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Wien/ Kammeroper: DON CARLOS. Premiere

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Wien/ Kammeroper: DON CARLOS. Premiere am 28.11.2018
„Don Carlos in der Schuhschachtel“

Jenna Siladie, Andrew Owens. Copyright: Barbara Zeininger

Die Wiener Kammeroper spielt jetzt Giuseppe Verdis „Don Carlos“. Man hat die Chöre gestrichen, das ganze Autodafé-Bild dazu, spielt eine Kammermusikfassung und jagt junge Sängerinnen und Sänger in Partien, für die schon große Häuser nur schwer eine adäquate Besetzung finden. Wenn dann noch die Regie versagt, ist das Scheitern vorprogrammiert.

http://www.operinwien.at/werkverz/verdi/acarlos18.htm


Kristján Jóhanesson, Andrew Owens. Copyright: Barbara Zeininger

 

Dominik Troger /www.operinwien.at


WIEN / Kammeroper: DON CARLOS

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Alle Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Kammeroper des Theaters an der Wien:
DON CARLOS von Giuseppe Verdi
Französische Fassung /
In einer neuen Orchesterbearbeitung
Premiere: 28. November 2018

Wann werden Regisseure endlich begreifen, dass sie nicht große Werke eindampfen, in ein Zimmer stellen können – und das zu einer gültigen Interpretation erklären? Leider zählt die „Verkleinerung“ von Klassikern der Opernliteratur zum festen Bestandteil der Kammeroper des Theaters an der Wien, ungeachtet der Tatsache, dass solche Unternehmungen noch nie gut ausgegangen sind – auch diesmal nicht. Schon gar nicht mit Verdis „Don Carlos“.

Sébastien Dutrieux zeichnet für das Meiste verantwortlich – als Regisseur für das Konzept, als Bühnenbildner für die unsägliche Zimmerdekoration und noch als sein eigener Lichtdesigner für das fast permanente Halbdunkel, das den immer noch fast dreieinviertel Stunden langen Abend noch ermüdender macht. Chor hat er keinen, muss also viel von den werkimmanenten „großen“ Szenen streichen. Er kann die Gräfin von Aremberg nicht nach Frankreich zurück schicken, weil sie nie auf der Bühne war, das Autodafé findet nicht statt, also auch nicht Carlos’ Herausforderung seines Vaters – dafür taucht er dann unvorhergesehen in Philipps Zimmer auf, offenbar mit einem Dolch, verschwindet wieder, Posa kann dem König den Dolch präsentieren, dann ist halbwegs „logisch“ (was ist an dieser Inszenierung logisch?), dass Carlos dann im Gefängnis ist.

Von wegen Gefängnis – das eine Zimmer mit den paar mit rotem Samt bezogenen Möbeln ist alles, ist Fontainebleau und Madrid und Yuste, ist königlicher Garten, Philipps Zimmer, Gefängnis. Nach dem Motto, dass man es nicht so genau nehmen muss, eine Familie – und die „Familiengeschichte“ postuliert der Regisseur – trifft sich offenbar in immer demselben Zimmer. Dass von Verdis „Don Carlos“, der Grand Opéra mit den politischen Implikationen, nichts übrig bleibt – geschenkt. Wer verlangt heutzutage schon noch das Werk? Hier bekommt man es jedenfalls nicht.

Gespielt wird die französische Fassung, die zwar die ursprüngliche war, aber so evident die schwächere ist, auch weil sich das Französische (das man an diesem Abend überhaupt nicht versteht) so viel schlechter singen lässt als das Italienische – und weil jede Änderung, die Verdi für seine italienische Neufassung vornahm, das Original weit übertrifft. Neben den Strichen entdeckt man als „neu“ nur ein Duett zwischen Carlos und Philipp an Posas Leiche (denn der Volksaufstand im Gefängnis kann natürlich auch nicht stattfinden). Die musikalische Einrichtung für Kammerorchester ist für die Kammeroper immer noch üppig genug, zumal Verdi ja ohnedies kaum zur Diskussion steht.

Von einer Inszenierung kann nicht die Rede sein, die Darsteller stehen in dem meist düsteren Raum herum und singen – so gut wie alle viel zu laut und ohne ihre Stimmen auf die Linie zu bändigen, die auch die französische Fassung fordert.

  
Dumitru Madarašan  / Jenna Siladie

Zwei Ausnahmen: Dumitru Madarašan verfügt für den Philipp über einen wirklich schönen, schwarzen, diszipliniert geführten Baß. Die Stimme von Ivan Zinoviev, dem Großinquisitor, ist rauer – aber wenn sich zwei mächtige Bässe gekonnt anbrüllen, entsteht wenigstens einmal etwas von der Dramatik, der den „Don Carlo“ von Anfang bis zum Ende durchglühen müsste. (Da man, was nicht sein müsste, den Großinquisitor – er ist auch früher ins Gefängnis geschlichen und hat Posa persönlich erschossen – mit Philipp am Ende nach Yuste schickt, muss der Sänger des Inquisitors den „Carlo Quinto“, pardon Charles V., vom Band orgeln…)


Kristján Jóhannesson, Andrew Owens   

Andrew Owens, nicht mehr Mitglied des Jungen Ensembles des Theaters an der Wien, aber für diese Rolle zurückgekehrt, legte gewaltig los, worauf ihm die Stimme im ersten Teil brach, er sich in der Pause entschuldigen ließ und dann mit etwas weniger Druck weiter sang, was der Rolle bekam. Die anderen legten mit voller Gewalt los, schnitten in die Ohren und bekamen ihre Partien technisch nicht wirklich in den Griff – die elegant-elegische Elisabeth der Jenna Siladie, die übertremolierende Tatiana Kuryatnikova als Eboli, der kraftvolle Kristján Jóhannesson als Marquis Posa. Der Page Thibault (Ilona Revolskaya anfangs mit gelber Strickmütze, weil wir ja kostümlich so alltäglich sind – Constanza Meza-Lopehandia) muss von Zeit zu Zeit (etwa für das Schleierlied der Eboli) den ganzen Chor singen… und helfen, Posas Leiche wegzuräumen: Wenn jemand statt im Gefängnis im Wohnzimmer stirbt, dann kann er schließlich nicht aufstehen und gehen. Und wenn er so groß und mächtig ist wie der junge isländische Sänger, klappt es mit dem Hinausschleppen auch nicht, da kann man ihn bestenfalls an den Rand schieben…

Weil an dem Abend nichts stimmt, klingt auch das Wiener KammerOrchester unter Matteo Pais alles andere als Verdi-gerecht. Aber, wie schon festgestellt, Verdi suchte man vergebens. Und, wie ebenfalls immer schon festgestellt, der Schlußapplaus war stark. Lässt sich das Publikum alles gefallen – oder kapiert es gar nicht, was da auf der Bühne vorgeht?

Renate Wagner

WIEN / Akademietheater: VOLKSVERNICHTUNG ODER MEINE LEBER IST SINNLOS

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Foto: Burgtheater / Georg Soulek

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
VOLKSVERNICHTUNG ODER MEINE LEBER IST SINNLOS
Eine Radikalkomödie von Werner Schwab
Premiere: 29. November 2018

Es gibt Leute, die können mit den abstoßend hässlichen Klappmaulpuppen des Nikolaus Habjan nichts anfangen, und ich bekenne mich voll zu ihnen. Im allgemeinen sehe ich auch nicht ein, warum ich mir „Menschenstücke“ mit solchen Alpträumen aus dem Grusel-Kabinett ansehen soll. Doch halt – „Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos“ von Werner Schwab ist mit Sicherheit kein Menschenstück. Das Programmheft (diesmal wirklich brillant informativ) mag angesichts einzelner Figuren noch so sehr bei der Suche nach „echten“ Grazer Vorbildern in Schwabs Jugend fündig geworden sein – was er daraus gemacht hat, ist Theater in Essenz, ist Gleichnis, Symbolik, Übersteigerung, Verfremdung. Alle, die Schwab dem coolen „Volkstheater“ à la Horvath zuschlagen wollen, liegen total falsch (wie er auch selbst bestätigt hat): Dieser „Skandalautor“, dessen Leben so kurz war (1958-1994) und der so berühmt geworden ist, hat seine eigenen Welten kreiert.

Die haben zu seiner Zeit von den „Präsidentinnen“ an (1990) eingeschlagen wie Bomben. Er befriedigte das Bedürfnis nach dem Negativen, in dem sich die Österreicher besonders gerne suhlen. „Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos“, 1991 in München uraufgeführt, ist eines seiner frühen, starken Stücke, während sie später immer belangloser wurden. Dennoch – die Aufführung, vom Burgtheater zu Schwabs nicht erlebtem 60er angesetzt, wie man liest, beweist eigentlich nur, dass die einstige Moderne schal wird, auch, weil ja immer Schlimmeres nachkommt.

Damals freilich hatte man in Schwab und Thomas Bernhard die großen Publikumsbeschimpfer, wenn auch mit graduellen Unterschieden – war der eine direkt angriffig auf das Publikum, war der andere untergriffig. Bernhard nannte gleich alle Österreicher Idioten, Schwab ließ sein Mariedl stellvertretend lustvoll ins Klo greifen. Das zutiefst Ordinäre war seine Welt – und ist es auch bei der „Volkvernichtung“.

 
Foto: Barbara Zeininger

Rein von der Handlung her könnte man hier Greifbares nacherzählen – ein Mietshaus, das der verhassten Frau Grollfeuer (welch Nestroy’scher Name) gehört, im Souterrain Mutter Wurm und ihr verkrüppelter Malersohn Hermann. Wie die beiden sich hassen und beschimpfen, welche Ekelhaftigkeiten und Unappetitlichkeiten man sich da anhören muss… stark, wenn man auch die Frage „Wozu das Ganze?“ nicht aus dem Hinterkopf bekommt. In einer anderen Wohnung die Familie Kovacic, Vater, Mutter und zwei Töchter, inzestuöser Sex und auch ein Sprudel an Gemeinheiten. Bis Hausherrin Grollfeuer, im Oberstock hausend, die ganze widerliche Bande kurzerhand vergiftet, was man ihr nicht übel nimmt… aber dann leben sie doch, gewisse Dinge sind offenbar nicht auszurotten.

Keine Menschen also, sondern Fratzen, und hier scheinen zum ersten Mal die Fratzen-Puppen des Nikolaus Habjan zu passen, in die er alle Beteiligten außer Frau Grollfeuer kleidet (obwohl die ja auch nicht übertrieben viel Menschliches an sich hat). Die Puppen werden den Darstellern, die nur gelegentlich hinter ihnen hervorlugen, gewissermaßen vor den Oberkörper gehängt, mit einem Arm wird ein Arm bewegt, mit der anderen Hand geht es an das Aufreißen der Mäuler. Nikolaus Habjan setzt neben seiner eigenen Person (als der bedauernswerte, aber fiese Hermann Wurm) nur drei Darstellerinnen ein – Dorothee Hartinger als seine Mutter, Frau Wurm, und Sarah Viktoria Frick und Alexandra Henkel als je zwei Mitglieder der Familie Kovacic. Wie sie sich bewegen, das macht die Regie, und mit Puppen kennt Habjan sich aus. Was sie darstellerisch einzusetzen haben, sind (mit Mikroport verstärkt) ihre Stimmen, und die Damen genießen es hörbar, in hohen, spitzen, parodistischen Tönen die Obszönitäten in den Raum zu schleudern.

Ein stilistisches Meisterstück, bloß – wie alles, das auf einem sich nicht wandelnden Stil basiert, wird es bald sehr einförmig. Und die so geschätzte Kunstsprache des Werner Schwab wird ja wohl doch ein wenig überschätzt. Gewiß, niemand will witzige, brillante Formulierungen leugnen (die Österreicher haben das offenbar im Blut, man denke auch an Elfriede Jelinek), aber es ist doch unendlich viel Leerlauf dabei, absichtsvoll aufgeblasenes, sinnloses Geplappere. Was passiert? Das Publikum wird schnell müde. Zu jenen, die man bei einem Schläfchen während der Vorstellung beobachtete, zählte auch der künftige Burgtheaterdirektor…

 Barbara Petritsch /
Foto: Barbara Zeininger

Barbara Petritsch als Frau Grollfeuer bleibt die einzige „Menschin“, nicht die große Rächerin, sondern die elegante Dame, fast zu sanft, um als Massenmörderin überzeugend zu wirken, aber unendlich souverän – man muss schließlich bedenken, dass sie im letzten Teil einen geschätzt halbstündigen Monolog zu absolvieren hat, eine enorme Gedächtnis- und Konzentrationsleistung.

Das Bühnenbild des Abends (Jakob Brossmann) hüllt die Hausbewohner in eine Art durchsichtiger Nylonfolie, während die Hausherrin darüber unbeschädigt bleibt (und per Treppe auch immer wieder in den Zuschauerraum abgehen darf). Jede optische Lösung des Abends wäre, da die Puppen ja dominieren, gleich willkürlich gewesen.

