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ERFURT: DON GIOVANNI – mit viel „Klimbim“-Dramaturgie. Premiere

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ERFURT: DON GIOVANNI

Theater Erfurt/ Don Giovanni von W.A. Mozart/ Premiere am 28.11.2015

 Don Giovanni mit viel „Klimbim“-Dramaturgie

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Copyright: Theater Erfurt

 Don Giovanni, was ist das für ein Typ? Diese Frage haben sich schon viele Opernregisseure gestellt. Wenn man sich Philipp Kochheims Überlegungen ansieht im Erfurter Programmheft, dann werden da große Erwartungen geweckt. Ein tiefgründiges psychoanalytisches Drama, die Bloßlegung eines Verführers, der gleichzeitig eine längst orientierungslos gewordene Gesellschaft offenbart. Die Geschehnisse werden verlegt in eine Uniklinik am Ende des 19. Jahrhunderts. Und Kochheim deutet in seinem Text an: „Wo er auftaucht, zerbersten die Fassaden.“ Ein bisschen ist Kochheim inspiriert von Thomas Manns „Zauberberg“. Ja, auch da gibt es viel Skurriles und Typentheater, werden Beziehungsgeflechte enttarnt. Kochheim verspricht: „Götter in Weiß, guruartig verehrt, aufstrebende Assistenzärzte, junge Schwesternschülerinnen und frühe Psychologinnen, Gesunde und Kranke, …im Zwischenreich von Eros und Tod, zwischen Virchow und Freud.“ Voila, die Zuschauererwartungen mit dem offenem Mündchen intellektuellen Staunens sind geweckt und natürlich die Frage: Wie wird Kochheim dieses psychodramatische Welttheater szenisch einlösen?

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Copyright: Theater Erfurt

 Kochheim schafft einige wirkmächtige Bilder der Verführungskunst, die Siyabulela Ntlale in der Rolle des Don Giovanni exzellent umsetzt. Er ist ein cleverer, machtgieriger Lebemann, dem man auch Galanterie und erotische Verführungskunst abnimmt. Ihm zur Seite steht Juri Batukov (Leporello), der als Diener eifrig und pfiffig unterwegs ist. Dafür wird er von Don Giovanni noch hart an die Kandare genommen. So weit, so stimmig in der Lesart Kochheims. Daneben wird viel Klamauk zelebriert. Ein mit Schweineeingeweiden herumwirbelnder und blutverschmierter Gregor Loebel als Masetto, eine Unterwäsche präsentierende Zerlina, die sich gern mit einem Besen schlagen lassen will. Vielleicht, ja vielleicht gehören diese fließenden Übergänge zum Peinlich-Grotesken auch zu diesem Mikrokosmos dieser verdrängenden Zeit. Doch zu oft gleitet Kochheims Regie ab in Sphären, wie man sie aus der Sendereihe „Klimbim“ kennt. Man fühlt sich erinnert an eine Ansammlung von schrägen Vögeln vom Bademantel-Opa mit Orden bis zur lasziv gigernden Ingrid Steger. Das Panoptikum erweist sich als umfangreich. Auch der steinerne Gast, Vazgen Ghazaryan als Komtur, endet auf diesem Niveau. Zwar geht Don Giovanni zu Boden und schreit auch einmal. Die Höllenfahrt beschränkt sich jedoch auf einen knappen Infarktschnapper und ein kleines Saufgelage schließt sich an. Der Komtur kommt als schnöder Mensch und sitzt dann am Tisch wie alle anderen Gäste. Von einem steinernen Gast, kann keine Rede sein. Da fehlt der Kontrapunkt des bestraften Wüstlings gänzlich und der dramaturgische Höhepunkt wird auf Kleinflamme-Niveau abgewickelt. Schade nur, dass Vazgen Ghazaryan als Komtur stimmlich mit seinem Bass diesen Blutgerinnungston trifft, aber ansonsten dramaturgisch in Beliebigkeit unterschwabelt. Und so plätschert die Inszenierung dahin. Schade eigentlich, denn einige Szenen waren vielversprechend, im Gesamteindruck bleibt eine Klimbim-Show zurück. Da werden auch mal Rollstühle vorbeigeschoben, Popos gewackelt und Schweinedärme geschwungen. Diese erotische-skurrile Melange spielt sich meistens vor schwach beleuchteter aber stilistisch passender Kulisse ab. Das ist Hank Irwin Kittel (Ausstattung) zu verdanken. Auch die Drehbühne bietet viel Szenenwechsel und entwickelt Dynamik. Die Party mit dem Chor vermittelt buntes Spektakel mit Clown-Kostümen, das ist für so eine Szene akzeptabel, aber vielleicht auch nicht so originell. Ein bunter Augenschmaus ist es natürlich schon. Die Bildstimmungen wirken insgesamt homogen. Die Düsterbeleuchtung lässt allerdings die Protagonisten manchmal zu sehr in der Kulisse verschwinden, was die Handlungseffekte zusätzlich vernebelt. Manchmal fällt Kochheim auch nichts anderes ein, als sechs Sänger von der Rampe aus singen zu lassen.

