Quantcast
Channel: KRITIKEN – Online Merker
Viewing all articles
Browse latest Browse all 11208

STUTTGART/ Staatsoper: SALOME – eine Fülle von infernalischen Lebensgeschichten. Premiere

$
0
0

 STUTTGART/ Staatsoper: Premiere SALOME am 22.11.2015

EINE FÜLLE VON INFERNALISCHEN NEBENGESCHICHTEN

37208_salome_hpo_194
Simone Schneider (Salome) mit dem Kopf des Jochanaan. Copyright: A.T.Schaefer

Der russische Regisseur Kirill Serebrennikov lässt in seiner Inszenierung der „Salome“ ein Netz aus Bezügen zu Gegenwart und Vergangenheit des „Salome“-Stoffs entstehen. Neben der Fülle von Nebengeschichten fallen die zahlreichen Verweise und Filmsequenzen auf. Man sieht grausame Kriegsszenen und Hinrichtungsmassaker in arabischen Ländern, Panzer fahren auf, verwandeln das Land in eine trostlose Wüste. Auch zahlreiche arabische Schriftzeichen sind hier zu sehen, Jochanaan agiert in arabischer Sprache. Einmal nimmt man die Friedensnobelpreisträgerin Malala (die von den Taliban fast ermordet wurde), ein anderes Mal Bundeskanzlerin Angela Merkel wahr. Die Bildschirmfläche fächert Serebrennikov im Hintergrund stark auf. Heutige Konflikte werden mit den Vorgängen am Hof des Tetrarchen geschickt verwoben. Dem Publikum wird mit dem betont „modernen“ Bühnenbild von Pierre Jorge Gonzalez (Video: Ilya Shagalov) und den geschäftsmäßigen Kostümen von Kirill Serebrennikov ganz bewusst ein gnadenloser Spiegel vorgehalten.

Besonders interessant ist jedoch, dass die Rolle des Jochanaan hier in zwei Figuren aufgeteilt wird. Die schwarzhaarige Salome ist dabei durchaus traumatisiert, verliebt sich in den religiösen Fanatiker und hat mit der brutalen Welt zu kämpfen, die sie umgibt. Eisenfassaden beherrschen die Szenerie, das Schlafgemach von Herodes und Herodias befindet sich über einem Treppenaufgang in der linken Empore, dort empfängt die Herrscherin schamlos ihre Liebhaber, die einfach den Vorhang zuziehen. Herodes hat ständig panische Angst vor Überfällen, Bodyguards bewachen die sündhaft teure Wohnung. Man spürt, wie die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderdriftet, Jochanaans Stimme klagt ständig an, sein Körper wird im unteren Verlies von den zahlreichen Wachmännern misshandelt. Und auch auf der Bühne wird er gefoltert, man stülpt ihm ein schwarzes Tuch über den Kopf.

37180_salome_hpo_56
Claudia Mahnke (Herodias), 1. Soldat. Copyright: A.T.Schaefer

Schwächere Wirkung haben die Passagen mit den Zeichentrickfilmen, wobei hier die Mäuse zuletzt massakriert werden. Auch Salome erscheint plötzlich mit einer totenkopfartigen Mausmaske. Salomes Tanz kann ebenfalls nur wenig überzeugen, es fehlt ganz einfach die erotische Ausstrahlung, wenn sie mit Engelsflügeln und kurzem Minirock die Stufen herabkommt. Der Tanz wird bei dieser Inszenierung nur vage angedeutet, er soll ganz in Herodes‘ Vorstellung stattfinden. Paare tanzen dabei zu Walzerklängen, Herodes wird von halbnackten Körpern wie in einer wilden Orgie nahezu bedeckt. Nachdem Jochanaan sich geweigert hat, Salomes Begehren nachzugeben, verlangt sie seinen Kopf. In Kirill Serebrennikovs Inszenierung ist dieser abgeschlagene Kopf dann auch wirklich zu sehen, nachdem zuvor eine Videoprojektion die Hinrichtungsszene in beklemmender Weise eingefangen hat. Man sieht, wie Joachanaan über und über mit Plastikfolien bedeckt wird. Ein anderes Mal scheint Herodes seine Frau mit einem Kissen erdrosseln zu wollen. Doch Herodias ist nicht tot und steht plötzlich wieder auf, als ob nichts geschehen wäre. Nachdem Salome den Kopf des Jochanaan geküsst hat, geht sie schnell die Stufen hinauf und verschwindet im Schlafzimmer ihrer Eltern. Herodes befiehlt zwar, Salome zu töten, doch es geschieht nichts. Sie bleibt am Leben.

