Paisiello IL BARBIERE DI SIVIGLIA 23.2.2015 (Premiere 16.2.) –
Lange vor Rossini erlebte Paisiellos Dramma giocoso in due atti seine Uraufführung 1782 am Hoftheater in St. Petersburg. Er bekleidete daselbst den Posten eines Kapellmeisters der Zarin Katharina II. Eine spätere, dreiaktige Fassung wurde dann erstmals 1787 am Teatro die Fiorentini in Neapel aufgeführt. In ihrer Zeit zählte Paisiellos Oper zu den erfolgreichsten und sogar Mozart steuerte für eine Aufführung in Wien eine Einlagearie bei („Schon lacht der holde Frühling“, KV 580).
Trotz der bemerkenswerten Musik von Paisiello verdrängte Rossinis Barbier im 19. Jhd. den erfolgreichen Vorläufer.
Aus der Feder des an musikalischen Einfällen überreichen Paisiello stammen immerhin mehr als 100 Opern, die als ein Beleg für die dramatische Stärke und den Melodienreichtum der neapolitanischen Schule angesehen werden dürfen.
Vereinzelt begegnete man in den letzten zwei Jahrzehnten neben dem Barbiere noch Aufführungen von Paisiellos „La Molinara“ (Mailand 1995), „Il Mondo de la Luna“ (Bozen 1993), „Nina“ (Mailand 2000, Zürich 2002) und „L’osteria di Marechiaro“ (Neapel 2001).
Das Theater an der Wien zeigt die zweiaktige St. Petersburger Fassung des Barbiers. Die Ensembleszenen mit ihrer differenzierten Personendarstellung verweisen bereits auf den vier Jahre später entstandenen „Figaro“ Mozarts, der die Einflüsse des älteren Meisters nicht verleugnet.
Moshe Leiser und Patrice Caurier verorteten die Handlung ins Spanien der Jahre um 1940. Als Bremsklotz dieser komischen Oper wirkte aber das biedere von Brauntönen beherrschte Bühnenbild von Christian Fenouillat. Humor kam auch bei den strengen Kostümen von Agostino Cavalca nicht auf, die zu einem naturalistischen Drama von Gerhart Hauptmann oder Henrik Ibsen besser gepasst hätten. Der subtile Humor aus der Vorlage von Beaumarchais konnte sich dann auch erst nach der Pause stärker durchsetzen.
Bartolos Zimmer war anfänglich auf die Hinterbühne geschoben, sodass sich die Straßenszenen auf fast leerem Vordergrund ereigneten. Mit diesem Kunstgriff gelang es dem Regieteam dem Publikum beide Schauplätze optisch parallel, im Stile der mittelalterlichen Simultanbühne der Passionsspiele, vorzuführen. Im Verlauf des Abends wurde dann das Zimmer Dottore Bartolos nach vorne zum Bühnenrand geschoben.
Dieser Dottore Bartolo wurde vom Regieteam zur eigentlichen tragischen Hauptperson der Oper stilisiert. Über seine nicht erwiderte Liebe zu Rosina empfindet man keine Häme, ganz im Gegenteil, man bemitleidet den alten Galan, ist irritiert ob seines Selbstmordversuches, der Gottseidank scheitert und wartet eigentlich darauf, dass er am Ende über sich selbst lachen kann. Aber die musikalische Zeit eines Falstaffs war noch nicht gekommen und so lässt das Regieteam den armen Dottore wenigstens Trost beim angeblich treusten Freund des Menschen, dem Hund, finden, mit dem er entlang der Rampe „Gassi“ führend abtritt. Pietro Spagnioli war dieser bemitleidenswerte Dottore Bartolo, dem es gesanglich wie darstellerisch vollendet gelang, alle Sympathien eines Mannes in der Midlifecrisis auf sich zu ziehen.
Ebenso präsent agierte auch Fulvio Bettini als gewiefter Musiklehrer Don Basilio. Die restliche Sängergilde hatte es gegenüber diesen beiden Urgesteinen schon bedeutend schwerer: Topi Lehtiopuu konnte als gräflicher Liebhaber wenig Schmelz aufbieten, mit dem er seine geliebte Rosina nachvollziehbar hätte erobern können. Am besten gelang ihm noch der Auftritt als verkleideter Basilio. Die Titelfigur des Barbiers hat bei Paisiello viel weniger zu tun als bei Rossini, wurde aber angesichts dieses Mankos von Andrè Schuen mit schön geführtem Bariton zufriedenstellend interpretiert. Mari Eriksmoen wirkte in dem ihr aufgezwungenen stiefmütterlichen Kostüm alles andere als aufreizend, was sich auch etwas in ihrem Gesang niederschlug.
Erik Årman in den Doppelrollen als alte ständig nießende Dienstbotin Giovenetta (anstelle des Dieners Giovenetto) und Alcade, sowie Christoph Seidl als immer schläfriger Diener Svegliato und als Notar konnten im komischen Terzett mit Dottore Bartolo verdienten Szenenapplaus für sich einheimsen.
René Jacobs leitete das Freiburger Barockorchester umsichtig und fand erst im zweiten Akt, wo Paisiello eine außergewöhnliche Gewittermusik komponiert hatte, wie man ihr in diesem Ausmaß erst wieder bei Rossinis La Cenerentola begegnet, zu einem flotteren Klang. Und diese gewaltige Gewittermusik wurde durch noch durch die subtile Lichtregie von Christophe Forey eindrucksvoll unterstrichen.
Der lang anhaltende Schlussapplaus verteilte sich gleichmäßig auf alle Mitwirkenden, allen voran natürlich Pietro Spagnioli, der auch zahlreiche Bravorufe für sich verbuchen durfte.
Harald Lacina