NEW YORK / WIEN Die „Met“ im Kino:
MADAMA BUTTERFLY von Giacomo Puccini
2. April 2016
Man muss zu dem englischen Ausdruck „stylish“ greifen, um voll zu würdigen, was der mittlerweile verstorbene britische Regisseur Anthony Minghella (Filmfreunden u.a. durch „Der englische Patient“ unvergessen) mit dieser „Madama Butterfly“ erst an der English National Opera, dann an der Metropolitan Opera geschaffen hat.
Die Inszenierung steht seit zehn Jahren auf dem Programm, und zwei der Premierensänger, die Suzuki der Maria Zifchak und der Sharpless des Dwayne Croft, waren wieder dabei. Wie sie der Gastgeberin Deborah Voigt erzählten, war die bis ins kleinste Detail ausgefeilte Personenregie ein Teil des Erfolgs, und gerade an ihren Figuren ließ sich das zweifelsfrei nachvollziehen – abgesehen davon, dass Carolyn Choa, Minghellas Witwe und von Anfang an Choreographin des Abends, nun auch bei der Wiederaufnahme dafür sorgte, dass die beiden Hauptdarsteller in den ihnen vertrauten Rollen von Butterfly und Pinkerton tatsächlich Gänsehaut-erzeugende Porträts lieferten.
Das Geheimnis von Minghellas Inszenierung besteht einerseits in ihrer ebenso stilsicheren wie geschmackvollen Beschwörung „echt“ japanischer Elemente, schon in dem ganz kahl-abstrahierten Bühnenbild von Michael Levine, das sich im Grunde nur mit den leichten Wänden japanischer Häuser und einer Treppe im Hintergrund begnügt, aus der sich hinreißende Auftritts-Wirkungen (vor allem des Chors) ergeben, wobei noch poetische Elemente wie Lampions und schwebende Blüten hinzukommen. Gar kein Kitsch, alles reine Poesie.
Andererseits hat Minghella neben reichen choreographischen Möglichkeiten auf die Elemente des japanischen Bunraku-Puppentheaters zurück gegriffen, was vor allem für das Kind der Butterfly eingesetzt wird. Diese Puppen werden von gänzlich schwarz gekleideten Männern geführt, und der Effekt, dass man sie als Zuschauer „ausblendet“, als wären sie nicht da, stellt sich unweigerlich ein. Nie war das Kind so ausführlich präsent wie die kleine Puppe, nie ist es so lebendig, dermaßen als vollgültiger Mitspieler erschienen. Die „schwarzen“ Bunraku-Männer winken nicht nur darüber hinaus mit den Laternen und Blüten, die solcherart magisch durch die Lüfte zu schweben scheinen, sondern bestreiten auch das Ballett zu Beginn des dritten Aktes, wenn Butterfly sich ihr Wiedersehen mit Pinkerton erträumt…
Ein Rahmen, der in allem so schlicht gehalten ist, fokusiert weit mehr als es japanische Ausstattungs-Orgien vermögen, auf die Figuren. Und man kann diese Oper immer wieder, mit vielen Interpretinnen erlebt haben – so atemlos mitgerissen wie durch die lettische Sopranistin Kristine Opolais war man selten. Wozu zu sagen ist, dass die Met-Übertragungen auf der großen Leinwand jenen Sängern, die gut aussehen (und, zusätzlich, auch beim Singen gut aussehen) und schauspielerisch differenzierte Leistungen bringen, natürlich sehr zugute kommen. Man rückt ihnen quasi auf den Leib – und konnte in ihrem Fall genau beobachten, wie sie jedes Detail der Rolle erfüllte, von dem unsicheren, gewissermaßen unschuldigen, verliebten jungen Mädchen des ersten Aktes zu der wartenden Frau des zweiten, die die Hoffnung in verzweifeltem Widerstand gegen die Realität nicht aufgeben will, über die entsetzliche Erkenntnis des zerstörten Lebens (immer durchwirkt von der überquellenden Liebe zu dem Kind) im dritten Akt bis zu dem mit schrecklicher Folgerichtigkeit und Entschlossenheit vollzogenen Ende – faszinierend in jedem Detail. Dazu kommt, dass die Opolais absolut die Mittel und die Durchhaltefähigkeit besitzt, um die letztlich durchgehende Dramatik der Rolle mit ihrer schlanken, kraftvollen Stimme zu erfüllen. Und wenn man das Timbre lieber wärmer und geschmeidiger hätte, fällt das in die Kategorie „Man kann nicht alles haben“. (Die Idee wird man nicht los, dass die Netrebko mit ihrer herrlich „cremigen“ Stimme eine großartige Butterfly sein müsste.) Wenn man sich am Ende mehr oder minder verschämt die Tränen aus den Augen wischt, weiß man, dass eine Madame Butterfly nicht mehr erreichen kann als Kristine Opolais an diesem Abend.
Minghella bietet in dieser Inszenierung das Schicksal einer Frau, die an enttäuschter Liebe stirbt. Dafür muss nun Pinkerton aber nicht der leichtfertige Verbrecher der weißen Herrenrasse sein, der sich halt ein exotisches Pupperl kauft und wieder wegwirft. Roberto Alagna spielt, wie er auch im Pausengespräch erklärte, einen verliebten jungen Mann, der sich auf die Hochzeit als nicht ernst genommenem Ritual einlässt, weil er sich in diese Butterfly aus ganzem Herzen verliebt hat. Und so jung und stürmisch und selbst liebenswert verkörpert er ihn dann auch. Im dritten Akt ist er ganz Reue, ehrlich verzweifelt darüber, was er da gedankenlos verbrochen hat. Stimmlich gewaltig auftrumpfend, mit geringen Unsauberkeiten, scheint Alagna dauernd beweisen zu wollen, dass er auf Wagner zugeht, wenn er auch immer noch der (wenn auch nicht mehr ganz so schmelzende) Puccini-Liebhaber (mit Stahlkern) ist.
Der so großartig gestaltete Sharlpess des Dwayne Croft (selten hat man des Konsuls Anteilnahme so intensiv miterlebt) lässt vergessen, dass die Stimme schon ein bisschen trocken und angestrengt klingt. Und auch die Suzuki der Maria Zifchak geht so unter die Haut, dass man hinnimmt, wie sehr sie eigentlich die korrespondierende Mezzo-Farbe der Stimme schuldig bleibt. Von den Comprimarii holte Tony Stevenson jeden Effekt aus dem intriganten Kuppler Goro, war Yunpeng Wang (zwar Chinese, nicht Japaner, aber wer wird schon so kleinlich sein) ein höchst „authentisch“ wirkender, abgewiesener und mit bösen Gesten reagierender Yamadori und Stefan Szkafarowsky ein weniger „echt“, aber bedrohlich genug wirkender Bonze.
Für Karel Mark Chichon war es sein Debut an der Metropolitan Opera, im ersten Akt eindeutig zu überhastet (mit kurzen Schwimmfesten des Chors), dann zu etwas mehr Ruhe findend, die Sänger nicht bedrängend, aber immer Puccinis Dramatik zugunsten der lyrischeren Elemente ausreizend. Aber mit diesen Hauptdarstellern hatte man gar keinen Einwand, als man den Abend verließ.
Renate Wagner