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BERLIN/ KOMISCHE OPER: GIANNI SCHICCHI und HERZOG BLAUBARTS BURG

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BERLIN Komische Oper GIANNI SCHICCHI und HERZOG BLAUBARTS BURG, 19.3.2015

 

 Florentinische Erbschleicherkomödie versus blutiger Geschlechterkampf (Teresa von Ávila: Die Seele ist eine innere Burg mit sieben Wohnungen)

Unbenannt
“Gianni Schicchi”. Foto: Monika Rittershaus

 Ohne Pause haben der spanische Regisseur Calixto Bieito und sein formidables Team (grandioses realistisches Bühnenbild Rebecca Ringst; dazu hat Ingo Krügler witzige 50-er Jahre Retrokostüme bzw. hollywoodeske Blaubart Kostüme geschaffen) die besten Einakter der Oper des 20. Jahrhunderts auf die Bühne der Komischen Oper gewuchtet. Und ihnen ist die vielleicht stimmigste Arbeit gelungen, die die Komische Oper derzeit in ihrem reichen Repertoire hält.

 In Gianni Schicchi glänzt das Ensemble der Komischen Oper in einer scheinheilig katholisch spießigen macho-gierigen Gesellschaft. Das Bühnenbild stellt ein kleines beengtes angekramschtes Italo-Wohnzimmer als filmrealistischen Raum dar. Ein pseudo-antikes intarsiertes großes braunes Holzbett in der Mitte, die Kopie einer Renaissance Madonna in kitschigem Goldschnörkelrahmen darüber. Ein echtes Großmutterambiente, und doch ist es  der Onkel Buoso Donati (Wolfgang Stiebritz), der dahingeschieden im Bett liegt. Die Trauer dauert nur so lange, als klar ist, dass die liebe Sippschaft zugunsten der heiligen Kirche enterbt ist. Was dann passiert, aufgepeppt durch die (soziale) Liebesgeschichte von Rinuccio (köstlich und mit Prachttenor Adrian Strooper) und Lauretta (herrlich Kim-Lillian Strebel als Pippi Langstrumpf gekleidete Tochter von Gianni Schicchi), ist wie eine  wilde Fernsehsitcom in Szene gesetzt. Spanische Telenovas und die Spielfilmserie Torrente des spanischen Regisseurs Santiago Seguro haben Pate gestanden für den optischen Farbanstrich dieser präzise am Libretto  erarbeiteten flott-frech überdrehten Aufführung. Das gierige Pack holt, um der katholischen Kirche ja nichts zukommen zu lassen, den eigentlich verhöhnten armen Schlucker Gianni Schicchi, damit er für sie die heißen Erbschafts-Kartoffeln aus dem allerheiligsten Fege-Feuer holt. Der wiederum (Günter Papendell als cleverer junger Außenseiter) übernimmt das Regie und und schanzt sich und dem jungen Liebespaar unter Hinweis auf die Strafen für Erbschleicherei, das größte Teil des ansehnlichen Erbes zu. Jeder und jede dieser „süßen“ kleinen Familie ist sich am nächsten und stolziert eitel gockelig oder aufgetakelt tussihaft durch das kleine Schlafzimmer, als wäre es ein Defilee vor einem Staatspräsidenten, aufgeblasen von der eigenen Wichtigkeit und berauscht vom eigenen leeren Bombast. Dabei gelingen Bieito eine wunderbare Typologie und skurrile Schärfung. Christiane Oertel als ekelig autoritäre geldgierige Cousine Zita (Ja Geld verdirbt den Charakter), der Neffe Gherardo (Christoph Späth im türkisen Fahrraddress) und seine Frau Nella (wunderbar im engen Leopardenkleidchen und Sonnenbrille Mirko Wagner). Eine besondere Studie ist Stefan Sevenich als Betti di Signa (Buosos Schwager) vorbehalten. Im orange-rot-grün-weißen zu engen und zu kurzen Pulli, blonder Strohperücke und eckiger Hornbrille ist er als Art Familientrottel schräg obsessiv veranlagt und rückt schon mal die Madonna an sein Herz oder den männlichen Verwandten an den Leib. Jens Larsen als Buosos Cousin Simone mit Bart und Kappl. In dem untadeligen oskarreifen Ensemble erfreuen uns noch das Mitglied des Opernstudios Nikola Ivanov als Marco und Annelie Sophie Müller als Marcos Frau Ciesca, Bruno Balmelli als Arzt Maestro Spinelloccio, Philipp Meierhöfer als Notar Amantio di Nicolao, Ezra Jung als Schuster Pinellino und Tim Dietrich als Färber Guccio. Dem Dirigat des Hausherrn Henrik Nánási fehlt es zwar an Italianitá und der orchestrale Schmelz will sich nicht so recht einstellen. Dafür hält er das Ensemble tapfer zusammen und bedient eher die derbe Seite der Komodie als die feine Liebesgeschichte. Der Ohrwurm „Oh mio babbino caro“ rührt und funktioniert dennoch, wenngleich im direkten musikalischen Kontext zu den genialen Ensembleszenen klar wird, dass sich Puccini hier wohl über sich selber lustig macht. Insgesamt endlich wieder einmal eine fast schon konservative und werkgetreue Arbeit, bei der man sich uneingeschränkt am Stück, an der Musik und den herzerfrischend lebensechten Typen auf der Bühne erfreuen kann.

