Quantcast
Channel: KRITIKEN – Online Merker
Viewing all 11208 articles
Browse latest View live

Film: 100 DINGE

$
0
0

Filmstart: 7. Dezember 2018
100 DINGE
Deutschland / 2018
Drehbuch und Regie: Florian David Fitz
Mit: Florian David Fitz, Matthias Schweighöfer, Miriam Stein, Hannelore Elsner, Katharina Thalbach, Sarah Viktoria Frick u.a.

Keine Frage, dass Florian David Fitz & Matthias Schweighöfer ein gutes Leinwand-„Paar“ (nicht so) abgeben (wie schon in „Der geilste Tag“, 2016) – man glaubt ihnen die „Buddies“, die eng zusammen geschweißten und dennoch konkurrierenden Freunde… hätte Florian David Fitz den Film, den er (Drehbuch und Regie) rund herum gedreht hat, nicht dermaßen überlastet, wäre ihm das Drehbuch nicht so außer Form geraten, man hätte vielleicht mehr Spaß an der ganzen Sache.

Dabei hat Fitz versucht, ein paar (vielleicht ein paar zu viel) durchaus relevante Themen hier zu verpacken: Der Konsumwahn unserer Welt, der in Kaufrausch ausarten kann und viele Menschen dazu bringt, sich manisch Dinge zuzulegen, die sie nicht brauchen. Schuldenfalle, verstopftes Leben und verklebte Hirne sind die Folgen. Aber es geht auch um die „Verführer“, die via Laptop und Smartphones dauernd mit Angeboten locken, bis Mann/Frau nicht mehr widerstehen kann. Und es geht um die Frage, wie viel man davon braucht – und was wichtig ist im Leben… Ganz schön überfrachtet.

Zuerst sind die beiden – Paul (Fitz) und Toni (Schweighöfer) – nur die typischen Start-Up-Fritzen, die mit einem Team wie wahnsinnig an einer App arbeiten: Sie soll als verführerische Stimme aus dem Smart-Phone jener Kommunikationsersatz sein, den man braucht, wenn jeder Mensch nicht mehr mit anderen Menschen, sondern nur noch mit Geräten interagiert. Dafür bringt das Fitz-Drehbuch einen „David Zuckerman“ (Artjom Gilz) auf die Leinwand, der einem gewissen Mark Zuckerberg sogar ähnlich sieht – und der diese App um ein Vermögen kauft. Weil er damit die Menschen noch besser manipulieren kann…

Aber das ist nur ein Seitenelement des überfrachteten Streifens: Die beiden „Chefs“ lassen sich von ihrem Personal nämlich in eine Wette treiben, die Dinge, die wir besitzen, auf ihre Lebensnotwendigkeit zu überprüfen. Beginnend mit Null, dürfen sie hundert Tage lang täglich nur ein Objekt dazu bekommen – eine komplizierte und gar nicht überzeugende Idee, es sei denn, sie gehe darum, die beiden durchaus noch knackigen Darsteller (Florian David Fitz ist 44, die man ihm nicht ansieht, Matthias Schweighöfer 37), die durchaus noch „jung“ wirken, auch ziemlich oft nackt vorzuführen…

Zu diesem „Was brauche ich?“ (das Smartphone kommt bald an die Reihe) hakt sich noch die komplizierte Liebesgeschichte von Toni zu einer geheimnisvollen Fremden (Miriam Stein als Lucy), die zwar zu Liebe, aber nicht zu einer Beziehung bereit ist, weil sie ein „schreckliches“ Geheimnis hütet… Die ultimative Liebeserklärung des plötzlich zu Gefühlen erblühten Karriere-Maniac erfolgt wieder nackt…

Schöne Nebenrollen bieten Hannelore Elsner als Pauls Mutter und die köstlich parodistisch überzeichnete Katharina Thalbach als Pauls Oma Konaske – Frauen aus anderen Generationen und Welten, die mit ihrer Erdung die Digital-Männer manchmal auf den Boden zurückholen. Ganz aus dieser Welt ist jedoch das geld- und erfolgssüchtige Programmierer-Girl, das Burgschauspielerin Sarah Viktoria Frick (neuerdings immer wieder in Kino-Nebenrollen zu sehen) auf die Leinwand bringt.

Die beiden Hauptfiguren sind natürlich prächtige Rollen für Florian David Fitz, der sich das besinnlichere Naturell auf den Leib geschrieben hat, während Matthias Schweighöfer endlich ganz weit vom blonden Ideal-Schwiegersohn abrückt und einen glatten Karriere-Freak spielt, der zur Menschlichkeit erwacht… wie es halt so üblich ist. Dabei haben sie bei aller Verbundenheit immer noch Konkurrenzgehabe zu durchleiden und spielen da auf der Psychogeige der (nicht schwulen) Männergefühle. Am Ende wird dann eine Aussteiger-Romantik beschworen, die von vorgestern ist.

Aber der Film geht so überzeugend mit den Schauspielern um, bietet ausreichend Humor und Selbstironie und hat trotz seiner Handlung, die dauernd um Ecken führt und dort anstößt, dennoch so viel zum Denken zu bieten, dass man sich die „100 Dinge“ durchaus ansehen kann – wenn man die Worte aus Goethes „Vorspiel auf dem Theater“ auch nicht hätte so pedantisch erfüllen müssen: „In bunten Bildern wenig Klarheit, viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit…“

Renate Wagner


Film: ASTRID

$
0
0

Filmstart: 7. Dezember 2018
ASTRID
Unga Astrid (Becoming Astrid) / Dänemark, Schweden / 2018
Drehbuch und Regie: Pernille Fischer Christensen
Mit: Alba August, Trine Dyrholm, Henrik Rafaelsen, Björn Gustafsson u.a.

Feministinnen (wenn es sie in ihrer ehrlichen Form und nicht in ihrer #metoo-Verformung überhaupt noch gibt) aufgepasst: In schneller Reihenfolge kommen nun drei „Biopics“ über Autorinnen, die es gemeinsam haben, ihren Weg in einer Männerwelt mit Entschlossenheit gegangen zu sein. Den Anfang macht „Astrid“, wobei es sich nur um Astrid Lindgren handelt kann, es folgt „Mary Shelley“, die Autorin des „Frankenstein“, und schließlich kommt „Colette“ – drei gleicherweise bemerkenswerte Streifen, die in ihrem historischen Ambiente bleiben und dennoch nie in der Ausstattung ersticken. Was bei Astrid Lindgren (1907-2002) ohnedies am wenigsten möglich wäre, denn sie lebte in keiner pittoresken Welt.

Ihre Eltern waren Pfarrhofpächter in der schwedischen Provinz, und allein das bestimmte ein restriktives Leben für alle Familienmitglieder – außer Astrid. „Becoming Astrid“, das Werden der Astrid Lindgren, hat die dänische Regisseurin Pernille Fischer Christensen ihren gut zweistündigen Film genannt, in dem sie die Entwicklung des jungen Mädchens, das sich in der Kirche langweilt, bis zur entschlossenen Schriftstellerin schildert – ein Weg, der über eine schwer geprüfte junge Frau führt. Von Anfang an begehrt sie auf – warum der Bruder etwas dürfe und sie nicht. Er ist ein Junge, sagt man ihr. Aber die harte Arbeit am Land ist auch für Frauen vorgesehen.

Aber die junge Astrid Ericsson kann schreiben, das erkennen alle, sogar die nicht eben aufgeschlossenen Eltern, und als sie eine Stellung in einer Zeitung bekommt, darf sie sie annehmen. Chefredakteur Reinhold Blomberg (Henrik Rafaelsen) entdeckt nicht nur Astrids Talent – die sexuelle Beziehung des verheirateten Mannes zu dem jungen Mädchen kommt wie selbstverständlich, und sie lässt sich liebend darauf ein. Aber dass eine unverheiratete 19jährige schwanger wird – da hat sie von ihrer Familie keine Hilfe zu erwarten, im Gegenteil, man stößt sie aus, muss sie ausstoßen, sonst wären die ganzen Ericssons in ihrer Welt, in der sie leben müssen, erledigt (der Pfarrer wohnt nebenan, das Land gehört der Kirche)…

Es ist ein harter Weg, auf dem man Astrid begleitet, wobei die Regisseurin jedes wechselnde Milieu mit Sorgfalt gestaltet. Astrid muss mit blutendem Herzens ihren heimlich geborenen Sohn zu einer dänischen Pflegemutter (wunderbar: Trine Dyrholm) geben und sich unter den bittersten Bedingungen im Alltag durchkämpfen. Ihr Geliebter kann sie nicht unterstützen, macht er ihr weis, er lebt unter der Gefährdung, für Ehebruch ins Gefängnis zu kommen. Spät erst erkennt die loyale Astrid, dass er sie egoistisch allein lässt…

Ohne im geringsten triefend zu werden, auch wenn Astrid manchmal vor Verzweiflung brüllt, zeichnet die Regisseurin nach, wie hart das Leben einer einsamen ledigen Mutter war, die in Stockholm lebte, immer nur gelegentlich nach Kopenhagen reisen konnte, um ihren Sohn Lasse zu sehen, und dabei zu realisieren, dass er sie (trotz Pflegemutter Maries Bemühungen) nicht als Mutter wahrnahm. Vielleicht ist es zu einfach, den Beginn der berühmten Kinderbuchautorin Astrid Lindgren damit zu erklären, dass sie dem widerstrebenden Buben, den sie nach Maries Tod zu sich nimmt, nächtlich selbst erfundene Geschichten erzählt…

Jedenfalls atmet man auf, als der zuerst durchaus unfreundliche neue Chef „Herr Lindgren“ (Björn Gustafsson) heißt. Denn bald zeigt sich, dass er ein Herz für eine Angestellte mit einem kranken Kind hat (und ihr einen Arzt schickt, den sie sich nicht leisten könnte). Und irgendwann wird alles gut, dann nimmt sie den Sohn mit zu den Eltern, die sich aufraffen, der Umwelt die Stirn zu bieten – und dass aus der unglücklichen Astrid Ericsson die wohl glückliche Astrid Lindgren wurde, die weltberühmte Autorin, muss nicht mehr erzählt werden. Dann ist Astrid ja schon jene Astrid, die die Welt kennt.

Aber die Regisseurin nimmt auch Bezug darauf, dass wohl jeder Astrid Lindgren als die weltberühmte, alte, runzelige Frau im Gedächtnis hat, die man auf vielen Fotos gesehen hat: Immer wieder wird diese alte Frau zwischen die Geschichte der jungen Astrid eingefügt, und immer erzählen ihr die Leser, wie wichtig ihre Figuren für sie waren – schlechtweg Lebenshilfe, wenn Pippi Langstrumpf zeigt, wie es geht, ohne Vater und Mutter zu aufzuwachsen und doch den Mut nicht zu verlieren…

Der Film ist wundervoll, ergreifend, auch spannend, und Hauptdarstellerin Alba August könnte überzeugender nicht sein. Na ja, wenn das Talent auch von beiden Elternteilen (der dänische Regisseur Bille August [Pelle, der Eroberer, Fräulein Smilla] und die schwedische Schauspielerin / Regisseurin Pernilla August) kommt…

Renate Wagner

WIEN/ Staatsoper: „PEER GYNT“

$
0
0

Bildergebnis für wien staatsballett peer gynt
Copyright: Wiener Staatsballett/ Ashley Taylor

Wiener Staatsoper, Wiener Staatsballett: „PEER GYNT“, 5.12.2018 – ein starkes Stück, eine starke Aufführung

Es ist ein starkes Stück und die Interpretation durch das Wiener Staatsballett hinterlässt eine nachhaltige Wirkung. Diese von Choreograph Edvard Clug in krasser dunkler Färbung kreierte Tanztheater-Version von Henrik Ibsens „Peer Gynt“ zu betörend schöner Musik von Edward Grieg mag in ihrer konsequenten Gestaltung mit den abrupten Wechsel zwischen Groteske und Tristesse nach einer gewissen Gewöhnung verlangen. Doch die so kompakte Ensembleleistung zwingt mit ihrer Expressivität den Zuseher in den Bann. Gleichwertig ergreifen die alternativen Besetzung der Hauptrollen, charakterliche Nuancen sind natürlich gegeben. An diesem Abend: Etwas weniger Herzblut, doch noch stärker depressive Lebensbilder. Clug erzählt eine traurige Geschichte. Denys Cherevycko ist ein bereits reiferer abgeschotteter Junge, der sich zum völlig verhärmten, total niedergeschlagenen alten Peer wandelt. Herbe Züge zeigt Nina Poláková als hoffende wie wartende Solveig. Ein perfektes Ensemble rundum: Eno Peci als Tod, Franziska Wallner-Hollinek (Ase), Eszter Ledán (Braut Ingrid), Céline Janou Weder (Anitra), Nikisha Fogo (Frau in Grün), Zsolt Török in stolz aufragender Hirschengestalt. Im Orchestergraben lässt Dirigent Simon Hewitt wohlklingend romantisch aufspielen.

 

Meinhard Rüdenauer

NANTES Théatre Graslin: „CEDRILLON“ von Jules Massenet

$
0
0

Reise in die Traumwelten von Jules Massenet : Rinat Shaham (Cendrillon), Marianne Lambert (La Fée) und Julie Robard-Gendre (Le Prince Charmant)     ©Jean-Marie-Jagu – Angers Nantes Opéra

NANTES Angers Nantes Opéra
„CENDRILLON“ von Jules Massenet im Théâtre Graslin – 4 12 2018

 Die drei Bedingungen, damit diese wunderschöne Oper ihren Charme entfalten kann, werden erfüllt!

Die Oper in Nantes bekam einen neuen Intendanten: Alain Surrans, bis vor kurzem Direktor der Oper in Rennes, der den Auftrag bekam, aus dem Opernhaus-Duo Nantes/Angers ein Trio Angers/Nantes/Rennes zu schmieden. Ob es zu einer wirklichen Fusion der drei Häuser kommen wird, wie die „Opéra du Rhin“ in Straßburg, die die Opern von Strasbourg, Mulhouse und Colmar vereint, steht noch in den Sternen, vorerst werden einmal zwei Produktionen im Jahr in den drei Städten gespielt. Auf jeden Fall kann man den Politikern zur Intendantenwahl gratulieren, denn hier wurde ausnahmsweise ein wirklicher Opernfachmann gewählt, und nicht, wie jetzt so oft, irgendein Marketingchef mit guten Kontakten zur Industrie, von dem man sich dann hauptsächlich irgendwelche Nebeneinnahmen erhofft. Schon das Vorwort im Programmheft, in dem Alain Surrans erklärt, warum er in seiner ersten Spielzeit gerade diese so wunderschöne aber leider so selten gespielte Oper von Jules Massenet gewählt hat, ist eine reine Wonne. Denn hier schreibt ein Intendant, der nicht nur weiß, dass Massenet 35 Opern geschrieben hat, sondern der diese auch kennt (heute eher eine Seltenheit).

