BERLIN / Deutsche Oper: DIE TROJANER Triumpf für Alagna und Uria-Monzon
am 6.4.2014
„Die Kunst braucht keine Fesseln, Stricke und Knebel, sie sagt zum Genie: Geh, und schick es in den großen Garten der Poesie, in dem es keine verbotenen Früchte gibt.“ Victor Hugo
Roberto Alagna. Foto: Bettina Stöß
Die aufführungshistorischen Bezüge von Berlioz Monumentalwerk Les Troyens zu Deutschland sind frappant. Szenisch wurde der erste und zweite Teil der Oper an zwei hintereinander folgenden Tagen erstmals in Karlsruhe unter Felix Mottl 1890 aufgeführt. Als Ganzes, wenngleich stark gekürzt, kamen Les Troyens zum ersten Mal 1913 in Stuttgart auf die Bühne. Berlioz selbst dirigierte mehrfach in Hannover, Dresden oder Berlin. Im April 2014 bietet die Deutsche Oper Berlin zwei hervorragende Aufführungen einer aus dem Jahr 2010 stammenden Inszenierung von David Pountney auf. Fazit: Der Deutschen Oper gelingt eine spannende facettenreiche, musikalisch höchst attraktive Umsetzung der grandiosen Partitur in 5 kurzweiligen Opernstunden. Und tritt damit den erfolgreichen Beweis an, dass man auch ein Werk wie die Trojaner im Repertoire halten kann, wenn die Inszenierung gepflegt, die entsprechende Besetzung und ein guter Dirigent wie Paul Daniel zur Verfügung stehen. Der für die Einstudierung der Chöre verantwortliche William Spaulding hätte sich zwar besser mit dem Dirigenten über das Tempo der Eingangschöre des ersten und dritten Aktes absprechen können. Aber insgesamt leistet der Chor der Deutschen Oper Berlin Beachtliches.
Auch das Rundherum stimmt. Ein schöner Sonntagnachmittag, drei Protagonisten samt Orchester in Höchstform und eine Riege exzellenter junger Kräfte für die kleineren und kleinen Rollen. Das Bühnenbild von Johan Engels entspricht Pountneys Idee der Gegenüberstellung zweier Gesellschaftssysteme, des männlich geprägten Troja und der weiblichen Utopie Karthago. Das gelingt im ersten und zweiten Akt auch optisch exzellent mit einem beeindruckenden Holzkopf eines trojanischen Pferdes und einer Untergangsvision im 2. Akt wie aus einem Hollywoodreißer. In Karthago versinkt die Idee aber in einer Kitschorgie aus gelb hellgrün bzw. gelb weiß. Aber es wäre nicht Pountney, wüsste der an der Bregenzer Seebühne geschulte geschickte Regisseur für Massenauftritte und wirksame Effekte das Publikum an den richtigen Stellen beim emotionalen Schopf zu packen.
Beatrice Uria-Monzon als “Dido”, Roberto Alagna als “Aeneas”. Foto: Bettina Stöß
Zumal man in dieser Aufführung über die goldrichtigen Bilderbuchsänger verfügt, die die opulente Szene in ebenso kulinarischem Klang tauchen. Allen voran die Dido der bildschönen Béatrice Uria-Monzon. Ihr Luxusmezzo veredelt mit ruhiger Stimmführung und dramatischer Delikatesse das Duett mit Aeneas oder die finale Soloszene in den Ausmaßen des Götterdämmerung Schlussgesanges auf das Sublimste. Jeder Ton ist eingebettet in ein selbstverständliches Wissen um das Wort, jede Klangfarbe steht im Dienste der dramatischen Fügung. Wunderbar. Warum diese phantastische Sängerin, die allemal mit einer Joyce di Donate mithalten kann, nicht von der Plattenindustrie verhätschelt wird, ist mit ein Schleier. Ebenso beeindruckend und auf dem Zenit seines Könnens angelangt, verkörpert Roberto Alagna die schwierige Rolle des Aeneas mit heldischem Aplomb. Ob metallene Höhe in den großen Chorszenen oder zartes Liebesgeflüster im intimen Duett, heldentenorale Stentortöne in der orchestralen Wucht oder vokale Introspektion in der prüfenden Selbstschau, alles gelingt dem bestens disponierten Sänger. Mein persönliches Kompliment an Alagna auch, weil der maskuline Italo-Franzose im Gegensatz zu andern KünstlerInnen, die Jahrzehnte mit denselben Rollen durch alle Welt tingeln, auch immer neugierig neue Pfade des Musiktheaters beschreitet. Man darf schon jetzt auf seinen Otello gespannt sein.
Als Cassandre liefert im ersten Teil Ildiko Komlosi mit ihrer vor allem in der Höhe schönen und ausladenden Stimme ein lebendiges, wenngleich etwas plakatives Porträt der weisen Seherin, die ihre Landsleute nicht von der Gefährlichkeit des hölzernen Pferdes zu überzeugen vermag.
Eine Grand Opera in Shakespearschem Stil wollte Berlioz mit Les Troyens schreiben. und so finden wir viele Einzelszenen, die entsprechend der historischen Vorlage Vergils Raum für Charakterstudien bzw. Typen schaffen, die von Berlioz mit Musik zu wahrhaftigem Bühnenleben erweckt werden, ohne ihnen eine psychoanalytische zweite Haut verpassen zu müssen. Und so werden wir Zeuge, dass etwa Anna, die Schwester der Dido in der wuchtige klangvollen Interpretation der formidablen Ronnita Miller fast an die Ausnahmeleistung der Dido von Uria-Monzon herankommt. Bravo. Aber auch Siobhan Stagg als Stipendiatin des Förderkreises der Deutschen Oper Berlin kann in der Hosenrille des Ascagne ihren samtigen lyrischen Sopran so recht zum Leuchten bringen. Wahrhaft eine solitäre Entdeckung, deren Namen man sich unbedingt merken muss. Die jungen Stimmen von Alvaro Zambrano als Hylas und Joel Prieto als Iopas lassen aufhorchen. Aber auch Oleksandr Prytolyuk in der Rolle des Chorèbe, Seth Carica als Panthée oder Tobias Kehrer als Narbal tragen mit ihren gekonnten Leistungen zum Gelingen des Abends bei. Clemens Bieber als Hélénus und Lenus Carlson als Priam ergänzen das grandiose Ensemble.
Les Troyens, diese Wundermaschine an phantastischer Musik (marche troyenne), berührenden Einzelszenen und markanten Chören erweist sich als Idealfall für ein funktionierendes Repertoirehaus wie die Deutsche Oper Berlin. Letztlich sind Les Troyens aber auch nicht schwieriger aufzuführen als Lohengrin oder Tannhäuser, sind aber ebenso schön. Man darf hoffen, dass die Deutsche Oper Berlin nach diesem überragenden Erfolg im ausverkauften Haus diese Les Troyens, eine der schönsten Opern des gesamten französischen Repertoires, auch weiterhin als Juwel im Repertoire pflegt und hegt. Und damit als Mitstreiter für einen nach wie vor unterschätzten Komponisten wird, der es verdient hätte, dass man ihn öfter spielt. Die Deutsche Oper kann damit auch der Opera Nationale de Paris zeigen, wie man mit einem Schlüsselwerk der frz. Opernliteratur umgeht. In den sieben Jahren, in denen ich in Paris arbeitete, war Les Troyens jedenfalls nicht auf dem Spielplan der Oper.
Dr. Ingobert Waltenberger