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ESSEN/ Aalto-Theater: OTELLO. Premiere

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Copyright: Thilo Beu

ESSEN: OTELLO von Giuseppe VERDI – Premiere
2.2.2019 (Werner Häußner)

Der Jubel über den Sieg ist falsch und schal. Mag sein, dass der hochmütige Muselmane zerschmettert am Grund des Meeres liegt. Aber der Mann, den die tarngrünen Truppen da hereinschleifen, ist alles andere als der kraftstrotzende Sieger. Er ist ein Gezeichneter: Otello, halbnackt, kaum fähig, sich auf den Beinen zu halten, schreit ein dünnes „Esultate“ heraus und wankt hinkend von der Bühne. Ein strahlender General sieht anders aus.

Und der andere, der Fähnrich, der so gerne Hauptmann geworden wäre, dem Otello aber einen anderen vorgezogen hat? Der vernebelt in Roland Schwabs neuer Inszenierung von Verdis vorletzter Oper am Aalto-Theater in Essen erst einmal den Raum. Dann zerbricht er eine schwarze, löchrige Fahne – das Banner des Aufruhrs, des Verderbens? Jago schnippt mit dem Finger und das Inferno bricht aus. Er ist, das macht Schwab von Anfang an klar, der Regisseur des Bösen. Sein Prinzip: „Ich bin nichts anderes als ein Kritiker.“ Der Geist, der stets verneint. Die „Feuer der Freude“ tauchen die Szene in gespenstisches Orange. Später fährt auf der karg-schwarzen Bühne von Piero Vinciguerra im Hintergrund ein Dschungel hoch. Cassio wankt in die Röte hinter den Palmen; Napalmbrand oder Höllenfeuer, von Jago entzündet. Francis Ford Coppolas Apocalypse Now oder Stanley Kubricks Full Metal Jacket lassen grüßen.

Roland Schwab interessiert sich nicht so sehr für die feinen psychologischen Verästelungen einer Eifersucht, die ihre fahlen Fäden in die Seele von Otello bohren, auch nicht für den schrecklichen Mechanismus, mit dem der Nihilist Jago sein tödliches Garn spinnt. Er zeigt keinen Krieger auf dem Höhepunkt seines Erfolgs, der dann durch einen Gespinst, fein wie das Taschentuch seiner Desdemona, zu Fall gebracht wird. Bei ihm ist Otello ein doppeltes Opfer – das seines furchtbaren Traumas, befeuert durch einen ebenso furchtbaren Widersacher. Die Oper ist ein rasendes Protokoll des Verfalls, der sich von Akt zu Akt steigert, um am Ende in unheilvoller Lethargie auf einem Designer-Sessel zum Erliegen zu kommen.

Liebe, Eifersucht, der Außenseiter, der in seiner Frau einen Anker in der Welt gefunden hat: Diese Motive werden am Aalto-Theater sekundär. Im Vordergrund stehen die psychischen Folgen des Grauens, das den Krieger einholt. Es fängt die Seele in kaltglänzenden Lamellenrollos – eine Assoziation zur französischen „jalousie“, der Eifersucht –, es bannt Otello zwischen die Stäbe eines inneren Gefängnisses. Dahinter wird die Gesellschaft in kitschigen, im Halbdunkel verschwimmenden Bildern sichtbar. Sie weicht ängstlich zurück, wenn Otello wie ein neurotisches Zootier an den Drähten entlangtigert. Dann gibt das Gitterwerk den Blick frei auf blutglänzende Körper, die in den verzweifelten Wiederholungszwängen kranker Seelen zucken und sich winden: Otello, vervielfältigt. Ikonen psychischer Verderbnis, in Blitze des Wahnsinns getaucht. Dämonisch klares Licht – Manfred Kirst und sein Team leisten Großartiges – und giftige Nebel lösen einander ab.

Und Desdemona? Das neue Ensemblemitglied Gabrielle Mouhlen, blond, lange Beine, steckt in einem ungeheuer schnulzigen Hochzeitskostüm, als sie wie von ungefähr im Hintergrund der Bühne auftaucht, wenn das Orchester die wundervolle Cello-Einleitung zum Duett „Già nella notte densa“ anstimmt. Gabriele Rupprecht (Kostüme) will die Figur mit diesem Aufzug nicht denunzieren, sondern kennzeichnet sie als Projektion: eine nur vordergründig reale Gestalt, in der sich alles zusammenfasst, was der Macho vom Objekt seiner Begierde, von der Projektionsfläche seiner Fantasien erwartet. Wenn „Venus leuchtet“, hockt Desdemona wie ein Incubus auf dem liegenden Otello – ein geschmackloses Bild, das genau in diesem Moment unheimlich sinnhaft wird: Der Mann der Siege erliegt der Macht seiner unbewussten Vorstellungen.

Gabrielle Mouhlens stets mit kühlem Metall versetzte Stimme, im Piano nicht schmeichelnd oder schmelzend, passt zu dieser unwirklich unerotischen Desdemona. Die Taschenlampen, mit denen die Venezianer im dritten Akt auftreten, sind einmal kein abgelebtes Versatzstück des Regietheaters, sondern lassen die Katastrophe vorscheinen, in die Otello, wild um sich schlagend, hineintaumelt. Desdemona, sein letztes, klischeehaftes Ideal, einziger Halt im verletzlichen Winkel seiner verhärteten Seele, ist im vierten Akt gefangen zwischen den kaltsilbernen Lamellen der klackend sich schließenden Jalousien. Der Mord ist kein Vorgang äußerer Realität: Er ereignet sich unsichtbar im grellen, gegen die Zuschauer gerichteten Scheinwerferlicht. Danach kauert ein gebrochener Mann in der entsetzlichen Leere seiner Existenz: „Otello fu.“ Es gibt ihn nicht mehr. Und Jago hinterlässt zynisch eine teuflische Spur von Schwefeldampf.

