Schwerin /Mecklenburgisches Staatstheater: “EUGEN ONEGIN” – 6.4.2014
Fürst Gremin (Igor Storozhenko) zwischen Onegin (Remo Tobiaz) und Tatjana (Stamatia Gerothanasi). Foto: Silke Winkler
Das sehr ansprechende, original erhaltene und sehr schön restaurierte Schweriner Jugendstil-Theater von 1886 im Stil der italienischen Renaissance lohnt immereinen Besuch, auch aus weiterer Entfernung. Am 12.4.2013 hatte Georg Rooterings Neuinszenierung von “Eugen Onegin” Premiere. P. I. Tschaikowski verfasste- ähnlich wie Richard Wagner – 1877 das Libretto zu seiner Oper selbst, wobei er das Szenarium nach dem gleichnamigen Versroman von Alexander Puschkin vor Begeisterung in nur einer Nacht entworfen haben soll.Die Oper fasziniert und berührtvor allem durch ihre Musik noch heute, ganz gleich in welcher Inszenierung. Bei Rootering wurden die „lyrischen Bilder” glücklicherweise in Räume verlegt, die in etwa der Zeit der Entstehung der Oper entsprechen und Tschaikowski vorgeschwebt haben könnten, was gegenwärtig bei einer Neuinszenierung leider schon Seltenheitswert besitzt.Die stimmige, gut durchdachte Dramaturgie von Katharina Riedeberger verrät viel Sachkenntnis und Einfühlungsvermögen in eine vergangene Zeit mit ihren spezifischen Problemen, die noch heute berühren.
Wenn sich zuerst der gemalte Schmuckvorhang im Stil der romantischen Malerei des 19. Jh. – hier stilvoll zur Inszenierung passend – und danach der große rote Theatervorhang hebt, fällt der Blick auf einestreng klassizistischeRaumflucht einer vornehmen Villa, die auf der Drehbühne installiert, durch geschickte Drehungen vor und zurück viele Möglichkeiten der Verwandlung bietet. Die gute, traditionelle Theaterkunst bewährt sich doch immer wieder.Genaugenommen, wirkt die allzu leichte Salonatmosphäresehr „mitteleuropäisch“. Es fehlt etwas von der Derbheit der Verhältnisse im Russland des 19. Jh. auf dem Lande, aber man ist schon zufrieden, wenn mit dem Stück und nicht dagegen inszeniert wurde.
Die Gutsbesitzer im damaligen Russland versuchten zwar, den europäischen Wohn-Luxus nachzuahmen, mussten aber zwangsläufig auch noch bodenständig bleiben, woran die Gesänge des beachtlichen Bauernchores “Wie weh, ach wie weh doch die Hände tun, von der Arbeit …” (Einstudierung des Opernchores und Extrachores des Mecklenburgischen Staatstheaters Schwerin: Ulrich Barthel) oder die Erzählung der Filipjewna aus ihrem harten Leben erinnern. Es gab zwar starke Kontraste zwischen Gutsbesitzern und Landarbeitern, aber auch die Gutsbesitzer blieben dem harten dörflichen Leben zwangsläufig verhaftet. Schließlich lebt die Brisanz der Handlung u. a. auch von diesem Gegensatz zwischen dem ländlichen Leben der Larina, offenbar Witwe, die die Aufgaben ihres Mannes wahrnehmen und sich behaupten muss, mit ihrenbeiden Töchternund dem eleganten, städtischen Onegin, der von allen Mädchen umschwärmt wird, und dem auch die verträumte Tatjana ganz verfällt.
Die Möglichkeiten, die das gekonnte Bühnenbild (Bühne und Kostüme: RomaineFauchère) mit einer gewissen Symbolik der Räume und deren vielen Türen (die hier durchaus stilgerecht sind) bietet, die Enge einer schönen, aber begrenzten „Welt“, die wenig Abwechslungs- und Aktionsmöglichkeiten für die Betroffenen bietet, und ihre Sehnsucht nach etwas Besonderem immer mehr steigert, werden von der Regie nur bedingt genutzt.So wandelt beispielsweise Tatjana während der Erzählung, um die sie selbst gebeten hat, desinteressiert im Zimmer umher und schließt die Türen (um sich vor der Welt abzukapseln), obwohl sie sich eigentlich durch die Erzählung ablenken möchte, da ihre Gedanken immer nur um Onegin kreisen. Lenskisitzt vor dem Duell mit Onegin, das kurioserweise zwischen den Räumen stattfindet, unverständlicherweise auf einem Bänkchen, Hände in den Manteltaschen, obwohl man meinen sollte, er sei in Ungewissheit nervös, da es um sein Leben geht und Onegin auf sich warten lässt. Spannungsreich wird es dann erst wieder durch den gekonnt projizierten Vogelflug, derdas Bild und damit das Geschehen belebt und Düsteres andeutet.
