ESSEN: THE GREEK PASSION im Aalto-Theater (Premiere am 26.09, besuchte Aufführung am 01.10.2015)
Der tschechische Komponist Bohuslav Martinu ist dem breiten Publikum wenig bekannt. Das gilt auch für seine meistgespielte Oper „Die griechische Passion“, welche er mit einem englischsprachigen Libretto versehen hat. Es war daher nicht verwunderlich, daß sich schon in dieser zweiten Aufführung die Reihen im Zuschauerraum erheblich gelichtet hatten. Im Ergebnis waren mit dem großen Orchester, den Chormassen auf der Bühne, den unzähligen Solisten, der Statisterie sowie erst recht den Mitarbeitern hinter der Bühne mehr Personen mit der Abwicklung dieser Aufführung befaßt, als im Zuschauerraum saßen, um sie zu konsumieren.
Die Regie hatte Jiri Heiman übernommen (Bühenausstattung Heiman und Dragen Stojcevski; Kostüme Alexandra Gruskova). Bedauerlicherweise war aus dem wirren Ablauf des Bühnengeschehens nahezu nichts mehr von der Originalhandlung wiederzuerkennen. Abgesehen davon, daß bereits das undefinierbare Bühnenbild mit bis zu achtzig brennenden Kerzen im Vordergrund, einer vom Schnürboden herunterhängenden überdimensionalen Glocke und den Bühnenhintergrund abteilenden Stellwände keinen der Originalschauplätze erkennen ließ, herrschte nahezu ständig Hektik auf der Bühne, gepaart mit allerhand skurrilen Einfällen. So rollten drei verschiedene Solisten mit einem Elektromobil auf der Bühne umher, plätscherten andere in einem fließenden Gewässer oder flitzte auch schon einmal ein Sänger durch den Zuschauerraum hinauf in den ersten Rang und sang währenddessen sowie sodann von der Empore weiter. Das rettet den Abend indes nicht. Hier ist eine große Chance vertan worden, für das ohnehin kaum bekannte Werk neue Freunde zu gewinnen.
Hinsichtlich der musikalischen Interpretation sei mit den positiven Aspekten begonnen: Mar-tinu hat im Rahmen der durchkomponierten Großform dieser Oper besonderes Gewicht auf das Orchester gelegt. Das beherrschte er allerdings meisterhaft. Das Orchester entwickelt sowohl in den quasi-sinfonischen Zwischenspielen als auch im Rahmen der Handlungsbegleitung ein breites Klangspektrum bis hin zu den wuchtigen Aufschwüngen und Tutti-Einsätzen. Dass die Essener Philharmoniker die Qualität haben, diese Vorgaben umzusetzen, weiß man seit langem. Dass sich Chefdirigent Tomas Netropil der Partitur seines Landsmanns mit Hingabe und Kompetenz zu widmen versteht, weiß man seit dieser Produktion. Auch die Chöre, bestehend aus Opern-, Extra- und Kinderchor des Aalto-Theaters, hielten den großen Aufgaben stand, und die gregorianischen Gesänge sowie die dramatischen Einsätze gelangen in eindrucksvoller Weise. Hier hatte Patrick Jaskolka angesichts der nahezu unübersehbaren Zahl der Choristen im Rahmen der Einstudierung wahrlich Großes geleistet.
So virtuos Martinu mit dem Orchester zu spielen verstand, so wenig war ihm das Talent einer bühnenwirksamen Führung der Singstimmen in die Wiege gelegt worden. Es gibt nur zwei tatsächlich erinnerungsfähige Partien: zum einen die der Katerina, welcher der Komponist sogar gewisse ariose Passagen in die Partitur geschrieben hat, und jene des Manolios. Die Katerina war bei der höchst attraktiven kanadischen Sopranistin Jessica Muirhead bestens aufgehoben. Sie besitzt einen technisch einwandfrei geführten Sopran mit warmen Timbre und hat nicht ohne Grund bereits an der Bayerischen Staatsoper Hauptrollen gesungen. Dem Manolios hat der Komponist, insbesondere in der Leidensszene des vierten Akts, keine musikalischen Höhepunkte gegönnt. Es fehlt der Stimmführung an Variationsbreite und vor allem an tenoralen Höhen. Zeitweilig bewegt sich die Singstimme gerade einmal im Rahmen einer Terz. Das ermüdet den Hörer erheblich, auch wenn Jeffrey Dowd sich nach besten Kräften bemühte, das Publikum zu erreichen.
Mit den weiteren Partien kann sich kein Sänger profilieren. Es sei daher lediglich aufgezählt, dass der Grigoris von Almas Svilpa, der Patriarchess von Andreas Baronner, der Ladas von Matthias Koziorowski, der Michelis von Albrecht Kludszuweit, der Kostandis von Georgios Iatrou, der Yannakos von Michael Smallwood, der Panait von Alexey Sayapin, der Nikolios von Celine Barcaroli, der Andonis von Arman Manukyan und die Lenio von Christina Clark dargestellt wurden. Allen sei pauschal attestiert, daß sie rollendeckend sangen und agierten. Erwähnt sei auch der eigentlich im Belcanto-Fach bei den Italienischen Festspielen erfolgreiche Bauzahn Anderzhanov als Fotis, formal einer mittleren Partie, aber doch recht anspruchslos für einen Baß seines Formats. Den alten Mann sang Bart Driessen.
Dr. Klaus Ulrich Groth