Stuttgarter Ballett: „HOMMAGE À MACMILLAN“ 2.01.2015 – mit einem alles überstrahlenden Stern
Requiem (3483): Ausstrahlung auf alle: Sue Jin Kang. Copyright: Ulrich Beuttenmüller
Zwei Tage nach der alle Kräfte für ein anspruchsvolles Programm fordernden Silvester-Gala präsentierte sich die Compagnie erneut von ihrer stärksten Seite: als Ensemble, das seine technischen Fertigkeiten ganz in den Dienst einer maximalen Werk-Ausschöpfung investiert. MacMillans als persönliche Trauerarbeit zu Crankos frühem Tod entworfenes „REQUIEM“ mit Gabriel Faurés viel Zuversicht spendender licht durchscheinender Musik bietet diesbezüglich auch die denkbar beste Möglichkeit. Der Zauber der akustischen Komponente schien an diesem Abend so direkt auf die Tänzer und von diesen wieder zu den Vokalisten und Instrumentalisten zurück zu schwappen, dass die Empfindungen auf der Bühne nur so ausströmten und die Zuschauer-Herzen erwärmten. Entsprechend dankbar – ausdauernd und überschwänglich – war deren Reaktion.
Einer der selten gewordenen Auftritte von Sue Jin Kang mag einen Gutteil dieses Zustandes bewirkt haben, denn wie gewohnt bei ihren als Herzenssache spürbar werdenden Verkörperungen strahlt diese auch hier auf ihre Mitstreiter ab. Ob in schmerzlicher Verkrümmung oder tröstlicher Zuversicht, ob als durch die ausgestreckten Arme des Corps gereichte Quelle des Lichts oder in sanften Linien schwingende Gottes Heiligkeit Preisende, ihrer Sendungskraft vermag sich keiner zu entziehen. Alexander Jones wuchs als Partner besonders im Sanctus noch ein Stück über seine sonstige Bühnenpräsenz hinaus, Daniel Camargo profitierte als Jüngster unter den Ersten Solisten ebenfalls und versenkte sich zum Hostias in ein still berührendes Gebets-Solo, Miriam Kacerova führte das Agnus Dei anmutig und gelöst an, Roman Novitzky gab dem Libera me schlicht ergreifenden Ausdruck. Und das vielfach geforderte Ensemble glänzte einerseits in flehentlich verstörender Form wie beim anfänglichen Fäusteballen gegen das Schicksal oder Paradies nahen raumfüllenden Hebe-Positionen mit längs liegenden Partnerinnen. Catriona Smith (Sopran), Ronan Collett (Bariton) und das Fauré Vokalensemble erfüllten die vokalen Voraussetzungen mit viel Seele.
Das Lied von der Erde: Roman Novitzky, Friedemann Vogel und Anna Osadcenko (v.l.) Copyright: Stuttgarter Ballett
Im vorausgehenden „LIED VON DER ERDE“ erschloss eine in den zentralen Partien nochmals komplett neue Besetzung wiederum andere Parameter dieses mystischen, in seiner Gänze kaum zu erfassenden Werkes. Zumal der Gesang ist alleine so stark, dass die Konzentration auf den parallelen Tanz überfordert und MacMillans Absichten nicht unmittelbar vermittelt werden, dann wieder gibt es Passagen, wo der Tanz das zarte Schimmern des Vokalparts deckt oder sogar überlagert. Diese Zustände werden wohl immer ungelöst bleiben, mögen die Tänzer bzw. die Sänger noch so stark und durchsetzungsfähig faszinieren. Friedemann Vogel wird als „Ewiger“ indes sicher lang in Erinnerung bleiben. Zunächst mit Augenmaske, dann ohne beherrscht er als Fatum zwischen Leben und Tod die Bühne genauso wie MacMillans schnörkellose, viel Genauigkeitssinn verlangende Ausformulierung des dichterischen Gehalts. Roman Novitzkys fein, sicher und sauber getanzter Liebender und Trunkener sollten Anlass sein, dem Solisten jetzt mal die eine oder andere Hauptrolle in einem Handlungsballett anzuvertrauen. Nur als Persönlichkeit tritt er hinter Vogel so zurück, dass das mögliche Spannungsfeld zwischen ihnen nicht aufgebaut wird. Anna Osadcenko hat sich zu einer Tanzdarstellerin entwickelt, die die Lyrik und Dramatik der zentralen Liebenden gleichermaßen beherrscht und in Ausgleich bringt. Eine beeindruckend starke Leistung. Aus dem Ensemble hebt sich noch Elizabeth Wisenberg durch ihr herzhaftes Solo in der Genreszene „Von der Jugend“ hervor. Und auch hier gelang der Gruppe eine choreographisch so genau abgestimmte wie passend dezent veranschaulichte Mahler-Malerei. Zu Erin Caves sehr souverän über alle Klippen geführtem Tenor gesellte sich diesmal mit feinem, manchmal fast klanglos untergehendem Mezzo Diana Haller.
Auch das Staatsorchester Stuttgart wurde von James Tuggle zu mehr Tiefenschärfe animiert, wie sie im laufenden Spielbetrieb meist erzielt wird.
Udo Klebes