Die Reihen im Zuschauerraum waren nach der Pause gelichtet. Der Abend dauerte starke zweieinhalb Stunden (begann mit zehnminütiger Verspätung, da die Demonstrationen am Donnerstag den Innenstadt-Verkehr stark beeinträchtigen) und trug davon höchstens eine halbe. Außer Hass und Verachtung der Menschheit gegenüber hat uns Werner Schwab nicht viel zu bieten. Da nützen Bezeichnungen wie „Radikalkomödie“ oder (hoch berechtigt) „Fäkaliendrama“ wenig, und auch kreischende Puppen bringen es nicht: An diesem Abend ist nicht nur, wie der Titel meint, „meine Leber“ sinnlos…

Renate Wagner

GELSENKIRCHEN/ Musiktheater im Revier: KÖNIGSKINDER von Engelbert Humperdinck

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Gelsenkirchen (Musiktheater im Revier): Königskinder

Premiere am 24. November 2018

Gesehene Zweitvorstellung am 29. November

Zu dem von Engelbert Humperdinck favorisierten Typus der Märchenoper gehören auch die „Königskinder“, doch die Naivität von „Hänsel und Gretel“ hat das Werk hinter sich gelassen. Eine Abhängigkeit des Komponisten von der Tonsprache Wagners bleibt unverkennbar, aber darüber hinaus eignet der Musik ein schmerzhaft trauriger Ausdruck von besonderer Prägekraft, welche die „Königskinder“ zu einem psychologisch vielschichtigen Musikdrama aufwertet. Diese individuelle Qualität scheint in jüngerer Zeit neu (an)erkannt zu werden, denn das zunächst als Melodram konzipierte, dann auskomponierte Werk (UA 1910 an der Met) wurde in den vergangenen Jahrzehnten an diversen Theatern gespielt, auch an kleineren Bühnen wie Hagen und Hildesheim. Die Produktion 2007 in Zürich (mit Jonas Kaufmann) ist auf DVD greifbar, die von 2012 in Frankfurt (mit Daniel Behle) auf CD. Eine ganz frühe Einspielung des Werkes stammt aus dem Archiv des Westdeutschen Rundfunks (1952). Dem Dirigenten Richard Kraus stand ein erlesenes Ensemble zur Verfügung: Käthe Möller-Siepermann, Peter Anders und Dietrich Fischer-Dieskau.

Nun sind die „Königskinder“ am Musiktheater im Revier (MiR) zu sehen. Bald werden Bizets „Perlenfischer“ folgen, und zum Abschluß der Saison kommt Weinbergers „Schwanda“ heraus. Ein raritätenpraller Spielplan also, welcher höchstes Lob verdient. Aber einer guten Absicht sollte eine gelungene oder wenigstens diskutable Bühnenproduktion folgen. Dies ist in Gelsenkirchen nur bedingt der Fall. Mehr als nur diskutabel, nämlich absolut spitzenrangig ist freilich, was RASMUS BAUMANN mit der NEUEN PHILHARMONIE WESTFALEN bietet: eine ungemein klangsatte, dabei delikat differenzierende Wiedergabe. Top auch das Sängerensemble, welches zudem engagiert umsetzt, was ihm die Regie aufoktroyiert.

Es darf nämlich angezweifelt werden, daß die inszenatorischen Ideen von TOBIAS RIBITZKI auf volle Akzeptanz gestoßen sind. Der junge Regisseur studierte in Bochum, war in unterschiedlichen Positionen in Linz, Hannover und Berlin (Komische Oper) engagiert. Über seine konzeptionellen Absichten zu den „Königskindern“ verlautet, so weit zu sehen, nichts. Allerdings ist in der Theaterzeitung zu lesen, daß das MiR einem kulturellen Netzwerk beigetreten hat, welches sich – in Anlehnung an eine vergleichbare Berliner Gruppierung – „Die Vielen – NRW“ nennt und gegen rechtspopulistische Anfeindungen zu Felde zieht. Ob das Thema der „Königskinder“ (Vernichtung von Jugendidealen durch Erwachsenensaturiertheit) dieser Initiative wirklich konkret zuarbeitet, ist indes fraglich. Deutlich wird freilich, daß Ribitzkis Inszenierung eine Generationenkluft aufzeigen möchte. Aber welche Mittel wendet er an?

Als erstes blickt der Zuschauer ernüchtert auf eine nüchterne, gleichbleibende Bühne (KATHRIN-SUSANN BROSE), die eine Art Untergrundstation sein könnte, in einer Bauhaus-Architektur, welche jedwede Märchenhaftigkeit von sich weist. Aber im Libretto ist doch von Hexe, Wald und Gänsen die Rede. Macht nix. Ribitzki zeigt Videos mit wehenden Blättern und läßt den Spielmann vorzeitig wie einen Rattenfänger von Hameln samt Kindergefolge auftreten. Dieser stellt seine große Tasche neben einer Bank ab, wo sich unsichtbar eine Versenkung mit „Inhalt“ befindet. Mal lugt ein Gänslein hervor, später entsteigt ihr eine Frau, welche aber weder als Hexe noch als Großmutter der Gänsemagd anzusehen ist. Wenn sie ihren Kittel ablegt (Übergang zum 2. Akt), wird sie in aufreizendem Kleid zur erotisch anmachenden Wirtstochter. Das Programmheft weist ihr in der Inszenierung eine „zweite Schlüsselfigur“ neben dem Spielmann zu und sieht bei der Gänsemagd das „Heranreifen zur charakterstarken Frau“.

So verkrampft wie diese Behauptung ist weitgehend auch die Inszenierung. Wie bereits zugestanden, wird eine Konfliktsituation zwischen Erwachsenen und Kindern durchaus deutlich, aber die ist ja bereits unmißverständlich in der Oper angelegt, also nicht zu negieren. Doch die herumlaufenden Choristen wirken als Vertreter von scheuklappiger Geschäftigkeit und Gefühlsarmut einigermaßen penetrant, und das Volkstreiben im Mittelakt scheint lediglich beiläufig arrangiert. Daß der Spielmann auch die Partie des Ratsältesten übernimmt, ergibt keinen Sinn und muß wohl mehr als ein Akt von Besetzungsersparnis gedeutet werden. Dies gilt auch für den Auftritt der vermummten Gänsemagd als des Besenbinders Töchterlein. Dessen Soli am Ende des 2. Und 3. Aktes werden allerdings von einem Mädchen aus dem KINDERCHOR DER DORTMUNDER CHORAKADEMIE DORTMUND übernommen, leider ziemlich krähstimmig. Bedauerlich die Entscheidung eines massiven Striches in der Musik vor Spielmanns letztem Gesang.

Ist denn so gar kein gutes Haar an der Regie von Tobias Ribitzki zu lassen? Ja doch: die Begegnung von Gänsemagd und Königssohn, ihre aufkeimende und später todesbereite Liebe besitzt durchaus Dringlichkeit, geht aber im Nirwana der Aufführung letztlich unter. Daß die Gänsemagd alleine auf einer Bank stirbt (von oben kommt etwas Schnee), während der Königssohn auf einer anderen sitzend am Leben bleibt und nur dumpf vor sich hin starrt, kann man als Bild akzeptabel finden; stücklogisch ist es nicht.

Die Oper beeindruckt durch ihre oft wirklich zu Herzen gehende Musik, besitzt im Libretto von Ernst Rosmer (d.i. Elsa Bernstein) allerdings ein schwerfälliges Libretto. Seine Wortwahl wirkt konstruiert und poetisch maßlos verstiegen (z.B. „Mir flammt es, dich heimzuführen“). Und wenn dem Zuschauer diese verbalen Drechseleien per Übertitel auch noch unübersehbar vor Augen geführt werden, wird die Diskrepanz zwischen Stück und seiner Umsetzung am MiR noch eklatanter. Es kann natürlich keine Lösung sein, die Oper märchenhaft naiv darzubieten, aber die kalte Nüchternheit der Gelsenkirchener Inszenierung macht frieren.

Lob zum Schluß wenigstens noch für die Gesangssolisten. BELE KUMBERGER (sie trägt ein Kleid, welches offenbar aus einer Karstadt-Boutique stammt) jubiliert mit ihrem hellen Sopran, dem auch Tränen innewohnen, MARTIN HOMRICH gibt den Königssohn mit potentem Tenor, welchem eine gute Mischung aus lyrischen und heldischen Farben eigen ist. Ensemble-Neuzugang PETRO OSTAPENKO, ein zuletzt in Nürnberg engagierter Ukrainer, gibt den Spielmann mit standfestem Bariton und sympathischer Darstellung. ALMUTH HERBST punktet mit ihrem üppigen Mezzo bei Hexe/Wirtstochter. Gut besetzt auch der Holzhacker (URBAN MALMBERG), Besenbinder (TOBIAS GLAGAU) und JOHN LIM aus dem Jungen Ensemble des Hauses als Wirt.

Christoph Zimmermann

 

 

BADEN-BADEN: VERDI-GALA – ANNA NETREBKO – YUSIF EYVAZOV – DOLORA ZAJICK – ELCHIN AZIZOV“

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Anna Netrebko, Yusif Eyvazov, Michelangelo Mazza. Copyright: Michael Gregonowits

Baden-Baden: „ANNA NETREBKO – YUSIF EYVAZOV –

DOLORA ZAJICK – ELCHIN AZIZOV“

Verdi – Gala 29.11.2018

Zu einer „Verdi-Gala“ hatte das Festspielhaus elitäre Künstler der internationalen Opernszene geladen: das berühmte Sänger-Ehepaar Anna Netrebko – Yusif Eyvazov dazu den legendären Met-Star Dolora Zajick sowie den Bariton Elchin Azizov. Instrumental begleitete die Philharmonie Baden-Baden zur Stabführung des italienischen Maestro Michelangelo Mazza.

Das umfangreiche Programm mit ausschließlich Werken aus Giuseppe Verdi´s Feder wurde mit der Ballettmusik zu „Otello“ eröffnet, in unterschiedlichen Qualitäten gestalteten sich die weiteren orchestralen Beiträge solistisch mit den Ouvertüren zu „Nabucco“, „La Forza del Destino“, dem Vorspiel zu „La Traviata“. Trotz manchen temperamentvoll-transparenten Begleitungen der Sänger hatte Maestro Mazza die Philharmonie vermutlich mangels ungenügender Proben nicht immer im Griff.

Nach freudiger Begrüßung der Künstler Anna Netrebko und Yusif Eyvazov eröffneten die beiden Gesangstars den vielversprechenden Konzertabend mit dem Duett Giá nella notte densa. Ein jugendlich-strahlend lyrischer Otello und seine betörend intonierende Desdemona sangen die Sterne vom Himmel und demonstrierten gleich zu Beginn Belcanto in Weltklasse-Formation.

Wie dereinst Garanca, Flórez u. Co. wird es scheinbar zur Manie sich Verstärkung ins Beiboot zu holen? Gewiss ergab sich dadurch eine sehr interessant-imponierende Programm-Gestaltung und so manche Szenerie schäumte über bar so viel expressiver Verdi-Leidenschaft.

Mit kräftig robustem Bariton offerierte Elchin Azizov der Charaktere der Partie entsprechend das Credo des Zynikers Jago. Jahrzehnte galt Dolora Zajick als Koryphäe des Mezzofachs u.a. an der Met, feierte große Erfolge und präsentierte nun im reifen Zenit Azucenas Stride la vampa.

Wohl den optischen Fauxpas vermeidend sang im Quartett aus „Rigoletto“ zum tenoral schmelzreich angestimmten Bella Figlia dell´amore in verführerischem Mezzoton Svetlana Shilova die Maddalena. In der späteren Presse-Information zu den Photos war zu lesen: Die Sängerin sprang für die gesundheitlich angeschlagene Dolora Zajick, die aufgrund ihrer Indisponiertheit mit großem Bedauern auch darauf verzichten musste, die im Programmheft angekündigte Arie der Eboli zu singen. Sie bittet um Verständnis. Anm. meinerseits: aus welchen Gründen auch immer war dafür auch kein Ersatz möglich.

Operndramatik, große Gefühle pur offerierten Anna Netrebko und Dolora Zajick zur Szene Aida-Amneris aus dem ersten Akt „Aida“. Zum Aplomb der kultivierten Vokalkunst sank La Netrebko in natürlich berührender Darstellung auf die Knie, bot unbeschreibliches Sopran-Ambiente auf höchster Ebene und krönte das Finale mit sphärischen Obertönen.


Anna Netrebko. Copyright: Michael Gregonowits

In technischer Versiertheit verband die geniale Sopranistin zu herrlichem Legato, einschmeichelndem Timbre, gleichwohl betörenden Piani wie tempestoso Akzenten zur Gestaltung Leonoras Pace, pace, mio Dio aus „La Forza del Destino“ sowie zur stilistisch absolut elitären Nil-Arie der Aida“ in unvergleichlichen Interpretationen und verteidigte so auf hohem Niveau, ihre unangefochtene Spitzenposition in der Weltrangliste ihres Faches.

Eyvazov und Azizov fochten als Alvaro/Carlo ihr tenoral-baritonales Duell der „La Forza“ mit leidenschaftlicher Furore in bester Stimmqualität aus und boten im Terzett aus „Il Trovatore“ assistiert von Netrebko vokal energiegeladene Verdi-Emotionen.

Kultiviert, legatoreich, strahlend präsentierte Yusif Eyvazov seine attraktiven tenoralen Mittel bei Manricos Romanze und Stretta aus „Il Trovatore“ sowie dem vortrefflichen Rezitavo und der wunderbaren Arie Quando le sere al placido des Rudolfo aus „Luisa Miller“.

Mit dem unverwüstlichen Brindisi aus „La Traviata“ beschlossen die Künstler das offizielle Programm und ließen sich vom begeisterten Publikum feiern. Zugabe erfolgte keine.

Gerhard Hoffmann

 

 

WIEN / Volx: HEISENBERG

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Foto: Volkstheater / Barbara Palffy 

WIEN / Volkstheater im Volx / Margareten:
HEISENBERG von Simon Stephens
Österreichische Erstaufführung
Premiere: 30. November 2018

Auch Erfolgsautoren, und der 47jährige Brite Simon Stephens ist ein solcher, schreiben schwächere Stücke. Käme dergleichen von einem Nobody, die Lektoren in Theaterverlagen und Dramaturgen in Theatern selbst würden sich nicht einmal die Mühe nehmen, ein Ablehnungsschreiben zu schicken. Bei einem bekannten Namen verkauft man die Sache mit diesem – und „Heisenberg“ ist auch kein schlechter Titel. Wenn der Wissenschaftler mit seiner Unschärfe-Theorie auch nie erwähnt wird. Unschärfe… na ja.

Wenn ein Gastspiel nicht gilt, hat das Volkstheater für seine Bezirke-Produktion tatsächlich die Österreichische Erstaufführung an Land gezogen, aber viel Freude wird das damit angespitzte Publikum nicht damit haben. Man hat das Stück übrigens schon im März dieses Jahres im Akademietheater gesehen, damals als Gastspiel des Düsseldorfer Schauspielhauses, mit einer nicht zu toppenden Besetzung mit Caroline Peters und Burghart Klaußner.

