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WIESBADEN/ Hessisches Staatstheater: EUGEN ONEGIN

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Copyright: Monika und Karl Forster

WIESBADEN/ Hessisches Staatstheater: EUGEN ONEGIN am 18. November 2018

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In z.T. neuer Besetzung präsentiert aktuell das Hessische Staatstheater Wiesbaden seine erfolgreiche Inszenierung von Tschaikowsky’s „Eugen Onegin“.

Die Inszenierung von Vasily Barkhatov überzeugt in der klaren, verständlichen Personenführung. Barkhatov zeigt in der ungewöhnlichen Bühnenraumgestaltung von Zinovy Margolin packendes Theater. Wir sehen an den Seiten meterhohe Holzwände, am Bühnenhorizont eine Holzschräge über die gesamte Bühnenbreite. Davor fährt eine Rückwand auf und nieder, um zwischen Innen- und Außenraum zu wechseln, ebenso am Bühnenportal. Von daher entstehen immer wieder filmische Effekte, etwa auch, wenn die Szene „einfriert“ und nur Tatjana herausgeleuchtet wird. Der 3. Akt spielt in einer eindrucksvollen Bahnhofshalle, in welchem sich die feine Gesellschaft um Fürst Gremin zum Brunch trifft. Barkhatov zeigt eine realistische Lesart im Wechsel der Jahreszeiten. Es regnet und schneit auf der Bühne. Verblüffend und begeisternd umgesetzt Larinas Ball hier als Winterfest mit großer Schneeballschlacht und ausgiebigem Rodeln des gesamten Ensembles. Diese Inszenierung macht auch beim wiederholten Sehen Freude!

Für die Partie der Tatjana gelang dem Staatstheater Wiesbaden 2017 ein Besetzungscoup! Denn mit Asmik Grigorian wurde eine perfekte Interpretin verpflichtet. Jede nachfolgende Tatjana hat es da besonders schwer. Nun kam also Oleysa Golovneva zum Zuge. Im Gegensatz zu iher am gleichen Haus gegebenen Desdemona überzeugte sie hier als Tatjana wesentlich besser. Plötzlich vermochte sie ihren Tönen Ausdruck zu geben, wirkte vieles deutlicher von innen erlebt. Sie war weniger Kindfrau, sondern viel mehr klar positionierte Träumerin einer imaginären Welt. Ihre Sopranstimme erfüllte mühelos die beträchtlichen Anforderungen ihrer Partie,

Als Bühnenschwester Olga überzeugte wieder Silvia Hauer. Stimmlich sattelfest betonte sie das Lebensbejahende ihres Charakters. Von der zuvor angesagten Erkältung war glücklicherweise nichts zu hören.

Christopher Bolduc hat in der Zwischenzeit viele Vorstellungen als Onegin gesungen. In der Premiere 2017 wirkte er noch sehr blaß und daher wenig überzeugend. Leider ist es dabei geblieben. Sichere Tonbewältigung, kein Ausdruck. Das war’s…, das ist und bleibt zu wenig! Viel zu wenig! Zu keinem Zeitpunkt konnte er vermitteln, das er die Bedeutung seiner Worte fühlt.

Mit dem Lenski von Aaron Cawley an seiner Seite geriet Bolduc dazu fast zur Nebensache. Stimmlich ist der begabte Tenor der Partie hörbar entwachsen und so verwunderte es nicht, dass er vor allem in den wenigen dramatischen Passagen mächtig auftrumpfen konnte. Hier klang seine Stimme am überzeugendsten. Problematisch in Tongebung und Intonation wurde es, wenn er versuchte, seine Stimme lyrisch einzufärben. Ungenügend, weil sehr schlampig seine Textbehandlung. Und bei seinen Phrasierungsversuchen sollte er sich einmal von den großen Interpreten der Partie inspirieren lassen. Besser dürften für ihn Partien des Zwischenfachs, wie z.B. Max passen.

Young Doo Park war eine fabelhafte Neubesetzung als Gremin. Seine kultivierte Stimme kam in dieser Rolle bestens zur Geltung.

Eine Klasse für sich waren Romina Boscolo als dominante Larina und Anna Maria Dur als einfühlsame Filipjewna. Auf dem Punkt war als quirliger Monsieur Triquet Eric Biegel, der auch hier als Sekundant Monsieur Guillot auftritt, zu erleben.

Der engagiert singende Chor war gut vorbereitet von Chordirektor Albert Horne.

Neu am Pult des Hessischen Staatsorchesters Wiesbaden für „Eugen Onegin“ war GMD Patrick Lange. Von seinem Dirigat gingen die entscheidenden Impulse des Abends aus. Pulsierender Vorwärtsdrang, aufgefächerte Streicherstimmen, zurückhaltende Tönungen in den Blechbläsern. Dazu wieder ein untrügliches Gespür für eine ausgewogene Balance zwischen Bühne und Orchestergraben. Das Orchester musizierte aufmerksam und reaktionswach. Der Streicherklang hat sich deutlich verbessert, sekundiert von den sensibel intonierenden Holzbläsern und der dynamisch sehr kontrolliert agierenden Horn Gruppe. Die Blechbläser agierten insgesamt gedrosselt, konnten aber dann auch in den Gustostücken, wie z.B. der Polonaise pointierte Farbtupfer setzen.

Freude im halbvollen Haus.

Dirk Schauß


DRESDEN/ Kreuzkirche: EIN DEUTSCHES REQUIEM von Johannes Brahms mit dem Dresdner Kreuzchor

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Dresden/Kreuzkirche: „EIN DEUTSCHES REQUIEM“ VON JOHANNES BRAHMS MIT DEM DRESDNER KREUZCHOR 18.11.2018

In jahrzehntelanger Tradition wurde „Ein Deutsches Requiem“ von Johannes Brahms in der Dresdner Kreuzkirche am Ewigkeitssonntag (Totensonntag) aufgeführt. Jetzt ist der Terminkalender des Dresdner Kreuzchores mit Reiseterminen so angefüllt, dass auch dieser Tag nicht mehr frei ist. Da die Dresdner aber nicht auf ihr „Brahms-Requiem“ verzichten wollen, luden Kreuzkantor Roderich Kreile und der Kreuzchor nun schon zum zweiten Mal eine Woche vorher, am Volkstrauertag, der 1925 erstmals zur Erinnerung an die Kriegstoten und Opfer von Gewaltherrschaft aller Nationen begangen und 1952 in Deutschland wieder ins Leben gerufen wurde, zu diesem Requiem ein, das mehr Trost als Trauer vermittelt.

Am Ewigkeitssonntag findet dann ein vielversprechendes Konzert mit dem Vokal Concert Dresden und den Dresdner Kapellsolisten unter der Leitung von Peter Kopp, dem ehemaligen Konzertdirigenten des Kreuzchores, der während einer Vakanz den Chor auch leitete und seit 2017 Rektor und Dozent an der Evangelischen Hochschule für Kirchenmusik Halle ist, mit W. A. Mozarts „Großer Messe in c-Moll“ u. a. statt – eine praktikable und auch akzeptable Lösung, wenn auch nicht ganz im Sinne des treuen Publikums, das an seiner Tradition festhalten möchte.

Zwischen beiden Dirigenten und Chören besteht eine sehr enge Verbindung und sehr erfolgreiche Zusammenarbeit. Bei der Aufführung von Brahms‘ „Requiem“ ergänzte das Vocal Concert Dresden den reinen Knabenchor, um dem romantischen Klangideal gerecht zu werden. Nach den ersten klang- und geheimnisvoll einleitenden Tönen der tiefen Streicher, aus denen sich ein sehr feiner, plastisch durchsichtiger Orchesterklang mit zartem Pianissimo aufbaute, erhob sich der Chor in ebensolcher Weise. Chorklang und Philharmonie vermischten sich ideal während der gesamten Aufführung.

Beide warteten in einer breiten Ausdrucksskala je nach Text und Inhalt mit feinstem Piano, aber auch sehr ausdrucksstarkem, in jeder Phase durchsichtigem Fortissimo auf. Beispielsweise wurde Teil IV „Wie lieblich sind deine Wohnungen“ wirklich „lieblich“ gesungen und musiziert und dagegen „Der Tod ist verschlungen in den Sieg“ in Teil VI mit entsprechender Wucht, durchdringend und ergreifend, und mit dem abschließenden „Selig sind die Toten“ klang das Requiem schließlich wohltuend versöhnlich aus.

Die Dresdner Philharmonie, die in jahrzehntelanger Tradition die meisten Konzerte des Dresdner Kreuzchores mitgestaltet hat, hatte auch diesmal großen Anteil an der Qualität der Aufführung. Mit ihrem besonders warmen, schönen Orchesterklang schuf sie immer die Verbindung zwischen vokalen und rein instrumentalen Passagen, wie in Teil II die sanft einleitenden Takte vor „Denn alles Fleisch, es ist wie Gras …“, die in einem großen Crescendo zusammen mit dem Chor bis zu expressiver, durchdringender Wucht gesteigert wurden, immer gleitend, fließend, mit natürlicher Empfindung.

Mit viel Einfühlungsvermögen setzte auch die Pauke die richtigen, den Gesamtklang unterstreichenden Akzente und wahrte an besonders expressiven Stellen den richtigen „Ton“. (Sie verselbständigte sich erfreulicherweise nicht wie andernorts jetzt leider oft üblich). Das Orchester setzte immer den Gesang instrumental fort und ließ in dezenter und doch so wirksamer Weise alle Teile und Passagen nachhaltig ausklingen, womit unmerklich ein durchgehender innerer Zusammenhang entstand.

Die Basspartie sang Michael Nagy kultiviert und ausdrucksvoll und mit guter Textverständlichkeit. Weniger textverständlich, aber mit schöner, voluminöser, raumfüllender Stimme, fließend bis zur Höhe sich aufschwingend, sang Mandy Fredrich die Sopran-Arie, den Gipfelpunkt des Requiems. Bei dieser Aufführung war jedoch jeder einzelne Teil ein „Gipfelpunkt“ für sich, bei dem Schönheit und Genialität der Brahms‘schen Komposition durch die qualitätsvolle Aufführung voll zur Geltung kamen. Es war eine emotional bewegende, ergreifende Aufführung, getragen von Chor und Orchester, die unter die Haut ging, selbst wenn man dieses Requiem regelmäßig jedes Jahr mit dem Dresdner Kreuzchor und der Dresdner Philharmonie hört.

 Ingrid Gerk

 

ZÜRICH/Opernhaus: HÄNSEL UND GRETEL. Premiere

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Anna Stephany (Hänsel), Marina Prudenskaya (Knusperhexe), Olga Kulchynska (Gretel). Foto: Tanja Dorendorff

Opernhaus Zürich: HÄNSEL UND GRETEL – Premiere am 18.11.2018

„Sich hinüberträumen in eine bessere Welt“

Der Komponist Engelbert Humperdinck hat die in Weimar 1893 unter Richard Strausss uraufgeführte Märchenoper, eines der grausamsten Grimm-Märchen, in eine wunderschöne, ergreifende Musik getaucht. Diese seltsame Geschichte vom Geschwisterpaar, das von der überforderten Mutter in den Wald zum Beerensuchen gejagt wird und dort in eine Traumwelt versinkt, spricht mit seinem unfassbaren Mythos unsere Seelen an. Die Kinder im Publikum erleben die Geschichte wohl mit einer anderen Wahrnehmung als die Erwachsenen, die sich vielleicht in das „Kinderland“ zurücksehnen.

Regisseur Robert Carsen hat die Geschichte verdammt ernst genommen und sie im Heut und Jetzt spielen lassen. Armut und Hungersnot sind auch heute kein Fremdwort, sondern für viele Menschen bittere Realität. Hänsel und Gretel sind Kinder von heute, leben mit ihren Eltern in erbärmlicher Armut, in einer kaputten Welt von Abfall und Chaos. In einem heruntergekommenen Wohnwagen leben sie, überall liegt Müll herum, an den Mauern, die die ganze Szene klaustrophobisch umschliessen, sind Graffiti zu sehen. Die beiden Kinder sind auch heutig angezogen, tragen Kapuzenjacken und Turnschuhe. Die Mutter kommt nach Hause – offenbar war sie in ihrer Not auf dem Strich – beschimpft die Kinder wegen Untätigkeit und verjagt sie. Peter Besenbinder, der Vater, kommt mit seinem Sack voller Esswaren zurück, die er aus dem Erlös seiner Bürstenwaren, die er auf dem Jahrmarkt feilgeboten hatte, erstehen konnte. Doch Besenbinder ist Alkoholiker und versucht offenbar so, sein Elend zu ersäufen. – Die Kinder finden im Wald bei einbrechender Dunkelheit den Weg nicht mehr – eine besonders berührende Stelle – und haben Angst vor den unheimlichen Figuren. Dies sind die acht Tänzer, die mit modernem Rap-Dance den sog. Hexenwalzer tanzen, aber irgendwie den Kindern gut gesonnen sind. Nachdem das Sandmännchen ihnen offenbar einschläfernde Drogen eingeflösst hat, beten die Kinder den Abendsegen. Die wilden Gesellen kommen dazu und beschützen den Schlaf der Kinder. Dann tut sich eine unwirkliche Welt auf, der Traum von Weihnachten, Wärme und Fröhlichkeit.         

Am Morgen – wir sind jetzt im 3. Akt – wachen die Kinder nach dem Weckruf des Taumännchens im Wald auf, wo alle Tannen weihnächtlich geschmückt sind. Als dann ein zuerst vertrauenserweckender Weihnachtsmann auftritt, ist das nur die Maske der Hexe, die hier auch von der Sängerin der Mutter dargestellt wird, und die sich bald in einen ganz bösen Weihnachtsmann mit Hackebeilchen verwandelt. Der Rest ist klar: Gretel stösst die Hexe in den Ofen und die dieser zu kleinen Wichtelmännern verwandelten Kinder werden durch das Geschwisterpaar erlöst. Dann tauchen auch die Eltern auf, umarmen die wiedergefundenen Kinder und der Vater stimmt das Lied „Wenn die Not am höchsten ist…“ an. Die Kinder sind glücklich über ihre Befreiung. Ein Happy-End. Allerdings, der Vater greift zur Flasche, denn das ist sein Traum, in den er vor der bitteren Armut flüchten kann.  Die Kinder sind zwar vom Hexenzauber erlöst, werden aber arm bleiben, denn die Oper zeigt keinen Weg in eine bessere Wirklichkeit. Zeigt die Musik eine Hoffnung auf? Der hymnische Schluss, schon fast überirdisch schön, ist wohl auch nur eine geträumte Realität?…


Markus Brück (Peter Besenbinder), Marina Prudenkaya (Gertrud). Foto: Tanja Dorendorff

Robert Carstens hat mit Gideon Davey (Bühnenbild und Kostüme) und Philippe Giraudeau (Choreographie) eine ganz und gar nicht märchenhafte Deutung gegeben. Aber vielleicht doch ein geträumtes Märchen von einem besseren Dasein in der bitteren Welt von heute?

Als Hänsel und Gretel waren Anna Stéphany und Olga Kulchynska mit frischen Stimmen und jugendlicher Körpersprache ideal besetzt. Wir haben die beiden jungen Sängerinnen letzte Saison als höchst überzeugendes Liebespaar in Bellinis „Capuleti e Montecchi“ bewundert. Nun also die beiden als glaubhaftes Geschwisterpaar Hänsel und Gretel. Die nach-wagnerischen Klangmassen aus dem Orchestergraben vermochten sie gut zu bewältigen. Sehr gut gelang dies Markus Brück mit vollklingendem Bariton als ausgezeichneter Besenbinder, der eine echt tragische Figur auf die Bühne zu stellen vermochte. Marina Prudenskaya zeigte in der Doppelrolle als Mutter und Knusperhexe erstaunliche Wandlungsfähigkeit und scheute sich auch nicht, ausdrucksstark schneidende Töne zu intonieren. Ansprechend Hamida Kristoffersen als Sandmännchen und Sen Guo als Taumännchen. Hervorragend die Tänzer mit Pouria Abbasi, Michel Briand, Kemal Dempster, Ivan Larson, Henry Monsanto, Vida Peña, Oliver Pfulg und Brian Witschi (Choreographie: Philippe Giraudeau).     

