Berlin/ Staatsoper: „IL TROVATORE, Premiere in Starbesetzung, 29.11.2013
Anna Netrebko als kampfbereite Leonora, Foto Matthias Baus
„IL TROVATORE ist ein Emotionsgewitter,“ hat Regisseur Philipp Stölzl gesagt, aber auch eingeräumt, dass er den Inhalt erst nach mehrfachem Lesen verstanden hätte. Tatsächlich ist der sonderbar sprunghaft und nicht immer logisch.
Die Story bloß nicht zu ernst nehmen – ist daher erkennbar Stölzls Devise. Also inszeniert er dieses durchaus so von Verdi gewünschte Schauermärchen – angesiedelt im mittelalterlichen Spanien – als einen frühen Comic, stellt aber das Geschehen auf eine zunächst völlig karge Schräg-Würfel-Bühne (erdacht von Conrad Moritz Reinhardt und ihm selbst).
Musikliebhaber, die diese Inszenierung bereits in Wien gesehen haben, werden sich sicherlich an manche Details erinnern. So an Hauptmann Fernando, der – auf den Zehenspitzen tänzelnd – seiner rhythmisch swingenden Zylindersoldatentruppe die haarsträubende Geschichte von Prinzenraub, Zigeunerin- und Baby-Verbrennung zu Gehör bringt (Adrian Sâmpetrean).
Sie werden sich auch an die Reifröcke erinnern, in denen die Damen durchs Geschehen kreisen wie Püppchen auf einem Spieluhrset (Kostüme Ursula Kudrna). Sicherlich haben auch viele über die altertümliche Kanone geschmunzelt, die mit einem gewaltigen Krachbumm ein Kampfgetümmel karikiert.
Andere sehen vielleicht noch den Grafen Luna vor sich, der in dunkler Nacht seinen Rivalen Manrico mordlüstern umschleicht. Angetan mit Kapuze und Henkersbeil, das Leonora ihm zu entwinden versucht. Dem Filmemacher Stölzl ist vieles eingefallen, Lustiges, Sarkastisches und Makaberes, letzteres speziell bei den Massenszenen. Mit solchen Bildern belebt er das recht störrische Stück.
Verdi, der Stimm-Fetischist, hat die in seiner mittleren Schaffensphase komponierte Oper auf die Sänger zugeschnitten, und die sind in der Staatsoper im Schillertheater andere als kürzlich in Wien.
Anna Netrebko, Plácido Domingo, Foto Matthias Baus
Wir erleben (und gar zu selten) Anna Netrebko, in diesem Fall als die von den beiden bereits genannten Männern begehrte Leonora. Einer von ihnen ist Plácido Domingo als Graf Luna. Diese Weltstars verleihen der Berliner Premiere und den folgenden Aufführungen gehörigen Glanz, so dass auch diese schon seit Monaten ausverkauft sind.
Anna sieht trotz Blondperücke und Reifrock verführerisch aus. Bewegungsfreundlich ist solch ein Outfit allerdings nicht. Versiert, wie sie ist, macht sie das Beste daraus. Bei Verdi und auch hier zählt die Stimme und nicht das Kleid.
Ihre ersten Töne kommen, vermutlich schmuddelwetterbedingt, noch etwas rau, doch schnell wird ihr weit reichender Sopran immer runder und glutvoller. Ihr Beten, schon eingekleidet als Nonne, kommt wunderbar zart und innig herüber, schwingt sich aber – beim unerwarteten Erscheinen des todgeglaubten Geliebten – in kraftvoll strahlendem Jubel ohne jede Schärfe empor. (Vulgo: lieber Kerl als Kloster).
Absoluter Höhepunkt wird durch sie der 4. Akt, in dem sie all’ ihr Können abruft. Fabelhaft, wie sie auf der Tonleiter balanciert. Auch bei den Koloraturen ist sie auf gutem Weg. Ungemein farbenreich gestaltet sie einzelne Sätze, auch manches Wort. Mal glutvoll, mal scheinbar nachgebend kämpft sie vokal mit allen Finessen um das Leben des Geliebten. Klar, dass sie auch klangschön sterben kann, so schön, dass das Publikum fast das Husten vergisst.
Ein Einspringer – Gaston Rivero – gibt den Troubadour Manrico. In den leisen, lyrischen Passagen klingt sein Tenor ansprechend, verliert aber im Forte an Farbe. Gut gelingen ihm stimmlich die Szenen mit seiner Zigeunermutter Azucena. Die – Marina Prudenskaya – war mit ihrem satten Mezzo in Wien hoffentlich genau so großartig wie jetzt in Berlin. Zum Schluss erhält sie fast ebenso viel Applaus wie Anna!
Und nun zu Plácido Domingo, dem ergreifenden Simone Boccanegra in 2009 und 2012 am gleichen Haus. Noch immer ist er voller Bühnenpräsenz und Spieleifer, doch ganz so überzeugend gelingt ihm diese neue Baritonrolle nicht. Bei der Schilderung seiner Besessenheit für die (nicht anwesende) Leonora bricht ihm im hohen Bereich mal die Stimme weg, klingt aber, wenn es um Kampf und Rache geht, wieder markig. Als „Domingo, the one and only,“ wird er bei der anschließenden Premierenfeier aufs Podium gebeten. Der bleibt ein Phänomen und ein Publikumsliebling.
Außerdem bewähren sich Anna Lapkovskaja als Ines, Florian Hoffmann als Ruiz und „natürlich“ der Staatsopernchor, einstudiert von Martin Wright. Großes Lob verdient und erhält die Staatskapelle Berlin unter Daniel Barenboim. Der lässt nichts anbrennen und die Musik Verdi gemäß oft dramatisch aufrauschen. Doch auch in den lyrischen Passagen ist ihm sehr angenehm auf der Spur.
Anna Netrebko und Plácido Domingo bei der Premierenfeier. Foto Ursula Wiegand
Nach viel Zwischenapplaus dröhnt zuletzt kräftiger Beifall durchs Haus, vermischt mit einigen Buhs fürs Regieteam, aber mit vielen Bravos für die Sänger. Anna Netrebko und Marina Prudenskaya sind an diesem Ausnahmeabend die „Königinnen der Nacht“.
Ursula Wiegand
Weitere Termine: 04., 7., 11., 15., 19., und 22. Dezember, wie erwähnt jedoch ausverkauft.