Und weil er sich bei Massenet auskennt hat er im Vorfeld die drei wichtigsten Entscheidungen getroffen, die den Erfolg einer „Cendrillon“ (Aschenbrödel) ausmachen. Als erstes hat er die Rolle des Prince Charmant mit einer Frau besetzt, einem „falcon“ (nach der Sängerin Marie Cornelie Falcon), ein Stimmtypus den Massenet besonders liebte und oft einsetzte. Doch leider wurde 1978 bei der allerersten Platteneinspielung („Welterstaufnahme“) die Rolle an Nicolai Gedda gegeben, was für ein schweres Missverständnis sorgte, das bis heute anhält. Denn immer noch wird hier und dort die Rolle des Prinzen von einem Tenor gesungen, was ein schwerwiegender Form- und Stilfehler ist, so als ob man Cherubino oder Octavian mit einem Mann besetzen würde (damit verliert das Schlusstrio vom „Rosenkavalier“ komplett seinen feinen Hauch). Die zweite Entscheidung war, die Ballette nicht zu streichen – sie gehören nun einmal zur französischen Oper des 19. Jahrhunderts. Und last but not least wurde ein Regisseur und Ausstatter engagiert, der eine „Märchen-Oper“ inszeniert und nicht irgendein Politik-Drama, wie noch unlängst bei der französischen Erstaufführung von Offenbachs „Rheinnixen“ in Tours.

Den Altmeister Ezio Toffolutti (1944 in Venedig geboren) braucht man wohl nicht mehr vorzustellen, auch wenn er vielleicht in Wien mehr als Bühnenbildner denn als als Regisseur bekannt ist. Die Bühnenbilder und Kostüme sind nicht nur ästhetisch und gut bespielbar, sie haben auch wirklich etwas mit dem Stück zu tun. Da hat endlich mal jemand wieder wirklich gearbeitet, die vielen Dokumente zur Uraufführung genau studiert, die stückimmanenten Schwierigkeiten analysiert und begriffen, was den besonderen Charme von „Cendrillon“ ausmacht. Es war zum Beispiel eine Sensation bei der Uraufführung 1899 in Paris, dass zum aller ersten Mal Elektrizität auf der Bühne und im Kostüm der Fee eingesetzt wurde (was Toffulutti, auch sein eigener Ausstatter und Beleuchter, nun auch mit viel Fingerspitzengefühl getan hat).

Opernchor wie man ihn selten sieht: die Damen des Choeur d’Angers Nantes Opéra und drei Tänzerinnen als köstlich karikierte Hofschranzen.
©Jean-Marie-Jagu – Angers Nantes Opéra

Die Choreographie von Ambra Senatore ist nicht so verfeinert und bis in kleinste Detail liebevoll ausgearbeitet wie die Regie und Ausstattung, sie ist aber dafür nicht weniger gelungen. Die Choreographin kam mit nur sechs Tänzern des Centre Chorégraphique National de Nantes für mehr als eine halbe Stunde Ballett. Und da diese (damals in Paris obligaten) Ballette im zweiten Akt mit ihren hochtrabenden Namen „Les Mandores“, „La Florentine“ und „Le Rigaudon du Roy“ musikalisch und inhaltlich schwer zu interpretieren sind, werden sie meistens gestrichen. Wenn man sich aber in sie vertieft, versteht man, dass es köstliche Parodien sind von den „Comédies-Ballet“ am Hofe Ludwig des XIVe, wie der bekannte „Le Malade imaginaire“ (der Eingebildete Kranke) von Molière, den Massenet wahrscheinlich vor Augen hatte als Karikatur der damaligen Hofgesellschaft. Und diese Karikatur ist Ambra Senatore meisterhaft gelungen, indem sie den Chor hat tanzen zu lassen. Chordamen sind nun einmal keine Ballerinen und in Nantes gibt es einige, die man ohne böse Ironie als besonders großbusig und kurzbeinig beschreiben könnte. Und genau diese Damen tanzten nicht in der letzten, sondern in der ersten Reihe im Unterrock als köstlich karikierte Hofschranzen. Deswegen geht unser größtes Lob an die Darsteller des Choeur d’Angers Nantes Opéra, geleitet durch Xavier Ribes, nicht nur für den Gesang, sondern vor allem für den Tanz!

Der musikalische Aspekt des Abends war gut, aber für feine Merker-Ohren, und dann auch noch mal für einen Merker, der diese Oper besonders gut kennt, nicht einwandfrei. Das lag vor allem am Dirigenten. Die Märchenoper – Massenet schrieb zum einzigen Mal „contes de fées“ unter einen Operntitel – hat zwei Aspekte: das französische Aschenbrödel-Märchen von Charles Perrault – das im Gegensatz zur deutschen Fassung der Brüder Grimm in der (halb)adeligen Hofwelt angesiedelt ist – und die Massenet-typische Flucht in eine Traumwelt: die zentrale Szene der Liebenden spielt im Traum, in dem die Träumenden schlafwandelnd durch die Fee zusammengeführt werden. Wenn die Hofwelt zu laut und dominant wird, kann die Traumwelt nicht mehr in aller Feinheit aufblühen. Massenets bekannteste Traumszene ist die berühmte „Méditation“ von „Thaïs“: keine Handlung, nur das langsame Aufhellen des Nachthimmels vor dem Erscheinen der Morgenröte. Begleitet durch ein leises Summen des Chores „à bouche fermée“ (mit geschlossenem Mund). Wenn man den Chor aber gleich singen lässt, bricht der Tag schon an bevor Massenet als begnadeter Orchestrator seine feinen Farben zart hat aufleuchten lassen.

Was nicht alles im Traum passieren kann: Cendrillon (Rinat Shaham) bekommt von ihrer Patin der Fee (Marianne Lambert) ein Ballkleid aus Mondstrahlen und Sternen. ©Jean-Marie-Jagu – Angers Nantes Opéra

Genau das passierte nun: Claude Schnitzler spielte in Nantes, inspiriert durch die wunderbare Inszenierung von Ezio Toffolutti, „Cendrillon“ viel langsamer als vor einigen Jahren in Lille, aber für unsere Ohren noch immer viel zu schnell und vor allem viel zu laut. Als das Orchestre national des pays de la Loire verstummte und Cendrillon, halb im Schlaf, sich a capella an das Wiegenlied erinnerte, das ihre verstorbene Mutter früher für sie gesungen hatte, und danach ins Kopfkissen „Maman“ hauchte (übrigens auf der Platte gestrichen), war dies für mich der musikalische Höhepunkt des Abends. Schade, wir hätten Rinat Shaham als Cendrillon und Julie Robard-Gendre (für uns die schönste Stimme des Abends) als Prince Charmant gerne in besseren Bedingungen gehört. Der bekannteste Sänger war François Le Roux als Pandolphe, der gutherzig-dumme Vater von Cendrillon. Le Roux war vor dreißig Jahren der Pelléas in Frankreich bis er vor zwanzig Jahren zum Golaud wechselte und ist nun ins Bass-Baryton-Fach „abgesunken“. Doch Pandolphe wurde Lucien Fugère „auf den Bauch geschrieben“, einem von Massenets Lieblingssängern, ein gemütlicher und urkomischer Bass-Buffo, der bei der Uraufführung schon 51 Jahre alt war. Doch er hatte eine solch wunderbare Stimme, dass Massenet noch viele andere Rollen für ihn geschrieben hat und Fugère erst mit 85 Jahren seinen Bühnenabschied als Bartolo gab. Und so eine Bass-Stimme besitzt Leroux leider nicht. Pandolphes ehrgeizige Gattin, Madame de la Haltière, wird meistens auch mit einem älteren Sänger besetzt. Rosalind Plowright hat zwar die Stimme für die große Arie „Lorsqu’on a plus de vingt quartiers“, aber nicht das einwandfreie Französisch und die perfekte Diktion von Le Roux. Marianne Lambert fehlten als gute Fee die Spitzentöne – aber die hätte sie vielleicht gehabt, wenn der Dirigent sie – und die ganze übrige Besetzung – nicht so gehetzt hätte. Aber dies ist Klagen auf Merker-Niveau, denn das Publikum war begeistert und spendete einen fast zehnminütigen Schlussapplaus. Die sehr variierte erste Spielzeit von Alain Surrans geht weiter und wird im Juni enden mit dem „Fliegenden Holländer“, eine Übernahme aus Hagen, die dann auch in Angers und Rennes gespielt werden wird. Wir sind gespannt!

Waldemar Kamer – (Der Online Merker – Paris)

 

www.angers-nantes-opera.com

WIEN/Staatsoper: NABUCCO

$
0
0

WIEN/ Staatsoper: NABUCCO am 6.12.2018

Neuer Wein in alten Schläuchen

Da diese Produktion aus dem Jahr 2001 in der 150-jährigen Geschichte des Hauses die einzige Realisierung dieser Oper ist, kann man mit Fug und Recht behaupten, dass es sich um die beste Inszenierung dieses Werkes aller Zeiten an der Staatsoper handelt. Das diese 76.Aufführung in dieser Inszenierung nicht zu den Spitzenabenden zählte, liegt zu einem großen Teil im Orchestergraben. Paolo Carignani ließ bereits nach 9 Takten keinen Zweifel daran, dass er nicht bereit ist,  irgendeine akustische Schmerzgrenze zu akzeptieren. Das dort notierte Fortissimo war ohne Ohrenschutz fast nicht mehr erträglich.

Diese Einstellung war aber für Liudmyla Monastyska sozusagen der Freibrief für einen Parforceritt durch die eigentlich unsingbare Rolle. Der Sängerin der Uraufführung, Giuseppina Strepponi, die als erste diese Strapazen auf sich genommen hatte, fühlte sich Verdi ja offensichtlich so zu Dank verpflichtet, dass er sie später heiratete. Die Rolle erfordert eigentlich mindestens zwei Stimmen: einen pastos klingenden Mezzo und einen agilen Koloratursopran. Die Weißrussin entschied sich dafür, mit möglichst lauten Höhen zu prunken, aber sobald sie mit weniger Druck auf die Stimme arbeitete und sich im Piano versuchte, verfiel sie in ein heftiges Vibrato. Dieses war zwar nicht ganz so stark, wie das von Ain Anger als Zaccaria, was aber nur ein schwacher Trost ist. Vermehrte Wagnerpartien sind wohl nicht unbedingt eine Hilfe auf dem Weg zu einem Basso cantante. Erstmals am Haus war Luca Salsi zu hören. Er ließ sich wenigstens nicht von den Lautstärke-Orgien anstecken und konnte mit einem sauber gesungenen Dio di Giuda gefallen. Dass mitten in der Arie bei rischiarata è l’egra mente der  Luster eingeschaltet wurde, war kein Regieeinfall, sondern ein Hoppala, das erst vor wenigen Wochen auch in der  Rusalka passierte.

Der musikalische Höhepunkt war eigentlich das kleine Arioso der Fenena Oh dischiuso è il firmamento der für Margerita Gritskova eingesprungenen Szilvia Vörös, wenn man vom „Wunschkonzert“-Chor Va pensiero absieht, den der von Thomas Lang einstudierte Chor der Staatsoper perfekt gestaltete. Der junge Südafrikaner Lukhanyo Moyake als Ismaele konnte in dieser Umgebung vielleicht noch nicht sein Potential zeigen, vielleicht war auch die Nervosität zu groß. Da konnte Leonardo Navarro in der kleinen Partie des Abdullo besser gefallen. Einen echten Luxus leistet sich die Oper mit der Besetzung der Anna durch Olga Bezsmertna., während Ayk Martirossian einen unauffälligen Oberpriester gab, der im Schlussbild nur mit einem üblen Ringertrick durch Leonardo Navarro zu Fall gebracht werden kann.

Wolfgang Habermann

WIEN / Staatsoper: NABUCCO

$
0
0


WIEN / Staatsoper:
NABUCCO von Giuseppe Verdi
76.
Aufführung in dieser Inszenierung
06.
Dezember 2018

Ausverkauft. So etwas von ausverkauft, Sitzplätze, Stehplätze. Dabei sang nicht einmal Domingo die Titelrolle. Als gäbe es ein tiefes Bedürfnis nach diesem frühen Verdi. Oder nur nach dem „Chor der Gefangenen“? Hundertprozentig nicht nach dieser Inszenierung, aber davon später.

Es gab das Hausdebut eines Baritons, auf den man schon aufmerksam wurde, als er bei der Scala-Eröffnung 2017 an der Seite der Netrebko in „Andrea Chenier“ sang. Nun erreichten uns eben erst lobende Kritiken für seinen Macbeth aus dem Teatro la Fenice. Und er ist für die nächsten Salzburger Festspiele als Simon Boccanegra angekündigt (und man hätte doch geschworen, dass diese Rolle bis zu seinem Lebensende PD gehört…). Kurz, erste Staatsopern-Begegnung mit Luca Salsi, der allerdings ein Opfer der Inszenierung wurde. Wenn man im blauen Berlusconi-Anzug über die Bühne wankt und eigentlich nichts zu spielen bekommt, kann man keinen packenden Nabucco gestalten, wenn man kein temperamentgeschütteltes Naturtalent ist. Singen, gewiß – ein schöner Bariton, anfangs etwas forciert eingesetzt, dann angenehm fließend, gutes Timbre. Das italienische Bariton-Fach ist weltweit nicht übersetzt, man wird froh sein, dass man ihn hat. Dass man Zukunftserwartungen für außergewöhnliche Leistungen hegen könnte, so beeindruckend war das Debut noch nicht.