Der Kinderchor und die SoprAlti sowie der Zusatzchor der Oper Zürich (Einstudierung: Ivan Kastelic) haben zum grossen Erfolg dieser Produktion wesentlich beigetragen.

Die Philharmonia liess die eingängigen Melodien der Oper schön erklingen, nur zuweilen hätte etwas weniger Klangfülle nicht geschadet. Markus Poschner dirigierte das Wunderwerk, ohne je den Spannungsbogen zu verlieren: er setzte dramatische Höhepunkte und gelangte zu verinnerlichten lyrischen Momenten.

Es zeigt sich einmal mehr, dass ein solches Meisterwerk zeitlos ist und – in welcher Interpretation auch immer – man stets zu neuen Einsichten gelangen kann.  

John H. Mueller

 

 

 

WEIMAR/ Deutsches Nationaltheater: „NOVEMBER 1918“ von Alfred Döblin/ Musik Stefan Lano

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Copyright: Nationaltheater

Uraufführung  „November 1918“ im DNT Weimar/ Vorstellung am 18.11.18

Mammutabend zu einem Mammutwerk

Es war ein Mammutabend zum Mammutwerk der Uraufführung  „November 1918“ im DNT Weimar. Wer das durchhalten wollte, der mußte gut ausgeschlafen sein, um vier Stunden spannendes, anstrengendes und auch unterhaltsames Theater mit operndimensionalen Einlagen durchzuhalten. Die DNT Weimar Uraufführung von Döblins „November 1918“ folgt, so sagt es das Programmheft dem vierteiligen gleichnamigen Buch.

Alfred Döblin schrieb „November 1918“ in den Jahren 1937-1943 im französischen und amerikanischen Exil. In den Kriegsjahren fand sich kein Verleger, erst 1950 lag eine erste dreibändige Ausgabe vor, 1978 erschien eine vollständige Edition. In einer zupackenden, knappen, oft witzig-lakonischen Sprache führt Döblin seine Romanhelden durch das innere wie äußere Chaos der Zeit. „November 1918“ ist ein literarisches Jahrhundertwerk. Es ist Alfred Döblins umfangreichstes Werk, aber über viele Jahrzehnte war es fast völlig vergessen. „November 1918“ ist ein historischer Roman, der auf über 2000 Seiten den Epochenumbruch in Deutschland schildert, der mit dem Waffenstillstand am 11. November 1918 begann und der Gründung der Weimarer Republik endet. Wo, wenn nicht in Weimar sollte also dieses Werk aufgeführt werden. Weimar widerspiegelt alle großartigen und alle verhängnsivollen Entwicklungen Deutschlands.

Der erste Teil zeigt „Bürger und Soldaten“ in den ersten zwei Wochen der Weimarer Republik. Döblin hat die Auflösung des deutschen Heeres selbst im Elsass miterlebt. Auf mehreren Erzählebenen wird die Frustration der Soldaten, der Widerstand der Bürger gegen die neue Zeit ausgebreitet. Der zweite Teil führt nach Berlin, wo sich die neuen politischen Kräfte etablieren und einander erbittert bekämpfen. Wir erleben Friedrich Ebert und Karl Liebknecht bei politischen Veranstaltungen und Debatten, im Kabinett und in Hinterzimmern, aber auch das Volk, das sich „verraten“ fühlt. Im dritten Teil geht es um die Kriegsheimkehrer, eine verlorene Generation, die in den Materialschlachten jede Illusion verlor, sich jetzt vergeblich müht, Anschluss an die neue Zeit zu finden, und allzu leicht auf die reaktionäre Rhetorik der neuen Rechten hereinfällt. Im Abschluss entwirft das Stück nach Döblin ein Porträt der Revolutionäre Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Ihr politisches Scheitern und ihr gewaltsamer Tod stehen  für den missglückten Versuch, eine deutsche sozialistische Utopie zu verwirklichen.

Die Theaterfassung von André Bücker und Beate Seidel mit der Musik von Stefan Lano will die Tetralogie offenbar als Komplett-Fassung spielen. Das Bühnenbild hat Jan Steigert entworfen und die Kostüme Suse Tobisch. Die Räume und Atmosphären, die dabei entstehen, schaffen ein Zeit-Colorit, das den Zuschauer hineinnimmt in diese Zeit politischer und privater Umbrüche. Der Gesamteindruck bis zur Pause ist extrem deklamatorisch. Die Schauspieler sprechen mit Mikroports, was den Agitprop-Charakter noch verstärkt. Bei den Massenszenen ist das sicher richtig, aber bei den Dialogszenen nervt es irgendwann stark. Nach der Pause wird es vor allem in den Kriegsheimkehrer-Dialogen zwischen Maus und Becker einfach menschlicher. Ihre Sorgen und Hoffnungen, ihre Versuche irgendwie wieder Fuss zu fassen,sind nachvollziehbar gespielt. Die Szenen der politischen Entwicklungen rutschen manchmal ins Klamaukafte. Die Akteure von Militär bis zu den Sozialdemokraten wirken schablonenhaft und sind es auch von Kostümen.

Breit angelegt sind Eberts ängstliche, abwägende und oft auch wütende innere Monologe. Der Politiker sitzt auch in Berlin und telefoniert jeden Abend über die „Geheimlinie 998“ mit Hindenburgs Oberster Heeresleitung, die im Schloss Wilhelmshöhe in Kassel sitzt. Man belauert sich, versucht sich zu hintergehen und weiß doch, dass man sich im November 1918, noch vor dem Versailler Vertrag, nicht einfach ignorieren kann. Die politische Situation ist chaotisch, alles scheint möglich – sowohl eine Revolution des Proletariats nach dem russischen Vorbild von 1917 als auch eine reaktionäre Militärdiktatur. Eberts Paktieren führt zwar nicht zur letzteren Option, aber sehr wohl zum blutigen Scheitern der Revolution. Das alles zeigt die Bühne des DNT in epischer Breite. Nach Döblins Vorlage macht die DNT-Inszenierung die verborgenen Dimensionen der menschlichen Existenz sichtbar, wie die „dunklen Strahlungen“, von denen Beckers Lehrerkollege, der Naturwissenschaftler Dr. Krug spricht.

„November 1918“ erscheint so als schwarzer Spiegel, den das DNT Weimar auch der heutigen Zeit und den in ihr lebenden Menschen vorhält. Die Inszenierung entwickelt eine „Überrealität“ mit Bruchstücken einer literarischen „Sphärenmusik“ als Ausdruck höherer Vernunft. Beckers Ich-Spaltungen etwa können auf diese Weise sowohl psychisch als auch religiös aufgefasst werden, ohne dass sich diese Lesarten gegenseitig ausschließen.

„Sphärenmusik“ sind vor allem auch die Stefan Lano komponierten Rilke-Lieder, die musikalisch hörbar von Alban Berg inspiriert sind. Gerade diese Musik schafft sehr stark diesen „überrealen“ Eindruck. Gelungen sind auch die Chorauftritte sowohl als Sprechchöre als auch mit diversen bekannten Arbeiterliedern. Andres Reukauf hat die Soldatenlieder arrangiert und Jens Petereit hat den Chor fit gemacht.  Max Landgrebe als Friedrich Becker und Thomas Kramer als Maus spielen ihre Rollen treffsicher. Auch Simone Müller als Hilde ist eine Frau ihrer Zeit. Die anderen Rollen sind dann aber sehr typenhaft und wenig individuell präsentiert. Alles in allem ist „November 1918“ eine sehens- und auseindersetzungswerte Inszenierung. Bestens geeignet auch für Politiker, vor allem von der SPD. Gerade für das heutige Verständnis vom Ersten Weltkrieg als „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts liefert diese Uraufführung einen Einblick in die Mentalität der deutschen Besiegten. Döblin sah viele Zusammenhänge lange vor jeder historischen Analyse. Die DNT Weimar Uraufführung von Döblins „November 1918“ macht diese Zeit aus verschiedenen Perspektiven erlebbar. Das ist schon eine Leistung.

Thomas Janda

CHARLES DICKENS: DER MANN, DER WEIHNACHTEN ERFAND

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Filmstart: 23. November 2018
CHARLES DICKENS: DER MANN, DER WEIHNACHTEN ERFAND
The Man Who Invented Christmas / Irland, Kanada / 2017
Regie: Bharat Nalluri
Mit: Dan Stevens, Christopher Plummer, Jonathan Pryce, Justin Edwards, Anna Murphy u.a.

Wie oft wurde „Christmas Carol“ von Charles Dickens –vermutlich die berühmteste Weihnachtsgeschichte der Welt – schon verfilmt? Aber selten als sie selbst, meist in eine Rahmenhandlung gepresst, manchmal sogar absolut absurd aufgeputzt (mit den Muppets, mit Micky Mouse, in der Sesamstraße, als Zeichentrick, als Musical). Voriges Jahr haben die Briten in ihrer berühmten Selbstironie sogar im Fernsehen „A Christmas Carol Goes Wrong“ gezeigt, wo eine BBC-Produktion des Stücks Opfer eines Angriffs wurde und Derek Jacobi gar nicht dazu kam, Scrooge zu spielen…

Aber das Werk ist ewig, überlebt alles. Und kommt auch heuer zu Weihnachten über quasi Umwege auf die Leinwand – aber diesmal so überzeugend wie noch nie. Denn nun sehen wir zu, wie Charles Dickens selbst seine Weihnachtsgeschichte schreibt, wobei ihm Ebenezer Scrooge gelegentlich sogar den Text diktiert…

Eine Art „Vorspiel“ zeigt Charles Dickens während seiner Tournee durch die Vereinigten Staaten. Welch eine Welt, wo ein Schriftsteller gefeiert wird wie ein Pop-Star – und auch zuhause in London, wo ein Polizist sogleich in Entzücken ausbricht, als er Dickens erkennt und ihm erzählt, wie sehr er sein letztes Buch geliebt hat. Goldene Zeiten… jedenfalls ist gleich zu Beginn klar: Der dreißigjährige Charles Dickens (Dan Stevens überzeugt nicht auf Anhieb, aber nach und nach in der Rolle des jungen Genius) ist im Jahr 1842 eine Berühmtheit, schließlich hat er schon „Oliver Twist“ und „Nicholas Nickleby“ geschrieben. Das bringt allerdings auch mit sich, dass man von ihm einen Bestseller nach dem anderen erwartet. Was aber, wenn er diese nicht bringt?

Nicht nur, dass er eine große Familie (viele kleine Kinder, man gewinnt gar keinen Überblick), ein Haus und Personal zu erhalten hat (und die Handwerker dauernd Rechnungen präsentieren). Seinen lebensuntüchtigen Vater hat er samt seiner Mutter in einem Haus am Land untergebracht und sorgt für deren Unterhalt. So viel zu den Finanzen. Und das boshafte Bedauern der Kollegen im Club, die ihm die schlechten Kritiken seiner letzten Bücher auswendig vordeklamieren?

Eine klassische Situation, und der Film, den der indisch-stämmige Regisseur Bharat Nalluri nach dem Buch des Historikers Les Standiford auf die Leinwand gebracht hat, bemüht sich um historische Genauigkeit, was schon einmal ein schönes Bio-Pic (auf Deutsch, weniger nett ausgedrückt: einen Kostümschinken) daraus macht, der allerdings sehr glaubhaft anzusehen ist. Vor allem der Großstadtmoloch Londons in jenem Jahr 1943, wo die Geschichte dann spielt, wird in Opulenz hier, in Armut und Bedrohlichkeit da sehr glaubhaft ausgespielt (ohne dass man die Studio-Kulissen krachen hörte).

Die Entstehung von „Christmas Carol“ setzt sich nun aus mancherlei zusammen, zuerst aus der Verzweiflung eines Autors, der unbedingt ein erfolgreiches Buch schreiben will. Der an eine Weihnachtsgeschichte denkt, die ihm seine Verleger ablehnen – das sei doch nur „a minor holiday“. Worauf sich Dickens – unterstützt von seinem treuen Freund und geschäftlichen Berater John Forster (Justin Edwards bleibt am Rande und ist doch stark präsent) – geradezu in das Thema verbeißt. Und er entschlossen ist, es in unfasslicher Schnelligkeit, in sechs Wochen, rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft herauszubringen, selbst für den Druck zu sorgen, selbst den besten Illustrator (hochmütig: Simon Callow) zu bezahlen… ja, es muss sein. Beruhigenderweise weiß man, wie glücklich dieser „Schaffensrausch“ ausgegangen ist.

Die Ideen fliegen ihm nur so zu – jene bösen Sprüche der saturierten Reichen, die für die Armen nur Verachtung übrig haben und sie für ihr chancenloses Schicksal selbst verantwortlich zu machen. Und dann steht noch sein Vater vor der Tür (der wunderbar herumschwadronierende, seine Niederlagen nie eingestehende Jonathan Pryce), der lebenslange Versager, der ins Schuldengefängnis kam, als Charles zwölf Jahre alt war, was den Jungen zwang, unter scheußlichen Bedingungen in einer Schuhwichsfabrik zu arbeiten… Er hat das Elend als Proletarierkind am eigenen Leib kennen gelernt, die Bitterkeit von Armut und Demütigung geschmeckt und nicht vergessen, seitdem er sich aus eigener Kraft zum Erfolgsautor hinaufgearbeitet hat. Und er hat nie aufgehört, dem Vater übel zu nehmen, was er ihm angetan hat…

Manches fliegt ihm zu – Marley heißt der uralte Diener im Club. (Je besser man selbst „Christmas Carol“ kennt, umso mehr Spaß wird man mit allen Bezügen haben, die der Film herstellt.) Den Namen seines Geizhalses, der dem Geist der Weihnacht begegnen soll, muss er allerdings suchen. Er dekliniert die Möglichkeiten geradezu durch, bis er auf „Scrooge!“ kommt… Und dann steht dieser auch schon in der Tür, in der Gestalt des herrlich alten, vertrockneten, unbewegten Christopher Plummer, der mit ihm einen Dialog beginnt.

Nach und nach bevölkern dann auch die andern Figuren der Geschichte sein Arbeitszimmer n, und jede Störung durch die Außenwelt reißt Dickens aus seinem Schöpfungsrausch. Freilich, Tara (zauberhaft: Anna Murphy), die einfache irische Magd, die allerdings über die damals in der Unterschicht seltene Fähigkeit des Lesens verfügt, ist ihm als Erst-Leserin seiner vollgeschmierten Manuskript-Seiten wichtig, und sie fordert ihn auch zu manch gütlicher Lösung auf, die er dann zugesteht…

Es gelingt dem Film nicht nur, den Zuschauer gänzlich in die wahre Welt des Charles Dickens und gleichzeitig in die Vorstellungswelt eines Dichters mitzunehmen, man gelangt auch in die Wunderwelt der Geister, die in „Christmas Carol“ beschworen werden, und am Ende hat sich dieses beglückende, befreiende Gefühl der Menschlichkeit, das aus Dickens’ Werk spricht, gänzlich auf alle übertragen, auf der Leinwand und im Kinosaal. Das ist der unwiderstehliche Weihnachts-Zauber von Dickens’ Buch – das ja dann auch, und das ist höhere Gerechtigkeit, dem Autor nicht nur riesigen unmittelbaren Erfolg bescherte, sondern ihn in die ewigen Gefilde der Weltliteratur gehoben hat.