Roland Schwab führt in seiner Otello-Version mit schlüssiger Konsequenz die Kriegs-Metaphorik fort, die er bereits in seiner Augsburger Inszenierung von Bedřich Smetanas selten gespieltem „Dalibor“ (demnächst ist die Oper auch in Frankfurt zu sehen) – dort noch ein Stück zu gegenständlich – eingesetzt hat. Das Essener Aalto-Theater hat damit eine beachtliche Alternative zu Michael Thalheimers nachtschwarzem Psychodrama an der Deutschen Oper am Rhein geschaffen, das im Spätherbst in Duisburg zu sehen war – dort als ausweglose Geschichte zweier Außenseiter im Raum einer Paranoia, die selbst ein harmlos-naives Requisit wie das Taschentuch zum Existenz zerstörenden Fanal vergrößert. In Essen spielt das „fazzoletto“ auch eine Rolle – als zynisches Signal, das Otellos fiebrige Wahnwelt anheizt, bis die finale Zersetzung beginnt.

Bildergebnis für essen aalto otello
Copyright: Thilo Beu

Essen hätte also eine fulminante Premiere erleben können, wäre da nicht die enttäuschende Performance des italienischen Dirigenten Matteo Beltrami gewesen. Er glättet Verdis Dramatik zu einem lyrisch grundierten Moderato, das wie ein fauler Kompromiss zwischen einem faden Gounod und einem zahnlosen Massenet wirkt: Der brachiale Orchesterschlag zu Beginn ohne Schärfe, die Piani ohne Drohung, das Fortissimo ohne Aufruhr und Katastrophenahnung. Die Artikulation des Orchesters ohne Bestimmtheit, ohne zupackende Erregung. Der Wechsel zwischen angespanntem Drive und gefährlich dräuender Entspannung ohne Biss. Die schwärmerischen, sehnsuchtsvollen, aufbrausenden, leuchtenden Momente des Duetts Otello – Desdemona im ersten Akt glattgebügelt zu einem gefällig-unverbindlichen Moderato.

Blässliche Akkuratesse also im Graben zu starken Bildern auf der Bühne. Dazu kein fokussierter Ton des Chores: Jens Bingert mag sein Bestes gegeben haben, aber die federnden Tänzchen am Dirigentenpult bleiben ohne Resonanz, und über die Präzision zieht sich so mancher Schleier. Beltramis leidenschaftsloses Verdi-Exerzieren hat schon in „Il trovatore“ und noch weniger in „Rigoletto“ überzeugen können. Ein Rätsel, warum man sich für diese wichtige Premiere wieder auf einen derartigen Mangel an Profil eingelassen hat.

Von den männlichen Protagonisten sichert sich der Jago von Nikoloz Lagvilava auch vokal den Triumph: Sein durchsetzungsfähiger Bariton basiert auf einer sicheren Stütze ohne doppelten Boden atemtechnischer Tricks, behält in der Höhe Rundung und Fülle und schillert in der Tiefe in einer satt-gefährlichen Farbe. Die Duette mit Otello strotzen vor Kraft, ohne dass dem Ton Gewalt angetan würde. Der Mann kennt keinen durch sfumature abgetönten Zweifel; auch sein „Credo“ ist ein Bekenntnis ohne Zwischentöne. Dieser Jago ist keine philosophische Gestalt, sondern ein abgebrühter Verbrecher.

Gaston Rivero hält in den Ausbrüchen, in denen sich seine Realität immer unverrückbarer verschiebt, in Kraft und Nachdruck mühelos mit. Aber seine Rolle braucht die gebrochenen Momente, die Palette emotionaler Farben von der Erinnerung an einstigen Seelenfrieden über die unkontrollierbare Glut bis hin zur tonlosen Erschöpfung des Endes. Da fehlen der soliden Mittellage dann die Farben des Sarkasmus; da flackert der Lyrismus des Duetts mit Desdemona; da fehlen in „Dio! Mi potevi scagliar …“ die Schmerzenstöne über den verlorenen inneren Halt. Carlos Cardoso macht mit strahlendem Timbre und einer präsenten Emission auf sich aufmerksam; sein Cassio ist auch als Figur gelungen. Dass Bettina Ranch im Finale nur aus einem blechernen Off erklingt, ist schade, aber konsequent; ihre Präsenz auf der Bühne ist eher die einer Aufseherin als die der mitfühlend-ahnungslosen Gefährtin. Dmitry Ivanchey als Rodrigo, Tijl Faveyts als Lodovico, Baurzhan Anderzhanov als Luxusbesetzung für Montano und Karel Martin Ludvik als Herold ergänzen das Ensemble.

Werner Häußner

 

Weitere Vorstellungen: 8., 20., 27. Februar; 9. März; 7., 18. April; 12. Mai; 28. Juni 2019. Info: www.theater-essen.de


WIEN / Belvedere 21: CHRISTIAN LUDWIG ATTERSEE

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Fotos: Wesemann

WIEN / Belvedere 21 im 21erHaus:
CHRISTIAN LUDWIG ATTERSEE – FEUERSTELLE
Vom 1. Februar 2019 bis zum 18. August 2019

Seine Phantasie kennt keine Grenzen

Der Oberstock des 21er Hauses gehört nun ganz ihm: Christian Ludwig Attersee. Im Jahr vor seinem 80. Geburtstag widmet ihm das Belvedere in seiner „Moderne-Dependance“ eine Großausstellung. Geboten wird eine wilde Mischung. Darin lädt der Allrounder zur Betrachtung dessen ein, was er alles kann und was ihm alles eingefallen ist. Und dabei werden vordringlich nur seine Jugendjahre ausgestellt. Nicht auszudenken, wenn man einmal das Gesamtwerk (es beläuft sich auf ca. 10.000 Werke) nur annähernd ausstellen wollte…

Von Heiner Wesemann

Christian Ludwig Attersee     Geboren am 28. August 1940 in Presseburg, verbrachte er seine Jugend in Oberösterreich, darunter am Attersee, den er in den sechziger Jahren seinem Geburtsnamen Christian Ludwig als Künstlernamen anfügte. Zu seinen vielen Talenten gehörte das Segeln, worin er es in den fünfziger Jahren zum österreichischen Staatsmeister brachte. Am liebsten wäre er, nach eigener Aussage, Musiker geworden. Aber letztendlich war das nur eines der vielen Talente, die er als Künstler ausgelebt hat. An der Akademie für angewandte Kunst Wien studierte er Bühnenarchitektur und Malerei, beteiligte sich an den Aktionen der „Aktionisten“ und wurde Österreichs Pop-Art-Exponent mit seinen unerschöpflichen Kreationen, die Reales absurd zusammen koppelten.