Aber immerhin noch weit überzeugender als das, was die an sich meist hoch gelobte Liudmyla Monastyrska (erstmals seit ihrer Aida in Wien) als Abigail hören ließ. Nun weiß man ja, dass sie es kann – man hat es (im Kino) an der Met erlebt, als sie die Rolle im Jänner 2017 an der Seite von Domingo sang. Und wie! Das war stimmlich und darstellerisch Power pur. Nichts davon diesmal in Wien – zu spielen gibt es ja in dieser Inszenierung nichts, und stimmlich hörte man nur Brüchtiges. Es war allerdings auch scheußliches Regenwetter, man kann von einer schlechten Abendverfassung ausgehen, nächstes Mal mag es schon viel besser sein.

Dafür reüssierte Schwester Fenena: Schon in „Les Troyens“ hat man aufgehorcht und bei Neuzugang Szilvia Vörös eine bemerkenswerter Stimme vernommen (und von ihr auch eine Traviata-Flora gesehen, die zu Recht auffiel). Sie bewies wieder, dass hier ein nicht nur schöner, sondern auch – wenn man sich nicht irrt – viel versprechender Mezzo unterwegs ist.

Lukhanyo Moyake, ein Schwarzafrikaner, gehört laut Programmzettel seit dieser Spielzeit dem Ensemble des Hauses an. Man hat ihn bisher noch nicht wahrgenommen, aber das ändert sich nach seinem schön und kraftvoll gesungenen Ismaele.

Die Jungen sind an der Reihe, die „Alten“ liebt man sehr wie „unseren“ Ain Anger, endlich wieder einmal am Haus – und dann doch eine Enttäuschung: Der Hohepriester Zaccaria ist nämlich eine gewaltige Verdi’sche Baßrolle, da müsste es mächtig und „schwarz“ aus der Kehle fließen. Angers Stimme wirkt ausgetrocknet, stellenweise kraftlos. Aber auch dafür gibt es viele Erklärungen. Das Ende ist das sicher noch nicht, er ist doch für einen Baß im idealen Alter.

Und dann sind da noch die braven Nebenrollen (Olga Bezsmertna, eine unnötige Luxusbesetzung für die Anna, Ayk Martirossian als Oberpriester des Baal, Leonardo Navarro als Abdallo), die schon in richtigen Inszenierungen nicht auffallen, wie denn in dieser.

Ja, auch Ioan Holender hat uns ganz schön viel Inszenierungs-Schrott hinterlassen, und dieser „Nabucco“ von Günter Krämer gehört in vordester Reihe dazu. Dass es sich hierbei um „Nabucco“ handeln soll, ist eine reine, leere, den ganzen Abend lang unbewiesene Behauptung. Vor einer Rückenwand, die den Protagonisten nur einen schmalen Streifen Vorderbühne für die Aktionen belässt, stehen sie im undefinierten Raum (eigentlich im Theater-Nichts) herum und singen ins Publikum hinein. Bei „Va pensiero“ ist der Chor anfangs gar nicht sichtbar, dann gibt es ihn als Silhouette. Dass hier eine Handlung (und noch dazu eine gewaltig dramatische) stattfindet, ist unerkennbar. Ein eifriger Schweizer Opernfan, in aller Welt unterwegs, der neben mir saß (und für den Sitz in der 13. Reihe 210 Euro gezahlt hatte), erklärte mit bedauerndem Kopfschütteln, das sei wahrlich die schlechteste „Nabucco“-Inszenierung, die er in seinem ganzen Leben gesehen habe…

Dass man vollends nicht ins Verdi-Glück kam, lag auch an Dirigenten Paolo Carignani, ungeachtet seiner Erfahrung und seiner weltweiten Engagements. Der Abend holperte, war zu laut, zu gefühllos, und wo Verdi der Dramatik die Besinnlichkeit entgegensetzt, war’s geschleppt. Das passiert halt im Repertoire.

Renate Wagner    

FRANKFURT/ Oper: I PURITANI

$
0
0


John Osborn, Brenda Rae. Copyright: Barbara Aumüller

Frankfurt: „I PURITANI“

Besuchte Vorstellung 06.12.2018

Wie bereits zur „Adriana Lecouvreur“ engagierte die Oper Frankfurt das vortreffliche Team Vincent Boussard (Regie) und Christian Lacroix (Kostüme) und die kreativen Herren schufen wieder eine Produktion von ungewöhnlich qualitativer sehenswerter Optik und zwar „I Puritani“ von Vincenzo Bellini. Dazu lieferte Johannes Leiacker das auf das Nötigste reduzierte Bühnen-Interieur dessen dramaturgischen Effekte vom raffinierten Lichtdesign (Joachim Klein) sowie den Video-Adaptionen (Isabel Robson) der Präsenz zusätzliche konstruktive Prädikation verliehen. Strömender Regen, aufgewirbelte Blätter demonstrierten naturrealistische Impressionen, durch den Gazevorhang erschien so manche Szene wie ein Renaissance-Gemälde vor der Front (oder Ränge) eines sich in der Renovierung befindlichen Opernhauses.

Das Team verlegte die Handlung ins 19. Jahrhundert, Bellini wurde in sein Grab versenkt, jedoch davor von Elvira (quasi als Honneurs und Reverenz des großartigen Komponisten?) geküsst. Plausibel die Erzählweise des Handlungsablaufs konform zur exquisiten Haute Couture des französischen Modeschöpfers. Elvira in teils weißer Traumwolke, die Herren meist in schwarzem Cut mit zeitgemäßen Zylinder-Hüten, die Solisten in weinroten Kostümen ebenso wiederkehrend zum dezenten Kolorit der Roben diverser Chordamen.

Erwähnenswert bar der vortrefflichen Spielkultur des Orchesters und umsichtigen Leitung von Maestro Ceccherini wurden die Sänger in einer Weise begleitet, dass sie sich teils in Piani entfalteten und so Belcanto-Italiana pur offerierten wie man es nördlich der Alpen selten erleben darf.

Brenda Rae ist längst kein Geheimtyp mehr animierte sie bereits zu „La Sonnambula“ das Publikum zu Ovationen, konnte sie wiederum mit der Elvira ihren persönlichen Erfolg wiederholen und versetzte das Auditorium erneut in Euphorie. Die Belcanto-Partie schien für das farbenreich aufblühende Timbre der Sopranistin wie geschaffen und kam besonders den elegischen Melodien zugute, jenen von Giuseppe Verdi viel beschworenen „melodie lunghe, lunghe, lunghe“. Brenda Raes Stärke ist vor allem die lyrische Emphase, zudem ist die Stimme koloratursicher und verlieh Son vergin vezzosa den rhythmisch-leichten Ton zu welchem sie individuelle Verzierungen servierte. Virtuos formte die Sängerin zu breit strömendem Legato, vereinte bravourös vokalen Ausdruck mit Emotionen ihrer darstellerischen Bandbreite. Reine Intonation und balsamischen Fluss schenkte Rae O rendetemi la speme in feiner Lasur und anrührend umnachteten Fiorituren und blieb stets während den Duetten und Ensembles und besonders dem ersten Akt-Finale Ah vieni al tempio strahlend-leuchtender Fixstern. Ihr Sopran schien teils wie auf einer Wolke ähnlich wie ihr weißes Brautkleid zu schweben.

John Osborne als unvergessener „Werther“ am Hause setzte nun als Arturo erneut tenorale Glanzpunkte. Der hohen Tessitura der Partie begegnete der ausgezeichnete Sänger in souveräner Noblesse und schenkte dem königstreuen Patrioten heroischen Aufschwung und beste Legato-Technik. Belcantesken Schmelz verlieh Osborne der Auftritts-Arie Son salvo, alfin son salvo, mischte seiner flexibel eingesetzten Stimme zur Kavatine Son giá lontani markante variable Töne, teils falsettiert bei. Klangschöne Vokalise zu einschmeichelndem Timbre leitete der Sänger obertonreich das Duett Vieni fra queste braccia ein. Den vom Komponisten verordneten unverschämt hohen Extremtönen bot Osborn elegant Paroli jedoch nicht immer in absoluter Perfektion, sie deshalb teils sicherheitshalber zu omittieren wäre keineswegs ein Defizit.


Iurie Samoilov, Brenda Rae. Copyright: Barbara Aumüller

Überzeugend präsentierte Iurii Samoilov seinen schönen Bariton als Arturos Widersacher Riccardo, ließ sein weiches Timbre während der Ensembles und im melodischen Duett mit Giorgio ebenmäßig strömen. In prächtiger Bass-Formation, eleganter Linienführung und profunder Tongebung verlieh Kihwan Sim dem Onkel Elviras würdevolle Autorität und väterlich weiche Züge. Herrlich kontrastreich fanden sich die beiden Stimmen zum wohlklingenden Duett.

Schönstimmig fügten sich Thomas Faulkner (Lord Valton), Bianca Andrew (Enrichetta), Michael Porter (Sir Roberton) und ganz besonders effektvoll in viriler Qualität präsentierte sich wiederum der von Tilman Michael bestens einstudierte Opernchor.

Am Pult des vortrefflich disponierten Frankfurter Opern- und Museumsorchesters waltete umsichtig Tito Ceccherini und servierte temperamentvoll, aber auch sensibel die orchestralen Untermalungen zu den archetypischen Gefühlswelten der Protagonisten. Dynamisch, transparent, federnd leicht im Klang, zügig, detailliert in zackiger Rhythmik kam das Orchester daher und webte den Solisten den idealen begleitenden Klangteppich.

Derart ungewöhnliches qualitatives Engagement wurde vom begeisterten Publikum frenetisch gewürdigt. Der Rezensent schloss sich dem an und bestellte bereits zwei weitere Privatbesuche dieser in jeder Hinsicht phantastischen Produktion.

Für Belcanto-Freunde ein „MUSS“!

Gerhard Hoffmann

Folge-Vorstellungen: 08./14./16./21./26. + 28. Dezember sowie 04./12. + 18. Januar 2019

STUTTGART/Ballett: ROMEO UND JULIA

$
0
0


Tiefes Rollenverständnis + gelöste Technik: Friedemann Vogel (Romeo) und Alicia Amatriain (Julia). Copyright: Stuttgarter Ballett

Stuttgarter Ballett: „ROMEO UND JULIA“ 6.12.2018 –  Gelöst und energievoll in alter Frische

Eine freie Woche nach der anstrengenden Japan-Tournee scheint der gesamten Companie gut getan zu haben, mit einem Gestaltungsdrang fern jeglichem routiniertem Abspulen warfen sich Solisten und Corps-Tänzer in das unverwüstliche Shakespeare-Drama in John Crankos genauso unverwüstlichem Gewand. Die bis ins kleinste Detail ausgefeilte Choreographie bietet auch nach unzählbaren Aufführungen immer wieder neue Einblicke, zumal in den Ensemble-Szenen, wo zwei Augen oft überfordert sind, alle Gleichzeitigkeiten zu erfassen. Die intimeren Szenen, zumal die des Liebespaares und ein Großteil des dritten Aktes, ermöglichen dagegen die volle Konzentration auf ihre Darsteller.

Über Alicia Amatriain und Friedemann Vogel als weltweit renommiertes Paar ist schon so viel geschrieben und gewürdigt worden, dass es schwerfällt noch neue Worte zu finden. Dass die beiden an diesem Abend in einer auch nicht alltäglichen Harmonie und Gelöstheit, einem tiefen Insichruhen in ihren Partien und einer von Anfang bis Ende technischen Lockerheit zu erleben waren, sollte dennoch extra gewürdigt worden. Schon lange war die baskische Ballerina nicht mehr so aufblühend, ja fast wieder verjüngt und ohne einen Hang zur mimischen Überspanntheit zu sehen, und auch der Stuttgarter Danseur noble brachte seine herausragende Bewegungs-Qualität in einer in allen Positionen völlig ausgeglichenen Haltung und ganz besonders im federnden Einsatz der Beine zur Geltung, wie sie wohl nur in optimaler Tages- bzw. Abendverfassung möglich ist. Die Verschmelzung von interpretatorischer Reife und der spontanen, ja unverbrauchten Emotionalität eines jung verliebten Liebespaares machte völlig vergessen, dass da ein bereits im späteren Stadium seiner Tanzkarriere befindliches Paar auf der Bühne stand. Wenn Vogels Romeo hochbeglückt an seine Julia denkt und im Kreis seiner Freunde strahlt, blitzt immer noch dieser Jungencharme durch; wenn sich Nachdenklichkeit und drohende Katastrophe auf seinem Gesicht abzeichnen, begegnet uns (und gleichfalls bei ihr) ein gesetzter Charakterdarsteller. Der Pas de deux im Schlafzimmer erhält noch in der kleinsten Nuance eine Bedeutung, als ob die beiden ihren frühen Tod voraus ahnen würden.

Völlig überraschend kommt dagegen das Aus für den vor Lebensfreude und Unbekümmertheit strotzenden Mercutio von Marti Fernandez Paixa, der eine ideale Balance zwischen Tragik und Komik erzielt und in seiner Todesszene Sinn für die passende Dosis an Theatralik zur Verhinderung von abwertender Übertreibung beweist. Das Freundestrio komplettiert Matteo Miccini als keineswegs zurück stehender herzhafter Benvolio mit knackigen Sprüngen.

Roman Novitzkys Tybalt gewinnt immer mehr an Profil, seine Gehässigkeit gegenüber den Montagues macht sich in einer fast verbissen provokativen Miene bemerkbar, selbst die letzten Aufbäumungen im Angesicht des Todes machen noch eine gewisse Kampflust spürbar. Alexander McGowan entspricht den Vorstellungen des blässlichen Adeligen Graf Paris genauso wie es die allesamt bewährten Vertreter der Charakterrollen sind: Sonia Santiago (Amme), Melinda Witham (Lady Capulet), Rolando D’Alesio (Graf Capulet), Louis Stiens (Pater Lorenzo + Herzog von Verona). Angelina Zuccarini, Rocio Aleman und Daiana Ruiz stellten das rassige Zigeunerinnen-Trio und Fabio Adorisio führte das stets vom Bühnenvolk wie von den Zuschauern bewunderte Faschingsquintett mit Schmackes an.

Das Corps de ballet füllte die lebhaften Szenen auf dem Platz wie auch die strengeren Zeremonien im Palast mit Hingabe und Geschlossenheit aus. Mikhail Agrest brachte als Gastdirigent mit dem Staatsorchester Stuttgart ungeachtet einiger ungenauer Einsätze mehrere neu gehörte Momente der Prokofieff-Partitur zustande – wo sonst manches etwas zu massiv daherkommt, lässt er vor allem in so manchen Streicherpassagen mehr Eleganz und Wärme hören. In den vor allem auf das Liebespaar ausgerichteten stürmischen Applaus wurden er und die Musiker am meisten miteinbezogen.                                