Renate Wagner

LEMBERG (Lwiw)/ Ukraine: „PULCINELLA“ und „LE SACRE DU PRINTEMPS“ von Igor Strawinsky

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Bildergebnis für LEMBERG (Lwiw)/ Ukraine: „PULCINELLA“ und „LE SACRE DU PRINTEMPS“
Copyright: Opera Lwiw

Memento quod est homo
Eine neue Interpretation von Igor Strawinskys „Pulcinella“ und „Le Sacre du Printemps“

im Nationalen Akademischen Theater für Oper und Ballett Solomiya Krushelnytska, Lemberg (Lwiw), Ukraine

Von Dr. Adelina Yefimenko


Copyright: Theater für Oper und Ballett Solomiya Krushelnytska, Lemberg (Lwiw), Ukraine

Die Äußerungen von Musik-Kritikern über den Klang, der „viel später als das Finale endet“, ist in der Tat die erhabenste Bewertung und das höchste Lob für die Interpreten. Die Premiere von Strawinskys „Pulcinella“ und „Le Sacre du Printemps“ in der Lviv National Opera, die die innovative Ideen des ukrainischen Regisseur Vasyl Vovkun und des italienischen Choreografen Marcello Algeria umsetzte, zwei Ballette zu einer Performance mit dem Titel „Die Wahrheit unter der Maske“ zusammenzuführen, verdient exakt diese Höchstbewertung.

Die musikalische Leitung hat der amerikanische Dirigent ukrainischer Herkunft Theodor Kuchar übernommen, der durch seine zahlreichen Interpretationen verschiedener musikalischer Stilrichtungen weltweit bekannt ist. Theodor Kuchar ist auch einer der ersten Dirigenten, der die ukrainische Moderne für das breite Publikum bekannt gemacht hat. Dank seiner Kooperation mit dem Orchester der Nationalen Symphoniker der Ukraine und der Firma Naxos entstand die CD-Produktion mit allen Symphonien des berühmten ukrainischen Komponisten Boris Lyatoshynsky, der eine eigene Verschmelzung europäischer spätromantischer und expressionistisch-impressionistischer mit national-ukrainischen Stil-Richtlinien entfaltete. Die Tonsprache seiner Symphonien beinhaltet ein individuelles monothematisches Intonationssystem, die durch die Ideen-Verschmelzung von R. Wagner und R. Schumann bis A. Skrjabin und R. Strauss einen originären einzigartigen Zweig der europäischen Moderne herausbildet.

Das Debüt des Dirigenten mit dem Orchester der Lemberger Nationaloper war ein hochkarätiges Ereignis. Theodor Kuchar gelang es hervorragend, die Quintessenz der musikalischen „Masken“ von Strawinskys Stil mannigfaltig zum Klingen zu bringen. Stilistische Prägungen, die das gesamte musikalische Denksystem in den Nachkriegsjahren umfasste, beeinflussten viele Komponisten. Neoklassik als eine Art des Eskapismus ist ein Forschungsthema für Musikpsychologen. Für Strawinsky war die Verwendung von verschiedenen stilistischen „Masken“ zugleich das künstlerische Credo und ein Weg des kreativen Überlebens.


Copyright: Theater für Oper und Ballett Solomiya Krushelnytska, Lemberg (Lwiw), Ukraine

In „Pulcinella“ gelang Dirigent und Orchester eine strenge Interaktion zwischen Tonfall, Rhythmus, Timbre-Dramaturgie und Gestik der Protagonisten und damit eine strikte Disziplin zwischen der Bühnen-Aktion und dem Orchesterklang. Der delikate Ensembleklang und die plastische Ästhetik der Solisten ähnelten manchmal der barocken Stilistik alter Inszenierungen. Im „Le Sacre du Printemps“ reproduzierte das Orchester sichtbar und gigantisch das grandiose Welt-Crescendo vom Ursprung bis zur Apokalypse.

Die neue Narrativ, basierend auf der umgekehrten Perspektive (angesichts Strawinskys Stil-Entwicklung) von der neoklassischen sowie verfremdeten Stilisierung in „Pulcinella“ zum Fauvismus und der Archaik im Spiegel der Moderne in „Le Sacre du Printemps“ – ist ein absolut neues Konzept des italienischen Choreographen Marcello Algeri.

Nach den häufig erprobten Konzepten Two in One für die einaktigen Balletten wie „Der Feuervogel“, „Les Noces“, „Persephone“ mit „Le Sacre du Printemps“, schuf der italienische Tanzmeister eine neue Narrativ über das zeitlose Kosmogonie-Spiel von Guten und Bösen, von Eros und Tanatos, das im genetischen Gedächtnis das unbewusste Wissen über alte sakrale Rituale und zwiespältige Figuren der Commedia dell’arte verbirgt. Der Choreograph entwickelte Ideen, die im 20. Jahrhunderts die Hauptpersonen des europäischen Kunst-Olymp – Strawinsky, Diaghilev, Picasso, Roerich, Nijinsky, Massine – inspirierten, und deutete sie ins Psychologische.

Es blieb der Nachgeschmack des Pulcinella-Bildes Picassos in einer Falkennase-Maske oder der Harlekin im Raute-Trikot, die als Symbole des künstlerischen Alter Ego dienten. Bekanntlich versteckte Picasso im Bild „Harlequin mit einem Spiegel“ (in seinem Selbstporträt) auch seine vollzogene Kreuzung zwischen Dada und Surrealismus. Die historische Rekonstruktion des Pulcinella-Balletts mit Picassos Szenerie wurde von der bekannten Tanzgruppe Europa Danse (2007) durchgeführt.

Für Strawinskys Werk markierte das Ballett „Pulcinella“ eine flotte Modulation vom Fauvisten zum Neoklassiker. Die Äußerungen des Komponisten betonten, dass er „wahre Freude fühlte“, nach „Le Sacre du Printemps“ eine Arbeit auszuführen, in der das klassische Gleichgewicht zwischen allen theatralischen Komponenten – Sujet, Musik, Tanz, Bühnenbild – dominierte. Strawinsky strebte „zu einer schlanken Verschmelzung des Ganzen“. Kein Wunder, dass der Komponist sofort auf das Projekt von Diaghilev und Picasso reagierte: „Picasso hat ein wahres Wunder geschaffen. (…) Es fällt mir schwer zu entscheiden, was mich genau an dieser wunderbaren Person begeisterte – Farben, Plastik oder eine erstaunliche Sinnlichkeit des Bühnenbildes“. Trotz seine Negation der Wagnerschen Idee eines Gesamtkunstwerks, verwirklichte er viel davon in seinem Theater. Wie man weiß, erwiderte Stravinsky während der Arbeit an dem Ballett-Mysterien „Le Sacre du Printemps“ die Einladung Diaghilevs und besuchte Bayreuth, um Wagners Mysterium „Parsifal“ zu sehen. In den „Chroniques de ma vie“ beschreibt der Komponist detailliert seine Reise sowie die widersprüchlichen Eindrücke von der Vorstellung. Er war kein Anhänger von Wagners Musik, verwendete aber das Modell des Mysterium nicht nur im „Sacre“, sondern auch in den neoklassischen Werken („Persephone“ „Ödipus Rex“ u.a.)

Achtsam spiegelte Algeri Strawinskys Reflexion eines Mysterium-Modells in der neuen Kombination „Pulcinella“ und „Le Sacre du Printemps“ wider. Das Comedy-Action Spiel mit Masken (Strawinsky konzipierte den Tanz-Begriff als Action dansant) hat als Folge die Tragödie des Widerstandes zwischen Leben und Tod. Die neue Version von „Le Sacre du Printemps“ stellt kein heidnisches Opferritual dar. Im Ballett Algeris wirken nicht Archetypen, sondern Menschen, nicht kollektives Unbewusstes, sondern die Aggression, die Angst, das Leiden. Der Choreograph schafft sein Mysterium, das aber kein rituelles, sondern ein psychologisches ist.


Copyright: Theater für Oper und Ballett Solomiya Krushelnytska, Lemberg (Lwiw), Ukraine

Nicholas Roerich als Bühnenbildner der skandalösen Premiere von „Le Sacre du Printemps“ (Choreographie von Vaclav Nijinsky) im Théâtre des Champs-Élysées (1913) sah das Wesen des „Sacre du Printemps“ generell nicht tragisch, da keine Individuen agieren. Das Opfer dient, den Stamm zu schützen. Das Opfer-Ritual verstand der Künstler als heidnische Hymne an den altslawischen Sonnengott Jarilo. „Der Instinkt der Herde, der Angst, der Ekstase treibt den Stamm zum Sonnenritus (…), der den Tanz von Spannung zur Ekstase, von Ekstase bis zur Erschöpfung führt“. Eine historische Rekonstruktion von Nijinskys Ballett schuf der britische Choreograf Millisent Hodson zusammen mit dem Maler Kenneth Archer und mit der Tanzgruppe „Joffrey Ball“ (1987).

Die Interpretationen des archaischen Rituals und der konventionellen Commedia dell’arte gestaltete der Choreograf sehr individuell. Leonid Massine, Mary Viґman, John Neumeier, Kenneth McMillan, Maurice Bejart, Pina Bausch, Glenn Tetli, Hans van Manena Anzhlena Prelzhokazha, Uwe Scholz, Régis Obadia, Patrick de Bana, Tatiana Baganova, Radu Poklitaru, Mats Ek und Sasha Waltz bildeten choreographische Konzepte mit unterschiedlicher Stilistik – neoprimitivistischer und kubofuturistischer Action dansant, ikonischer Kubismus, abstrakter Expressionismus, Ballett Sezession, Hyper-Realismus, Postmodernismus mit Film-Elementen, Plastische konzeptuellen Installationen u.a.

Die Interpretationsgeschichte der Ballette „Pulcinella“ und „Le Sacre du Printemps“ ist unterschiedlich. Die metaphysische Deutung, die der Komponist intuitiv in der Partitur „Le Sacre du Printemps“ festlegt, enthält einen unbegrenzten Raum für die Ideen und Phantasien der zeitgenössischen Interpreten. Die Zahl der szenischen Versionen von „Le Sacre du Printemps“ lag bei über 200 Inszenierungen. „Pulcinella“ wird relativ selten auf die Bühne gebracht. Offensichtlich wird die Bühnenexistenz dieses einzigartigen Werkes, in dem Strawinsky von Pergolesis Musik inspiriert wurde (damals wusste er noch nicht, dass es auch die Werke von unbekannten Komponisten wie Domenico Gallo, Unico Wilhelm van Wassenaer, Carlo Ignazio Monza waren) zum 100. Jahrestag seiner Pariser Premiere (am 15. Mai 1920) wiederbelebt. Das erste Theater, das diesem Jubiläum huldigte wurde das Nationale Akademische Theater für Oper und Ballett Lwiw.

Die dynamische Dramaturgie Algeris Choreographie von „Pulcinella“ bis zum „Sacre du Printemps“ schafft das Mysterium des Tanzes als schmerzhaften Übergang von der Welt des Komischen und Illusorischen in die reale Welt der Gewalt und Aggression. Konträre, von polaren Energien geprägte Bewegungen (Vereinigung/Opposition/Widerstand) veranschaulichen den zeitlosen Kampf der Geschlechter. Der Ausdruck des menschlichen Körpers und zeichenhafte Gestik anstelle der Masken wird zum lebendigen, ausdrucksstarken Gefühlsexplosion. Zur Erinnerung wird eine Äußerung von Pina Bausch zitiert. Sie hat das moderne Ballett als Experiment, als Kaleidoskop von Bildern und Stilen gesehen, als Geschichte von Menschen, die mit eigener Körpersprache kommunizieren. In Gruppenszenen sehen wir keine Synchronisation, wie sie für das klassische Ballett typisch ist. Die einprägsame Dynamik des Körpers wird durch polyphone Mittel erreicht. Die Deutung des Doppel-Balletts führt zur Studie der menschlichen Psyche: elegantes Posieren vor dem Spiegel, stilisierte Puppen- oder Marionettentänze, dann schräge Gegenbewegungen, die die Tänzer mit den mächtigen Orchester-Ausbrüchen assoziieren. Diverse Figuren bilden die Atmosphäre des Misstrauens, der Verweigerung, Schwerkraft, Ekstase, Liebe, was Algeris Choreographie als Choreoenergie charakterisieren lässt. Das „neue Sujet“ des Inszenierung entfaltet vor dem Publikum ein vielfältiges und immer aktuelles menschliches Beziehungs-Drama: Dominanz der Starken über die Schwachen, Gewalt der Gruppe gegen das Individuum. Einblicke in die schöne Vitalität, die alles um sich herum beleben könnte, stoßen auf Aggression. Das starke Streben zum freien Ausdruck stößt auf die Schilde der Soldaten.

Das tragische Finale des Dramas über „Wahrheit unter der Maske“ ist durch den schmerzhaften Fortgang des „Abreisens der Masken“ im Ballett vorauszuahnen. Die Dispositions-Änderungen von den Gruppen zu den Paaren betonen eindeutig das zentrale Liebes-Duett. Die konventionellen Personen-Namen hat der Regisseur in „Pulcinella“ belassen, sie aber in „Le Sacre du Printemps“ personalisiert. Dadurch wird in der Inszenierung die Universal-Ebene aufgehoben. Pimpinella und Pulcinella verwandeln sich in die Erkorene und ihren Geliebten. Die Ballettsolisten Yaryna Kotys (Pimpinella und Erkorene) und Serhiy Kachura (Pulchinella und Geliebter) manifestierten brillant die Idee der Liebe als Opfer dieser Welt. Die Liebe wacht auf, mit ihr wird gespielt, geflirtet, sie wird verraten, gelitten, aufgegeben. Es findet keine echte Versöhnung zwischen Pulcinella und Pimpinella statt. Die Welt, in der sie mit dem Schicksal spielen, wird später ihre Frivolität rächen.

Der kosmische Spiegel dient im Ballett wie ein Symbol des ewigen Zwiespalt des Menschen. Seine Spaltung zwischen Realität und Illusion wird ausdrucksvoll in der Choreographie umgesetzt und unterzeichnet. Der stilistische Rückblick in „Pulcinella“ war für Strawinsky selbst mit dem Symbol des Spiegels verbunden. Der Komponist nannte sein Werk „die Entdeckung der Vergangenheit“, „die Taufe“, die alle seine späteren Arbeiten geprägte. „Das war ein Blick zurück

wie die erste von vielen Taten der Liebe in diese Richtung“, schrieb der Komponist, „das war auch ein Blick in den Spiegel“.

Das Spiegel-Symbol des Doppel-Ballettes ist vielfältig: in „Pulcinella“ ist es der Wand-Spiegel, in „Le Sacre du Printemps“ der Himmels-Spiegel. Die Umsetzung dieser Idee ist sehr interessant, logisch und sehr erfolgreich: der Raum, in dem der Spiegel als theatralisches Attribut den Bühnenraum vertieft, multipliziert Personen und dient zugunsten seines symbolhaften Verständnis. Der Spiegel wird als Mittel des Wissens und der Selbsterkenntnis des Menschen betrachtet.

Im Algeris Ballett wird das Drama von Mann und Frau sowie vom Volk und vom einzelnen Menschen nicht von Instinkten des Lebens und des Todes (Eros und Tanatos) beherrscht. Es ist jedoch offensichtlich, dass diese polaren Kräfte des kollektiven Unbewussten zu einer Kampf-Arena zwischen Männer- und Frauenballettgruppen hervorgehoben werden. Das Schicksal der Erkorenen wird das Ergebnis menschlicher Aggression. Als die Erkorene in einen Ring von menschlichen Körpern eingeklemmt und durch die Entfremdung von ihrem Geliebtem allein gelassen wird, sich erschöpft und gedemütigt fühlt und schließlich zu krabbeln beginnt, auf den Boden genagelt (sich nicht rituell, sondern psychisch hingibt), wird die schreckliche Realität ihres physischen, dunklen sogar im Scheinwerferlicht beleuchteten Todes offenbar. Das Erhabene des archaischen Rituals wird weder sie noch das Publikum erleben. Die schmerzhafteste Wahrheit angesichts des Todes ist schließlich eine tödliche Krankheit. Wenn statt des archaischen Rituals „Kuss der Erde“ die Zuschauer beobachten, wie sie ihre Bewegungslust, die Leichtigkeit von Händen und Füßen verliert und auf einem Podest sitzend rollt, wie im Rollstuhl, werden die Szenen aus „Pulcinella“ in Erinnerung gerufen. Es war also eine Geschichte über die Jugend, in der die Leichtigkeit des Lebens tobte. Die symbolischen Farben der Commedia dell’arte strahlten im Spiegel in Hellrot, Gelb und Blau. Die Illusion der ausgeglichenen harmonischen Welt erzeugte grafische Silhouetten in dekorativen malerischen Tafeln (Bühnbild: Tadey Ryndzak). Im „Sacre du Printemps“ verwandelt sich die Hintergrundarchitektur der Szene in einen Kreis, in einen Planeten oder eine Raumprojektion der Weltfragmente, in der sich die gleichen Farben wie in der gebrochenen Spiegel-Projektion die vergangene Harmonie (immerfort war sie nur illusorisch und kurz) widerspiegeln. Das Spiel und die Realität, der Kreislauf der gebrochenen, getrennten Menschheits-Schicksale – die Quintessenz der menschlichen Existenz vom Homo ludens bis zum Homo mortalis – das ist die brillante Leistung eines durchdachten philosophischen Konzepts. Das Produktionsteam möchte uns die letzte Wahrheit mitteilen: Memento quod est homo.