 Herzog Blaubarts Burg folgt ohne Pause und beginnt im Bühnenbild des Gianni Schicchi. Man kann sich vorstellen, dass aus unserem so lieben Turtelpärchen Lauretta und Rinuccio das desillusionierte und selbstzerstörerische Duo Herzog Blaubart und Judith geworden ist. Oder aber dass, wie auch diese Lesart des Calixto Bieito vom Film inspiriert ist, jemand mysteriös wie in „Blue Velvet“ oder „Inland Empire“ (beides David Lynch) die Realität verliert, das Dekor dunkel erotisch fetischiert und den äußeren Raum in Lebenslandschaft wandelt. Calixto Bieito ließ sich merkbar von den Filmen Luis Bunuels und Bernardo Bertoluccis „Der letzte Tango von Paris“ inspirieren. Das tut dem Stück an sich gut, nimmt ihm aber auch etwas vom seinem düsteren Geheimnis. Die sieben Räume weichen einer „Grundatmosphäre aus einer Collage an Orten. Es ist wie ein dunkles Meer, in dem alles gleichzeitig kreist und Erinnerungen immer wieder wie schwimmende Inseln auftauchen“ (Rebecca Ringst). In dieser Stimmung prallen die Geschlechter in einem aussichtslos brutalen Kampf aufeinander. Ein Endspiel der Leidenschaften zwischen pervers sexueller Attraktion und blutiger Brutalität. Stärker als in Gianni Schicchi dürfen Gidon Saks als Herzog Blaubart und Ausrine Stundyte als Judith das Heute verkörpern mit seinen Ängsten, den aus Arbeitsdrill und mechanischem Funktionieren ursächlichen Beziehungsdramen (Bieto: „Wir mutieren zu menschlichen Fabriken“) und der finalen sozialen Ausweglosigkeit. Der Lichtfunke kommt für den Regisseur aus der Kunst, einem neuen Humanismus, der mithilfe des Musiktheaters in die Welt treten wird. Glauben wir Bieito und seiner Vision der „Oper als Paradies“. 

 Auf Herzog Blaubarts Burg umgelegt, gelingt den beiden Protagonisten eine dichte Stunde an seelischer Wahrheit und körperlicher Grausamkeit. Mit expressionistischer Körpersprache und vokaler Totalhingabe schreiten sie in ihrem absurden Machtkampf bis zur musikalisch bedeutendsten fünften und bis zur für jede Hoffnung letal gewordenen siebente Kammer. Das Orchester der Komischen Oper ist um Intensität bemüht, Dirigent Henrik Nánási gelingen schöne Momente. Ein bisschen weniger konkret und differenziert geheimnisvoller hätte da manches allerdings schon erklingen können.

 Das Publikum ist nach zwei Stunden zufrieden und dankt den Sängerinnen und Sängern für einen insgesamt interessanten und dichten Abend.

 Dr. Ingobert Waltenberger

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