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DRESDEN/ Semperoper: „GIULIO CESARE IN EGITTO/JULIUS CÄSAR IN ÄGYPTEN” VON G. F. HÄNDEL – (Wiederaufnahme)

Dresden / Semperoper: „GIULIO CESARE IN EGITTO/JULIUS CÄSAR IN ÄGYPTENVON G. F. HÄNDEL – 22.2.2015  (Wiederaufnahme)

Was interessiert heutzutage noch an den Opern von G. F. Händel? Doch vor allem die Musik, sonst brauchte man diese Opern nicht mehr aufzuführen. Die Handlung in Händels Opera seria ist – schon seitens des Librettisten (N. F. Haym) in der 1. Hälfte des 18. Jh. nach einer viel bearbeiteten literarischen Vorlage von G. F. Bussani, – sehr frei an die historischen Tatsachen angelehnt. Es geht wie in fast allen diesen Opern um Liebe, Familienverhältnisse und vor allem Macht.

 Die Musik des Humanisten Händel, der zuweilen von den Vorlagen der Bibeltexte für seine Oratorien abwich, um sie im humanistischen Sinne enden zu lassen, wurde von Jens-Daniel Herzog mit viel (überflüssiger) Gewalt auf die Bühne gebracht. Um Musik und Handlung zu „illustrieren“, wäre es keineswegs nötig gewesen, das Tolomeo alle seine Widersacher, die Gefolgsleute der Kleopatra, einzeln (und genussreich) in einer längeren “Zeremonie” durch Kopfschuss tötet und einige „auf der Flucht“ erschießt (wozu vernünftigerweise die Musik schweigt), und anschließend die Leichenfledderer ihr Unwesen treiben, wenn später alle wieder auferstehen, weil sie für die Handlung noch gebraucht werden, oder den ohnehin schon toten Tolomeo von Kleopatra noch skalpieren zu lassen, obwohl sie den Skalp keineswegs als Siegestrophäe braucht, denn den lässt sie achtlos am Boden liegen – höchstens als „Vorzeigeobjekt“ für die beiden Schilder mit der Aufschrift „HAIR PEACE“ und „BED PEACE“ vor ihrem (Ehe-)Bett beim Happy End mit dem sonnenbebrillten Cesare.

 Wer so etwas sehen will, geht ohnehin lieber ins Kino und nicht in die Oper, wo die dreiteiligen Arien, die für den Musikfreund ein Hörgenuss sind, die “Action“ „stören“. Alles wird spitzig ins leicht Lächerliche gezogen. Die Protagonisten müssen wie Marionetten des Regisseurs agieren. Man wundert sich, warum bei so viel bunter ständig mit neuen Regieeinfällen angereicherter, mehr witziger als ernsthafter Darstellung die Sänger, die gerade am Boden liegen oder getragen werden, noch aufwendige Koloraturen singen, was sie aber trotz ihrer schwierigen Lage ausgezeichnet tun.

 Für sich betrachtet, ist Herzogs Inszenierung zweifellos gekonnt, bietet sie doch ein buntes “Feuerwerk” an Witz und neckischen Regieeinfällen am laufenden Band, eine kurzweilige Handlung, die wenig Musikinteressierte gut über die 3,5 Std. (mit 2 Pausen) bringt, aber sie führt ein „Eigenleben“. Händels psychisch tief greifende Musik wird mehr “gestört” als in Szene gesetzt. Es finden zwei konträre Ebenen statt: die sehr ausgeglichene Musik eines der bedeutendsten Komponisten der Barockzeit und ausgesprochenem Humanisten, der mit seiner Musik „die Menschen nicht nur unterhalten, sondern gebessert zu haben“ wünschte, und eine sehr inhumane, die Mord und Grausamkeiten zur Unterhaltung nutzt. So ist auch das Publikum gespalten. Im Zuschauerraum dürften die meisten Besucher wohl Liebhaber Alter Musik gewesen sein, denn während die Ränge einigermaßen gut besetzt waren, gähnte im Parkett ziemliche Leere.

 Ort der ursprünglichen Opernhandlung: Alexandria und Umgebung, nach der Schlacht von Pharsalus, 48 und 47 v. Chr. Herzog verlegte die Handlung in eine schwer definierbare Neuzeit; nicht unbedingt nach Ägypten, wie der Titel der Oper verrät, sondern allgemein in eine arabische Welt in unserer Zeit als eine Art Parodie auf den Zeitgeist der Gegenwart. Die handelnden Personen agieren teils sehr modern, andererseits entspricht vieles dieser scheinbar arabischen Welt den Bilderbuch-Klischees einer vergangenen Vorstellungswelt, wenn eine Art „Wüstenarmee“ auftritt und emsige, unterwürfige „Türken“ ins Bild kommen, was dem gegenwärtigen Stand der Dinge, der durch die Alltags-Kostüme im Stil der 1930er Jahre und der Jetztzeit (Mathis Neidhardt, der auch für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet) assoziiert wird, nicht mehr entsprechen dürfte. Man kann sich nicht ganz des Eindrucks erwehren, dass so manches aus extrovertierter Sicht, leicht und spritzig in Szene gesetzt, geschieht, der Einbruch der westlichen Welt in die nahöstliche.

