Quantcast
Channel: KRITIKEN – Online Merker
Viewing all 11208 articles
Browse latest View live

ATHEN/ Greek National Opera, Alternative Stage: HEDDA GABLER. Kammeroper von George Dousis

$
0
0


Julia Rutigliano. Copyright: Greek national Opera

Greek National Opera, Alternative Stage, Athen: Hedda Gabler. Kammeroper von George Dousis

Besuchte Vorstellung am 27. Januar 2019

Hedda, das Musical

Die Griechische Nationaloper bemueht sich nach Kraeften auf ihrer zweiten, kleineren Buehne ein breites Spektrum an Musiktheater mit zahlreichen Urauffuehrungen zu bieten. Das ist gut so. Weniger Freude bereitet der Umstand, dass die Leitung des Hauses offenkundig allzu komplexe zeitgenoessische Musik meidet. Man spricht zwar davon, dass die Alternative Stage Platz fuer Risiken bieten solle, geht solche unter rein kuenstlerischen Aspekten aber eher wenig ein. Die Kammeroper „Hedda Gabler“, ein Auftragswerk der Nationaloper, ist ein gutes Beispiel dafuer. Der Komponist George Dousis hat zusammen mit der Librettistin Eri Kyrgia ein Werk geschaffen, das nahe an Ibsen’s Vorlage bleibt und die Geschichte in vier kurzen Akten erzaehlt. Es handelt sich also um eine klassische Literaturoper. Dass das Textbuch in englischer Sprache verfasst wurde, duerfte dem Wunsch geschuldet sein, dem Werk zu internationaler Aufmerksamkeit zu verhelfen.

„Hedda Gabler“ ist bereits die vierte Oper des Komponisten, der ein beachtliches internationales Taetigkeitsspektrum aufweisen kann. So hat er etwa im Jahr 2011 eine Oper nach Jean Genet’s Stueck „Die Zofen“ herausgebracht. Die Musik seines neuesten Werks enttaeuscht bedauerlicherweise. Es ist nicht so, dass es Dousis an musiktheatralischem Instinkt fehlen wuerde, durchaus nicht. Man muss nur leider feststellen, dass der melodisch-tonale Gestus seiner Musik, deren illustrative Effekte und deren gewisser Hang zum Pathos doch sehr traditionell und etwas anachronistisch klingen – wenn man bedenkt, was sich im zeitgenoessischen Musiktheater so alles tut. Das holzschnittartige Verfahren des Komponisten bringt eine Musik hervor, die mehr an ein Musical denn eine Oper gemahnt. Dem Werk mangelt es an interpretatorischer Tiefe, weil es ihm weder gelingt atmosphaerische Raeume zu oeffnen, noch die Psyche der Figuren freizulegen. Der wohltoenende, teils sueffig daherkommende Sound, der immer wieder von kurzen Sprechpassagen unterbrochen wird, mag dem unkundigen Hoerer willkommen sein, auf andere wirkt er nach kurzer Zeit eher langweilig.


Copyright: Greek national Opera

Die Inszenierung von Raia Tsakiridi folgt in gewisser Weise dem Verfahren des Komponisten und praesentiert gleichsam in Grossaufnahmen und mit plakativen Gesten das in unsere Gegenwart transferierte Geschehen. Die Regisseurin zeigt bis zum Auftreten von Eilert eine sich eher maskulin gebaerdende Hedda im Reitkostuem, die gerne mit Zaumzeug und der vom Vater geerbten Pistole herumspielt. Das einfache, aber wirkungsvolle Buehnenbild von Pavlos Thanopoulos unterscheidet sinnfaellig zwischen der privaten „Zelle“ der Titelheldin und dem Tesmanschen Wohnhaus. Die Bewegungsfuehrung der Protagonisten ist nicht frei von Uebertreibungen und laesst desoefteren die Intimitaet zwischen den Figuren vermissen. Das Ganze weisst zwar einen Fluss auf, bleibt aber geheimnislos. Musik und Szene setzen auf grosse emotionale Gebaerden, statt auf Zwischentoene und Stimmungsraeume.

Das siebenkoepfige Musikensemble unter der Leitung von Andreas Tselikas leistet gute Arbeit und sorgt fuer ein ueberraschend sattes Klangbild. Die fuenf Saengerinnen und Saenger bieten ansprechende Leistungen, wenngleich sie gelegentlich die Laustaerke etwas drosseln koennten. Julia Rutigliano als Hedda Gabler setzt ihren gut fokussierten, schlanken Mezzosopran gekonnt ein, Harris Andrianos als Eilert ueberzeugt stimmlich mit seinem satten, flexiblen Bariton. Zu diesen gesellen sich die Sopranistin Gina Fotinopoulou als Thea (mit manchmal etwas harter Tongebung), der Bariton Michalis Psyrras als Tesman und der Bassist George Roupas als Brack. Angesichts der erfreulichen Qualitaet der musikalischen Darbietung haette man sich mehr Impulse von der Musik gewuenscht.

Das Publikum spendet am Schluss kraeftigen Applaus, angereichert mit ein paar Bravorufen fuer die Beteiligten.

Ingo Starz


DARMSTADT/ Staatstheater: SAINT FRANCOIS D’ASSISE von Olivier Messiaen

$
0
0

Staatstheater Darmstadt, Saint François d’Assise von Olivier Messiaen (26.1.2019)

Regie: Karsten Wiegand und Luise Kautz, Bühne: Bärbl Hohmann, Kostüme: Andrea Fisser, Video: Roman Kuskowski, Licht: Nico Göckel, Dramaturgie: Gernot Wojnarowicz

Bildergebnis für staatstheater darmstadt saint francois d'assise
Copyright: Stefan Ernst, Der Engel (Katharina Persicke) , hier als frecher Lausbub, der die Brüder neugierig macht

Olivier Messiaen zählt zu den außergewöhnlichen Komponisten des 20. Jahrhundert. Er schrieb nur eine Oper, welche im Jahre 1983 in Paris uraufgeführt wurde. Eigentlich ist es keine Oper im herkömmlichen Sinn, denn es beschreibt in 8 Bildern Lebensabschnitte der Titelfigur. Neben zahlreichen Vokal-, Orchester- und Klavierwerken komponierte er auch viele Orgelstücke, da er 60 Jahre einer Organistentätigkeit nachging. Das Libretto stammt von seiner Feder.

Das Werk, das sich durch viele Superlative von gleichartigen Musikdramen abhebt

Dieses bedeutungsvolle Spätwerk, beinhaltet viele Superlative. Die reine Aufführungszeit ist länger, als Richard Wagners Parsifal, das Orchester beansprucht laut Partiturangabe ungefähr 140 Musikinstrumente und drei aus der Frühzeit der elektronischen Musik stammende Tasteninstrumente, das sogenannte Ondes Martenot, welches inzwischen durch moderne Tasteninstrumente ersetzt wird. Drei Chöre, die meist an verschiedenen Stellen des Hauses postiert werden, vervollständigen neben den Solisten diese immense Herausforderung. Der Komponist hat 8 Jahre an diesem Werk bis zur seiner Fertigstellung gearbeitet. Man kann sich vorstellen, dass dabei auch das Publikum übermäßig gefordert wird.

Das Publikum ist in die Handlung integriert.
Das gesamte Orchester wurde in den hinteren Teil der Bühne verlagert, das in unterschiedlichen Positionen musiziert. Der zugedeckte Orchestergraben dient dabei als Vergrößerung der Spielfläche. Die Distanz zwischen Bühne und Publikum fällt weg, die Besucher werden zwangsläufig mit in die Handlung einbezogen. Auch ein Chor ist mitten in die Zuschauerreihen eingebettet. Das Ergebnis ist die totale Integration bei der berühmten Vogelpredigt im sechsten Bild. Plötzlich taucht der komplette Zuschauerraum in ein Vogelparadies ein, vielleicht der Höhepunkt des gesamten Werkes. Messiaen hat hier unzählige Vogelstimmen verarbeitet und mit einer Dauer von 40 Minuten neue Maßstäbe gesetzt. Es ist ein Dialog zwischen der Titelfigur und der Vogelwelt, ein tiefgehendes Erlebnis. Im Parsifal stellt Gurnemanz fest, dass der Raum zur Zeit wird, hier ist es ein zeitliches Raumerlebnis.

Bewegend die Heilung des Aussätzigen durch einen Kuss von Franziskus
Anfangs beklagt sich der Aussätzige über sein Schicksal und seine schlechte Behandlung, wird dann aber durch die beruhigenden Worte von Franziskus besänftigt, um schließlich bei seiner wundersamen plötzlichen Heilung durch den Kuss von der Titelfigur von großer Freude erfasst. Hier zeigt sich die vielfältige Ausdrucksweise der Partitur, eine Mischung von Schuldzuweisung, Leid und schließlich übermäßiger Freude.


Copyright: Stefan Ernst, Der Kuss: Franziskus (Georg Festl) und der Aussätzige (Jean-Noel Briend in der Vorstellung)

Die Klangwelten des Olivier Messiaen
Der Komponist konnte bestimmte Farben seiner Tongebung zuordnen, die er genau dokumentiert hat. In der Tonsprache sind Einflüsse des französischen Spätromantikers und Impressionisten Claude Debussy erkennbar Musikalisch ist es eine Mischung aus Tonalität mit viel Rhythmik und großen Melodienbögen mit gregorianischen Tonfolgen. Allerdings kann man den Komponisten nicht als einen Synästhetiker bezeichnen.
Ein Zitat lautet: Du sprichst durch Musik zu Gott: Er wird dir durch Musik antworten. Während dieses musikalischen Dialoges wandert Franziskus ständig im Kreis, bis er vor Erschöpfung zusammenbricht. Es ist demnach ein Ergebnis von physischer Belastung und anstrengender geistiger Kommunikation. Bewundernswert die impressionistischen Farben des Bühnenbildes.

Bildergebnis für staatstheater darmstadt saint francois d assise
Copyright: Stefan Ernst Franziskus (Georg Festl) beim musikalischen Dialog mit Gott

Eine hervorragende Interpretation von Orchester, Sänger und den drei unterschiedlichen Chören unter der Leitung von Johannes Harneit

Johannes Harneit ist selbst Komponist zahlreicher Vokal- und Instrumentalwerke und hat schon viele zeitgenössische Musikstücke geleitet. Die eigenständigen Motive werden transparent herausgearbeitet, außerdem besteht eine klare Abgrenzung der einzelnen Orchesterteile und das Forte überdeckt niemals die Stimmen der Protagonisten.

Die drei Chöre

Der Opernchor des Staatstheaters Darmstadt, Rhein-Main Kammerchor (Einstudierung: Johannes Püschel), Darmstädter Kantorei (Einstudierung: Christian Ross)

Messiaen hat in seinem Werk ein Finale gesetzt, das wohl einmalig in der Opernliteratur ist. Es sind C-DUR Klänge mit ständigen Forteschwankungen, die beim Publikum Spannung und Anspannung zugleich verursachen. Man hat das Gefühl, dass dieses Klanggebilde kein Ende hat. Es sind die weißen Tasten am Klavier, die das hell leuchtende Licht in die unendlichen Weiten des Universums bis zum Erlöschen, dringen lässt.

Georg Festel, interpretierte mit seinem sanftem, lyrisch ausgeprägten Bariton, die sängerisch und darstellerisch kraftraubende Partie mit einer beeindruckenden Leistung. Seine Stimme ist die ideale Verkörperung des Franziskus, sanftmütig, nicht aufdringlich, aber letztendlich doch überzeugend.

Bruder Léon: Julian Orlishausen, Bruder Massée: David Lee, Bruder Élie: Michael Pegher, Bruder Bernard: Johannes Seokhoon Moon, Bruder Sylvestre: Werner Volker Meyer, Bruder Rufin: Thomas Mehnert, der Aussätzige: Jean- Noel Briend, mit glaubwürdigem überzeugenden Tenor.
Der Engel, Katharina Persicke, mit wohlklingenden hell leuchtendem Sopran, soll in der Szene eigentlich durch einen Wanderer dargestellt werden. Die Regie hat aus ihm eine neugierige, eher zu Spaß neigende Figur, gemacht.

Bei den Opernfestspielen von München im Jahre 2011 wurde dieses Werk unter der Leitung von Kent Nagano aufgeführt. Die umjubelten Aufführungen waren damals ein internationales Großereignis. Die Produktion des Staatstheaters Darmstadt würde in allen Belangen einer kritischen Bewertung mindestens ebenbürtig sein.

Franz Roos

Zusatzvorstellung wegen der großer Nachfrage am 26.11.2019

FRANKFURT: LA FORZA DEL DESTINO. Premiere

$
0
0


Foto: Monika Rittershaus

Frankfurt: La forza del destino  27.1.2019  Premiere

In der 18 Jahre währenden Intendantenzeit von Bernd Loebe in Frankfurt kommt jetzt eine neue Forza del destino (Macht des Schicksals) heraus  und zwar in einer Inszenierung des Regie-Shootingstars Tobias Kratzer, der in der letzten Spielzeit hier L’Africain von Meyerbeer mit tollen Regieeinfällen herausgebracht hat, aber auch Widerspruch herausgefordert hat. Ähnliches gelang ihm mit seinem Team in dieser Forza-Inszenierung, wobei die Schattenseiten diesmal überwogen. 

Doch zuerst zur musikalischen Wiedergabe. Es wurde die St.Petersburger Erstfassung 1862 gespielt, die eher selten zum Zug kommt, was sich aber gleich bei dem vielleicht längsten und eingängigsten Verdi-Vorspiel zeigte, das in dieser Fassung aber fast rudimentär wirkte. Offensichtlich wollte man schnell in den Bilderschwall des Kratzer-Teams (Rainer Sellmeier, Ausstattung, und Manuel Braun, Video), einsteigen. Trotzdem wurde sie markant in ihren schicksalshaften symphonischen Ausmaßen von Jader Bignamini imaginiert und vom gut aufgelegten Orchester exekutiert. In den folgenden Szenen kommt das Orchester  seiner eher rezitativischen Begleitfunktion geduldig nach, nur manchmal blitzen die eingängigen Schicksalsmotive und ätherischen Melodien auf. Bignamini versteht es, die verschiedenen auch gegensätzlichenTeile der in der ursprünglichen Fassung vielleicht etwas spröder wirkenden Komposition gut zu proportionieren und auszutarieren, und die Instrumentation, die von den einzelnen Instrumenten (Klarinette!) oder Gruppen immer höchst einfühlsam gespielt werden, auch richtig und spannend herauszuarbeiten. Daran haben auch die vielfach handlungsbestimmenden Chöre vollklanglich ihren regen Anteil. 


Christopher Maltman (Don Carlo di Vargas; in schwarzem Mantel und roter Weste in der Bildmitte stehend) und Ensemble. Foto: Monika Rittershaus

Die Inszenierung macht hingegen einen sehr heterogenen Eindruck. Im Eingangs- und Schlußbild wird die fast leere weiße Bühne durch einen parallel ablaufenden Film gedoppelt. Die Handlung scheint in die amerikanischen Südstaaten verlegt, und es handeln auf der Bühne und in dem Film völlig verschiedene Personen. Die Sängerin Leonora ist die  leicht dunkelhäutige Michelle Bradley in einem großem aufgebauschten Kleid, das sie noch dick macht, im Film ist sie sie das junge Teilzeitmodel Laura Tashina. Auf der Bühne ist der geliebte Sänger eher kleinwüchsig, im Film ist es der große schwarze Darsteller Thesele  Kemane. Auf der Bühne ist die Amme Curra weiß, und im Film (Dela Debulamanzi) schwarz. Ein Spiel der ‚hintergründigen‘ Gegensätze. Die 2. Szene der Dorfschänke spielt in einem amerikanischen Fort und alle Darsteller+Chor tragen Vollmasken im Stil von Mickymaus außer der Wahrsagerin, die als Truppenbegleiterin für den anstehenden Krieg wirbt.  Die Szene wirkt aber nicht so witzig, wie sie vielleicht soll, und wie es sich eigentlich in den engen Masken singen lassen soll, wäre die Frage…

Szenenwechsel, eine weißgetüncht aseptische Halle, Stühle an den Wänden hängend, ein „Jesus saves“- Schild an der Wand. Dazu ein großes Holzkreuz auf dem Boden, das später bei der Zeremonie abgefackelt wird! Leonora, nun im blauen Kleid, muß sich den peinlichen Fragen der Sektenführer in Zivil stellen. Dann wäscht ihr der Padre Guardiano die Füße und wird dabei übergriffig, Leonora kann fliehen. Die folgenden Kriegsszenen wirken in ihrer Buntheit, mit Wachposten, Stockbetten und Palmen, vorbeisegelnden Helikoptern auch sehr disneymäßig, fast kindisch.