Und schon damals hat das Ganze durch seine extreme Künstlichkeit einfach nicht überzeugt. Zumal Lore Stefanek eine ausgesprochen ungeschickte Inszenierung geliefert hatte, die versuchte, die zahlreichen Schauplätze des Stücks (von einem Londoner Bahnhof bis zu einem Dorf in den USA) irgendwie anzudeuten. Schon von der Inszenierung her also hatte „Heisenberg“ eine zweite Chance verdient.

Regisseur Sebastian Schug war logistisch tatsächlich geschickter, indem er sich gar nicht erst auf Schauplätze einließ. Ausstatter Christian Kiehl hat ihm einfach einen Raum mit Sesseln und ein paar Haken geschaffen, wo einige Kleidungsstücke zum Wechseln hängen. Die Szenen gehen nahtlos in einander über, der Zuschauer ist aufgefordert, sich blitzschnell umzustellen und zu bemerken, dass die 42jährige Georgie Burns, die Amerikanerin in London, die „unscharf“ bleibt, und der 75jährige Fleischer Alex Priest in ihrer „Beziehung“ schon wieder ein Stück weiter ist. Wobei der Regisseur die Anbahnung der Geschichte kurzerhand und zu Recht gestrichen hat: Die Düsseldorfer Inszenierung hat gezeigt, wie albern es anzusehen ist, wenn Georgie einen wildfremden Mann auf einem Bahnhof in den Nacken küsst – was ihr immerhin die Möglichkeit gibt, mit ihm anzubandeln und nicht mehr loszulassen.

Absolute Unwahrscheinlichkeit von Dialog und Psychologie begleitet die Geschichte vom Anfang bis zum vagen Ende. Dass sich ein so evidenter „Normalo“ wie Alex auf das entnervend sinnlose Gelaber einer Frau einlässt, die letztendlich vor allem Geld von ihm will, kann man sich schwer vorstellen. Alles hängt in der Luft, auch das ersehnte Ende. Als Beziehungsgeschichte schlägt dies an Mühseligkeit einfach alles.

Das Volkstheater hat gut besetzt, aber es nützt nichts. Der Regisseur hat Joanna Kitzl für die Georgie mitgebracht, eine attraktive Schwarzhaarige und souveräne Bühnenpersönlichkeit, die sich unermüdlich durch ihren Text plaudert. Sie mag sich im wahren Leben dem Alter der Frau annähern, die schließlich einen erwachsenen Sohn hat, aber sie wirkt wie ein Twen, also viel zu jung, benimmt sich allerdings auch, wie erwähnt, für einen solchen unerträglich und dümmlich genug. Insofern passt die Hilflosigkeit, die Michael Abendroth als ihr Partner ausstrahlt.

Wer mit diesem Stück etwas anfangen will, muss schon ein enormes Potential guten Willens aufbringen – und selbst dann wird es schwer werden.

Renate Wagner

BERGAMO/ Teatro Speciale/ Donizetti-Festival: ENRICO DI BORGOGNA von Gaetano Donizetti

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Die Aufführung war im Stil der Commedia dell’ Arte (Copyright: Donizetti-Festival Bergamo)

Donizetti-Festival in Bergamo: „Enrico di Borgogna“ im Teatro Speciale (Vorstellung: 1. 12. 2018)

Im Rahmen des diesjährigen Donizetti-Festivals in Bergamo wurde das Erstlingswerk von Gaetano Donizetti (1797 – 1848) im Teatro Speciale aufgeführt: „Enrico di Borgogna“.

Das Melodram, dessen Libretto Bartolomeo Merelli nach August von Kotzebue verfasste, wurde 1818, also vor zweihundert Jahren in Venedig uraufgeführt.

Die Handlung der Oper, die im Mittelalter im Herzogtum Burgund spielt, in Kurzfassung: Enrico, der Graf von Burgund, ist nach einem Staatsstreich, bei dem sein Vater getötet wurde, zum Verlassen seines Herzogtums gezwungen worden, wobei er seine Geliebte, die Gräfin Elisa, zurücklassen musste. Als er im Exil erfährt, dass der Usurpator gestorben ist und dessen Sohn Guido das Land gegen das Volk regiert, schart er seine Getreuen um sich und plant, sein Herzogtum zurückzuerobern. Da er erfährt, dass Guido „seine“ Elisa zwingen will, ihn zu heiraten, ist Eile geboten. Er gewinnt Gefecht um Gefecht und erobert die Hauptstadt zurück, wo ihm berichtet wird, dass Guido sich im Dom verschanzt hat und den Priester zwingen will, ihn mit Elisa zu trauen. Noch im letzten Moment gelingt es Enrico, mit seinen Soldaten in die Kirche einzudringen und die Trauungszeremonie zu unterbrechen. Guido wird gefangen genommen und des Landes verwiesen, während sich Enrico auf der Stelle mit Elisa trauen lässt.

Regisseurin Silvia Paoli ließ das Frühwerk Donizettis im Stil der Commedia dell’ Arte spielen. Eine spezielle Aufführungsart, die man in kaum einem anderen Land so perfekt beherrscht wie in Italien. Die szenische Ausstattung dazu schuf Andrea Belli, dessen Gestaltung als „Theater auf der Bühne“ schnell verwandelbare Bilder ermöglichte. Die fast barock wirkenden Kostüme entwarf Valeria Donata Bettella.  


Hofnarr Gilberto (Luca Tittoto) warnt Enrico (Anna Bonitatibus)
Copyright: Donizetti-Festival Bergamo

 Das bis auf eine Ausnahme italienische Sängerensemble erwies sich auf komödiantische Art äußerst spielfreudig und konnte auch stimmlich überzeugen (bis auf die eine Ausnahme). In der Hosenrolle als Enrico brillierte die schlanke Mezzosopranistin Anna Bonitatibus. Sie gab der Titelfigur die nötige kämpferische Ausstrahlung und überzeugte in jeder Szene. Enricos Geliebte Elisa wurde von der Mezzosopranistin Sonia Ganassi sehr dramatisch gespielt und gesungen. Auch sie wirkte stets überzeugend.  

Die beiden Leibwächter des ermordeten Königs von Burgund, Pietro und Brunone, wurden vom Tenor Francesco Castoro und vom Bassbariton Lorenzo Barbieri eindrucksvoll dargestellt. Mit starkem komödiantischem Ausdruck spielte der Bass Luca Tittoto den Hofnarren Gilberto, der sich seiner Wichtigkeit in einer Commedia dell’ Arte-Inszenierung wohl bewusst war. Seine Warnung, dass „sich Frauen in der Welt befinden, um Unordnung zu schaffen“, schlug Enrico allerdings in den Wind.


Guido (Levy Sekgapane) wirbt um die Hand von Elisa (Sonia Ganassi)
Copyright: Donizetti-Festival Bergamo
Guido, der wenig geliebte Sohn des Usurpators, wurde vom südafrikanische Tenor Levy Sekgapane dargestellt. Er war leider die Ausnahme des Sängerensembles und wirkte stimmlich blass, obwohl er versuchte, seine Klagearie im zweiten Akt mit voller Kraft wiederzugeben.

Die beiden Nebenrollen Nicola und Geltrude wurden vom Tenor Matteo Mezzaro und von der Sopranistin Federica Vitali gespielt. Stimmkräftig wie stets der Coro Donizetti Opera (Einstudierung: Fabio Tartari).

Das Orchester Academia Montis Regalis, das von seinem Chef Alessandro De Marchi – er ist seit dem Jahr 2010 künstlerischer Leiter der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik –  äußerst temperamentvoll dirigiert wurde, gab die musikalisch feine Partitur des jungen Komponisten Donizetti mit allen Feinheiten zum Besten.  

Das Publikum, das auch mit Szenenbeifall nicht geizte, spendete am Schluss der knapp vierstündigen Vorstellung dem Sängerensemble und dem Chor sowie dem Dirigenten und seinem Orchester minutenlang Applaus. Ausnahme: Für den südafrikanischen Tenor gab es mehrere Buhrufe.

Udo Pacolt

 

 

 

BERLIN/ Barocktage der Staatsoper: LE CONCERT DES NATIONS & JORDI SAVALL

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Berlin/ Barocktage der Staatsoper: „Le Concert des Nations & Jordi Savall“. Die reinste Wonne im Piere Boulez Saal, 1.12.2018

Ein neues Festival hat Matthias Schulz, der neue Intendant der Staatsoper Berlin, gestartet: „Die Barocktage der Staatsoper Unter den Linden“, diesmal vom 23. November bis zum 2. Dezember. Von nun an sollen dieses Barockfest jeden November stattfinden, eine großartige Nachricht für die vielen Fans Alter Musik. Gleichzeitig erlauben solche Barocktage dem Chef Daniel Barenboim und den Seinen auf Auslandstournee zu gehen. 

Drei Opern standen auf dem Programm, darunter „Hippolyte et Aricie“ von Jean-Philippe Rameau, das noch bis zum 6. Dezember läuft. Außerdem gab es eine Tanz-/Theaterperformance sowie 10 Konzerte.

Am 1. und 2. Dezember gastierte der weltbekannte Dirigent, Gambist und Musikwissenschaftler Jordi Savall mit der 1989 von ihm und seiner Frau, der Sopranistin Montserrat Figueras, gegründeten Formation  „Le Concert des Nations“, gebildet aus international geschätzten Sängerinnen und Sängern, die auch im Opernbereich Erfolge feiern.

Wie frisch und facettenreich klingt unter Jordis Händen, mal dirigierend, mal selbst die Viola da Gamba spielend, das Monteverdi-Konzert im Pierre Boulez Saal – dem von  Frank Gehry geschaffenen Oval mit der von Yasuhisa Toyota designten exzellenten Akustik. Zur reinsten Wonne wird es und zu einem Höhepunkt dieser Barocktage.  

Selbstverständlich musiziert „La Capella Reial de Catalunya“ (gegründet 1987) auf historischen Instrumenten, originalen und gelungenen Nachbauten. Andrew Lawrence-King, ein zum Könner gereifter Autodidakt, braucht vorab einige Zeit, um seine Doppelharfe zu stimmen, muss aber auch zwischen den einzelnen Stücken nachadjustieren. Der warme Klang solcher Instrumente entschädigt jedoch für die kleinen Pausen und trainiert auch die Ohren des Publikums.

Monteverdis „Madrigali guerrieri et amorosi“ aus dem VIII. Madrigalbuch stehen zunächst auf dem Programm. Zuerst sind die kriegerischen Madrigale zu hören, dann die liebesträchtigen inklusive einem Ballgeschehen. Dennoch sind Krieg und Liebe für Monteverdi keine Gegensätze. Der Krieg bleibt nicht ohne Liebe, die Liebe ist auch ein Kampf der Geschlechter. Diese Madrigale sind die Vorläufer seiner späteren, expressiv auskomponierten Opern.

Engagiert und glaubhaft gestalten die Sängerinnen und Sänger ihre Partien. Die Koloraturen glitzern, und auch die Herren besitzen (was nicht immer der Fall ist), gelenkige Kehlen. Wohllaut und Ausdruck gehen hier Hand in Hand. Imponierend sogleich der voll tönende, aber geschmeidige Bass von Mauro Borgioni.

Glasklar perlt der schöne Sopran von Monica Piccinini. Der Mezzo von Maria Beate Kielland kommt nach der Pause beim Solo der Nymphe (Ninfa) aus der Oper „L’Orfeo “ voll zur Wirkung. Lluís Vilamajó, Tenor mit Baritongrundierung, sorgt für die erforderliche Gefühlsstärke, der Countertenor Alessandro Giangrande, ein Spezialist für Alte Musik, für spezielle Glanzlichter. Sie alle überzeugen als Solisten ebenso wie in den chorischen Partien. Die Begeisterung für Monteverdis Musik drückt sich auch in ihren Gesichtern aus. .

Doch einer – der Bariton Furio Zanasi, übertrumpft im 2. Teil alle anderen. Feurig  (nomen est omen), kraftvoll und mit allen Facetten schildert er den Kampf um Jerusalem zwischen dem Christen Tancredi und der Muslimin Chlorinda.

Zanasi läuft hin und her, ballt die Fäuste, zuckt zurück und scheint bei besonders erbitterten Kampfszenen selbst um Atem zu ringen. Ein zwanzigminütiges Musiktheater der Superlative rollt ganz ohne Notenblatt hier ab, verständlich auch für diejenigen, die diese von Torquato Tasso beschriebene Begebenheit nicht kennen.

Denn unüberhörbar geht es um Leben und Tod, jedoch von zwei einander Liebenden, die sich im Kampfgeschehen gar nicht erkennen. Schicksal und Stolz machen ihnen das Miteinander ohnehin unmöglich. Das immer wieder aufgenommene Duell unterstreichen die oft abrupten Klänge der Instrumente.

Alle beide lässt Monteverdi nur sehr wenig singen. Daher stehen nun Vilamajó als Tancredi und Monica Piccinini als Chlorinda weit entfernt einander gegenüber. Sie äußert Trotz, um schließlich tödlich verwundet und als in letzter Minute getaufte Christin mit einem Seufzer dahinzuscheiden.

Monteverdi hat die ganze Dramatik dem Erzähler überlassen und damit im Jahr 1624 ein Mini-Meisterwerk voll praller Emotionen präsentiert, das keine Fortsetzung in seinem Schaffen fand. Intensiv wie hier dargeboten reißt es nach wie vor die Zuhörer/innen fast von den Sitzen. Sofortiger Jubel belohnt Furio Zanasis furiose Leistung.

Diese 20 Minuten sind das absolute Highlight in diesem ohnehin beeindruckenden Monteverdi-Konzert und sagt mehr aus über Kampf contra Liebe als manch mehrstündige Opernaufführung. Selbst Monteverdis eigene Sinfonia a 6 aus „Cantate Domino“ als  Schlussstück kann trotz (oder wegen) ihrer frommen Jubelstimmung der Tragödie um Tancredi und Chlorinda nicht Paroli bieten.

