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WIEN / Josefstadt: DER BOXER

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Josefstadt Mitterer Boxer Plakat

WIEN / Theater in der Josefstadt: 
DER BOXER von Felix Mitterer
Uraufführung
Premiere: 29. Jänner 2015 

Die Überlegung war wohl doch zu geradlinig-simpel: Die Josefstadt hat in Felix Mitterer einen allseits hoch geschätzten Hausautor, der wirkungsvolle Stücke schreiben kann. Kürzlich erst widmete er dem Schicksal von Franz Jägerstätter eine Art knorriges Tiroler Volksstück zwischen Glaube und brutalem politischen Zwang, das viel Lob erhielt (auch wenn es gar nicht so sonderlich gut war). Jägerstätter wurde von den Nazis geköpft.

Wenn man Mitterer nun das Schicksal eines verfolgten „Zigeuner“-Boxers, wie man damals sagte (Roma, Sinti, wer kann diese Begriffe auseinander halten, um niemanden falsch zu benennen oder zu beleidigen), in der Nazi-Zeit schildern ließe, Demütigung, Verfolgung, Lager, Ermordung, dann müssen sich doch – Fingerschnipsen! – sofort die erwünschten Gefühle und Reaktionen bei Publikum und Kritik einstellen: Empörung, Erschütterung, Verurteilung.

Aber ganz so einfach ist es nicht, auch wenn wir längst eine Gesellschaft der Pawlow’schen Hunde sind, wo auf Knopfdruck alles abgerufen wird – lesbisches Paar legt’s darauf an (wie später zugegeben wurde), küsst sich öffentlich und wird dafür nicht gestreichelt! Shitstorm! Massenauflauf! Kuss-Demo! Und das ist noch ein völlig gleichgültiges Beispiel. Man braucht die wunden Punkte der Gesellschaft nicht aufzählen, längst sind sie alle instrumentalisiert, und wehe, wer nicht sein „Je suis Charlie“ oder „Nieder mit dem Akademikerball“-Schärflein beiträgt. Dass alle einmal zu denken beginnen, hoppla, was geschieht da eigentlich – was lassen wir mit uns geschehen, dafür gibt es kaum Anzeichen. Wir muhen brav die öffentlich gewünschte Meinung…

Dass Felix Mitterer sich vor den Wagen der wieder einmal hoch geputschten Empörung über zehntausendfach Gewusstes, zehntausendfach Behandeltes spannen lässt, um – ja, warum eigentlich? das ist bedauerlich. Wir kennen sein echtes soziales Gefühl, das hatte er nämlich schon, als er noch ein begabter schreibender Tiroler Bua war, dessen Stücke allen „zu schrecklich“ waren: Damals meinte er wirklich, was er nun nach allen Regeln der Klischeekunst zusammenpuzzelt, um der Josefstadt wieder ein Stück zu bescheren, das selbstverständlich politisch goldrichtig ist – und doch so falsch, so peinlich, dass man den Abend kaum aushält.

Der BOXER 
Fotos:  Erich Reismann

Es gab ihn wirklich, Johann „Rukeli“ Trollmann, Jahrgang 1907, erschlagen, ermordet, getötet irgendwann 1944 im KZ Neuengamme. Aus einer Sinti-Familie stammend, machte er dennoch seinen Weg ins deutsche Profi-Boxen, wobei ja schon nach der Machtübernahme die Repressalien gegen „Zigeuner“ begannen – man wollte nur „zuerst die Judenfrage“ erledigen, bevor sich die Nazis, in ihrer Rassen-Gewissenhaftigkeit, überzeugen wollten, ob dieses andere verachtete Volks nicht vielleicht doch „arisch“ und darum nicht gasofenreif war… und sie musizieren ja auch so schön.

Mitterers Stück führt uns „Rukeli“ zuerst kurz vor: leichtfüßig, mit phantastischer Figur trainiert ein lockerer, fröhlicher Gregor Bloéb mit der Springschnur. Wir kapieren es schon, der ist anders als die sturen Deutschen, die gleich anfangen, Adolf Hitler zu zitieren und ihr Herrenmenschentum zu tönen. Der ist eine Provokation aus vielen Gründen.

Drei Figuren nehmen nach und nach die Sinti in die Zange – Raphael von Bargen spielt den SS-Mann und späteren Lagerkommandanten, der sich zu einem jener lustvollen Sadisten entwickelt, für die Christoph Waltz einen „Oscar“ bekommt – aber nur er und nur er verdient. Dominic Oley spielt den (historischen) Rassenfanatiker Dr. Ritter, der sich auf die Zigeuner spezialisiert hat und mit wissenschaftlicher Verbohrtheit seine Messungen und Untersuchungen am Menschen vornimmt… Und dann ist da noch Peter Scholz, als der Polizist, der zwar (wie er glaubt) Mensch bleibt, aber immer bereit ist, alle Befehle zu erfüllen, bis zuletzt. Von diesen drei Institutionen eingekreist, haben die Sinti keine Chance.

Der BOXER

Mit unendlicher Schwerfälligkeit holpert eine Szene nach der anderen über die Bühne, die natürlich wunderbare, sympathische Roma-Familie hat’s schwer (Elfriede Schüsseleder als Mutter holt sich ein paar darstellerische Höhepunkte ab, Michael König, Ljubiša Lupo Grujčić und Matthias Franz Stein sind nach dem Motto aufgestellt: ein bisserl fremd halt, aber liebe, gute Leute, gar kein Zweifel!), der Boxer boxt, gewinnt und wird um seine Siege gebracht, heiratet eine blonde deutsche Frau (Hilde Dalik), die treu zu ihm steht, ihm aber samt Kind entrissen wird. Und als er Deutschland auch nicht mehr als Wehrmachtssoldat dienen darf, kommt er ins Lager und wird Spielball seiner SS-Mann-Nemesis, der ihn um sein Leben boxen lässt…

Das ist inhaltlich nicht viel, wird bis zur Unerträglichkeit ausgewalzt, und je elender und brutaler das Geschehen wird, umso breiter und vordergründiger klebt es sich auf die Bühne. Wenn Mitterer am Ende dann noch abhebt in metaphysische Gefilde (er hat sich dazu die Erinnerungen eines Roma-Kindes hergenommen, das im Lager durch die Leichen watete), dann stellt sich die spekulativ eingeforderte tiefe Erschütterung sowieso erst recht nicht ein: Man merkt die Absicht, und man ist verstimmt. Nicht zum ersten Mal an diesem Abend, der auch noch die Todsünde begeht, unsäglich langweilig zu sein.  

Keine leichte Aufgabe für Stephanie Mohr, diese Tragödien-Orgie halbwegs auf die Bühne zu schieben, wobei Bühnenbildner  Florian Parbs vordringlich jene Ledersäcke vom Schnürboden regnen lässt, an denen sich Boxer abarbeiten. Auch die Boxkämpfe, die hier öfter einmal vorkommen, werden solcherart stilisiert gezeigt – jeder haut auf seinen Punching-Ball. Gelegentlich tragen die Darsteller Lampen herum – man braucht nicht viel in der Semi-Realität, die das Leid dann schon wieder überreal dick aufträgt.

In der Pause stürmten Scharen die Garderoben und waren nicht mehr gesehen. Die anderen zeigten, dass das Drücken des richtigen Knopfes absolut funktioniert, und jubelten.

Renate Wagner

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