Dresden/Frauenkirche: MUSIKALISCHER JAHRESAUFTAKT MIT “THE MESSIAH” VON G. F. HÄNDEL – 1.1.2015
G. F. Händels “Messias” am Neujahrstag unter der Leitung von Ludwig Güttler ist genauso zu einer schönen Tradition und festen Größe der Dresdner Frauenkirchenkonzerte mit Publikumsrekord geworden wie das “Weihnachtsoratorium” unter seiner Leitung und die “Bläserweihnacht” mit seinem Blechbläserensemble.
Für “The Messiah” standen mit den, von ihm 1985 gegründeten, Virtuosi Saxoniae und den Hallenser Madrigalisten (Einstudierung: Tobias Löbner) zwei sehr leistungsfähige Ensembles zur Verfügung, die zusammen mit vier engagierten und stilsicheren Solisten, das Werk unter Güttlers Leitung gestalteten. Die Originalfassung wurde auf 2,5 Stunden gekürzt. Trotz zahlreicher Striche wurden keine “Brüche” spürbar. Es war eine ansprechende Fassung mit “fließenden” Übergängen, bei der höchstens von “Insidern” manche Arien oder Chöre vermisst wurden. Ohne Pausen oder Absätze zwischen den einzelnen Nummern und nur kurzen Zäsuren zwischen den 3 Teilen gelang eine Aufführung in schöner Geschlossenheit.
Es wurde, entsprechend dem gegenwärtigen Trend, in englischer Sprache gesungen, obwohl Händel selbst dieser Sprache nicht sonderlich mächtig war. Er soll sich den Text vorher übersetzt haben lassen. Das bedeutet, dass er sein geniales Werk in Deutsch gedacht und komponiert hat, weshalb eine Aufführung in deutscher Sprache auch kein Nachteil wäre. Die poetische deutsche Übersetzung gerät für die praktische Aufführung langsam in Vergessenheit, war aber im Programmheft mitzulesen.
Die Teile I und II schienen vom Alt dominiert, gesungen von Benno Schachtner, dem ersten Altus, der in der Geschichte des Internationalen Bachwettbewerbes Leipzig Bachpreisträger wurde und zusätzlich mit dem Orchesterpreis ausgezeichnet wurde. Neben zahlreichen Konzertverpflichtungen wird er am Staatstheater Halle die Partie des Arminio bei der Wiederaufnahme der gleichnamigen Händel-Oper und damit auch bei den Händelfestspielen singen. Er ist ein “perfekter” Altus mit schlanker Stimmführung, der scheinbar mühelos alle “Hürden” nahm.
Im Vergleich zur Altistin in den vorangegangenen Jahren hätte man sich bei mancher Arie allerdings noch etwas mehr Beseeltheit und stimmlichen Glanz gewünscht, was sich dann aber in dem sehr ausgeglichen gesungenen Duett “He shall feed His flock” mit dem schönen, klangvollen Sopran von Birte Kulawik einstellte. Sie setzte mit der Sopranpartie dank ihrer Stimme und exakten Ausführung, wenn auch etwas zurückhaltend, einige glanzvolle, klangliche Akzente.
Georg Poplutz sang in seiner ansprechenden Art mit sehr angenehmer Stimme die wenigen Tenor-Arien. Ihn hätte man gern noch öfter gehört. Ähnliches gilt auch für Sebastian Wartig, der sehr sicher und mit Stilgefühl die von ihm problemlos gesungene und gestaltete Bass-Partie prägte. Die von der Solotrompete (Johann Clemens) sehr sicher, mit langem Atem und festlichem Glanz begleitete Arie “The trumpet shall sound” wurde zum trompetenüberglänzten “Duett” zwischen menschlicher Stimme und Instrument.
Die Hallenser Madrigalisten, ein 1963 gegründetes Vokalensemble, dem die Kunst des a‑capella‑Gesanges sehr am Herzen liegt, das aber auch mit Orchestern bei der Aufführung von Werken von der Renaissance bis zur zeitgenössischen Musik zusammenarbeitet, war mit seinen exakt und ausgeglichen gesungenen Chören ein sehr zuverlässiges Element der Aufführung und bestach u. a. mit einer auffallend klar und ausgeglichen gesungenen a‑capella‑Passage.
Der besondere Wohlklang der gesamten Aufführung war insbesondere den Virtuosi Saxoniae zu danken. Sie spielen auf modernen Instrumenten, nähern sich aber in ihrer Aufführungspraxis historischen Kriterien, wodurch ein unnachahmlicher Klang entsteht, der Maßstäbe setzt.
Eine völlige Nachahmung der Aufführungspraxis des 17./18. Jh. mit Instrumenten und Musizierstil muss nicht immer den Vorstellungen des Komponisten entsprechen, denn dieser musste oft mit den Mitteln und Möglichkeiten auskommen, die ihm zur Verfügung standen. Historische Aufführungspraxis kann, muss aber nicht zwingend der Komposition dienlich sein.
Mögen die Virtuosi Saxoniae ihren einmaligen, unverwechselbaren Klang bewahren und nicht irgendwelchen theoretischen “Erkenntnissen” opfern. Ihr Klang ist eine ideale Symbiose zwischen intensivem Werkverständnis und Klanggewohnheiten des modernen Menschen, zwischen Klangschönheit und lebendigem Musikerlebnis.
Händel war ein progressiver Mensch, dessen Kompositionen durchaus modernes Instrumentarium “vertragen” und dadurch an Intensität noch gewinnen, wie diese Aufführung seines “Messias” zeigte. Wer weiß, ob Händel sein Werk jemals so ausgeglichen, klangschön und bis ins letzte Detail sorgfältig ausgelotet, erlebt hat. Ludwig Güttler verstand es, die ihm zur Verfügung stehenden Kräfte und versierten Künstler mit ihrem Können behutsam und mit sparsamen Gesten zu “bündeln” und zu einer geschlossenen Einheit zusammenzuführen.
Ingrid Gerk