Von Dr. Adelina Yefimenko


Copyright: Theater für Oper und Ballett Solomiya Krushelnytska, Lemberg (Lwiw), Ukraine

BERLIN/ Staatsoper: „L’ORFEO“, Monteverdi à la Sasha Waltz, „never change a winning team“

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Ensemble: Copyright: Sebastian Bolesch

Berlin/ Staatsoper: „L’ORFEO“, Monteverdi à la Sasha Waltz, „never change a winning team“, 19.11.2018

Als der L’Orfeo im Jahr 1607 in Mantua zum Geburtstag des Herzogs Francesco IV Gonzaga uraufgeführt wurde, war das die Stunde Null. Seither gilt dieses Werk – in seiner Verbindung von Musik, Schauspiel und Tanz – als die allererste Oper. Jedenfalls als die erste erhaltene.

Während zahllose jüngere Opern seither in der Versenkung verschwanden oder gelegentlich mit mehr oder weniger Erfolg erneut auf die Bühne gehievt wurden, hat L’Orfeo solche Bemühungen nicht nötig. Das liegt sicherlich an der Bekanntheit der alten Sage, aber ebenso an Monteverdis meisterhafter Musik.

Nicht nur Barockfans haben im Vorjahr die exemplarischen, halbszenischen Darbietungen unter der Leitung von John Eliot Gardiner in der Philharmonie gestürmt. Auch die vorangegangenen Aufführungen im Sommer 2015 im Schiller Theater waren ein voller Erfolg.

Jetzt taucht L’Orfeo m Rahmen der Staatsoper Barocktage erfreulicherweise wieder auf, und kaum sind Plätze frei geblieben. Diese Oper ist also nach wie vor ein Renner, zumal Inszenierung und Choreographie erneut in Händen von Sasha Waltz liegen. Es ist ohnehin eine ihrer besten Arbeiten.   

Schnell bringen die Tänzerinnen und Tänzer von Sasha Waltz & Guests, flankiert vom  Freiburger Barockconsort und dem Vocalconsort Berlin, Leben auf die von Alexander Schwarz betont schlicht gestaltete Bühne. Diese beiden großartigen Ensembles sowie die Sängerinnen und Sänger und die Tanzenden sind fast sämtlich „alte Bekannte“, die nach dem Motto „never change a winning team“ das Publikum erneut beglücken. Für den nötigen musikalischen Drive sorgt diesmal der Dirigent Lenardo Garcia Alarcón.

Die Guests von Sasha Waltz tanzen aber nicht nur unter sich, sondern auch mit den Sängerinnen und Sängern, ja tragen sie auch mal ein Stück umher. Die müssen im Verlauf ebenfalls zeigen, was sie eingeübt und an körperlicher Fitness zu bieten haben. Den meisten gelingt das recht gut, und sie scheinen daran auch Spaß zu haben.

Also nichts da von Standbein-Spielbein-Attitüde und Rampensingen, was noch keineswegs komplett der Vergangenheit angehört. Selbst die Kinder in meiner Reihe im 1. Rang verfolgen gespannt, was sich da unten tut. Beim sommerlichen Hochzeitsfest kommt Stimmung auf. Auch gefallen die farbigen Roben (Kostüme: Beate Borrmann).

Doch genau genommen ist das alles – und selbst manch gelungenes Tableau – ein apartes Beiwerk. Orfeo ist die Hauptperson, auf ihn kommt es an, und der ist wiederum bei Georg Nigl in bester Kehle. Wie innig kann er seine Liebe zu der schönen Euridice ausdrücken und seinen Jubel, dass sie nach langem Werben endlich „ja“ gesagt hat. Wie dunkelfarbig und zum Steine erweichen klingt sein voller Bariton, wenn er seine Qualen heraussingt. Mit welcher Power äußert er seine Verzweiflung und seinen Zorn. Nigels Stimme, kombiniert mit entsprechender Schauspielkunst, wird nie langweilig.


Anna Lucia Richter. Copyright: Sebastian Bolesch

Dagegen ist Anna Lucia Richter mit ihrem kristallinen Sopran von Monteverdi und seinem Librettisten Alessandro Striggio eigentlich unterfordert. Als Euridice hat sie nur einen kleinen Part zu singen. Immerhin auch die La Musica im Prolog, was Frau Richter angenehm unterschiedlich gestaltet. Weit mehr Eindruck kann die Unglücksboten (Messaggiera) machen, und Charlotte Hellekant kann das wirklich. Mit ihrem vollen Mezzo drückt sie ihre  Erschütterung über den frühen Tod der Freundin Euridice herzerweichend aus. Ein früher Höhepunkt an diesem Abend. Als die Hoffnung (La Speranza) zieht sie dann gekonnt andere Gefühls- und Stimmregister.


Charlotte Hellekant. Copyright: Sebastian Bolesch

Auch Plutone: Konstantin Wolff als kräftiger, leicht indisponierter Bass und Luciana Mancini, Mezzo, als fast schlangenhafte Verführerin Proserpina kennen wir bereits von 2015 und freuen uns über das Wiedersehen und Wiederhören. Sogar eine ansehnliche Choreographie kriegen die beiden hin.

Neu ist diesmal der 29jährige Grigory Shkarupa als Caronte und imponiert mit einem voluminösen russischen Bass. Der an Leid gewöhnte Steuermann in die Unterwelt bleibt trotz Orfeos so ergreifend gesungenen Bitten (ohne Leier in den Händen)  bekanntlich hart. Immerhin schläfert der Gesang ihn ein, doch das Publikum bleibt hellwach, zumal auch die übrigen Sängerinnen und Sänger in ihren Rollen als Hirten, Ninfa, Echo und Geister mit barockem Wohlklang überzeugen. Es sind Julián Millán, Cécile Kempenaers, Terry Wey, Fabio Trümpy,  Hans Wijers und Florian Feth.

Millán gibt mit honorigem Bariton außerdem den Gott Apollo, der seinem jammernden Sohn Orfeo aus der Loge im 1. Rang eindrücklich die Leviten liest und ihn belehrt, dass irdisches Glück ohnehin vergänglich sei. Der einsame Orfeo willigt schließlich ein, nun gen Himmel zu fahren, um dort – mitsamt seiner Leier und Euridice – als Gestirn ewig am Firmament vereint zu sein.   

Nach dieser positiven Wendung der Ereignisse tanzen nun alle ausgelassen über die Bühne, die Sängerinnen und Sänger, einige Instrumentalisten und die Tanzgäste sowieso. Es sind Davide Camplani, Juan Kruz Diaz de Garaio Esnaola, Luc Dunberry, Hwanhee Hwang, Michal Mualem, Virgis Puodziunas, Sasa Quelitz, Zaratiana Randrianantenaina, Orlando Rodriguez, Yael Schnell und Joel Suárez Gómez.  Ende gut, alles gut, und das Publikum antwortet mit sofort explodierendem Jubel.   

Ursula Wiegand

Weitere Termine: 23.  und 30. November 

STUTTGART: Foyer der Staatsoper: 2. LIEDKONZERT mit Esther Dierkes (Sopran) und Björn Bürger (Bariton)

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2. Liedkonzert am 19. November 2018 im Foyer der Staatsoper/STUTTGART
MIT INNERER SPANNUNG

Die Internationale Hugo-Wolf-Akademie und die Staatsoper Stuttgart luden zum zweiten Liedkonzert unter dem Motto „Beziehungsweise“ ein. Mit Esther Dierkes (Sopran) und Björn Bürger (Bariton) sowie dem versierten Pianisten Götz Payer waren zwei Künstler zu erleben, die auch im wirklichen Leben ein Paar sind. Es wurde eine berührende Liebesgeschichte erzählt – „ein Ritt durch die zwischenmenschliche Beziehung“. Beim Duett „Ich wollt, meine Lieb‘ ergösse sich“ op. 63/1 zeigten Esther Dierkes und Björn Bürger, mit welch tiefer emotionaler Reife sie ihre gesanglichen Linien gestalteten. Einen ähnlich positiven Eindruck vermittelte das stimmungsvolle Duett „Wenn ich ein Vöglein wär'“ op. 43/1 aus den drei zweistimmigen Liedern von Robert Schumann. Die geheimnisvollen Verwandtschaften zwischen den Seelen und Dingen traten hier deutlich hervor. Esther Dierkes gestaltete „Begegnung“ von Richard Strauss mit romantisch-schwärmerischem Gefühl. Auch bei Johannes Brahms‘ Komposition „Vergebliches Ständchen“ op. 84/4 aus den „Fünf Romanzen“ traf sie das romantisch-schwärmerische Gefühl genau. Hans Pfitzners „Die Einsame“ op. 9/2 spielte virtuos mit melodischer Zerrissenheit, die sich auch in einer gedämpften Liedweise zeigte. Björn Bürger traf das Ausschweifende der Empfindung sowie die Robustheit der Modulationen bei „An die ferne Geliebte“ op. 98 von Ludwig van Beethoven sehr genau. Hymnische Exaltiertheit beherrschte die „Zueignung“ von Richard Strauss op. 10/1 aus den acht Gedichten aus „Letzte Blätter“. Natürlich ragten hier auch die lyrischen Passagen eindrucksvoll hervor, was Esther Dierkes einfühlsam unterstrich. Esther Dierkes interpretierte „Der Jäger“ op. 95/4 aus „Sieben Lieder“ von Johannes Brahms mit feinen dynamischen Reizen, die sich immer weiter sensibilisierten. „Ach weh mir unglückhaftem Mann“ op. 21/4 („Schlichte Weisen“) von Richard Strauss imponierte aufgrund der Darstellung von Björn Bürger mit poetischem Glanz und geradezu irisierender Klarheit. Im Duett überzeugten Esther Dierkes und Björn Bürger wiederum bei „Feinsliebchen, du sollst mir nicht barfuß geh’n“ aus „49 Deutsche Volkslieder“ von Johannes Brahms. Auch bei Ludwig van Beethovens „Ich liebe dich“ trafen sie den reichen melodischen Gehalt der Kompositionen genau. Björn Bürger interpretierte aus Robert Schumanns „Dichterliebe“ op. 48 „Hör ich das Liedchen klingen“ und „Ein Jüngling liebt ein Mädchen“ mit dem passenden glühenden Gefühl. Esther Dierkes und Björn Bürger gestalteten zudem „Hast du von den Fischerkindern das alte Märchen vernommen?“ von Hans Pfitzner mit schlichten, aber ergreifenden Harmonien. Im Duett gefielen sie ebenso bei Robert Schumanns „Herbstlied“ aus den „drei zweistimmigen Liedern“ mit differenzierter gesanglicher Abstufung. Björn Bürger (Bariton) sang „Heimliche Aufforderung“ op. 27/3 aus „Vier Lieder“ von Richard Strauss mit voluminöser Fülle, während „Die Verschwiegenen“ op. 10/6 mit Esther Dierkes aus „Letzte Blätter“ einen noch melancholischeren Anklang erhielten. Esther Dierkes und Björn Bürger interpretierten zuletzt Robert Schumanns „So wahr die Sonne scheint“ op. 37/12 aus dem „Liebesfrühling“ mit euphorischen chromatischen Aufschwüngen. Ein Wiegenlied beschloss den stimmungsvollen Konzertabend.

Alexander Walther


WIEN/Staatsoper RUSALKA von Antonin Dvorak

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Camilla NYLUND als märchenhafte Rusalka
Foto:(C)M.Pöhn

 

Von Eiseskälte und unstillbaren Sehnsüchten

RUSALKA von Antonin Dvorak  in der Wiener Staatsoper
Am 19. November 2018 mit der 18. Aufführung in dieser Inszenierung

Von Manfred A. Schmid

 

Bei dieser Oper handelt es sich um ein „Lyrisches Märchen“, wie es der Komponist selbst formuliert hat. Gerade mit märchenhaften Stoffen aber– so lehrt uns die jüngere Rezeptionsgeschichte – tun sich die mit der Umsetzung betrauten Regisseure heutzutage zunehmend schwer. Otto Schenks Inszenierung des Schlauen Füchsleins hat sich als hoffnungslos überladen herausgestellt; Musik und Bühnenbild passen aber auch in der derzeit wieder zu sehenden Wiener Staatsopernproduktion von Dvoraks Rusalka (Regie Sven-Eric Bechtolf) nicht zusammen: Die Ouvertüre beginnt mit zauberhaften, hellsilbrig instrumentierten Klängen, man glaubt das anmutige Spiel der Wellen zu erahnen, verspürt die unstillbare Sehnsucht der Wasserfrau nach Sonne und menschlicher Zuneigung, sieht förmlich den milden Abglanz des Mondes auf der Wasseroberfläche tanzen und den schmetterlingshaften Reigen der zierlichen Elfen. Kurz: Man fühlt sich in eine entrückte Märchenwelt versetzt.

Dann öffnet sich der Vorhang, und man ist schlagartig ernüchtert angesichts der leblos-tristen und kalten Landschaft, die einem hier vorgesetzt wird. Der ganze Zauber ist weg. Und diese trostlos kahle Gegend, schneebedeckt und mit baumartigen Gebilden, die –  Ruinen gleich –  in die Höhe ragen,  muss dann im I. und III. Akt als Vorbereich der Wasserwelt der Nixen ebenso herhalten wie auch als verwunschener Wald, in dem sich Waldgeister herumtreiben,  und schließlich als Begegnungszone, in der die Menschen- mit durchwegs fatalen Folgen –  auf diese fremden Geschöpfe treffen. Und das alles nur, weil Rusalka nach ihrer Rückkehr über schreckliche Kälte klagt, damit aber eindeutig nur die schreckliche Einsamkeit meint, in der sie fortan zu leben verurteilt ist, denn im selben Atemzug erinnert sich wehmütig der fröhlichen Stunden im Kreise ihrer Schwestern sowie der rauschenden Sommertage, die sie in den Blättern der Lotosblume verbracht hat!

Zum Glück aber ist die musikalische Gestaltung dieses Opernabends vorbildhaft und lässt hinsichtlich hörbarer Farbenpracht in nuancierter Fülle kaum Wünsche offen. Zu nennen ist zuallererst Jongmin Park als imposant singender Wasserman. Ein souveräner Herrscher der Wasserwelt, der besorgt ist über den Weg, den die zarte Rusalka gegen seinen eindringlichen Rat zu gehen gewillt ist, und voll von aufrichtigem Mitleid erfüllt, als sie bei ihrem sehnlichem Verlangen nach Liebe zu einem Menschen scheitert und schließlich – als Aus- und Verstoßene – fortan ein elendes Leben führen muss. Sein mahnender, bestimmter und zugleich auch zu sanften, versöhnlichen und einfühlsamen Tönen fähiger Bass erweist sich als stärkste Leistung und erhält schließlich auch den stärksten Applaus.

