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BADEN-BADEN: VERDI-REQUIEM (4.7.) und DON CARLO (5.7.)

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Baden-Baden: „VERDI-REQUIEM“ 04.07.2014

 Zu den Sommerfestspielen 2014 lud man wiederum gern gesehene Gäste aus St. Petersburg ins Festspielhaus und das Gesamt-Ensemble des Mariinsky-Theaters unter der Leistung von Valery Gergiev gab sich die Ehre. Giuseppe Verdis „Messa da Requiem“ wurde einst von Hans von Bülow als Oper im Priestergewand bezeichnet und diese Aufführung unter Gergievs Stabführung schien dieses Argument zu belegen.

 Nach einem schier unhörbaren Beginn führt sich das Solistenquartett im Kyrie eleison mit beherztem Nachdruck ein. Souverän präsentierte der russische Dirigent dieses Sacralwerk, grandios, von ungeheurer Wucht erklang das Dies Irae und furchterregend, gewaltig, grell, vordergründig lässt Gergiev die bestens disponierten Blechsegmente aufspielen – durchaus legitim empfand ich diese Lesart, künden sie schließlich vom nahenden Inferno. Mochte dieser Musizierstil zuweilen zu plakativ, analytisch- zugespitzt erscheinen, gewann die Sichtweise dieser exemplarischen Wiedegabe, geprägt von hoher Musikalität eine ungemeine Expressivität.

 Höchste Individualität bot Victoria Yastrebova im Sopranpart. Wunderbar auf Atem phrasiert, verströmte die anmutige Sängerin beseelte, engelhafte, zum Himmel strebende Klänge in vortrefflicher Ausdrucksdimension, ganz besonders im finalen Libera me.

Konträr dunkel getönt, weich in der Mittellage, vollmundig in den Tiefenregionen, höhensicher auftrumpfend gestaltete Yulia Matochkina die Mezzobereiche und entfaltete sich trefflichst im Zwiegesang Recordare.  In mediterranem Klangidiom präsentierte sich Sergey Semishkur, zeigte tenorale Prachtentfaltung im wunderschön gesungenen Arioso Ingemisco tamquam reus und fügte sich strahlend-hell, ohne Fehl und Tadel ins famose Solistenensemble. Sonor, mächtig, bestens intoniert klang der herrlich strömende Bass Mikhail Petrenkos in farbenreicher Fülle, ausgezeichnet ohne Larmoyanz gelang ihm das

Confutatis sowie die profunde stilistische Gesamtinterpretation.

Auf großer Linie entfaltete sich der Chor des Mariinsky, strukturelle Details bestens betonend, herrlich weich wirkten die Piani, mächtig auftrumpfend,  homogen formierten sich die bestens vorbereiteten Sänger zu vokal-agilen Präsentation.

Nach kurzer, andächtiger Stille feierte man alle Beteiligten euphorisch.

                                               

                                                  „DON CARLO“ 05.07.2014

 „Gott welch Dunkel hier …“

 Animiert vom Vorabend besuchte ich in freudiger Erwartung die zweite Aufführung mit teils solistischen Umbesetzungen, der fünfaktigen Fassung von „Don Carlo“. Düster, beklemmend wie die Atmosphäre des spanischen Hofes wirkte bereits der Hain Fontainebleau´s, der Chor verkündet die nahende Dämmerung – doch es war bereits stockfinstere Nacht.

Giorgio Barberio Corsetti erzählt die Handlung ohne inhaltliche Verfremdungen, ließ den Akteuren genügend Spielraum zur persönlichen Entfaltung und war auch mit Cristian Taraborerelli am spärlichen Bühnendekor beteiligt. Blätterranken, im schwarzen Bühnenraum erhebt sich eine Gebäudefront, dient zuweilen als Wand für Dia- oder Film-Reflektionen und später in Schieflage als begehbare Fläche. Die bunten Kostüme (Angela Bruscemi) der Damen ließen wenig vom strengen Hofzeremoniell erkennen, währenddessen sich die Herren der Schöpfung mehr in den starren, dunklen Gewändern der spanischen Etikette präsentierten. Allmählich gewöhnte sich das Auge an die düstere Bühne, jedoch keineswegs an die sich häufenden Griffe des Regisseurs in die  Mottenkiste des allzu Konventionellen.

