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BASEL: „EDWARD II. DIE LIEBE BIN ICH“. Schauspiel von Ewald Palmetshofer. Uraufführung

Theater Basel: „Edward II. Die Liebe bin ich“, Schauspiel von Ewald Palmetshofer nach Christopher Marlowe (UA) – Pr. vom 12.11.2015

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Simon Zagermann (links), Thiemo Strutzenberger ©Alexi Pelekanos

 

Nicht von ungefähr entstand diese Koproduktion des Theater Basel mit den Wiener Festwochen und dem Schauspielhaus Wien, brachte doch der gerade nach Basel gewechselte Intendant Andreas Beck aus Wien auch seinen Hausautoren mit, den österreichischen Dramatiker Ewald Palmetshofer, der in Basel ab dieser Spielzeit als Dramaturg fungiert.

 Dass Palmetshofer durchaus sein Handwerk versteht, kann man an den Blankversen in feinstem elisabethanischem Stil mit gelegentlichen modernen Einsprengseln durchaus erkennen. Die Sprache der Neuversion des 1594 postum publizierten Dramas des unter mysteriösen Umständen 29-jährig verstorbenen Christopher Marlowe ist kraftvoll-derb, der Text erotisch, intelligent und gerade nur so knapp altertümlich, um nicht unverständlich zu werden (Kleine Kostprobe: „Ficker-Franzenland“). Der Text ist denn auch der eigentliche Star des Abends.

 Dies mag auch an der Inszenierung der neuen Hausregisseurin Nora Schlocker liegen, einem weiteren Österreich-Import von Beck. Die Bühne (Marie Roth) aus einer überdimensionierten Kupferfalte ist so eindrücklich wie sinnfrei, die Kostüme (Sanna Dembowski) mit einem Hauch Historizität demonstrieren etwas einfallslos aber effektvoll den unüberbrückbaren Graben zwischen den schlichten schwarzen Samtpluderhosen mitsamt puritanischen weissen Halskrausen der Peers und den extravaganten goldenen Strumpfhosen des Königs oder den glitzernden Shorts seiner Günstlinge. Dass das unschuldige Weiss der Königin im Laufe der Handlung immer mehr von einer blutroten Schärpe verdeckt wird, gehört aber eher in die Sparte „Symbolik für Dummies“.

 Die Protagonisten interagieren wenig, agieren noch weniger und halten sich auch nicht gross mit Belebung der Diktion auf. Bei Hamlet funktioniert das bestens. Allerdings ist Palmetshofer (noch) kein Shakespeare. Die mangelnde Personenführung ist besonders bei den eigentlich sehr witzigen Texten der in „Ping Pang und Pong“-Manier agierenden Peers (ausgezeichnet: Florian von Manteuffel, Elias Eilinghoff, Thomas Reisinger) auffällig, aber auch bei Gavestons „Liebesmonolog“, den der ansonsten glänzend spielende Thiemo Strutzenberger etwas zu zaghaft vorträgt. Insbesondere König (Simon Zagermann) und Königin (Myriam Schröder) wissen meist nicht, wohin mit sich und miteinander. Einzig Michael Wächter als Mortimer entkommt gelegentlich der Atmosphäre aus Steifheit und Künstlichkeit der gutgemeinten Hommage an das elisabethanische Theater.

 Doch, ein paar grafische Szenen gibt es durchaus: Wie Edward, der eher an seinem Liebhaber Gaveston interessiert ist als an den Staatsgeschäften, diesen in einem Zuber badet oder auch mal auf einem Kronleuchter liebschaukelt. Wie Gavestons Blut über die blanken Kupferstufen tropft oder sich der schliesslich entmachtete König im Kot des Towers wühlt. Allein die regelmässige (und im Theater beinah schon alltägliche) Ausschüttung von Urin, Kot, Blut und Sex kann einen aber nicht aus der Lethargie reissen, die einen vor allem in der zweiten Hälfte der fast dreistündigen Aufführung erfasst. Zu sehr hat sich die Regisseurin in Details verstrickt, die nur noch ihr auffallen. Der Schritt zurück, um das Gesamtbild aus dem Blick des naiven Zuschauers zu erkennen, blieb offensichtlich aus. (Damit befindet sie sich aber in prominenter Gesellschaft).

 Schon längst geht es bei Palmetshofer nicht mehr um Macht und Machtmissbrauch oder Vermischung von privaten und Staatsinteressen. Sein König proklamiert nicht „L’état c’est moi“, sondern „ich bin die Liebe“, ja mehr noch: Die Liebe ist seine Gottheit, die einzige Macht, der er sich unterwirft, während er im Rausch der Lust versinkt. Das Objekt seiner Begierde ist dabei austauschbar: Nach der Ermordung seines Günstlings Gaveston nimmt Spencer schnell dessen Platz ein. Dass all dies nicht gut ausgehen kann, liegt auf der Hand. Der kleine Prinz rächt den Tod seines Vaters folgerichtig an seiner Mutter und deren Liebhaber Mortimer. Mit dessen blutigen Kopf spielt er schliesslich noch abschlussszenenwirksam Fussball. Trotz kongenialer Übersetzung: Nach der auf dem schmalen Grat der Andeutungen wandelnden feinen Ironie des Marlowschen Originalstückes beginnt sich mancher schon lange davor zu sehnen.

 Alice Matheson

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