LINZ/ Musiktheater: Die Csárdásfürstin
Operette in drei Akten; Libretto von Leo Stein und Bela Jenbach, Musik von Emmerich Kálmán
Sven Hjörleifson (Boni) und Ballett. Foto-Copyright: Christian Brachwitz für das Landestheater Linz
Unter dem Titel „Es lebe die Liebe“ wurde vom Autorenteam 1914 die Arbeit an einem Operettenstoff für Kálmán aufgenommen. Durch den Kriegsausbruch ruhte die Arbeit bis Juli des folgenden Jahres. Die Uraufführung fand schließlich am 17. November 1915 am Johann-Strauß-Theater in Wien-Wieden (später: Scala-Kino, dann Neues Theater in der Scala) statt, und zwar unter geändertem, bis heute gültigem Namen (der sich auf eine sarkastische Textstelle im 2. Akt bezieht), da Oscar Straus in der Zwischenzeit ein Stück namens „Rund um die Liebe“ herausgebracht hatte.
Die neue Operette wurde, unter den Aspekten „das Lächeln der teilnahmsvollen Zuschauer müßte sich eigentlich in Tränen auflösen“ und „der Operette eine vernünftige, dem Leben entnommene Handlung zugrunde zu legen“, sowie „der erste Akt ist einer der packendsten, die man je auf der Operettenbühne gesehen“ und „(noch) stärker wirkendes Drama als die prickelnde Musik“ von der Kritik positiv beurteilt, und auch das musikalische Geschick Kálmáns wurde gewürdigt. Aber man konnte auch lesen: „Das geht zu weit! … Angeblich sollen auf der Bühne Offiziere der K. u. K. Armee und Herren des Adels dargestellt werden, und es erregt höchste Pein, diese Verunglimpfung der bedeutendsten und höchsten Schicht unserer Monarchie ertragen zu müssen. … Wie sollte es denn geschehen, dass ein Vertreter unseres Adels oder des Offizierskorps sich an eine vom Varieté oder vom Theater verlieren könnte oder ihr womöglich von Heirat oder dergleichen sprechen sollte?“ (im Programmheft zitiert aus: Der Adelscourier – Konservatives Intelligenzblatt für die gebildeten Stände, 18. November 1915). Wie auch immer: der Erfolg war in Wien und bald in vielen Ländern der Welt (noch mitten im Krieg gelangte das Stück in die USA!) groß, und die Csardasfürstin hält sich seither auf den Spielplänen.
Die satirische Intention der goldenen Operettenära war in der nunmehr herrschenden „silbernen“ wesentlich verflacht, und der Krieg tat wohl auch einiges dazu, die Tendenz in Richtung eines unpolitischen Unterhaltungstheaters um Klischeefiguren, mit eskapistischer Tendenz, zu verstärken. Psychologisch durchaus komplexere Handlung und Text geben jedoch einiges her, um sich – auch im Zuge des zu Ende gehenden Erinnerungsjahres an den Beginn des „Great War“ – mit der Zeit und ihren Umbrüchen auseinanderzusetzen, ohne das Stück zu vergewaltigen. Karoline Gruber, die leider aus gesundheitlichen Gründen ihre Arbeit nicht vollumfänglich wahrnehmen konnte, und Roy Spahn (der auch für die Bühne verantwortlich zeichnet) haben es in diesem Sinne sozusagen zwischen Ende der Belle Epoque und den 1920ern angesiedelt, also in einer Zeit großer Umbrüche und sich abzeichnender katastrophaler Entwicklungen. Manches wirkt etwas kantig und plakativ, weniges widersinnig, aber viele der Regieeinfälle nehmen sehr plausibel auf den Text bezug.
Im ersten Akt ist die Welt noch in Ordnung: wir sind im Budapester „Orpheum“, einem sichtbar aufwendigen Varietétheater, ein gewaltiges Gebirgspanorama im Hintergrund (das hier als Vorbild dienende Matterhorn mag die „Gebirge Siebenbürgens“ lt. Liedtext allerdings etwas übertrieben repräsentieren), davor ist eine Seilbahngondel drapiert. Das Publikum entspricht der Zeit um 1920, die überaus beweglichen (Choreographie: Stephanie Erb) „Mädis vom Chantant“ haben allerdings beachtlich viele Haare auf der Brust – aber so ist eben das Varieté, nicht? Nur Feri-Bácsi ist etwas aus der Zeit gefallen, auch Jungfürst Edwin kommt noch in der Husarenjacke auf die Bühne. Deutlich moderner gewandet der bewegliche, umtriebige Graf Boni. Cousin Eugen hingegen, der Edwin nach Wien holen soll, tritt als bedrohliche schwarz uniformierte Figur auf, von ein paar gleichartigen Untergebenen begleitet, die nach Art eines Saalschutzes Aufstellung nehmen – in erster Linie erinnert die Gruppe an das Erscheinungsbild der italienischen Faschisten. Als Symbol der kommenden Zeiten kann das durchgehen, von der Handlung her ists doch sehr dick aufgetragen. Auch die Abreise von Sylva und Boni in der Seilbahngondel ist eher mühselig zu begreifen.
