Stuttgart: „TOSCA“ 30.3.2016 – Übermacht des Bösen
Mühelose vokal-darstellerische Autorität contra Kirchenvolk: Sebastian Holecek (Scarpia) mit dem Staatsopernchor. Copyright: A.T.Schaefer
Bald hat Willy Deckers 1998 erstmals gezeigte Inszenierung des Puccini-Klassikers die hundertste Aufführung auf dem Buckel. Das ist ihr aber ebenso wenig anzusehen wie sie in ihrer klassischen Zeitlosigkeit das Bedürfnis nach einer neuen „Sichtweise“ weckt. Bei guter Pflege, wie sie an der Oper Stuttgart Usus ist, dürften ihr noch weitere Jahrzehnte beschieden sein – weil sie in den schlichten Räumen und historisch adäquaten Kostümen von Wolfgang Gussmann sowohl einen kongruenten Rahmen aufweist als auch in ihrer vorherrschenden Schwärze und Lichtgestaltung Puccinis Stimmungs-Malerei symbolisch einfängt. Innerhalb einer bis heute in den wesentlichen Details aufrecht erhaltenen Personenregie besteht für die Akteure genügend Freiraum, um die bei diesem Stück in besonderem Maß geforderte Eigeninitiative ergreifen zu können.
Mörderischer Affekt: Adina Aaron (Tosca) und Sebastian Holecek (Scarpia). Copyright: A.T.Schaefer
In dieser Vorstellungsserie dominierte trotz vieler positiver Werte des Liebespaares das Böse in Gestalt von Sebastian Holeceks Scarpia. Vom ersten überrumpelnden Auftritt in der Kirche an beherrscht er sein Umfeld durch eine bestimmende Autorität und ein schillerndes Vexierspiel mit seinen Gegnern zwischen Sarkasmus und einschmeichelnder Noblesse. Dieses bildet jedoch nicht nur darstellerische Vordergründigkeit, es geht Hand in Hand mit seinem ebenso sattelfesten wie formbaren Bariton, der in dynamischer Hinsicht vom donnernden Forte bis zu leiser Bedrohlichkeit nichts unter den Tisch kehrt. Und dazu noch mit einem angenehm männlich virilen Timbre sowie einer spielerischen Technik gesegnet ist, die ihm erlaubt die Partie in all ihrer Divergenz mühelos mit prachtvollem Klang und expressiver Deklamation auszufüllen. Ein paradoxer Fall, wenn es denn schwer fällt, von diesen bösen Mächten nicht fasziniert zu sein.
Zusammenhalt in Gefahr: Adina Aaron (Tosca) und Dmytro Popov (Cavaradossi). Copyright: A.T.Schaefer
Erstmals am Haus als Cavaradossi war auch Dmytro Popov zu erleben. Anfängliche Härten und etwas kantige Phrasierungen wichen bald einer geschmeidigeren Gesangslinie, in die der leicht metallisch kühle und wenig individuell timbrierte Tenor große melodische Bögen auszuformen und gut sitzende glanzvolle Höhenausbrüche einzubinden wußte. Legato und Piano-Nuancen wären noch weiter auszubauen, um aus dem achtbaren, als Künstler und Revolutionär emotionell glaubwürdigen Rollenportrait ein restlos beglückendes werden zu lassen.
Adina Aaron machte als Tosca bereits vor zwei Jahren nachhaltig auf sich aufmerksam und überzeugte auch jetzt wieder durch die ihrem bewegend interpretierten Bekenntnis „Vissi d’arte“ alle Ehre machende Erscheinung und Gestaltung. Anfangs etwas spröde mit angeschliffenen Tönen, öffnete sich ihr dunkler, üppiger und auch in den Spitzen expressiv rund bleibender Sopran zu blühender Entfaltung in inniger Ergriffenheit bis zur leidenschaftlichen Emphase. Die Diva kommt dabei gleichermaßen zum Vorschein wie die Liebende.
Treffende Charakterstudien bei den kleineren Rollen: Karl Friedrich Dürr (Mesner), Ashley David Prewett (Angelotti), Heinz Göhrig (Spoletta), Solides seitens der Stichwortgeber Stephan Storck (Sciarrone) und Ulrich Frisch (Schließer) und wehmutsvoll Berührendes von Catharina Heller (Stimme des Hirten). Chor- und Kinderchor der Staatsoper sorgten für Gänsehaut-Momente in der Kirche und Spannung im Te Deum, dessen nachklingende, sich überlagernde Fanfaren seitens des Dirigenten Simon Hewett leider so verhetzt wurden, als könnte der Akt nicht schnell genug beendet werden. Ansonsten agierte der Erste Kapellmeister als geschickter Vermittler zwischen den vokalen Bedürfnissen und der gleichwertigen Funktion des klanglich vor allem mit schön ausgehorchten Soli aufhorchen lassenden Staatsorchester Stuttgart. Gleichmäßig verteilter rauschender Beifall für die Protagonisten.
Udo Klebes