Der Allrounder   Alles wollen, alles können: Das hat Attersee sein Leben lang betrieben, mit dem Effekt, wie Belvedere-Chefin Stella Rollig es ausdrückt, dass man ihn in keine Schublade kunsthistorischer Zuschreibung stecken kann. Und das von Anfang an – die „Ausweitung der Kunstzone“ ist in absolut jede Richtung zu konstatieren. Collagen und Design, Grafiken und Gemälde, Fotografien und Filme, Musik und schräge Erfindungen stehen nebeneinander. Kaum einer hat so viel mit den Objekten unserer Welt „jongliert“ wie Attersee. Kuratorin Britta Schmitz hat dazu rund 250 Werke des Frühwerks zusammen gewürfelt. Darunter Legenden wie die bunten „Speisekugeln“ aus Plastik, das „Attersteck“, das ein Messer zu einer Art Hacke verfremdet, Bleistifte aus den Gabelfingern macht und den einstigen Löffel mit einem Schwamm ausstattet… Der „Würfelbüstenhalter“ passt dem weiblichen Oberkörper eine Art viereckiger Tragetasche an, und die „Schinkenfinger“ sind tatsächlich solche, Finger mit rot lackierten Nägeln, mit Schinken und Käse umrollt.

Der junge Attersee   … war der schöne Attersee, dem er (wie einem Interview zu entnehmen) noch heute ein bisschen nachzutrauern scheint. Er hat sich und seinen Körper mit einer selbstbewussten Fröhlichkeit ausgestellt (auch nackt, geschminkt, gestylt, eindeutig androgyn), wie es in den sechziger Jahren in Österreich noch nicht üblich war. Immerhin war er von den Aktionisten umgeben… Der menschliche Körper ist ebenso wie jedes denkbare Objekte in seine „Kunstmaschine“ einbezogen – um als etwas Neues herauszukommen. Erotik sprüht aus dem Frühwerk – und die Erotik ist heute noch Attersee-präsent. Erst Ende letzten Jahres hat er mit einem nackten „Skihaserl“ auf einem Plakat zweierlei gezeigt: dass er der Alte ist; und dass die Umwelt durch ihn immer noch provoziert werden kann.

Eine „atterseeisierte“ Welt   So nennt Stella Rollig sein Werk. Gleichzeitig hat sie den Künstler (was vielleicht einigen Kollegen aufstößt) als den „bekanntesten Maler Österreichs“ bezeichnet. Dass alles im Alltag von ihm „atterseeisiert“ werden kann, läuft nicht nur auf Kunst, sondern auch auf Fragen aller Art hinaus. Tatsache ist, dass er durch den scheinbar vordergründigen Spaß bekannt wurde. Aber wenn man sich in die Werke im 21erHaus vertieft, zeigt sich, dass aus seinen surrealen Werken keinesfalls immer eine schnelle Aussage herausspringt, sondern sie zutiefst enigmatisch sind.

Belvedere 21
Christian Ludwig Attersee. Feuerstelle
Bis zum 18. August 2019,
Mittwoch bis Sonntag 11 bis 18 Uhr (gilt auch an Feiertagen),
Lange Abende: Mittwoch und Freitag 11 bis 21 Uhr (gilt auch an Feiertagen)
Arsenalstraße 1, 1030 Wien
belvedere21.at

 

WIEN/ Staatsoper: LA CENERENTOLA.

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Michael Spyres. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

La Cenerentola

Wr. Staatsoper, 3.2.2019

Kann man mit einer Vorstellung der Cenerentola zufrieden sein, wenn ausgerechnet die Sängerin der Titelrolle etwas schwächelt? Um diese rhetorische Frage sogleich zu beantworten – JA. Grund dafür sind sowohl ein alles überragender Tenor und sehr gute Sängerdarsteller in den restlichen Rollen.

Seit Dezember 2014 habe ich diese Produktion gemieden, da ich seinerzeit wirklich verärgert war, was Sven-Eric Bechtolf gemeinsam mit Rolf und Marianne Glittenberg auf die Bühne gestellt hatten. Vier Jahre später sehe ich das ein klein wenig gnädiger, obwohl es noch immer Regieeinfälle gibt, mit denen ich überhaupt nichts anfangen kann. Einerseits wird gegen den Text inszeniert (ist es wirklich so schwer, wenn man einen offenen Kamin auf die Bühne stellt, wenn Angelina davon singt?), dann behindern Umbaupausen den musikalischen Fluss (die gefühlten 5 Minuten vor dem Finale des 2.Aktes sind einfach stimmungskillend). Zusätzlich noch die Idee ganz zum Schluss im Brautkleid als zukünftige Königin den Boden schruppen zu lassen?!???

Der Chor wurde von Martin Schebesta gut vorbereitet. Inwieweit es einzelnen Mitgliedern Spaß gemacht hat in Frauenkleidern auf der Bühne herumzuhirschen – wer kann das schon sagen… Auf der anderen Seite wird sehr oft Regisseuren vorgeworfen den Chor nicht ins Geschehen einzubringen – nun, diesen Vorwurf kann Bechtolf sicherlich nicht machen.

Der Grund warum diese Vorstellung besucht wurde waren die hymnischen Erzählungen, die eine gute Freundin von mir zum Besten gab, als sie aus New York zurückkehrte. Michael Spyres – ein neuer Stern am Belcanto- und Rossinihimmel? Dem ward eindeutig nachzugehen. To make a long story short – WOW!!! Spyres enttäuschte nicht, imGegenteil. Ich kann mich nicht erinnern einen Tenor gehört zu haben, der einen derartig weitern Tonumfang hat. Einerseits sitzen die Spitzentöne perfekt, andererseits hat er auch die – für die Rolle des Don Ramiro geforderte – Tiefe. Und zwar eine, die einem Bassbariton alle Ehre machen würde. Keine Schwächen, in Ensembleszenen immer gut zu hören und ein Timbre, dass nicht so „weiß“ wie das von Juan Diego Flórez klingt. Einfach perfekt.

