OPER FRANKFURT: DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
Besuchte Vorstellung am 16.12.2015
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Wolfgang Koch (Holländer). Foto: Barbara Aumüller
In der Oper Frankfurt wurde die Romantik mit Geisterschiff und verfluchten Holländer durch eine realistische Sichtweise ersetzt, ohne dabei die Charaktereigenschaften der Protagonisten, wie vom Komponisten vorgegeben, wesentlich zu verändern. Die alles überragende dominante Figur ist der Holländer, dessen Motiv immer präsent ist. Er ist ein skrupelloser gewaltbereiter Boss aus dem Rockermilieu und zugleich ein Verlierer, weil er keinen Zugang zur Gesellschaft hat. Ein Außenseiter, der bestimmt nicht mit ehrlicher Arbeit zu seinem Vermögen gekommen ist und dem Tod schon mehrmals ins Auge gesehen hat, ebenso nicht zimperlich gegen sich selbst, das zeigt sich, wenn er schon einmal seine brennende Zigarette auf seiner Handfläche ausdrückt. Er versucht durch eine Beziehung mit einem Mädchen, eine innerliche Befreiung oder Anerkennung innerhalb der Gesellschaft zu erlangen. Er trifft auf den Norweger Daland, ein ebenfalls skrupelloser Kapitalist, dessen Herz höher schlägt, wenn es um Vermehrung seines Vermögens geht, wobei er nicht vor einer verkuppelten Heirat seiner Tochter Senta Halt macht. Dass diese Tochter keine normale Entwicklung erfährt, ist nur logisch. Sie hat sich eine Phantasiewelt aufgebaut, die mit Todessehnsucht verbunden ist. Erik, ihr zugedachter Verlobter, ein aufrechter Bürger, findet in dieser herzlosen Gesellschaft keine Bindung und ist ebenfalls ein Verlierer, weil ihm die gewünschte Beziehung zu Senta nicht erfüllt wird. So erklärt sich die wiederholt gestellte Frage, warum die Holländer Crew mit teuren Motorrädern ihren Auftritt hat und der umweltbewusste Erik mit dem Mofa auftritt. In dieser gezeigten Gesellschaft kommt eben ein ehrlicher Mensch auf keinen grünen Zweig. Wer versucht beim Regietheater, alle Szenen zu hinterfragen, wird nicht immer eine Erklärung finden, das ist gewollt, weil dadurch beim Besucher die Phantasie angeregt wird. Wer will, kann sogar bei der Ballade der Senta eine Ausbeutung der Näherinnen erkennen, wenn man das Gebäude als eine durch Baupfusch eingestürzte Fabrik erkennt, so dass die Mädchen bei spärlicher Beleuchtung im Freien arbeiten müssen.
Wenn Charaktereigenschaften in einer szenischen Darstellung sichtbar sind und eine Ergänzung zur musikalischen Ausarbeitung stattfindet, dann hat das Regieteam in der Regel vieles richtig gemacht. In der besuchten Vorstellung bestätigte das Publikum durch stürmischen Schlussapplaus diese Vermutung. Verantwortlich war der Regisseur David Bösch, für die meist in grau gehaltenen Kostüme Meentje Nielsen, für das eher dunkel gestaltete Bühnenbild Patrick Bannwart, das durch grelle Lichteffekte (Olaf Winter) erhellt wurde.
Die Oper Frankfurt richtet sich nach der Urfassung, wo es keine Erlösung gibt. Hier ist es so, dass am Ende die riesengroße Schiffschraube abbrennt und die Holländer Crew in die Dunkelheit der Nacht flüchtet und wahrscheinlich ihr Unwesen in einer anderen Gegend fortsetzen wird, während Senta verzweifelt alleine zurück bleibt.
Wagner und Strauss sind eigentlich Chefsache, aber hier übernahm das Dirigat der gefragte Bertrand de Billy. In der besuchten Vorstellung hörte man in der Ouvertüre einige Ungereimtheiten im Blech und war durch gewöhnungsbedürftige Pausen irritiert. Das änderte sich allerdings sofort im weiteren Verlauf, wobei die Sängerfreundlichkeit im Orchester zu spüren war. In dem Trailer der Oper Frankfurt sagt der Dirigent, dass er für den Holländer und den Erik eher lyrische Stimmen wolle. Als Grund könnte man annehmen, dass es bei der Uraufführung noch keine Wagner geschulten Sänger gab. Mit Wolfgang Koch als Holländer ist es der Oper Frankfurt gelungen, einen stimmgewaltigen, ausdruckstarken und akribisch arbeitenden Interpreten zu finden. Frau Erika Sunnegardh musste die Ballade der Senta in der Urfassung singen, die durch die höhere Transposition in der Partitur, an ihre stimmliche Grenze gestoßen ist, aber im weiteren Verlauf war glücklicherweise davon nichts mehr zu spüren. Vielleicht sollte sie in einigen Passagen im Duett mit dem Holländer lernen, sängerisch mehr auf den Partner einzugehen. Ob für Daniel Behle, der große Erfolge in Mozart- und Strausspartien gefeiert hat, die Partie des Erik ein einmaliger Ausflug ins Wagnerfach war, ist fragwürdig. Den Daland sang Andreas Bauer und in weiteren kleineren Rollen sangen die Mary, Tanja Ariane Baumgartner und den Steuermann, Michael Porter. Ein positives Ausrufezeichen gab es von dem Chor und Extra Chor der Oper Frankfurt unter der Leitung von Tilmann Michael. Er ist ein Juwel unter den Chordirigenten, das zeigte sich schon in seiner alten Wirkungsstätte im Mannheimer Nationaltheater, wo er schon mit Preisen ausgezeichnet wurde. Fazit: Durch Wolfgang Koch, ein weltweit auf allen großen Bühnen gefeierter Interpret und letztes Jahr in München zum Kammersänger ausgezeichnet, wird auch internationales Publikum angezogen. Dadurch wird das Haus bekannter, begehrenswerter und sorgt nicht zuletzt für ausverkaufte Vorstellungen.
Franz Roos