Dietrich Volle (Ein Alkalde; stehend mit Bierkrug) und Christopher Maltman (Don Carlo di Vargas; in schwarzem Mantel und roter Weste mit Doktorhut) sowie Chor und Extrachor der Oper Frankfurt. Foto: Monika Rittershaus

Die markante  Personenführung der aus Freunden zu Todfeinden werdenden Don Alvaro und und Carlo di Vargas wäre aber hervorzuheben. Die Showszene mit Preziosilla, der sich zwei Bunnies hinzugesellen und die ‚Kapuzinerpredigt‘ des Fra Melitone mündet in den wilden Rataplan-Chor, und artet in eine Kopulationnszene der plötzlich böse Männermasken tragenden Bunnies aus. Wieder sehr gegensätzlich die ‚Suppenausgabe‘, ganz im Stil einer heutigen Tafel, wo an Flüchtlinge Lebensmittel verteilt werden. In seiner Erregung wirft Padre Raffaelle (Alvaro) die ganze Tafel um, da Carlo ihn schwer beleidigt hat. Einmal taucht auch noch eine Gruppe gefangener Vietnamesen auf, und Martin Luther King hält im Video seine flammende Rede gegen die Rassendiskriminierung. 

Was die SängerInnen angeht, sind diesmal die Männer, in Überzahl, eigentlich besser als die Damen. Den Marchese von Calatrava und den Padre Guardiano singt Franz-Josef  Selig mit balsamischer Baßstimme. Die Donna Leonora der Michelle Bradley kann auf einen recht hübsch timbrierten Sopran zurückgreifen, in der ersten Szene kommt er aber noch nicht so auf Tour. In der ‚Sektenszene‘ singt sie sich frei und läßt die Stimme sogar aufblühen. Am Ende in einer Hotelabsteige mit Ventilator (Video) haucht sie ihr Leben wieder eher dünnstimmig aus. Christopher Maltman ist mit seinem prunkenden starken Bariton als Bruder Carlo der eigentliche (negative) Held. Sein Gegenspieler in Gestalt des Armeniers Hovhannes Ayvazyan bietet ihm mit einem gleichfalls tollen Tenor Gegenpart sowie mit unermeßlichen Stimmreserven. Die Höhen sind registerlos eingebunden. In der Rolle der Preziosilla kann wieder  einmal Tanja Ariane Baumgartner ‚abräumen‘. Ihre Gesangsphrasen wirken, besonders beim Rataplan, wie gelackt, und die gefeierte Mezzosopranistin wirkt hier eher ganz sopranig mit guten Höhen. Als Curra bewährt sich Mezzosopran Nina Tandarek, den Alkalden gibt baritonal Dietrich Volle, Mastro Trabuco ist tenoral Michael McCown, und den Medico militare gestaltet der Baß Anatolii Suprun.           

Friedeon Rosén

WIEN/ Theater an der Wien: KING ARTHUR

$
0
0

Bildergebnis für theater an der wien king arthur
Foto: Herwig Prammer

TadW Henry Purcell:  KING ARTHUR 28.1.2019 (Premiere am 17.1.2019) –

Im Theater an der Wien wurde dem Publikum am 29. November 2014 unter der musikalischen Leitung von Robert King eine konzertante Aufführung von  King Arthur vorgestellt, welche sich unter Verzicht auf die gesprochene Handlung auf die Nebenschauplätze dieser Semi-opera beschränkte. Eine szenische Aufführung gab es bei den Salzburger Festspielen 2004. Die gegenwärtige Produktion ist eine Übernahme der Staatsoper Unter den Linden 2017 im Schillertheater in Berlin.

Bei „King Arthur, or The British Worthy“ (Der britische Held) handelt es sich um ein fünfaktiges Schauspiel samt Prolog von John Dryden (1631-1700) in englischer Sprache, für das Purcell anlässlich der Wiederaufführung 1691 am Queen’sTheatre in Dorset Garden eine Art von „Schauspielmusik“ komponiert hatte. Die eigentliche Handlung wird von Schauspielern vorgeführt, während die gesanglichen Teile, die nur lose mit der eigentlichen  Handlung verwoben sind, den Nebencharakteren vorbehalten bleiben. Die Handlung konzentriert sich im Wesentlichen um die Bemühungen Arthurs seine blinde Verlobte, die Prinzessin Emmeline von Cornwall, aus den Armen des Sachsenkönigs Oswald von Kent, seines Erzfeindes, zu befreien.

Bildergebnis für theater an der wien king arthur
Foto: Herwig Prammer

Sven-Eric Bechtolf verpasste Drydens Drama gemeinsam mit seinem Bühnenbildner und Co-Regisseur Julian Crouch eine Rahmenhandlung, in der ein kleiner Jungenamens Arthur, der offenbar während des zweiten Weltkriegs lebt, als Geburtstagsgeschenkvon seinem Großvater ein Buch mit der Artussage erhält. Schon in der Salzburger Zauberflöte 2018 ließ Regisseurin Lydia Steier den drei Knaben vom Großvater eine Geschichte vorlesen. Der Flugzeugabsturz seines Vaters löste in dem Knaben Arthur offenbar ein Kindheitstrauma aus und so macht der aufsässige Knabe seine Mutter für dessen Tod verantwortlich. In den Fieberfantasien des Knaben jedoch mutiert der tote Vater zu König Arthur, die verwitwete Mutter aber zu Emmeline. Am Ende dieses etwas mehr als dreistündigen Abends klettert dann Klein-Arthur ebenfalls in eine einmotorige Cessna, um sich dem Ideal des „Rule Britannia“ (James Thomson) hinzugeben und dem Schlachten todfreudig entgegen zu fliegen…Die Kostüme von Kevin Pollard räumten der Fantasie breiten Raum ein und schreckten auch nicht vor derber Obszönität zurück. Die barocken Säulen wurden durch eine geschickte Beleuchtung von Olaf Freese in einen wundersamen Zauberwald verwandelt, während die Videoprojektionen von Joshua Higgason das barocke Spektakel in die Zeit der Rahmenhandlung, also in die 40ger Jahre des vorigen Jhd., versetzten. Gail Skrela ersann noch die stimmige Bewegungschoreographie. Wolfgang Wiens und Hans Dunckerhaben die gesprochenen Texte dieser Semi-Opera ins Deutsche übersetzt.  René Jacobs schuf eine eigene Fassung indem er einige Tänze Purcells als pantomimische Szenen einbaute. Zwischen die handlungstreibenden Szenen wurden von Purcell  sieben aus mehreren Nummern bestehende musikalische Blöcke gleichsam als „Spiel im Spiel“ eingebaut. Den Sprechtheaterteil haben die Schauspieler und Schauspielerinnen der Berliner Aufführung mit zwei Ausnahmen übernommen. Die Rolle des Merlin, die in Berlin noch von dem mittlerweile verstorbenen Hans-Michael Rehberg verkörpert wurde, hat in Wien Jörg Gudzuhn großväterlich freundlich interpretiert. Conon, in Berlin noch Axel Wandtke, wurde in Wien vonRoland Renner dargestellt. Michael Rotschopf gab einen heldenhaften King Arthur, als blinde Emmeline, die in einer berührenden Szene wieder das Augenlicht erlangt, konnte Meike Droste punkten; Oliver Stokowksi gefiel in der Rolle des Intriganten Osmond an der Seite der feindlichen Sachsen; Max Urlacher gab den eher schwächelnden sächsischen Anführer Oswald und in der Rahmenhandlung den schüchternen Liebhaber Dr. Oswald; Tom Radisch ergänzte als böser Erdgeist Grimbald, Sigrid Maria Schnückel als köstliche Amme Mathilda und Steffen Scheumann als Pfarrer Aurelius. In der von mir besuchten Vorstellung war Quentin Retzl als pubertierender junger Arthur zu sehen.

Bildergebnis für theater an der wien king arthur
Martina Jankova. Foto: Herwig Prammer

Martina Janková konnte als Luftgeist Philidel, gleich dem Luftgeist „Ariel“ in Thomas Adès Oper „The Tempest“, anmutig über die Szenerie  schweben und viele herrliche Spitzentöne verbreiten. Robin Johannsen verströmte ihren prächtigen Sopran auch in mehreren Rollen. Die beiden Tenöre Johannes Bamberger und Mark Milhofer setzten ihre eher schlanken Stimmen gekonnt zu Gehör; die beiden Bässe Dumitru Mădărăşan und Jonathan Lemalu ergänzten rollengerecht, wobei Letzterer im dritten Akt noch den von Klaus Nomi einst zum Kult Song geadelten „Cold-Song“ mit wahrhaft kälteschlotternder Stimme interpretieren durfte. Der in Venezuela geborene Altist Rodrigo Sosa Dal Pozzo gefiel mit seiner eher dunkel abgefärbten Stimme.

Der ConcentusMusicus Wien unter der Leitung von Stefan Gottfried unterstrich den tänzerischen Stil von Purcells Musik, wobei die barocken Blechbläser fallweise etwas unreine Töne produzierten. Der von Erwin Ortner geleitete Arnold Schoenberg Chor musste dieses Mal neben seinen unzweifelhaft hohen musikalischen Qualitäten auch sein schauspielerisches Talent in den unterschiedlichsten Kostümen unter Beweis stellen. Der Schlussapplaus fiel trotz mancher Längen äußerst wohlwollend aus. Dem Regieteam war es offenbar gelungen, Schauspiel und Oper handwerklich derart gut zusammen zu schweißen ohne allzu große Langeweile beim Publikum aufkommen zu lassen. Chapeau!

 Harald Lacina

 

 

MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: FIDELIO

$
0
0


Tareq Nazmi (Don Fernando), Jonas Kaufmann (Florestan) und Anja Kampe (Leonore). Foto: Wilfried Hösl

München: Bayerische Staatsoper: „FIDELIO“,27.01.2019

Im Zentrum der „Fidelio“-Inszenierung des Regisseurs Calixto Bieito aus dem Jahr 2010 steht das Gefangensein des Menschen in seinen Gedanken und Gefühlen. Als Symbol für das Leben der auf diese Weise gefangenen Menschen dient ein riesiges gläsernes Labyrinth, welches die Bühne (Rebecca Ringst) auf der gesamten Breite und Höhe ausfüllt. In diesem Labyrinth irren die Protagonisten der Oper ebenso wie zahllose Statisten hin und her auf der Suche nachdem Weg nach draußen bzw. zu ihrem persönlichen Ziel. Obwohl sie ihre Mitmenschen durch die gläsernen Trennscheiben des Labyrinths sehen können, kommen sie mit diesen nur selten in Kontakt, da jeder– als bildhafte Entsprechung zu dem beschriebenen Gefangensein in den eigenen Gedanken und Gefühlen – nur mit seiner eigenen Position im Labyrinth und der Suche nach dem richtigen Weg beschäftigt scheint.

Um diese rein psychologische Sichtweise auf das Stück zu unterstreichen, wurden in dieser Produktion die Original-Sprechtexte des Librettos gestrichen und zum Teil durch Texte von Jorge Luis Borges über das Labyrinth als Symbol für das Leben des Menschen sowie durch Texte von Cormac McCarthy ersetzt.

Leider ist es in dieser Produktion jedoch nicht gelungen, diese – durchaus interessante und bedenkenswerte – Sichtweise des Regisseurs bis zum Ende durchgängig schlüssig, plausibel und nachvollziehbarbei zu behalten, was möglicherweise einfach daran liegen könnte, dass hierbei wesentliche Themen, die in dieser Oper enthalten sind, ignoriert oder gar – in einer letztlich mit dem Werk nicht zu vereinbarenden Art und Weise – negiert werden. Florestan befindet sich – wie letztlich alle – in einem „intrapsychischen Gefängnis“. Erleidet unter der Zwangsstörung, sich ständig die Haare kämmen zu müssen, und zeigt auch darüber hinaus diverse weitere Symptome einer psychischen Erkrankung. In der Sichtweise Bieitos ist es daher noch konsequent, dass die – dem Libretto entsprechende – Befreiung durch Leonore letztlich nicht zur Befreiung Florestans aus diesem „intrapsychischen Gefängnis“ führt. Calixto Bieito macht aus dem „goodguy“ Don Fernando einen – in seinem Äußeren dem Joker aus dem Batman-Film The Dark Knight (2008) nachempfundenen– „badguy“, der kurzerhand Florestan erschießt, was von Leonore –dem Wortlaut nach durchaus passend – mit „O Gott! Welch ein Augenblick!“ kommentiert wird. Die – freilich gleichermaßen dem ursprünglichen Sinn zuwiderlaufende – Erwiderung Florestans „O unaussprechlich süßes Glück!“legt – durchaus schlüssig – nahe, dass letztlich nur der Tod zu seiner Befreiung aus dem „intrapsychischen Gefängnis“ führt. Da allerdings die Oper danach bekanntermaßen noch mit Jubelgesängen weitergeht, erhebt sich der soeben tot umgefallene Florestan plötzlich wieder und stimmt nun fröhlich und scheinbar ganz lebendig mit Leonore und dem Chor in Jubelgesänge ein. Isoliert betrachtet lässt sich dies einigermaßen schlüssig nur damit erklären, dass es sich um Florestans Imaginationen im Jenseits handelt. Als einziger auf der Bühne erhält er schließlich vom Joker Don Fernando ein Schild mit der Aufschrift „frei“ umgehängt. Da er als einziger kurz zuvor gestorben ist, spricht auch dies für die Theorie einer Befreiung (nur) durch den Tod. Allerdings passt hierzu überhaupt nicht, dass Florestan dieses Schild im weiteren Verlauf des gemeinsamen Jubels auch Leonore umhängt. Theoretisch käme freilich auch der Gedanke einer Wiederauferstehung Florestans aufgrund von Leonores Liebe und Treue in Betracht, wenn eine solche nicht schon per se völlig unplausibel wäre. Zudem steht einer solchen Theorie entgegen, dass Leonores Liebe und Treue ja zuvor bei der Befreiung nach dem Libretto auch noch keinerlei „heilende“ Wirkung entfalteten.

Dieser unschlüssige letzte Teil der Produktion wird auch musikalisch durch einen Einschub von der restlichen Oper abgespalten: Nach demDuett „O namenlose Freude“ spielen Musiker, die in Käfigen von der Decke herabschweben, eine gekürzte Fassung des – wunderschönen – Molto adagio aus Beethovens Streichquartett op. 132 a-Moll. Durch dieses ruhige, meditative Stück wird die in der „Fidelio“-Musik zuvor aufgebaute musikalische Spannung und Ekstase jäh unterbrochen mit der Folge, dass man den letzten Teil der Oper aus einer gewissen inneren Distanz heraus erlebt. Auch wenn man diesem Kontrast freilich einen gewissen Reiz zusprechen kann, dürfte jedoch zumindest bei den Freunden eines rauschhaften Musikerlebens insoweit der empfundene Verlust bei weitem überwiegen.