**SPOILER ALERT** Nach der Vorstellung verriet mir der Sänger, dass er im nächsten Jahr an der Staatsoper den Edgardo und am Theater an der Wien den Licinus (La Vestale) singen wird **END OF SPOILER**


Adam Plachetka und Elena Maximova. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Adam Plachetka war stimmlich in sehr guter Verfassung – die Rolle des Alidoro füllt er auch schauspielerisch aus. Da schaut schon ein Don Alfonso ums Eck. Ich kann die teilweise mittelmäßigen Kritiken über ihn nach dem heutigen Abend nicht nachvollziehen. Alessio Arduini war ein spielfreudiger und agiler Dandini – diese Rolle liegt ihm sehr und an diesem Abend gab es nach meinem Empfinden auch nichts an seinem Gesang auszusetzen.

Einen ziemlich unsympathischen und teilweise sogar brutalen Don Magnifico stellte Pietro Spagnoli dar. Das war weit von der Buffo-Rolle entfernt, die dieser Charakter meines Empfindens nach sein sollte. Auf der anderen Seite – wenn man das Libretto liest – ist dieser Mensch schon ein enormer Unsympath… Die Parlando-Stellen beherrscht er ausgezeichnet und auch schauspielerisch entsprach er dem Regiekonzept. Leider wurde er oft vom Orchester zugedeckt – da war er aber leider nicht der einzige Sänger, der darunter zu leiden hatte. Speranza Scappucci brachte viel Schwung in die Vorstellung, doch leider ließ sie zu laut spielen.

Besonders darunter hatte Elena Maximovazu leiden. Besonders im ersten Akt war sie stellenweise kaum hörbar, was insbesondere in den Ensembleszenen auffiel. Es wurde im Laufe des zweiten Aufzugs besser, aber sie überzeugte mehr bei den tiefer gelegenen Stellen der Partie. Insgesamt war ich etwas enttäuscht.

Der an diesem Abend beste Mezzosopran war Svetlina Stoyanova. Es war meine erste Begegnung mit diesem jungen Ensemblemitglied und ich war sehr angetan. Eine schöne, bereits breite Stimme, die sich im Beginn ihrer Entwicklung befindet. Gemeinsam mit Maria Nazarova stellte sie das „böse“ Schwesternpaar dar. In den rosa Kostümen beim Schlussbild erinnerten mich die beiden an eine ältere Inszenierung von „Cosi fan tutte“ – und ich kann mir sehr wohl vorstellen die beiden – bei entsprechender Entwicklung – einmal als Dorabella und Fiordiligi zu hören…

Das Publikum spendete lautstarken, aber kurzen Applaus. Michael Spyres wurde zu Recht mit vielen „Bravo“-Rufen bedacht – man kann sich auf seine Wiener Auftritte in der nächsten Saison schon freuen.

Kurt Vlach

FRANKFURT/ Alte Oper: KONZERT MIT DEM ROYAL PHILHARMONIC ORCHESTRA

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FRANKFURT/ Alte Oper: Konzert mit dem Royal Philharmonic Orchestra
03. Februar 2019

Otto Nicolai Ouvertüre zu „Die lustigen Weiber von Windsor“
Sir Edward Elgar Cellokonzert e-Moll op. 85
Sergej Rachmaninow Sinfonie Nr. 2 e-Moll op. 27

Sol Gabetta Violoncello

Lionel Bringuier Leitung

KÖNIGSKLASSE

Auf seinem letzten Abstecher seiner Deutschland Tournée gab das Royal Philharmonic Orchestra ein begeistert aufgenommenes Konzert in der Alten Oper Frankfurt. Das traditionsreiche Orchester, 1946 von dem berühmten Dirigenten Sir Thomas Beecham gegründet, zählt nach wie vor zu den besten Orchestern Englands.

Unter Leitung seines Gastdirigenten Lionel Bringuier begann es den Abend mit der Ouvertüre zu Otto Nicolais 1849 uraufgeführter komisch fantastischer Oper „Die lustigen Weiber von Windsor“. Die Vorlage dieser Oper stammt von William Shakespeare, eine sinnige Brücke also zum gastierenden englischen Klangkörper.  Ein gut gewählter Beginn, der bereits in allen Orchestergruppen die hohe Spielkunst dieses traditionsreichen Klangkörpers bewies. Bereits hier zeigte sich das exquisite Zusammenspiel dieses Parade-Orchesters. Perfektion an allen Pulten!

Im Mittelpunkt des Interesses stand die Solistin des Abends: die argentinische Cellistin Sol Gabetta. Die vielfach ausgezeichnete Musikerin hat auf der ganzen Welt mit den berühmtesten Orchestern musiziert und dazu viele CDs eingespielt.

Mit dem Cellokonzert von Sir Edward Elgar, uraufgeführt 1919, erlebte das Publikum Elgars Schwanengesang, das Ende einer Epoche, der Finalpunkt seines musikalischen Schaffens. Die berühmte Cellistin hat Elgars Meisterwerk bereits unzählige Male interpretiert und ist hörbar zutiefst mit ihm verbunden. Berückend die Balance zwischen Melancholie und warmer Kantabilität, die Gabetta fand, vor allem im Adagio des dritten Satzes. Ein tiefer sensibler Dialog mit dem hellwach agierenden Orchester. Dabei fehlte es ihr zu keinem Zeitpunkt an Intensität oder glutvoller Phrasierung. Dirigent Lionel Bringuier war ihr dabei stets ein einfühlsamer Partner, der sich nicht in den Vordergrund stellte. Elgars sanfte Melancholie in der feinen Lesart Gabettas verzückte hörbar das begeisterte Publikum. Am Ende wurde es mit einer zeitgenössischen Zugabe beschenkt, in welcher Gabetta zu den warmen Klängen ihres Cellos elfenartige Vokalisen beisteuerte. Beglückend!

Nach der Pause stand Dirigent Lionel Bringuier im Blickpunkt des Interesses. Mit der 2. Symphonie von Sergej Rachmaninow gab es eine ausgedehnte Symphonie zu erleben, die ein unendliches Farbspektrum vor dem Zuhörer auffächert.

