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KARLSRUHE: MACBETH – die Drehbühne als ermüdender Regie-Ersatz. Premiere

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Karlsruhe: „MACBETH“ 23.1. 2016 (Premiere) – die Drehbühne als ermüdender Regie-Ersatz

MACBETH Dobrzanska,Venter Karlsruhe Jan.2016

Nicht nur Abhängigkeit, auch Liebe zwischen den Macbeths: Barbara Dobrzanska + Jaco Venter. Copyright: Falk von Traubenberg

 Nicht dass die beiden Werke etwas miteinander zu tun hätten – aber die am Vorabend an der Stuttgarter Oper besuchte Aufführung von Janaceks „Jenufa“ lässt sich als idealer Vergleich heranziehen, um zwei Seiten einer wie auch immer gearteten „modernen“ Inszenierung aufzuzeigen. Dort ein zwar optisch eher abstoßendes, aber konzeptionell schlüssig durchgezogenes und unter Dauer-Spannung gehaltenes Drama, hier eine weit von der ursprünglichen Tragödie entfernte, neu konstruierte, auf der Bühne aber nur Behauptung bleibende und völlig uninteressiert, weil kalt lassende Oper, die ohne eine dauer-rotierende Drehbühne und wechselnde Lichtverhältnisse fast statischen Charakter aufweisen würde. Und weil die musikalische Komponente diese neue „Sichtweise“ durch ein umfassend hohes Niveau vor dem Desaster rettete, wäre letztlich die Entscheidung für eine konzertante Wiedergabe ertragreicher und damit sinnvoller gewesen.

Somit sei in dieser Bestandsaufnahme den Sängern und Instrumentalisten der Vortritt gewährt. Mit großer Spannung wurde das Rollendebut von Barbara Dobrzanska als Lady Macbeth erwartet. Die polnische Sopranistin, die ihr Repertoire überlegt und sorgsam in dramatischere Gefilde hat reifen lassen und das familiäre Ensembledasein internationalem Ruhm weiterhin vorzieht, geht die mit vielen Attributen belegte Partie gewissenhaft, genau in der Linie und ohne riskante Akzente an und bleibt ihr dennoch nichts an Dringlichkeit, an Verve und Durchsetzungskraft schuldig. Die strahlkräftige, kernig runde, sicher die größten Ensembles überwölbende Höhe ist ihr großes Kapital, mit der sie den vielen Intervallsprüngen ihres Parts spielerisch Herr wird und sie ebenso wie die leicht bewältigten Koloraturen des Trinkliedes zu mitreißender Wirkung steigert. Mittellage und Tiefe sind schmäler ausgeprägt und gestatten ihr dennoch in Verbindung mit großer dynamischer Expansion eine nuancenreiche Gestaltung. Sicherheitshalber dürfte sie beim akkurat intonierten hohen C am Ende der Wahnsinns-Szene auf das geforderte Piano verzichtet haben. Auch das ist ein Zeichen ihres klugen Stimmeinsatzes. Dass sie Verdis Intentionen einer weniger konstanten, expressivere Formen wagenden Stimme nicht erfüllt, passt zur beabsichtigten Rollenzeichnung des Regisseurs als nicht nur machthungrig dominierender, sondern auch liebender Frau. Dass sie selbst das nicht ganz glaubhaft vermitteln kann und überhaupt der zentralen Stellung der Lady keine entsprechende Persönlichkeit geben konnte, geht auf das Konto der wie schon oben genannt nur behauptenden Regie sowie einer unvorteilhaften und bis auf das blutdurchtränkte Kleid der Wahnsinns-Szene blassen Kostümierung.

Auf Augenhöhe mit ihr befand sich Jaco Venter als Macbeth. Sein nobler, bemerkenswert schön timbrierter und kultiviert geführter Bariton weiß genauso das kantable Reservoir dieser Rolle prachtvoll auszuschöpfen wie den Rezitativ –und Parlando-Abschnitten deutliches Profil zu geben. Die anfangs noch etwas erschwert angesteuerten Höhen gewannen mit Zunahme des Abends an Rundung und zuletzt an Fülle und Sicherheit, die seine letzte rekapitulierende Arie in Verbindung mit gekonntem Legato und weiten Bögen zu einem Höhepunkt Verdi’schen Belcantos werden ließ. Was diesen machthungrigen Mann bewegt, ihn in seiner Labilität zu Wahnvorstellungen treibt, bleibt wiederum Geheimnis der Regie.