Kirill Petrenko bot in der Vorstellung am 27.01.2019 mit dem Bayerischen Staatsorchester einmal mehr einen sehr transparenten, differenzierten Klang in hoher Präzision und zugleich voller natürlicher Emotionalität und Ausdruckskraft. Er reizte die Extreme in Dynamik und Tempi aus, hielt die Musik stets in natürlichem Fluss und trieb so, ohne je zu drängen, die Handlung voran. Das Zusammenwirken zwischen dem Orchestergraben sowie den Solisten und dem stimmgewaltigen Chor der Bayerischen Staatsoperauf der Bühne war durchweg hervorragend.

Sämtliche Solisten zeigten sich an diesem Abend äußerst spielfreudig und mit hoher darstellerischer Ausdruckskraft. Mit ihrem angenehmen, warmen, runden und vollen Sopranverkörperte Anja Kampe eine Leonore, die einerseits glaubwürdig und mit großer Natürlichkeit einen burschikosen Fidelio gibt und andererseits hoffnungsvoll und mit einer immensen inneren Kraft und Stärke zielstrebig die Befreiung ihres Gatten verfolgt. Leonores Befürchtungen, ihren Mann nicht mehr lebend anzutreffen, sowie ihr Mut und ihre ungeheure Entschlossenheit wurden intensiv erlebbar, wobei Anja Kampe sämtliche dramatischen Ausbrüche ohne jegliche Schärfen in der Stimme meisterte.

Jonas Kaufmann präsentierte sich als Florestan in ausgezeichneter Verfassung mit einer freien, kraftvollen und farbenreichen Stimme sowie strahlenden Höhen. Zudem beeindruckte und berührte er tief mit einer darstellerisch packenden Gestaltung eines in dieser Produktion vor allem psychisch kranken, aber auch willensstarken Gefangenen. Mit einer ganz und gar natürlich klingenden stimmlichen Gestaltung brachte Jonas Kaufmann Florestans tiefste Verzweiflung und Wutebenso intensiv zum Ausdruck wie dessen aufkeimende Hoffnung und Glücksgefühle am Ende. Eine besondere Hervorhebung verdient der Beginn seiner Arie: Wie er das Wort „Gott“ scheinbar aus tiefstem Abgrund, aus einem zarten Pianissimo heraus –mit klarer, frei strömender Stimme, ohne jegliche Manierismenund mit absoluter Stimmkontrolle – langsam zu einem inbrünstigen, kraftvollen Fortissimo anschwellen ließ, jagte einem Schauer über den Rücken und versetzte das Publikum ganz unmittelbarin die Lage, an Florestans tiefster Verzweiflung intensiv teilzuhaben.

Der Kerkermeister Rocco ist in der Sichtweise des Regisseurs Calixto Bieito gefangen in seinem Streben nach finanziellem Reichtum und einer Alkoholabhängigkeit. Sein Heiligtum ist ein Aktenkoffer voller Geldscheine, den er – an seinem Handgelenk festgekettet – permanent mit sich herumträgt. Rocco ist ein mit einer zwanghaften Persönlichkeit ausgestatteter, suchtkranker typischer Mitläufer und bloßer Befehlsempfänger, der allerdings so integer ist, dass er sich – unter Aufbietung aller seiner noch vorhandenen Kräfte – dem Auftrag zu einem Mord widersetzt. Eine durch und durch überzeugende Gestaltung dieses komplexen Rollenporträts gelang Günther Groissböck mit seiner volltönenden,voluminösen, klaren, kultivierten und ausgesprochen klangschönen Bassstimme, die nicht nur über eine prächtige Mittellage, sondern auch über eine glänzende Höhe und eine satte Tiefe verfügt.


Günther Groissböck (Rocco), Wolfgang Koch (Don Pizarro) und Oleg Davydov (2. Gefangener). Foto: Wilfried Hösl

Mit seinem hellen Bariton gestaltete Wolfgang Koch die Figur des Don Pizarro eindrucksvoll als schmierigen, widerlichen Machthaber, der seine eigenen zwielichtigen Interessen skrupellos über Recht und Gesetz stellt. Hanna-Elisabeth Müller sang die Marzelline mit leuchtendem, in den Höhen glanzvoll aufblühendem Sopran ohne Schärfen. AlsJaquino überzeugte Dean Power mit seinem individuell timbrierten, klangschönen, lyrischen Tenor.Als Don Fernando alias der Joker erfreute Tareq Nazmi mit frei strömender, klarer, dunkler Bassstimme. Caspar Singh als 1. Gefangener ließ mit einem metallisch schimmerndenTenor aufhorchen. Oleg Davydov rundete als 2. Gefangener die hervorragende Solistenriege ab.

Am Ende verdientermaßen großer und lang anhaltender Jubel für alle Beteiligten.

Martina Bogner

WIEN / Staatsoper LA CENERENTOLA von Gioachino Rossini

$
0
0

Adam PLACHETKA als Alidoro und sein Schützling Elena MAXIMOVA   Foto:Wr.Staatsoper/M.Pöhn


WIEN / Staatsoper

LA CENERENTOLA   von Gioachino Rossini 
38.Aufführung in dieser Inszenierung

28.Jänner 2019       Von Manfred A.Schmid


Bella Italia verströmt menschliche Wärme und musikalischen Wohlklang

Was kann man sich Schöneres wünschen, als an einem Wintertag, der mit Neuschnee begonnen hat und ziemlich bald in gatschiges Grau übergegangen ist, für ein paar Stunden in das Land der Träume und Sehnsüchte entfliehen zu können? Die 38. Aufführung von Rossinis La Cenerentola kommt da gerade recht. San Sogno heißt das südliche Städtchen, in das der Regisseur Sven-Eric Bechtolf und sein Bühnenbildner Rolf Glittenberg die Handlung der auf dem Aschenbrödel-Stoff basierenden Oper verlegt haben. Das damit gebotene frech-fröhliche Ambiente führt geradewegs in das sonnendurchflutete Italien der 50er Jahre. Und wenn dann bald die halbe Bevölkerung als lustvoll musizierende Stadtkapelle aufmarschiert und schließlich auch ein fahrradbetriebenes Gelati-Wägelchen um die Ecke biegt, fühlt sich der Rezensent an erste Urlaube in Bella Italia erinnert. Das war dann zwar ein gutes Jahrzehnt später, aber vom Flair her durchaus vergleichbar. Und schon die ersten Klänge der Ouvertüre tun ihr Übriges: Sie versetzen einen – Rossini sei Dank – in eine frohgemute, erwartungsvolle Urlaubsstimmung und in eine hochgestimmte Feierlaune.

Und zu feiern gibt es viel an diesem Opernabend. Da ist zunächst einmal das mit hohen Erwartungen befrachtete Staatsoperndebüt des amerikanischen Tenors Michael Spyres. Gleich vorweg: Er hat nicht enttäuscht, ganz im Gegenteil. Seine Stimme ist klar, klingt warm und einschmeichelnd. Strahlende Höhen, aber auch beachtliche Durchschlagskraft in der tiefen Stimmlage zeichnen ihn aus, die Registerübergänge gelingen mühelos Dieses breite stimmliche Spektrum kann er in der Partie des Don Ramiro – etwa beim „lo juro“ – eindrucksvoll unter Beweis stellen. Spyres hat tatsächlich als Bariton begonnen, ist aber inzwischen längst zu einem Belcanto- und Rossini-Tenor erster Güte herangereift. Im Grunde aber ist er wohl beides – ein sattelfester Tenor und ein versierter Lyrischer Bariton – kurz und knapp: ein Baritenor, wie er besser kaum sein kann.

Anders als in der literarischen Vorlage kommt das Libretto Jacopo Ferrettis ganz ohne übernatürliche Kräfte aus. Statt einer Fee gibt es mit dem Philosophen Alidoro einen weisen Berater des Prinzen, der die Fäden der Handlung in der Hand hat und für das Happyend sorgt. Mit seinem profunden Bariton ist Adam Plachetka in der Partie des Alidoro auch stimmlich das allmächtige und stimmgewaltige Zentrum des Geschehens. Ziel seiner geschickten Unternehmungen ist die Vermählung seines Schützlings Don Ramiro mit der passenden Frau. Diese – Angelina – wird von Elena Maximova mit viel Spielfreude dargestellt. Stimmlich beginnt sie an diesem Abend nicht besonders überzeugend, von Szene zu Szene aber findet ihr dunkler Mezzo mehr zu jenem Niveau, das sie darstellerisch von Anfang an zur Schau stellt. Das Schluss-Rondo „Nacqui all’affanno“ – „Non più mesta“ gerät schließlich zum Höhepunkt sowohl für die Titelfigur als auch für das gesamte Ensemble inklusive des Männerchores, in den sich in dieser Inszenierung ein paar als Frauen verkleidete Sänger, eine sogar mit Schnurbart – Conchita lässt grüßen – eingeschlichen haben.

SPYRES, PLACHETKA und ARDUINI Foto M.Pöhn

Überhaupt sind die Aktschlüsse mit ihren großen Ensembleszenen musikalisch perfekt gestaltet. Speranza Scapucci am Pult lässt den Farbenreichtum der Partitur, geprägt von gefühlvollem Belcanto und virtuosen Koloraturläufen, prächtig erblühen und kostet auch die komischen Momente der Rossinischen Musik gut aus. Das Sextett „Questo è un nodo avviluppato“ ist ein herrliches Spiel mit dem gerollten italienischen „R“ und landet einen vergnüglichen Volltreffer. Manche zungenbrecherische Passagen in bester Rossini-Manier werden in einem geradezu unglaublichen Tempo präsentiert, ohne aber die Ausführenden je zu überfordern. Dabei bewährt sich insbesondere der komödiantisch hinreißend auftretende Pietro Spagnoli. Einerseits ist sein Don Magnifico ein verabscheuungswürdiger, heruntergekommener Adeliger und fieser Vater, der seine Stieftochter schlecht behandelt und auch vor Gewaltanwendung nicht zurückschreckt, andererseits aber wird er – in seiner selbstverliebten Eitelkeit sowie in seinem Streben nach gesellschaftlicher Rehabilitierung – zu einem nie versiegenden Quell der Heiterkeit. Ein Vollblutkomödiant eben. Dandini, der Chauffeur und Diener des Prinzen, der mit diesem – auf Geheiß Alindoros – vorübergehend die Kleidung und die Identität tauscht, ist eine ebenfalls sehr auf Komik hin angelegte Figur. Alessio Arduini geht darstellerisch ungemein wendig und einnehmend ans Werk, stimmlich bleibt er jedoch etwas konturlos und wirkt manchmal schlampig in Phrasierung und Artikulation.

Ileana Tonca als Clorinda und Svetlina Stoyanova bei ihrem Rollendebüt als Tisbe sind die beiden verwöhnten Stiefschwestern Angelinas. Blasierte, eingebildete Ganserln, aber gut bei Stimme, und so ist es eine Freude, ihnen beim Spielen zuzuschauen – und beim Singen zuzuhören.

Je öfter man diese Inszenierung zu sehen bekommt – nicht zu vergessen auch die einfallsreichen Kostüme von Marianne Glittenberg – umso mehr beginnt man sie zu schätzen. Was einem zunächst als schrill vorgekommen sein mag, würdigt man nun als bunt und stimmig. Die Personenführung Bechtolfs ist genau und liebevoll, so auch die eingestreuten Gags. Sie stören den Ablauf des Geschehens nicht, setzen aber treffliche Akzente. Wenn Angelina am Ende, bevor sie in das bereitstehende Auto steigt und die Hochzeitsreise antritt, im Brautkleid nochmals den Eimer mit dem Putzfetzen ergreift und sich hinhockt, um den Boden zu schrubben, rundet sie damit das Porträt dieses liebenswerten Geschöpfs ab, das das Herz am rechten Fleck trägt und seinen geliebten Prinzen auch geheiratet hätte, wenn er nur ein Diener wäre. Als sich Elena Maximova dann beim begeisterten, mit vielen Bravorufen durchsetzten – mit kaum fünf Minuten aber doch recht kurzen – Schlussapplaus dem Publikum präsentiert, bückt sie sich nochmals kurz und deutet eine Wischbewegung an: Der gelungene Schlusspunkt zu einem insgesamt recht gelungenen, keineswegs perfekten, aber doch sehr vergnüglichen Opernabend.

Manfred A. Schmid

WIEN / Vienna’s English Theatre: TUESDAYS WITH MORRIE

$
0
0


Foto: English Theatre / Reinhard Reidinger VET

WIEN / Vienna’s English Theatre:
TUESDAYS WITH MORRIE von Jeffrey Hatcher
Premiere: 29. Jänner 2019,
besucht wurde die Voraufführung

Der amerikanische Autor Jeffrey Hatcher ist bekannt als Verfasser von „well made plays“, die auch meist ganz praktisch zu realisieren sind – zuletzt sah man vom ihm, auch im Englischen Theater, „A Picasso“, ein Zwei-Personen-Stück über Kunst. Nun spielt Vienna’s English Theater „Tuesdays with Morrie“, wieder zwei Personen, wieder packende eineinhalb Stunden, die vielleicht nur gegen Ende ein bisschen zu sehr „amerikanisch“ auf die Tränendrüse drücken…

Wie so oft bringen die Amerikaner wahre Geschichten auf die Bühne oder auf die Leinwand. Mitch Albom, erfolgreicher Sportreporter, hatte auf der Universität von Brandeis einst einen Soziologieprofessor der besonderen Art, Morrie Schwartz, den er besonders mochte und vize versa. Aber, wie das Leben so spielt – alle Versprechen, man würde nach dem Universitätsabschluß in Verbindung bleiben, wurden natürlich nicht eingelöst. Erst 16 Jahre später hörte Mitch, der all seine Träume über Musikmachen aufgegeben hatte und nur dem Erfolg nachjagte, von Morrie in einer Radiosendung: Er wurde als berühmter „Sterbender“ präsentiert, der an ALS (einer Degeneration der Nervenzellen) litt – und mit wachem Geist nicht nur seine Situation, sondern nach wie vor das Leben und seine großen Fragen analysierte…

Das Stück, das Jeffrey Hatcher aus Mitch Alboms Memoiren-Bestseller gemacht hat, stellt Mitch nun als Erzähler auf die Bühne, der seine letzten Begegnungen mit Morrie schildert und spielt – denn er hat wichtige berufliche Verpflichtungen ausgelassen, um in den letzten Monaten des alten Professors jeden Dienstag mit ihm zusammen zu sein. Und dabei zu lernen, was er in tiefster Seele wusste, dass es wichtigere Dinge gibt als Geld und Erfolg. Das ergibt Wortgefechte voll Humor und Nachdenklichkeit, von den beiden Beteiligten wunderschön liebevoll ausgetragen.

Freilich, wenn jemand dann auf der Bühne stirbt, dann wird es unweigerlich rührselig – aber Morries Weisheit und Mitchs Erkenntnisse transportieren sich. So dass der Zuschauer am Ende das gute Gefühl hat, einen Theaterabend mit den wichtigen Fragen des Lebens verbracht zu haben. Und etwas von der Empathie, die von der Bühne kommt, selbst zu fühlen.

Das funktioniert auch, weil in der einerseits sensiblen, andererseits Pointen nie verschmähenden Inszenierung von Adrienne Ferguson (in einem praktischen Bühnenbild von Judith Croft) so stimmig gespielt wird: Von Stefan Menaul, der als Mitch Antworten auf die großen Fragen des Lebens sucht, wenn ihm der Alltag nicht gerade dieses Leben wegfrißt, und John Atterbury, der den uralten, hinfälligen Morrie, bei dessen Anblick sich das Herz des Zuschauers zusammen zieht, mit souveränem Humor und menschlich-geistiger Überlegenheit spielt.