Ursprünglich entstand die Symphonie in den Jahren 1906/07, als Rachmaninow länger in Dresden weilte.  1908 dirigierte er selbst seine Uraufführung in St. Petersburg. Seine 2. Symphonie ist seine beliebteste Symphonie. Die schwärmerischen, endlos anmutenden Streicherpassagen sind ein besonderes Erlebnis und erstaunen stets aufs Neue, wie gekonnt Rachmaninow seine musikalischen Ideen realisierte. Dazu immer wieder berückende Soli, wie z.B. in der Solo-Klarinette des dritten Satzes. Und schlussendlich knackige Schlagzeugeffekte im vierten Satz gestalten dieses Werk sehr publikumswirksam.

Lionel Bringuier, Cellist, Pianist und Dirigent, blickt bereits auf eine eindrucksreiche musikalische Laufbahn zurück, die ihn bereits durch die ganze Welt an die Pulte vieler Orchester führte. Zuletzt war er Chef des Tonhalle Orchesters Zürich, was für beide Seiten jedoch vorzeitig unfroh endete.

In Frankfurt stimmte erkennbar die Chemie zwischen ihm und dem Royal Philharmonic Orchestra! Herrlich opulent agierte der groß besetzte Streicherapparat, dabei immer wieder sensibel aufeinander reagierend. Selbst in den viele Fugato-Passagen war Transparenz und Durchhörbarkeit überzeugend realisiert. Der immer warme körperreiche Klang der viel geforderten Streicher war ein außergewöhnliches Hörerlebnis, dazu perfekt dynamisch abgestuft, so z.B. im Verklingen eines endlosen Pianissimos am Ende des dritten Satzes.

Dazu begeisterte besonders der Solo-Klarinettist mit endlosem Atem und feinem Legatogefühl. Weich und sauber in der Intonation musizierte das viel geforderte Blech: Hörner, Trompeten, Posaunen und Tuba intonierten präzise und sauber. Und ein Erlebnis für sich, war das viel geforderte Schlagzeug, welches vor allem den vierten Satz nachhaltig prägte. Bringuier traf dabei gut den kantablen Ton der Komposition, agierte in großen Spannungsbögen und wahrte souverän die Übersicht. So ließ er immer wieder berauschend ausmusizieren und sorgte dabei immer für die notwendige Durchhörbarkeit. Das geforderte Orchester begeisterte mit einer Perfektion der Königsklasse, wobei es zu keinem Zeitpunkt kalt klang, sondern immer wieder samtig, warm agierte.

In einer sympathischen Ansprache bedankte sich Lionel Bringuier beim Publikum. Mit einem fulminant dargebotenen Slawischen Tanz Nr. 8 von Antonin Dvorak verabschiedeten sich die großartigen Musiker von ihren Zuhörern.

Am Ende sehr viel Begeisterung für ein besonderes Konzerterlebnis in der  nahezu ausverkauften Alten Oper.

Dirk Schauß

BORNA/ Kultursaal: ÜBERRASCHENDE ENTDECKUNG BEIM „OSTWIND“-KONZERT DES LEIPZIGER SYMPHONIEORCHESTERS

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Borna/Kultursaal: ÜBERRASCHENDE ENTDECKUNG BEIM „OSTWIND“-KONZERT DES LEIPZIGER SYMPHONIEORCHESTERS – 3.2.2019

Passend zu Schnee und Kälte, die im Gegensatz zu den vorausgegangenen Tagen plötzlich eingebrochen waren, entführte das Leipziger Symphonieorchester unter seinem neuen französischen Chefdirigenten Nicolas Krüger die Konzertbesucher im gut geheizten Saal des Stadtkulturhauses Borna, ins Russland (bzw. Sowjetunion) des 20. Jahrhunderts. Was einst das Theater von Borna, einer Stadt in der Umgebung von Leipzig, war, wurde vor Jahrzehnten zum Kulturhaus umgebaut, macht aber jetzt einen durchaus einladenden Eindruck und wird u. a. vom Leipziger Symphonieorchester „bespielt“.

Mit Nicolas Krüger, einem hoffnungsvollen Dirigenten der jüngeren Generation, der in Wien studiert hat, zog frischer Wind ins Orchester ein, der mitunter kraftvoll-kühl, aber auch sehr melodisch an diesem Abend aus Europas Osten herüberwehte. Eingeleitet mit der „Sinfonie Nr. 1 D‑Dur (op. 25) der „Klassischen“ von Sergej Prokofjew, hier eher russisch-kraftvoll und weniger Serenaden-haft, wie man sie sonst hört, oder zierlich getupft a la Mozart oder Haydn gespielt, brachte das Programm einen eindrucksvollen Überblick über das Musikschaffen nonkonformistischer oder auch angepasster russischer Komponisten in durchaus schwieriger Zeit, deren kompositorische Leistungen nicht unbedingt von ihrer politischen Haltung abhängig gemacht werden sollten.

Als große Überraschung erwies sich das „Konzert für Harfe und Orchester“ (op. 74) von Reinhold Gliere, dessen Eltern aus Sachsen in die Ukraine auswanderten, wo er seinen Namen, der damaligen Mode entsprechend, französierte, um interessanter zu wirken. Der Name des Komponisten taucht gelegentlich in den deutschen Konzertprogrammen auf, sein dreisätziges Harfenkonzert jedoch nicht, obwohl es nach Internet-Umfragen das beliebteste überhaupt sei (von der CD. In seiner melodischen Schönheit, seinem volkstümlich eingängigen Tonfall, beeinflusst von der russischen Nationalfolklore, aber auch der anderer Völker, war es eine überraschende Entdeckung, die einmal mehr Tschaikowskys Behauptung, die Harfe eigne sich nur als Begleitinstrument, widerlegte.

Den sehr anspruchsvollen Solopart meisterte Anna Verkholantseva vom ORF Radiosinfonieorchester Wien im wahrsten Sinne des Wortes. Mit dem kraftvollen Ton ihrer, wie für das Harfenspiel geschaffenen, Finger setzte sie sich mit ihrem Solopart gegen das nicht unbedingt zurückhaltende Orchester durch. Da ging kein einziger Ton des Soloinstrumentes, dessen Lautstärke naturgemäß begrenzt ist, verloren. Sehr exakt, mit klassischer Klarheit, perfekt dezidiert schönen Glissandi, lebhaften Arpeggien und einer ausgedehnten Kadenz, bei der ihr großes Können besonders in den Blickpunkt rückte, und musikalischem Gefühl brachte sie diesem Konzert viele neue Freunde „auf einen Streich“. Schade nur, dass es so selten oder gar nicht im Konzertsaal erklingt.