Zuletzt erneut vehementer Beifall verstärkt durch Getrampel für Monteverdis superfrische  Musik und ihre überzeugenden Interpreten. Ursula Wiegand  


VENEZIA/ Teatro La Fenice: MACBETH. Derniere

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Teatro La Fenice. Foto: Helmut undPetra Huber

 

Venezia:„MACBETH“–Dernière amTeatro La Fenice, 01. 12.2018

Oper in vier Akten nach der VorlagevonWilliamShakespeare, Libretto vonFrancesco Maria Piave und Andrea Maffei, Musik von GiuseppeVerdi

(Pariser Fassung von 1865, gesungen in Italienisch, mit italienischen und englischen Übertiteln; Premiere am 23. 11. 2018 – 5. Vorstellung dieser Produktion)

Giuseppe Verdi hatte bei der Uraufführung 1847 in Florenz großen Wert auf historische Genauigkeit der Ausstattung gelegt. Der gebürtige Venezianer Damiano Michieletto, der bei dieser Saisoneröffnung des Fenice Regie führte,ist da gegensätzlicher Auffassung: Er ließ sich von Paolo Fantin eine chromglitzernde Stahlumrahmung für die Bühne bauen.

Viele Effekte beruhten auf riesigen Plastikfolien, die entweder als Zwischenvorhänge genutzt werden, auch als Projektionsflächen für Schattenspiele, oder als wiederholt und damit ermüdend anschwellender von der Decke hängender Hexenkessel. Immer wieder wurden diese Plastikflächen auch heruntergerissen, als Leichenhüllen verwendet oder dergleichen: es ist stark zu hoffen, daß diese „compostabili“ sind, denn sonst würde der Folienabfall einer einzigen Vorstellung den Umwelteffekt des italienischen Plastiksackerlverbotes um Wochen zurückwerfen… ferner dürfte das Regieteam zu viel „CSI“ gesehen haben, denn es scheint der Auffassung zu sein, daß Blut weiß sein müsse (siehe der in dieser Krimiserie gerne gezeigte Blutnachweis mit Luminol): schon nach dem ersten Mord ist der sonst dunkelgraue bis schwarze Titel“held“ ziemlich weißscheckig; die Erscheinung des toten Duncan überschüttet sich mit etwas, das wie weiße Latexfarbe aussieht (nicht ohne zuvor seinen schönen schwarzen Anzug abgelegt zu haben, den wollte man wohl nicht mutwillig versauen). Die Familie Macduff wird mit Plastikfolie überzogen und der selben Pampe übergossen wie sie sich zuvor der tote König über den Kopf geleert hat.

Der Wald von Birnam besteht aus roten Schaukeln an langen verzinkten Ketten, die mitunter – von Lady Macbeth, Macbeth selbst und einigen Erscheinungen – auchals solche genutzt werden; Malcolm wird im Finale sogar darauf vielleicht 4 m hoch gehievt.

Die Bekleidung (Carla Teti) ergeht sich in grauen und schwarzen Businessanzügen von der Stange, nur Gattin und Kinder von Macduff dürfen bunter sein. Die Hexen waren in beige melierten Kitteln gekleidet, die Augen hinter Gazemasken versteckt, weißblonde Perücken aufgesetzt. Ihr Tanz im 3. Akt – den Parisern und ihrem Bestemm auf einer Balletteinlage verdanken wir jedenfalls gute Musik des Maestros aus Roncole – ist aber weder zauberisch noch zauberhaft, eher ein müdes Herumwabern („movimenticoreografici“: Chiara Vecchi). Nur drei Kinder als Erscheinungen (Solistinnen der Piccoli CantoriVeneziani einstudiert von Diana D’Alessio undElena Rossi) bringen mit ihren roten Kleidern etwas Farbe ins düstere Spiel.

Auch das Licht (Fabio Barettin) ist nicht immer der Szenerie dienlich: gleich beim ersten Auftritt der Lady ist ein spot so eingestellt, daß er durch einen kurz verwendeten Puppenkasten, vor dem sie kniet, ihr Gesicht dann und wann mit einem unguten Schlagschatten versieht.

GÄNZLICH anders ist die Aufführung musikalisch ausgefallen: Myung-Whun Chung am Pult führt ein auch in den oft so anspruchsvollen Bläserläufen absolut präzises, dabeisamtig-klangschönesOrchestra del Teatro La Fenice, dasdie wunderbare Akustik des Hauses perfekt nutzt. Auch die Koordination mit der Bühne ist in allen Aspekten makellos, und die vielen dramatischen Ausbrüche und Effekte funktionieren auf die hunderstel Sekunde.

Die Solisten stehen dieser perfekten Vorgabe keinen Millimeter nach: als Macbethwurde der internationale Spitzen-Bariton mit Verdi-Schwerpunkt Luca Salsigeholt, der seinem Ruf an dem Abend alle Ehre machte: prachtvolles Timbre, immenser Druck, vom Pianissimo bis in die höchsten Lautstärken selbstverständlich sauberster Ansatz und Intonation, erstklassige Artikulation und dazu noch – soweit ihm das die Regie gönnte – auch schauspielerisch auf Draht.

Seine Domina und partner in crime Lady Macbeth ist die gebürtige Südkoreanerin VittoriaYeo, die seit etwa 6 Jahren ausgehend von Parma eine solide Karriere in Europa verfolgt (auch in Salzburg war sie schon zu hören) und hier während der Probenphase eine Kollegin ersetzen mußte; wenn so ein Geschehen ein Klischee für „Entdeckung“ sein soll, dann stimmt das hier vollumfänglich: Frau Yeo legt eine gesanglich und im Schauspiel perfekte Leistung hin, kann trotz manch befremdlicher Regiemomente immer wieder die Stimmung an sich reißen und Text und Melodie (und ihrer Rolle) die Dominanz verleihen, die ihnen zusteht. Ihr Verfall in den Wahnsinn im 4. Akt ist einer der beiden Gänsehautmomente der Aufführung.

Vorzüglich mitprofunder Baßstimme und Bühnenpräsenz auch der Banco von Simon Lim.Die beiden Tenöre dieses Stückes –StefanoSecco als Macduff und Marcello Nardisals Malcom – machen ihre Sache ebenfalls sehr gut (letzterer auch als mutiger Schaukler).

Die kleineren Rollen waren mit Elisabetta Martorana (Hofdame, bzw. Zofe), ArmandoGabba (Arzt), Antonio Casagrande, Emanuele Pedrini und Umberto Imbrendaebenfalls kompetent besetzt.

Der Coro del Teatro La Fenice (Leitung: Claudio Marino Moretti) ist sowohl in Gestalt der Hexen als auch als Volk oder Krieger seiner Aufgabe gewachsen; der zweite (in der Abfolge natürlich erste) Gänsehautmoment ist – nebst Dirigent und Orchester – ihmzu verdanken: das großartig zart-melancholisch und mit feinsten emotionellen Abstufungen vorgetragene „Patria oppressa!“ zu Beginn des 4. Aktes.

Insgesamt haben wir einen zwiespältigen Eindruck aus dem schon so oft aus der Asche wiedererstandenen Phönixtheatermitgenommen: musikalisch blieb absolut kein Wunsch offen;regie/ausstattungsseits wurde jedoch arg daneben gegriffen, mit unverständlichen Symbolen – bishin zur blanken Lächerlichkeit in Momenten, die eigentlich erschütternd oder spannend sein sollten. Das (italienische) Publikum in unserer Umgebung war offensichtlich exakt der selben Meinung. Wobeidann natürlich für Bühnenpersonal, Dirigent und Orchester begeisterter und langer Applaus als Lohn abfiel.


Schlussapplaus. Copyright: Petra und Helmut Huber

 

Petra und Helmut Huber

WIEN/ Staatsoper: MADAMA BUTTERFLY

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Elena Guseva, Andrea Carè. Copyright: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

WIEN/ Staatsoper:  „MADAMA BUTTERFLY“ am 1.12.2018

Ein Abend der Hausdebüts.

Drei der Künstler waren zum ersten Mal im Haus am Ring. Jader Bignamini stand am Pult und zeigte viel Engagement für den Verismo Puccinis. Dass dabei Einiges etwas zu kräftig ausfiel, kann beim ersten Mal wohl passieren. Aber das Orchester klang wunderbar.

Instrumental auf alle Fälle ein hervorragender Abend. Ebenso gibt es auch von der Bühne fast nur Gutes zu berichten. Für Ana Maria Martinez ist Elena Guseva in der Titelrolle eingesprungen. Einspringerbonus braucht die Dame nicht, sie stellte eine sehr ergreifende und musikalisch sehr schöne Umsetzung dieser Kindfrau um. Die Stimme ist groß und wird klar und ohne Druck und Sondervibrato sauber geführt. Die Piani kommen fein und schwingend über die Rampe. Andrea Carè, ein Spintotenor aus Turin, konnte als Pinkerton voll und ganz überzeugen. Fast wie veni, cantavi, vinci. Eine schön timbrierte Stimme, die sehr gut trägt, und kein Brüller. Sein Stil mit der leichten Träne im Vortrag der Rolle ist alter italienischer Stil in bester Form. Darstellerisch ist er schon Dank seines Aussehens vollkommen richtig am Platz. Das neue Ensemblemitglied Michael Laurenz war erstmals als Goro zu hören. Ein Tenor mit hellen Timbre, (der mir in Bregenz als Orsini in Beatrice Cenci sehr gut gefiel), ausgezeichneter Technik, die Stimme trägt sehr gut, nur die Italianità ist (noch) nicht seine Sache. Eine junge großartige Stütze des Ensembles ist Bongiwe Nakani als Suzuki. Eine wunderbare Altstimme mit sicherer Höhe und enormer Tiefe. Ihre sehr menschliche Darstellung der treuen Dienerin, die nie die Tatsache um Cio-Cio-Sans Schicksal aus den Augen verliert und doch nichts ändern kann. Das Duett der beiden Damen war ausnehmend schön.

Peter Jelosits ist immer verlässlich als Yamadori, sowie Marcus Pelz als kaiserlicher Kommissär. Nicht so ganz auf der Habenseite waren Ryan Speedo Green erstmals als Onkel Bonze. Warten wir die nächsten Aufführungen ab. Sehr farblos wieder Gabriel Bermudez als Konsul Sharpless.  In kleinsten Rollen dabei Simina Ivan als Kate Pinkerton, Martin Müller als Standesbeamter, Jozefina Monarcha und Denisa Daniel als Mutter und Base von Cio-Cio-San..

Der Chor sang sowohl sichtbar als auch aus dem Off perfekt unter Martin Schebesta. Wie schon eingangs erwähnt, eine wunderbare Begleitung des Orchesters.

Die sehr traditionelle Uraltinszenierung ist immer noch gültig, sieht gut aus und gefällt den Besuchern.

Im Publikum war leider die Verkühlungswelle stark zu spüren. Man dachte schon, ein Bus aus Alland  (österreichischer Lungenkurort) war zu Besuch. Leider in Pianostellen und in wirklich super genommenen Spannungspausen ist das besonders störend und letztlich eine ernorme Rücksichtslosigkeit.

Der Zuspruch des Auditoriums war kurz aber herzlich.

Elena Habermann  

WIEN/ Staatsoper/ Staatsballett: PEER GYNT

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Wiener Staatsoper: „PEER GYNT“, 2.12.2018 – skurril erzählt, berührend getanzt


Zsolt Török (Hirsch). Foto Ashley Taylor

Tanztheater mit zahlreichen skurrilen Episoden – und doch eine berührende Geschichte. Der rumänische Choreograph Edward Clug, langjähriger Ballettchef des Slowenischen Nationaltheaters Maribor, hatte diese getanzte Version nach Henrik Ibsens „Peer Gynt“ 2015 für seine Kompanie kreiert. Vorige Saison wurde dieses zweiaktige  Ballett vom Wiener Staatsballett übernommen, und Clugs choreographische Gestaltung erweist sich nun auch im Repertoire bei der Wiederaufnahme als ein das Publikum in zahlreichen Momenten fesselndes Stück. Dem modernen Tanzstil mit zahlreichen pantomimischen Sequenzen ist die wunderbar melodienreiche Musik von Eward Grieg, vom Orchester unter Simon Hewitt sehr emotionell aufgespielt, als Pasticcio unterlegt: zwei Sätze des Klavierkonzerts, die „Peer Gynt“-Schauspielmusik, „Aus Holbergs Zeit“, Norwegische Tänze. Zeitgeistiges Bewegungsspiel und Griegs edle Musikromantik binden sich in einer künstlerisch geglückten Synthese.

Ein starker Abend des intensiv mitgehenden Ensembles. Jakob Feyferlik als unbekümmerter, unbedarfter schlaksiger junger Tagträumer Peer wandelt von einer aus ironischem Blickwinkel gezeichneten Station zur anderen. Das erhoffte Glück findet er nicht. Auf der dunklen Einheitsbühne: bewegte Dorfszenen und die bedrohlich wirkenden Bergtrolle, Peers späteres Leben in Marokko und die Zuckungen der Verrückten im Irrenhaus. Die Erzählung schwankt zwischen Groteske und berührenden menschlichen Empfindsamkeiten. Von allen Tänzern voll mitlebend auf den Punkt getroffen: Alice Firenze als Solveig, Nikisha Fogo (Frau in Grün), Franziska Wallner-Hollinek (Peers Mutter Ase), Ioanna Avraam (die verlassene Braut Ingrid), Céline Janou Weder (die verführerische Anitra), Zsolt Török (ein stolzer Hirsch) ….. und nicht vergessen: Der Tod spielt hier mit. Von Eno Peci bei seinem Rollendebüt mit plastischer Ausdrucksschärfe gemimt.  

