Bayreuth / Festspielhaus: “TRISTAN UND ISOLDE” ZWISCHEN TRAUM UND WIRKLICHKEIT - 18.8.2015
Katharina Wagners Bayreuther Neuinszenierung von „Tristan und Isolde“ ist nun in aller Munde, vor allem bei den Musikfreunden, und im „Neuen Merker – online“ sind schon einige Kritiken erschienen. Ohne „Eulen nach Athen“ tragen zu wollen, sollen hier nur noch einige weitere Gesichtspunkte erwähnt werden, die mir bei der Aufführung am 18.8. bewusst wurden und bei den bisher erschienenen Kritiken weniger im Fokus standen.
Nach Hörfunk- und Fernsehübertragung(en) und Live-Übertragung in den Kinos bringt das unmittelbare Erleben im traditionellen Festspielhaus doch noch einige andere Seiten der Neuinszenierung zum Klingen und Schauen. Kann man sich bei einer Hörfunkübertragung auf die rein musikalische Seite konzentrieren, ohne zu ahnen, mit welcher Inszenierung und Regie sich Protagonisten und Publikum auseinandersetzen müssen, kommt bei der Live-Übertragung in den Kinos die Bildregie als zusätzliches Gestaltungselement hinzu, und die Nahaufnahmen rücken nicht selten die Mimik der Sängerinnen und Sänger in Großaufnahme in den Vordergrund, wobei das Bühnenbild nur ausschnittsweise gezeigt werden kann. Beim unmittelbaren Erleben im Festspielhaus an historischer Stätte wirken neben der besonderen Atmosphäre Inszenierung und Bühnenbild in ihrer Gesamtheit und die Musik unverfälscht in der guten Akustik des Hauses (ohne, wenn auch sehr gute, Übertragungstechnik).
In ihrer Inszenierung versucht Katharina Wagner nicht nur die reine Handlung, sondern auch seelische und emotionale Hintergründe und Traumvorstellungen sichtbar zu machen. Während der 1. Akt aus einem Labyrinth dicht gedrängter, auswegloser beweglicher, metallischer Streben, Stützen und Treppen besteht, die sich wie in einem bösen Traum im Nichts verlieren und auch wegbrechen können und zudem extrem bedrückend wirken – wie in einem extrem großen Schiff mit ungewöhnlich vielen Decks und der beängstigenden Atmosphäre eines Kriegsschiffes, führt der 2. Akt in eine Art Hochsicherheits-Freiluft-Gefängnis mit modernen Folterinstrumenten und beklemmenden Assoziationen, die an Sade erinnern, wobei auch die jetzt allgemein übliche Gewalt auf der Bühne und die scheinbar unentbehrlichen NS-ähnlichen Schergen in senffarbenen Uniformen untergeberacht werden konnten.
Der viel geschmähte 3. Akt schien mir am plausibelsten, erinnert er doch daran, dass der „Tristan“ Wagners „persönlichste“ Oper ist, die ihr Entstehen nicht zuletzt seinem ganz persönlichen Erleben und seinen intimsten Gefühlen, die ihn seinerzeit erschütterten, verdankt, was vor allem in der Musik seinen Niederschlag fand. Tristans Fieberfantasien und Wünsche, die in dreiseitigen Prismen in verschiedenen Höhen und unterschiedlichen Größen erscheinen und immer irgendwie wegbrechen, sind nachvollziehbar und beleben das Bühnenbild. Dass am Ende König Marke Isolde aus ihren Träumen und mit sich fort reißt, bevor sie den Liebestod stirbt, erinnert daran, dass das reale Vorbild für diese Liebesträumereien, Mathilde Wesendonck, von ihrem Ehemann aus ihrer Wagner-Verehrung und vielleicht Schwärmerei wieder auf den Boden der Realität zurückgeholt wurde.
Was dem Ganzen viel von seiner Brisanz nahm, war die simple Regie, die im Wesentlichen im Nichtbewegen besteht (was den Sängern allerdings mehr Kondition zum Singen lässt). Wenn Aktivitäten vorkommen, dann sehr naive, gewöhnliche und altbekannte.
Eine gekonnte und sehr wirkungsvolle Lichtregie (Reinhard Traub) macht die Bühnenbilder (Frank Philipp Schlößmann, Matthias Lippert) und Kostüme (Thomas Kaiser) in ihrer matten Farbigkeit optisch sehr wirksam. Die Kostüme erinnern an die 1950er Jahre, warum eigentlich? Sie verdeutlichen weder die Handlung noch verstärken sie das Anliegen der Inszenierung, und besonders dekorativ sind sie auch nicht.
Ziemlich unpassend erscheint das teenagerhafte Outfit (einschließlich Frisur) der Brangäne, die aber durch Christa Mayers schöne Stimme mit dem leuchtenden Timbre in einer gekonnten Balance zwischen Wohlklang und ausdrucksstarker Dramatik eine so wunderbare Färbung erfährt, dass man alles Äußerliche vergisst. Sie lotet die vielschichtigen Facetten der Partie in allen Nuancen und Differenzierungen aus, so dass die simplen regiebedingten Bewegungen nicht ins Gewicht fallen.