Melodisch und klangvoll erwies sich auch die Ouvertüre zur Oper „Chowantschina“ von Modest Mussorgski in der Bearbeitung von Nikolai Rimski-Korsakow, 5 Minuten Schwelgen in schönen Klängen als „Vorspiel“ der von Mussorgski unvollendet hinterlassenen Oper, die meist in der Ergänzung von Dmitri Schostakowitsch gegeben wird, dessen „Sinfonie Nr. 9“ Es‑Dur (op. 70) den Höhepunkt und Abschluss dieses Konzertes bildete. Von getupften Klängen bis lautstarken Passagen, rhythmisch forciert und marschähnlich betont, bildete es den Hauptteil und Abschluss dieses Konzertes. Nach der begeisterten Aufnahme durch das Publikum wurde das Finale noch einmal als Zugabe wiederholt.

 Ingrid Gerk

Film: GLÜCK IST WAS FÜR WEICHEIER

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Filmstart: 8. Februar 2019
GLÜCK IST WAS FÜR WEICHEIER
Deutschland / 2018
Regie: Anca Miruna Lazarescu
Mit: Martin Wuttke, Ella Frey, Emilia Bernsdorf, Sophie Rois u.a.

Regisseurin Anca Miruna Lazarescu, geborene Rumänin, Wahl-Münchnerin, eröffnete mit ihrem Film „Glück ist was für Weicheier“ die letzten Hofer Filmtage und erhielt besonders gute Kritiken. Übereinstimmend wurde allerdings fest gestellt, dass man sich auf diesen Film „einlassen“ müsste. Wenn man es damit schwer hat, dann ist diese Familiengeschichte allerdings mehr als mühsam.

Sie haben es aber auch sehr schlecht getroffen, Papa Stefan Gabriel, Witwer, und seine beiden Töchter: Die Ältere, die 15jährige Sabrina, leidet an einer so schweren Lungenkrankheit, dass das letale Ende unvermeidbar scheint. Die Jüngere, die 12jährige Jessica, redet entweder mit sich selbst oder hört Stimmen, ist auf Zahlen und abergläubische Handlungen fixiert und kann kaum noch als normal eingestuft werden. Der Papa, von Brotberuf Bademeister, wohl auch nicht. Denn der plötzliche Tod seiner Gattin vor einigen Jahren hat ihn so aus der Bahn geworfen, dass er jetzt als Sterbeberater tätig ist. Was sich aber als nicht so erhebend herausstellt, wie er es sich vorgestellt hat…So weit die Exposition.

Die zentrale Gestalt der Geschichte ist Jessica, optisch das, was man auf Englisch „stout“ nennt und was so schwer zu übersetzen ist, ein kleiner androgyner Panzer, der durchs Leben stapft und logischerweise vor Mitgefühl für die sterbende Schwester zerrissen wird. Ihr Versuch, eine esoterische Lösung für deren Todesurteil zu finden (im Mittelalter glaubte man, man könne durch Beischlaf etwas von einem Menschen zum anderen übertragen), ist auf der Suche nach einem Sexpartner für Sabrina stellenweise komisch, später nicht, wenn die Schwester dann gerade daran stirbt…

Sterben im Kino hat Tradition, es gibt eine lange Reihe von Filmen über Todgeweihte, zwischen forsch-tapfer und rührselige sentimental. Was die Regisseurin hier genau wollte, wird nicht klar – schwer zu ertragen, wenn ein Vater seiner sterbenden Tochter sagt: Hab keine Angst, jedermann stirbt, das ist nicht so schlimm…?

Martin Wuttke ist sicher für Freunde hoher Schauspielkunst ein Grund, sich diesen Film anzusehen. Er kommt ganz anders daher als gewohnt – nicht als der genial-virtuose Theaterstar, als den wir ihn kennen, auch nicht als der neurotische „Tatort“-Kommissar. Aber für Spinner ist er immer geeignet, und er irrlichtert über die Leinwand als dieser seltsame Mann, der vom Sterbebegleiten so enttäuscht ist, weil die Menschen gar nicht nobel und edel abtreten…

In einer irrwitzig komischen Szene ist er übrigens mit Sophie Rois zusammen, die über den Tisch mit dem Abendessen klettert und einen Verführungsversuch startet… Aber das war bestenfalls ein Drehtag, eine so geniale Schauspielerin und keine paar Filmminuten!

Die 14-Jährige Ella Frey als Jessica versucht mit einem Schicksal zurecht zu kommen, das man niemandem wünschen will, und hat weit mehr Möglichkeiten, dem Zuschauer Gänsehaut zu bereiten als die sterbende Sabrina (Emilia Bernsdorf), die ja doch meist nur nach Luft ringen muss.

Man weiß nie, wo dieser Film auf dem schmalen Grat zwischen Tragik und Satire abstürzt – und auf welche Seite. Die Geschichte von Anca Miruna Lazarescu ist so borderline wie die Gestalten, die sie schildert. Dabei hätte der Film nur die eine Chance gehabt, mit seinen „Verrückten“ so ernsthaft umzugehen wie möglich… So, wie er stilistisch herumschwankt, tut man sich unendlich schwer mit dem Ganzen.

Renate Wagner

Film: FRÜHES VERSPRECHEN

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Filmstart: 8. Februar 2019
FRÜHES VERSPRECHEN
La promesse de l’aube / Frankreich, Belgien / 2017
Regie: Eric Barbier
Mit: Charlotte Gainsbourg, Pierre Niney u.a.