Sein Schützling, die unglückliche Rusalka, die sich voll guter Hoffnung in die Gesellschaft der Menschen begibt und schwer enttäuscht zurückkehrt, wird von Camilla Nylund nicht minder ergreifend gesungen. Schon vor zehn Jahren debütierte sie in dieser Titelpartie bei den Salzburger Festspielen und hat diese Rolle inzwischen in den verschiedensten Produktionen weltweit dargestellt. Wie es ihr dabei am Royal Opera House London unter der Regie von Jossi Wieler and Sergio Morabito erging, kann im Internet nachgelesen werden.  So abenteuerlich geht es diesmal nicht zu, aber ihre sorgsame Fesselung des Traumprinzen im letzten Akt muss man gesehen haben (oder auch nicht). Gesanglich ist sie eine Klasse für sich und kann sich gegenüber ihrer Leistung als Einspringerin bei der Premiere 2016 in puncto Anmut und Strahlkraft nochmals steigern.

Nadia Krasteva als Die fremde Fürstin spielt ihrer Vorzüge gegenüber der vom Prinzen alsbald als „kalt“ empfundenen Braut geschickt aus und vertreibt ihre Rivalin noch vor der Hochzeit von seiner Seite. Ihr kraftvoll timbrierter, Sinnlichkeit verströmender Mezzosopran eignet sich vorzüglich zum Ausdruck von Leidenschaftlichkeit und unbändiger Lebensenergie. In dieser Dreiecksgeschichte der Mittepunkt ist Brandon Jovanovich als wankelmütiger Prinz. Nach seinem Erfolg als Enée in Troyens kann er auch in dieser Partie, die in der höheren Stimmlage eine ziemliche Herausforderung darstellt, mit seinem angenehm samtig-aufgeraut klingendenen Tenor reüssieren und Sympathien auf sich ziehen. Anzumerken ist, dass der II. Akt dieser Inszenierung, der im Palast des Prinzen spielt, der weitaus gelungenste ist. Besonders der Auftritt des Wassermanns, der da in die Hochzeitsvorbereitungen hereinplatzt, verfehlt seine erschütternde Wirkung nicht. Die Partie der – in dieser Inszenierung besonders fies noch dazu als Mörderin präsentierten – Hexe Jezibaba ist Monika Bohinec anvertraut. Sie punktet bei ihren schaurigen Auftritten mit dunkel schattiertem Gesang und energischen Ausbrüchen von Spott und Hohn.

Wunderbar ausgewogen ist das als hochromantischer Nachhall der Rheintöchter daherkommende Terzett der Waldelfen. Warum aber Maria Nazarova, Szilvia Vöros und Magareta Plummer ihre anmutigen Weisen mit marionettenhaft wirkenden, abrupten Armbewegungen zu singen haben und schließlich sogar zu Menschenfresserinnen mutieren und an dem von Jezibaba erstochenen Küchenjungen knabbern müssen, erschließt sich einem beim besten Willen nicht. Gabriel Bermudez und die köstlich agierende und singende Stephanie Houtzel steuern als Heger bzw. Küchenjunge gekonnt die – hier freilich empfindlich getrübten – komödiantischen Momente der Aufführung bei. Wolfgang Derntl tritt als Jäger kurz in Erscheinung.

Wenn Sängerinnen und Sänger ihrer Gesamtheit so gute, ja außerordentlich gute Leistungen erbringen, kann auch die Leistung des Dirigenten nicht so mangelhaft sein wie hier und dort behauptet. Eivind Gullberg Jensen macht seine Sache gut und sorgt dafür, dass aus dem Orchestergraben jene märchenhaften Zauberlänge emporsteigen, die die Inszenierung so sehr vermissen lässt. Es gelingen ihm auch die dramatischen Zuspitzungen. So gibt es reichlichen Beifall als Lohn für einen erfreulichen Opernabend.

Manfred A. Schmid – OnlineMERKER

 

FRANKFURT/ Oper: LIEDERABEND CHRISTIANE KARG

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Christiane Karg, Simon Lepper. Copyright: Barbara Aumüller

Frankfurt: „CHRISTIANE KARG“ – Liederabend 20.11.2018

Liederabende in der Oper Frankfurt verheißen stets Glücksmomente und höchste Genüsse der besonderen Art. So war nun heute Hanna-Elisabeth Müller angesagt, doch die Dame sagte wegen Heiserkeit ab und der Intendanz war es zu danken, eine adäquate Alternative zu präsentieren: Christiane Karg!

Die freudig begrüßte Sängerin, vor Jahren Ensemblemitglied und Publikumsliebling hob in Würdigung des Komponisten Claude Debussy seinen 100. Todestag hervor, dessen Affinität zu Richard Wagner und sein immenses Schaffen hervor. Bedingt durch die zeitlichen Umstände, auf die Schnelle einen Pianisten zu finden erläuterte Christiane Karg, dass sie heute mit Simon Lepper erstmals auftrete.

Die Programmfolge ungewöhnlich, aufregend spannend und impressionistisch geprägt, umhüllt extraordinärer Aura wurde mit den „Cinq poémes de Charles Boudelaire“ von Claude Debussy eröffnet. Die Preziosen schienen geradezu ideal auf das warme Timbre, die angenehm fokussierten Höhenbereiche der exzellenten Sopranistin zugeschnitten, Christine Karg vermag am besten Deklamation aus dem Sprachklang zu vermitteln, die Stimme wirkt wie ein Instrument von erlesener Reinheit. In schlichter Eleganz durchwebt von Melancholie erklangen somit u.a. Harmonie du soir – La mort des amants auf wunderbare Weise.

Gleich einem zu leichten Pinselstrichen gemalten Aquarell zeichnete Christiane Karg in vokalen Couleurs die „Ariettes oubliées“, wie in Verzückung erhob sich die Stimme bei C´est l´extase langoureuse, anmutig im Ton und ganz im Sentiment Il pleure dans mon coeur schien die Stimme zu schweben. Heiter wie atmosphärisch kamen Chevaux de bois daher um nur wenige hervorzuheben.

Zwischen den beiden Debussys eingebettet führte die Künstlerin in die Welt der „Chansons“ von Erik Satie. Versonnen wirkte Les anges, beschwingt kam das Bekenntnis Je te veux daher, von Tristesse geprägt Spleen und mit dem Schalk im Nacken und vorher köstlich kommentiert La Diva de l´Empire.

Stets wachen Auges auf Partitur und Solistin gerichtet verstand es Simon Lepper in rhetorischer Sensibilität die Klavierparts zu absolvieren. Sein Spiel klang suggestiv, harmonisch, solistisch nie vordergründig und stets dem sinnlichen Charakter dieser teils elegischen Kompositionen akzentuierend. Ein gelungener „Einstand“ und evtl. Kontinuation?

Den Epilog und die bereits erwähnte Verehrung Debussys zu Richard Wagner bildeten die „Wesendonck-Lieder“ als Krönung dieses unvergleichlichen Recitals. In makelloser Führung ihres vokalen Instruments und vortrefflicher Deklamation sang Christiane Karg Der Engel sehr gefühlsbetont. Völlig im melodischen Fluss folgte Stehe still, sehnendes Verlangen im resignierenden Unterton wurde in der schwülen Atmosphäre Im Treibhaus gewahr. Ungebrochene Faszination schenkte die Sängerin mit ihrem kostbar-silbern schimmernden Sopran in wunderbaren Reflektionen dem Lied Schmerzen. In lyrischer Stimmführung veredelte die Sängerin schließlich die elegische Tendenz der Träume. Karg schien nicht nur zu singen, nein sie sprach musikalisch, sodass ihr differenzierter Vortrag wie gelebt erschien.

Lange atemlose Stille, sodann brach die Begeisterung des Publikums seine Bahn. Die gefeierte Künstlerin und der sichtlich erleichterte Pianist gaben keine musikalische Zugabe.

Exzeptionell und passend zum Abendprogramm rezitierte Christiane Karg eine literarische Zugabe: Höre auf den Rat von niemanden, außer auf den Wind in den Bäumen. Er erzählt Dir die Geschichte der gesamten Menschheit. (Claude Debussy alias Monsieur Croche)

Gerhard Hoffmann

 

STUTTGART/ Liederhalle: 2. KAMMERKONZERT „Avant un revé“ mit dem Staatsorchester Stuttgart

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2. Kammerkonzert „Avant un reve“ mit dem Staatsorchester am 21.11.2018 in der Liederhalle/STUTTGART

LYRISCH UND VIRTUOS

Traum- und Wunschbilder beherrschten dieses Konzerts mit Musikern des Staatsorchesters Stuttgart. Emotionalität und musikalische Poetik standen im Mittelpunkt der „Zwei Gesange für eine Altstimme“ mit Bratsche und Klavier op. 91 von Johannes Brahms, wo die mit voluminösem Timbre aufwartende Messosopranistin Helene Schneiderman zusammen mit Thomas Gehring (Viola) und Alan Hamilton (Klavier) auch die melancholischen Aspekte wirkungsvoll unterstrich. Die poetische Metamorphose wurde so wirkungsvoll herausgestellt.

Von Arnold Schönberg war dann „Ein Stelldichein“ zu hören. Das unvollendete Werk wurde von Friedrich Cerha stilvoll ergänzt. Katrin Stüble (Oboe), Stefanie Faber (Klarinette), Vanessa Gembries (Violine), Joachim Hess (Violoncello) und Helge Aurich (Klavier) betonten die ständige Steigerung des Ausdrucks dynamisch sehr effektvoll. Neue harmonische Klangräume wurden dabei facettenreich erschlossen. Die Komposition bezieht sich auf ein Gedicht Richard Dehmels. Darin trifft sich ein Liebespaar in einem nächtlichen Garten und scheint zunächst Erfüllung zu finden. Doch es herrscht eine morbide Stimmung. Imponierende Vielstufigkeit und leidenschaftliche Emphase beherrschten diese gelungene Interpretation.

Von Franz Schubert waren dann Introduktion und Variationen über das Lied „Trockne Blumen“ aus „Die schöne Müllerin“ D 802 aus dem Jahre 1824 zu hören, wo Nathanal Carre (Flöte) und Helge Aurich (Klavier) die kontrapunktisch reizvollen Klangkombinationen voll auskosteten. Die melodische Auf- und Abbewegung erreichte eine ungeahnte Intensität. Der Einfluss Gustav Mahlers machte sich bei der interessanten Interpretation von „Il canto della notte“ (1997/98) als Poema von Volker David Kirchner bemerkbar, wo Stefanie Faber (Klarinette), Gabriele Guder (Horn), Vanessa Gembries (Viola), Andrea Wegmann (Viola), Joachim Hess (Violoncello) und Alan Hamilton (Klavier) bei den Tremolo-Passagen und chromatischen Figurationen auch die Nähe zu Arnold Schönberg betonten. Eine wilde Flucht durch die Nacht beeindruckte dabei die Zuhörer, wobei sich die einzelnen Klangereignisse immer mysteriöser auffächerten.

Zum Abschluss war noch „Apres un reve“ („Nach einem Traum“) aus den „Trois melodies“ op. 7 Nr. 1 von Gabriel Faure zu hören. Helene Schneiderman (Mezzosopran) und Alan Hamilton (Klavier) gestalteten das impressionistisch angehauchte Werk mit Formvollendung. Die gesanglichen Kantilenen blühten in beglückender Weise auf. Auch die einfache melodische Linie kam nicht zu kurz. Gefühle von Liebe und Verzweiflung beherrschten das Klangbild. Faure hatte zurzeit der Entstehung dieser Komposition seine Verlobte verloren, die die Verbindung auflöste. Herzlicher Schlussapplaus im Mozartsaal.

Alexander Walther

WIEN/Staatsoper Solistenkonzert ANDREAS SCHAGER

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Andreas SCHAGER Solo in der Wiener Staatsoper mit Lydia BAICH, Violine und Klaus Sallmann, Klavier  (C) M. Pöhn

Wien / Staatsoper

Solistenkonzert Andreas Schager  
Mit Lidia Baich / Violine und Klaus Sallmann am Klavier

Am 21. November 2018   Von Manfred A.Schmid


Ein Heldentenor versucht sich im Liedgesang


„Nimm sie hin denn, diese Lieder, “ singt Andreas Schager in Ludwig van Beethovens Zyklus An die ferne Geliebte. Nein, dieser Aufforderung will man nicht so ohne Weiteres Folge leisten. Diese Lieder können nicht einfach hingenommen werden. Dazu ist die Performance an diesem Abend zu unbefriedigend. Nun weiß man ja: Heldentenöre gelten allgemein nicht gerade als die geeignetsten Liedsänger, ein paar Ausnahmen gibt es jedoch. Hat nicht Klaus Florian Vogt unlängst Die schöne Müllerin von Schubert gesungen? Aber ist der überhaupt ein richtiger Wagner-Sänger? Allzu viele fallen einem jedenfalls nicht ein. Jonas Kaufmann zum Beispiel. Auch René Kollo bietet sich an: auch er hat die Wesendonck-Lieder gesungen.

Dieser Zyklus steht auch bei Schager auf dem Programm, wird sogar an den Anfang gestellt. Die fünf Lieder stehen im Kontext zu Wagners Tristan-Projekt. Zwei davon – „Im Treibhaus“ und „Träume“ – sind eindeutig als Vorstudien zum Tristan zu klassifizieren. Musikalisch verweist insbesondere die irisierende Harmonik auf diesen Bezug, doch auch inhaltlich sind Berührungspunkte zur pessimistisch-melancholischen Gefühlsmystik der Oper gegeben. Dennoch: Es handelt sich hier nicht um Arien, sondern eindeutig um Lieder. Das weiß natürlich auch Schager, der die Titelpartie in Tristan und Isolde jüngst erst in Paris mit Erfolg gesungen hat, und nimmt seinen hellen, starken und recht einschmeichelnden Heldentenor sehr zurück. Das Ergebnis: leider eine sehr reduzierte, flach tönende Stimme. Da fehlen die Nuancen, die Stimmgebung ist gedämpft, die Schattierungen, die erst das Volumen und die Eigenart seines Timbres ausmachen, kommen nicht richtig zur Wirkung. Vor allem aber ist der Registerwechsel sehr stark bemerkbar: die höheren Töne sind gegenüber der Mittellage deutlich stärker. Man schreckt manchmal auf, wenn sie erklingen, obwohl sie eigentlich gar nicht so hoch liegen. Da mangelt es an einem glatten Übergang. Zu allem Überfluss spielt Klaus Sallmann dazu auf einem Flügel mit hochgeklapptem Deckel. Das erklärt vielleicht, warum er manchmal zu laut wird, was sich leider auch für die drei rein kammermusikalischen Programmpunkte des Abends gilt.

Trotz dieser Einschränkung wird der kammermusikalische Teil zum wahren Höhepunkt des Abends, denn auch in Beethovens einzigem Liederzyklus, der nach der Pause im Mittelpunkt erklang, mag der Funken des Liedgesangs nicht so recht überspringen. Schager hat sich mit Liedern aus An die ferne Geliebte eingehend beschäftigt, man spürt Wärme und echte Zuneigung. Aber die Ausgedünntheit der Stimmgebung ist auch hier nicht zu überhören. Insgesamt aber gelingt hier der Versuch, der mit inniger Leichtigkeit daherkommenden Atmosphäre dieser Lieder nachzuspüren, die mit ihrer Naturschilderung als Widerspiegelung der Zustände eines Seelenlebens schon deutlich romantisch gestimmt ist, deutlich besser.

Von Richard Strauss kennt man wahre „Schlager“, die man sich als gut geeignet für den Heldentenor Andreas Schager vorstellen könnte. Dass er ausgerechnet dessen überirdisch zartes „Morgen“ mit seiner magischen Beschwörung innigster Zweisamkeit an den Beginn seines Strauss-Blocks stellt, ist hingegen schwer nachvollziehbar. Bei diesem Lied kommt auch seine Frau Lidia Baich mit ihrer Geige zum Einsatz; das passt, insbesondere in der zarten Einleitung, ist aber – wie schon zuvor in Wagners „Träume“ – ziemlich überflüssig.  Besser ergeht es Schager mit „Ich trage meine Minne“, das in seiner Interpretation recht frohgemut und leichtfüßig daherkommt.  Das „Ständchen“, klingt dann in der letzten Strophe schon eher wie eine Arie, einen ziemlich opernhaften Eindruck hinterlässt auch die „Winterliebe“ – auch das mag durchgehen. Dass aber gerade bei Strauss in puncto Liedwahl mehr drin gewesen wäre, erahnt man spätestens in der mitreißend gestalteten Zugabe „Zuneigung“.