Meinhard Rüdenauer

MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: OTELLO

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München:“Otello”–Bayerische Staatsoper01.12.2018–Desdemonas Sicht

Jago (Gerald Finley, liegend) erzählt Otello (Jonas Kaufmann) von Cassios Traum. Im Hintergrund, in ihrer eigenen Welt, Desdemona(Anja Harteros)                                                                         © Wilfried Hösl

Eine Inszenierung über die man spricht. Die Beurteilungen in den Feuilletons der deutschsprachigen Presse gingen von „Thema verfehlt“ bis zu hellauf begeistert. Was kann einem Opernhaus Besseres passieren, als dass man über die Neuproduktionen spricht? Und Gesprächsstoff bietet diese Neuinszenierung von Otello zuhauf. Auch nach der dritten Aufführung vom 2.12. bleibt der Eindruck einer spannenden, auch kontroversen, neuen Sichtweise auf die altbekannte Tragödie.

Neu ist vor allem weibliche Sichtweise der RegisseurinAmélie Niermeier, ausgehend von der Annahme, dass Desdemona nicht das naive, kleine Mädchen ist, als das sie meistens dargestellt wird, sondern vielmehr eine starke Frau, die immerhin gegen den Willen ihres Vaters einen Außenseiter der Gesellschaft, der sie selbst angehört, heiratet. Dieser Außenseiter, Otello, ist Soldat und hat sich ausschließlich durch militärisch-strategischen Verdienste den gesellschaftlichen Aufstieg erarbeitet, ohne jedoch wirklich zu der Welt Desdemonas zu gehören.

Diese beiden Welten werden in der Münchner Produktion durch zwei fast identische Räume symbolisiert, die Bühnenbildner Christian Schmid hintereinander auf die Bühne schachtelt: hinten die helle, Welt Desdemonas, sauber und ordentlich, kühl wirkend. Vorne ein dunkler Saal, wie ausgebrannt, Asche liegt noch in den Ecken. Otello betritt Desdemonas Welt genau zwei Mal: als Kriegsheimkehrer zum „Esultate“ und am Ende, wenn er sie erwürgt. Alles andere, die sogenannte äußere Handlung, findet im dunklen Bereich der Bühne, in Otellos Welt statt. Desdemona zieht sich immer wieder in ihre Welt zurück, während vorne Jago sein Gift verspritzt.

Die Teilung in zwei Welten wird unterstrichen durch die Kostüme: für Otello ein schlechtsitzender, grauer Soldaten-Anzug ohne Rangabzeichen, Hosenträger, er trägt soldatisch kurze Haare. Alle anderen Darsteller, tragen gut geschnittene Anzüge, Desdemona mondäne Kleider und einen Hosenanzug, so ihre Zugehörigkeit zur Upper-Class zeigend. (Kostüme: Annelies Vanleare). Eine Ausnahme auch Jago: er ist eher lässig gekleidet, mit Turnschuhen und T-Shirt und stellt sich dadurch als zu keiner der beiden Welten gehörend dar.

Niermeyer legt psychologische Schichten in „Otello“ frei, stellt Fragen an den Text und an die Musik, ohne die Antworten gleich mitzuliefern. Dieses Konzept geht auf, da es handwerklich gut gemacht ist und konsequent durchgehalten wird. Ein solches Konzept benötigt allerdings Sänger-Darsteller, die es erstens mittragen und zweitens das auch darstellen können.Das ist bei der aktuellen Besetzung in höchstem Masse gegeben.

Vor allem Jonas Kaufmann liefert das erschütternde Psychogramm eines vom Krieg schwer traumatisierten Mannes. Die strahlende, trompetenhafte Höhe darf nur selten aufleuchten, z.B. im „Esultate“, oder beim Racheschwur, ansonsten nimmt Kaufmann seine Stimme noch mehr zurück als sonst von ihm gewohnt, gewollt fahle Farben herrschen vor. Das ist durchaus im Sinne Verdis und seiner Partitur, es gibt Dutzende von Vortragsanweisungen wie „morendo“, „voce soffocata“, sogar ein eigentlich unsingbares vierfaches Piano hat Verdi für Otello vorgeschrieben. Im Vergleich zur Premiere singt Kaufmann freier, die extremen, manieriert klingenden Pianissimi sind verschwunden zugunsten einer ausgewogeneren Stimmführung. An den wenigen Stellen, beispielsweise im Liebeduett und am Ende, wo Otello so etwas wie Kantabilität vergönnt ist, bringt Kaufmann sein wunderbares Legato und den langen Atem zum Einsatz und lässt seine Stimme strömen. Eine großartige musikalische Gestaltung, die Verdis Partitur sehr ernst nimmt basiert.

In Anja Harterosals Desdemonahat er eine kongeniale Partnerin, was das Ausreizen der stimmlichen und darstellerischen Möglichkeiten angeht. Ihre Stimme ist nicht mehr so engelsgleich wie noch zu Zeiten ihrer Troubadour-Leonore, eine gewisse Schärfe bei manchen Höhen und ein leichtes Vibrato haben sich eingeschlichen. Beides war allerdings bei der Premiere noch deutlicher zu hören, als in der hier beschriebenen dritten Vorstellung. Nichtsdestotrotz gerieten das Finale des dritten Aktes und der komplette vierte Aktzu Gänsehautmomententen dank ihrer musikalischen Gestaltung. Wobei im Finale des dritten Aktes auch die Regie dazu beitrug: der dunkel gekleidete Chor erstarrt und wendet sich ab, nur noch die am Boden liegende Desdemona ist beleuchtet und beginnt zu singen, ihre Stimme erhebt sich über der des einsetzenden Chores. Eine der packendsten Ensembleszenen von Verdi.


Am Boden: Desdemona (Anja Harteros) im Finale des dritten Akts. © Wilfried Hösl

Die dritte Hauptfigur in diesem Kammerspiel, Jago, wird von Gerald Finley verkörpert. Er ist, wie im Grunde auch Jonas Kaufmann, entgegen der Besetzungstradition ein eher lyrischer Jago, ein Bösewicht der leisen Töne und der schillernden Farben. Kein augenrollender, offensichtlicher Bösewicht, sondern ein charmanter Soziopath, der selbst überrascht zu sein scheint, wie einfach er die Menschen und vor allem Otello manipulieren kann. Nachdem er das entdeck hat, scheint er es regelrecht zu genießen. Finley singt ihn mit viel Weichheit in der Stimme, hinter der sich aber auch eine gefährliche Schärfe versteckt. Die kommt im berühmten „Credo“ erst ganz am Ende zum Vorschein, dann donnert er aber sehr machtvoll das „E vecchiafolailciel“ – „der Himmel ist ein Märchen“ ins Haus.Er erntet zu Recht den größten Beifall nach Petrenko.

Evan LeRoy Johnson ist ein schönstimmiger Cassio, ein lyrischer Tenor der aufhorchen lässt. Ebenso das Ensemblemitglied Galeano Salas, der die undankbare Rolle des Roderigo hat. Milan Siljanov brilliert als balsamisch singender Montano, nicht ganz auf dieser Höhe ist Bálint Szabo als Lodovico, er bleibt etwas blass. Rachael Wilsonsingt mit schönem Mezzo eine selbstbewusste Emilia.

Besonderes Lob verdienenChor und Kinderchor der Bayerischen Staatsoper: außergewöhnliche Textverständlichkeit und große Präzision prägen die Chorszenen, auch hier werden die Dynamikvorgaben des Komponisten von fast unhörbar bis donnernd präzise befolgt.

Das alles wäre aber nichts ohne einen Dirigenten wie Kirill Petrenko, der Niermeyers Konzept nicht nur voll mitträgt, sondern kongenial umsetzt. In der Einführungsmatinee hatte er gesagt, dass er den Autograph Verdis studiert hätte und sich bei Abweichungen für die komplexere Variante des Notentextes entschieden hätte. Und so rasen, nach dem das gesamte Gebäude erschütterndem, dissonanten Auftaktakkord, die Sechzentel der Gewittermusik in irrem Stakkato dahin. Von diesem Fortissimo-Beginn bis zu kaum hörbarem Piano reicht die dynamische Palette, was er dem Bayerischen Staatsorchester an Transparenz und Zwischentönen entlockt, erstaunt immer wieder. Es gab auch viel Kammermusikalisches zu entdecken in diesem Otello. So erntet er wieder einmal den größten Jubel.

Susanne Kittel-May

PS: Die Aufführung wurde alsLivestream übertragen und ist vom 3. Dezember, 12.00 Uhr bis 4. Dezember, 11.59 Uhr als Video-on-demandhier abrufbar:
https://www.staatsoper.de/tv.html?no_cache=1

BERLIN/ Deutsches Theater: PERSONA von Ingmar Bergman. Premiere

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Corinna Harfouch und Karin Lithman, Foto: Arno Declair

Berlin / Deutsches Theater: PERSONA von Ingmar Bergman, B-Premiere, 01.12.2018

Eine Frau im Krankenhaus. Im weißen Nachtgewand liegt sie lang auf dem Boden, den Hinterkopf dem Publikum zugewandt. Ihr schönes Gesicht ist nur gegenüber zu erblicken, im Video von Sebastian Pircher. Es zeigt die Züge der gefeierten Schauspielerin Elisabeth Vogler, dargestellt von der Schwedin Karin Lithman.

Ihre Augen wandern hin und her, doch sie spricht seit ihrer letzten Vorstellung von „Elektra“ kein Wort mehr. Schon während des Stückes hatte sie eine plötzliche Pause eingelegt, dann aber weiter gesprochen. Sogar die Zeitungen berichteten darüber.

Nun schweigt sie schon eine ganze Weile, sei aber, wie die behandelnde Ärztin (Franziska Machens) betont, geistig und körperlich völlig gesund. Die vermutet wohl eine Depression. Als Therapie soll ihre Pflegerin Schwester Anna,  gespielt von Corinna Harfouch, mit der Verstummten einen Sommerurlaub am Meer verbringen. Die zögert.

Irgend etwas warnt sie. Wieder allein mit der stummen Schauspielerin beugt sie sich über sie und erschrickt über die Eiseskälte in ihren blauen Augen. Genau so kalt blicken sie auf einem Plakat, betitelt Agamemnon. Zwei Theaterstücke, in denen es um Morde in der Familie geht.

Im Stück „Persona“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters wird dieser Aspekt nur bildlich thematisiert. Doch erinnern wir uns: Der aus dem Krieg heimgekehrte Agamemnon wurde von seiner Frau Klytämnestra und ihrem Lover in der Badewanne ermordet. Elektra, die Tochter der beiden, will diesen Mord durch die Tötung der Mutter rächen. Der wieder gekehrte Bruder übernimmt es.

War das zuviel des Mordens für die womöglich sensible Elisabeth, oder gibt es auch gewisse Anknüpfungspunkte im eigenen Leben? Ihren Sohn hat sie schon vor der Geburt gehasst, hat dem nach einer Zangengeburt am Kopf entstellten Jungen ein baldiges Sterben gewünscht. Doch das Baby hat diese Mutter trotz ihrer Widerstände fühlbar geliebt. Ein Junge mit großen traurigen Augen schaut von der Videowand auf sie. Ein Foto von ihm hat sie im Bett.

In „Persona“, das auf Ingmar Bergmans Film basiert, geht es nun statt „Szenen einer Ehe“ bald um Aspekte einer Zweisamkeit von zwei unterschiedlichen, aber gleichermaßen unglücklichen Frauen. Anstatt nahe am Meer verbringen sie ihre Tage im silbrigen Spa eines Nobelhotels mit Seeblick. Bald plantschen beide durchs seichte Nass, und Anna redet wie ein Wasserfall (Bühne Jo Schramm).

Elisabeth schweigt, sie ist deutlich der Boss und macht Anna ihr ähnlich. Die gleiche Schminke, das gleiche lange hellgraue Kleid (Kostüme: Lane Schäfer). Die zunächst widerstrebende Anna verleitet sie zum Saufen. Das löst ihr noch mehr die Zunge.

Detailliert schildert nun Anna ihre und ihrer Freundin Sex-Erlebnisse mit zwei unbekannten Jungs am Strand, gefolgt von einer heißen Liebesnacht daheim mit ihrem Mann. Als weitere Folge eine ungewollte Schwangerschaft und die zu späte Abtreibung.

Annas Bekenntnisse münden in eine Liebeserklärung an Elisabeth. Im seichten Wasser küssen, umarmen und berühren sie sich. Doch Elisabeth bleibt so kalt wie ihre Augen und amüsiert sich in einem Brief über die vertrauensselige Anna. Als die das Schreiben entdeckt, verwandelt sich ihre gerade gefundene Liebe in Hass.

Unter Elisabeths Müsli mischt sie eine Glasscherbe, bald rinnt der Verletzten das Blut aus dem Mund. Anna würgt sie, beide schlagen sich. Anna brüllt sie an, will endlich von Elisabeth eine Antwort. 

Mit weiteren Glasscherben versucht die nun, ihre Pulsadern zu öffnen, was nicht gelingt und wohl auch nicht ernstlich beabsichtigt ist. Was sind das beide für Personen? Und wer ist nun welche, fragt sich, als Anna eine Liebesnacht mit dem muskulösen Herrn Vogler (Andreas Grötzinger) verbringt und der sie für seine geliebte Elisabeth hält? Oder träumt sie das alles nur?


Corinna Harfouch und Karin Lithman, Foto: Arno Declair

Was hat diese beiden Personen seelisch beschädigt? Ist es bei Anna die Reue über die Abtreibung und bei Elisabeth der ihr bewusste Mangel an Liebe zu ihren Sohn? Für Ingmar Bergmann wäre das wohl eine zu nahe liegende Erklärung und für die nicht mit ihm verwandte Regisseurin Anna Bergmann, geboren in Stendal  ist es wohl ebenso.