Udo Klebes         


Film: MANASLU – DER BERG DER SEELEN

$
0
0

Filmstart: 14. Dezember 2018
MANASLU – DER BERG DER SEELEN
Österreich / 2018
Regie: Gerald Salmina
Spielfilm / Doku über Hans Kammerlander

Er ist zwar nicht ganz so berühmt wie Reinhold Messner (der ja sein mediales Selbst besonders pflegt), aber wer sich für Berge interessiert, der kennt den Namen Hans Kammerlander. So viele Menschen haben schließlich nicht den Mount Everest ohne Sauerstoff bestiegen (mit Sauerstoff sei es, meint er, als fahre man mit einem leichten Motorrad bei einem Fahrradrennen mit…) – und ist dann auf den Skiern abgefahren (!!!). Das muss man sich vorstellen. Das Besondere daran: Dass es ganz, ganz selten vorkommt, dass ein Extrembergsteiger auch ein „extrem“ guter Skifahrer ist…

Dieser Film über Hans Kammerlander, den der heute 62jährige erzählt, immer wieder als er selbst im Bild, ist dennoch keine trockene Dokumentation. Regisseur Gerald Salmina hat eine echte Biographie mit starken Spielfilm-Anteilen gedreht. So lernt man den Hansi schon als 8jährigen im heimatlichen Südtirol kennen, Sohn armer Bergbauern, der mit anpacken musste und vom Leben Ausdauer, Disziplin und Willensstärke und auch die Logistik im Umgang mit der Natur gelernt hat. Alles, was er für seinen „Beruf“ brauchte.

Das, was er machen wollte, lag vor seinen Augen – der am 6. Dezember 1956 in Ahornach in Südtirol Geborene sah vor sich den Peitlerkofel, und er wollte nichts anderes als auf die Berge: „I mag amal klettern.“

Man geht mit ihm diesen Weg – vom relativ erfolglosen Bergführer, der sein Leben am Bau und als Kranführer finanzierte, bis zu dem „narrischen Kletterer“, der sich doch einen Ruf erwarb, der auch Reinhold Messner erreichte. Auf der Suche nach verlässlichen Partnern für seine „Achttausender“-Unternehmungen kam er zu Kammerlander. Sieben davon haben sie gemeinsam bestiegen, dann machte Kammerlander alleine weiter – weil er keine Konkurrenzsituation wollte. (12 der 14 Achttausender sind es in seinem Leben dann geworden.)

Werner Herzog kommt manchmal im Gespräch mit Kammerlander ins Bild, und man erfährt – obwohl der Film dem Leben nachgeht – nicht nur Fakten, sondern auch Hintergründe. Was geht im Kopf dieser Extremsportler vor, was fragen sie sich, wenn sie dem eigenen Tod gegenüberstehen, wie verarbeiten sie den Tod der anderen, die an ihrer Seite sterben – wie an einem Tag, als innerhalb von vier Stunden zwei seiner engsten Freunde, Friedl Mutschlechner und Karl Großrubatscher, 1991 am Manaslu in Nepal starben (eine Expedition, die Kammerlander selbst kaum überlebt hat).

Nach dem Everest war Kammerlander ein Superstar. Wer sehr hoch steigt, fällt auch sehr tief: 2013 betrunken Auto gefahren, einen jungen Mann getötet, dessen Eltern er gut kannte, von der Öffentlichkeit fallen gelassen… Der Regisseur hat dafür, wortlos, ein wunderbares Bild gefunden: Immer wieder sieht man buddhistischen Mönchen dabei zu, wie sie in langer, mühsamer Arbeit eines der Mandala aus buntem Sand herstellen – und wie sie das, was so lange brauchte, um zu werden, mit ein paar Handbewegungen wieder zerstören…

Kammerlander ist 2017, 26 Jahre nach dem Unfall, zum Manaslu nach Nepal zurückgekehrt, wo es in seinem Namen auch eine Schule gibt und er höchste Bewunderung für die Menschen hegt. Er hat den Berg gemeinsam mit Stephan Keck dann bestiegen, um diese unvollendete Episode seines Lebens auch um der toten Freunde willen abzuschließen. (Da war die Filmkamera dann live dabei mit wunderbaren Nepal-Bildern.)

Seither hat er das Extremklettern aufgegeben, weil er keinesfalls „der älteste Mann“ auf einem Berg sein will – sondern vielleicht noch als 90jähriger friedlich auf den Peitlerkofel, den ersten Berg seiner Kindheit, schauen…

Regisseur Gerald Salmina hat eine Menge „historisches“ Material zusammen getragen und die Zusammenfügung mit dem Nachgedrehten so fugenlos geschafft, dass alles gleichermaßen echt und dicht wirkt. Kein „erdachtes“ Drehbuch könnte spannender sein, kein Mensch könnte tiefere, ehrlichere Einblicke in sein Inneres geben wie Kammerlander es hier tut, der nichts beschönigt und sich nie aufspielt. Das ist so interessant wie aufregend wie berührend.

Renate Wagner

 

LINZ/ Landestheater: DER VOGELHÄNDLER – Operette von Carl Zeller. Premiere

$
0
0


Franziska Stanner, Julia Borchert, Theresa Grabner. Copyright: Sakher Almonem/ Linzer Landestheater

Linz:„DER VOGELHÄNDLER“– Premiere am Musiktheater des Landestheaters, Großer Saal, 09. 12.2018

Operette in drei Akten nach der Comédie-vaudeville Ce quedeviennentlesroses (Das Gänsemädchen) von Victor Varin und Edmond de Biéville, Libretto von Moritz West und Ludwig Held, Musik von Carl Zeller

Alle Jahre wieder gibt es im Spätherbst am Linzer Landestheater eine Operettenpremiere. Am neuen Musiktheater griff man bis einschließlich heuer dreimal auf die „Goldene Ära“ zurück, zweimal gabs Silber und einmal ein Weißes Rössl, das originalentsprechend irgendwo zwischen Revue und Musical inszeniert war.

Viele „nebenberufliche“ Kreativkünstler gibt es nicht, die eine Epoche mitgeprägt haben; der aus dem Mostviertel (St. Peter in der Au, unweit Seitenstetten) gebürtige Jurist und hohe Ministerialbeamte Dr. Carl Adam Johann Nepomuk Zeller war ein solches Wundertier, freilich auch mit einem höchstklassigen professionell-musikalischen Hintergrund, als Schüler von Simon Sechter. Sowohl sein„Obersteiger“ als auch eben der „Vogelhändler“ gehören zu den großen Klassikern des Metiers und stehen seit ihren Uraufführungen (jeweils mit Alexander Girardi in der Titelrolle) andauernd irgendwo auf der Welt am Spielplan.

Operettenspezialist Karl Absenger inzeniert das Werk als temporeiche (aber niemals hektische!) heitere bis satirische und durchaus tiefer greifende Geschichte, ohne am Original herumzuschrauben. Eine Rahmenidee gab es, mittels derer die Darsteller aus der Moderne in die pfälzische Kostümwelt versetzt wurden – die Hauptrollenträger arrangieren sich während der Ouverture im Proszeniumsbereich bzw. vor dem Vorhang, und in den selben Positionen sehen wir sie auch beim Schlußakkord, jetzt aber in ihren Rollen. Auch später Hinzukommende wie die Kurfürstin „infiltrieren“ die Szenerie im modernen Gewand, bevor sie in der Operettenwelt aufgehen. Für Auftritte werden auch viele Zugangsmöglichkeiten über den Zuschauerraum spannend genutzt.

Im Übrigen setzt die Regie auf die Kraft des Originaltextes, mit einigen eingestreuten punktgenauen aktuell-satirischen Spitzlichtern (Dramaturgie Ira Goldbecher); das aktuelle Thema Nr. 1 um das Linzer Landestheater, die Aufkündigung des Theatervertrages durch den Linzer Bürgermeister Klaus Luger, findet seinen Niederschlag, als Baron Weps ein „Extempore“ über einen bevorstehenden Umbau des Musiktheaters in ein Einkaufszentrumsingt, das dann „Luger-City“ heißen wird.Die Personenführung ist sehr detailliert und choreographisch präzise, als Musterbeispiel die Szene Stanislaus – Christl im 2. Akt.

Die Bühne von Walter Vogelweider schafft klassische, in Tiefe und Stimmung paßgenaue Theaterräume, im besten Einklang mit den hohen Anforderungen an die Beweglichkeit der Protagonisten seitens der Regie.Natürlich wird auch seitens der Gestaltung das eine oder andere Detail satirisch überhöht. Bei der Ouvertüre erscheinen auf dem Vorhang die Worte Liebe, Eifersucht, Korruption: Inhaltsangabe in ihrer höchsten Kondensation!

Das Licht (Einrichtung Herbert Sachsenhofer) ist nur zum Teil der unmittelbaren Bühnengestaltung gewidmet, wird eher zur Verstärkung von Stimmungen eingesetzt. Gelegentlich wird, je nach Rollenprofil, auch mit Mikrofonstütze gearbeitet. Götz Lanzelot Fischer durfte sich bei den Kostümen wahrhaft austoben, vom erdigen Bauernvolk bis zu einer am Rokoko orientierten kurfürstlichen Welt der (nicht immer ganz ernsthaften) Perücken, von Stickerei, Damast, Samt und Seide, auch nicht zu vergessen die stilechte Tracht der Vogelhändler. Fürs Publikum eine Augenweide, aber auch dramaturgisch punktgenau eingängig. Nur beim „höfischen“ Auftritt der Christl wurde u. E. doch ein bissl übertrieben: so eine Kreation in schaumigem Weiß und Rosa würde, geformt aus spanischem Wind, gut als Behang auf den Weihnachtsbaum passen.


Matthäus Schmidlechner und Chor. Copyright: Sakher Almonem/ Linzer Landestheater

Der Titelheld Adam wurde von Matthäus Schmidlechner mit seinem großartigen schauspielerischen Vermögen und seinem erstklassigen Charaktertenor, auch mit einer guten Dosis Schmelz, verkörpert. Dieser Vogelhändler ist alles andere als ein klischeehafter Operettencharakter, und seine gesangliche Interpretation an diesem Abend geht meilenweit über das Genre hinaus!Die Briefchristel ist Theresa Grabner, die nicht nur bei Mozart brilliert, sondern hier eine rollendeckende Soubrette abliefert –musikalisch erstklassig wie eine präzise Komödiantin (nur sollte ihr Pfälzerisch weniger tirolerisch klingen…).

Kurfürstin Marie ist durch den Gast Julia Borchert mit einem wagnererprobten Sopran besetzt, und das ist bei dieser durchaus gewichtigen Rolle eine gute Wahl, zumal sie mitunter („Als geblüht der Kirschenbaum“)wie eine Vorläuferin der Hofmannsthal/Strauss’schen Marschallin wirkt… (die mit dieser Sängerin wohl adäquat besetzt wäre). Ihre Hofdame, Baronin Adelaide, ist mit Franziska Stanner (ebenfalls a. G.) durch eine seit Jahren mit Absenger beruflich Verbundene besetzt: köstliche Komödiantin, und als Altstimme auf Augenhöhe mit ihren Bühnenpartnern.


Tomaz Kovacic, Franz Suhrada. Copyright: Sakher Almonem/ Linzer Landestheater

Daß Michael Wagner (Baron Weps, Wild-, Wald- und Korruptionsmeister) ein hervorragender Baßbariton mit soliden schauspielerischen Fähigkeiten ist, wußten wir schon länger; heute aber brillierte er nicht nur mit seiner Stimme, sondern auch in einer außerordentlich vergnügt und vergnüglich dargebotenen Charakterrolle als Schlitzohr universellerUmtriebigkeit. Sein Neffe Graf Stanislaus ist der feine lyrische Ensembletenor Mathias Frey, der den charmanten Schlingel mit Eleganz und operettengemäßer Leichtigkeit gibt. Die absolut ethikbefreiten Professoren Süffle (Franz Suhrada a. G.) und Würmchen (Tomaz Kovacic) haben ihren köstlich satirisch zugespitzten und gesanglich ganz und gar nicht trivialen Auftritt im 2. Akt; in weiteren Rollen Markus Schulz und Ulrike Weixelbaumer, fügen sich ins höchst positive Gesamtbild.

Marc Reibel läßt das Bruckner Orchester tanzen und schweben – elegant, kitschfrei, präzise, und perfekt mit der Bühne im Einklang; in dieses großartige Gesamtbild eingestreut besonders wunderbare Momente, etwa wenn Adam von seinem Ahnl und der Nachtigall erzählt: da wird, unterstützt vom Meister auf der Zither Wilfried Scharf, eine lyrische Spannung aufgebaut, die eines „E lucevan le stelle“ würdig wäre!

Der Chor des Landestheaters Linz (Einstudierung Elena Pierini) trägt zu diesem rundum gelungenen Abend ebenfalls wesentlich bei, zusammen mit einer engagierten Statisterie.

Viel Szenenapplaus und zum Schluß große Begeisterung für einen interpretatorisch großartigen Abend, an dem sich auch Regie und Ausstattung keine Blößen gaben und dem Begriff „goldene Operettenära“ absolut gerecht wurden.

Petra und Helmut Huber

WIEN/ Volksoper: WONDERFUL TOWN – Musical von Leonard Bernstein. Premiere

$
0
0


Sarah Schütz (Ruth) und Wiener Staatsballett. Copyright: Wiener Volksoper/Barbara Palffy

WONDERFUL TOWN – Premiere Volksoper, 9.12.2018

(Heinrich Schramm-Schiessl)

Es ist dem 100. Geburtstag Leonard Bernsteins geschuldet, dass die Volksoper wieder ein Werk von ihm auf den Spielplan setzt und man entschied sich diesmal nicht für sein wohl populärstes Werk, die „West Side Story“ sondern für „Wonderful Town“, ein Werk, das 1956 in eben diesem Haus seine deutschsprachige Erstaufführung feierte. So sehr ich die Reminiszenz-Überlegungen der Direktion verstehe, hätte mich eine Produktion von „Candide“ mehr geftreut.