Renate Wagner

 

WIEN / Staatsoper: LA TRAVIATA

$
0
0

 

WIEN / Staatsoper:
LA TRAVIATA von Giuseppe Verdi
60.
Aufführung in dieser Inszenierung
29.
Jänner 2019

Zwei der drei Hauptrollen neu besetzt, die Wiederkehr eines beliebten Tenors und der denkbar verlässlichste Dirigent am Pult: Die Rechnung ging auf, diese „Traviata“-Serie hat bestes Niveau, das Marco Armiliato am Dirigentenpult vorgab – Gestalter der Partitur, Sängerbegleiter und „Stimmung-Macher“ in hohem Grade, so dass das Publikum großzügig über die Inszenierung hinwegsah und stürmisch applaudierte, zwischendurch und nachher.

Die Russin Ekaterina Siurina sang ihre erste Wiener Violetta und beeindruckte mit einer Stimme, die so schlank und klar ist, wie man sie selten hört, auch die meiste Zeit bewundernswert „leicht“ geführt. Dass sich, wenn sie in der Höhe etwas forciert, ein leises Tremolo in die Gesanglinie schleicht, kann man auch als Dramatik interpretieren. Da sie so gar keine Höhenschwierigkeiten hatte, wundert man sich, dass sie in ihre Arie im ersten Akt nicht den triumphierenden hohen Schlußton einlegte, der zwar nicht in der Partitur steht, aber Violetta-Tradition ist. Nun, es ging auch ohne.

In dieser Inszenierung darstellerisch irgendwie zu beeindrucken, ist schon Eigeninitiative – Ekaterina Siurina spielte die Rolle gewissermaßen vom Blatt, tat immer das Richtige. Begeistert hat sie ganz am Ende: Das allerletzte Aufblühen, das Gefühl des Glücks, geheilt zu sein und in eine Zukunft zu gehen, bevor sie zusammen bricht, spielte sie so hinreißend, dass der Beifallssturm voll verdient war.

Auch neu, auch gut und interessant Ludovic Tézier als Giorigo Germont. Er ist einer der harten Väter – er stellt sich Violetta im zweiten Akt eisern entgegen, gnadenlos trocken und kalt (und manchmal ein bisschen heiser) in der Stimme, aber in voller Deckung mit dem Profil, das er der Rolle gibt: Kein Hauch von Belcanto, obwohl von Verdi so angelegt, vielmehr Verismo in Reinkultur.  Wenn dieser Germont im vierten Akt vom Bedauern darüber singt, was er Violetta angetan hat, ist es eine verbale Behauptung, dem eisigen Mann glaubt man es nicht. Das ist die Studie eines nicht zu erschütternden Bürgers, die wirklich beeindruckt. Tezier, der als Schauspieler nicht immer überzeugt hat, ist in dieser Rolle großartig.

Wieder da: Saimir Pirgu entwickelt sich rasant. Seine Stimme hat tatsächlich so sehr an Umfang gewonnen, dass man ihm all die Rollen zutraut, die er mittlerweile seinem Repertoire hinzugefügt hat. Die Stimme ist in allen Registern stark, hat Kraft für alle Ausbrüche (der Alfredo mag tatsächlich eine undankbare Partie sein, aber er muss an Dramatik einiges leisten) und schmettert mühelos alle nötigen Spitzentöne: Um Pirgu muss man sich keine Sorgen machen.

Dass er wie ein Liebhaber aussieht, wäre nur die halbe Leistung, wenn er ihn nicht mit so viel Engagement und Überzeugungskraft spielte: verliebt in diese Kurtisane, selig und glücklich mit ihr, vom Vater aus diesem Glück herausgerissen, getäuscht, unglücklich, verletzt, böse – und am Ende verzweifelt angesichts ihres Sterbens. Er ist immer stark präsent, spielt sich aus dem Hintergrund, in den Verdi ihn gestellt hat, bei jeder sich bietenden Gelegenheit erfolgreich nach vorne.

Die Nebenrollen finden in u.a. Zoryana Kushpler, Carlos Osuna, Sorin Coliban oder Clemens Unterreiner (die Armen stehen in dieser Inszenierung ja nur herum) achtbares Niveau.

Man soll nicht sagen: Verdi funktioniert immer. Auch eine „Traviata“ muss einmal gut interpretiert werden, um das Publikum zu begeistern.

Renate Wagner


LONDON / WIEN ROH im Kino: LA TRAVIATA

$
0
0

 
Foto: Covent Garden

LONDON / WIEN
ROH Covent Garden im Kino / UCI Kinowelt Millennium City
LA TRAVIATA von Giuseppe Verdi
30.
Jänner 2019

Zwei Elemente gaben dieser Aufführung von „La Traviata“ im Royal Opernhaus Covent Garden in London den Anstrich einer Sensation, obwohl sie beide alles andere als neu waren: Man hat die Aufführung von Richard Eyre schon gesehen, man hat auch Ermonela Jaho als Violetta schon erlebt (in der Staatsoper, die einzige Rolle, die sie in Wien gesungen hat). Dennoch fügte sich das Zusammentreffen dieser Sängerin in diesem Stadium ihrer Kunst mit dieser legendären Inszenierung zu einem Eindruck, den man nur als sensationell erachten konnte. Und nur diese Inszenierung schaffte es (was das Wiener Ärgernis einer angeblichen Inszenierung nie könnte), eine Sängerin zu einem Erlebnis zu machen. Ein Bild braucht seinen Rahmen.

Nun, diese Inszenierung ist ein Vierteljahrhundert alt, aber wenn die – wieder einmal wahnsinnig sympathische – Moderatorin der Kinoübertragung meinte, sie könnte heute gemacht worden sein, hat sie völlig recht. Denn sie ist historisierend, kann also nicht veralten – weil sie richtig verortet ist. Keine Mode bestimmt sie, sondern eine Einstellung. Wobei in einem Beitrag Sir Richard Eyre und Bob Crowley nach ihren Erinnerungen über die Entstehung der Produktion gefragt wurden. Eyre erzählte, er hatte bis dahin nur Theater und Musical gemacht, und als Sir Georg Solti auf ihn zukam mit der Einladung, „La Traviata“ zu inszenieren, lehnte er zuerst ab: Das sei nicht so seine Sache. Aber Solti überzeugte ihn: „Das wird die erste Traviata sein, die ich dirigiere, und die erste Traviata, die Sie inszenieren. Gemeinsam werden wir etwas Besondere schaffen.“ Und das taten sie. Wobei die Ausstattung von Bob Crowley eine entscheidende Rolle spielte. Als er Sir Georg Solti fragte, was er auf der Bühne sehen wolle, antwortete dieser in seinem dicken ungarischen Akzent: „I want frocks!“ Sprich, er wollte üppige Kostüme. Und die Idee, das Werk in die Belle Epoche zu verlegen, funktionierte bis heute. Damals war es nicht so mutig (auch Zeffirellis „Traviata“-Film ertrinkt in Opulenz), ein Werk in seiner Zeit zu belassen – heute schon eher. Eyres „Interpretation“ – kein Subtext, keine übergreifende Idee, kein inhaltsloser Schmarrn wie in Wien – bezog sich einfach darauf, Violettas Schicksal zu erzählen, so dicht, so ehrlich wie möglich. Und es entfaltet sich nicht zuletzt, weil es einen Rahmen hat, innerhalb dessen es stimmt…

Der Abend konnte aber nur deshalb einen so unvergesslichen Eindruck hinterlassen, weil Ermonela Jaho jetzt auf dem Höhepunkt ihrer Violetta-Interpretation angelangt ist. Diese kräftige, aber nie grobe Stimme, die in der Mittellage leicht dunkel marmoriert ist, bewältigt alle strahlenden Höhen ohne Ermüdungserscheinungen, ist aber vor allem eine unerreichte Meisterin der zart gesponnenen, nie abreißenden, nie zitternden Piani, die man gar nicht glauben mag, wenn man sie hört. „E strano“ setzte souveränste Koloraturkunst ganz im Sinne der tragischen Gestaltung der Arie ein, die sie in der Mitte der Bühne einsam – jetzt, wo der Gästetrubel vorbei ist – singt, in einem Lichtkegel, so allein, wie man nur sein kann.

Ermonela Jaho singt die Violetta makellos, aber nie auf den Schöngesang gepolt, den sie absolut liefert, sondern immer auf den Ausdruck, der unter die Haut geht – ihre herzzerreißende Verzweiflung, als Père Germont ihr Leben ruiniert, ihre einzige Sorge um Alfredo, der sie so gedemütigt hat, schließlich ihr herzzerreißendes Sterben… das macht ihr im Moment niemand in dieser Intensität nach. Ein Erlebnis. Unvergeßlich, auch angesichts der vielen Violettas im Leben eines Opernfreundes.

Weit weniger inspirierend waren die Herren des Abends, wobei man an Charles Castronovo vor allem vermerken kann, dass er neben der Jaho ein Fliegengewicht war, stimmlich und darstellerisch. Placido Domingo hingegen offenbarte sich nun – bei allem grundsätzlichen Respekt – tatsächlich als eine Peinlichkeit. Er mag den Père Germont noch so nobel und letztendlich mitfühlend spielen, eine schöne Figur im Vergleich zu den vielen bösen Vätern, die man schon gesehen hat, aber die Stimme ist kaum mehr Sprechgesang, ist mühsames Atemholen, ist quälende Bemühung. Das sollte er weder sich noch dem Publikum mehr antun.

Ordentliche Nebenrollen, ein ordentlicher Dirigent (Antonello Manacorda), aber alles drehte sich nur um Violetta. Ihr Schicksal in Gestalt von Ermonela Jaho mit zu erleiden, hat wieder einmal bewiesen, was Oper im allerbesten Fall kann. Muss man sich genieren, wenn man aus dem Haus (in diesem Fall aus dem Kino) geht und die Augen noch voller Tränen hat? Zumal, wenn man normalerweise nicht so leicht zu rühren ist…

Renate Wagner

WIEN/ Staatsoper: FALSTAFF

$
0
0


Monika Bohinec, Olga Bezsmertna und Margaret Plummer. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

WIENER STAATSOPER:  „FALSTAFF“ am 30.1.2019

Shakespeare und Verdi sind einfach ein tolles Gespann!

Leider war es schon wieder die letzte Vorstellung der Falstaff-Serie. Carlos Alvarez ist vom  Ford zum Falstaff  „gereift“. Mit schönster Stimme und großer Phrasierungskunst legt er ihn vielleicht nicht so wuchtig an wie seine unmittelbaren Vorgänger, eher an Tito Gobbi oder Sesto Bruscantini orientiert. Darstellerisch ist er hervorragend in die Regie eingebunden und spielt dieses liebenswerte Schlitzohr so ausgeprägt, man könnte schon glauben, es gab ihn tatsächlich. Der zweite erstklassige Bariton war Simon Keenlyside als Ford. Mit schönster lyrischer Stimme eines Kavaliersbariton singt er alles wunderbar und spielt einen grantelnten Ehemann und Vater, der ebenso auf die Schläue der Damen voll reinfällt. Tenoralen Schmelz konnte wieder Jinxu Xiahou als Fenton verbreiten. Die Stimme ist gewachsen und man sollte sich über weitere Aufgaben freuen. So ist das Ensemble wieder sehr zu loben.


Simon Keenlyside und Carlos Alvarez. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Als Alice in bekannter Qualität Olga Bezsmertna mit feinsten Pianohöhen, eine fesche und stimmschöne Meg Page ist Margaret Plummer. Monika Bohinec hat nach der tollen Cassandra auch mit der Quckly eine tolle Rolle gefunden. Sie hat alle dafür erforderlichen Register und spielt auch mit viel Charme und Witz, keine alte, sondern eine junge schlaue Frau. Hila Fahima spielt eine bezaubernde Nannetta, klingt aber teilweise etwas angestrengt. Köstlich wie immer das gaunerhafte Dienerpaar. Herwig Pecoraro ist ein Bardolfo erster Klasse, und Ryan Speedo Green kann als Pistola absolut punkten. Allein ihr so unterschiedliches, durch die Körpergröße bestimmtes Aussehen ist schon eine Lachnummer. Man erinnert sich an Renato Ercolani und Mario Petri. Neu im Ensemble ist Michael Laurenz, ein stimmkräftiger Dr. Cajus. Entzückend der Page Robin von Luca Potskhishvili. Waltraud Eigner ist Doll Tearsheet.

Die Inszenierung von David McVicar ist einfach eine optische Freude.

Der Chor unter Martin Schebesta hat hörbar ebenso gefallen an diesem Bühnengeschehen und ist voll dabei.

James Conlon am Pult hat Graben und Bühne voll im Griff, und so gelang es, eines der schwierigsten, wenn auch nicht langen Werk der Musikliteratur gut aufzuführen.

Dieser Abend war „im memoriam KS. Wilma Lipp“ gewidmet, die einst auch die Alice gesungen hat. 

Elena Habermann        

 

STUTTGART/ Kammertheater: DAS IMPERIUM DES SCHÖNEN von Nis-Momme Stockmann, Premiere

$
0
0


Nina Siewert, Marco Massafra. Foto: Björn Klein

Premiere von „Das Imperium des Schönen“ von Nis-Momme Stockmann am 31.1.2019 im Kammertheater/STUTTGART

GRENZEN DER VERSTÄNDIGUNG

 Das Erstarken des politischen und religiösen Fundamentalismus spielt im Stück „Das Imperium des Schönen“ von Nis-Momme Stockmann eine große Rolle. Zunächst bleibt alles an der Oberfläche, doch nach und nach brechen gesellschaftliche Strukturen in explosiver Weise auf. Der Kampf des Individuums gegen die Auslöschungs- und Gleichschaltungsversuche der Obrigkeit werden am Beispiel der japanischen Gesellschaft gnadenlos bloßgestellt, zu der der Autor einen starken Bezug hat. Die Japaner haben sich mit ihrer Rolle hier allerdings einverstanden erklärt. In Japan funktioniert das Spiel dieser Kräfte und Betrachtungsweisen etwas anders. „Oberfläche und Tiefe“ erhalten einen unterschiedlichen Schwerpunkt.

Davon erzählt auch dieses Stück in der eher schlichten Inszenierung von Tina Lanik, die dem Zuschauer einen schwarzen Bühnenhintergrund präsentiert (Kostüme: Natalie Soroko). Fragen des Zen-Buddhismus und Konfuzianismus werden aufgeworfen. Dazu zitiert man dann die philosophischen Erkenntnisse Arthur Schopenhauers vom „Streben und Leiden“: „Das Streben sehen wir überall vielfach gehemmt, überall kämpfend; so lange also immer das Leiden: kein letztes Ziel des Strebens, also kein Maß und Ziel des Leidens.“ Die Personen im Stück sprechen sehr theoretisch und abstrakt, erst allmählich gewinnen die Figuren Leben: „Wir umarmen uns!“ Diesen Verwandlungsprozess machen Katharina Hauter als Adriana, Marco Massafra als Falk, Nina Siewert als Maja, Martin Bruchmann als Matze, Daniel Fleischmann als Ignaz und Marielle Layher als Ismael darstellerisch durchaus packend und plastisch deutlich. Die schreitartige Gehweise der Japaner wird dabei fast schon persifliert. Im christlich-metaphysischen Sinne soll die wahre Natur eines Phänomens ergründet werden. Die Seele wird auch hier zum eigentlichen Kern des Geschehens, die Oberfläche deswegen entwertet. Gleichzeitig haben die Protagonisten aber auch enorme Schwierigkeiten, sich einander anzunähern. Japanische Verhaltensweisen werden angesichts der seltsamen Reise immer wieder aufs Korn genommen. „Irritationen lassen sich durch Umarmungen nicht lösen“, lautet die Erkenntnis.