Wie die ursprünglich vorgesehene Anja Kampe die Isolde gesungen hätte, könnte man höchstens vermuten. Evelyn Herlitzius überrascht mit ihrer großen Stimme in jeder Phase mit sauberer Intonation, gebändigtem Vibrato und besonderer Ausdruckskraft, unterstrichen durch ein ebenso ausdrucksstarkes Spiel, sofern das die ziemlich naive Personenregie zulässt, und nicht zuletzt mit ihrer enormen Kondition, die immer wieder die Szenen aufflammen lässt und bis zum Schluss zu immer neuen Höhepunkten führt. Der bei der Premiere noch mehr dramatische als gefühlvolle Liebestod wurde bei den weiteren Aufführung immer weicher und zum mitfühlenden lyrischen Ereignis. Da fragt man sich, woher die negativen Stimmen kommen, die nach der Premiere laut wurden. Als Akteurin voller Leidenschaft verleiht sie der Gestalt der Isolde bei jeder Aufführung Format.
Ganz anders, ruhig und ausgeglichen, aber zuverlässig und mit guter Gesangstechnik erscheint Stephen Gould als Tristan. Mit seiner Zuverlässigkeit, aber weniger Temperament und einem gewissen Gleichmaß ist er das Pendant zur leidenschaftlichen Isolde. Es ist ein ungleiches Paar, und doch glaubt man ihnen ihre Zuneigung auch ohne Liebestrank, den sie als vermeintlichen Todestrank aus modernen Kosmetikflaschen verschütten. Diese Gegensätzlichkeit sorgt für zusätzliche Spannung im Verhältnis der beiden Liebenden und damit auch für Spannung im Zuschauerraum.
Mit sehr guter Stimme, die keine Schärfen kennt, angenehmem Timbre und dynamisch herausgearbeiteten Kontrasten beeindruckt Iain Paterson als Kurvenal, der vor allem im 2. Akt auch intensiv spielen muss, um im Hintergrund das vergebliche Ausweg-Suchen aus dem Labyrinth der gefährlichen Metallkonstruktionen zu demonstrieren, während sich Tristan und Isolde in ihrer Liebeslaube aus einer Decke und mit „Christbaumbehang“, der wie Sterne leuchtet, wie Acis und Galathea auf einem Ölgemälde befinden. Dieser Kurvenal mischte sich immer wieder auf dezente, aber umso ausdrucksstärkere Weise in das Geschehen ein. Raimund Nolte überzeugte vor allem mit seinem glaubhaften Spiel als zynisch-sadistischer Melot.
Nicht nur stimmlich unbestritten mit seiner legendären, nicht nur sehr sicheren, sondern auch wohlklingenden Tiefe und ausgezeichneter Textverständlichkeit war Georg Zeppenfeld ein großartiger König Marke. Ihm glaubte man die Worte, die er sang. Von der Regie als bösartiger, die Liebesszene von Tristan und Isolde mit seinen Mannen in militanten Uniformen eines totalitären Staates belauschender Potentat (auch bei über 30°C im Schatten mit Mantel, Hut und Pelzkragen) beherrschte er auch diese darstellerische Anforderung, beeindruckte aber doch am meisten durch seine intensive Interpretation von Wagners Worten und Musik. Sein idealer Gesang entsprach der großzügigen Haltung des Marke, die – wenn man so will – der von Wagners Schweizer Gönner, Otto Wesendonck, entsprach. Wie hätte Marke sonst, als könnte er es nicht glauben, zu singen: “Tatest du’s wirklich …”, wenn er es doch gesehen hat! Zeppenfeld brachte musikalisch einen idealen König Marke im Sinne Richard Wagners auf die Bühne, wie man ihn nur selten erlebt, auch wenn die Gestalt durch die Inszenierung um 180° gedreht werden sollte. Zepppenfeld spielte ihn zunächst auch so, führte aber danach die Gestalt musikalisch zu ihrem Ursprung zurück.
In musikalischer Hinsicht unterscheiden sich die einzelnen Aufführungen naturgemäß in einigen Nuancen, aber intensiv, ausgeglichen und hinreißend waren sie alle, so dass man meinen konnte, jede der Aufführungen sei die optimale gewesen.
Bereits die unter Christian Thielemanns durchdacht inspirierender Leitung vom Festspielorchester mit allen Feinheiten musizierte Ouvertüre, bei der die musikalischen Tiefen ausgelotet wurden, ließ jedes Mal Großartiges erwarten, bis man aus der klangschwelgerischen Euphorie durch den Gesang des jungen Seemanns, d. h. Tansel Akzeybek, der auch den Hirten hinter der Bühne singt und ansonsten entsprechend Regie als solcher in der Runde um den tödlich verletzten Tristan sitzt, aus dem musikalischen Genuss gerissen wurde – der einzige Wermutstropfen in musikalischer Hinsicht. Als Steuermann ergänzt Kay Stiefermann die vergleichsweise kleinen Rollen, die aber eine nicht unbedeutende Aufgabe im Gesamtgefüge der Oper haben, sozusagen als lyrisches Pendant zur großen Dramatik und nicht zuletzt als Illustration der Stimmung in bestimmten Situationen.
Im weiteren Verlauf der Aufführung hielt Thielemann die Oper als Gesamtgefüge zusammen und das Orchester weitgehend zurück, um den Sängern genügend Freiraum zur Entfaltung zu lassen. In dieser relativen Zurückhaltung lagen aber gerade Schönheit und Ausdruckskraft der Musik, die mit all ihren Feinheiten bis zum sensibelsten Pianissimo zur Geltung kam.
Ingrid Gerk