Alle Fotos: © Volkstheater / Christoph Sebastian
WIEN / Volkstheater:
DIE PHYSIKER von Friedrich Dürrenmatt
Premiere: 14. November 2014
Sie haben über ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel, die Dürrenmatt’schen „Physiker“ (1962 nach der „Alten Dame“ von 1956 der zweite anhaltende Welterfolg des Autors) – und man fragt sich natürlich, ob das, was einst so brennend aktuell war, nicht längst von der Zeit überholt wurde. Aber die Verantwortlichkeit der Wissenschaftler – die wird wohl nie enden, wenn es heute vielleicht auch die Genetiker sind, die sich zurückhalten sollten, wie es der grimmige Schweizer Dürrenmatt einst seinen fiktiven „Johann Wilhelm Möbius“, genialster Physiker der Welt, tun ließ, der freiwillig ins Irrenhaus ging, um dort das zu bleiben, was die Welt ihm nie erlauben würde – nämlich schuldlos.
Dürrenmatts Groteske um die Physiker, die sich angeblich für Newton und Einstein halten bzw. im Fall von Möbius behaupten, ihre Anweisungen von König Salomon zu erhalten, ist allerdings nach wie vor einfach ein gutes Stück, wenn auch nicht ganz so schnell und lapidar, wie es Regisseur Elias Perrig in zwei Stunden über die Bühne des Volkstheaters schickt. Gerade weil der noch nicht 40jährige Schweizer Regisseur (der am Haus einmal sehr bemerkenswert mit einem Riesenstück von Tony Kushner umgegangen ist) studierter Molekularbiologe ist, wie man dem Programmheft entnimmt, hätte man erwarten / hoffen können, dass er die Geschichte mit der Verantwortung etwas ausführlicher diskutieren ließe. Aber den Strichen fiel manches zum Opfer, auch viel vom komödiantischen Verkleidungsspiel der drei titelgebenden Physiker.
Dennoch ist es eine sehr gekonnte, rasche, durchaus intelligente Aufführung geworden, die offenbar auch billig ausgefallen ist. Bühnenbildner Wolf Gutjahr tat nämlich nicht viel mehr, als einen Raum mit Rudolf Alts Gemälde von Makarts Atelier zu tapezieren – und damit den Eindruck von ultimativem, überbordendem Prunk zu erzeugen. Da braucht man den ganzen Abend nur ein paar luxuriöse Sessel und Fauteuils, um darin zu spielen – nur, wenn die Physiker am Ende dann wirklich eingesperrt werden, wird das Tapeten-Gemälde abgerissen (kann wohl wieder aufgeklebt werden für die nächste Vorstellung!) und macht einem kahlen Raum Platz… Denn schließlich siegen bei Dürrenmatt nicht die Wissenschaftler mit Gewissen (mit einem kleinen, bewusst lächerlichen Schlenker in die Welt der Geheimdienste), sondern die bösen Konzerne in Gestalt der verrückten Klinik-Chefin, die in dieser Inszenierung das luxuriöse Exil der Superhirne aufkündigt, sobald sie deren Wissen besitzt und zweifellos so skrupellos wie lukrativ auswerten wird…
Vera Borek
„Die Physiker“ sind ein Schauspielerstück, wenn es je eines gab. Vor allem die weibliche Hauptrolle, „Fräulein Doktor Mathilde von Zahnd, Irrenärztin“ und selbst Irre, wie sich am Ende herausstellt, ist eine legendäre Rolle, Therese Giehse war es bei der Uraufführung, in Wien sah man im Lauf von Jahrzehnten Alma Seidler und Marianne Hoppe, Hilde Krahl und am Volkstheater Elisabeth Epp und zuletzt Hilde Sochor zu ihrem 75er. Michael Schottenberg möchte in seiner letzten Saison „seine“ Schauspieler noch einmal zusammen holen (ein Ensemble, das – wie man hört – offenbar in der neuen Direktion zersprengt wird), und so kam Vera Borek (sie war 2008 am Volkstheater Dürrenmatts „alte Dame“) nun zu ihrem Fräulein von Zahnd, für das sie wie ein klappriges Skelett-Gespenst jenseitig genug wirkte. Leider gelegentlich nicht ganz fest in den Schuhen der Rolle, jedenfalls mehr ein bedrohlicher Schatten als eine echte, gewissermaßen dämonische Bedrohung – aber es ist eben eine Gänsehaut der anderen Art, die sie ja doch erzeugt.
v.l.n.r. Frieb, Kamper, Schleyer
Sehr schön bringt Thomas Kamper die zentrale Rolle des Möbius herüber, der wirklich den Intellektuellen mit Gewissen glaubhaft macht (und im übrigen: Wie spielt man denn ein Genie, das Dürrenmatt hier ja doch auf die Bühne stellt?). Am ehesten kann der wunderbare Erich Schleyer als „Sir Isaac Newton“ das komödiantische Potential seiner Rolle wenigstens andeuten, während Rainer Frieb als „Einstein“ (in der letzten Inszenierung war er Newton) ein wenig ins Hintertreffen gerät.
Unter den Nebenrollen nützt Annette Isabella Holzmann die wunderschöne Szene der verliebten Krankenschwester für echte Herzenstöne. In Fällen anderer Rollen hat die Direktion die Sparsamkeit zu weit getrieben: Warum Claudia Sabitzer als Oberschwester abgehen und geradezu unmittelbar darauf als Missionarsfrau wieder auftreten muss, ist so unklar wie die Verwandlung ihres Missionarsgatten Günther Wiederschwinger in den Oberpfleger – da wären doch wohl noch zwei Ensemblemitglieder aufzutreiben gewesen? Als Kommissar, der gewissermaßen im Maßanzug elegant an der Aufklärung von Mordfällen resigniert nicht interessiert ist, liefert Thomas Bauer einige komische Akzente.
Der Abend bietet das, was man heute gewissermaßen als „vom Blatt“-Inszenierung verachtet – und die dennoch, wenn klug gemacht und gut gespielt, bei einem so guten Stück beste Ergebnisse bringt. Und als das Publikum heftig und begeistert klatschte, schien der Mangel an Tiefgang und Nachdruck, den man doch feststellen kann, kaum jemanden zu bedrücken.
Renate Wagner