Der Philosophiedozent Falk scheitert schließlich an der Gruppe. Er hat mit Maja eine heftige Auseinandersetzung, die er zuletzt ins Gesicht schlägt. Sie wirft ihm oberflächliche Seminare über Schopenhauer vor: „Du existierst nicht!“ Auf der anderen Seite fragt sie ihn eindringlich, was denn so schrecklich an ihr sei. Das Imperium ist jetzt plötzlich nicht mehr schön, Falk wird von Majas Freund einfach mit einem Schlag ins Gesicht zu Boden gestreckt. Und hier bricht die Inszenierung etwas auseinander, zerfällt in Einzelheiten. Doch Marco Massafra als Falk und Nina Siewert als Maja haben bei dieser Szene den stärksten schauspielerischen Auftritt. Es ist auch ein seltsamer Kontrast zur Besonnenheit der japanischen Gesellschaft, der sich dabei offenbart. Falk hält einen stark abstrakten Vortrag über „Yügen“, einen aus dem Chinesischen kommenden Begriff, der so viel wie „dunkel, tief und mysteriös“ bedeutet: „Die sinnliche Erfahrung ist vollkommen. Erst durch das Wort wird sie verkleinert.“ Es folgt die Erkenntnis, dass man der Komplexität einer Welt begegne, indem man sie verkleinere und verallgemeinere: „Wenn wir Fragen stellen, haben wir meist die Antworten schon im Sinn“. Die Gruppe zerfällt schließlich, einer nach dem anderen verlässt den Raum durch die Türe. Was dann folgt, weiß niemand.

Persönlichkeit und Selbstbild des Deutschen sind anders als das der Menschen in Südostasien, aus westlicher Perspektive werden die dortigen Denkstrukturen rasch abgewertet. Japaner denken auch oft nicht in Globalisierungszusammenhängen, sondern stehen in einem konkreten Verhältnis zu den Problemen. Das hätte auch die Inszenierung noch deutlicher herausarbeiten können. Doch viele Details treten szenisch klar und deutlich hervor. Der Autor möchte sich aber anderen Denkstrukturen öffnen – christliche Metaphysik soll nicht gegen östliche Anschauungen ausgespielt werden. Die Integration innerhalb der Gruppe scheitert bei dieser Japan-Reise aber trotzdem. Harmonie und Freiheit bleiben auf der Strecke. Außerdem wirkt das Sprechtheater von Stockmann zuweilen auch hölzern, erst allmählich gewinnen die Personen eine ungeahnte Lebendigkeit. Daran haben die durchweg überzeugenden Schauspieler an diesem Abend großen Anteil. Der begeisterte Schlussapplaus des Publikums war ihnen deswegen sicher. Dies schloss die schlichte Musik von Franz Schubert mit ein. 

Alexander Walther

LINZ/Landestheater – Black-Box/ „Oper am Klavier“: CLYTEMNESTRE von André Wormser

$
0
0

Bildergebnis für andre wormser
André Wormser (1851-1926)

Linz: Reihe „Oper am Klavier“: „Clytemnestre“ von André Wormser (Premiere: 31. 1. 2019)

Die am Musiktheater Linz in der vergangenen Spielzeit eingeführte Reihe „Oper am Klavier“, die in Österreich bis dato unbekannte Werke in der Blackbox-Lounge zeigte, wurde erfreulicherweise nun auch in dieser Spielzeit fortgeführt. Nach einer Purcell-Oper im Dezember, die ich leider durch das Zug-Unglück zwischen Hauptbahnhof und Wien-Meidling am 20. 12. 2018 versäumte, kam am 31. 1. 2019 die Scène lyrique „Clytemnestre“ von André Wormser in französischer Sprache zur Aufführung. Man hatte dieses Werk als Ergänzung zur Oper Elektra von Richard Strauss gewählt, die am 6. Februar am Musiktheater Linz Premiere hat, wie der Dramaturg Christoph Blitt als Moderator des Abends erwähnte.

Seine Moderation vor und während der konzertanten Aufführung war sehr humorvoll gehalten. Allerdings konnte er über den französischen Komponisten nur wenig erzählen, ist er doch in den diversen Opernlexika überhaupt nicht präsent. André Wormser (1851 in Paris geboren, 1926 in Paris gestorben) war ein erfolgreicher französischer Bankier und nur nebenbei Komponist. Er studierte am Pariser Konservatorium bei Antoine François Marmontel und François Bazin. Mit seiner Scène lyrique „Clytemnestre“ über die antike mykenische Königin und Gattenmörderin Klytämnestra war er so erfolgreich, dass er 1875 mit dem Rom-Preis ausgezeichnet wurde – die höchste Anerkennung, die das damalige musikalische Frankreich zu vergeben hatte!

Die Sopranistin Svenja Isabella Kallweit in der Rolle der Klytämnestra bestach auch durch ihre Mimik, neben ihr der koreanische Tenor Jin Hun Lee (Copyright: Philip Brunnader)

Die musikalische Leitung des Werks hatte der italienische Pianist Tommaso Lepore inne, der am Klavier die romantische Partitur des Komponisten auf gekonnt-subtile Art wiedergab und dabei auch die Einsätze für das kleine Sängerensemble mit großer Gestik gab. In der Titelrolle überzeugte die junge deutsche Sopranistin Svenja Isabella Kallweit sowohl stimmlich wie auch durch ihre Mimik. Als Ägisthus (Égisthe) wirkte der südkoreanische Tenor Jin Hun Lee anfangs ein wenig nervös, konnte aber später an Sicherheit gewinnen. Den stärksten Eindruck hinterließ der österreichische Bass Michael Wagner als Agamemnons und Klytämnestras Sohn Orest (Oreste). Mit seiner sonoren Stimme, die stets die Stimmungen des rächenden Sohnes wiederzugeben wusste, begeisterte er das Publikum. Mit Orests Flucht vor den Erinyen, den Rachegöttinnen der Unterwelt, endete die konzertante Aufführung.

Der lang anhaltende Beifall des Publikums am Schluss bewies, dass diese Reihe Oper am Klavier im Musiktheater Linz gut aufgenommen wird. Man darf auf die beiden nächsten Raritäten gespannt sein: Operette „Pfälzer Musikanten“ von Hans Striehl (12. und 18. April) und „Dinorah“ von Giacomo Meyerbeer (22. Juni und 3. Juli).

 

Udo Pacolt

 

 

WIEN / Volx: DER WATSCHENMANN

$
0
0


Foto: Volkstheater

WIEN / Volkstheater in Volx/Margareten:
DER WATSCHENMANN
Nach dem Roman von Karin Peschka
Uraufführung
Premiere: 31. Jänner 2019

Angeblich haben wir die fünfziger Jahre unserer Geschichte vernachlässigt. Haben bestenfalls das Wirtschaftswunder und die Nierentische gesehen, aber nicht das Elend der Besatzungszeit. Das Warten auf die Heimkehrer. Die Verzweiflung unter der hektischen Fröhlichkeit. Der Krieg, der noch in allen steckte. Weil die Oberösterreicherin Karin Peschka, Jahrgang 1967, das in ihrem Debütroman „Watschenmann“ behandelte, galt sie als Entdeckung des Jahres 2014. Nun hat Regisseurin Bérénice Hebenstreit versucht, dem Roman im Volx/Margareten Bühnenleben zu verleihen.

Es ist ja nicht nur Realismus, was die Autorin beschwört – ja, in den Nebenfiguren, die vollmundige Hure Lydia, die auf den Exfreund wartet, um mit ihm die Schusterwerkstatt aufzumachen; der gestrandete Tscheche Dragon, der bei ihr bleibt in der Hoffnung, der Vermisste käme nie wieder, und der Gutes tut; und auch der US-Soldat Elmar, der Mitleid mit den Elendsgestalten hat.

Im Zentrum steht, als gleichnishafter, gänzlich unrealistischer Ideenträger ein gestörter Jugendlicher namens Heinrich, von dem man nicht weiß, ob er der Sohn eines ehemaligen SS-Manns ist oder vom Spiegelgrund kommt. Einer, der wie ein offenes Messer durch die Welt rennt und die Menschen aggressiv angeht, in der Hoffnung, sie mögen ihn schlagen. Watschenmann will er sein, damit seine Mitmenschen das Böse aus sich herausholen und in ihn hineinprügeln können… Eine hoch literarische Idee, die sich mit Sicherheit besser liest als ansieht.

Auf der Bühne gibt das eine Menge Gebrülle und Brutalität, und solche Spekulationen zielen meist ins Leere, weil der Zuschauer sich aus Selbstschutz zurückzieht. Er kann diesen Heinrich weder verstehen noch Mitleid empfinden. Er möchte nur von ihm und seinen spezifischen Problemen befreit werden…

Aber dazu muss man die von Bérénice Hebenstreit ins Volx gestellten eineinhalb düsteren Theaterstunden durchleiden, auf weitgehend leerer Bühne. Böses wabert in der Luft, und dass die Darsteller – Katharina Klar (klar und scharf und wüst verzweifelt), Birgit Stöger (so laut, dass man immer nur zusammenzucken kann), Rainer Galke und Sebastian Klein (in verschiedenen Rollen meist gute Menschen) – Meisterleistungen liefern, hilft nicht viel.

Hat man am Ende über die fünfziger Jahre reflektiert? Und wenn ja, mit welchem Ergebnis? Dass sie schlimm waren, konnte man sich schon vorher sagen. Es ist schwer, aus diesen eineinhalb bösen Stunden eine positive Nutzanwendung mitzunehmen.

Renate Wagner

MÜNSTER/ Theater: STREET SCENE – amerikanische Oper auf deutsch von Kurt Weill

$
0
0


Foto: Oliver Berg

Münster Theater  –  Weill – Street Scene –   amerikanische Oper auf deutsch

 Premiere 22. Dezember 2018 – besuchte Aufführung 31. Januar 2019

 Als amerikanische Oper bezeichnete der 1935 in die USA emigrierte Kurt Weill seine musikalische Mischung aus europäischer Oper und Broadway-Musical namens Street Scene auf einen Text von Elmer Rice.  Bei uns eher selten aufgeführt, ist Street Scene jetzt am Theater Münster unter der musikalischen Leitung von Stefan Veselka in der Inszenierung von Hendrik Müller zu erleben. Die gesprochenen Texte hörte man in einer teils vulgären deutschen Übertragung von Stefan Troßbach, die von Langston Hughes gedichteten Songs bis auf ganz wenige Ausnahmen trotz Übertiteln ebenfalls auf Deutsch, da wäre die Original-Sprache passender gewesen.

Amerikanisch ist gleich der Schauplatz beider Akte, die Strasse vor einem Multi-Kulti Mietshaus in Manhattan an einem heissen Sommerabend, der folgenden Nacht und dem nächsten Tag. Die Hitze beklagte dann auch gleich zu Beginn ein Ensemble mehrerer Klatschweiber  – bei jetzigem Wetter in Münster kaum nachzuvollziehen, wohl auch nicht am Tag der Uraufführung, nämlich im Januar 1947 in einem Broadway-Theater in New York

Die Bühne  (Rifail Ajdarpasic) wurde begrenzt links durch einen Verkaufswagen (Drugstore), rechts durch eine Bushaltestelle mit der beleuchteten Überschrift NOTHING –  solche überflüssigen geschriebenen Belehrungen des Publikums sind ja heute üblich. Ihren ganz besonderen Reiz erhielt die Aufführung durch den Bühnenhintergrund. Die Fassade des Mietshauses lag auf dem Bühnenboden und wurde durch einen riesigen Spiegel auf die Rückseite projeziert. Wenn Mitwirkende sich jetzt auf den Stegen über dem Bühnenboden oder auf diesem bewegten, erhielt der Zuschauer den Eindruck, sie hingen, kletterten oder tanzten  an der Fassade auf und ab und hin und her. Ein bemerkenswerter Blickfang, an den man sich allerdings nach der Pause etwas gewöhnt hatte.

Grosse Gefühle in europäischer Operntradition zeigten  in diesem Rahmen die Schicksale der Familie Maurrant, Vater Frank, seiner Frau  Anna, ihrer Tochter Rose und deren Verehrer Sam Kaplan. Deshalb gab es für diese im ersten Akt jeweils eine Art Auftrittsarie:

Mit fast schon hochdramatischem Sopran  beklagte Kristi Anna Isene  als Anna Maurrant ihr trauriges Leben mit ihrem gefühllosen Mann und das Scheitern alle ihrer Jugendträume. Versuch eines Ausbruchs aus diesem tristen Leben war ihr Verhältnis zum Milchmann Sankey,  (stumme Rolle Jörn Dummann) über das die Klatschweiber sich mokierten und das ihr brutaler häufig besoffener Ehemann Frank wohl ahnte. Ganz gegensätzlich weich und gefühlvoll klang ihre Stimme, als sie vom Stolz auf ihren jüngeren Sohn Willie  (Philipp van Bebber) sang. Mit gewohnt grosser Bariton-Stimme, aber vielleicht etwas  zu wenig Schärfe darin, schilderte Gregor Dalal dessen Lebensauffassung, alles solle wieder wie früher werden, es der fehle der heutigen Jugend an Ordnung und Disziplin, bekannte Behauptungen! Im zweiten Akt ertappte er seine Frau mit dem Milchmann  und erschoß sie.auf der Strasse vor dem Haus, wegen des nur projezierten Mietshauses konnte man dieses ja nicht betreten. Ganz entgegengesetzt zu seinem früheren Verhalten bedauerte Frank später in  jetzt sehr gefühvollem mitleidigem Legato den Tod seiner Frau, die er doch auf seine Art geliebt hatte.

Mit lyrischem leuchtendem Sopran, wenn passend sehr legato und auch zurückgenommen zum p, träumte  Kathrin Filip als Tochter Rose vom besseren Leben  und grosser Liebe. Diese erwartete sie zu Recht nicht von ihrem geilen Chef, der ihr gegen die bekannten Gefälligkeiten eine Karriere im Show-Business versprach  –  den sang mit  schleimigem Timbre und spanischem Akzent  Juan Sebastián Hurtado Ramirez.


Foto: Oliver Berg

Rose wird verehrt vom Sam Kaplan. Insbesondere mit zarten p- und langen Tenorkantilenen beklagte in dieser Rolle Garrie Davislim  als Bücher lesender Aussenseiter seine Einsamkeit inmitten der vielen Nachbarn, als sich diese zur Nacht zurückgezogen hatten.  Für seine geliebte Rose ließ er sich von einem anderen ihrer Verehrer sogar verprügeln. Rose tröstete ihn und im Schlußduett des ersten Aktes gestanden sich beide in einem Puccini-ähnlichen Duett ihre Liebe. In einem ähnlichen Duett im zweiten Akt – einem musikalischen Höhepunkt der Aufführung  – träumten sie, gemeinsam dem tristen Leben zu entfliehen.

Leider drängte die Regie diese leidenschaftliche Opern-Handlung etwas in den Hintergrund gegenüber den darin verwobenen vielen kurzen heiteren Szenen in amerikanischer Broadway- und Musical – Manier. Dazu trugen alle Bewohner des Hauses und entsprechend viele Mitwirkende bei – ausser den genannten grossen Partien wirkten über zwanzig Sängerinnen und Sänger mit, erstaunlich, daß Münsters Theater die alle aus dem Ensemble besetzen konnte.