Das 1953 uraufgeführte Werk ist letztendlich ein musikalisches Portrait von New York, genauer gesagt des Stadtteils Greenwich Village. Das Libretto verfassten – wie schon bei „On the town“ (1944) – Joseph Fields und Jerome Chodorov nach dem Theaterstück „My sister Eileen“ und den Erzählungen von Ruth McKenney. Die Handlung schildert die Erlebnisse zweier Mädechen aus Ohio in New York mit allen Irrungen und Wirnissen – natürlich auch gefühlsmäßiger Art – wobei es am Schluß dann doch zu einem Happy-End kommt. Die Musik ist schwungvoll, ganz im Stil der 50er-Jahree mit vielen jazzigen Elementen.

Die Volksoper zeigt das Werk in einer Koproduktiopn mit der Staatsoperette Dresden, wo die Produktion in der Saison 2016/17 Premiere hatte, und ihr gelingt damit nach der „Csardasfürstin“ ein zweiter voller Premierenerfolg in dieser Saison.

Man erlebt eine ungemein lebendige und flotte Aufführung, die praktisch keinen Durchhänger hat. Matthias Davids besticht durch eine sehr sorgfältige Personenführung, rasche Szenenabläufe und auch Momente, die zum Schmunzeln anregen. Die zahlreichen Tänze wurden von Melissa King sehr schwungvoll choreographiert und vom Wiener Staatsballett ebenso getanzt. Mathias Fischer-Dieskau war wie immer ein Garant für praktikable und rasch zu verändernde Bühnenbilder und Judith Peter schuf der Handlung angemessene Kostüme.

Sehr gut einstudiert spielte auch das Orchester unter der Leitung von James Holmes mit viel Elan und großen Schwung. Auch der Chor (Einstudierung Holger Kristen) entledigte sich seiner Aufgabe sehr zufriedenstellend.


Olivia Delauré (Eileen) und Wiener Staatsballett. Copyright: Wiener Volksoper/Barbara Palffy

Im Sängerensemble gab es überhaupt keine Schwachstelle. Die zentralen Rollen der Schwestern Sherwood verkörperten die Hausdebutantinen Sarah Schütz (Ruth) und Olivia Delauré (Eileen). Beide formten die Charaktere ihrer Rollen sehr sorgfältig und sangen und tanzten hervorragend, wobei Sarah Schütz um einen Tick überzeugender und spontaner wirkte. Dem bereits in zahlreichen Musicals in Wien aufgetreten Drew Sarich gelang es auch den Robert Baker überzeugend darzustellen, Auch er ließ musikalisch keinerlei Wunsch offen. Peter Lesiak („Wrack“ Loomis), zwar durch eine Beinverletzung gehandicapt und diesbezüglich von Direktor Meyer vor Beginn entschuldigt, sang, spielte und tanzte so selbstverständlich, als ob er gesund wäre. Christian Graf war in insgesamt vier Rollen eingesetzt und bewies abermals seine ungemeine Bühnenpräsenz. Christian Dolezal als Maler Appopolous, Juliette Khalil als Helen und Cedric Lee Bradley (Speedy Valenti) überzeugten ebenso wie Regula Rosin (Helens Mutter) und Jakob Semotan in ebenfalls vier Rollen.

Schon nach den einzelnen Nummern gab es immer wieder viel Applaus und am Ende zu Recht großen Jubel für alle Beteiligten.

Heinrich Schramm-Schiessl

WIEN/ Volksoper: WONDERFUL TOWN

$
0
0

Bildergebnis für wiener volksoper wonderful town
Olivia Delauré (Eileen). Bildrechte: Wiener Volksoper/ Barbara Palffy

 

Premiere in der Wiener Volksoper
„WONDERFUL TOWN“, 9.12.2018 – Der Sound, ja der Sound, der ist gut!

Zurück in die goldenen Zeiten des US-Musicals. Über sechs Jahrzehnte zurück, in die 50er Jahre. In New York sind wir gelandet. Genauer: im Künstler- und Szeneviertel Greenwich Village. „A Little Bit in Love“ wird hier gesungen. Oder, um einiges verrückter – „Wrong Note Rag“. Also, der ‚Ragtime auf der falschen Note‘. Das hier in der Musik ganz sicher nichts falsch sein dürfte, sagt der Name des Komponisten: Leonard Bernstein. Knapp vor seiner „West Side Story“ komponiert. Und anlässlich Bernsteins 100. Geburtstages hat die Wiener Volksoper eine Koproduktion von „Wonderful Town“ von der Staatsoperette Dresden übernommen.

Der Premierenapplaus in der Volksoper hat sich schon sehr zustimmend angehört. Jedoch …. der übermäßig gedehnte erste Teil zieht sich in die Länge, die Flops und Befindlichkeiten der beiden Schwestern, welche aus dem Mittleren Westen nach New York zu übersiedeln versuchen und dabei so ihre kleinen Debakel erleben, bringen insgesamt keine Spannung ins Spiel. Und rundum: Vom Ensemble stets lebendig, stets schwungvoll absolviert ….. doch der durchaus an Gags reiche Broadway-Showwitz dieser Epoche wirkt, so wie heute die Dialoge in den Blechernen Operetten, als eher magerer Boulevard. Leicht abgestanden, keineswegs zündend.

Auf zwei Ebenen ist Act One mitzuerleben: Einerseits Geplapper, Geplapper, Geplapper und viele Aktionen und der Reihe nach Turbulenzen, andererseits tragen die hier doch allzu spärlichen Musikeinschübe nicht die Handlung. Allerdings, die Marke Lenny Bernstein mit ihren feinnervig erdachten Songs, das ist sehr wohl eine besonders wertvolle Musikware. In Act Two kracht es aber dann sehr wohl: Swing, Swing! Der Schmiss der Musik mit ihren diffizilen Rhythmen und jazzigen Harmonien dominiert nun, die Tänzer sind jetzt so richtig gefordert, das Spektakel blüht auf. Somit: Gewonnen!

Dirigent James Holmes heizt mit opulentem Bläsersound an, trägt kraftvoll auf, und Choreographin Melissa King führt gekonnt vor, wie originell anno dazumal die Shows am Broadway aufreizend gestylt wurden. Regisseur Matthias Davids hat die Dialoge zwar leider nicht zusammen gestrichen, hält aber seine muntere Schar ordentlich auf Trab. Bühnenbildner Mathias Fischer-Dieskau entwarf eine praktikable Kulissenstadt, ohne wirklich nach New York zu verführen. Verführerisch springt jedoch die immense Spiellust der heftig gestikulierenden Sarah Schütz als kantige, Erfolg suchende Autorin Ruth auf das Publikum über. Ihre von den NY-Cops und anderen älteren Boys weit mehr bewunderte Schwester Eileen (Olivia Delauré) darf ein sonnigeres Gemüt zeigen. Drew Sarich ist als Redakteur Baker das Mäntelchen eines zynischen Liebhabers umgehängt. Dazu tummeln sich im Greenwich-Wirbel eine Reihe quick zappelnder Stichworte-Bringer herum.

Gut gespielt, ordentlich gesungen – mit „Wonderful Town“ hat die Volksoper einen kleinen Abstecher in die Historie des amerikanischen Musicals gewagt.  

Meinhard Rüdenauer

 

LUDWIGSBURG/ Forum Schlosspark: NEDERLANDS DANS THEATER 1

$
0
0

Nederlands Dans Theater am 9.12.2018 im Forum am Schlosspark/LUDWIGSBURG

BLÄTTERREGEN IM HAUPTBAHNHOF

Seit seiner Gründung im Jahr 1959 hat das Nederlands Dans Theater 1 mehr als sechshundert Uraufführungen in Auftrag gegeben. „Partita for 8 Dancers“ in der suggestiven und weiträumigen Choreografie von Crystal Pite und der ganz auf die menschliche Stimme zugeschnittenen Musik von Caroline Shaw (Malerei: Marc van Helden; Bühne: Jay Gower Taylor) spielt virtuos mit Oberfläche und Struktur, verführt den Betrachter mit immer neuen Pirouetten und beweglichen Arabesken, die sich kunstvoll verflüchtigen. Die Tänzer scheinen dabei Linien auf einer Landkarte zu verfolgen, mathematische Strukturen brechen immer wieder auf.

Marco Goecke (Choreografie, Bühne und Kostüme) zeigt dagegen zur Musik von  Antony & the Johnsons, Pavel Haas und Pehr Henrik Nordgren bei „Walk the Demon“ die Macht der menschlichen Stimme in einer anderen Form. Hier spielt die Urgewalt der Gestaltung eine große Rolle – in der Stimme liegt ein Schmerz, der ganz nach innen deutet. Kreischen, Brüllen und Fluchen vermischen sich dabei zu einem kaum greifbaren Kosmos, dessen Ausdrucksreichtum sich immer weiter auffächert. Die Tänzer werden dabei auch von Dämonen verfolgt. Unheimlich und humorvoll zugleich kommen so die teilweise verletzlichen Geschichten daher. Sol Leon & Paul Lightfoot überzeugen in Choreographie und Bühnenbild bei „Singuliere Odyssee“ am meisten. Dabei steht das Thema Reisen in vielen Variationen deutlich im Mittelpunkt. Das Stück spielt in einem Bahnhof – man wird an den Art-deco-Wartesaal des Basler Hauptbahnhofs erinnert. Eine Figur beobachtet intensiv die Wartenden und Reisenden.

Die hervorragende Musik „Exiles“ von Max Richter fesselt das Publikum gerade aufgrund ihrer Wiederholungen und crescendohaften Steigerungen. Diese Szene ist auch angelehnt an den Film „The Hours“, wo Leonard und Virginia Woolf am Bahnhof in eine überaus hitzige Auseinandersetzung geraten. Dies wird tänzerisch vom Nederlands Dans Theater in grandioser Weise umgesetzt. Herabfallende Blätter entwickeln sich zu einem regelrechten Regen, der nicht aufzuhalten ist und auch durch aufspringende Türen und Lichtfluten nicht gestoppt werden kann. Riesenapplaus.   

Alexander Walther

attitude – BALLET-BLOG: This week’s recommendations: Dec. 10th, 2018

HILDESHEIM: DIE PANTÖFFELCHEN. Märchenoper von Peter I. Tschaikowsky

$
0
0


Bildrechte: Theater für Niedersachsen/ Hildesheim

HILDESHEIM: DIE PANTÖFFELCHEN von PETER I. TSCHAIKOWSKY – Erste Premiere in Deutschland nach 30 Jahren
9.12. 2018 (Werner Häußner)

Es tut sich viel am Theater Hildesheim, seit Florian Ziemen vor einem Jahr das Amt des Generalmusikdirektors übernommen hat. Die Musiktheater-Spielpläne machen ehrgeizig auf vernachlässigte Werke aufmerksam, so in dieser Spielzeit zum Offenbach-Jahr „Die Prinzessin von Trapezunt“ – und soeben mit einer gefeierten Premiere über die Bühne gegangen, Peter Tschaikowskys Märchenoper „Die Pantöffelchen“.

Es ist völlig unverständlich, dass der letzten Inszenierung in Deutschland, 1988 in Augsburg, in dreißig Jahren keine weitere gefolgt ist. Aber damit teilt Tschaikowskys 1887 uraufgeführter, auf Nikolai Gogols „Die Nacht vor Weihnachten“ basierender Vierakter das Schicksal so manchen entzückenden Juwels der russischen Oper, von Modest Mussorgskys „Der Jahrmarkt von Sorotschintzy“ bis hin zu Nikolai Rimski-Korsakows „Schneeflöckchen“. Basierend auf einer gründlichen Umarbeitung seiner frühen Oper „Wakula, der Schmied“ (1876) schuf der überkritische Tschaikowsky seine einzige Oper mit komischen Elementen – eine Mischung aus fantastischem Märchen und heiterem Volksstück, in dem Gogol sehnsuchtsvolle Heimatliebe mit politischer Satire und einem guten Schuss Ironie verbindet.

Schon die Figuren verweisen auf märchenhaft-unheimliche Wurzeln: Der starke, aber auch jungenhaft naive Schmied Wakula ist Sohn einer Hexe, der Teufel selbst tritt als burlesker Spielmeister auf, Oxana ist natürlich das wunderschöne Mädchen des Märchens, aber auch Tochter eines versoffenen Kosaken, der mit seinen Kumpeln ein volkstümlich charakterisiertes Trio bildet. Die Handlung ist schnell erzählt: Wakula möchte Oxana heiraten, die aber ist prätentiös und fordert schöne bunte Schuhe, wie sie die Zarin trägt („Tscherewitschki, newelitschki“). Wakula verzweifelt. Wäre da nicht der Teufel, der sich eigentlich für ein karikierendes Kirchenbild an dem jungen Schmied rächen wollte, er könnte die Aufgabe nicht erfüllen. So aber gelingt es Wakula durch seinen Witz, den Gehörnten in seinen Dienst zu zwingen. Sie fliegen nach Sankt Petersburg, am Hof der Zarin verhexen sie die Gesellschaft. Wakula kann zu einer Durchlaucht vordringen, der ihm goldene Schuhe schenkt. Zurück in seinem ukrainischen Dorf, ist Oxana so von Sehnsucht erfüllt, dass sie ihren Wakula sofort nimmt – die Liebe ist so groß, dass es der Schuhe nicht mehr bedarf.

Um die „Pantöffelchen“ wirkungsvoll auf die Bühne zu bringen, braucht es das Gespür für die bisweilen skurril übersteigerte Komik, den Sinn für die feine Ironie, aber auch die richtige Hand für die Schwermut etwa des Wakula, dessen Niedergeschlagenheit sich angesichts seiner kaum lösbaren Aufgabe zu klagender Verzweiflung steigert. Dazu kommt das episch-episodische Libretto Jakow Polonskis – in Hildesheim in einer holprig-sprachartistischen anonymen Übersetzung von 1898 auf Deutsch gegeben –, das etwa im dritten Akt am Zarenhof mit Tänzen und Einlagen die Handlung still stehen lässt. Die junge Wiener Regisseurin Anna Katharina Bernreitner, dort Gründerin und Leiterin der Oper rund um (www.oper-rund-um.at), entscheidet sich für einen leichtfüßig humorvollen Zugang, der die Satire und die hoffmannesken Elemente des Unheimlichen zurückdrängt und das Skurrile entschärft.