Der zweite Akt zeigt das schon merklich vom Zahn der Zeit angenagte Wiener Palais der Fürsten von und zu Lippert-Weylersheim. Noch weit baufälliger allerdings die dort versammelten Festgäste der anstehenden Verlobung: eine gewaltige Zahl von liebevoll und detailliert darstellerisch geführten, teils extrem prächtig gewandeten „Grufties“ (Kostüme: Julia Mottl), rekrutiert aus Chor (Leitung, diesmal mehr schauspielerisch als gesanglich erfolgreich aufwendig: Georg Leopold) und Statisterie – die alte Gesellschaft eben, müde und zum Untergang verurteilt, auch wenn sich in Pausen des teils entsprechend hüftlahm präsentierten Walzers Physiotherapeuten bemühen, die krummen Rücken etwas zu strecken. Hier landen Sylva und Boni mittendrin wieder per Seilbahn. Naja. Schon plausibler ist, daß auf die beiden „Schwalbennachmacher“ Edwin und Stasi als Ehesymbol ein Vogelkäfig wartet. Aber wozu das dicke Ei mitten im Raum?
Im dritten Akt sind wir wieder (in Abänderung des Originalbuches, jedoch textlich plausibel) im Orpheum, aber dort haben inzwischen wohl die Schwarzhemden gehaust: die Einrichtung ist zum Teil kaputt, man hat das Plakat von Sylva Varescu mit einem von Marika Rökk überklebt, und den „Mädis“ wurde übel mitgespielt. Auch das Gebirgsbild im Hintergrund ist nach unten verrutscht. Nur Feri-Bacsi ist immer noch der Alte, auch wenn seine Uhr schon 5 vor 12 zeigt. Zum Happy End spazieren Boni und Stasi als modernes Liebespaar der Charleston-Zeit von der Bühne, während Edwin und Sylva halt doch im Käfig der Ehe und seiner noch nicht ganz abgelegten Konventionen entschweben.
Bea Robein als Sylva Varescu. Foto-Copyright: Christian Brachwitz für das Landestheater Linz
Sylva Varescu wurde von Bea Robein gegeben, als Gast aus Essen (aber mit wesentlicher österreichischer Theater-Vorgeschichte); eine tadellose Stimme, und die hin- und hergerissene, von Zwängen und Dünkel bedrängte Liebende nimmt man ihr durchaus ab, den Varietéstar aber nicht so recht.
Leopold Maria, Fürst von und zu Lippert-Weylersheim (Günter Rainer) und Anhilte, seine Frau (ehemals die Kupfer-Hilde, die jetzt aber lt. Feri schon ein bissl Grünspan angesetzt hat – Cheryl Lichter), waren ein exzellentes Komödiantenpaar. Edwin Ronald, beider Sohn, war bei Jacques le Roux mit sehr solidem Tenor mit großem kontrolliertem Dynamikumfang und sicheren Höhen (allenfalls mitunter etwas nervösem Vibrato) sehr gut aufgehoben, auch mit den langen Dialogen kam der gebürtige Südafrikaner sehr gut zu recht; einen Hauch Schmelz könnte er noch zulegen.
Als Komtesse Stasi, Nichte des Fürsten, Elisabeth Breuer stimmlich und darstellerisch erfrischend und bezaubernd. Sven Hjörleifsson erscheint als Graf Boni Káncsiánu schlichtweg ideal – ein vorzüglicher Tenorbuffo, und gleichzeitig ein äußerst überzeugender Komödiant.
Der verläßliche Franz Binder stellte einen facettenreichen Ferencz Ritter Kerekes, genannt Feri Bácsi, auf die Bühne, der gesanglich im dritten Akt mit „Nimm Zigeuner deine Geige“ seinen besten Auftritt hatte.
Eugen von Rohnsdorff, Oberleutnant i. d. R.: Vigne Lignell – bedrohlich, düster, ein Vorbote der Kräfte, die die 20er- und weit mehr noch 30er-Jahre verdunkelten, bevor die Katastrophe vollends ihren Lauf nahm. Weitere, solide absolvierte, Chorsolistenrollen: Kiss, Notar – Andrzej Ulicz, Botschafter Mac Grave – Eugen Fillo.
Das Bruckner Orchester unter der Leitung von Daniel Linton-France bot die gewohnt technisch makellose Leistung; manche Zuschauer monierten allerdings mehr Feuer beim Csardas.
Der Applaus war (dementsprechend?) auch nicht sehr feurig, fiel für die Protagonisten aber kräftig aus, und das Produktionsteam bekam weit mehr Zustimmung als Unmutsäußerungen ab.
Fazit: die sorgfältig und gekonnt komponierter Unterhaltungsmusik des frühen 20. Jahrhunderts mit all ihren Konventionen (und Ohrwürmern!) liefert die Basis für eine sehr sehenswerte Produktion, die das Stück in den historischen Kontext der Handlung stellt und damit diesen Klassiker der silbernen Operettenära plausibel intellektuell anreichert, ohne die Unterhaltung umzubringen. Nicht unbedingt die Kost für das „klassische Operettenpublikum“ (aber vielleicht fallen wir da auch auf ein Klischee herein?), jedoch durchaus interessantes und qualitätsvolles Musiktheater!
H & P Huber