Als Beispiele  seien genannt etwa der Hausmeister (Filippo Bettoschi), der zwar seinen Auftrittssong auf englisch singen durfte (I got a marble and a star) aber für die Rolle ganz unpassend als Conférencier (etwa ähnlich wie in Cabaret) kostümiert war (Kostüme Katharina Weissenborn)  Der Italiener Lippo Fiorentino spendierte bei der Hitze willkommene italienische Eishörnchen. (mit karikiertem italienischem Tenor Pascal Herington), was die Beschenkten zu einem kunstvollem Sextett zum Lob des Speiseeises veranlaßte.  Als aufgeregter Ehemann Daniel Buchanan, dessen Frau im Haus gerade eine Tochter gebar, besang Youn-Seong Shim als Clown gekleidet die Nöte des werdenden Vaters. Clownesk gekleidet mit entsprechender Frisur war auch Suzanne McLeod als Schwedin Olga Olsen, die mit mit umgehängtem gewickelten Baby  im Trippelschritt über die Bühne tänzelte.

Grossen Eindruck beim Publikum hinterliessen die Musical-Darsteller Kara Kemeny und Jendrik Sigwart als Mae Jones und ihr Freund Dick, die nicht nur englisch singen durften (Moon-faced, starry eyed), sondern auch unglaublich akrobatisch auf der schwierigen Bühne einen schnellen jitterbug  unterbrochen durch einen langsamen Blues tanzten. (Choreografie Andrea Danae Kingston)  Nach Anna Maurrants Ermordung suchten zwei Kindermädchen mit ihrem Kinderwagen klatschsüchtig nach dem Unglückshaus und sangen für ihr Baby Schlaf Kindchen schlaf  unterbrochen von höhnischen Bemerkungen über Ehe- und Familienleben (Melanie Spitau und Christina Holzinger)

Willkommene Abwechslung bereitete der Auftritt des Kinderchors gedrängt hinten auf der Bühne (Einstudierung Claudia Runde),  der  gegen die herrschende Hoffnungslosigkeit ansang.

Wegen Platzmangels auf der engen Bühne mußte der Opernchor einstudiert von Inna Batyuk seitlich im dritten   Rang platziert singen, insbesondere einen Trauergesang für Anna Maurrant.

Jetzt wieder ernst machte zum Schluß Rose ihrem geliebten Sam klar, sie müsse nach dem Tod ihrer Mutter und der wahrscheinlichen Hinrichtung ihres Vaters als Mörder ihren weiteren Lebensweg ohne ihn suchen, ließ aber etwas Hoffnung auf besseres Leben durchhören. (ergreifendes p) Aber nicht damit endete die Oper, sondern mit dem Klagen der Klatschweiber über die Hitze vom Beginn – alles beim alten im Mietshaus!

Dirigent Stefan Veselka leitete überlegen und umsichtig das musikalische Geschehen und hielt erfolgreich den Kontakt zwischen dem grossen Ensemble auf der Bühne und dem Orchester. Zu Beginn noch etwas zögerlich klingend steigerte es sich  sowohl zu Puccini-ähnlichen rauschhaften Klänge als auch  teils schräg-jazzig klingenden  Tanzrhytmen. Vom Orchesterklang her war das Zwischenspiel zwischen der ersten und zweiten Szene des zweiten Aktes ein musikalischer Höhepunkt. Stellvertretend für andere Soli soll das der ersten Violine gelobt werden. Für die vom Orchester teils melodramatisch begleiteten Dialoge mag die Ausrüstung der Darsteller mit Microports nützlich gewesen sein.

Die  für einen verschneiten Winterabend recht zahlreichen Besucher spendeten Zwischenbeifall nach Solo-Arien, nach der grossen Tanzeinlage und Schlußbeifall mit einzelnen Bravos bis zum Schliessen des Vorhangs für diese sowohl Tragik als auch Komik darstellende Aufführung.

Sigi Brockmann 1. Februar 2019

 

 

 

 

 

ABU DHABI/ Vereinigte Arabische Emirate/Emirates Palace: DIE WALKÜRE

$
0
0


Veranstaltungshinweis, Foto: Klaus Billand

ABU DHABI/VEREINIGTE ARABISCHE EMIRATE: DIE WALKÜRE Pr. am 30. Januar 2019

Nun war es also endlich so weit: Nach einer laut dem – allerdings etwas im Ungefähren bleibenden – Programmheft viele Jahre dauernden Kooperation der Bayreuther Festspiele mit dem Veranstalter Abu Dhabi Classics erlebte der feudale Emirates Palace, ein absolutes Luxushotel im Emirat Abu Dhabi am Persischen Golf, das erste Gastspiel der Wagner-Festspiele außerhalb Deutschlands. Und das ausgerechnet in der arabischen Welt, wo die Oper an sich keinerlei Tradition hat und das Oeuvre Richard Wagners schon gar nicht. Aber warum nicht mal einen Versuch unternehmen?! Den thematisch universalen Wagner im interkulturellen Umfeld zu präsentieren war noch nie ein Fehler. Man denke beispielsweise nur an den Erfolg des „Ring“ von Aidan Lang in Manaus im brasilianischen Amazonien von 2002-2005, bei dem alle Vorstellungen ausverkauft waren.


Das Theater im Emirates Palace. Copyright: Manuel Vaca

Dabei war es am Golf nur ein Teil der „Walküre“, die man seit der UA in Bayreuth als das von Wagner erwünschte Gesamtkunstwerk spielt, bzw. zu spielen versucht. Denn der Tetralogie 1. Tag wurde laut Programmheft als semi-szenisch (semi-staged) gegeben. Solch halbszenische Produktionen konnten in letzter Zeit eigentlich immer wieder als eindrucksvolle Alternativen zu kompletten Inszenierungen erlebt werden. Denken wir nur an den Schörghofer-„Ring“ im Palast der Künste (MÜPA) während der Budapester Wagner-Tage unter Ádám Fischer (der im Juni überarbeitet wieder zweimal kommen wird), und einige andere Bühnen, die sich einen voll inszenierten „Ring“ nicht leisten können oder wollen, das opus summum des Bayreuther Meisters aber ihrem Publikum nicht vorenthalten möchten. Was war also wirklich Bayreuth von dieser Aufführung?


Catherine Foster, Egils Silins, Markus Poschner. Copyright: Manuel Vaca

Zunächst sind einmal die hervorragenden Sänger zu nennen, die in der Tat in Bayreuth zum Stammpersonal gehören, allen voran Catherine Foster als Brünnhilde und Stephen Gould als Siegmund. Beide leisteten an diesem Abend ganz Außerordentliches. Foster scheint mit ihrer Kunst momentan im Zenit zu stehen. Schöner, klangvoller, runder und engagierter kann man die Brünnhilde kaum singen, wenn man mal nicht gleich an Vorbilder wie Birgit Nilsson denken will, die freilich auch ein ganz anderes Timbre hatte. Schon Fosters Hojotoho beindruckte durch seine gesangliche Struktur bei gleichzeitig guter Attacke. Ihr hochdramatischer Sopran verfügt über enorme Stabilität in allen Lagen. Die Höhen kommen problemlos aus der gesanglichen Struktur heraus, ohne je grell zu werden – und nie wirkt etwas aufgesetzt. Dann die verinnerlichten lyrischen Momente wie bei „Der diese Liebe mir ins Herz gehaucht, …“ sowie das kaum enden wollende crescendo auf „tro—tzt‘ ich deinem Gebot.“ in derselben Phrase. Das waren Höhepunkte ihrer Darbietung und des gesamten Abends. Es ist mir weiterhin schleierhaft, warum diese Sängerin, die seit Beginn der Castorf-Inszenierung in Bayreuth dort alle Brünnhilden gesungen hat und damit die einzige war, die unter den Protagonisten – völlig zu Recht – nicht ausgewechselt wurde, diese Rolle noch nicht an der Wiener Staatsoper sang, wo doch eigentlich die besten ihres Fachs auftreten sollten. Dort wird dem Wagner-Publikum ohne Not etwas vorenthalten.

Stephen Gould konnte ebenfalls einnehmend seinen kernigen, so herrlich auf profunder baritonaler Basis aufbauenden Heldentenor erklingen lassen. Auch wenn er ihn zuletzt kaum gesungen hat, scheint ihm der Siegmund weiterhin bestens zu liegen, kommen hier doch auch viele lyrische Momente zum Tagen, die er trotz aller dramatischen Ausbrüche zu gegebener Zeit mit schöner Facettierung gestaltet, wie beispielsweise den „Wonnemond“ und in der Todverkündigung Brünnhildes. Seine stimmliche Ausnahmeleistung krönte Gould mit herrlich lang gesungenen Wälse-Rufen und einem strahlend blühenden „Wälsungenblut“. Auch kommt dieser Sängerdarsteller selbst in einer konzertanten Aufführung noch außerordentlich sympathisch herüber. Hoffentlich bleibt uns Steffen, wie er sich selbst gern nennt, noch lange für die beide großen „S“ im „Ring“ erhalten und konzentriert sich nicht nur auf den Tristan, den er ebenfalls praktisch konkurrenzlos auf diesem hohen Niveau singt. Aber auch auf seinen Tannhäuser in Bayreuth diesen Sommer kann man sich schon jetzt freuen. Beide waren Bayreuth at its best!


Egils Silins. Copyright: Manuel Vaca

Und dann gab es mit dem altgedienten Wagnersänger Albert Dohmen bei dieser Gelegenheit sogar noch ein Rollendebut. Denn er sang den Hunding zum ersten Mal, und zwar mit seinem markigen, perfekt geführten und resonanzreichen Bassbariton hervorragend. Dass er nach seinem erfolgreichen, aber auch nicht unbedingt erwarteten Alberich im Bayreuther Castorf-„Ring“ noch zum Hunding kommen würde, zeigt die Vielseitigkeit und das große Potenzial dieses verdienten Sängers. Der vierte unter den ganz Großen dieses Abends und in Bayreuth derzeit nur mit dem Heerrufer in der neuen „Lohengrin“-Produktion betraut, war der Lette Egils Silins mit einem kraftvollen und sehr gut phrasierenden Bassbariton für den Wotan. Das Timbre passt bestens zur kämpferischen Seite des „Walküre“-Wotans, und seine Stimme verfügt auch über die entsprechende Ausdrucksstärke und Resonanz. Meines Erachtens ist sie über die vergangenen Jahre seit seinem Essener Wotan auch größer geworden. Auch Silins durften wir in Wien aufgrund des Wiener „Stamm-Wotans“ noch nicht erleben. Vielleicht kommt das ja noch. Die mit einem vollen Mezzosopran kraftvoll singende Christa Mayer, ebenfalls schon jahrelang in Bayreuther Diensten, vervollständigte mit ihrer Fricka und der Schwertleite das auf Spitzenniveau singende bisher genannte Ensemble.

 Daniela Köhler, die in Bayreuth im letzten Sommer die Brünnhilde in dem gut gelungenen Kinder-„Ring“ von Katharina Wagner sang, trat diesmal als Sieglinde auf und fiel mit ihrer gesanglichen Leistung doch signifikant ab. Ihr relativ schmaler Sopran liegt, gerade für die mit einer tieferen Tessitura ausgestattete Sieglinde, sehr hoch und neigt damit in den dramatischen Phasen, und derer gibt es ja viele bei dieser Rolle, zu einer unüberhörbaren Grellheit, die beizeiten gar störend wirkte. Auch sang Köhler oft einfach nur zu laut, wo eine gefühlvollere Phasierung im Hinblick auf den emotionalen Gehalt der jeweiligen Aussage wünschenswert gewesen wäre. Unter dem insgesamt sehr guten Walküren-Oktett überzeugten besonders Caroline Wenborne mit ihrem kraftvollen Sopran und guter Attacke als Gerhilde sowie Brit-Tone Müllertz als Helmwige. Unter den Mezzo-Stimmen gefielen besonders die ja erst spät zum Tross stoßende rauchig stimmige Edna Prochnik als Grimgerde, noch in diesem Januar eine starke Herodias in Tel Aviv, sowie Mareike Morr als Waltraute. Die ebenfalls Bayreuth-erfahrene Christiane Kohl sang die Ortlinde, Eliska Weissová die Rossweiße und Julia Faylenbogen die Siegrune.

Wiederum laut Programmheft hatte man das gesamte Bayreuther Festspielorchester in Abu Dhabi versammelt, was etwas überraschen musste, da doch die Musiker mitten in der Saison ihren jeweiligen Orchestern fehlen könnten. Aber meine diesbezügliche Nachfrage bei einem Hornisten bestätigte die Präsenz dieses wunderbaren Klangkörpers, der natürlich auf der Bühne des Theaters des Emirates Palace nicht den magischen Klang erzeugen konnte wie im abgedeckelten Graben, dem mystischen Untergrund des Bayreuther Festspielhauses. Gleichwohl gelang unter dem zupackenden Dirigat des Linzer GMD Markus Poschner, der recht kurzfristig für einen anderen Dirigenten eingesprungen war, eine musikalisch einnehmende „Walküre“. Im 1. Aufzug schienen mir die Tempi bisweilen etwas zu gedehnt, was sich aber mit einem beherzten Einstieg in den 2. Aufzug schnell vergessen ließ, zu dessen Beginn Wotan seine ausgelassene Lieblingstochter ja in einem wilden Felsengebirge trifft.

Womit wir bei der Bebilderung wären und damit bei dem, was die Regisseurin Katharina Wagner dazu bewog, diese Produktion halbszenisch zu nennen. Und das hatte nun relativ wenig mit Bayreuth zu tun. Denn hinter dem Orchester an der Wand prangte eine große Leinwand, auf der den ganzen Abend über ein stummer Film mit unbekannten Schauspielern (keine Nennung im Programmheft, sie hätten es verdient gehabt!) in Zeitlupe lief, wohl um eine gewisse, durchaus im Sinne der Handlung sinnmachende Überhöhung des optischen Geschehens zu erzielen. Es gab übrigens keine Übertitelung, wohl auch aufgrund der filmischen Darstellung des Gesungenen, möglicherweise aber auch wegen des dann notwendig werdenden arabischen Textes, der möglicherweise nicht ausreichend synchron gewesen wäre. Das sah zunächst alles ganz interessant aus. Gerade die Flucht Siegmunds schwitzend vor Angst durch den Wald, die Holzhütte Hundings, in die er gelangt. Zunächst erinnert sie an jene des Castorf-Bühnenbildners Denic im letzten  Bayreuther „Ring“, entpuppt sich dann aber als eine einfache Waldhütte an einer Lichtung, auf die die Geschwister schließlich mit dem Schwert fliehen. Großer Wert wurde auf eine fein zeichnende und somit emotionsgeladene Mimik der Schauspieler gelegt, was sich insbesondere in der behutsamen zärtlichen Annährung der beiden Geschwister zeigte.

Besonders starke Momente schienen mir einige Retrospektiven zu sein, wie das „Hochzeitsfest“ Hundings mit der unglücklichen Sieglinde, wo natürlich zünftig die Krüge gehoben werden und auf einmal Wotan mit Augenklappe und Speer im Hintergrund auftaucht. Fast genau zu dem entsprechenden Punkt in Sieglindes Erzählung sieht man ihn dann kraftvoll das Schwert in den Stamm stoßen. Das hatte schon was, und das könnte man auch mal so inszenieren. Plamen Kartaloff hat einiges davon in seiner Sofioter „Walküre“ retrospektiv ähnlich bereits gebracht, u.a. auch den Kampf zwischen Tristan und Morold noch vor Beginn des Vorspiels zum 1. Aufzug. Auch die Auseinandersetzung zwischen Wotan und Fricka im mondänen schneeweißen Pelz mit Kapuze im Felsengebirge hatte gewisse optische Reize, auch wieder durch die Mimik der beiden verstärkt.

