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ZÜRICH: LA TRAVIATA. Premiere

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Zürich – Opernhaus – „La Traviata“  - Premiere 18.04.2015

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Sonya Yoncheva, Cheyne Davidson, Pavol Breslik, Dimitri Pkhaladze. Foto: Tanja Dorendorf

 Mit der dieser Neuinszenierung der „Traviata“ gibt das Opernhaus Zürich Verdis berühmtem Werk die Würde zurück, welche es im Rahmen verstaubter Aufführungen, die das Stück auf grossangelegte Chorszenen und ein paar Arien reduzieren, über die Jahre hinweg etwas eingebüsst hat. Traviata ist mehr als „Libiamo!“ und Kronleuchter. Eigentlich ist Verdis populäre und nicht selten monumental angelegte Oper intimes Kammerspiel und somit Seelenspiegel einzelner Personen sowie ein Sittenbild der Gesellschaft.

 Regisseur David Herrmann erkennt mit Bühnen- und Kostümbildner Christoph Hetzer „La Traviata“ als schon damals zeitgenössisches Stück. Diesen Ansatz entwickeln die beiden weiter und stellen Fragen, welche die heutige Zeit betreffen. Angesiedelt wird die Aufführung in dunkel ausgeleuchteten Räumen mit Lounge-Charakter – edel, elegant, kalt, unpersönlich. Optische Farbtupfer bilden die Kostüme des Chors, die weissen Tischtücher sowie die grünen Pflanzen, welche den edel-kalten Eindruck des Raumes zusätzlich verstärken.

 Violetta ist von Anfang an eine Aussenseiterin, wenn nicht sogar eine Ausgestossene. Dies zeigen die Gäste an Violettas Fest recht unverhohlen. Natürlich nimmt man an diesem gesellschaftlichen Anlass teil – schliesslich gibt es was zu futtern – und zu tratschen. Die Gastgeberin spielt widerwillig mit; sie ist auf der Suche nach Vergnügen, wird dabei aber nicht fündig. Die Krankheit sowie den Zusammenbruch der Protagonistin werden ebenfalls heutig gedeutet: als Burnout bzw. Borderline-Syndrom. Dies ist absolut richtig, geht es doch in dieser Oper letzten Endes um die Problematiken Leistungsdruck und Sich-selbst-Vermarkten – Themen die in unserer heutigen Zeit nichts an Brisanz eingebüsst haben – ganz im Gegenteil! Es geht aber auch um Ausgrenzung derjenigen, welche den Ansprüchen der Gesellschaft nicht (mehr) genügen. Das wird im zweiten Akt besonders stark dargestellt, wenn sich nach Alfredos Ausbruch der hintere Teil der Bühne mit dem Chor anhebt und der unglücklich Liebende zusammen mit seinem Vater auf der Bühne sein Leid von allen verlassen beklagt. Derweil wird das Buffet eröffnet, die Gesellschaft wendet sich kulinarischen Genüssen zu.

 Der dritte Akt vermischt Realität und Wahn miteinander und überlässt dem Zuschauer die Frage, ob das Wiedersehen zwischen Violetta und Alfredo nun stattfindet oder nur ein Wahnvorstellung der Sterbenden ist.

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Sonya Yoncheva, Pavol Breslik, Quinn Kelsey, Foto: Tanja Dorendorf

 Regisseur Herrmann und sein Team zeigen auf ergreifende Weise auf, dass diese Oper eben gerade NICHT das populäre Schunkelstück ist, als welches es leider oft missverstanden wird. Dank der umsichtigen Regie erhalten die Figuren ihre eigene Persönlichkeit, welche weder schwarz noch weiss ist, und die einzelnen Szenen den Touch eines spannungsgeladenen, tiefgehenden Kammerspiels.

 Die musikalische Leistung steht der darstellerischen um nichts nach. Die Philharmonia Zürich unter Marco Armiliato berührt bereits mit dem sensibel musizierten Vorspiel, in welchem die Streicher in den ersten Takten mit Fein- und Reinheit und die Celli mit warmem Vollklang glänzen.

 Der Chor der Oper Zürich (Choreinstudierung: Ernst Raffelsberger) zeigt sich hoch motiviert und sangesfreudig – eine Freude! Dirigent Armiliato führt die Aufführenden zügig durch den Abend. Er setzt auf gezielte Akzente sowie schönen schlanken Klang und verzichtet voll und ganz auf jeglichen Kitsch und Pathos. Die Künstler nehmen diesen Ansatz auf und so gelingt auch musikalisch ein authentischer, ehrlicher Abend.

 Sonya Yoncheva ist eine Idealbesetzung für die Titelrolle. Sie überzeugt und berührt in jeder Beziehung. Sie führt ihre wunderbare Stimme sicher durch die Partie und verzichtet dabei darauf Effekte speziell auszuspielen. Damit stellt sie die Rolle und nicht sich ins Zentrum und wird dadurch umso ergreifender und glaubwürdiger.

 Ihr zur Seite der junge Tenor Pavol Breslik, dem man zu jeder Zeit alles glaubt, was er singt oder tut. Auch er verzichtet darauf mit seiner wunderbar jugendlichen Stimme „anzugeben“ und stellt eben auch die Rolle und nicht seine Person in den Mittelpunkt. Da findet dann eben eine packende musikalisch-menschliche Verschmelzung der beiden Hauptrollen statt, der sich niemand entziehen kann.

 Wunderbar auch Quinn Kelsey als Giorgio Germont mit herrlich vollem, warmem Bassbariton und hervorragender Diktion! Auch die kleineren Rollen überzeugen und gefallen: Olivia Vote als intrigante Flora Bervoix, Ivana Rusko als mitfühlende Annina, Dmitry Ivancey (Gastone), Cheyne Davidson (Baron Douphol), Valeriy Murga (Marquis D’ Obigny), Dimitri Pkahaladze (Doktor Grenvil) Airam Hernandez (Giuseppe) und (Commissionario). – Die neue Zürcher „Traviata“: Eine grossartige Aufführung für eine grossartige Oper – verdankt mit hochverdientem, langem Applaus für das Regieteam und die Aufführenden.

 Michael Hug

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