Um das Märchen zu betonen, fehlt der Hildesheimer Inszenierung der Theaterzauber. Hannah Rosa Oellinger und Manfred Rainer schaffen eine Bühne, die sich gut für Gastspielreisen einpacken lässt, aber auf die Maschinerie der Illusion weitgehend verzichten muss. Auch das Licht bleibt bescheiden und reißt keine zusätzlichen Dimensionen auf. Dennoch haben die beiden Bühnenbildner hübsche Einfälle: Der schneeweiß-flinke Teufel mit seinen miniaturisierten Geißbock-Hörnern baut zu Beginn das Dörfchen auf – mit Häuschen, die sich wie eine Matrjoschka ineinander schachteln. Kommt die Kneipe ins Spiel, kurvt ein Mini-Gebäude mit der Leuchtschrift „Open“ ins Bild.

Die fantasievollen Kostüme charakterisieren die Figuren: die ein wenig eitle Oxana mit einer Art wollig-weitem Wickelrock, die Hexe Solocha mit einem gewaltigen, aus einem Zopf geflochtenen Kopfputz und einem Frettchenskelett als Halsschmuck. Wakula trägt einen Pullover mit traditionellem Muster, die Hofgesellschaft ist in unwirkliches Weiß mit ausladenden spanischen Krägen gewandet. Der alte Kosak Tschub steckt mit den Dorf-Autoritäten Lehrer und Schulze in dicken Tierpelzen. Und der Teufel mit seiner wuschigen Haarpracht steckt in niedlichen Pelzstiefeln.

Aber dem Ritt durch die Luft nach Petersburg oder der Szene mit den Wassergeistern fehlt einfach der Zauber der Überwältigung, und für den russischen Zarenhof sind ein paar zu Palmen umgestaltete Heizstrahler aus der Außengastronomie keine Staunen weckende Bildidee. Das magere Märchen wird auch durch die Charakterisierung der Personen nicht bereichert: Zu schwerfällig der Humor des zweiten Aktes, wenn die Besucher Solochas nach und nach in Kohlensäcke wandern. Und Wakula, die farbigste Figur des Stücks, steht allzu oft in der Gegend und weiß mit ihren Emotionen nichts anzufangen.

Auf diese Weise ziehen sich die drei Stunden – und das trotz der vielgestaltigen, farbigen, abwechslungsreichen Musik Tschaikowskys. Florian Ziemen, erst kürzlich bis 2022 als GMD verlängert, hat viel Herzblut in dieses Stück eingehen lassen: Zwar sind die Finessen im Klang des Orchester begrenzt, die Akustik deckelt ihn zusätzlich noch ein. Aber die witzig-brillanten Rhythmen, die schmeichelnd melodiösen Tänze, die melancholischen Arien und das von Tschaikowsky in seiner Tiefenstruktur wundervoll ausgearbeitete Orchester lässt Ziemen blitzsauber darstellen. Getroffen ist die Varianz des Tonfalls, der mal an die Schwermut von „Eugen Onegin“, mal an den majestätischen Glanz der „Jungfrau von Orleans“ erinnert, in der satirischen Überzeichnung des hymnischen Geschmetters der nationalistischen Gesänge bei Hofe und der munteren Beweglichkeit der Volksszenen aber eine ganz eigene Haltung entwickelt. Dem Chor hat Achim Falkenhausen Kraft und Fülle, nicht aber die „russische“ sonore Homogenität antrainieren können.


Bildrechte: Theater für Niedersachsen Hildesheim

Gesungen wird in Hildesheim auf durchweg erfreulichem Niveau: Neele Kramer gestaltet mit klangsattem Mezzo und süffisantem Tonfall die Hexe Solocha, Katja Bördner ist als Oxana ein bisschen selbstverliebt als „schönstes Mädchen auf der ganzen Welt“ sogar in der italianisierenden Koloratur unterwegs, bemüht sich als Verliebte mit sympathisch warmem Timbre um ein glücklich gespanntes Legato. Peter Kubik hat für die hohen Tönen in des Teufels Auftritt nur wenig Stütze, gestaltet aber seine rezitativischen Passagen mit bewusstem Einsatz von Tonfall und Artikulation.

Uwe Tobias Hieronimi setzt einen kraftvollen, weiträumigen Bass ein, mit dem Levente György (Dorfschulze) und Julian Rohde (Schulmeister) reibungslos harmonieren. György darf als „Durchlaucht“ in beachtliche Höhen aufsteigen, Jesper Mikkelsen gibt einen markanten Zeremonienmeister. Für die groß angelegte Partie des Wakula hat Hildesheim Wolfgang Schwaninger gewonnen. Er musste sich ansagen lassen, aber der Kampf gegen die Erkältung war höchstens zu erahnen, wenn er in der Höhe oder beim Zurücknehmen der Stimme ins Piano Vorsicht walten ließ; ansonsten zeigte er einen ungetrübt kernig-kraftvollen Tenor.

Fazit: Die „Spielfreude und Experimentierlust“, die GMD Ziemen anlässlich seiner Vertragsverlängerung Ende November angekündigt hat, findet in dieser Tschaikowsky-Rarität eine respektable Bestätigung. Es ist zu hoffen, dass solcher Einsatz für Wege abseits des Mainstreams nach dem Ende der Intendanz von Jörg Gade ab 2020 auch unter dem neuen Chef des Theaters für Niedersachsen, Oliver Graf, möglich bleibt.

Man wundert sich, dass in dreißig Jahren niemand auf die Idee gekommen ist, wenigstens einige der überflüssigen „Neudeutungen“ von „Hänsel und Gretel“ durch ein so reizendes Werk zu ersetzen. Und man stimmt dem Autor Iwan Knorr zu, den bereits um 1900 der mangelnde Erfolg der Oper verwunderte: „Phantastische und derbkomische Elemente drängen sich aufeinander und schaffen Situationen, welche dem Musiker reichliche Gelegenheit zur vollen Entfaltung seiner Kunst darbieten. Tschaikowsky hat mit fester Hand zugegriffen und eine Musik geschaffen, die eine seltene Einheitlichkeit und Geschlossenheit des Styls zeigt.“

Werner Häußner


AACHEN/ Theater: ROMÉO ET JULIETTE. Premiere

$
0
0

Roméo et Juliette
Larisa Akbari und Alexey Sayapin. Bildrechte: Theater Aachen/ Wil van Tersel

Theater Aachen: Roméo et Juliette. Premiere am 9. Dezember 2018

Die Opern von Charles Gounod erscheinen nicht eben häufig auf den Spielplänen der Theater, insofern sind die Aufführungen von „Mireille“ in Bremerhaven (2000),

 „La nonne saglante“ (Osnabrück 2008) oder auch „Cinq-mars“ in Leipzig (2017) erwähnenswert. „Romeó et Juliette“ erfuhr im deutschsprachigen Raum wenigstens in jüngerer Zeit einige Produktionen, so an den Häusern von Schwerin (2008), Münster (2012) sowie Kassel und Erfurt (2017).

Die Aachener Inszenierung ist ein neuerliches Plädoyer für ein starkes Werk, melodiös gesättigt, harmonisch überschwenglich. Der primären Gesangsoper eignet fraglos ein leicht retrospektiver Charakter, welchen man szenisch nicht simpel historisierend bestätigen sollte (das Prokofjew-Ballett wird immer noch zur Genüge mit Spitzentanz gegeben). Die Aachener Regisseurin EWA TEILMANS trägt dieser Überlegung Rechnung, ohne freilich vordergründige Modernismen zu benutzen. Daß sie die Handlung im Heute verortet, was vor allem ANDREAS BECKERs Kostüme deutlich machen, ist im Grunde nicht überraschend. Lediglich beim Capulet-Fest zu Beginn der Oper gibt es historische Gewandungen zu sehen, was aber nur handlungslogisch ist. Das Bühnenbild von ELISABETH PEDROSS zeigt dann aber doch ein wie aus alter Zeit stammendes Gemäuer, per Drehbühne von allen Seiten einsehbar. Man spürt noch ein wenig den Geist der Vergangenheit. Insgesamt besitzt die Bebilderung starkes Flair.

Im musikalischen Vorspiel läßt die Regisseurin vehement Kämpfe zwischen Jugendlichen der verfeindeten Capulets und Montagues ablaufen, welche nicht von ungefähr denen der Jets und Sharks in Leonard Bernsteins stoffverwandter “West Side Story“ ähneln. Das Ganze ist vielleicht ein wenig langgezogen, ebenso die Choreographie für das überschäumende Capulet-Fest. Und daß Juliettes „Je veux vivre“ mit Ensembleaktionen angereichert ist, wirkt auch etwas „gewollt“.

In toto jedoch bietet die realitätsnahe Regie eine plausible und handlungskonforme Erzählung, wobei das eindrucksvolle Bühnenbild mit seinen diversen Spielebenen die Lebendigkeit der Bühnenvorgänge außerordentlich begünstigt. Hier und wieder gibt es einen gezielten Bewegungsstillstand des (von JORI KLOMP bestens einstudierten) Chores, ein optischer Kniff, der sich kürzlich auch beim Kölner „Peter Grimes“ bewährte. Umso wilder dann die neuerlichen Kampfszenen im 3. Akt, bei denen sich FABIO LESUISSE (Mercutio) und vor allem der unglaublich sportive SOON-WOOK KA (Tybalt) als atemberaubende Bühnenakteure erweisen.

 

Mit den stärksten Eindruck bietet Ewa Teilmans‘ Inszenierung im 4. Akt mit der Schilderung von Juliettes und Roméos Brautnacht. Über einer Wand links hängt ein riesiges weißes Tuch, welches von darunter verborgenen Statisten (?) langsam über die Bühne gezogen wird und als Synonym für das Bett(laken) steht. Die Liebenden begegnen sich zunächst sehr körperintensiv, weichen dann aber voreinander zurück. Anschließend entkleiden sie sich bis auf das Notdürftigste, was sich sowohl LARISA AKBARI wie auch ALEXEY SAYAPIN ohne jegliche Peinlichkeit leisten können. Dann legen sie sich auf den Boden und rollen, das Laken von beiden Seiten her um sich schlingend, aufeinander zu. Das wirkt, wie auch das folgende intime Miteinander, ebenso erotisch wie keusch. Selten wirkte eine Liebesszene derart eindringlich, natürlich auch dank des intensiven Spiels der Protagonisten.

Bei den Stimmen mag man ein Quentchen lyrischen Schmelz vermissen. Dem Sopran von Larisa Akbari eignet eine leichte Schärfe, besonders in der (sicheren) Höhe. Aber dieser Eindruck verliert sich immer wieder angesichts der vokal brillianten Darbietung. Alexey Sayapins Tenor ist in letzter Zeit ausladender und dramatischer geworden. Das läßt sich u.a. an Youtube-Mitschnitten überprüfen, etwa Pinkterons „Addio fiorito asil“ in einer „Butterfly“-Aufführung 2011 an der Wichita Grand Opera (Kansas). Aber Sayapin singt nach wie vor geschmeidig und ist wie seine Partnerin ausgesprochen konditionsstark in der Höhe.

Pater Lorenzo, im Personarium auch als „Einsiedler“ geführt und für sein christliches Amt immer wieder neu eingekleidet, gewinnt durch WOONG-JO CHOIs voluminösen Baß starke Autorität, FANNY LUSTAUD entzückt als Roméos Page Stephano. Als Amme Gertrud sprang kurzfristig ARIANA LUCAS (Karlsruhe) ein und erfreute mit einer runden Darbietung. Dem Grafen Capulet gibt PAWEL LAWRESZUK, vokal mitunter freilich etwas angestrengt, angemessene Rollenkontur. In kleineren Partien: ANDRANIK FATALYAN (Graf Paris), STEFAN HAGENDORN (Gregorio), TAKAHIRO NAMIKI (Benvolio), JOHANNES PIOREK (Bruder Jean) und VASILIS TSANAKTIDIS (Herzog von Verona).

Enormen Eindruck macht der neue Aachener GMD CHRISTOPHER WARD, zuvor in Saarbrücken tätig. Er hatte bereits das (leider nicht erlebte) Dirigat von Verdis „Forza del destino“ inne und wird als nächste Bühnenproduktion einen Doppelabend mit Bernsteins „Trouble in Tahiti“ und „A quiet place“ betreuen. Über seine lokalen Konzerte hört man Vorteilhaftes. Bei der Gounod-Oper läßt er das SINFONIEORCHESTER AACHEN über sich hinauswachsen. Elegische Lyrik, kapriziöse Leichtigkeit und dramatische Energien bündeln sich zu einem bestrickenden Klangpanorama. Das Aachener Premierenpublikum, welches bereits zwischendurch enthusiastisch reagierte, war am Schluß schier aus dem Häuschen. Ein großer, denkwürdiger Abend, welcher hoffentlich auch einer intensiveren Verbreitung des Werkes zugute kommt.

Christoph Zimmermann

 

 

 

BERLIN/ Philharmonie: VALERY GERGIEV BRINGT EINEN FEURIGEN FEUERVOGEL

$
0
0


Valery Gergiev dirigiert die Berliner Philharmoniker. Bildrechte: Stephan Rabold

Berlin / Philharmonie: Valery Gergiev bringt einen feurigen FEUERVOGEL, 9.12.2018

Valery Gergiev kommt, und die Philharmonie ist drei Tage lang voll bis unters Dach. 1976 hat er den Herbert-von-Karajan-Wettbewerb in diesem Haus gewonnen und 1993 zum ersten Mal die Berliner Philharmoniker dirigiert. Zuletzt, im Februar 2015, standen Beethoven und Prokofjew auf seinem Programm.

Sergej Prokofjew ist diesmal wieder mit dabei, außerdem sein Lehrer Nikolaj Rimsky-Korsakow. Auch Igor Strawinsky war noch sein Schüler, wenngleich einer, der opponierte. Gergiev hat von jedem der drei Komponisten eine charakteristische Märchenfantasie mitgebracht, die in Berlin bisher kaum oder selten zu hören waren.

Als Auftakt wählt er jedoch eine recht bekannte, zart impressionistisch getönte Fabel aus der Sagenwelt: „Prélude à l’après-midi d’un faune“ von Claude Debussy. Sanft, aber prägnant schwebt sogleich und danach immer wieder das Flötenthema durch den großen Saal. Das macht diesmal tonschön Tatjana Ruhland, die Solo-Flötistin des SWR-Symphonieorchesters.

Gergiev lässt die Musik irisieren, lässt fein anschwellende Steigerungen folgen. Harfenklang erinnert an warme Sommertage, spiegelt die erotischen Fantasien des Fauns beim Anblick der badenden Nymphen wider. Doch anstatt ihnen in der Hitze nachzueilen, träumt er lieber im Schatten eines Baumes.