Die Spannung des Films ging aber im 3. Aufzug schnell verloren, als er einfach nicht imstande war, die Dynamik der Wotan-Walküren-Szene und der Auseinandersetzung zwischen Wotan und Brünnhilde zu zeigen. Und da komme ich wieder zur Rolle der vorn an der Rampe, und zeitweise viel zu weit außen stehenden Sänger, die alle ohne Notenpulte sangen. Ihnen wurde offenbar aufgetragen, keinerlei Emotionen zu zeigen, da diese allein durch den Film vermittelt werden sollten. Hierin sollte sich wohl die szenische Komponente offenbaren. Also singen, ohne jedes körperliche oder mimische Engagement, letztlich nur als Stimmgeber für den Film? Das geht meines Erachtens nicht. Erstens sind die Sänger mit dem Orchester die bedeutendste Komponente jeder Opernaufführung, und zweitens kann man in ihrem Gesang, selbst wenn man nicht jedes Wort versteht, nicht ohne entsprechende Mimik Sinn erkennen. Und dieser wird von Sängern in konzertanten Aufführungen und zumal ohne Notenpulte auch regelmäßig gezeigt, selbst wenn sonst kein anderes theatrales Medium hinzukommt. Wie kann man auch ein Phrase wie die Wotans „Und das ich ihm in Stücken schlug!“ oder jene Brünnhildes „Wer diese Liebe mir ins Herz gehaucht …“ ohne emotionalen Ausdruck und entsprechende Mimik singen?! Das wäre einfach unkünstlerisch. Gott sei Dank haben Egils Silins und Catherine Foster das im finalen Duett auch nicht getan. So wurde dies der Moment, in dem sich erstmals ein richtiges Operngefühl einstellte. Aber auch das berühmte „Hehrste Wunder“ sollte mit einem gewissen Ausdruck gesungen werden, egal ob hinten ein Film läuft oder nicht und beides zusammenpasst. Einzig Daniela Köhler schaffte es tatsächlich, diese Phrase wie auch ihren gesamten Vortrag nahezu emotionsfrei wie von der Stange zu singen. Ein so unterkühltes „Hehrstes Wunder“ habe ich noch nie gehört. Das wirkte bisweilen befremdlich, gerade bei einer Rolle wie der Sieglinde. Es wäre interessant zu wissen, ob Köhler auch anders kann. Ich glaube eher kaum.

Somit kann man den Versuch, mit einem filmischen Mittel dieser Art und Konsequenz für die Sänger, einem mit Richard Wagners Oeuvre noch nicht vertrauten Publikum oder aus anderen, vielleicht budgetären Gründen, seine Werke näher zu bringen, als wohl gescheitert ansehen, ähnlich wie das Experiment der Regisseurin Katharina Wagner 2012 am Teatro Colón in Buenos Aires, den „Ring“ auf 7,5 Stunden in einem Run zusammen zu kürzen. Der gute alte Richard hat schon gewusst, was er tat und warum er dafür fast 25 Jahre brauchte…

Interessant war schließlich auch das Publikumsverhalten. War das Auditorium mit seinen 1.100 Plätzen schon zu Beginn nur zu höchstens drei Viertel besetzt, kam ein beträchtlicher Anteil des Publikums zum 2. Aufzug nicht mehr zurück. Einen höflichen Applaus gab es nach beiden Aufzügen. Die zunehmende Leere im vorderen Parkett machte es so auch möglich, nach vorn zu kommen, wo die Akustik wesentlich besser war als in der hinteren sog. Gold-Sektion, in der ich mit meiner Kaufkarte zunächst saß, da ich keine Pressekarte bekommen konnte. Wegen des mit dicken Spannteppichen ausgelegten Auditoriums meinte man, das Orchester aus der Ferne gewissermaßen in Watte verpackt zu hören. Zum 3. Aufzug waren dann sogar in den anspruchsvoll Platinum- und Diamond genannten vorderen Zonen des Parketts nahezu komplett leere Sitzreihen zu sehen. Nur etwa ein Drittel des Auditoriums war da noch besetzt. Hier zeigte sich die Akustik dann aber von bester Seite. Eigentlich waren am Schluss die europäischen Besucher, viele Expats leben ja in den Emiraten, weitgehend unter sich und beklatschten vor allem die Sänger begeistert und auch stehend. Die Regisseurin zeigte sich nicht. Vielleicht sind viele der arabischen Besucher eben auch wegen der fehlenden Emotionalität, die bei der herrlichen Musik in Kombination mit dem Film nur begrenzt von den Sängern ausging und deshalb den Funken ins Publikum nicht überspringen ließ, vorzeitig gegangen.

Klaus Billand

Fotos von Klaus Billand:


Emirates Palace


Eingang zum Theater


Hotelhalle


Kuppel in der Halle

 


MÜNCHEN/ Gärtnerplatztheater: DREI MÄNNER IM SCHNEE. Revueoperette von Thomas Pigor. Uraufführung

$
0
0

München Gärtnerplatztheater: DREI MÄNNER IM SCHNEE. Uraufführung 31. Jan. 2019

Revueoperette von Thomas Pigor
Nach dem Roman von Erich Kästner
Musik K. Koselleck, Ch. Israel, B. Eichhorn, T. Pigor

Einlassungen vom Tim Theo Tinn

Aus der Zeit gefallenes Erlebnis!!! Perfekt!!! Zu Perfekt???

Bildergebnis für münchen gärtnerplatztheater 3 männer im schnee
Ensemble © Christian POGO Zach

Da steh ich nun – ich armer Thor … demütig kann ich mich mit Goethes Faustzitat nur vor dem Gesamtergebnis des Werkes und der Inszenierung verneigen. Welturaufführung einer Revueoperette von 2019 (!!!) nach Erich Kästners Roman (1934) von einem deutschen Kabarettisten, Liedermacher, Buchautor und Komponisten, in faszinierend rasant routinierter Screwball-Inszenierung durch den bewunderten Josef Köpplinger. Inhalte, Optik, Akustik, Protagonisten auf und hinter der Bühne, im Orchestergraben – es scheint nichts Besseres möglich – perfekt.

Hinderlich war lediglich der Rezensent selbst. Kopflastige Vorbereitung in dramaturgischem Eifer: satirischer Erfolgsroman, skurril-spritzige Revueoperette? Kann man heute noch eine neue Operette schaffen – in welchem Zeitgeist? Kabarettist, Liedermacher und der Moralist Kästner?

Es gibt nichts Gutes – Außer man tut es? Was sagt uns Kästners geflügeltes Wort? Nichts Gutes – keine Werte? Das kann ja tiefenpsychologisch werden. Verwechslungskomödie mit vielen Missverständnissen: Klamotte?

Kästners heiterer Roman (1934) in der Verfilmung von 1955 soll wenig gemütvoll, eher klamaukhaft sein und der Film von 1974 noch schlechter und verlogener?      

Inhalt, Besetzung, Fotos, Hörprobe: https://www.gaertnerplatztheater.de/de/produktionen/drei-maenner.html

Der Rezensent hat vor Jahren mit kritisch, kabarettistisch-satirischen Werken aus den dreißiger Jahren von Spoliansky (Revue, Burleske, Oper, Musical) gearbeitet und auch die Buffa von Kurt Weil „Der Zar läßt sich fotografieren“ von 1928 umgesetzt. Geht es in Richtung des „Kabaretts der Komiker“ (1924 – 1944) mit der ersten Kabarett-Oper „Rufen sie Herrn Plim“/Spoliansky1932?


Laura Schneiderhan, Maximilian Berling, Florian Sebastian Fitz, Susanne Seimel, Erwin Windegger, Dagmar Hellberg Katharina Wollmann, Alexander Moitzi, Florine Schnitzel © Christian POGO Zach

Die Erwartung war unkonkret: ein humoristisch – satirisches Musiktheater mit kabarettistischen Seitenhieben?

Das war es alles nicht. Es war die pralle Komödie einer Parabel von Reich und Arm und der Macht des Geldes, die Moral und ethische Grundsätze punktuell berührte, im Wesentlichen aber eine überdrehte klassische Revue mit überkommenen Showeffekten,  temporeicher Choreographie und dialogischen Einschüben, die auf flustrative Unterhaltung und nicht auf erdschwere Dramatik setzte.  „Dem Affen konnte überschäumend Zucker geben werden“. Die emotionale Berührungstiefe setze ich mit dem Erleben einer guten „weißen Rössel“-Inszenierung an.

 
Ensemble © Christian POGO Zach

Der sarkastisch – politische Kästner wurde weniger bedient. Unoutriert wurde geblödelt, dem Nonsens gefrönt, Klamauk und Komik zwischen bester Screw-Ball-Manier (s. https://de.wikipedia.org/wiki/Screwball-Kom%C3%B6die )  und z. B. Klim – Bim (Sketsch-TV – Format bis 1979). Natürlich sind da manche Plattheiten, diese aber immer mit feinster Delikatesse.

Der Autor T. Pigor: Operette, Musical, Jazzoper …… die Grenzen sind fließend, Definitionen schwammig. Wie auch immer … es handelt sich um unterhaltsames Musiktheater. Musikalische Sprache ist in den 1930 er Jahren verortet, musikalische Elemente wie im „Weißen Rössel, den Ufa-Schlagern, Swing- Nummern, Tango (großartiges Kabinettstückchen schwulen Liebeswerben), Oriental-Parodie, Wiener Lied, Anklänge  zum Arbeiterlied, ernster Musik und Jazz.

Beispiele von Texten zu sozialen/politischen Eínschüben, die im rasanten Treiben Beiwerk blieben: „Arbeitgeber drücken dich im Lohn. – Er liegt seiner Mutter auf der Tasche, hält sich selbst für eine Flasche.- Das sind keine Nazis, das sind alles Österreicher. – 1933 (Beginn Nazideutschland) wird ein gutes Jahr.- Sind sie etwa religiös? Usw.“

Faszinierend erscheinen die 4 Komponisten, deren Ergebnis an eine Zeitreise erinnert. Das musikalische Kolorit der Neukompositionen wirkt nostalgisch in aller Vielfalt tatsächlich den 30’ern des letzten Jahrhunderts entnommen, vieles in Gassenhauer-Qualität. Bewundernd muss man das wundervolle musikalische Arrangement einer Gesamtheit aus 4 Kompositionen nennen. Das ist alles aus einem Guss.

Ebenso wirkt die gesamte Optik der Bühne und Kostüme hervorragend stimmig geradezu einem damaligen Ufa- Film entnommen. Außerordentlich gut sind die vielen Szenenwechsel auf offener Drehbühne ohne Unterbrechung gelungen.

Über 20 solistische Partien sind frappierend ideal besetzt, da stimmt alles, es wird gesungen, gespielt und getanzt, als wenn es die vitale lebendige Parallelwelt eines idealen Wolken- kuckucksheim sei und keine einstudierte Musiktheaterinszenierung. Dies gilt auch für Chor und Statisterie. 

Das Orchester mit Saxophon, Zither, Banjo u.a. ergänzt, bildet mit Allem eine nahezu verwobene Einheit zu einem Theater-Erlebnis der leichten Muse im besten Sinn.

Nostalgie oder Zeitreise – sind wir hier noch in 2019 oder aus der Zeit gefallen?

Das Gärtnerplatztheater hat eine Mammut – Aufgabe in jeder Hinsicht überragend gelöst. Erfreulich wurde dem theatralen deutungslastigen Zeitgeist entgangen.

Tim Theo Tinn berichtet aus dem Gärtnerplatztheater, München 1. Febr. 2019

Profil 1,5 Jahrzehnte Festengagement Regie, Dramaturgie, Gesang, Schauspiel, auch international.  Dann wirtsch./jurist. Tätigkeit, nun freiberuflich: Publizist, Regie, Dramaturgie etc. Kernkompetenz: Eingrenzung feinstofflicher Elemente aus Archaischem, Metaphysik, Quantentheorie u. Fraktalem (Diskurs Natur/Kultur= Gegebenes/Gemachtes) für theatrale Arbeit. (Metaphysik befragt sinnlich Erfahrbares als philosophische Grundlage schlüssiger Gedanken. Quantenphysik öffnet Fakten zur Funktion des Universums, auch zu bisher Unfassbarem aus feinstofflichem Raum. Glaube, Liebe, Hoffnung könnten definiert werden).

 

 

 

 

 

 

WIEN / Volkstheater: BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER

$
0
0

 
Foto: lupispuma_com/Volkstheater

WIEN / Volkstheater:
BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER von Max Frisch
Premiere: 1. Februar 2019

Dafür, dass es (neben „Andorra“) das berühmteste Stück von Max Frisch ist, mehr noch, eines der berühmtesten deutscher Sprache überhaupt, wird „Biedermann und die Brandstifter“ in Wien kaum je gespielt. Zuletzt 2002, damals auch im Volkstheater, mit dem unvergessenen Toni Böhm als Biedermann. Günter Franzmeier, der heute in der Titelrolle zu sehen ist, war damals unter den Brandstiftern zu finden… Das Stück, das kurz genug ist, dass Frisch es für die Züricher Uraufführung 1958 (mit Gustav Knuth, Ernst Schröder und Boy Gobert)  mit dem Einakter „Die große Wut des Philipp Hotz“ zusammenspannte, dauerte 2002 gerade 80 Minuten. Regisseur Viktor Bodó hat die Spieldauer diesmal auf 100 Minuten gestreckt – ob all der Jokus, der die politische Parabel in eine Show verwandelt, mit riesig aufgeblähten Opern- oder Pop-Zitaten, mit Kinoszenen- oder Sporteinlagen, nur der Verlängerung dient, ist schwer zu sagen.

Dass das Volkstheater alles tut, um Aufmerksamkeit zu erregen, steht fest – vor der Vorstellung brannten riesige Feuer vor den Haus, Feuergarben schossen vom Balkon in den Himmel, das gab vielleicht einen Hintergrund für die zahllosen Selfies ab! Im Haus dann eine Aufführung, die von Anfang an parodistisch erschien – aber Max Frisch hat den „Chor“, den er aus der Antike paraphrasierend hier eingebracht hat, ja auch nicht ernst gemeint. Nichts dagegen zu sagen, zumal sich (Bühne: Juli Balázs, Kostüme: Fruzsina Nagy) ein fünfziger Jahre-Ambiente eröffnet, das die Bürger, die Max Frisch seinerzeit gemeint hat, in einen überzeugenden Rahmen stellt: So deutlich sind die „Bourgeois“ in unseren heutigen Designs ja nicht mehr auszunehmen…

Wenn Frisch sein Stück „ein Lehrstück ohne Lehre“ nannte, ist es die reinste Koketterie. Deutlicher konnte man es den Durchschnittsmenschen nicht sagen, dass sie an allem selbst schuld sind, was politisch bei ihnen passiert. Herr Biedermann lässt teils naiv, teils dumm, teils auch irgendwie zu höflich und zu gut erzogen, jedenfalls bar jeder Weit- und Einsicht, jene Männer in sein Haus herein, die seinen Untergang beschlossen haben, er nickt auch noch, wenn sie die Benzinfässer hereinrollen, er gibt ihnen am Ende sogar das Streichholz…

Als das Stück uraufgeführt wurde, tobte der Kalte Krieg und man sah nur die Kommunisten kommen. Frisch selbst hatte durchaus die Nazis gemeint. Auch das Volkstheater meint natürlich die „Rechten“. Sollten sich diese in die Aufführung verirren, werden sie das Gleichnis auf andere Ankömmlinge umlegen können und meinen, dass man den eigenen Untergang willentlich-wissentlich herbei beschwöre… Ist das nicht fabelhaft, dass eine politische Parabel in jede Richtung hin passt?

Regisseur Viktor Bodó lässt sich – und das ist dankenswert – auf keine politische Zielrichtung ein. Allerdings stellt sich bald heraus, dass er der Aussagekraft der Geschichte nicht traut oder sie auch nicht so wichtig findet, anders lässt sich das dauernde Gleiten in Verfremdung und Albernheit nicht erklären. Das ist brillant gemacht, keine Frage, hat aber mit dem Stück nichts zu tun, an dem einiges verfremdet ist (Witwe Knechtling, die nur kurz vorgesehen ist, krallt sich beharrlich in das Geschehen) und so manches verändert wird. Nachspiel gibt es keines. Auch keine große Feuersbrunst am Ende. Aber die hat man beim Hereingehen schon gehabt.

