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STUTTGART/ Staatsoper: HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN – ein verzweifelter Tagtraum

Hoffmanns Erzählungen“ von Offenbach in der Stuttgarter Staatsoper

EIN VERZWEIFELTER TAGTRAUM

Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ am 24. März 2016 in der Staatsoper/STUTTGART

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Marc Laho, Mandy Fredrich. Copyright: A.T. Schaefer/ Staatsoper Stuttgart

In Christoph Marthalers Stuttgarter Inszenierung sieht man ein großes Atelier mit einer Bar und weiträumigem Ambiente, in dem die Maler sich ihren Aktmodellen widmen. Der Künstler Hoffmann befindet sich in einer Schaffens- und Liebeskrise – und wird von seiner Muse verfolgt. Picasso und Dali haben bei dieser betont surrealen Welt deutlich Pate gestanden, wobei die „Barcarolen“-Szene zu unromantisch wirkt. Es fehlt eindeutig das geisterhaft-metaphysische Ambiente, alles bleibt irgendwie in einem statischen Raum hängen. Stärker und besser gelungen ist Marthaler Hoffmanns Begegnung mit den drei Frauen, die ihn prägen: die mechanische Olympia, die geheimnisvolle Sängerin Antonia und die grausame Kurtisane Giulietta.

Die weiteren Figuren erscheinen ihm auch in dieser insgesamt abwechslungsreichen Inszenierung als Engel und Teufel. Wie die alkoholisierte Männerrunde zwischen einer Bar und Billardtischen über das Leben spricht, ist bei dieser Aufführung in mehr als einer Hinsicht bemerkenswert. Die Personen scheinen von Dämonen befallen zu sein und bewegen sich in konvulsivischen Zuckungen fort. Da wird Christoph Marthaler der Welt des „Gespenster-Hoffmann“ sehr gut gerecht. In einer grotesken Kette von immer neuen Erzählungen erscheinen die bizarren Wesen, Objekte und Frauengestalten, machen den Dichter vollends verrückt. Konkurrenten muss er mit letzter Kraft aus dem Weg schaffen, um überleben zu können und nicht zu verzweifeln. Die Realität erfährt somit eine deutliche Erweiterung im Traum, bis Hoffmann schließlich bewusstlos zusammensinkt. Ein sehr wichtiger Text wird der Stella-Figur in den Mund gelegt, nämlich Fernando Pessoas „Ultimatum“: „Allgemeiner Bankrott von allem wegen allen!…Bankrott der Völker und Schicksale – totaler Bankrott!“ Diese vernichtende sprachliche Formel des Industriezeitalters wird Hoffmann von Stella entgegengeschleudert, wobei er sich kaum zu wehren weiß. Das ist ein starkes Bild in dieser mit manchen szenischen Schwächen kämpfenden Inszenierung. Hoffmann liebt diese Frau, deswegen treffen ihn diese Worte doppelt hart. Er steht dann mit leeren Händen da, was Christoph Marthaler drastisch herausarbeitet. Ein Übermaß an Sehnsüchten macht dem Dichter hier schwer zu schaffen. Zuweilen geht auch das Licht aus, die zeigerlose Uhr verdunkelt sich, die unheimliche Atmosphäre wirkt dadurch etwas glaubhafter. In den surreal verzerrten Szenerien seiner Erfindungen ist Hoffmann rettungslos gefangen. Da gibt es kein Entrinnen.  Dieser Aspekt kommt bei der Inszenierung gut zum Vorschein (Bühne und Kostüme: Anna Viebrock; Regie-Mitarbeit: Joachim Rathke; Choreographie: Altea Garrido).