Ganz anders geht es nun bei den russischen Komponisten zur Sache, und genau wie bei den Brüdern Grimm oder Hans Christian Andersen sind die zu hörenden Werke eigentlich nicht geeignet, um Kinder oder sensible Erwachsene in einen ruhigen Schlaf zu wiegen.
Gergiev spitzt das noch zu. Er als Russe kennt seine Landsleute und bringt mit der Suite „Der goldene Hahn“ von Nikolaj Rimsky-Korsakow – geschaffen nach einem Märchen von Alexander Puschkin – etwas Frappierendes. Die farbenreiche, oft ins Brutale enteilende Musik entspricht dieser bösen Story. Der Astrologe schenkt Zar Dodon einen goldenen Hahn, der ihn angeblich beschützen soll. Doch der Sternegucker weiß bereits: dieser Hahn wird den Zar später töten. Vielleicht hat er ihn so abgerichtet.

Dementsprechend lässt es Gergiev nach zarten oder lustig-tänzerischen Passagen, die dem Zaren tückisch eine harmonische heile Welt vorgaukeln, stets so richtig krachen. Andererseits sorgt die fabelhafte Flötistin für den Schmelz bei lieblichen Melodien. Zarte Geigenweisen und singende Bratschenklänge zaubern in Dur-Tonarten ebenfalls manch fröhliches Bild.

Im Krieg, an dem der Zar unversehrt bleibend teilnimmt, trumpfen vor allem die Blechbläser auf und künden immer wieder das drohende Desaster an. Unheimliche Klänge mischen sich schließlich auch unter die Hochzeitsfeier. Meisterhaft wechselt Rimsky-Korsakows Musik zwischen Unbeschwertheit und Todesnähe. Letzteres obliegt weitgehend den Blechbläsern, und die machen einen vorzüglichen Job. Zuletzt dröhnt die Tuba. Dieser todbringende Hahn kräht nicht schrill. Er tötet den Zaren mit einem fürchterlich lauten dunklen Ton. Riesenbeifall braust sofort auf.

Nach der Pause ist Sergej Prokofjew mit Auszügen aus seiner „Cinderella, Ballettmusik“ op. 87 an der Reihe, mit der Story von Aschenputtel und seinen bösen Stiefschwestern. Festlich rauscht sogleich die Musik auf, nimmt schon das Ballgeschehen vorweg. Wenn der Schal tanzt, klingt es skurril, und auch die Mazurka wirkt irgendwie schräg. Im Duett der Stiefschwestern mit den Orangen knüpft Prokofjew an seine Oper „Die Liebe zu drei Orangen“ an.

30 Jahre ist es her, dass diese Aschenputtel-Variante in der Philharmonie unter der Leitung von Ricardo Muti erklang. Nachholbedarf also auch hier. Einiges ist anders als gewohnt. Wie im Märchen Schneewittchen gibt es auch bei Cinderella hilfreiche Zwerge und sogar eine gute Feen-Großmutter.
Außerdem eilt der Prinz durch diverse Länder auf der Suche nach der um Mitternacht verschwundenen Tanzpartnerin. Wenn die Kastagnetten klingen, ist er wohl gerade in Spanien. All’ das und auch ein Parcours durch die Jahreszeiten hat Prokofjew raffiniert zusammengemixt. Gergiev und die Berliner Philharmoniker gestalten alles entsprechend farbig.

So weitgehend melodisch ist Igor Strawinskys Suite „Der Feuervogel“ keineswegs, ein Schlüsselwerk der Moderne, auch nicht in der schlankeren Fassung von 1919, die die Berliner Philharmoniker zuletzt vor 15 Jahren gespielt haben.

Diese Konzertsuite ist das Hauptstück des Abends, und dieser orientalisch angehauchte Feuervogel ist zwar oft von feurigem Temperament, aber garantiert kein Mörder. Von Prinz Iwan gefangen, dann aber wieder freigelassen, zeigt er Dankbarkeit und schenkt er ihm eine goldene Feder, mit der er ihn zu Hilfe rufen kann. Beim Zusammentreffen mit dem bösen Zauberer kommt ihm diese Gabe zugute. Unheimlich und echt laut klingt die Musik beim Höllentanz dieses Bösewichts, der 13 Jungfrauen gegangen hält, die jedoch durch seinen Tod erlöst werden.

Feurig, aber ausdifferenziert dirigiert Gergiev diese Feuervogel-Suite, doch Tempo können die bestens trainierten Berliner Philharmoniker. Mit Bravour meistern sie die mitunter vertrackten Rhythmen, und einige können dabei sogar lächeln. Endlich mal was anderes, so der Eindruck.
Besonderen Spaß haben offensichtlich die beiden Konzertmeister Noah Bendix-Balgley und Daishin Kashimoto, die Flötistin Tatjana Ruhland und der sonst so ernste 1. Cellist Ludwig Quant, der exakt seine Soli abliefert. Eine insgesamt imponierend explosive Darbietung, belohnt mit ebenso explodierendem Applaus.

Ursula Wiegand

BERLIN/ Deutsche OPER: ABSCHIEDSKONZERT EDITA GRUBEROVA

$
0
0

BERLIN / Deutsche Oper: EDITA GRUBEROVA –  ABSCHIEDSKONZERT; 10.12.2018

„Deutsche Oper Berlin, bye, bye, danke vielmals, es war mir eine Ehre!“ E. Gruberova am 10. Dezember 2018 vor einem bewegten Publikum

Die slowakische Kultkoloratursopranistin Edita Gruberova ist in Berlin für Ihre Lebensleistung als Künstlerin und ihre stets denkwürdigen Auftritte im Belcantofach mit Standing Ovations gefeiert worden. Das Abschiedskonzert  am 10. Dezember, zu dem Fans aus aller Welt angereist kamen, fand beinahe punktgenau 38 Jahre nach der Berliner Lucia di Lammermoor-Premiere  vom 15. Dezember 1980 statt. Berlin liebt es, seine Stars in aller Treue vor den Vorhang zu bitten: Schon am 29. November 2017 gab Gruberova ein Jubiläumskonzert zum 50-jährigen Bühnenjubiläum. Damals waren Matthew Newlin, Markus Brück, Nicole Haslett und Andrew Harris die Mitstreiterinnen, die musikalische Leitung lag wie bei diesem Sonderkonzert bei Peter Valentovic.

Nun ist von einem Solo-Abend zu berichten, der vom Repertoire her (außer die Arie aus Bellinis „La Straniera“) in die Vergangenheit der Sängerin führt. Es muss an dieser Stelle daran erinnert werden, dass hocherfolgreiche Opernsängerinnen nicht vom Himmel fallen und gerade Edita Gruberova, die in ihren Anfängen Ende der 60-er Jahre in Wien nicht gerade mit tollen Rollen verwöhnt war, ihre Karriere mit viel Fleiß, unendlicher Disziplin und großer Geduld aufgebaut hat. Eine makellose Technik, Drahtseil-Piani ohne Netz, eine  schauspielerische Verausgabung bis zum Letzten und eine erzkomödiantische Ader sind Markenzeichen dieser individuellen Künstlerin, die dem kommerziellen Mainstream und der Gnadenlosigkeit des „Betriebs“ mit offener Kritik immer wieder die klare Schulter gezeigt hat. Ihre Bodenhaftung als Künstlerin und hohe Seriosität als Musikerin, ihre Bescheidenheit, alleine schon dafür gebühren die 38 roten Rosen, die Intendant Dietmar Schwarz der Gruberova vor der das offizielle Programm schließenden Arie der Ophélie aus Hamlet überreicht.

War Gruberova in den letzten Jahren an der Deutschen Oper Berlin in Werken wie Donizettis „Roberto Devereux“, „Lucrezia Borgia“ oder „Norma“ präsent, so hat sie für ihren Abschied romantisch italienisches (Rossini, Bellini), Wiener und französisches Repertoire (Wahnsinnsarie der Ophélie in Ambroise Thomas‘ „Hamlet“) gewählt. Seit Mitte der siebziger Jahre verfolge ich nun schon ihre Karriere und habe sie in unzähligen Auftritten an der Wiener Staatsoper von Olympia, Fiakermilli, Rosina, Stimme vom Himmel bis Adele, später von Zerbinetta, Aminta über Manon, Konstanze, Violetta, Gilda, Maria Stuarda, Lucia, bis zu Linda, Elvira, Elisabetta oder Norma erlebt. Besonders haben mir immer ihre „komischen“ Rollen gefallen, da war sie einmalig und brachte neben einer guten Portion an Selbstpersiflage immer ein hollywoodreifes Timing für die Bühnen- und Sangespointen wie kaum eine andere mit. 

Es war daher fantastisch, die Gruberova nach so langer Zeit wieder als Rosina mit der berühmten Arie ,Una voce poco fa‘ aus Rossinis „Barbier von Sevilla“ zu erleben. Aber noch blitzender, lockerer und ausgelassener gelangen die das Programm schließenden  Zugaben aus der „Fledermaus“. Adeles freche Possen „Mein Herr Marquis“ und „Spiel ich die Unschuld vom Lande“  werden wohl lange in den Herzen der Zuschauer bleiben. Da hielt es die Gruberova nicht an ihrem Platz vor dem Mikro, sie machte mit allerlei Schabernack mit dem Dirigenten und dem Konzertmeister des Orchesters das leere Podium zur großen Bühne. Dirigent Valentovic, der sich in den bleiern haftenden bis militärisch exerzierten Ouvertüren vor der Pause wahrlich keine Lorbeeren verdienen mochte, durfte hier mit Eisenstein-Stichworten sichtlich entspannter zur allseits guten Laune beitragen.

Die Sängerin, die am 23. Dezember ohne Geheimniskrämerei ihren 72. Geburtstag feiert, wurde in den letzten Jahren von ihrem Publikum auch an Abenden, wo es einmal nicht so gut ging, sanft über die Runden getragen, wie sich das halt so für ein der Erinnerung fähiges und treues Publikum gehört. Die Kritik war nicht immer gnädig zu ihr. Aus Anlass dieses Abschiedskonzert ist aber nicht nur der Vollständigkeit halber oder halb verschämt über die Abendverfassung zu berichten. Edita Gruberova war stimmlich in grandioser Form ohne Wenn und Aber. 

Für mich waren der unübertrefflich wienerische Konzertwalzer für Koloratursopran  „Frühlingsstimmen“ von Johann Strauß und die Wahnsinnsszene der Ophélie „Partagez-vous mes fleurs“ die absoluten Highlights eines außergewöhnlichen Abends. Die Piani, die Verzierungen, die Höhe, das Legato, alles klappte hier auf Wunderbarste. Im Wesentlichen waren alle Atouts dieser Sängerin noch einmal zu erleben, und das nur mit wenigen Abstrichen im Vergleich zu den 80-er Jahren. Vor der Pause machte der Schluss der Arie aus Bellinis Oper „Beatrice di Tenda“ ,Ah! se un‘urna é a me concessa‘ aufhorchen. Ebenso geriet die extrem schwere Szene der Alaide ,Sono all‘era‘ aus Bellinis „La Straniera“ besser als auf der CD-Aufnahme aus dem Jahr 2012. Aber auch eine absolute Rarität war zu entdecken, nämlich die charmante, koloraturgespickte, ein wenig von einem Hustenanfall des ersten Cellisten begleitete Vokalise „Parysatis“ von Camille Saint-Saëns. Als erste Zugabe überraschte Gruberova mit einem wunderschön piano gesungenen Auftritt der „Butterfly“ aus Puccinis gleichnamiger Oper.

Edita Gruberova sorgte noch einmal für berührende, außergewöhnliche „Momente“. Der Chronist berichtet von einem großen Fest für alle, denen Musik etwas bedeutet, vielleicht sogar eine „heilige Kunst“ ist. Es war ein würdiger Abschied, ganz ohne Hysterie, aber mit viel Jubel, Blumen und ehrlichem Geben und Nehmen. So soll es ein. Frau Kammersängerin, danke!
 
 
Programm des Abschiedskonzerts

Gioacchino Rossini
DER BARBIER VON SEVILLA
Ouvertüre
„Una voce poco fa“ – Cavatina der Rosina

Gioacchino Rossini 
LaA GAZZA LADRA
Ouvertüre 
Vincenzo Bellini 
BEATRICE DI TENDA 
„Ah! se un’urna è a me concessa“ – Arie der Beatrice

Gaetano Donizetti
ROBERO DEVEREUX
Ouvertüre

Vincenzo Bellini
LA STRANIERA 
„Sono all’ara“ – Arie der Alaide

*** Pause ***

Camille Saint-Saëns 
„Parysatis“

Johann Strauß 
Furioso-Polka, Op.260

Johann Strauß 
„Frühlingsstimmenwalzer“ – Konzertwalzer für Koloratursopran und Orchester, op. 410

Giacomo Meyerbeer 
LE PROPHÈTE
Aus der Ballettmusik „Les Patineurs“
„Galop“

Ambroise Thomas 
HAMLET
„Partagez-vous mes fleurs“ – Wahnsinnsszene der Ophélie

Zugaben

Giacomo Puccini
MADAMA BUTTERFLY
Auftritt

Johann Strauß
DIE FLEDERMAUS
„Mein Herr Marquis“ Adele
„Spiel ich die Unschuld vom Lande“ Adele

Dr. Ingobert Waltenberger

MÜNCHEN/Herkulessaal – WIEN/Musikverein: Georg Friedrich HÄNDEL: „MESSIAH“

$
0
0


Akamus flying instruments. Copyright: Uwe Arens

MÜNCHEN/Herkulessaal – WIEN/Musikverein: Georg Friedrich HÄNDEL: „MESSIAH“

Zwei denkwürdige Festaufführungen 19.12./20.12. 2018 (Karl Masek)

Der Vergleich versprach reizvoll zu werden. Im Herkulessaal beendeten der Windsbacher Knabenchor und die Akademie für Alte Musik Berlin eine vorweihnachtliche Tournee durch die Niederlande und Deutschland. Tags darauf fand im Musikverein die schon traditionelle vorweihnachtliche Achse Wien-Berlinmit dem Arnold Schoenberg Chor und der LauttenCompagney Berlin unter der  Leitung von Erwin Ortner mit dem Kult-Oratorium des großen Hallensers zusammen.