Noch ein paar Anmerkungen zum – gelungenen und programmatisch gut eingepassten – Kammermusik-Teil: Die Violinistin Lidia Baich begeistert mit der fulminant und äußerst temperamentvoll vorgetragenen, für Violine und Klavier bearbeiteten Suite aus Romeo und Julia, mit einer die Tiefen von Richard Wagners „Liebestod“ aus Tristan und Isolde auslotenden Interpretation sowie mit einer Kammermusikfassung eines Stücks aus Rimski-Korsakows Scheherezade, dessen exotisierende Klänge orientalischen Zauber verströmen. Auch der selten gehörte Finalsatz aus der Violinsonate op. 18 von Richard Strauss ist gut gewählt und stammt aus der spätromantischen Phase des Komponisten, in der – lange vor seiner Opernkarriere – auch die Lieder entstanden sind. Dass Baich mit dem Pianisten Klaus Sallman,  der vermutlich als Einspringer für den ursprünglich angekündigten Matthias Fletzberger zum Einsatz kommt (von Fletzberger stammen im Übrigen auch die feinen Bearbeitungen) als Zugabe noch Stücke aus Aram Chatschaturjans Ballettmusik Spartacus zum Besten gab, weckte nostalgische Erinnerungen an die legendäre Fernsehserie Onedin Line, die in den 70er Jahren ein Renner war.

Fazit: Schagers Liedgesang wird sich noch deutlich vertiefen und reifen müssen, oder aber er wird sich mit dem zufrieden geben, was ihm am besten liegt und wofür er geschätzt, ja, geliebt wird: dem Operngesang. Und da könnten sogar neue Bereiche dazukommen. Das im Zugabeteil erklingende „Nessun dorma“, frisch dahingeschmettert, könnte ein Testballon gewesen sein. Dieser zumindest ist nicht geplatzt.

Manfred A. Schmid
Online
MERKER

 

WIEN/ Festssaaal Gatterburggasse: ZANETTO – Einakter von Pietro Mascagni

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Flaka Goranci, Mennan Berveniku, Anna Ryan. Foto: Herta Haider

Merker Zanetto Dusek

Festsaal Bezirksvorstehung Wien 19. Gatterburggasse 14

 

BERÜHRENDE MASCAGNI-RARITÄT: „ZANETTO“ IM MERKER-KUNSTSALON (20.11.2018):

Pietro Mascagni war erst 27 Jahre alt als sein Opern-Erstling „Cavalleria Rusticana“ in Rom im Jahr 1890 als Bühnen-Sensation gefeiert wurde. Und obwohl er in den nächsten Jahrzehnten mehr als ein Dutzend Werke wie „Guglielmo Ratcliff“ oder „Nerone“ herausbrachte – keines kam an die Popularität der „Sizilianischen Bauernehre“ heran. Die tragische Liebe zwischen Santuzza und Turridu und vor allem das berühmte Zwischenspiel – sie gehören zu den am meisten gespielten Opern und sogar der Film griff auf Mascagni zurück: etwa im „Paten“. Dennoch sollten sich mutige Intendanten die Einspielungen der „vergessenen“ Mascagni-Opern durchhören. Oder gar einmal statt der Kombination mit „I Pagliacci“ von Leoncavallo auf einen reinen Mascagni-Abend umstellen. Nun: der Merker-Kunstsalon und seine umtriebige Koordinatorin Elena Habermann haben ein vielversprechendes Beispiel präsentiert. Und zwar den 40 minütigen Einakter  „Zanetto“ über die seelischen Verwirrnisse der schönen Kurtisane Silvia mit ihrem jugendlichen Verehrer Zanetto. Eine Oper für zwei Frauenstimmen. Denn der  junge „Minnesänger“ – das Stück spielt in der Toscana in der Renaissance-Zeit – wird von einem Mezzo dargestellt also  von einem Vorfahren von Octavian.

Die Raritäten-Aufführung im „Merker-Kunstsalon“ hatte einen großartigen Pianisten namens Mennan Berveniku und zwei grandiose Sängerinnen zur Verfügung: Anna Ryan als Kurtisane, die vergeblich nach der wahren Liebe sucht, und die aus dem Kosovo stammende Mezzo-Sopranistin Flaka Goranci, die offenbar „Bindungsängste“ überwinden müsste, sind eine Idealbesetzung für diesen Macagni-Einakter, dessen Uraufführung 6 Jahre nach der Cavalleria im Jahr 1896 in Pesaro stattfand. Anna Ryan gehört zu den vielseitigsten Sopranen, die ich kenne. Ihr Repertoire reicht von Abigaile bis Aida, von Butterfly bis Leonora (Trovatore). Und als Kurtisane muss sie in Lyrik ebenso schwelgen wie sie in der Attacke die Stimme „aufblühen“ lassen muss. Und Mascagni verlangt seinen Protagonisten veristische Bravour ab:grandios! 

Der „fahrende Sänger“ muss etwas von der Naivität der ersten Liebe transportieren, die sich vor den wahren Gefühlen fürchtet. Flaka Goranci aus dem Kosova ist blutjung. Edles Timbre mit Ausstrahlung . Kein Wunder, dass sie schon Rollen wie Dorabella und Cenerentola „drauf“ hat. Das Publikum war jedenfalls begeistert und die meisten würden sich freuen, zumindest eine Konzert-Version mit Orchester – und den beiden Sängerinnen – miterleben zu können. Das nächste Konzert des „Merker-Salon“findet übrigens am 4.Dezember statt: und zwar ein Advent-Konzert zugunsten des Vereins „Ich bin OK“.

Peter Dusek

LIEGE/ Lüttich: TOSCA

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LIÈGE/ LÜTTICH/ Opéra Royal de Wallonie: TOSCA. Wiederaufnahme am 20.11.2018


Copyright: Opéra Royal de Wallonie

Im belgischen Liege ist die Opernwelt noch in Ordnung: Dort werden die großen Werke des Musiktheaters nicht interpretiert, sondern optisch ansprechend auf die Bühne gebracht. So auch Puccinis „Tosca“, die in einer Wiederaufnahme der Inszenierung von Claire Servais aus dem Jahr 2014 gespielt wird.

Das Bühnenbild von Carlo Centolavigna zeigt im ersten Akt nicht etwas die Kirche Santa Andrea della Valle, sondern in einem dunklen Raum befinden sich nur Versatzstücke dieser Kirche, aus denen sich der Zuschauer den Gesamtraum selbst konstruieren muss. In der Mitte befindet sich der Hochaltar, der sich allerdings erst im „Te Deum“ in seiner ganzen Pracht zeigt. Seitlich davon stehen zwei große Heiligenfiguren. Links ist das Torr zur Attavanti-Kapelle und links das Bildnis von Maria Magdalena, an dem Cavaradossi gerade arbeitet. Die präsentiert sich hier halbnackt…

 

https://www.deropernfreund.de/luettich-liege-6.html

 

Rudolf Hermes /www.deropernfreund.de

POTSDAM/ Friedenskirche: THEODORA – szenisches Oratorium. Premiere

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Christopher Lowrey, Ruby Hughes. Copyright: Stefan Gloede

POTSDAMER WINTEROPER 2018/Friedenskirche: THEODORA, szenisches Oratorium – Koproduktion von Kammerakademie Potsdam und Hans Otto Theater; PREMIERE, 22.11.2018

 

In Österreich kennt man Kirchenopern in szenischer Form etwa vom Carinthischen Sommer her, durch hochkarätige (Ur) Aufführungen in der Stiftskirche Ossiach. In Brandenburg wird diese Tradition seit 2013 gepflegt. Hier dient die Potsdamer Friedenskirche im Schlosspark Sanssouci/Marylgarten als Aufführungsstätte musikdramatischer Werke mit biblischen Stoffen. Die architektonisch romanischen oberitalienischen Klosterbauten nachempfundene Säulenbasilika aus dem 19. Jahrhundert bildet für die Inszenierung des späten Händel-Oratoriums „Theodora“ den stimmungsvollen Rahmen.

 

Bühnenbildner Matthias Müller, zugleich technischer Direktor am Hans-Otto-Theater, hat für die szenische Aufbereitung über das gesamte Kirchenschiff hinweg zentral einen gewaltigen Laufsteg in weißer Marmoroptik geschaffen. Das Publikum ist ähnlich einer Fashionshow rundherum platziert. Zuerst ist die Apsis noch mit rotem Tuch verhangen, erst im zweiten Teil werden Friedenstaube und Kreuz sowie das spektakulär schöne veneto-byzantinische Mosaik mit sitzendem Christus sichtbar.

 

Sabine Hartmannshenn, die im September in Chemnitz ihre Regiearbeit von Wagners Siegfried erfolgreich abschließen konnte, hat sich für die Bebilderung und Personenregie für dieses statisch antikische Oratorium mit frühchristlichen Bezügen ein frech-zeitgenössisches Setting einfallen lassen. Gemeinsam mit ihrem Leading Team, der Kostümbildnerin Edith Kollath und Choreograph Lukas Kretschmer hat Hartmannshenn den sakralen, aber gleichzeitig der Repräsentation irdischer Herrschaftsverhältnisse dienenden Ort in einen Laufsteg menschlicher Eitelkeiten verwandelt. Das den Römern zum Verwechseln ähnliche Berliner Partyvolk dürfen als handybewaffnete Modefreaks in Flitter, schwarzem Leder und grell verspiegelten Sonnenbrillen die Bühne stürmen. Der schöne Party-Schein geht den „Ich-firmigen“ Römern offenbar über alles. Also sollen dem Kaiser Diokletian anlässlich seines Geburtstages ausschweifende Feste und dem Gott Jupiter Opfergaben bereitet werden.

 

Alle sind dabei, wenn der autokratisch regierende Statthalter in Antiochien, Valens, dem in schwarz punkigem Outfit forsch auftretenden Offizier Septimius die Durchführung des Fetischfests anordnet. Wirklich alle? Nein, ein flottes Dreiergrüppchen widersetzt sich dem Befehl. Die damals freilich als sektiererisch  geltenden Christinnen Theodora und ihre Freundin Irene sowie der schwärmerisch verliebte Didymus lassen sich durch gesellschaftlichen Druck und die massive Gruppendynamik nicht in ihrer Mission beirren. Natürlich kann Valens nicht verstehen, dass sich jemand der neureichen Attraktivität eines glamourösen Luxuslebens entziehen möchte.

Das Gewissen erlaubt es Theodora nicht, einem anderen Gott zu huldigen. Es kommt wie es kommen muss:  Theodora und Didymus erleiden den Märtyrertod und singen im Himmel vereint ihr letztes Duett. Hier greift die Inszenierung ganz schön tief in die Kitschkiste, die ironische Brechung auf die Spitze treibend. Theodora im Habitus einer schwarzen Madonna und der zum Christentum bekehrte römische Offizier Didymus können im Jenseits nun so richtig lange und ausgiebig miteinander schmusen. Genau dieser oberflächliche Gag erweist sich als hybride Schwachstelle der Regie. Es wäre bei solch einer Aktualisierung konsequenter gewesen, entweder auf die religiöse Konkretisierung mittels Gebetsbücher ganz zu verzichten und die für heutige Verhältnisse schwer verdauliche Handlung ganz auf individualpsychologische Aspekte zu zentrieren. Mit Menschen, die als Subjekte Haltung auch bei massivem Gegenwind zeigen können. In der frühchristlichen Variante wird den Märtyrern ja noch das Paradies versprochen. Daher trauen sie sich auch so mutig für ihre Überzeugung in den Tod zu gehen. Kennen wir das heute nicht von irgendwo her?

 

Die Regie spielt stark mit Farbsymbolen der Kostüme. Theodora, Irene und Didymus werfen schon bald allen Chichi ab und tragen nur noch sakrales schwarz-weiß. Der Chor darf am Ende nach der Bekehrung rote Schals tragen. Die Stärke der Inszenierung liegt ganz eindeutig in der Personenregie. Da werden die Figuren des Stücks in feiner Übertragung der empfindsamen Musik Händels in intime und präzise Beziehung zueinander gesetzt. Berührend ist insbesondere, wie das christliche Dreigespann untereinander agiert, aber auch Septimius in seiner Vermittlerrolle, an der er krachend scheitert und seinen Offiziersfreund Didymus  schließlich mittels Erdrosselung brutal ins Jenseits befördert.

 

Die Musik zu Theodora ist überwältigender Händel at his best und hat viele Facetten. Sie ist innig, prächtig, kontrapunktisch raffinert. Besonders ab dem zweiten Teil mit der Sinfonia, die Reminiszenzen an Purcells Funeral Musik heraufbeschwört, löst sich die Realität in komplett introspektiven Szenen auf. Die Akteure besingen entweder ihr Festhalten an alten Mustern (Valens), ihr komplexes Innenleben, Ängste, Furcht und Hoffnung oder feiern ihre Individualität in Liebe und Zuneigung, wofür auch die drei Duette mit Theodora als musikalische Höhepunkte des Abends stehen.

 

Der Alte Musik Kenner Konrad Junghänel dirigiert die Kammerakademie Potsdam und die vereinten Kräfte des Vocalconsort Berlin und der Vokalakademie Potsdam. Im Rahmen der Potsdamer Winteroper leitete er bereits Mozarts „Così fan tutte“ und „Die Entführung aus dem Serail“ im Schlosstheater sowie Händels „Jephtha“ und „Israel in Egypt“ in der Friedenskirche. Junghändel greift, wie er im Interview betont, Freiheiten auf, die die Partitur den Interpreten bezüglich Dynamik, Tempo, Akzentsetzung lässt. Ich meine, der Dirigent, der die Noten klassisch feinsinnig und nuanciert detailreich in Klang übersetzt hat, hätte im ersten Teil mehr an dramatischen Impulsen setzen können. Grosso modo hat das historisch informierte Musizieren des vorne links im Kirchenschiff akustisch ein wenig problematisch postierten Orchesters aber gefallen.

 

Gesungen wurde dem Original gemäß in englischer Sprache. Der walisische Bass Neal Davies in der Rolle des Politikers Valens überzeugte mit gepfefferten Koloraturen und forschem Vortrag. Sein Offizier Septimius wurde vom jungen  britischen Tenor Hugo Hymas mit der nötigen Ambivalenz ausgestattet. In der großartigen Arie „From virtue springs each gen’rous deed“ plädiert er mit schwindelerregenden Verzierungen für Großmut. Hymas singt stilistisch ganz hervorragend in der großen  Tradition britischer Tenöre. Neben Alter Musik würden ihm sicher zeitgenössische Werke und Lieder gut zu Stimme stehen. Die Palme unter den männlichen Protagonisten gebührt dem amerikanischen Countertenor Christopher Lowrey in der großen Rolle des Didymus. In der Arie „Deeds of kindness to display“ erreicht Lowrey eine zutiefst berührende Intensität, eine emphatische Verzückung, die  unter die Haut geht. Die frische Stimme blüht in allen Lagen, der rund-samtige Ton verfügt über ein volles Arsenal an Farben.  Auf CD ist Lowrey in der vorzüglichen neuen Aufnahme von Händels „Theodora“ beim Label Pinchgut Opera zu hören.


