Berliner Festspiele, Foreign Affairs: “SIDER” als Dünnbrettbohrerei, 9.7.21013
Forsythe-Company in Sider, Foto Dominik Mentzos
Die Berliner Festspiele widmen sich in der Reihe Foreign Affairs diesmal intensiv den Stücken des Star-Choreografen William Forsythe. Sider“ heißt ein neues, das seine Company an diesem Abend darbietet. „Sider“, so lese ich, bedeute Bretter, und leichtgewichtige Platten spielen offenbar die Hauptrolle.
Sie werden gekonnt getragen, gedreht, gehoben, um den Körper drapiert und auf den Boden geworfen. Mal sehen wir Bretter-Fighting, mal wird aus ihnen eine Art Kartenhaus gebaut, mal dienen sie einem Liebespaar als Versteck. Doch wehe dem, der kein Brett hat, wie der einsame Mann, der zu Beginn auf der schwarzen, total leeren Bühne über den Boden robbt und Tanzbewegungen ausführt. „Sider“ auch als Synonym für Insider oder Outsider.
Anfangs schaue ich neugierig zu, was die Forsythe Company mit den Platten anstellt, und spitze die Ohren, um das undeutliche Gerede einiger Protagonisten irgendwie zu verstehen. Forsythe bezöge sich damit auf das elisabethanische Theater und dessen besondere Sprechweise, die hier aber unverständlich bleiben soll, ist dem Programm-Flyer zu entnehmen.
So ist es in der Tat, zumal einige Tänzer im Verlauf mit Renaissance-Halskrausen auftreten, während andere Ganzkörperanzüge mit Sturmhaube und wieder andere ganz normale Kleidung tragen (Kostüme: Dorothee Merg). Verwirrung als Prinzip. Na ja.
Alles wirkt gewollt und absichtlich amorph, wie das dunkle Wabern und gelegentliche schrille Aufleuchten des musikalischen Hinter- und Untergrunds (Musik: Thom Willems). Auch das unregelmäßige An und Aus der Neonröhren an der Decke (Beleuchtung: Ulf Naumann, Tanja Rühl) erhellt inhaltlich rein gar nichts und macht eher nervös.
„Ich bin von der Idee ausgegangen, dass etwas unvermeidlich ist,“ hat Forsythe zum Nicht-Inhalt dieses Stückes geäußert. Dinge nähmen nach seinen Worten ihren unvermeidlichen Lauf. Der aber bleibt unverständlich und undurchsichtig, und soll es wohl auch sein. Unterschiedliche Sprüche, die sich geheimnisvoll geben, erscheinen auf der Rückwand. Keine Story – nirgendwo. Und keinerlei Entwicklung.
Da das so ist, wird dieses 70-minütige Bretter-Ballett allmählich langweilig, zumal der Tanz weitgehend auf der Strecke bleibt. Nur gelegentlich haben die 17, elektronisch gesteuerten Interpreten die Chance, ihr fabelhaftes Können und ihre schräggliedrige Eleganz unter Beweis zu stellen.
Nur wenn viele von ihnen die Bühne bevölkern, wird es kurzzeitig interessanter. Also kein Vergleich zu dem fabelhaften, witzig-turbulenten, aber auch nachdenklich machenden „I don’t beliebe in outer space“, das an gleicher Stelle vor wenigen Tagen zu recht bejubelt wurde.
Ist William Forsythe lethargisch geworden, hat er zu sehr gegrübelt, will er die Zuschauer gar verschaukeln? Laut Programmheft sind die aufgefordert, zur Vervollständigung der Performance beizutragen. Aber wie, bitteschön?
Habe ich vielleicht ein Brett vorm Kopf? Doch auch andere schauen nach einiger Zeit öfter mal auf die Uhr, denn das verpuzzelte Stück zieht sich zäh, und aus den Teilen wird kein Ganzes.
Denn die Bretter, die die Welt bedeuten, bieten diesmal nur „disarray“ (Unordnung, Auflösung), wie es auf einer der zuletzt gezeigten Papen steht. Solches ist unbefriedigend, und so klingt der Beifall für die Tänzer diesmal nur höflich.
Tätig waren: Yoko Ando, Cyril Baldy, Esther Balfe, Dana Caspersen, Katja Cheraneva, Frances Chiaverini, Brigel Gjoka, Amancio Gonzalez, Josh Johnson, David Kern, Fabrice Mazliah, Roberta Mosca, Tilman O’Donnell, Jone San Martin, Yasutake Shimaji, Ildikó Tóth, Riley Watts und Ander Zabala.
Heute nochmals um 20.30 Uhr im Haus der Berliner Festspiele in der Schaperstraße.
Ursula Wiegand