Die Vierzigjährige, seit 2018 Schauspieldirektorin des Badischen Staatstheaters Karlsruhe, wo künftig nur Frauen Regie führen sollen, sieht andere Ursachen. Anders als im Film „beginnt es bei uns in Elisabeth Voglers Kopf, entsteht aus ihrem Innern heraus: gleißende Bilder des Schmerzes, eine Art Depression, die während ihrer Karriere entstand. Das zwingt sie in eine Situation, in der alles um sie herum nicht wahrhaftig erscheint, jede Person, jeder Ort ist falsch. Sie will nicht mehr zu dieser Welt gehören.“

Dennoch kehrt Elisabeth ins „normale Dasein“ zurück. Mit den Worten „So ’ne Scheiße“ schlüpft sie in ihre High Heels und verlässt mit triefendem Kleid vorbei am Publikum die Bühne. Anna bleibt allein und muss sich wohl als eigene Person wiederfinden.

Um aber die Zweifel an der Identität von Personen noch zu erhöhen, gibt es sogar einen Rollentausch der beiden Frauen. Bei der Koproduktion mit dem Malmö Stadsteater spielt dort Corinna Harfouch die stumme Elisabeth und die Schwedin Karin Lithman die redselige Krankenpflegerin Anna. Praktisch ist das, aber irgendwie auch beunruhigend.

Letztendlich sind es diese beiden großartigen, mit viel Beifall bedachten Schauspielerinnen, die bei der 90minütigen Personensuche zwischen Jux und Tragik, Liebe und Hass den Besuch lohnen.  

Ursula Wiegand

Weitere Termine am 19. und 20. Dezember sowie am 5., 6., 26. und 27. Januar, teils mit englischen Übertiteln. 

FRANKFURT/ Oper: I PURITANI. Premiere

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Bildergebnis für frankfurt i puritani
Brenda Rea im Kleid von Christian Lacroix. Foto: Barbara Aumüller

Frankfurt: I PURITANI/Bellini   2.12. 2018 Premiere

Einer der wohl schönsten und auch dramatischsten Opern Vincenzo Bellinis sind I Puritani (Die Puritaner). Sie wird aber gern auf die große Liebe zwischen Arturo und Elvira, Belcanto-Rollen par excellance, reduziert, obwohl diese in einen Krieg zwischen den Puritanern unter Cromwell und der Königsfamilie der Stuarts um 1650 eingebettet ist.  Arturo ist ein Anhänger der Königsfamilie, während das andere Personal um Elvira die Seite der sich im Aufwind befindenden Puritaner  darstellt.

Der weitere Inhalt der Auseindersetzung und der Oper braucht hier nicht aufgeführt zu werden. Jedenfalls hat sich Regisseur Vincent Boussard dafür entschieden, diese Historie weitgehend zu ignorieren und dafür in Paris 1835 eine Trauerfeier für den verstorbenen Bellini als ‚Ball der Schwarzen Romantik‘ nach Motiven von dessen letzter Oper zu zelebrieren. Also keine Unterscheidung von Puritanern und Stuarts, auch nicht im Kostüm, die Handlung zwar etwas nachgestellt und, wo möglich, verändert. Auf wirkliche Dramatik, die Bellini ja auch in der Musik genial zum Ausdruck bringt, wird also weitgehend verzichtet, was aber m.E. dem Vorurteil, Bellini habe nur Schöne-Stimmen- und Melodie-Opern geschrieben, Vorschub leistet. Das kommt auch in den Kostümen zum Ausdruck, die an sich hyperromantisch und aufgebauscht viele hochwertige Stoffe verbrauchen und vom Modeschöpfer Christian Lacroix stammen. Leider kommen sie aber in der eingedunkelten Schaueratmosphäre und in einem Bühnenbild, das aus einer ruinenhafte Burgfestung mit logenhaften Einbuchtungen und einer Ballustrade im 1.’Rang‘ besteht, gar nicht zu voller Wirkung. (Bb.: Johannes Leiacker) Zu Beginn küßt Elvira den toten Bellini, der in sein offenes Grab hineinfällt. Später, nach seiner hochzeitlichen Huldigung für Elvira, verschwindet Arturo mit der Gefangenen Enrichetta, ohne daß das als Flucht bezeichnet werden könnte. Elvira liegt meist in weißen Tüll gehüllt auf einem (Konzert)flügel, auf dem sie, besonders im späteren Wahnsinn, große Gebärden vollführt. Nachdem sie dem zurückgekehrten Arturo zuerst zu verzeihen scheint, tötet sie ihn mit einer kleinen kaum sichtbaren Pistole von einer Eisenleiter herab in dem  Moment, wo die Aufhebung seines Todesurteils bekannt gegeben wird. Nach einem fingierten Schluß steht er zu einem Epilog mit dem Orchester als Bellini wieder auf, (im ‚Vorspiel war es eine Art historisches Hammerklavier) und verbleibt allein am Rande seines Grabes. Die Szene wird noch durch ein Video angereichert, in dem in der Höhe in einem kleinen Ausschnitt des Konzertflügels Evira in ihrem Gebärdenrausch gedoppelt sichtbar wird (Isabel Robson). Das kann als ästhetisches Surplus gewertet werden.

Das Orchester unter der agilen Leitung von Tito Ceccherini reiht die schönen Melodie Bellinis und deren Variationen aneinander, diese scheinen aber zur Begleitmusik der Trauerfeier bzw. des Balles (mit dem  gesanglich bestens  in der Ballustrade positionierten Chores) degradiert, denn die dramatischen Elemente kommen, wenn sie sich an der Szene nicht reiben können, gar nicht besonders zur Geltung.

Die Elvira gibt Brenda Rae mit ihrem soft fließenden hübschen Koloratursopran, einige Sitzentöne erscheinen aber suboptimal in die Gesangslinien eingebunden. An besonderen Farben, Emotionen und Ausdruck gewinnt ihre etwas blasse gasangliche Performance nur in Ansätzen. 

John Osborne als Arturo, ein Tenore die grazia ‚von Gnaden‘ mit samt-brillantem Timbre, erscheint als idealer Darsteller des großen, aber altruistischen Liebhabers. Nur ganz am Anfang erscheinen die sovracuti (Spitzentöne) noch etwas gewöhnungsbedürftig, dann kann er sie wunderbar in die Gesangslinie einbinden, und man möchte sie in einem Bis nochmal hören (z.B. die Arie A te o cara). Er gehört sicher zu den weltweit ganz Wenigen, die das so genial können. 

Der Rivale Riccardo wird von Iurii Samoilov mit heldisch wohlklingendem Bariton gezeichnet. Gualtiero, der Vater Elviras ist der Dunkelbaß Thomas Faulkner. Den Onkel Giorgio stellt mit Applomb Baßbariton Kihwan Sim. Die Kurzrolle der Enrichetta di Francia wird vom Mezzo Bianca Andrew übernommen. Den Puritano Bruno Roberton gestaltet tenoral Michael Porter.

Friedeon Rosén

 

 

STUTTGART: DIE LIEBE ZU DEN DREI ORANGEN

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Daniel Kluge, Matthew Anchel, Elmar Gilbertsson. Copyright: Matthias Baus

Axel Ranisch inszeniert Sergej Prokofjews „Die Liebe zu drei Orangen“ am 2. Dezember 2018 in der Staatsoper/STUTTGART

ZAUBEREIEN MIT DEM COMPUTER

Da hat Sergej Prokofjew (der gefürchtete Tastenlöwe) doch tatsächlich eine witzig-burleske Oper über einen Prinzen geschrieben, der nicht lachen kann und dafür verurteilt wird, sich in drei Orangen zu verlieben. Farfarello fragt in der Oper den raffinierten Zauberer Celio, ob er ein richtiger oder nur ein Theaterzauberer sei. Bei dieser Inszenierung steht in jedem Fall die unbändige Lust am Erzählen, am Märchenhaften und am Überraschenden im Vordergrund. Der Video- und Computerspielästhetik wird hier breiten Raum gegeben. So wird die „Liebe zu drei Orangen“ eine komische und zugleich märchenhafte Produktion für die ganze Familie. Wie unglücklich der Kreuz-König über die Schwermut seines Sohnes ist, das macht der versierte Bassist Goran Juric fesselnd deutlich. Das Leben des Prinzen (mit strahlkräftigem Tenor: Elmar Gilbertsson) gehört nämlich der bösen Fee Fata Morgana, die von der Sopranistin Carole Wilson mit stählernen Kantilenen verkörpert wird. Sie hat es dem von Michael Ebbecke mit gesanglicher Wucht verkörperten Zauberer Celio abgerungen. Das virtuelle Kartenspiel beherrscht auch in faszinierender Weise das ungeheuer abwechslungsreiche Bühnenbild von Saskia Wunsch. Selten hat man es erlebt, dass die raffinierteste moderne Technik derart gekonnt in den Handlungsablauf eingegliedert wurde. Davon profitieren ebenso die fantasievollen Kostüme von Bettina Werner und Claudia Irro. Die Zauberin bedient sich zur Beseitigung des Prinzen des Premierministers Leander, den Shigeo Ishino mit wandlungsfähigem Bariton verkörpert. Fiorella Hincapie interpretiert mit glühendem Mezzosopran die Sklavin Smeraldina, die sich dem Komplott gegen den unsicheren Prinzen anschließt. So lassen sich die sowieso schon komplizierten Handlungsfäden dieser Oper noch schwerer entwirren. Truffaldino (grandios: Daniel Kluge, Tenor) veranstaltet als gewiefter Spaßmacher des Königs im Festsaal lustige Computerspiele, die immer mehr ausufern. Fata Morgana erscheint plötzlich als alte Hexe, um den Prinzen zu erschrecken. Die wütende Alte verurteilt ihn zur Liebe zu den drei Orangen. Da explodieren die Zaubereien mit dem Computer zu immer wilderen und verrückteren Variationen, die schließlich völlig ausufern. Durch die List einer Köchin werden die Orangen auch noch gestohlen, werden dann während des Heimtransports schwer. Der durstige Truffaldino öffnet zwei davon – doch es entsteigen die Prinzessinen Linetta und Nicoletta (hervorragend: Aytaj Shikhalizade, Alt, und Fiorella Hincapie, Mezzosopran). Sie müssen elendiglich verschmachten, weil kein Wasser in der Nähe ist.


Carole Wilson (Fata Morgana), Michael Ebbecke, (Zauberer). Copyright: Matthias Baus

Für diese turbulenten Szenen hat sich Axel Ranisch in seiner Inszenierung viel Situationskomik einfallen lassen. Die Bewohnerin der dritten Orange, Ninetta (glühend: Esther Dierkes, Sopran), kann gerettet werden. Doch sie wird von Smeraldina in eine Ratte verwandelt. Smeraldina tritt so an Ninettas Stelle – und der König zwingt seinen Sohn, die falsche Prinzessin heimzuführen. Doch der Zauber der Hexe wird gebrochen und der Prinz wird unter dem Jubel des Volkes schließlich mit Ninetta vereint. Für dieses wahrhaft unglaubliche Intrigenspiel hat sich Axel Ranisch bei seiner versierten Inszenierung immer wieder neue Tricks und Kunststücke einfallen lassen. Das kommt beim Publikum sehr gut an. Zuletzt wird sogar das Licht (Reinhard Traub) noch höchst virtuos nach oben gedreht. Damit beleuchtet man grell das glückliche Liebespaar. Im Vorspann inszenieren russische Konstruktivisten von 1918 im Jahr 2018 ein italienisches Renaissancemärchen in deutscher Sprache als Computerspiel. Vater und Sohn beschäftigen sich schließlich eindringlich mit dem Computerspiel. Der kleine Serjoscha (Ben Knotz) kommt aus der Schule gestürmt, um sich ganz seinem Computerspiel „Orange Desert III“ zu widmen. Da geht es dann mit dem Level I weiter: „Lerne den König kennen und finde heraus, woran der Prinz erkrankt ist!“ Schließlich heißt es:“Bring den Prinzen zum Lachen oder töte Truffaldino!“ Daraufhin lautet ein weiterer „Level“-Befehl: „Öffne die Orangen!

Und so gibt es immer weitere und verrücktere Irrungen und Wirrungen im Stil der Commedia dell’arte. Das Auge des Zuschauers wird hier bewusst betört und verführt. In weiteren Rollen gefallen noch Stine Marie Fischer als voluminöse Prinzessin Clarice sowie Matthew Anchel als Köchin/Farfarello und Christopher Sokolowski als Zeremonienmeister und Johannes Kammler als ebenfalls außer Rand und Band geratener Pantalone (Video: Tim Nowak).

Der von Manuel Pujol sorgfältig einstudierte Staatsopernchor Stuttgart leistet mit glasklarer Intonation Vorbildliches. Der zupackende Dirigent Alejo Perez besitzt einen genauen Sinn für Prokofjews extreme rhythmische Exzesse und chromatisch wilde Aufschwünge. Es ist ein Kunststück, das sich so auch die wunderbaren Kantilenen der Sänger mit unstillbarem Feuer entfalten können. Ein großer harmonischer Zauber beherrscht damit die Bühne, der seinesgleichen sucht. Es ist Axel Ranisch als Regisseur dabei gelungen, die Märchen- mit der Computerwelt in raffinierter Weise zu versöhnen und zu vereinen. So profitiert auch die Musik in unerhörter Weise von diesem ungewöhnlichen Experiment. Die rasche Abfolge von Rezitativ und Arioso, Solo, Chor, Gesang und Pantomime wird hier überaus mitreissend verwirklicht. Und das Staatsorchester Stuttgart musiziert dabei mit exaltiert-glühender Emphase und peitschenden rhythmischen Konvulsionen. Die Fesseln der spätromantischen Tradition werden so nicht nur im revolutionären Bühnenbild völlig und radikal gesprengt. Man hört nicht nur die „Skythische Suite“ mit ihrer bombastischen Wucht genau heraus. Da schießen harmonische Vulkane in den Himmel, feurige kontrapunktische Funken heizen das Geschehen bis zum Siedepunkt an. Klare Formen und neoklassizistische Strukturen werden von Alejo Perez mit dem Staatsorchester Stuttgart ebenfalls in ausgezeichneter Weise elektrisierend betont. Virtuose Passagen erreichen so ein immer dichter werdendes Netz unglaublichster thematischer Verstrickungen und Verästelungen. Der musikalische Einfall untermalt hier ergötzliche Bilder in närrisch-skurrilen, bizarren Klangbildern, denen die Sänger hervorragend folgen können. Da gibt es keine Schwächen oder Ausfälle. Von den Kritikern sind die fehlenden lyrischen Passagen in diesem Werk kritisiert werden. Doch das Publikum wird dafür mit einer Musik entschädigt, die weit in die Moderne vorausweist – ja, die die heutige elektronische Musik praktisch vorweggenommen hat. Darauf weisen Axel Ranischs verpixelte Computerspiel-Bilder deutlich hin. Hinzu kommt bei dieser witzigen Inszenierung ein Tross von Sonderlingen, Tragischen, Komischen, Lyrischen, Hohlköpfen, Kleinen Teufeln, Ärzten und Höflingen. Man muss sich deswegen nicht wundern, dass die Uraufführung im Jahre 1921 in Chicago ein Riesenerfolg wurde. Und so war es auch bei der vom begeisterten Publikum heftig bejubelten Premiere in der Stuttgarter Staatsoper.

