Quantcast
Channel: KRITIKEN – Online Merker
Viewing all articles
Browse latest Browse all 11208

BERLIN/ Deutsche Oper: FALSTAFF und das Liebespaar auf dem Stuhl

$
0
0

Berlin/ Deutsche Oper:FALSTAFF“ und das Liebespaar auf dem Stuhl22.11.2013

Noel Bouley als Falstaff mit Waldgeistern, Foto Hans Jörg Michel
Noel Bouley als Falstaff mit Waldgeistern, Foto Hans Jörg Michel im Auftrag der Deutschen Oper Berlin

„Falstaff“ heißt die letzte Verdi-Oper, und wo Falstaff drauf steht, sollte auch Falstaff drin sein. Als Titelhelden erwarte ich also einen gestandenen Mann mit einem kräftigen, nuancenreichen Bariton. Diesen alten Fettsack, der noch immer den Frauen nachstellt, sollte eigentlich Markus Brück singen, ein Ass im Ensemble der Deutschen Oper Berlin.

Wegen seiner langwierigen Virusgrippe musste man umbesetzen und hat diese anspruchsvolle Rolle dem Stipendiaten Noel Bouley anvertraut, der sie bereits beim Aspen Music Festival interpretiert hat. Als Verfremdungseffekt könnte das auch hier taugen, würde der junge US-amerikanische Bassbariton – figürlich bereits auf Falstaff-Spuren – eine volumige Stimme besitzen. Die seine ist jedoch seltsam klangarm und reicht salopp gesagt weder oben noch unten.

Darstellerisch überzeugt er dagegen durchaus und absolviert den Parcours durch alle Widrigkeiten mit jungenhaftem Humor. Da ich niemandem unterstellen möchte, er/sie hätte die Ohren an der Garderobe abgegeben, muss es wohl seine Spielfreude, kombiniert mit einer gewissen Nachsicht sein, dass auch er zuletzt mit herzlichem Applaus bedacht wird.

Noel Bouley als Falstaff mit Feen, Foto Hans Jörg Michel
Noel Bouley als Falstaff mit Feen, Foto Hans Jörg Michel im Auftrag der Deutschen Oper Berlin

Um nun ins Positive zu schwenken, verdient Michael Nagy als Ford großes Lob. Das ist ein Bariton! Der hochgradig Eifersüchtige, der als Fontana die Treue seiner Frau Alice testen will, singt und spielt den US-Boy glatt an die Wand. Auch Marko Mimica als Pistola kann mit voller tiefer Stimme und Lebendigkeit punkten. Als Bardolfo agiert Gideon Poppe.

Zwei Lichtgestalten stellen jedoch alle anderen in den Schatten: Elena Tsallagova (Sopran) als Fords Tochter Nannetta und Joel Prieto als ihr Lover Fenton (Tenor). Zwei schöne junge Menschen mit schönen klaren Stimmen, das rundherum perfekte Liebespaar. Auf einem Stuhl stehend schmusen sie zunächst miteinander, später dann knapp hinter einem Paravent.

Doch selbst diese beiden sehen wir zuletzt als alte Leute im Pflegeheim, in das Regisseur Christof Loy (dessen Jenufa-Inszenierung großen Anklang fand) dieses Stück verfrachtet hat. Vorbild ist die „Casa Verdi“, die vom Komponisten gegründete letzte Bleibe für ehemalige Künstler. Gleich anfangs fängt ein wackliger Schwarzweiß-Film einige Szenen in diesem Haus ein, dessen Bewohner noch in ihren früheren Glanzrollen leben.

Doch mit den fast gleich lautenden Liebesbriefen, die der klamme Falstaff an die beiden Gattinnen Alice Ford (Barbara Haveman) und Meg Page (Jana Kurucová) richtet, ändert sich die Situation gründlich. Die alten Damen reißen sich, wieder Sehnsüchte spürend, die Senioren-Klamotten vom Leib, werfen ihre Stöcke weg und sind wieder quicklebendige, hübsch gewandete junge Frauen (Kostüme: Ursula Renzenbrink).

Auch die Männer werden wieder jünger. Falstaff schnallt sogar seinen Bauch ab, bleibt aber im Unterhemd und in den nun deutlich zu weiten Hosen eine lächerliche Figur. Die Frauen setzen mit ihrem bekannten Schabernack schließlich noch eins drauf.

Die Botin der beiden umworbenen Damen ist Dana Beth Miller als Mrs. Quickly, ein Superweib mit ausgestopftem Busen und rauchigem Mezzo, das sich nicht scheut, auch mal zu diesem fetten Fiesling ins Bett zu steigen. Außerdem sorgt sie dafür, dass die niedliche Nannette nicht den vom Vater ausgeguckten Langweiler Doktor Cajus (Thomas Blondelle) heiraten muss, sondern ihren Fenton kriegt.

Ganz neu ist dieses Hin und Her zwischen Altersheim und neuer Jugendlichkeit allerdings nicht. Ähnlich hat Regisseur Damiano Michieletto in Salzburg den „Falstaff“ inszeniert. Auch Dustin Hoffmann verortete seinen Film „Quartett“ in der Casa Verdi. Jetzt, zu Verdis 200. Geburtstag, liegt dieses Setting offenbar in der Luft. Und warum sollte ein Regisseur gelungene Sichtweisen nicht ein wenig adaptieren?

Für die allermeisten der hiesigen Besucher ist diese Lesart sicherlich neu und kommt in ihrer flotten Darbietung bestens an. Die Gag-reiche Inszenierung auf der schmal gehaltenen Bühne (Johannes Leiacker) übertrifft – von den genannten Ausnahmen abgesehen – nicht selten die Gesangeskünste. Ein Novum an der Deutschen Oper Berlin, die diese Neu-Inszenierung des „Falstaff“ als Höhepunkt ihrer Verdi-Wochen geplant hatte.

Jedenfalls spielen alle ihren Part lustvoll aus, und das (überwiegend ältere) Publikum amüsiert sich sehr. Zum szenisch-musikalischem Spektakel werden letztlich die vom Orchester der Deutschen Oper Berlin unter Donald Runnicles saftig untermalten, mit Ballett-Einlagen angereicherten Ereignisse im Gespensterwald (Choreographie Thomas Wilhelm). Der Chor des Hauses, einstudiert von William Spaulding, beglaubigt schließlich stimmgewaltig den Sonderweg, den sich Falstaff genehmigt. Zuletzt stellt Nannette ein Verdi-Bild auf die Bühne. Das Leben – nur eine Komödie. Ende gut, alles gut.

Kräftiger Beifall belohnt alle Beteiligten, gespickt mit einigen Bravos für Elena Tsallagova.

Weitere Termine: 29. November, 5., 7. und 30. Dezember sowie am 4. Januar.

Ursula Wiegand

Diese Seite drucken


Viewing all articles
Browse latest Browse all 11208