Arnold Schönberg-Chor/Erwin Ortner. Foto: privat

Der 45-jährige Chorleiter Martin Lehmann, in Dresden beim Kreuzchor und an der Musikhochschule „Carl Maria von Weber“ ausgebildet (beides Referenz-Adressen, immer schon), übernahm 2012 die künstlerische Leitung des Windsbacher Knabenchores. Der in Mittelfrankenbeheimatete Chor gilt heute als eines der führenden Ensembles seiner Art. Besonders hervorzuheben ist dabei, dass die Sopran- und Altstimmen der Knaben  nach dem Stimmbruch und einer „Singepause“ mit pfleglicher Stimmbildung harmonisch in den Tenor- und Bassbereich „hinüberwachsen“ und dann oft schon mit 16, 17 Jahren im Chor weiter singen. Damit stehen die „Windsbacher“ mit Selbstbewusstsein für eine besondere Synthese von Musikalität, Kontinuität in der Verfolgung sängerischer Ziele, einen besonders homogenen und reinen Chorklang.

Im speziellen Fall passen die Stimmen symbiotisch miteinander zusammen, was auf perfekte stimmbildnerische Ausbildung im Chor schließen lässt. Etwaige Bedenken des Kritikers, ob sich geschmeidige Balance zwischen den Stimmlagen ergeben könnte, wurden mit dem ersten Choreinsatz „Andtheglory  oft the Lord…“ augenblicklich zerstreut. Transparent, klar, quellfrisch und überaus natürlich das Klangbild. Unangestrengt, weil technisch auf sicherem Fundament, klingen die Stimmen. Sensationell die Soprane, wie sie das berühmte „Halleluja“ anführen und sich gekonnt bei „King of Kings, Lord of Lords“ in himmlische Höhen emporschrauben. Fabelhaft, wie der gesamte Chor einen Abend lang zu ungeahnter  Bandbreite des Ausdrucks findet. Von feierlicher Klangpracht und Jubeltönen bis hin zur verblüffenden akkordischen Einfachheit z.B. im Engelschor des „Glory toGod in thehighest…“ im 1. Teil . Mit lockerer Unbekümmertheit werden die Koloraturen spielerisch leicht bewältigt. Die Bässe haben naturgemäß (noch) nicht „bassaleProfundheit“, dafür klingen sie jugendlich hell, schlank – eben „Jünglings-Baritone“.

Martin Lehmann stellt sich mit all seinem Können (die Chormeister sind ja oft die allerbesten Dirigenten, wie ja auch Erwin Ortner tags darauf wieder eindrucksvoll bewies) und seiner Erfahrung auf die besondere – „trockene“ –  Akustik des Herkulessaales ein. Und er hat dezidierte Interpretationsvorstellungen, begnügt sich nicht mit oberflächlicher Klangpolitur. In bester Korrespondenz dazu die 1982 gegründete Akademie für Alte Musik, Berlin, die man zu den international renommiertesten Ensembles für historisch informiertes Musizieren zählen kann. (Sie treten mit René Jacobs auch regelmäßig im Theater an der Wien auf, zuletzt im November mit Händels „Teseo“).

Großartig das Solistenquartett: Lydia Teuscher begeistert mit schlankem, betörendem und engelhaftem Sopran (z.B. „… I  knowthatmyRedeemerliveth“), der auch mit leichtfüßiger Rhythmik und jauchzenden Glückstönen (Rejoice, greatly, Oh daughterof Zion…“) aufwartet.Terry Wey ist der voll Mitleid beobachtende Protagonist des 2. Teiles(der Leiden, Tod und Auferstehung zum Inhalt hat, berührend setzt er die Seufzermelodik in: „ He was despisedandrejectedofmen…“) um. Rhythmisch pointiert gestaltet er,  perfekt sitzen die  Koloraturen, beseelt und subtil gerundet kommen dieintrovertierten Legato-Phrasen.  Tilman Lichdi zählt seit geraumer Zeit zu den bedeutendsten Evangelisten der Bach-Passionen seit Peter Schreier. Schön timbrierter Tenor, stilistisch perfekt, ausdrucksstark, vorbildliche Rezitativgestaltung. Thomas Laske adelt mit noblen Kavaliersbariton-Tönen seine Soli. Herausragend (auch durch das glanzvolle Trompetensolo!) die Bravourarie „The  trumpetshallsound…“!

Der Sprung zurück nach Wien. Hier der „Erwachsenen“- Chor. Klarerweise  mit reiferen, dunkleren, Farben, mit anderem Klangduktus, von abgeklärter Ästhetik. Von mirakulöser Schönheit. Hier erlebt man nicht die kindlich-jugendliche Natürlichkeit der Tongebung, dafür ein noch differenzierteres Klangbild. Man gewinnt die Gewissheit, hier wissen auch alle über die Tonartensymbolik hörbar Bescheid. D-Dur, die „Königstonart“ (es heißt ja auch: re!) hat tatsächlich imperialen Anstrich, in g-Moll, der „Todestonart“, erinnert der Chor mit scharfer Punktierung und geradezu schmerzhafter Rhythmik, an die Leiden Jesu für die Sünden der Menschheit („BeholdthelambofGod…“).Erwin Ortner macht’s hörbar!

„Abgeklärte Ästhetik“ – dennoch auch alle lichten Klangfarben, auch im Musikverein die spielerischen Koloraturen, wo erforderlich. Was der Arnold Schoenberg Chor zeigt, scheint schwer überbietbar. Man hat sich wieder einmal selbst übertroffen. Auf Augenhöhe auch die vielfach bewährte (und in Wien hochgeschätzte) LauttenCompagney, Berlin mit aller Intensität auch an den leisen, verinnerlichten Stellen. Das „Halleluja“ kommt nicht pompös und mit krachenden Pauken daher, sondern setzt im Gegenteil ganz leise, sozusagen seelenvoll, an. Dann werden die Steigerungen auch wirklich als solche erlebt. Und ein Erlebnis für sich das abschließende „Worthy ist he Lamb … Amen.“

Die Soli strahlen Gewichtigkeit aus (was aber der feingliedrigen Münchner Gangart keinen Abbruch tut!). Dank an die Wiener Einspringerin Cornelia Horak! Sie hat schon eine jahrzehntelange Karriere hinter sich (von Sakralmusik, Barock, bis hin zur Operette!), kann immer noch schwebende Engelstöne abrufen. Sonia Prina changiert gekonnt zwischen dramatischer Zuspitzung und gedämpft pastosen Alttönen. Michael Schade stehen die dramatischen Koloraturkaskaden nach wie vor zu Gebote, er gestaltet die Accompagnati-Rezitative mit emotionaler Dringlichkeit und singt die Arien mit all seiner Erfahrung prunkvoll, mit geschärfter, bombensicherer Höhe. „Bassiger“ als sein Kollege in München ist Simon Bailey. Er singt auch nicht Almaviva, Onegin und Don Giovanni (wie Thomas Laske), sondern Klingsor und Gurnemanz. Resonanzreich sein Organ – jedoch auch er mit verinnerlichten Tönen.

Zwei denkwürdige Festaufführungen – jede auf ihre Art meisterlich. Schön zu erleben, dass es auch bei einem Kult-Werk, das der „Kenner“ ganz genau zu kennen glaubt (und das oft sehr pauschal mit „barockem Bombast“ daherkommt!) verschiedene Ansätze, unterschiedliche stilistische Zugangsweisen gibt. Im Sinne überzeugender Meinungsvielfalt waren beideAbende höchst bereichernd.

Publikumsbegeisterung in München, Publikumsbegeisterung in Wien (wobei die Wiener anscheinend mehr Phonstärke entwickeln, wenn ihnen etwas besonders gefällt). Ovationen da wie dort. Der Kritikerdaumen zeigtbeide Male steil und nachhaltig nach oben.

Evviva Händel – und Merry Christmas!                                                                  

Karl Masek

WIEN/ Staatsoper: HÄNSEL UND GRETEL – Operndirektor Meyer vermeldet Umbesetzungs-Rekord

$
0
0

Bildergebnis für wiener staatsoper hänsel und gretel
Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Wiener Staatsoper: HÄNSEL UND GRETEL am 21.12.2018. Operndirektor Meyer vermeldet Umbesetzungs-Rekord

Im Scherz hat Engelbert Humperdinck seine wagnerianisch angehauchte, spätromantische Märchenoper einst als „Kinderstubenweihfestspiel“ tituliert. Eine Kinderoper kann man Hänsel und Gretel aber dennoch kaum nennen, doch ist das Werk trefflich dazu geeignet, Kindern den Einstieg in die Welt der Oper zu erleichtern. So ziemlich alle kennen ja das zugrundeliegende Märchen sowie einige der zu Volks- bzw. Kinderliedern gewordenen Lieder Humperdincks, allen voran das zauberhafte „Abends, wenn ich schlafen geh“. Das dürfte auch der Grund sein, wieso diese Oper mit Vorliebe in der Advent- und Weihnachtszeit auf dem Spielplan steht. Da gilt es die Kinder sinnvoll zu beschäftigen, und was eignet sich besser als zur Abwechslung einmal ein Besuch im Opernhaus?

Freilich hat das Regietheater inzwischen schon längst psychoanalytisch und gesellschaftskritisch relevante Aspekte der Handlung entdeckt und sich daran festgebissen. So wurde Hänsel und Gretel in jüngerer Zeit u.a. als „Familien-Trauma“ auf die Bühne gestellt, ein anderes Mal bekommt man beklemmend vorgeführt, wie die Hexe ihre kannibalistische Neigung blutig auslebt, und Giancarlo del Monaco hat zuletzt in Erfurt Hänsel und Gretel gar als beklemmendes Lehrstück der Pädophilie inszeniert – immerhin mit dem Zusatz „Nur für Erwachsene“ versehen.
Die aus dem Jahr 2015 stammende Regiearbeit von Adrian Noble, die derzeit an der Staatsoper gewissermaßen als Weihnachtsoper wieder gezeigt wird, ist hingegen garantiert jugendfrei – und dennoch alles andere als hausbacken oder langweilig. Und das ist gut so: Viele Kinder sitzen im Publikum und haben sichtlich ihren Spaß daran.

Dass das Weihnachtsfest nahe ist, bemerkt man an diesem Abend nicht nur am gesteigerten Hustenaufkommen, sondern die damit einhergehende Erkältungswelle hat auch die Besetzungsliste nicht verschont: Direktor Dominique Meyer kommt vor Beginn der Vorstellung selbst auf die Bühne und berichtet, dass er erstmals in seinen bisher 24 Spielzeiten vier Umbesetzungen in letzter Minute habe vornehmen müssen. Und das bei nur sechs Mitwirkenden insgesamt (vom großen und im Übrigen bestens vorbereiteten Kinderchor einmal abgesehen)!

Immerhin aber – so Meyer entwarnend – sei das Staatsopernorchester vollzählig vorhanden. Ob einigeMusiker aber nicht doch etwas angekränkelt zum Dienst angetreten sind? Die Hörner am Beginn des Vorspiels klingen jedenfalls etwas verkühlt. Alles in allem aber ist das unter der Leitung des Bayreuth-erprobten Axel Kober spielende Orchester gut disponiert, lässt nicht nur die Wagner-Anklänge entsprechend rauschen, sondern begleitet auch die zarten, volkstümlichen Melodien mit Anmut und Grazie. Gerade bei den aufwühlenden Klängen wäre jedoch etwas mehr Zurücknahme angeraten gewesen. So werden Margaret Plummer als Hänsel und Chen Reiss, die als Gretel für Miriam Batistelli eingesprungen ist (und in dieser Partie aber bereits in der Premierenbesetzung zu erleben war) leider an manchen Stellen zugedeckt. Beide singen aberausgezeichnet und sind auch darstellerisch ein Gewinn.

Boaz Daniel ist als Peter Besenbinder ein sympathischer Vater, fröhlich und lebenslustig und nicht vordergründig der Trinker, als der er öfters präsentiert wird. Dem Bariton kommt hör- und sichtbar zugute, dass er diese Rolle schon früher – u.a. an der Volksoper in der unverwüstlichen Dönch-Inszenierung – gesungen hat. Regine Hangler ist als Gertrud mit ihrem Wagner-Sopran eine Luxusbesetzung in ihrem Rollendebüt. Sie gibt eine Mutter, die ihre verspielten Kinder resolut behandelt und mit scharfen Tönen zum Erdbeersammeln in den Wald schickt. Ensemblemitglied Hangler hat diese Rolle (Achtung: jetzt wir´s kompliziert) als Einspringerin für Donna Ellen übernommen, die ihrerseits an diesem Abend erstmals als Knusperhexe zum Einsatz kommt (anstelle der erkrankten Monika Bohinec). Ihre Knusperhexe ist gewiss noch ausbaufähig, was aber wohl der kurzen Vorbereitungszeit geschuldet ist. Dass die Knusperhexe nunmehr nicht mehr an ein Regierungsmitglied erinnert, verdankt sich auch einer Umbesetzung, diesfalls aber im Innenministerium- und daher nicht im Verantwortungsbereich der Operndirektion liegend.

Schließlich ist noch von einer weiteren Umbesetzung – ebenfalls zugleich ein Rollendebüt – zu berichten: Daniela Fally ist – erwartungsgemäß (wenn auch an diesem Abend zunächst eigentlich nicht erwartet) als zauberhaft singendes Sandmännchen/Taumännchen einfach entzückend! Sie singt und spielt ohne dick aufzutragen, einfach erfrischend schlicht und ergreifend. Das lässt sich im Übrigen auch vom Bühnenbild und von der Ausstattung Anthony Wards behaupten. Diese Inszenierung hat jedenfalls das Zeug, sich möglichst lange im Repertoire halten zu können, was leider nicht für viele der Neuproduktionen der zu Ende gehenden Ära Meyer gelten kann. Weiterhin rätselhaftbleibt aber, warum Hänsel und Gretel bis zur Premiere vor drei Jahrenfast ein Dreivierteljahrhundert lang nicht mehr in Haus am Ring gespielt wurden und damit seit 1944 in einem Dornröschenschlaf versunken war. Endlich wieder wachgeküsst, gibt es jetzt keine Ausreden mehr für eine derartig merkwürdige Programmplanung. Diese Oper ist eindeutig eine Bereicherung des Repertoires und hat Bestandsgarantie.

Manfred A. Schmid

 

Viewing all 11208 articles
Browse latest View live


<script src="https://jsc.adskeeper.com/r/s/rssing.com.1596347.js" async> </script>