„Biopics“ sind in, biographische Filme über historische Persönlichkeiten. Allerdings sollten diese im allgemeinen auch ziemlich populär sein. Ein Schriftsteller wie Romain Gary ist das nicht, auch wenn er 34 Romane geschrieben und zweimal Frankreichs höchsten Literaturpreis, den Prix Goncourt, erhalten hat. Einst mag es ihn berühmt gemacht haben, dass er die Schauspielerin Jean Seberg heiratete, aber auch das dürfte heute nichts mehr besagen, wo nur noch Cineasten ihren legendären Film „Außer Atem“ (1960 / Regie: Jean-Luc Godard / Partner: Jean-Paul Belmondo) kennen…

Romain Gary also, der in vielen seiner Werke so autobiographisch war und in dem Roman „La promesse de l’aube“ (1960) der wichtigsten Frau seines Lebens, seiner Mutter, ein Denkmal gesetzt und dabei eine Art Autobiographie geschrieben hat. Der Film stellt die Geschichte in den Rahmen des kranken Gary, der von seiner Frau in Mexiko City (draußen tobt der „Karneval der Toten“) ins Krankenhaus gebracht wird und ihr auf der Taxifahrt die Geschichte erzählt, die er eben niedergeschrieben hat…

Gary, der 1914 als Roman Kacew in Wilna (damals noch russisch) geboren wurde (später ging die Familie nach   Warschau), von einem Vater sieht man nichts, lebte unter der liebenden, erdrückenden Obhut der Mutter, einer „jüdischen Mame“, wenn es je eine gab, eine Frau, für die ihr Sohn der Beste, Größte, Wunderbarste war, was sie jedermann verkündete, unter dem Gelächter aller. Ein kleiner Junge zuckte damals schon immer zusammen. Nie vergaß sie, ihm die Opfer vorzubeten, die sie angeblich für ihn gebracht hatte (eine große Schauspielerinnen-Karriere aufgegeben!), nie ließ sie nach ihm einzubläuen, was sie alles von ihm erwartete: Künstler, Politiker sollte er werden, ein großer Mann in den feinsten englischen Anzügen. Und ein kleiner Junge zwischen schier unerträglichem Druck und großer Liebe versprach, alles einzulösen, was sie verlangte… Gary als Erzähler kommt aus dem Off, kommentiert oft noch zusätzlich, was man sieht.

Charlotte Gainsbourg, die man so oft im französischen Film sexy, ätherisch, verführerisch gesehen hat, ist wie verwandelt: eine Frau, die kämpft und zankt und fordert, eine laute Lebenskünstlerin (wenngleich, wenn man echte jüdische Mames kennt, letztendlich immer noch verhältnismäßig diskret), die ihr Leben nur für diesen Sohn führt – das jedoch mit allerlei Geschicklichkeit, auch in geschäftlichen Dingen. Tatsächlich hat es diese Frau, die voll den russisch-polnischen Antisemitismus erlebte, geschafft, ihrem Sohn eine bessere Zukunft zu sichern, indem sie mit ihm nach Frankreich zog, als er 14 war. Und tatsächlich machte er – als Student, der unter Pseudonymen schon viel schrieb, dann als Soldat im Zweiten Weltkrieg, Karriere. Obwohl – dem Antisemitismus entkam er nicht, die Franzosen mochten die Juden auch nicht, machten ihm die Karriere schwer („Wenigstens sind Sie nicht wie Dreyfus“, muss er als Kompliment betrachten – dessen Unschuld haben die Franzosen offenbar nie verinnerlicht).

Dennoch kam er als Soldat über Afrika und England schließlich ins siegreiche Frankreich zurück – nur um zu erkennen, dass die liebende Mutter, die ihn mit ihren Briefen weiter und weiter gepeitscht hatte, seit drei Jahren tot war… Sie hatte Briefe auf Vorrat geschrieben und ließ sie dem Sohn über einen Vertrauten schicken, zwei pro Woche, um ihn nicht zu beunruhigen…

Damit endet die Rückblende, und wie man weiß, hatte der in Mexiko so moribund erscheinende Autor nach diesem Buch noch 20 Jahre, bis er 1980 seinem Leben selbst ein Ende setzte, wobei er (aus dem Off) die Vermutung ausspricht, dass seine weitgehende Beziehungsunfähigkeit auf die übergroße Liebe zur Mutter zurückzuführen war, die nicht getoppt werden konnte (auch wenn sie seine Geliebten nackt auf die Straße jagte) – und ihn vielleicht für alle Zeiten emotional ausgelaugt hatte…

Regisseur Eric Barbier, bislang eher für Psychothriller zuständig, liefert einen Film, der eine intensive Beziehung bebildert – Charlotte Gainsbourg ist immer da und scheint kaum zu altern, kaum in ihrer Intensität zu wanken. Als kleiner Junge ist Pawel Puchalski an ihrer Seite. In einem klassischen Filmschnitt springt er als Bub in Nizza ins Meer und taucht als Jugendlicher (Nemo Schiffman) wieder auf, bis dann Pierre Niney den Schriftsteller übernimmt, der in stetem Kampf zwischen vergeblichen Befreiungsversuchen und selbst anerkannter, hoffnungsloser Bindung an die Mutter lebenslang an der Nabelschnur bleibt…

Über das gewissermaßen tragische Ende, dass seine Mutter nicht mehr erlebt hat, wie er alle ihre Forderungen erfüllte, wird er von seiner damaligen Frau Lesley (Catherine McCormack) getröstet: Schließlich habe er Olga mit seinem literarischen Denkmal unsterblich gemacht…

Wilna und Warschau in den zwanziger Jahren, ein durchaus antisemitisches Frankreich in den Dreißigern, der Krieg (unser Held meist in Uniform, als kühner Flieger in den Lüften) geben den Hintergrund, immer wieder auch mit historischem Bildmaterial angereichert. Es ist eine gefühlsmäßig so starke Geschichte, dass man sie als Prototyp einer Mutter / Sohn-Überbindung für erfunden halten könnte. Aber man hat keinen Grund, Romain Gary – wie sich Roman Kacew als Franzose dann nannte – nicht zu glauben.

Es ist natürlich, bei aller Bewunderung, eine ungesunde Geschichte. Dass ein Mensch wie diese Mutter sich dermaßen in das Leben eines anderen, des Sohnes, krallt, dass sie ihn total beherrscht, bis zu ihrem Tod und darüber hinaus bis zu seinem eigenen… man hat das Gefühl, selbst in Vertretung des Helden von so viel Psycho-Liebe-Terror gewürgt zu werden.

Renate Wagner

Film: DIE FRAU DES NOBELPREISTRÄGERS

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Filmstart: 22. Februar 2019
DIE FRAU DES NOBELPREISTRÄGERS
The Wife / GB, Schweden, USA / 2017
Regie: Björn Runge
Mit: Glenn Close, Jonathan Pryce, Christian Slater, Max Irons u.a.