Am Ausgang wurden den Operngästen dann tatsächlich noch richtige Orangen überreicht.  

Alexander Walther


Film: WIDOWS – TÖDLICHE WITWEN

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Filmstart: 7. Dezember 2018
WIDOWS – TÖDLICHE WITWEN
Widows / USA / 2018
Regie: Steve McQueen
Mit: Viola Davis, Michelle Rodriguez, Elizabeth Debicki, Colin Farrell, Liam Neeson u.a.

Frauenpower ist der neue Kinotrend, Männerfilme werden umgedreht, weibliche Ghostbusters, weibliche Ocean’s 8-Heldinnen, die einen Heist durchziehen… und wenn „Witwen“ das nun auch tun, könnte man meinen, eine neue Komödie auf dieser Schiene vor sich zu haben. Aber die Geschichte, die Steve McQueen erzählt (seitdem der gleichnamige Schauspieler tot ist, kann es keine Verwechslung mit dem durchaus anspruchsvollen Drehbuchautor / Regisseur mehr geben), ist tragisch. Und sie bleibt es vom Anfang bis zum Ende.

Sie spielt in Chicago, wo die Gangster immer noch ganz schön unterwegs sind. Vier von ihnen, geführt von Harry Rawlins, gespielt von Liam Neeson, werden allerdings durch eine Explosion in die Luft gesprengt – und der erfahrene Kinobesucher fragt sich, wieso ein so populärer Schauspieler gleich am Beginn des Films verschwindet? Keine Angst, es gibt noch Rückblenden in Form von Erinnerungen und andere Überraschungen…

Die übelste Überraschung für seine Witwe Veronica (Viola Davis ist das starke Zentrum des Films), die den Gatten sehr geliebt hat, besteht darin, dass bald ein sadistischer Gangster in ihrem Wohnzimmer steht und behauptet, der Tote schulde ihm zwei Millionen Dollar. Die sie doch bald bezahlen möge. Als Drohung spielt er so sadistisch mit ihrem Hund herum, dass es nicht nur jedem Tierfreund kalt über den Rücken läuft…

Hollywood weiß, dass die Welt nicht mehr weiß ist. Um die „Witwen“ des Titels komplett zu machen, gesellt sich in Linda eine Latina dazu (Michelle Rodriguez, der die Gangster mit Geldforderungen den Laden demolieren), und die Blondine (Elizabeth Debicki) ist auch nicht WASP, sondern eine polnische Einwanderin (sie hat auch noch eine ziemlich eklige Kuppler-Mutter, die sofort wüsste, wie ihre Tochter zu Geld kommt und ihr bei deren Zögern nahe legt, nicht die Jungfrau Maria zu spielen…).

Drei Frauen mit demselben Problem – und Aufzeichnungen von Harry Rawlins, die einen „Heist“ ganz genau ausgearbeitet zeigen. Später werden wir erfahren, dass er meinte, die Gattin würde das Handbuch des Raubs lukrativ verkaufen – dass sie mit den beiden Leidensgenossinnen und einem ältlichen, schießgewandten Babysitter (Cynthia Erivo) versuchen würde, die Sache selbst durchzuziehen, hat er sich nicht gedacht…

Wäre es nur das (wobei man durch das Verbrechen nicht wirklich durchschaut, mit der kristallenen Logik haben es die Drehbücher nicht), die Komödie könnte immer noch stattfinden. Aber da ist der Politiker Jack Mulligan in Gestalt des unglaublich glatten Colin Farrell, und da merkt man schon, wo es lang geht – nicht erst, als er seinem Politiker Vater (großartig Robert Duvall als alter Mann, der nicht weichen will) wissen lässt, er solle sich doch endlich aus dem Geschäft verziehen… Zynismus in Gangster- und Politiker-Kreisen durchwebt diesen Film so düster, dass man am Ende weiß, dass weit mehr eine harte Sozialstudie angepeilt war als sonst etwas…

Der Raub beschert vor allem Veronica den Schock und die Enttäuschung ihres Lebens, aber am Ende scheint es, als wolle der Regisseur seine Frauen doch in eine einigermaßen friedliche Zukunft schicken. Aber das macht den Film nicht Mainstream-verdaulicher. Hier ist Witwe sein kein Spaß, sondern eine Härte.

Renate Wagner

WIEN / Renaissancetheater: DER KLEINE LORD

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Fotos: Rita Newman

WIEN / Theater der Jugend im Renaissancetheater:
DER KLEINE LORD nach Frances Hodgson Burnett
von Gerald Maria Bauer und Sebastian von Lagiewski
Premiere: 4. Dezember 2018

Das Theater der Jugend spielt einen Jugendbuch-Weihnachtsklassiker: „Der kleine Lord“, der allerdings mit dem weißhaarigen Kopf des „alten Lord“ von Alec Guiness in der Verfilmung von 1980 im allgemeinen Bewusstsein wohnt. Geschrieben 1886 von der britisch-amerikanischen Kinderbuchautorin Frances Hodgson Burnett, ist die Geschichte rührender Sozialkitsch, der wahrscheinlich auf Dickens-Spuren wandeln wollte…

Das Theater der Jugend verfährt mit dem „Kleinen Lord“ wie neulich mit „Oliver Twist“: Man holt eine Geschichte aus dem 19. Jahrhundert voll und ganz in die Gegenwart, damit die Kinder die Optik und die Sprache erkennen. Allerdings ist „Oliver Twist“ ein Meisterwerk der Weltliteratur, bei dem man heikler ist. „Der kleine Lord“ verliert zwar enorm, wenn sein historisches Ambiente fällt, aber für einen lauten Theaterabend, der auch schon für die jüngsten Schulkinder gedacht ist, funktioniert es, und man zerstört schließlich kein Meisterwerk.

Gerald Maria Bauer hat den Roman zusammen mit Sebastian von Lagiewski dramatisiert, wobei er sich stark an den Film anlehnt, nur das Ende dahingehend erweitert, dass der einst so steife alte Lord, nun ganz locker im Kilt, mit dem Enkel nach Amerika reist… Bauer hat außerdem für Regie und das nicht ungeschickte Bühnenbild (mit einer Menge verschiedener Schauplätze) gesorgt, und über die humoristisch wild ausgespielten Ressentiments der Amerikaner gegen England und umgekehrt darf gelacht werden, das ist weit genug entfernt, um nicht zu schmerzen.

Dass Cedric Errol, der kleine Held der Geschichte, acht Jahre als ist, kann man im Kino realisieren, auf dem Theater vergessen. Die sozialen Argumente, die hier ein armer US-Teenager einem reichen alten englischen Lord entgegenhält, und das mit der frechen Unbekümmertheit heutiger Jugend tut, wirken irgendwie glaubhaft. Man hört zu – und damit ist die Botschaft abgegeben.

Man erlebt diesen Cedric (Niklas Doddo, frisch und nett) erst im Umkreis seiner amerikanischen Freunde, denen es finanziell dreckig geht: Gerade darum rücken Mr. Hobbs mit seinem Tante-Emma-Laden (Frank Engelhardt als eine der überzeugendsten Figuren des Abends), der Zeitungsausträger Dick Tipton (ein bisschen allzu laut: Marius Zernatto) und Cedric ganz dick zusammen. Freunde, die sich auf einander verlassen können. Dann kommt die Nachricht, dass Cedric als einziger Enkel und künftiger „kleiner“ Lord Fauntleroy zum reichen, aber hartherzigen Großvater auf dessen schottisches Schloß kommen soll. Die freundliche Mama (Pia Baresch) will nur das Beste für den Sohn – und bewahrt stolz den Charakter der Armen, die sich nicht kaufen lassen…

Auf der englischen Seite walten dann der alte Lord, den Florian Stohr im Rollstuhl ohne die große Aura des wahren Aristokraten spielt, die Hausdame des Earls (Sabrina Rupp, die am Beispiel des kleinen Cedric lernt, ihre Ehrfurcht vor dem Adel über Bord zu werfen) – und vor allem der „Bösewicht“ der Geschichte: Bedenkt man, dass Matthias Mamedof vor gar nicht so langer Zeit der wendige Junge auf den Bühnen war, ist der intrigante Mr. Havisham für ihn der Weg in ein neues Fach. Er hat viel Talent für die Ehrbarkeitsfassade, die nur selten bröckelt.

Wenn dann eine Erbschleicherin (Aline-Sarah Kunisch) mit unerträglichem Sohn (wieder Sabrina Rupp, als Fratz nicht zu erkennen) auftaucht, überdreht der Regisseur die ohnedies schon sehr vordergründig aufgemotzte Inszenierung bis zum dummen Kinderschwank. Dass diese Geschichte hier und heute spielen könnte, passt natürlich von vorn und hinten nicht – aber darauf kommt es nicht an. Die Effekte des Werks – von der fröhlichen Respektlosigkeit den Autoritäten gegenüber bis zum blanken Kitsch – ergeben allemale einen legitimen Kindertheater-Abend.

Renate Wagner

Film: UNKNOWN USER: DARK WEB

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Filmstart: 6. Dezember 2018
UNKNOWN USER: DARK WEB
USA / 2018
Regie: Stephen Susco
Mit: Colin Woodell, Betty Gabriel, Rebecca Rittenhouse u.a.

Es ist eine fraglose Tatsache, dass sich für viele Menschen der Großteil ihres Lebens vor dem Computer und mit dem Smartphone abspielt. Neulich las man von einer App, die ermöglichen soll, dass viele Leute, jeder bei sich zuhause, sich eine Serie ansehen und dabei zeitgleich ihre Kommentare abgeben – auf die Uralt-Methode, dass sich einfach ein paar Gleichgesinnte auf Sofas und Fauteuils verteilen, zusammen gucken und live ihre Gedenken austauschen, kommt man offenbar gar nicht mehr…

Ähnlich ist die Situation im zweiten Teil des Films „Unknown User“, der sich – wie jüngst auch „Searching“ – ausschließlich in den sozialen Medien abspielt und nichts mehr „in echt“ zeigt. Da hocken ein paar jugendliche Freunde an ihren Computern und chatten, vermutlich eine wöchentliche fixe Skype-Verabredung. Die drei beteiligten Männer sind allein in ihren Wohnungen, die zwei Frauen (Betty Gabriel und Rebecca Rittenhouse) sind ein lesbisches Pärchen und zusammen. Und am Rande ist auch noch Amaya dabei, die gehörlose Freundin von Matias (Colin Woodell), und das Interessante daran ist, nebenbei bemerkt, dass die exotische Darstellerin Stephanie Nogueras tatsächlich gehörlos ist…

Um Amayas willen hat sich Matias einen neuen Computer beschafft – wie, das wird nicht ganz klar. Tatsache ist, dass er daran herumfummelt, um ein Programm zu erarbeiten, damit er Amayas Zeichensprache verstehen kann… und wie er so von einer Ebene zur nächsten springt, ist er auf einmal in jener geheimnisvollen Welt, die alle nur mit Schaudern nennen, als ob dort der wahre Realhorror stattfände (er tut es wohl auch) – er ist im Dark Net. Auf das wir alle so neugierig sind, dass man sich einen Film wie diesen ansieht, in der Hoffnung, wirklich etwas zu erfahren.

Was dann passiert, marschiert aber sehr schnell in den ganz obligaten Horror, der von Stephen Susco (zu eigenem Drehbuch) ohne sonderlichen Ideenreichtum inszeniert wird. Zuerst sieht man nur Böses, das die anderen machen. Dann blickt gewissermaßen das Böse zurück und nimmt die beteiligten Freunde aufs Korn… Man verrät nichts Unerwartetes, wenn man andeutet, dass dergleichen vielleicht nicht so leicht zu überleben ist. Dass die „kleinen Negerlein“ immer weniger werden. Dass man Todesangst um die anderen und sich selbst  hat… Und dass das Böse siegt. Immer. Schon gar im Netz.

„Unknown User“ war vor drei Jahren überhaupt der erste Film dieser Art („Desktop-Thriller“ in Echtzeit), nun ist „Unknown User: Dark Web“ die Fortsetzung, und sobald man begreift, dass hier nicht das Besondere, sondern nur das Übliche abläuft, ist es nicht mehr so interessant. Einen nächsten Film dieser Art sieht man sich vielleicht nicht mehr an…

Renate Wagner

WIEN/ Lutherische Stadtkirche: BENEFIZ-WEIHNACHTSKONZERT CLEMENS UNTERREINER UND SEINE EHRENGÄSTE

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Clemens Unterreiner begrüßt die Konzertbesucher. Foto: Maria Und Johann Jahnas

WIEN / Lutherische Stadtkirche: Benefiz – Weihnachtskonzert am 04.12.2018

Clemens Unterreiner und seine Ehrengäste

Auch heuer hat der sozial hochmotivierte Künstler Clemens Unterreiner wieder eine hochkarätige Gruppe von Freunden aufgeboten, um der guten Sache zu dienen und uns, das Publikum, stimmungsvoll zu unterhalten.