Wenn es also (Komposition: Klaus von Heydenaber, Sounddesign: Gábor Keresztes) furchtbar viel „große Oper“ mit rauschender Musik gibt, dazu offenbar Pop-Zitate, bei denen sich ein jugendliches Publikum, das sie erkennt, zerkugelt, Filmzitate (was „Casablanca“ bei Herrn Biedermann zu tun hat?), Schattenrisse und Slapstick-Sportkunststücke… ja, das ist ja recht unterhaltend. Über die „Aussage“, die Frisch einst  doch gemeint hat, zerbricht sich bei so viel Ablenkung vermutlich niemand mehr den Kopf. Aber wenn sich herum spricht, dass es lustig ist, kommen vielleicht auch „Event“-Sucher in das Haus…!

Günter Franzmeier und Steffi Krautz würden auch in einer „echten“ Aufführung des Stücks prächtig für das knieweiche, leicht zu schreckende Biedermann-Ehepaar taugen, und solange sie nicht in exzessives Kreischen ausbrechen muss, ist Evi Kehrstephan ein ganz glaubhaftes Dienstmädchen. Thomas Frank (Schmitz), Gábor Biedermann (Eisenring) und Jan Thümer (ein Dr.phil.) sind schon von Anfang an so verdächtige Gesellen, dass sie wohl kaum über eine normale Schwelle kämen – aber je mehr der Abend aus den Fugen gerät, umso besser passen sie hinein. Claudia Sabitzer ist die in dieser Inszenierung beharrliche Witwe, die sich am Ende ein Dienstmädchengewand anzieht (wohl, damit sie dableiben darf, nachdem man ihren Mann in den Tod getrieben hat?), der Chor ist auf Nils Hohenhövel und Stefan Suske geschmolzen, wobei letzterer noch einen Polizisten spielt.

Letztendlich scheint die wilde Aufführung nur zu verkünden, dass man an das Stück nicht mehr glaubt. Aber warum spielt man es dann?

Renate Wagner

WIEN/ MuTH Konzertsaal der Wiener Sängerknaben: CARMINA AUSTRIACA“-Von der ältesten Musik Österreichs

$
0
0


Gerald Wirth, Wr. Sängerknaben, Chorus Juventus, Schubert-Akademie. Foto: Andrea Masek

WIEN/MuTh Konzertsaal der Wiener Sängerknaben: „CARMINA AUSTRIACA“-Von der  ältesten Musik Österreichs

1.2. 2019 – Karl Masek

Kantate nach Liedern des Mittelalters für Soli, Knabenchor, Chor und Orchesterin einer kammermusikalischen Fassung mit Tanz: So lautet der ausufernde Untertitel für „Carmina Austriaca“ von Gerald Wirth (Komponist und Arrangeur der Originalmusiken aus dem Mittelalter). Der am Mozarteum in Salzburg ausgebildete Michael Korth trug die ältesten Lieder aus Österreichs Früh- und Hochmittelalter zusammenund übersetzte sie behutsam in eine heute verständliche – und dabei poetisch bleibende Sprache. Walther von der Vogelweide, Oswald von Wolkenstein, Neidhart von Reuenthal oder der „Mönch aus Salzburg“ (hinter dem Pseudonym verbarg sich wahrscheinlich Erzbischof Pilgrim von Salzburg und er gilt auch als der Schöpfer eines der ältesten Weihnachtslieder, “Joseph, lieber Joseph mein…“):  Sie alle klingen sprachlich wie musikalisch verblüffend frisch, modern, geradezu heutig. Und sie waren gewiss „Pop-Barden“ ihrer Zeit …

„Carmina Austriaca“ sind eine Art Pendant zu Carl Orffs berühmten „Carmina Burana“ aus dem Jahr 1936. Natürlich gibt es viele stilistische Anlehnungen an das bayerische Vorbild mit den Minne- und Vagantenliedern aus Benediktbeuren. Und doch geht Gerald Wirth, der charismatische künstlerische Leiter derWiener Sängerknaben, in vielem eigene Wege. Dort wo Orff mit effektsicherer Pranke und lautstarker rhythmischer Verve auftrumpft und damit die Diretissima zu jubelnder Publikumsreaktion einschlägt (das funktioniert auch nach mehr als 80 Jahren immer noch), ist Wirth viel differenzierter. Seine musikalische Inspiration korrespondiert meines Erachtens nach sensibler mit den Textvorlagen. Die Musik dieser kammermusikalischen Fassung ist synkopenfreudig, rhythmisch vielschichtig wie der frühe Strawinsky mit häufigen Taktwechseln. Dabei aber kaum je „primitiv“ stampfend, sondern in den Effekten verhaltener. Schillernd in den Orchesterfarben, gekonnt in seiner Instrumentationskunst.

Die Hauptrolle spielt in dieser knapp zweistündigen Kantate mit 24 Nummern der Chor. Sowohl die Wiener Sängerknaben als auch der Chorus Juventus (das ist der gemischte Chor aller Schülerinnen und Schüler des Oberstufenrealgymnasiums der Wiener Sängerknaben mit Schwerpunkt Vokalmusik) haben dankbare Aufgaben, durchaus mit Schwierigkeiten gespickt. Klangnuancen werden beiden Chören abverlangt von aparter Farbigkeit, zärtlich-keuscher Filigranzeichnung – bis hin zu unverhohlener Erotik, suggestiv-rhetorischer Wucht. Großes Pauschallob!

Köstlich die 8. Kantate („Mittagsschlaf“, Mönch von Salzburg) mit nachweisbarem „Salzburger Ton“, den Michael Korth als leichten, fröhlichen alpenländischen Silberklang“ bezeichnet und den Wirth geradezu genial in „seinen“ Klang umsetzt. Da kommt sogar ein grotesk-tiefer Männerjodler vor – die Jünglinge aus der Oberstufe intonieren „Ho-e!“, so als hätte Senta im Fliegenden Holländer Stimmbruch. Wirklich witzig! Und die Trompete intoniert eine Art magisches Posthorn-Solo, man fühlt sich für Momente fast an Gustav Mahlers 3. Symphonie in der Attersee-Zeit erinnert…

Ja, und sonst der hurtige Wechsel von Minneliedern (Cornelia Horak fand mit ewigjungem silbrigem Sopran zu innigen, wunderschönen Gesangsbögen, Stefan Bleiberschnig beglaubigte mit schlankem, feingliedrigem Tenor die schüchternen Liebhaber) zu den Vagantenliedern der Carmina Burana-Sammlung (Irena Weber intoniert mit sinnlichem Mezzosopran das frivole Lied „Ein braves Mädchen war ich mal…“ mit den grundierenden lasziven  Posaunen-Glissandi samt frechen Xylophon-Einsprengseln)  sorgte für rasanten Ablauf des Abends. Aber auch der Lauf der Zeit, die Vergänglichkeit und Angst vor dem Altern wird besungen. Günter Haumer intonierte mit dunkel getöntem, mit Herbstfarben angereichertem Bariton sehr berührend Walther von der Vogelweides „Wohin sind sie verschwunden, alle meine Jahr…?“.


Tanzensemble „Das Collectif“, Wr. Sängerknaben. Foto: Andrea Masek

Die Tanzeinlagen bestritten Mitglieder des Orff-Institutes an der Universität Mozarteum. Die Gruppe Das Collectiv wurde von Lehrenden und Studierenden gegründet. Arbeitstänze, stilisierte Kampfszenen und Bilder des höfischen Lebens wurden gezeigt. Es war eine gut gelungene visuelle und moderne körpersprachliche Ergänzung (Choreographie: Irina Pauls).

Großartig, mit Totaleinsatz das Orchester, die Schubert-Akademie, fester Bestandteil der Programme des MuTh. Eine Stammbesetzung von ca. 40 „High-End“-Student/innen, angeführt vom Konzertmeister Mikkel Simonsen, begeisterte. Gerald Wirth war der temperamentvoll zupackende Dirigent. Er strahlte absolute Sicherheit aus, gab penibel auch die kleinsten Einsätze, verlangte große Bandbreite der Farben und der Dynamik – und er bekam von allen Mitwirkenden sehr, sehr viel.

Stürmischer Beifall, Jubel im vollen Konzertsaal der Wiener Sängerknaben am Augartenspitz! Dass diese Wiederaufnahme des Auftragswerk fürs Festival  Grafenegg 2016 anscheinend nur einmal gespielt wird, ist eigentlich schade.

Karl Masek

 

ESSEN/ Aalto-Theater: OTELLO – endlich wieder eine sehenswerte Premiere.

$
0
0

ESSEN/ Aalto-Theater: OTELLO. Premiere am 2.2.2019

Mechanik des Wahns


Foto: Thilo Beu

Regisseur Roland Schwab – Bekenntnis: Ich will keine Umdeutung der Personen – inszeniert eine alptraumhafte Welt, die sich auf vielen Ebenen so deutbar im Kopf des Heerführers Otello abspielt. Hinter einer grandios eingesetzten Technik von riesigen Jalousien, erblicken wir bis zum Ende immer wieder seine Alter egos – die vielen kleinen Teufel im Gehirn, die ihn scheinbar malträtieren und in den Wahnsinn treiben.

 

https://www.deropernfreund.de/essen-aalto-oper.html

Peter Bilsing/ Der Opernfreund.de

BADEN-BADEN: SÄCHSICHE STAATSKAPELLE DRESDEN/ Christian Thielemann/ Frank Peter Zimmermann

$
0
0

 

Baden-Baden: „FRANK PETER ZIMMERMANN –SÄCHSISCHE STAATSKAPELLE DRESDEN –

                         CHRISTIAN THIELEMANN“  –  02.02.2019

                        Thielemann und Bruckner einfach gigantisch !

Während seiner 2019-Tournee gastierte die Sächsische Staatskapelle Dresden unter der Leitung ihres Chefdirigenten Christian Thielemann wiederum im Festspielhaus an der Oos.

Als Gastsolist beeindruckte der international renommierte Geiger Frank Peter Zimmermann mit dem „Violinkonzert e-Moll“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy.

Zwischen poetischer Gefühlstiefe und eleganter Anmut interpretierte Frank Peter Zimmermann dieses romantische Violinkonzert, begann zu gelöstem Passagenspiel das eröffnende Allegro molto, steigerte sich in mühelosen Aufschwüngen in höchste Regionen, um gleichwohl zur Kadenz atmosphärische Kantilenen zu zaubern. In wohliger Ermattung wurde den Holzbläsern der Vortrag des zweiten Themas überlassen, profiliert tönt die Violine zu Zimmermanns fein gesponnenem Geigenton ohne jegliche Vordergründigkeit. Hinreißend intonierte der Solist die traumhafte Melodie des Andante zu räumlich konzipierten Proportionen.

Christian Thielemann mit der famos aufspielenden Sächsischen Staatskapelle Dresden charakterisierte vortrefflich in farblich prächtig abgestimmten Phrasen des begleitenden Klangkörpers den untermalenden Sound zur virtuosen Solo-Violine. Bravo! Man spielte die Sätze ohne Pause und gab den Husten-Crescendo keine Chance.

Zum klassischen Rondo des Allegretto non troppo – Allegro molto vivace welches sich äußerst kunstvoll in Sonatenform präsentierte, ließ Zimmermann wie veredelt von innen sprechen. In virtuos brillanter Dynamik, nobler Eleganz und bestechender Bravour spielte der versierte Geiger den finalen Part. Stringent mit Noblesse entfaltete Zimmermann temperamentvoll die formale klangliche Schönheit seines Instrumental-Vortrags und versetzte das Publikum in wahre Begeisterung.

Sichtlich erfreut bedankte sich der Violinist mit einer herrlich elegisch instrumentierten Zugabe (Bartok).

Nach der Pause versetzte Christian Thielemann mit der unglaublich präzise aufspielenden Staatskapelle den Rezensenten  mit der „Zweiten Symphonie“ von Anton Bruckner regelrecht in Trance. Schon mehrmals durfte ich diese beglückende Kombination während diverser Bruckner-Interpretationen erleben, zweifellos gilt (für mich) Thielemann zum größten Bruckner-Dirigenten unserer Zeit.

Bebende Sextolen der Violinen und Bratschen leise geheimnisvoll erhoben das Moderato zunächst in klagenden Halbtonschritten und formierten sich langsam steigernd zur scharf rhythmischen orchestralen Wendung des leidenschaftlichen Fortissimo, sanken wieder zurück, verhauchend im Pianissimo der Klarinetten. Dezente Paukenschläge, gezupfte Kontrabässe, wiegende Geigen, heimlich-innige Gesänge der Celli verbreiteten eine wohlige Stimmung. Unruhig drängten sich die Holzbläser ins Geschehen, Trompeten verschärften Triller und ließen den ganzen Apparat im konstruktiven Wohlklang erbeben. Verhaltene Streicherakkorde kündeten in leisen Takten das Gebetsthema aus Wagners „Rienzi“ an, zart im Wechselspiel von Oboe, Fagott, Flöte und Klarinette. In herrlichen Umkehrungen, prächtigen Aufschwüngen, wiederholten Wechselthemen verklang in kräftigen Aufschwüngen der erste Satz.

Mit weichem Andante, keinem sonst üblichen leidvollen Adagio eröffnete Bruckner seinen zweiten Satz, gekennzeichnet von profaner Musik im weltlichen Gewande erklangen die Themen der gezupften Streicher, des herrlich flutenden Horns, verschlangen sich vom aufblühenden Orchester umrankt zum Benedictus (f-Moll-Messe) in unglaublicher Intensität und Schönheit ins rechte akustische Licht gerückt. Auffallend wie schon so oft die umgekehrt platzierten Instrumentalgruppierungen der Violinen, Bratschen sowie der Celli und Bässe vermittelten sie reizvolle orchestrale Kontraste.

Derb stampft das Orchester im Scherzo daher, die Szene gehört den mutwilligen Bauernburschen, gefolgt vom Ländler der Mädchen welche sich sodann im gemeinsamen kraftvollen Tanz  vereinen. Holzbläser drängeln, die Celli brummeln missmutig zum Takt der Flöten, die Geigen formierten sich in leisem Tremolo zum schwebenden Walzerthema und finden schließlich in Wiederholungen der stampfenden Coda ihren klangvolles Finale.

Der warme Klang der Sächsischen Staatskapelle geprägt von ihrem hervorragenden Chefdirigenten besitzt jene erforderliche Tragfähigkeit und Prägnanz welche die Bruckner Themen benötigen. Ein starkes Plädoyer für Christian Thielemann dessen klangliche Entwicklung des Instrumentariums sorgfältig disponiert, stets das Ziel bemerkenswerter Entfaltung vor Augen hat.

Im drängenden Finale fügte der Meister-Dirigent die ungeheuer präsenten rhythmisch betonten Töne voll unbändiger orchestraler Kraft und Lebendigkeit mit ruhiger Gelassenheit und gewaltigen Steigerungswellen zu imponierender Geschlossenheit. Grandios türmten sich die zum Himmel stürmenden Wogen zum leuchtenden alles überstrahlenden Klangdom. Bar so viel Prägnanz aller Instrumental-Gruppen in unbeschreiblicher Schönheit musiziert und dem Hörer dargeboten, kann ich mich nur in Ehrfurcht verneigen.

Das jubelnde Publikum schien meine Empfindungen zu teilen und verteilte seine Honneurs lautstark und ausgiebig.

Gerhard Hoffmann

Viewing all 11208 articles
Browse latest View live


<script src="https://jsc.adskeeper.com/r/s/rssing.com.1596347.js" async> </script>