Eine ungewöhnliche Sichtweise. Und die schwüle Mondscheinstimmung scheint von einem Eisenreifen dargestellt zu werden, den Licht durchleuchtet. Noch besser wie das, was auf der Bühne geschieht, gefällt aber das Geschehen im Orchestergraben. Auch die gesanglichen Leistungen sind überdurchschnittlich. Simone Schneider debütiert als Salome mit voluminöser Leuchtkraft und einer ausdrucksvollen cis-Moll-Schattierung. Die langen und eingängigen Melodielinien werden von ihr insbesondere beim Schlussgesang mit schier unerschöpflichen stimmlichen Reserven gemeistert. Das Werben Salomes um Jochanaan in H-Dur gewinnt hier immer größere Intensität, wobei Roland Kluttig als Dirigent die Singstimmen mit dem sehr gut disponierten Staatsorchester Stuttgart nie „zudeckt“. Salomes Leidenschaftsmotiv kollidiert mit den gewaltigen Bariton-Ausbrüchen des Jochanaan von Iain Paterson, wobei der jünger wirkende Schauspieler Yasin El Harrouk seinen Körper darstellt. Roland Kluttig betont mit dem Staatsorchester das musikalische Farbenspiel der Partitur mitsamt ihren kontrapunktischen Künsten souverän. Sich nach oben schraubende Halbtonschritte und Leitmotive im Orchester scheinen auf der Bühne plötzlich ihre Entsprechung zu finden, da agiert Serebrennikov als Regisseur durchaus musikalisch. Auch der „Tanz der sieben Schleier“ gerät bei dieser Interpretation zu einem wahren Feuerwerk figurativ-orientalischer Artistik, die sich immer weiter zuspitzt.

37104_salome_khp_70
Claudia Mahnke (Herodias), Matthias Klink (Herodes). Copyright: A.T.Schaefer

Gesangliche Glanzlichter setzen ferner Matthias Klink als Herodes und Claudia Mahnke als Herodias, die ihren Rollen starke schauspielerische Momente abgewinnen. Gergely Nemeti steigert sich als Narraboth in einen wahren Eifersuchtsrausch hinein, der ihn schließlich tötet. Wie streng das Judenquintett symmetrisch aufgebaut ist, machen die in transparenter Weise aufeinander abgestimmten Sänger Torsten Hofmann (1. Jude), Heinz Göhrig (2. Jude), Ian Jose Ramirez (3. Jude), Daniel Kluge (4. Jude) und Eric Ander (5. Jude) deutlich. Einzelne Passagen werden dabei geschickt ineinandergeschoben, verdichten sich, lösen sich wieder auf. Das Zusammenfinden der Stimmen gelingt hier besonders eindringlich. Streichertremoli und Erregungsmotive vereinigen sich zu einem nervenaufreibenden Klangkosmos, der das visuell schier überbordende Geschehen auf der Bühne suggestiv illustriert. In weiteren Rollen imponieren bei dieser Inszenierung Idunnu Münch (Page), Shigeo Ishino (1. Nazarener), Dominik Große (2. Nazarener), David Steffens (1. Soldat), Guillaume Antoine (2. Soldat), Simon Stricker (ein Kappadozier) und Esther Dierkes (ein Sklave). Gegensätzliche Motivbildung und kühne Harmonik erreichen ihren Siedepunkt vor allem in den gewaltig ausufernden Orchesterzwischenspielen, deren Monumentalität nicht verleugnet wird. Insbesondere die Blechbläser können dabei brillieren. Roland Kluttig hört vor allem bei Salomes Schlussgesang vieles neu, da steigen die Blechbläser fast schon sphärenhaft in Dreiklangsbildungen auf und erreichen ungeahnte Höhen, die von Simone Schneiders grandioser Sopranstimme sogar noch überstrahlt werden. Solche Sequenzen markieren in eindrucksvoller Weise das hohe musikalische Niveau dieser Aufführung. Dynamische Gegensätze arbeitet Kluttig hier wiederholt sehr klug heraus, da krachen Orchesterfluten gegen ungeheure Akkord-Blöcke, die zu zerbersten scheinen. „Das klingt ja, als ob einem lauter Maikäfer in der Hose herumkrabbeln!“, meinte Strauss‘ Vater zur „Salome“-Partitur seines Sohnes. Das hat sich Roland Kluttig wahrhaft zu Herzen genommen.

Nein, langweilig wurde es einem bei dieser Aufführung glücklicherweise nie, auch wenn Max Reger einst meinte, „Salome“ sei kein Wendepunkt in der neuen Musik. Ovationen dankten den Sängern, dem Dirigenten und dem Orchester. Vereinzelte „Buh“-Rufe gab es neben „Bravo“-Rufen für den Regisseur Kirill Serebrennikov (Licht: Reinhard Traub; Dramaturgie: Ann-Christine Mecke). 

Alexander Walther 

Diese Seite drucken


Viewing all articles
Browse latest Browse all 11208


<script src="https://jsc.adskeeper.com/r/s/rssing.com.1596347.js" async> </script>