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WIEN / NEW YORK Die „Met“ im Kino: ELEKTRA

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Met Elektra  04.2016 x~1

WIEN / NEW YORK  Die „Met“ im Kino:
ELEKTRA von Richard Strauss
30. April 2016
 

Wenn wir uns derzeit (zurecht, wie wir meinen) darüber beschweren, dass wir einen Graz / Bregenz-Aufguß (oder Abklatsch) von „Turandot“ an der Staatsoper haben, so sind echte, deklarierte Co-Produktionen heutzutage üblich. Die „Met“ wird sich ihre Eröffnungspremiere der nächsten Saison, den „Tristan“, aus Baden-Baden holen, und sie bringt nun – was allerdings ein Glücksfall ist – die „Elektra“, die im Sommer 2013 in Aix-en-Provence herausgekommen ist. Es war die letzte Arbeit des legendären Patrice Chéreau (der einst den Bayreuther „Jahrhundert-Ring“ schuf), der im Herbst desselben Jahres dann viel zu jung verstorben ist.

Opernfreunde sind ja heutzutage nicht verloren, wenn sie nicht überall hinreisen können, die DVDs vermitteln zumindest einen Eindruck von Inszenierungen und Künstlerleistungen. Man kennt also diese szenisch spartanische Aufführung (Richard Peduzzi schuf einen „Beton“-Hof für die Atriden, nicht mehr, nicht weniger, Caroline de Vivaise ist für die Fetzen aller und ein hoch elegantes Outfit für Klytämnestra verantwortlich), die sich im Grunde ganz auf die drei Frauen und die psychologische Ausreizung jedes Details konzentriert.

Einige „Alternativen“ zum Üblichen sind nun auch in New York erhalten – dass Klytämnestra auf der Bühne gemordet wird (dazu schiebt sich ein Dekorationsteil nach vorne), dass Orest die Ermordung von Aegisth dem Pfleger überlässt (üblicherweise erledigt er das selbst – hinter der Bühne), dass Elektra am Ende nicht in ihren Triumphtanz ausbricht (und dann zusammenbricht), sondern nur noch taumeln kann, um schließlich wie paralysiert sitzen zu bleiben – erstarrt in einer rätselhaften Leere… das ist faszinierend.

Am wenigsten begreift man, wieso Orest am Ende demonstrativ aus dem Tor abgeht, wo sein Auftritt eigentlich gar nicht mehr vorgesehen ist (und wohin geht er? Mordauftrag erledigt, jetzt lässt er die Familie allein? Passt nicht zu ihm). Aber dass man mit dem Ende alles Mögliche deichseln kann, hat ja zuletzt Uwe Eric Laufenberg (und gar nicht so überzeugend) in Wien gezeigt…

In Aix hatte Chéreau Evelyn Herlitzius für die Titelrolle, von allen Hochdramatischen unserer Zeit die Interessanteste und Faszinierendste, zu jedem Extrem Fähige. Dass Nina Stemme, die in Wien eine gewissermaßen „übliche“ Elektra geliefert hat, sich in New York zu solcher Intensität steigern konnte, verdankt man wohl nicht nur den Großaufnahmen auf der Großleinwand, wo man jeder Regung ihres Gesichts nachspüren konnte, sondern wohl auch Chéreaus Assistenten (oder den Spielleitern der Met): Eine gloriose Sängerin, die man nie als wirklich große Schauspielerin wahrgenommen hat, kroch in diese Rolle, schaukelte sich gleich im Anfangsmonolog so atemberaubend in ihre Rachegelüste  hoch, dass klar war, dass sie längst jenseits des „Normalen“ gekippt ist – was dann in tausend Details feststellbar war, der Mutter, der Schwester, aber auch dem Bruder gegenüber, orgiastisch im Widerstand gegen alle. Zu dieser Gänsehaut-Elektra kam dann noch die Tatsache, dass Nina Stemme mit all ihren Mörderpartien ihre Stimme noch nicht zerschunden hat (wie etwa die große Herlitzius), sondern dass diese in allen Höhenlagen und allen Laut- und Farbschattierungen erstaunlich intakt ist. Man wundert sich ja doch jedes Mal wieder darüber, so gut man das Werk kennt, was Strauss hier der Sängerin zumutet, an Schmetter-Höhen, aber auch an vorsichtig, fast raffiniert angesetzten hohen Tönen. Man hat oft gehört, wie viel da schief gehen kann. Diesmal hörte man, wie es bewältigt klingt…

Die beiden anderen Damen waren dieselben wie bei der Erstaufführung dieser Inszenierung in Aix-en-Provence, und besser kann man die beiden Rollen gar nicht besetzen: Adrianne Pieczonka als Chrysothemis völlig auf Augenhöhe mit dieser überdimensionalen Schwester, was Stimmkraft und Technik angeht, dazu jener weibliche Glanz und Schmelz in ihrem strahlenden Sopran, der diese Figur von Elektra abheben muss, ein Stimmfest, schon sie allein.

Die Klytämnestra ist jene Rolle, die Waltraud Meier nun, nach ihrem Abschied von Isolde und Kundry, am öftesten verkörpert, und Chéreau hat ihr eine wunderbare Version auf den schlanken Leib inszeniert – kein altes, triefäugiges Monster, nichts Hexenhaftes und Böses, sondern eine schöne, gehetzte Frau, die noch imstande ist, auf Erlösung zu hoffen – großartig in jedem Detail, stimmlich souverän, mit Todesschreien, die durch Mark und Bein gehen. Das ist ein Trio, das es mit dem legendären Nilsson / Rysanek /  Resnik aufnehmen kann (und man darf es sagen, da man dieses erlebt hat).

Zu dem gewaltigen Orest des Afroamerikaner Eric Owens – körperlich ein wenig ungeschlacht, stimmlich der potente Bariton, der hier gefordert ist – und dem hektischen Aegisth des Burkhard Ulrich kam noch die „Fünfte Magd“, die immer herausragt, weil sie sich schließlich für Elektra einsetzt und dafür von den anderen Mägden geschlagen wird: Man hätte die ältere Dame mit den edlen Zügen nicht erkannt, aber es war Roberta Alexander, einst ein großer Star der „Met“, die wir in den achtziger und neunziger Jahren auch in Wien gesehen haben (u.a. als Jenufa).

Esa-Pekka Salonen hat auch bereits in Aix dirigiert und entfesselte das „Elektra“-Orchester gnadenlos. Die Schwierigkeit bei dieser Oper besteht darin, dass sie durchgehend auf einem ganz hohen Energielevel läuft und so gut wie keine Ruhepunkte kennt, das heißt, der Dirigent muss die Spannung durchwegs halten, zumal das Orchester ja oft geradezu kommentierend „mitspielt“. Es ist an diesem Abend gelungen, und wenn man sagt, dass sich der „Elektra“-Effekt einstellte – nämlich dass man als Publikum völlig erschlagen war -, so ist das nicht negativ gemeint,

Renate Wagner

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