Erstmals erklang bei einem Weihnachtskonzert die frisch renovierte Orgel und ihr gewaltiger Klang wurde von der Organistin Erzsébet Windhager-Geréd mit „Toccata“ aus dem 5. Orgelkonzert von C. M. Widor vorgestellt. Im Verlauf des Konzertes hörten wir noch den „Prince of Denmark’s March –  und aus Händels Oratorium „Salomon“ die „Ankunft der Königin von Saba“ – beide Stücke gemeinsam mit Christof Zellhofer – Trompete.

Bewährte und geschätzte Fixpunkte der Adventkonzerte sind der Chor „cantus iuvenis“ unter der Leitung von Andre Comploi – sie sangen für uns „Northern Lights“, „Still oh Himmel“ und, gemeinsam mit dem Blechbläserensemble Paul Halwax und dem „MUK.wien.brass“ das „Zadok the Priest“ aus der Krönungsmesse von Händel. Die „Hirtenmusik“ aus Bachs Weihnachtsoratorium war ein weiterer Programmpunkt der Blechbläser.

Als Instrumentalsolisten erfreuten uns heuer Anneleen Lenaert – Harfenistin der Wiener Philharmoniker und frisch von der Japan-Tournee zurück – mit „Claire de Lune“ von Debussy, der junge russische Geigenvirtuose – auf seiner Stradivari mit dem unvergleichlichen Klang – Yury Revich mit dem „Russischen Tanz“ aus Tschaikowskys Schwanensee, und Maddalena del Gobbo – Gambe – mit „Harke harke – Niel Gow’s Lament“ von Tobias Hume. Die Pianisten Thomas Lausmann und Fritz Brucker sowie der Bratschist der Wiener Philharmoniker Hans Peter Ochsenhofer – gleichfalls gerade aus Japan zurück – sorgten für eine stimmungsvolle Begleitung der Gesangssolisten.

Der Gastgeber Clemens Unterreiner eröffnete die Darbietungen der Gesangssolisten mit dem Lied „Pieta Signore“ von Alessandro Stradella und gestaltete „Stille Nacht“, das wohl berühmteste Weihnachtslied einfach, ohne Manierismen und dadurch besonders berührend. Gemeinsam mit Stephanie Houtzeel, einer beliebten Mezzosopranistin der Wiener Staatsoper, sang er eine ungewohnte Variante der „Barcarole“ aus Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“.

Auch große Wagner-Stimmen waren vertreten: Linda Watson sang ein „Weinachtslied“ von Brahms und Günther Groissböck lieferte mit der „Arie des Philipp“ aus Verdis „Don Carlo“ den musikalischen Höhepunkt des Abends. Gemeinsam mit Clemens Unterreiner zeigte er sich bei der Tiroler Volksweise „Es wird scho glei dumpa“ von der besinnlichen Seite.

Für besinnliche Momente sorgten auch die Geschichten und Gedichte – „Frieden“ (Clemens Brentano) und „In weihnachtlichen Gassen“ (Joseph von Eichendorff) – rezitiert vom Burgtheatermitglied und Publikumsliebling Peter Matic,  und „Gedanken zum Nikolaus“ von B. Kupke – vorgetragen von Renate Holm, der treuesten Künstlerin der Weihnachtskonzerte. Natürlich durfte das Kalenderlied auch diesmal nicht fehlen.

Nach dem gemeinsamen „Adeste fideles“ wurde die beeindruckende Spendensumme von € 20.000 bekanntgegeben und nach einer launigen Danksagung an alle Spender und Mitwirkenden fand das Konzert mit dem traditionell gemeinsam gesungenen Weihnachtslied „O du fröhliche“ einen besinnlichen Ausklang.


Posieren mit dem Spendenscheck. Foto: Webseite „Hilfstöne“

Das Konzept „Gutes tun und gute Unterhaltung“ hat sich wieder einmal eindrucksvoll bewährt.

 

Maria und Johann Jahnas

BERLIN/ Staatsoper: „HIPPOLYTE et ARICIE“ von Jean-Philippe Rameau

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Hippolyte, Gyula Orendt, Thésée, und Tänzerinnen und Tänzer: Foto: Karl und Monika Forster.

Berlin / Staatsoper: „HIPPOLYTE et ARICIE“ von Jean-Philippe Rameau, 04.12.2018

Gelobt seien die neuen Barocktage, diesmal vom 23. November bis zum 02. Dezember, die der neue Intendant Matthias Schulz als hochwillkommene Ergänzung in den Spielplan integriert hat. Ein voller Erfolg sind sie geworden und zeigen, wie hoch die Zahl der Liebhaber Alter Musik ist und dass sie solche Chancen mit Freude wahrnehmen.

Mehr als 15.000 Besucherinnen und Besucher aus 46 verschiedenen Ländern sind in die Staatsoper Unter den Linden – gekommen, in den Großer Saal, den Apollosaal und den Alten Orchesterprobensaal. Auch die Konzerte im Pierre Boulez Saal mit seiner fabelhaften Akustik waren immens gefragt.

Neben Europa kamen die Besucherinnen und Besucher u. a. aus Australien, Brasilien, China, Hong Kong, Japan, Kanada, Korea, Neuseeland, Panama, Singapur, den USA und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Wer von ihnen nicht in Berlin wohnt, musste also anreisen. Insgesamt betrug die Auslastung 91 Prozent. Die drei Opernvorstellungen – „HIPPOLYTE ET ARICIE“, „L’ORFEO“ und „DIE KRÖNUNG DER POPPEA“ wurden gestürmt und waren restlos ausverkauft. Die nächste Staffel läuft vom 1.-10. November 2019.

Ganz neu von den drei Opern war und ist „HIPPOLYTE ET ARICIE“. Bis zum 8. Dezember laufen die Vorstellungen und sind fast ausgebucht. Eine Tragédie lyrique in fünf Akten hat Jean-Philippe Rameau (1683-1764) geschaffen, einst ein hochberühmter und sehr fleißiger Komponist, der aber später 140 Jahre lang in Vergessenheit geriet.

Schon seit einiger Zeit werden seine Werke wiederentdeckt, nun auch an der Staatsoper Berlin. Es ist sogar der erste Rameau überhaupt, den das Haus auf die Bühne bringt, und das wird aufgrund seiner äußerst klangreichen Musik auch höchste Zeit. Zu erleben ist eine Mischung aus 3 Fassungen, aus der ersten von 1733, der dritten von 1757 sowie der postumen von 1767.  Der Text stammt von Simon-Joseph Pellegrin nach der Tragödie „Phèdre“ von Jean Racine. Gesungen wird auf Französisch mit deutschen und englischen Übertiteln.  

Offenbar war die Staatsoper Berlin bestrebt, nun sogleich ein Hochglanzprojekt zu bieten und hat keine Kosten und Mühen gescheut, um das neue „Barock-Baby“ zu präsentieren. Dafür sorgt vor allem Simon Rattle, der das renommierte Freiburger Barockorchester umsichtig und schwungvoll dirigiert. Auch unterstützt er einfühlsam die großartigen Sängerinnen und Sänger. Die zahlreichen Chorpassagen, eine Spezialität von Rameau, sind beim Staatsopernchor, einstudiert von Martin Wright, in gut geölten Kehlen. Auch als Darsteller sind die darin geübten Choristen mit von der Partie bzw. Barock-Party.  

Die Aufgabe, den Staatsopernerstling mit Glanz zu überschütten, hat man dem weltberühmten Lichtkünstler Ólafur Elíasson übertragen. Für Bühnenbild, Lichtgestaltung und Kostüme ist er verantwortlich, hat sich dazu vieles einfallen lassen, mitunter auch zu vieles. Zuckendes Lichtgitterwerk, störende Lichtblitze bis ins Publikum, Nebelschwaden, minutenlang rollende Wogen auf einer Leinwand und zuletzt die volle Buntheit.

Die Damen hüllt er zumeist in Glitzergewänder mit vermutlichem Blendeffekt. Vielleicht halten deshalb die so Ausstaffierten gerne Abstand voneinander. Die Herren sind eher schlicht gekleidet, besonders der Namensgeber, Prinz Hippolyte, was dann doch etwas verwundert.

Eine Spiegelwand im Bühnenhintergrund verdoppelt noch alles. Auf diese Weise sehen wir Simon Rattle und das Orchester auch von vorne, die Singenden zusätzlich von hinten. Das könnte sehr ablenken. Doch alle Sängerinnen und Sänger – fast eine Luxusbesetzung –  haben ihre Rollen in dieser (von mir absichtlich gewählten) 4. Vorstellung verinnerlicht und lassen das Publikum stimmschön und oft ausdrucksstark teilnehmen an Liebe und Leid, Begehren und Enttäuschung, Trauer und Wut.  

Einfach ist das nicht. Manchmal müssen die Damen und Herren im Halbdunkel agieren oder aus verschattetem Hintergrund in den Lichter- und Blitzwirrwarr treten. Bei Pluto in der gar nicht so düsteren Unterwelt tragen die drei Kontrahenten sonderbare Leuchtkäfige um die Köpfe, die sie beim Singen nach hinten klappen können. Ganz zuletzt wippen die Choristen mit Spiegelhüten, die beim Kopfnicken ins Publikum gleißen.

Weniger an optischen Effekten wäre hier mehr gewesen, und wesentlich mehr wäre seitens der Regie vonnöten gewesen! Aletta Collins, verantwortlich für Inszenierung und Choreographie, die schon zahlreiche Opern bebildert hat, führt hier die Sängerinnen und Sänger keineswegs sachkundig durch das Lichter-Labyrinth. Sie lässt sie im Raum stehen und/oder an der Rampe singen. Von Personenregie keine Spur. Die, die selbst schauspielern können, verhelfen dieser Oper entscheidend zum schließlich bejubelten Erfolg. 

Stattdessen beschäftigt die Britin, früher selbst Tänzerin, fast ständig die Ballettgruppe. Doch in den 3 Stunden wiederholen sich die Gesten und Körperbiegungen, wirken auch oft störend. Echt peinlich ist die simple Bodengymnastik zum Gesang von König Thésée (Theseus), der außer sich ist vor Zorn und Enttäuschung über das angebliche Liebesverhältnis zwischen seiner 2. Frau und seinem Sohn.  

Gyula Orendt als Theseus lässt sich davon nicht ablenken. Mit seinem ausdrucksstarken Bariton singt er herzergreifend über das seltsame Tun am Bühnenrand hinweg. Er kann auch darstellerisch den menschlichen Abgrund begreiflich machen, in den er gestürzt ist.

Bei Pluto in der Hölle war ihm das schon vorausgesagt worden. Diesen Höllenherrscher gibt Peter Rose mit gewaltigem Bass und wahrer Körperpräsens. Als Furie Tisiphone beeindruckt auch Roman Trekel. Mit gut geführtem lyrischem Tenor punktet Reinoud Van Mechelen als Prinz Hippolyte, agiert jedoch sehr zurückhaltend. Seine große Liebe zu Aricie, einer Fremden aus dem Stamm der von König Theseus geschlagenen Pallantiden, kommt darstellerisch kaum zum Ausdruck.

Ganz anders Anna Prohaska als die vom ihm Angebetete, aber dem Dienst an der Göttin Diana Verpflichtete, der Hippolyte ebenfalls dient. Mit ihrem treffsicheren Sopran, zuletzt mit perlenden Koloraturen, überzeugt sie als durchaus raffinierte, aber sehnsüchtig Liebende ebenso wie als intensiv um Hippolyte Trauernde, der später von Meereswogen in die Tiefe gerissen wird.   

Dieses Beinahe-Schicksal verdankt er dem Gott Neptun, dem Vater des erzürnten Theseus, der ihn – wegen des vermeintlichen Liebesverhältnisses zu seiner 2. Frau, der Königen Phèdre (Phädra) – vernichten lassen will. In dieser Königin-Rolle glänzt nun weit mehr als ihr Glitzeroutfit Magdalena Kožená. 

Ihr glaubt man alles: das Verlangen nach ihrem Stiefsohn Hippolyte und die daraus resultierende Eifersucht auf ihre Rivalin Aricie. Und sie verliert alles Königliche, als sie Hippolyte, seinen Wunsch missdeutend, ihre bisher verheimlichte Neigung in einem Gefühlssturm sondergleichen offenbart. Fast bricht sie zusammen, als er entsetzt reagiert und seine anhaltende Liebe zu Aricie betont. Ihr kraftvoller Mezzo schildert packend das Auf und Ab der sie bestürmenden Gefühle, ihre Reue, ihre Scham und ihre Rachsucht. Eine Superleistung!

Doch Diana, die Göttin der Liebe und der Jagd, zu deren Diener die beiden Liebenden gehören, bringt inmitten von Waldesrauschen alles wieder in Ordnung. Selbstbewusst, dem jungen Paar Mut machend und mit intonationsreinem Sopran verkörpert Elsa Dreisig, Berlins neuer Darling, diese Partie.

In den übrigen Rollen in dieser personenreichen altgriechischen Sagenwelt – bei Rameau mit französischen Namen belegt – gefallen die Damen Adriane Queiroz als Œnone, Sarah Aristidou als La Grande Prêtresse de Diane, Une Matelote, Slávka Zámečníková als Une  Chasseresse, Serena Sáenz Molinero als Une Bergère und von den Herren Michael Smallwood als Mercure, sowie Linard Vrielink, Arttu Kataja und Jan Martiník (Tenor, Bariton und Bass) jeweils als Parque.

Als Tänzerinnen und Tänzer fungierten Bruna Diniz Afonso, Ema Jankovic, Patricia Langa, Sophia Preidel, Casia Vengoechea, Yuri Fortini, Daniel Hay-Gordon, Alessandro Marzotto Levy, Will Thompson, Po-Nien Wang und Victor Villarreal.  

Zuletzt heftiger und anhaltender Beifall des sichtlich beeindruckten Publikums, insbesondere und zu Recht für Magdalena Kožená, Gyula Orendt und Anna Prohaska sowie für Simon Rattle und das Freiburger Barockorchester.

 Ursula Wiegand

Letzte Termine am  6. und am 8. Dezember

 

 

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