Noch besser gefällt jedoch die musikalische Leistung an diesem Abend. Man spürt, dass Sylvain Cambreling das betont französische Flair dieser zuweilen satirisch zugespitzten Musik besonders gut liegt. In zahlreichen kontrapunktischen Kaskaden, Arabesken und Verzierungen sprüht viel Witz, Charme und Esprit hervor. Das Staatsorchester Stuttgart und der wieder glänzend einstudierte Staatsopernchor Stuttgart folgen den Intentionen des Dirigenten. So kann sich vor allem die hinreißende Melodik bestens entfalten. Der Geist der französischen Opera comique blitzt immer wieder leuchtkräftig auf, der Giulietta-Akt beschwört eine farbenreich-glutvolle venezianische Nacht. Und die Antonia-Handlung erinnert vor allem in den Horn-Sequenzen oftmals an den dämonischen „Freischütz“ eines Carl Maria von Weber.

In Stuttgart wird die Fassung des ersten und zweiten Aktes in der Bearbeitung von Fritz Oeser vorgestellt. Cambreling bietet eine neue Lösung für den Giulietta-Akt an. Dabei gibt es die meisten Abweichungen von den anderen Fassungen. Oeser hat nämlich die Spielszene mit Frauenchor komplett hinzuerfunden. Sylvain Cambreling hat auch den Text aus dem Zensurlibretto übernommen. Niklas tritt hier in seinen Arien als Muse auf. Vor allem legt Sylvain Cambreling zusammen mit den Sängerinnen und Sängern großen Wert auf den Charakter der großen durchkomponierten Oper. Die Grenzen zwischen Opernsprache und Bühnenmusik verfließen.

Sehr schön macht dies Mandy Fredrich als Antonia mit ihrer voluminösen Sopranstimme deutlich. Der chromatische Terzgang drängt sich Antonia hier bei der Erinnerung an Hoffmann bei dieser Interpretation extrem klar auf. Glanz und Macht ihrer Stimme zeigt den Zauber der Opernsprache, während sie beim Lied in den schlichten Ton der Bühnenmusik zurückfällt. Dass sich Antonia von ihrer Mutter (ausgezeichnet: Maria Theresa Ullrich) dazu verführen lässt, mit äußerster Anstrengung zu singen, löst dann die tödliche Katastrophe aus. Antonia stirbt in einer Crescendo-Steigerung. Stark akzentuiert sind außerdem die Erinnerungsmotive, die Sylvain Cambreling mit dem glänzend disponierten Staatsorchester ebenfalls eindrucksvoll herausarbeitet. Marc Laho als traumatisierter Hoffmann profitiert davon, dass der Dirigent die Stimmen nie zudeckt und ihnen genügend Freiraum lässt. Geheimnisvolle Motivbeziehungen verbinden auch die anderen Sängerinnen und Sänger untereinander, was ein großes Plus dieser Aufführung ist. Der musikalische Fluss geht so nämlich ineinander über. Dies zeigt sich bei Sophie Marilley als Muse, Niklas, Lindorf, Coppelius, Mirakel ebenso wie bei Alex Esposito als Dapertutto, Andres, Cochenille und Franz. Auch Torsten Hofmann als Pitichinaccio, Ana Durlovski als mit filigranen Koloraturen aufwartende Olympia, Simone Schneider als grandiose Giulietta und Begona Quinones als Stella wachsen ganz zusammen. Thomas Elwin vermag Nathanael starke Klangfarben zu verleihen, Dominik Große überzeugt als sonorer Hermann. Grotesk wirkt insbesondere Spalanzani in der hervorragenden Darstellung von Graham F. Valentine, der mit schnarrender Stimme extreme schauspielerische Akzente setzt, als er die aus dem Experimentierkasten herausgestiegene Olympia als seine Tochter vorstellt. Eric Ander als mit schlanker Stimme agierender Schlemihl und Roland Bracht als stimmgewaltiger Luther und Krespel fügen sich in diesen bemerkenswerten Gesangsreigen sehr gut ein. Zusammen mit der Statisterie der Oper Stuttgart können sich außerdem die Tänzerinnen und Tänzer überzeugend profilieren, die die dämonische Aura der Handlung unterstreichen.

Diese Koproduktion mit dem Teatro Real Madrid ist durchaus sehenswert. Entsprechend großen Jubel und Schlussapplaus gab es für das Ensemble. 

Alexander Walther           

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