 Das Bühnenbild, vor und nach jedem Akt als einfache, fleckige, von unten scheinbar feuchte Holzwand hinter einem fast orientalischen „Palastfußboden“ wird durch häufigen Bildwechsel nacheinander in kleine Räume gegliedert, in denen die unterschiedlichen Handlungsstränge stattfinden, was eine ständige Bühnenverwandlung ohne Pausen und Umbauten im „fliegenden Wechsel“ ermöglicht. Es gibt auch „nette“, publikumswirksame Szenen, wie der Tanz der „Haremsdamen“ (Choreografie: Ramses Sigi) in Kostümen wie 1001 Nacht und echt orientalischer Caféhaus-Atmosphäre, allerdings mit einem „Primgeiger“ wie in einer ungarischen Csárda, der live auf der Bühne spielt, oder „ein Mann“ (Cesare) „geht durch die (Papier-)Wand“ usw.

 Doch zurück zur Musik, die von Mitgliedern der Sächsischen Staatskapelle Dresden auf ihren mitunter relativ modernen Instrumenten und einigen Spezialisten für Alte Musik mit ihren speziellen Barock-Instrumenten wie Cembalo, Theorbe, Laute, Viola da Gamba und Barockharfe in historisch orientierter Aufführungspraxis unter der Leitung des Barockspezialisten Alessandro De Marchi mit viel Liebe, musikalischem Empfinden und vor allem Können zu Gehör gebracht und am Schluss der Aufführung zu Recht vom musikliebenden und -verständigen Publikum mit dem meisten Beifall bedacht wurde.

 Nur leider störten allzu oft die inszenierungsbedingten Bühnengeräusche die mit viel Engagement und Sorgfalt ausgeführte Musik, wie z. B. die rhythmisch die Musik „niedertrampelnden“ „militanten Einheiten“ bis zur Maschinengewehrsalve. Schade um jeden Ton. Händels Musik ist mehr als bloßes Absingen der richtigen Töne und Koloraturen, wenn es auch zu seinen Lebzeiten an den Opernhäusern seitens der Sänger so praktiziert worden sein soll, aber Unsitten muss man nicht in die Gegenwart übernehmen. Händel war seiner Zeit geistig weit voraus. Das sollte man jetzt umsetzen.

 De Marchi war es auch, der für die in der Barockzeit für jeden Sänger individuell auszuführenden Koloraturen jede Note notierte und damit eine schöne Einheitlichkeit der Verzierungen, die auch von Sängerinnen und Sängern, die keine ausgesprochenen Barock-Spezialisten sind, sehr gut ausgeführt werden konnten, erreichte und keine eventuellen Peinlichkeiten aufkommen ließ.

 Die perfekt und stilgerecht über die Dauer der Aufführung mit ungetrübter Frische und Aufmerksamkeit musizierenden Kapellmitglieder und ihre “Gäste” unterstützten die Sänger vom Orchestergraben aus in 2 Continuo-Gruppen, einer linken und einer rechten, um sie auf der Bühne in jeder Position gut zu unterstützen. Dadurch gab es sehr oft schöne Momente der Übereinstimmung von Sängerin/Sänger und Orchester.

 Als Giulio Cesare erschien Sonia Prina in äußerer Erscheinung und Stimme durchaus resolut, männlich herb und glaubhaft, was durch das dunkle Timbre ihrer Stimme noch unterstrichen wurde. Sie hatte die nötige Kondition als Titelheld, sang aber anfangs etwas flüchtige Koloraturen und scheint keine ausgesprochene Spezialistin für Alte Musik zu sein.

 Der junge amerikanische Countertenor Matthew Shaw, der erfolgreich als lyrischer Bariton begonnen hatte, brachte einen glaubhaften Tolomeo mit sehr ansprechendem Gesang auf die Bühne.

 Christa Mayer beeindruckte als Cornelia mit ihrer schönen, warmen, klangvollen, und vor allem sehr ausdrucksstarken Stimme, die das ganze Seelenleid in echt Händelscher Manier in ihren Arien auszudrücken vermochte. Sie war eine der wenigen, die Händels Musik verinnerlichen und entsprechend wiedergegeben konnten.

 Im Duett mit Tamara Gura, die mit ihrer sehr angenehmen Stimme die Gestalt des als Halbwüchsigen dargestellten (Bühnen‑)Sohnes der Cornelia, Sesto Pompeo, erfüllte und perfekt die anspruchsvollen Arien, einschließlich der letzten in einem sehr rasanten Tempo, meisterte, vereinten sich die beiden schönen Stimmen in idealer Weise – auch über 3 (Bühnen‑)Zimmer hinweg. Beide konnten zudem überzeugend ihre Rollen darstellen, obwohl die Regie recht kleinbürgerliche Verhaltensweisen vorschrieb.

 Als die laut Regie etwas exaltierte Cleopatra mit (gut gespieltem) Löwen als „Haushund“ steigerte sich Elena Gorshunova von ihrer als leicht  und soubrettenhaft genommenen ersten Arie im Verlauf der Handlung zu musikalischem Feingefühl und schöner Übereinstimmung ihrer wohlklingenden Stimme mit dem Orchester. Leicht hatte sie es nicht, sie musste eine Arie weitersingen, während sie wider Willen davongetragen wurde und sich vehement verteidigen musste, aber sie meisterte auch das. Mag es nicht unbedingt das gewesen sein, was man bei Händels Musik gemeinhin erwartet, angenehm anzuhören war es doch. Ihre Stimme hatte Klang und Schönheit, passte zur Rollendeutung dieser Inszenierung und verlieh der Aufführung auch einigen musikalischen Glanz.

 In weiteren Rollen fungierten Tomislav Lucic als Curio und James Laing als Nireno sowie Evan Hughes (Achilla) und Robert Thiele (Pompeo) von der Komparserie.

 Ingrid Gerk

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