Ruby Hughes. Copyright: Stefan Gloede

 

Die Titelrolle sang Ruby Hughes mit lyrisch hellem Sopran, mit dem sie auch dramatische Akzente zu setzen vermag. Von einer leichten Indisposition geplagt, brauchte die charismatische Sängerin einige Zeit, um anfängliche Härten in den Tonansätzen zu überwinden. Vier Arien, ein Solo mit Chor und drei Duette hat sie zu absolvieren. Wie sie im Duett „To thee, thou glorious son of worth, be life and safety giv’n“ ihren luxuriösen Sopran mit der Stimme des Counters verschmelzen lässt, ist ereignishaft. Als zentrale Figur hat sie wohl den Löwenanteil an der Umsetzung des Regiekonzeptes zu tragen, was ihr bravourös gelingt. Ihr zur Seite orgelt die glamouröse Kölner Mezzosopranistin Ursula Hesse von den Steinen einmal nicht die Fricka, sondern die anspruchsvolle Rolle der Irene. Ihr üppiger Alt fühlt sich so gut an wie heiße Schokolade mit Rum. Endlich kann wieder einmal ein dramatischer Mezzo und eine schillernde Künstlerin zeigen, wie wunderbar Barockes aus voller Kehle gesungen, aber dennoch höchst präzise in den Koloraturen und kleinen Noten, klingt.

 

Dem Kammerchor, deren Mitglieder allesamt sehr gute Solistinnen und Solisten sein könnten, ist nicht nur spielfreudiger Handlungsträger, sondern  kann selbst alle Lobeshymnen gesungen werden. Die tragfähigen Stimmen beherrschen das homogenste Legato, sind aber ebenso in der Lage, in der Gesamtheit des Volkes auch als einzelne Typen zu überzeugen.

 

Insgesamt ist von einem musikalisch großartigen und szenisch kurzweiligen Abend in über zwei Stunden ohne Pause gespielt zu berichten. Wirklich warm ist es in der Kirche nicht, weshalb ich potentiellen Besucherinnen und Besuchern empfehle, sich warm anzuziehen.

 

Anmerkung: Seit 2005 produzieren die Kammerakademie Potsdam und das Hans Otto Theater gemeinsam die Potsdamer Winteroper und nutzen seit 2013 die Friedenskirche als Aufführungsstätte. Für das nächste Jahr ist die Premiere von Mozarts „La Clemenza di Tito“ im Schlosstheater im Neuen Palais Potsdam-Sanssouci angekündigt.  

 

Weitere Aufführungstermine von Händels Theodora sind für den 23./24./29./30. November und 1. Dezember 2018 anberaumt.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

Copyright Stefan Gloede


WIEN / Vestibül des Burgtheaters: TROPFEN AUF HEISSE STEINE

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Fotos: Burgtheater / Georg Soulek

WIEN / Vestibül des Burgtheaters:
TROPFEN AUF HEISSE STEINE von Rainer Werner Fassbinder
Premiere: 23. November 2018

Nicht das Theater hat Rainer Werner Fassbinder (1945-1982) berühmt gemacht, sondern der Film – bzw. sein Beitrag dazu, seine Fähigkeit, einer brüchigen, morbiden deutschen Gesellschaft blutig bis unter die Haut zu kriechen. In schmerzhaften, bösen, teilweise auch grandios schönen Filmen, in denen er eine eigene Schauspieler-Elite auf die Leinwand brachte.

Die meisten seiner eigenen Theaterstücke hat er selbst verfilmt – nicht hingegen das Frühwerk von 1966: „Tropfen auf heiße Steine“. Das kam überhaupt erst nach Fassbinders Tod 1985 auf die Bühne (da war er  berühmt genug, dass man alles von ihm spielen konnte), und es war der Franzose François Ozon, der es im Jahr 2000 verfilmt hat.

Nun kommt die Homosexuellen-Geschichte, die eine Beziehungstragödie ganz im Fassbinder-Stil ist und in seiner ganzen Exzentrik ausflippt, gleich mehrfach auf die Bühnen – das Deutsche Theater Berlin spielte das Stück im Vorjahr, das Burgtheater zieht nun nach, allerdings am Nebenschauplatz des Vestibüls: ein Vier-Personen-Stück, das an sich nur eine Zimmerdekoration braucht, ist dort leicht unterzubringen. Ob der Name Fassbinder dreieinhalb Jahrzehnte nach seinem Tod noch den Hautgout des Skandals hat, muss sich an der Kasse erweisen…

Homosexualität war sein persönliches Problem und durchzieht Fassbinders Werk. „Tropfen auf heiße Steine“ beginnt ganz als Schwulen-Geschichte: der wohlhabende ältere Mann spricht den hübschen Zwanzigjährigen an, der vielleicht nicht ganz so naiv ist, wie er anfangs tut. Nach und nach gibt Franz der Werbung von Leopold Blum nach (sicher hat Fassbinder an den Leopold Bloom des „Ulysses“ gedacht, obwohl sich ein Zusammenhang nicht entschließt). Für Regisseur Cornelius Edlefsen lag hier der erste Stolperstein in der Realisierung des Stücks – die Verführung, die in Sex mündet, nicht voyeuristisch auszustellen (das wäre doch politisch unkorrekt), aber doch die rasende sexuelle Bindung klar zu machen, die diese beiden Männer zusammen fügt. Anfangs.

Denn schnell wird das Stück zur ganz „gewöhnlichen“ Beziehungsgeschichte, in der die Homosexualität nur am Rande wichtig ist – wenn eine Liebe sich auslaugt, Leidenschaft schal wird, Enttäuschungen überwiegen, Rollenspiele nicht mehr funktionieren, Sado-Maso-Machtrituale immer grausamer werden … Fassbinder ist ein Meister darin, Zerstörung nachzuzeichnen, etwa in Passagen, wo mutwillig Szenen vom Zaum gebrochen werden, mit der Absicht, dem anderen dafür die Schuld zu geben. Hätte sich Fassbinder damit begnügt, dann im quasi „dritten Akt“ den unvermeidlichen, zerfleischenden Untergang der beiden zu zeichnen, das Stück hätte vermutlich mehr Überzeugungskraft.

Aber er führt – sehr spät im Geschehen – die beiden Ex-Frauen der Männer ein, beide ohne einen Hauch von Glaubwürdigkeit oder Überzeugungskraft (die den Männern bei aller Überzeichnung innewohnt), und da kracht die Dramaturgie ebenso zusammen wie die Struktur. Wenn dann kreuz und quer gevögelt wird und eine Leiche übrig bleibt, hat man keine Ahnung, worauf der Autor hinaus wollte. Und der Regisseur hat auch keine Antwort gefunden.

Mit Hilfe der Bühne von Jenny Schleif, wo auf einem durchbrochenen Eisenpodest gespielt wird, unter dem gelegentlich die Damen herumkriechen (warum?), gibt Cornelius Edlefsen der anfangs psychologisch so nachvollziehbaren Geschichte jedenfalls ein irreales Ambiente. Lässt immer wieder in Stilisierung aufzucken, um zu zeigen, dass Fassbinder kein Realist war (und er war es stellenweise doch). Und kann die wacklige Dramaturgie doch nicht retten, wenn die Schauspieler auch wieder den obligaten stürmischen Applaus erhielten.

Dabei überzeugt unter den vieren nur einer wirklich: der junge Christoph Radakovits, den man an der Burg schon des öfteren gesehen hat, aber noch nie so überzeugend wie hier, wo er die schwankenden Gefühle auf und ab spielt, so, als ob er selbst ratlos wäre, was Fassbinder seiner Figur alles auferlegt, dies aber mit Hilfe seiner Persönlichkeit bindet. Für den lüsternen Alten, der sich mehr und mehr als abgefeimter Schweinehund und übler Sexathlet erweist, wirkt Daniel Jesch zu nobel, aber auch zu normal. Man glaubt es ihm nicht.

Alina Fritsch konnte mit der jungen Geliebten von Franz, die dann mit Leopold ins Bett hüpft, so wenig anfangen wie der Autor, und die Vera (Leopolds Ex-Geliebte) wirkt überhaupt wie eine ziellose Verlegenheits-Figur: die ganze Potenz der Stefanie Dvorak macht sie nicht lebendig.

Aber der Malstrom der Beziehungstragödie hat das Publikum offenbar überzeugt…

Renate Wagner

FRANKFURT / Alte Oper: „NIKOLAJ SZEPS-ZNAIDER-WIENER SYMPHONIKER-PHILIPPE JORDAN“

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FRANKFURT / Alte Oper: „NIKOLAJ SZEPS-ZNAIDER-WIENER SYMPHONIKER-PHILIPPE JORDAN“ – 27.11.2018

 

Pro Arte hatte in den Großen Saal der Alten Oper geladen und servierte quasi auf einem Silbertablett den Geiger Nikolaj Szeps-Znaider sowie die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Philippe Jordan zum elitären Konzertabend.

Feruccio Busoni stellte sich seinen Kollegen Johannes Brahms im Himmel vor und zwar in der deutschen Abteilung, behaglich eingerichtet mit weichen Kissen, einigen Hörnern an den Wänden, gebrochene Dreiklänge dazu eine reizende Sammlung von Synkopen. Busonis ironische Apercu kam natürlich mit Bewunderung daher, er schrieb sogar eine eigenwillige Kadenz für das „Violinkonzert“ des verehrten Hamburger Meisters. Gewidmet hatte Brahms jenen meist gespielten Violinpart, nach dessen fruchtbarer Zusammenarbeit Josef Joachim. Nach der UA 1879 im Gewandhaus Leipzig schrieb die Kritik: „Ein Konzert gegen die Geige“ – dieser Fauxpas-Rezension kann man in gegenwärtiger Zeit nur widersprechen, erfuhr dem Werk heute eine exzellente geradezu exemplarische Wiedergabe.

In höchst anspruchsvoller Konzentration und famoser Interpretation stellte sich Nikolaj Szeps-Znaider den Anforderungen des besagten „D-Dur Violinkonzerts“. Die eigenwillig ungemein präzise Version des russischen Geigers hatte ein besonders überlegenes, musikalisch imponierendes Format, feinsinnig, tonal hervorragend spielte Szeps-Znaider die vertrackten Passagen und setzte individuelle Akzente. Auf sehr hohem Niveau in umwerfender Technik, beseelter Musikalität überzeugte der Solist auf jeder Linie, demonstrierte unweigerlich seinen hohen Stellenwert in der Riege der Violinisten.

Schwer schreitende Tempi, brodelnder Orchesterklang zeigten wie transparent und sinfonisch diese Partitur konstruiert wurde, die Solovioline schier verdeckt, ihr das Leben schwer zu machen scheint. Vortrefflich gestaltete Philippe Jordan mit den Wiener Symphonikern die begleitenden orchestralen Funktionen und schien behutsam den Solisten in die weiten Bögen der instrumentalen Horizonte zu geleiten.

Pastell-herbstliche Farben in warmen Holztönen entströmten Szeps-Znaiders kostbaren Instrument einer Guaneri „del Gesú“ aus dem Jahre 1741 welche bereits Fritz Kreisler spielte, im Dialog der wunderbaren Detailabstimmungen sowie der zauberhaft-differenzierten energiegeladenen Kadenz. In jugendlichem Ungestüm verband der Solist Fülle des Wohllauts mit Verwandlungen der Extreme und Tempi auf ganz besonders virtuose Weise. Bravo!

Das Auditorium war hingerissen, applaudierte sehr herzlich, schrie und pfiff, erhielt zum Dank von dem charmanten Sympathieträger und Orchester als Zugabe eine hinreißend elegisch-transparent intonierte „Choral-Bearbeitung“ Ich rufe zu dir von Johann Sebastian Bach.

Nach der Pause erklang die „Neunte Symphonie – Aus der Neuen Welt“ von Antonin Dvorak in phantastischer Interpretation und ich wähne die Symphoniker spielten heute nicht die 2. Wiener Geige sondern die „Erste“!

Mit dieser Symphonie schuf der Komponist während seines dreijährigen Amerika Aufenthalts seine wohl populärste Komposition, einem Opus der Verschmelzungen herrlicher Motive und Elemente aus der Neuen Welt und seiner böhmischen Heimat. Weich eröffnete der Chefdirigent Philippe Jordan mit seinen Wiener Symphonikern das einleitende Adagio – Allegro molto, breitete genüsslich das vielfältige motivische Thema aus welches in den Celli leise aufbrach und sodann zur Flöte wanderte. Wunderbar setzte es sich fortissimo im Chor der Streicher fort, von Pauke und Bläsern übernommen. Auf vortreffliche Weise verstand es Jordan den weiteren Aufbau der Themen in ihrer artifiziellen Verkettung der Strukturen bestens auszurichten und zu präsentieren.

In herrlichen Blechbläser-Akkorden erhob sich das Largo zur feierlichen Einleitung, das Englischhorn stimmte seine melancholische Weise an, welche die Holzbläser in echohaftem Nachklang wiedergaben. Zur wunderbaren Intonation der Klarinetten, Oboe, Flöte und Violinen verstärkt erhob sich die altbekannte Melodie in leidenschaftlicher Steigerung.

Blutvoll, lebendig spielten die Wiener die herrlichen Verschmelzungen tschechischer Weisen mit denen der „Neuen Welt“ im kurzen Scherzo. Erregte Streicher fein gesponnen, Bläser in höchster Akkuratesse gipfelten sich in präzisen Akkorden und in der brillanten Gesamt-Formation des Orchesters im finalen Allegro con fuoco und offenbarten dem Hörer eine Spielkultur der Sonderklasse. Böhmisch-rhythmisch unwiderstehliche Dynamik verband sich nochmals in thematischen Gedanken der fremden Welt im sieghaften Jubeltons des vortrefflich musizierenden Instrumentariums.

Das Publikum war außer Rand und Band und wurde von den Wiener Gästen großzügig mit der feingestimmten „Pizzicato-Polka“ (Johann Strauß) und als der Jubel nicht enden wollte noch mit dem „Ungarischen Tanz Nr. 5“ (Brahms) belohnt.

Gerhard Hoffmann

WIEN/Staatsoper Gioachino Rossini LA CENERENTOLA

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Will ja doch schnell unter die Haube: Margarita GRITSKOVA als bebrilltes Aschenputtel Foto: M.Pöhn

WIEN / Staatsoper
LA CENERENTOLA von Gioachino Rossini
36. Aufführung in dieser Inszenierung
Am  27. November 2018

 

KEIN VOLLTREFFER, ABER AUCH KEIN EIGENTOR

Längst gehört diese Opera buffa zu den beliebtesten Werken des Schnell- und Vielschreibers Rossini. Dennoch war der Uraufführung von La Cenerentola 1817 in Rom zunächst kein Erfolg beschieden. Zu sehr bemäkelte das Publikum die Leistungen der Sängerinnen und Sänger, die an jenem Abend – zeitgenössischen Quellen zufolge – nicht sonderlich gut disponiert gewesen sein dürften. Auch heute noch zählen die perlenden, überreich verzierten und unablässig variierten Koloraturen zum Herausforderndsten, was der frühromantische Belcanto zu bieten hat. Die prickelnde Beschwingtheit beim Hören der blühenden Kantilenen und funkelnden Parlandi täuscht nur allzu leicht über die gesangstechnischen Finessen hinweg, die überall in dieser Partitur lauern. Kein Wunder also, dass die tollkühnen Koloraturen à la Rossini überhaupt als höchster Gradmesser gesanglicher Reife gelten.

Indisponiertheiten sind an diesem Abend zwar nicht zu vermelden, dennoch ist die musikalische Ausbeute insgesamt nur als durchwachsen zu bezeichnen. Beginnen wir mit den Pluspunkten. Erfreuliche Leistungen werden vor allem von zwei männlichen Rollenbesetzungen mit Kräften aus dem Haus erbracht. Sorin Coliban ist nicht nur gesanglich mit seinem ebenso warm timbrierten wie profunden Bass stets stark präsent, sondern auch darstellerisch die Figur, die das bunte und chaotisch-fröhliche Treiben auf der Bühne zusammenhält. Sein Alidoro ist – ähnlich wie Don Alfonso in Mozarts Cosi – der Mann, der die Fäden der Handlung in seinen Händen hat und diese weitgehend bestimmt. Beide sind Philosophen; doch während Alfonso ein Zyniker ist und mit seinem Beziehungs-Experiment die Treulosigkeit der Menschen und die Schlechtigkeit der Welt dokumentieren will, vertraut Alidoro auf das Gute in den Menschen und tut alles, um dem Guten letztendlich zum Sieg zu verhelfen. Eine beachtliche Bühnenpräsenz und komisches Talent beweist auch Orhan Yildiz als des Prinzen Diener Dandini, der mit seinem Herrn die Rollen tauschen darf und dies bei der Brautschau mit seinem Auftritt als eine Art Schmalspur-Schlagerstar – im weißen Anzug, schwarzem Hemd und Mikrofon in der Hand – auch in vollen Zügen auskostet. Beachtlich, in wie kurzer Zeit sich der aus der Türkei stammende Bariton zu einer wichtigen Stimme im Ensemble entwickelt hat und auch schauspielerisch zu einer wertvollen Stütze heranreift.

