STOCKHOLM: FALSTAFF – Premiere der Wiederaufnahme am 2. April 2016 (Werner Häußner)
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Die Kungliga Operan Stockholm. Foto: Werner Häußner
Diesen Ritter haut nichts um. Ein Mann voll Saft und Kraft ist er, und selbst wenn er vom modrigen Flusswasser der Themse durchtränkt vor dem Gasthaus zum Hosenbande friert, ficht ihn der üble Lauf der Welt nicht wirklich an. Renato Girolami macht das mit einem stets üppig gefüllten Bariton deutlich. Zwischentöne gibt es bei dem „Falstaff“-Debüt des italienischen Sängers an der Königlichen Oper Stockholm nicht: Girolami ist immer obenauf, schmettert selbst die Sätze, in denen ein reflektierter Tonfall nicht von Schaden wäre. Ein kraftvolles, geradliniges, von keiner Blässe des Gedankens angebleichtes Porträt der gemeinsamen Kreation von Shakespeare, Boito und Verdi.
Und ein schöner Beitrag zum Shakespeare-Gedenken. Vor 400 Jahren verließ der unsterbliche englische Dramatiker die Bühne der Welt – und Arrigo Boito, Verdis inspirierender Librettist, ruft ihm sein „Tutto nel mondo è burla“ nach. Regisseurin Ann-Margret Pettersson, die große alte Dame der schwedischen Opernregie, hat in ihrer Inszenierung von 2008 – die jetzt wieder aufgenommen wurde – das Personal der Oper an der Rampe versammelt; Falstaff reißt sich Perücke und Wams vom Leib und sitzt vergnügt auf dem Souffleurkasten – ein Mann von heute, der dem Publikum entgegenruft: „tutti gabbati“. Ja, wir sind alle die Gelackmeierten. Das Leben – kein nichtig-böser Witz, wie es Jago verkündet. Aber vielleicht nur eine leichtgewichtige Komödie?
Die distanzierte Haltung der Commedia dell’arte, auf die sich Boito virtuos bezieht, taucht in der Ausstattung von Lennart Jirlow mehr noch auf als in den ein wenig historisierend geschnittenen, farbenfrohen Kostümen von Ann-Margret Fyregård. Das Gasthaus der ersten Szene prägt noch eine realistische Note, das Domizil der Fords dagegen ist eine heiter bemalte Kinderbuchseite. Da ist nichts mehr „real“, alles Imagination. Auch der Zaubergarten im Finale könnte aus einem naiven Papiertheater kommen. Dass die Wiederaufnahme vor allem von diesen reizenden Bildern lebt, ist das Schicksal solcher Produktionen, denen irgendwann in ihrer Geschichte dann die formende Hand der Regie fehlt.
Dennoch: Der Stockholmer „Falstaff“ profitiert auch von den manchmal stereotyp agierenden, aber bewegungsfreudigen Darstellern. Die werfen sich sängerisch mächtig ins Zeug, allen voran Girolami, dem zwar nicht die komischen Noten seines bewusst verdünnten Pianos und seiner Falsett-G’spassln fehlen, wohl aber manchmal eine übers saftige Fluten des Tons hinausgehende dynamische Differenzierung. Ola Eliasson ist als Ford ein Stück weiter: ein ausgesprochen klangschön singender, sorgsam artikulierender und auch zu Zwischentönen fähiger Gestalter.
Das agile Quartett der Damen lässt in manch harten Tönen den stilistischen Schliff vermissen. Marianne Eklöf hat eher metallisches Blitzen statt satten Contralto-Samt für die „Reverenza“-Grüße der Quickly, Sara Olsson singt eine gewitzte, höhensichere, aber ein wenig unelastische Alice Ford. Susann Végh und Vivianne Holmberg als Meg Page und Nannetta nehmen eher durch Solidität als durch besonders inspiriertes Singen für sich ein. Das trifft auch auf den Fenton von Klas Hedlund zu – einer jener Tenöre, bei denen ein „schlanker“ Ton in Wirklichkeit eher kernlos und ohne Charme und Schmelz emittiert wird. Bei Niklas Björling Rygert (Cajus), Daniel Ralphsson (Bardolfus) und John Erik Eleby (Pistol) lässt sich manch gequälter Ton nicht überhören.
Unter Lawrence Renes beachtet die Königliche Hofkapelle die Details in Verdis Partitur genau, verkleistert kein staccato, widmet sich mit Liebe den Akzenten, gibt sich auch dem trockenen Brio hin, mit dem Verdi eher in kleinen Strichen skizziert als in großen Bögen malt. Dass die Musik immer wieder zu laut wird und dann zu gewichtig aus dem Graben dröhnt, scheint der Akustik des Hauses geschuldet zu sein – Dirigenten müssen stets eher zügeln als die Musiker befeuern.
Am Ende richtet Lichtdesigner Hans-Åke Sjöquist zwei Spots auf die Porträts von Verdi und Shakespeare auf dem Zwischenvorhang, auf dem ein buntblumig umranktes Notenband die unsterbliche Schlussfuge zitiert. Der alte Verdi ist uns allerdings vorher schon begegnet: In Falstaffs Abrechnung mit dem Begriff der Ehre im ersten Bild steht ein graubärtiger Greis mit Hut und Stock am Tresen und prostet dem Ritter schließlich zu – ein Mann, wie er uns auf den alten Fotos aus Verdis letzten Jahren entgegenblickt.
Werner Häußner