Ebenso Bancos Gegenposition, mag ihm Konstantin Gorny mit imposant machtvollem, etwas hart gefärbtem, aber dennoch großzügig strömendem Bass und hinreichend Bühnen-Präsenz noch so viel Aufmerksamkeit sichern. Jesus Garcia schafft es in seiner mit Schmelz und Leidensemphase noch nicht ganz geschliffen absolvierten Arie unabhängig von seinem Episodendasein als Macduff zu berühren. Klaus Schneider unterstützte ihn als Malcolm im Kampfaufruf gegen Macbeth mit solidem Tenormaterial. Agnieszka Tomaszewska und Luiz Molz kommentierten Lady Macbeths Schlafwandelzustand mit ausreichendem Gehalt. Dass die Kammerfrau und der Arzt ein Paar bilden, das in zentraler Position mehr ins Blickfeld gerückt wird als der die Drehbühne auswandernden Lady, gehört genauso zu den Hinzudichtungen des Regisseurs wie die Umfunktionierung des von Ulrich Wagner für seine umfangreiche Aufgabe genauestens vorbereiteten und ausgewogen klangreich und differenziert singenden Badischen Staatsopern- und Extrachores zu Repräsentanten wechselnder Gesellschafts-Systeme. Johannes Willig vermag mit der überwiegend präzisen Badischen Staatskapelle vor allem eine genau den Sänger-Bedürfnissen zuarbeitende und den Harmonien gefühlvoll nachspürende Begleitung sowie einen guten Zusammenhalt der Ensembles gewährleisten, auch wenn so manche Schärfung und Komprimierung der instrumentatorischen Farben sowie eine kontinuierlichere Spannung sowie Zuspitzung der Finali deren erschütternde Wirkung noch steigern würde. Die von Hélène Verry ersonnene, weit entfernt von einer von Verdi bestimmten Pantomime liegende Pseudo-Choreographie zur komplett gespielten Ballettmusik der hier gewählten Pariser Version von 1865 konnte auch er nicht retten und ihre Berücksichtigung nicht rechtfertigen.

Auch die als Kinder der Machthaber eingesetzten Knaben des Cantus Juvenum Karlsruhe können nicht dazu beitragen, diese von der Regie von Holger Müller-Brandes versagte erschütternde Wirkung von Shakespeares Drama aufzufangen. Ein Teil davon geht auch auf das Konto von Philipp Fürhofers Bühnenkonzept (eine auf der Drehbühne beständig hin und her rotierende begehbare und mit Vorhängen verhängbare Riesenvitrine vor einer mit nächtlichen Großstadt-Blitzlichtern projizierten Wellblech-Rundwand), die ebenfalls von ihm entworfenen Kostüme mit diversen Smoking-Varianten und weißen Unterkleidern sowie riesigen Tüllröcken und die hauptsächlich mit einigen aussageschwachen Spiegelungen involvierte Lichtgestaltung. Alles zusammen negiert die aus der Musik heraus zu lesenden Atmosphären. Es muss ja nicht die uralte Schauer-Romantik bedient werden, doch Shakespeares Vorlage und Verdis daraus gefiltertes, damals innovatives Drama auf die Seite zu schieben und eine neue Geschichte zu konstruieren, in der die Rollen zurecht gebogen werden, dazu gehört schon eine gehörige Portion an Ignoranz und Besserwisserei.

Kurz und gut: König Duncan und seine Nachfahren repräsentieren das alte Patriarchat des Mannes, denen die Frauen Nachkommen zu gebären haben. Die Macbeths streben als Vertreter einer neuen Gesellschaftsform, in der sich Männer und Frauen auf Augenhöhe begegnen, nach der Macht. Am Ende werden sie bekämpft und wiederum von der alten Form abgelöst. In diesem Kontext sind Hexen aus der Perspektive der Männer emanzipierte Frauen. Es lohnt sich nicht weiter auf die völlig neu formulierte Inhaltsangabe einzugehen, ohne deren Lesen ein einziges Fragezeichen über dem Bühnengeschehen stehen würde, und mit deren Kenntnis kaum weniger Fragen offen bleiben, weil die Regie so gut wie nichts von dem vermitteln kann, was diese Menschen darstellen und was sie bewegt. Offensichtlich sollte die oben erwähnte, fast immer in Bewegung gehaltene Raumkonzeption das ersetzen, was die Hand des Regisseurs nicht vermochte.

Das musikalische Personal wurde zwar gebührend gefeiert, aber nach dem so gut wie einhelligen Buh-Orkan für das Regieteam riss die Begeisterung abrupt ab. Das Urteil war deutlich genug, auch wenn die Sänger auf diese Weise wie in solchen Fällen schon öfter erlebt um eine verdient längere Publikumswürdigung gekommen sind.

Und: wenn wir schon bei einem Stück um Machtverhältnisse sind – es wäre wirklich an der Zeit, seitens der Theaterleitungen mal über eine Lockerung der Macht der Regisseure zugunsten der Aktiven auf der Bühne nachzudenken……..                                   

Udo Klebes

 

 

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