Das sind so Kleinigkeiten, im Großen und Ganzen aber ist diese Inszenierung doch ein Schritt in die richtige Richtung, um das Publikum wieder der Oper zurückzugewinnen und auch jüngere Besucher „anzulocken“. Die besten Dichter und Komponisten der Vergangenheit verfassten ihre Werke so, dass sie ohne Zutun genügend „Zündstoff“ und Brisanz enthalten, wenn sie richtig umgesetzt werden, aber viel durch Umdeutung verlieren. Das Publikum ist durchaus in der Lage, Probleme und Vorgänge aus der Vergangenheit selbst in die Zukunft zu transponieren. Oper lebt nun einmal auch vom optischen Eindruck. Hier wurde beides versucht, eine optisch ansprechende Kulisse, „Historientreue“ und psychologische Durchdringung.
Die sehr verspielten, aufwendig gearbeiteten Damen-Kostüme mit französischem Charme scheinen zwischen Empire und den “Goldenen Zwanziger” entlehnt zu sein, nicht immer ganz stilgerecht und zu Stellung und Charakter der handelnden Personen passend, aber doch interessant anzusehen. Es ist immer erfreulich, wenn sich ein Theater noch echte Kostüme leistet (und nicht ins Kaufhaus einkaufen geht, was gegenwärtig leider oft genug geschieht). Die Ausstattung der Herren passt sehr gut ins Bild (mit Ausnahme des überlangen Mantels für den großen, schlanken Onegin) und bildet einen angemessenen optischen Kontrast zum „Outfit“ der Damen.
Wenn diese all zu schöne Salon-Atmosphäre auch nur bedingt dem Leben der “besseren“ russischen Gesellschaft auf dem Lande entspricht, bietet sie doch einen schönen „Blickfang“, der über so manche nicht ganz perfekte sängerische oder darstellerische Leistung hinwegsehen lässt. Möglicherweise war die Premierenbesetzung anders. An diesem Abend gaben zwar alle Ausführenden ihr Möglichstes, aber der Gesamteindruck war doch etwas zwiespältig.
Eine vollgültige Leistung brachte Igor Storozhenko auf die Bühne, was auch das Publikum – darunter erfreulich viele jüngere Besucher – zu honorieren wusste. Er überzeugte nicht nur mit seiner sicher geführten, gut klingenden Bassstimme, sondern auch durch entsprechende Gestaltung. Er verkörperte diese Gestalt glaubhaft und war nicht nur der Rolle nach der “Ranghöchste”, sondern auch der beste Sänger-Darsteller des Abends.
Stamatia Gerothanasi war in ihrer Darstellung sehr zurückhaltend. Sie sang exakt, mitunter ein wenig schrill, und es fehlte noch der gewohnte lyrische Schmelz, wie man ihn von den großartigen Sängerinnen der Vergangenheit kennt, aber sie „meisterte“ auch die berühmte Briefszene“ und dürfte entwicklungsfähig sein, um für die Zukunft einiges hoffen zu lassen. Bei ihrer „Schwester“ Olga, verkörpert von Jasmin Etezadzadeh, vermisste man etwas mehr gewinnendes Selbstvertrauen. Sie blieb oft im Hintergrund, aber vielleicht war auch manches der Regie geschuldet.
Katharina Bülow wirkte als Larina, Mutter zweier erwachsener Töchter und „leitende“ Gutsbesitzerin relativ jung und auch ein bisschen zu kapriziös. Sie war mehr Salondame als eine Frau, die sich durchsetzen muss.Als Filipjewna überzeugte Itziar Lesaka. Selbst noch jung, spielte sie doch, einschließlich der kleinen emsigen Trippelschritte,eine typische alte, abgearbeitete Bedienstete mit liebevollem Herzen und konnte auch stimmlich überzeugen.
Remo Tobiaz, groß, schlank und jung versuchte der Rolle desEugen Onegin gerecht zu werden, konnte aber eher durch seine äußere Erscheinung als durch seinen Gesang überzeugen und als „Charmeur“ die Herzen der Damen erobern. Gewöhnungsbedürftig erschien auch Kerem Kurkals Lenski, bei dem man sehr den Schmelz und die Ausdruckskraft der großen Vorbilder dieser Rolle vermisste. Christian Hees präsentierte sich mit seiner, französisch gesungenen Huldigung an Tatjana als der mittelmäßigeSänger,wie er auf dem Lande, wo die Szene spielt, nicht anders zu finden ist.
Sergej Gordienko brachte mit seiner Choreografie eine “echte Polonaise” nach historischen Vorbildern und mit einigen “Extras” auf die Bühne. Sie wurde von einigen Chormitgliedern ganz exakt im historischen Stil ausgeführt, von einigen anderenjedoch legerer.
Die Musikalische Leitung lag in den Händen des jungen, talentierten Dirigenten Gregor Rot. Von ihm ging einige Inspiration aus. Er hatte das richtige Gespür und Tempofür die Musik, was den Sängern Gelegenheit bot, sich zu entfalten, ohne dass die Spannung darunter gelitten hätte, wenn auch, die Orchestermusiker der Mecklenburgischen Staatskapelle Schwerinerst nach einigen „Anfangsproblemen“ zu entsprechendem Musizieren fanden und, dem Mainstream folgend, einige Orchesterpassagen für dieses Theater mittlerer Größe etwas zu viel an Lautstärke boten. Als Einheit von Handlung, Bühnenbild, Kostümen und Musik ist diese Inszenierung aber durchaus sehenswert.
Ingrid Gerk