Weiterhin ist es eine Freude, den komödiantisch herrlich agierenden Paolo Rumetz auf der Bühne zu beobachten. Sein eitler Don Magnifico, der angesichts der Möglichkeit, dass der Prinz eine seiner beiden Töchter zur Frau nehmen könnte, eine Chance wittert, aus seiner beengten finanziellen Lage herauszukommen und zugleich Karriere wenigstens als Mundschenk bzw. Kellerverwalter zu machen, ist zwerchfellerschütternd modelliert. Beim genaueren Hinhören zeigt sich aber, dass der stimmliche Höhepunkt dieses Sängers schon deutlich überschritten ist, was er allerdings glänzend zu überspielen weiß. Bei einer Opera buffa geht das noch einigermaßen, wie er jüngst auch als Dulcamara in L´elisir d´amore gezeigt hat. Wenn es ernster wird – wie etwa als Rigoletto (ebenfalls vor nicht allzu langer Zeit an der Staatsoper) – lassen sich die Mängel kaum mehr kaschieren. Nicht ganz auf der Höhe erweist sich auch Antonino Siragusa als Prinz Don Ramiro, eine Partie, mit der er international schon einige Erfolge eingefahren hat. Die Mittellage klingt nicht sehr sympathisch timbriert (Geschmackssache), und mit den Spitzentönen hat er zu kämpfen. Wenn es aber um zügige, geschmeidig gesungene Koloraturen handelt, wie das etwa im Zeiten Akt gefordert ist, erahnt man, was zu seinem Ruf als Don Ramiro beigetragen haben mag. Prinzlich wirkt er in seinem Auftreten in dieser Aufführung allerdings nie. Dass er auch in Wien eine treue Fangemeinde hat, bezeugt immerhin ein heftiger Szenenapplaus, für den er mit Kusshand dankt.

Auch die drei Frauenrollen – Aschenbrödel Angelina und ihre beiden Schwestern– sind aus dem Ensemble besetzt. Das klappt bei den eifersüchtigen und bösen Schwestern Clorinde und Tisbe recht gut. Ileana Tonca und Miriam Albano spielen mit viel Freude die hochmütigen, launenhaften und etwas dümmlichen jungen Gänschen und sind vor allem choreographisch bestens eingesetzt. Wie sie im Sextett wie Hündchen kläffen, ist einfach herrlich.

Staatsoper gegen Hollywood, zumindest gegen Cinécittá: Margarita Gritskova gegen Audrey Hepburn gleichauf. Natürlich, mit der Brille von…     Foto:  (C) M.Pöhn

 

Die Mezzosopranistin Margarita Gritskova kann sehr viel, hat einen fein ausgewogene Stimme, ist gesangstechnisch gut aufgestellt und spielt auch entzückend. Einiges gelingt ihr als Angelina – der programmierte Mittelpunkt des Geschehens – gut, wie z.B. „Una volta c´era un re“ im ersten Akt, doch immer wieder, und nicht nur bei „Nacqui all´affano“…. „Non piu mesta“, der fulminaten Schlussarie, eine der bekanntesten Arien der Opernliteratur überhaupt, stößt sie – wie viele Kolleginnen – an ihre gesanglichen Grenzen. Die wenigen Ausnahmesängerinnen, denen diese Partie technisch keinerlei Probleme bereitete oder bereitet, sind freilich an den Fingern einer Hand abzuzählen. Das waren in der jüngsten Vergangenheit etwa eine Marilyn Horne, Teresa Berganza oder Agnes Baltsa, heute sind es Cecilia Bartoli und Joyce DiDonato. Margarita Gritskova gehört nicht dazu.

Die Inszenierung – im schrägen, aber durchaus geeigneten Bühnenbild von Rolf Glittenberg – zählt zu den besseren von Sven-Eric Bechtolf und glänzt mit einer gelungenen Personenführung, die auch den exzellenten Männerchor gehörig auf Trab hält. Für einen schwungvollen musikalischen Ablauf sorgt Jean-Christophe Spinosi am Dirigentenpult des gutgelaunt aufspielenden Staatsopernorchesters. Der Verantwortliche für die mitzulesende deutsche Übersetzung des Librettos muss ein Fußballfan – zumindest aber ein Spaßvogel – sein, liest man gegen Ende hin doch tatsächlich folgenden – hier frei zitierten – Satz: „Letzten Endes ist der Ball am Fuß gelandet, und der Meisterspieler hat ihn erfolgreich weiter befördert.“ Um im Jargon zu bleiben: Volltreffer war es keiner. Aber auch kein Eigentor!

Manfred A.Schmid
OnlineMERKER

 

WIEN/ Staatsoper: LA CENERENTOLA

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Sorin Coliban (Alidoro). Copyright: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

WIENER STAATSOPER:  „LA CENERENTOLA“ am 27.11.2018

Und wieder kann man sich auf das Hausensemble restlos verlassen! Nach der krankheitsbedingten Absage von Serena Malfi übernahm auch am zweiten Abend der Serie Margarita Gritskova die Rolle der Angelina und feierte wieder einen großen persönlichen Erfolg. Ihre Stimme wird immer schöner, größer und die Technik sitzt perfekt, darstellerisch ist sie immer zu hundert Prozent dabei. Don Ramiro ist zwar kein Ensemblemitglied, aber ein immer gern gesehener und häufiger Gast, Antonino Siragusa ist ein perfekter Tenore di grazia, der in allen Lagen punkten kann, nicht nur sichere Höhe, auch die Geläufigkeit ist großartig, und eine tolle Leistung, auch wenn er kein Schmeicheltimbre hat. Ein echter Stilist bei der Umsetzung von Rossinis Musik. Als Schauspieler ist er immer für gute Komik zu haben. Als Dandini wächst Orhan Yildiz sehr gut in das lyrische Baritonfach. Ein schöne lyrische Baritonstimme, die sehr gut sitzt. Er ist auch sehr versiert im musikalischen Vortrag und temperamentvoll im Spiel. Immer wieder eine Freude ist Paolo Rumetz als tollpatschiger, aber letztlich sehr böser Don Magnifico. Ein Künstler, der sehr vielseitig ist und im sogenannten ernsten Fach ebenso gut seine Rollen darstellen kann. Der gute Geist Alidoro wird von Sorin Coliban sehr schön dargestellt, allerdings ist die Stimme leider nicht mehr ganz flexibel. Kein Wunder, bei dem Fach, das er sonst singt. Die beiden Nervensägen Clorinda und Tisbe waren Ileana Tonca und Miriam Albano mit schönen Stimmen.

Am Pult Jean-Christophe Spinosi, ein Fachmann der Barockmusik. Rossini liegt ihm sicher gut, was sich bei der Ouvertüre zeigte, mit der Bühne war er sich nicht immer so ganz einig, weil so ganz ohne „Staberl“ und nur ganz kleinen Gesten mit der Hand. Da kann man von der Bühne aus nicht immer den Willen des Dirigenten erkennen.

Der „gemischte“ Chor unter Martin Schebesta machte seine Sache routiniert und ordentlich. Die Arbeit des Regieteam Bechtolf, Glittenberg, Glittenberg ist keine Buffa im italienischen Sinn,  da schlägt der Humor des deutschen Films der Wörthersee Filme und anderen durch.

Elena Habermann

STUTTGART/ Staatsoper: RIGOLETTO

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Copyright: Martin Sigmund

Verdis „Rigoletto“ am 28.11.2018 in der Staatsoper/STUTTGART

NARR IM GEWAND DES KAISERS

Giuseppe Verdis „Rigoletto“ wurde vor allem wegen des Librettos von Francesco Maria Piave ein Opfer der Zensurbehörden. Es basiert auf Victor Hugos Drama „Der König amüsiert sich“, das nach einmaliger Aufführung in Paris im Jahre 1832 sofort verboten wurde. Die Obrigkeit erkannte sich darin wieder. Es ist Rigolettos tragische Erkenntnis, dass seine Rache an der Gesellschaft entsetzlich gescheitert ist.

Das steht auch bei der subtilen Inszenierung von Sergio Morabito und Jossi Wieler im Mittelpunkt. Im Bühnenbild von Bert Neumann und den Kostümen von Nina von Mechow fällt die imposante Häuserkulisse auf, die sich ständig dreht (szenische Leitung der Wiederaufnahme: Geertje Boeden). Auch die besondere Artistik des Theaters kommt nicht zu kurz. Von der Königsloge des Opernhauses herab schleudert der Graf von Monterone seinen Fluch auf den Herzog und Rigoletto. In Anlehnung an Aufstieg und Fall Napoleons trägt Rigoletto als unglücklicher Hofnarr des Herzgos neben der Maske sogar einen Kaisermantel. Die szenische Umsetzung entfaltet auch bei der suggestiven Gewitterszene große visuelle Reize. Statt des verhassten übergriffigen Herzogs ist seiner Vergeltung die eigene Tochter Gilda zum Opfer gefallen, die er zuletzt in einem Sack vorfindet und die vor seinen Augen stirbt. Zuvor wurde Gilda von dem gedungenen Mörder Sparafucile getötet, nachdem sie die Liebesszene zwischen Maddalena und dem Herzog zusammen mit ihrem Vater Rigoletto beobachtet hatte. Und im Hintergrund glüht der Feuerhimmel. Diese Szene gehört zu den stärksten und packendsten Eingebungen dieser interessanten Regiearbeit, die vor allem mit lilafarbenen Vorhängen und Stuhlreihen arbeitet.
Da bleibt viel Zeit für Fantasie. Gilda verkleidet sich bei dieser Inszenierung nämlich schon im ersten Akt als junger Mann. 

Der Dirigent Giuliano Carella arbeitet mit dem exzellenten Staatsorchester Stuttgart die verschiedenartige musikalische Diktion dieses Werkes in hervorragender Weise heraus. Dabei wird er von allen Sängern in optimaler Weise unterstützt. Die berückende Melodik kennzeichnet vor allem die Figuren des Herzogs, von Rigoletto und seiner Tochter Gilda. Im wunderbaren Quartett des dritten Aktes „Holdes Mädchen, sieh mein Leiden“ entwickelt sich das harmonische Geschehen zu seinem absoluten Höhepunkt. Alle Motive und thematischen Verästelungen strömen bei dieser Interpretation in reizvoller Weise zusammen. Das Fluch-Thema besitzt hier fast alttestamentarische Wucht und wildes Feuer, das sich immer mehr steigert. Die leitthematische Wiederkehr dieses unheimlichen Themas prägt sich tief ein. Dimitris Tiliakos als Rigoletto vermag die dynamischen Schattierungen mit seiner markanten Baritonstimme in bester Weise auszufüllen. Eine besondere Entdeckung ist ferner die hochbegabte österreichische Koloratursopranistin Beate Ritter als sensible und mit feinen Koloraturen ausgestattete Gilda. Pavel Valuzhin vermag dem Herzog mit beglückenden tenoralen Spitzentönen ein großes Format zu geben. Es ist vor allem ein mitreissendes Fest der Stimmen, das den Zuhörer hier erwartet.

Dass dieses Werk in erster Linie eine revolutionäre Oper ist, unterstreicht Giuliano Carella mit dem Staatsorchester feinnervig und packend. Cavatina, Cabaletta und Pezzo concertato betonen das statische Moment, in dem die Sänger in ihrem emotionalen Zustand verharren. Auch die Stretta am Ende der ersten Szene besitzt elektrisierende Kraft und lässt die Zeit niemals stillstehen. Rigolettos Cabaletta beim berührenden Abschied von der Tochter zeigt Dimitris Tiliakos‘ besonderes Vermögen, bis in die seelischen Tiefen dieser komplexen Rolle vorzudringen und deren gesanglichen Klangfarbenreichtum voll auszureizen. Beate Ritter gelingt es bei Gildas Arie „Caro nome“ vorzüglich, aufzuzeigen, wie sich ein junges Mädchen in träumerischen Betrachtungen über den Namen des Geliebten verliert. Aber auch die anderen Sängerinnen und Sänger tragen bei dieser Aufführung zum Gelingen bei. Maria Theresa Ullrich vermag es als Gildas Amme Giovanna ausgezeichnet, sich in das Leiden ihrer Herrin hineinzuversetzen. Aoife Gibney als Gräfin von Ceprano, Jasper Leever als Graf von Ceprano, Pawel Konik als Höfling Marullo, David Steffens als Graf von Monterone sowie Adam Palka als Auftragsmörder Sparafucile besitzen als Figuren allesamt starke Bühnenpräsenz und Charakterisierungsreichtum. Als Höfling Borsa fesselt ferner Kai Kluge. Philipp Nicklaus als markanter Page der Herzogin von Mantua, William David Halbert als Gerichtsdiener und Stine Marie Fischer als Sparafuciles Schwester Maddalena komplettieren diese exzellente Sängerriege, die mit den berückenden Klangzaubereien des Staatsorchesters Stuttgart ganz verschmilzt.

Die Herren des Staatsopernchores Stuttgart besitzen in der Einstudierung von Manuel Pujol nicht nur bei den Staccato-Attacken starke Präsenz. Anklänge an die Geistererscheinungen in Verdis Oper „Macbeth“ zeichnet Giuliano Carella mit dem Staatsorchester ebenfalls dezent und überaus durchsichtig nach. Da werden die letzten Geheimnisse dieser Partitur gelüftet. Die Szene des Balles beim Herzog mit der feinnervigen Überlagerung von Ballata, Menuett und Perigourdine durch die „Banda“-Musik glückt musikalisch ebenfalls vorbildlich. Der Sturm steigert sich hier immer weiter und erreicht seinen schockierenden Höhepunkt bei der Ermordung Gildas. Die knappen Orchesterfiguren geben bei Carella sehr deutlich das Thema vor. Das raffinierte Spiel der Klangfarben zwischen Des-Dur und As-Dur trifft den Nerv des Hörers. Dies zeigt sich ebenso bei der glutvollen Arie „Questa e quella“ des Herzogs. In Rigolettos Seele vollzieht sich Vernichtung und Erkenntnis, was Dimitris Tiliakos prägnant und brillant zugleich darstellt. Sein Aufschrei „Ah, der Fluch“ löst sich gespenstisch in einem harmonischen Halbschluss von es-Moll nach des-Moll auf. Wie Beate Ritter als Gilda Moll in Dur verwandelt, ist gesanglich ebenfalls überaus berührend. Das maskenhafte Moment der Figuren wird bei der Inszenierung allerdings nirgends überzeichnet. Die schwierige Beziehung Rigolettos zu seiner Umgebung bricht hier mit elementarer Urgewalt hervor, er führt sich mit rhythmischer Klarheit immer wieder selbst in die Gesellschaft ein. Die Celli umgarnen ihn und den Mörder mit bestechender Leuchtkraft. Zur stilvollen harmonischen Farbe hat Giuliano Carella eine besondere Beziehung. Dabei trägt er die Sänger bei ihren Kantilenen wie auf Händen. „Um gut zu schreiben, muss man gleichsam in einem Atemzug schreiben“, notierte Verdi einmal. Dies ist das Geheimnis einer guten Verdi-Interpretation. Sänger und Orchester bilden bei dieser Aufführung in diesem Sinne eine wunderbare Einheit.

Verdienter Jubel.  

Alexander Walther

 

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