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WIEN/ Theater an der Wien: CAPRICCIO. Premiere

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Premiere „Capriccio“ von Richard Strauss – Theater an der Wien – 18. April 2016

Gürbacas poetisches Strauss-Wunderwerk

Was ist wichtiger, die Musik oder das Wort? Um diese Frage dreht sich Richard Strauss’ 1942 in München uraufgeführte Oper „Capriccio“. Ein Dichter und ein Komponist sind beide in die Gräfin Madeleine verliebt. Sie aber kann sich nicht entscheiden, ob die Musik oder der Text wichtiger sind, bzw. ob sie Olivier (Text) oder Flamand (Musik) liebt.

Die Oper wurde mitten im zweiten Weltkrieg geschrieben.

Regisseurin Tatjana Gürbaca lieferte eine großartige, höchst intelligente Regiearbeit und damit ihr gelungenes Debüt am Theater an der Wien ab. Bühnenbildner Henrik Ahr zauberte ihr eine weiße Kastenbühne mit großen Stufen und drei Cembali auf die Bühne. Gürbaca sprang durch die Zeiten, so begann die Inszenierung am Schlachtfeld, wo alle Künstler tot auf den Stufen lagen. Später trugen sie abwechselnd Piratenkostüme, Barockperücken und sogar moderne Sonnenbrillen. Der italienische Sänger war ein Priester, der ein Begräbnis organisierte, Monsieur Taube kein Souffleur, sondern ein Zauberkünstler, der einen goldenen Mini-Panzer aus dem Zylinder zauberte. Der Dichter Olivier sah aus wie Hugo von Hofmannsthal, der Komponist Flamand wie Mozart. Die Gräfin und ihr Bruder, der Graf, sahen beide zeitlos aus, mit langen, platinblonden Haaren (kreative Kostüme: Barbara Drosihn). Ein besonderes Lob gilt den genialen Lichteinstellungen von Stefan Bolliger, welche sich kontinuierlich, teilweise bunt, veränderten. Einen Buhruf gab es im Publikum, als die männlichen Hauptdarsteller eine Puppe massakrierten. Zum Schluss verabschiedet sich die Gräfin von allen Beteiligten und wählt weder die Musik noch den Text aus. Alle verlassen die Bühne. Das ist alles so wunderbar poetisches und echtes Theater, wie man es nicht oft im Theater erleben kann. Tatjana Gürbaca hat einen Nerv beim Zuschauer getroffen. Ein Erlebnis.

Maria Bengtsson sang die Gräfin mit beeindruckendem Pianissimo. Manchmal hatte man den Eindruck, sie flüstert die Töne. Diese Leistung ging unter die Haut. Besonders der große Schluss der Gräfin, wenn sie hin und her gerissen ist, zwischen der Musik und dem Wort. Den Grafen gab Andrè Schuen mit selbstbewusstem Bariton. Die besonders in der Höhe sehr anspruchsvolle Partie des Komponisten Flamand gestaltete Daniel Behle exquisit. Eindringlich und mit angenehmem Bariton punktete Daniel Schmutzhard als Dichter Olivier. Ein gelungenes TAW-Debüt konnte Tanja Ariane Baumgartner als ausdrucksstarke Clairon feiern. Köstlich präsentierte sich Lars Woldt mit sonorem Bass als hochnäsiger Theaterdirektor La Roche. Jörg Schneider als Italienischer Sänger wurde zwar als erkrankt angesagt, davon merkte man aber kaum etwas. Er und seine Partnerin Elena Galitskaya (Italienische Sängerin) lieferten eine komödiantische Höchstleistung ab. Der Monsieur Taube von Erik Arman gehörte ebenso zur Haben-Seite dieser Aufführung wie der beinahe permanent szenisch anwesende Haushofmeister, gesungen von Christoph Seidl. Die Diener waren überzeugend besetzt. Die Tänzerin Agnes Guk begeisterte mit ihrer wunderschönen pantomimischen Darstellung.

Bertrand de Billy erwies sich als feinfühliger Dirigent von Strauss’ letzter Oper. Dieses Stück ist nicht auf den herrlichen lauten Sog des „Rosenkavalier“ aufgebaut, sondern betont das Kammerspiel und die Liebe zum Detail. De Billy erfüllte das alles, kongenial unterstützt von den Wiener Symphonikern.

Dass es für das Regieteam Buhrufe geben würde, war zwar vorhersehbar, doch in der Lautstärke wie sie am Schluss ertönten waren sie völlig übertrieben und unnötig. Die Bravos hielten tapfer dagegen. Für die musikalische Seite gab es einhelligen, starken Jubel.

Fazit: Gürbacas Inszenierung ist das Highlight der 2015/16-Saison am Theater an der Wien. Außerdem wird herrlich gesungen und musiziert. Ansehen!

Sebastian Kranner

 

 

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