. Da hätte der Regisseur mit einer ambitionierteren Personenführung mehr herausholen können. Der Technik des Festivals ist es ganz toll gelungen, Orchester und Solisten akustisch so zu verstärken, das man beinahe von überall (ich hatte Seitenplätze links) gut hören konnte.

 Die Regie (Georg Rootering) ist konventionell und hätte vor 50 Jahren schon als konservativ gegolten. Aber so ist das halt meist mit Sommerfestspielen. Die Bühne und Kostüme von Romaine Fauchère tauchen das Theatereck à la Ravenna entsprechend den beiden in der Oper streitenden Gruppen Babylonier und Hebräer in ein intensives Lapislazuliblau (wohl am Blau des Ischtartores inspiriert) bzw. Gold-Rot. Was besonders schön ist, dass sich gegen Ende der Oper zu die Hinterwand der Babylon Box öffnet und den Blick freigibt auf das Staatliche Museum Schwerin, schönes Sinnbild für den Anspruch von Kunst und die Durchlässigkeit von Musik, urbaner Anmutung und den bildenden Künsten. Gut fand ich auch die Idee, den Inhalt des Stücks mittels Toneinspielung zu Beginn der Aufführung als auch Texte aus der Bibel als Einstimmung zu den Akten zu erzählen.

 Was den Abend insgesamt bemerkenswert macht, ist eine mehr als beachtliche Gesamtleistung der „Infrastruktur“ des Mecklenburgischen Staatstheaters Schwerin, nämlich der Mecklenburgischen Staatskapelle Schwerin und des verstärkten Opernchors. Der langhaarige sympathische Martin Schelhaas dirigierte sein exzellentes Orchester und die Heerscharen des Chors zwar nicht immer mit größter Italianità, verzichtete dafür im positiven Sinn auf das derbe „Krachen-Lassen“ und arbeitete sorgfältig viele instrumentale Details akribisch heraus, ohne den großen Bogen zu verlieren. Eine schöne Leistung. Alle machen mit, eine Stadt gibt ihr Bestes.

 Das Schloss Schwerin ist freilich der große Star des Abends. Bei Freilichtspektakeln wie in Schwerin, St. Margarethen öder Mörbisch kommt es nicht zuletzt auf das romantische Ambiente an. Und davon hat die Hauptstadt Mecklenburg- Vorpommerns jede Menge zu bieten. Das heutige Schloss etwa, das als Kulisse seitlich der beiden Black-Boxen dient, gilt als eines der bedeutendsten Bauwerke des Romantischen Historismus in Europa. Es entstand in den Jahren 1845 bis 1857 nach Plänen von Demmler, Semper, Stüler und Zwirner, wobei unter anderem französische Renaissanceschlösser als Vorbild dienten. So sind zahlreiche Details durch Schloss Chambord an der Loire inspiriert. 

Am Nachmittag hat es schon so ausgesehen, als würde das nichts mit der Aufführung werden. Ein heftiger stürmischer Gewitterregen mit Blitz und Donner hatte die Stadt, die auch ihren CSD (Christopher Street Day) feiern wollte, nach bleierner Hitze fast lahmgelegt. Erst eine Stunde vor Aufführungsbeginn begannen sich die Wolkenmassen zu lichten. Dementsprechend waren auch die wie immer bei solchen Festivals mörderisch unbequemen Sitzplätze pitschnass. Ich war aber nicht der Einzige, der nicht verstanden hat, warum niemand vor der Aufführung durch die Reihen laufen kann und die Sessel zumindest notdürftig vom Wasser zu befreien. So eine kleine Serviceleistung muss auch bei absolut vernünftiger Preisgestaltung drin sein.

 Dr. Ingobert Waltenberger

 

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