 Befremdlich, erstaunt vernahm man mein Ohr die grell anmutende, seltsam proportionierte Instrumentierung des Werkes durch Valery Gergiev. Was war geschehen? Die ersten beiden Akte erschienen mir geradezu lustlos musiziert, teils überforciert, Unstimmigkeiten von Graben und Bühne überboten sich, die Sopranistin (Anna Markarova) patzte, der nur unangenehm laute Tenor Yonghoon Lee (Carlo) , einer Stimme ohne Gesangskultur, ohne vokalem Schmelz malträtierte meine Ohren und ich zog in Erwähnung, nach der ersten Pause das Haus zu verlassen! Das Gehörte entfachte hitzige Debatten mit Kollegen und Freunden, ich war also mit meinen persönlichen Wahrnehmungen nicht allein. Jedoch der Gedanke, es kann ja nur besser werden verleitete mich zum weiteren Bleiben.  Ein Sprecher beruhigte die Gemüter mit dem Dementi: Frau Markarova sei von einer Erkältung noch nicht genesen und würde durch Viktoria Yastrebova  ersetzt, so weit so gut – nehmen wir die Version hin! Diese bereits im Requiem des Vortages beglückende Sopranistin zeichnete ein tragisches, nobles Profil der unglücklichen Elisabetta. Ihr Sopran verfügt über ein wunderschönes Timbre, beste Legatokultur, glockenrein gelangen Yastrebova  die Ansätze, die aufblühenden Kantilenen und zudem hatte die wohlklingende Stimme noch genügend Reserven für  große Szene Tu che la vanita und das bewegende Finalduett. Wenig flexibel, ohne Koloraturen gestaltete Ekaterina Gubanova das Schleierlied der Eboli, nuancierter klang ihr warmer Mezzo in der Gartenszene und höhensicher, doch ohne Dramatik kam O don fatale über die Rampe.  Als glaubwürdiger Kämpfer für die Freiheit und treu ergebenem Intimo des Infanten brachte Vladislav Sulimsky einen kräftigen Bariton mit ein, welcher sich nach zunächst verhaltenem Beginn, allmählich zu befriedigendem Schönklang steigerte. Darstellerisch schenkte Yevgeny Nikitin dem Philipp die unbeugsame Strenge, auch die schwachen, einsamen Seiten des Monarchen und verstand es mit sonoren, virilen Bassmitteln dessen Gefühlsregungen  vokal bestens umzusetzen.

Unversöhnlich, gefährlich, herrlich timbriert wirkte der Großinquisitor des Mikhail Petrenko und im Duett mit dem König gipfelten sich zwei ebenbürtige Stimmgewalten in brachialer, höchst dramatischer Entfaltung und bildeten  im Zusammenprall der Elemente, den absoluten Höhepunkt der sonst teils widersprüchlichen Aufführung.

Anmutig, schönstimmig kam der Page Tebaldo (Marina Aleshonkova) daher, engelsgleich verkündete die Stimme vom Himmel (Anastasia Kalagina) den Inquisitionsopfern die göttliche Verheißung. Mit weniger taufrischen, vokalen Mitteln gestalteten die Sänger von Mönch, Graf Lerma, Herold und Gesandten ihre kleineren Rollen. Großartig, rhythmisch, mit viel Sinn für klangliche Proportionen präsentierte sich der Chor des Mariinsky-Theaters (Andrei Petrenko).

 Zwiespältige Eindrücke der musikalischen  Interpretation hinterließ allerdings der sonst so geschätzte Dirigent. Irritiert vernahm ich die krassen, orchestralen Gegensätze, die blechübersteuerten Brachialgewalten, die weniger sängerfreundlichen Forteeruptionen, die bereits erwähnten Brüche zwischen Graben und Bühne. Was war geschehen? Hatte man zu wenig geprobt? Der positiv, elektrisierende Funke sprang erst im vierten Akt über, derartiges Niveau war ich von Gergiev nicht gewohnt! Dennoch gelangen ihm mit dem gut disponierten und differenziert aufspielenden  Orchester des Mariinsky auch starke, spannend-intensive Momente von dramatischer, packender Aussage.

Leistungsorientiert, ohne überschäumende Begeisterung der finale Beifall des Publikums. Unangenehm berührt waren zudem die Zuschauer aller Aufführungen wegen des verzögerten Beginns zwischen 10- 15 Minuten, seltsame neue Sitten – oder waren Übermächte im Spiel?

Gerhard Hoffmann

 

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