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Copyright: Theater Erfurt

 Joana Mallwitz (Musikalische Leitung) dirigiert das Orchester spritzig und mit viel Schwung. Dabei funktioniert die Sängerunterstützung sehr gut. Sie treibt die Dynamik bei den Arien voran und sorgt für symbiotischen Klang. Im Wechsel zwischen Arien und Rezitativen arrangiert sie einen guten Fluss. Joana Mallwitz erzeugt eine eigene Mozartsche Klangfarbe, wobei sich musikalische Ausdrucksform und Tempi absolut perfekt den Stimmorganen der Sänger harmonisch anpassen.

 Der Chor, in der Einstudierung von Irene Berlin, unterstützt die Aufführung szenisch wie gesanglich mit viel Vitalität.

 Einige Sänger zeigen sich von wechselnder Qualität. Margrethe Fredheim als Donna Anna und Stefan Cifolelli als Don Ottavio sind stimmlich starken Veränderungen ausgesetzt, mal brillieren sie, mal quetschen sie die Töne in verschiedenen Tonlagen. Ihre Gesangsleistungen variieren von Auftritt zu Auftritt. Stéphanie Müther als Donna Elvira und Daniela Gerstenmeyer als Zerlina überzeugen dagegen sehr. Beide singen ihre Partien in jeder Situation souverän und beherrschen dabei das Spiel ihrer Rolle. Voluminös und filigran zugleich, überzeugen ihre Stimmen an diesem Abend. Daniela Gerstenmeyer als Zerlina agiert koloratursicher und mit schauspielerischer Komik. Gregor Loebel als Bauernlümmel Masetto hat einfach eine freche und burschikose Überzeugungskraft. Und wenn zartere Gemüter die Augen schließen, während er im Schweinedarm wühlt, dann wirkt er rundum sympathisch. Juri Batukov (Leporello) wirkt wie für seine Rolle gemacht. Stimmlich präsent und rund trifft er die Töne mit viel Volumen und begeistert dazu mit seinem Spiel. Er verkörpert den Diener Leporello mit Spielwitz und hintergründig, melancholischem Humor, dadurch wirkt sein Spiel in sich noch einmal dialektisch. Ihm gegenüber steht ein brillant singender Siyabulela Ntlale als Don Giovanni. Seine Spiel-Energie teilt sich mit, leider kann er die mögliche tragische Komponente gar nicht zur Geltung bringen. So wird er durch die Regie ein wenig verwässert. Vazgen Ghazaryan (Komtur) erhält kaum Gelegenheit seine Spielfähigkeit vorzuführen, gesanglich zeigt er aber eine erstaunliche Wucht. Sein Bass ist an diesem Abend so kraftvoll wie gewohnt. Ghazaryan erweist sich auch als ausgezeichneter Mozartsänger und ist sicherlich auch ideal besetzt.

 Ob die Erwartungen, die Philipp Kochheim weckt, eingelöst werden, das können in Zukunft noch andere Zuschauer einschätzen. Für Orchester und Sänger gab es an diesem Abend viel Applaus.

Thomas Janda

 

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