Die Schriftstellerinnen sind los. Nur dass Mary Shelley und Colette, die so sehr um ihre Anerkennung kämpfen mussten, „echt“ waren. Die „Frau des Nobelpreisträgers“ ist hingegen eine Romanfigur, das macht sie schon ein bisschen weniger stark. Und außerdem – das Motiv von „Cherchez la femme“ auch in dem Sinn, dass die Frauen in aller Stille die Arbeit des Mannes tun, war schon des öfteren da. Wer schrieb den die Zeitungsartikel von „Bel Ami“ bei Guy de Maupassant? Doch wohl Madame Forestier, wenn man sich recht erinnert…

In diesem Film über den „großen“ (fiktiven) Joe Castleman und seine Frau Joan, die – wie üblich – im Hintergrund waltet, wird das schon recht ältliche Ehepaar im Bett von einem Anruf aus Stockholm überrascht: Es ist kein Scherz, er hat den Nobelpreis für Literatur zuerkannt bekommen. Seltsam, wie starr die Ehefrau die Nachricht hinnimmt, während er hüpft vor Freude…

Schon da kann man sich gänzlich vorstellen, worauf der Roman „Die Ehefrau“ von Meg Wolitzer hinausläuft, den der schwedische Regisseur Björn Runge hier als seinen ersten englischsprachigen Film gedreht hat – sensibel, kein Zweifel, mit Sorgfalt an den brillanten darstellerischen Leistungen seiner Protagonisten arbeitend. Aber gegen die schlichte Klischiertheit und Vorhersehbarkeit der Geschichte kann er auch nichts tun.

Die Handlung läuft doppelgeleisig: Die Fahrt nach Stockholm, der Wirbel um den Preisträger, das hohe Lob seines außerordentlichen Romanwerks. Und die Rückblicke, wo man ihn als den jungen Collegeprofessor erlebt, der zwar verheiratet ist, sich aber an seine Studentin heranmacht (soll vorkommen). Bloß – sie ist hochbegabt, also will er sie ein bisschen herunterdrücken. Und sie? Sie verliebt sich in ihn und lässt es geschehen…

Große Partys in Stockholm, alles läuft bestens für die Familie, die Tochter zuhause erwartet ihr erstes Kind, der Sohn ist nach Schweden mitgekommen… Er scheint allerdings nicht ganz glücklich mit dem Vater, weil dieser die literarischen Erzeugnis des Nachkommen offenbar nicht einmal ansehen will. Wie immer muss die Mutter versuchen, hier auszugleichen und zu entschuldigen…

Wird es ein bisschen dramatisch, wenn ein Enthüllungsjournalist herumschleicht und über den Nobelpreiseträger ein Buch veröffentlichen will? Nein, er gibt nur der Gattin eine wunderbar souveräne Szene, ihn mit all seinen Psychotricks, die er zwecke Informations-Findung ausspielt, im Regen stehen zu lassen…

Die Rückblenden bestätigen es dann: Der Professor hat die Studentin geheiratet (wir erfahren, dass die erste Frau herzlich froh und dankbar war, ihn los zu werden), zwei Kinder, seine Karriere als Romanautor: An der Schreibmaschine sitzt sie und schreibt die Meisterwerke. Und erhebt nie irgendwelche Ansprüche auf Anerkennung ihrer geistigen Leistung. Weil sie ihn liebt. Weil sie noch aus einer Welt kommt, wo Frauen sich im Hintergrund hielten – egal, wie überlegen sie waren. Oder gerade, weil sie überlegen waren?

Die Lage in Stockholm spitzt sich ein bisschen zu, die souveräne und gelassene Ehefrau wird nur ärgerlich, wenn der vor Stolz geblähte Gatte und umschwärmte Star mit jungen Anbeterinnen herumflirtet, während sie im Hotelzimmer seine verstreuten Kleidungsstücke aufhebt. Und es ist hohe Zeit davon zu sprechen, was diesen Film wenn schon nicht außerordentlich, so doch in hohem Sinn sehenswert macht: Glenn Close, mit kurz geschnittenem Weißhaar und der Art von undurchdringlicher Miene, mit der die ganz großen Schauspielerinnen dem Publikum dennoch erzählen, was in ihnen vorgeht. Nichts Gutes, wenn man irgendwann verinnerlicht hat, wie wenig von dem Gatten zu halten und zu erwarten ist – und wenn man dennoch loyal und anständig genug ist, das mühsam aufgebaute Gebäude nicht zusammen fallen zu lassen… Eine Leistung, die ganz aus der Stille kommt und ganz tief unter die Haut geht.

Jonathan Pryce hingegen sprudelt, badet in der eigenen Bedeutung, ist der Meister der Schaumschläger und großartigen Worte, sieht eigentlich gar nicht ein, dass nicht er es ist, der diese Werke geschrieben hat… hat er nicht immer gute Ratschläge beigesteuert? Das schlechte Gewissen unterdrückt er ja schon seit Jahrzehnten meisterhaft. Er ist der Mann, an dem man sich reibt, wenn man ihn kennt, und den man fast bewundert, wenn man nur die Fassade sieht…

Da sind noch Christian Slater als der schmierige Journalist wie er im Buch steht, da ist Max Irons als der Sohn, der nur Enttäuschungen durch den Vater erlebt, da ist Alix Wilton Regan als die schwangere Tochter – und in einer kurzen Szene in der Vergangenheit Elizabeth McGovern als Schriftstellerin, die Joan rät, jeglichen Versuch von Eigenständigkeit zu unterlassen: In einer Welt von Verlegern, Lektoren und Kritikern würde man nur mitleidig, verächtlich, kopfschüttelnd auf sie als Frau herabsehen…

So war es vielleicht. Was uns interessieren muss ist, was davon noch heute gilt. Im übrigen: konventionelles Kino mit ein paar darstellerischen Meisterleistungen.

Renate Wagner


MANNHEIM/ Opernstudio des Nationaltheaters: DER GUTE EHEMANN von Georg Anton Benda (1722-1795). Premiere

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Koral Güvener, Felix Banholzer, Natalija Cantrak, (c) Hans Jörg Michel

Mannheim: Der gute Ehemann/ Georg Anton Benda  10.2.2019 Premiere

Das Internationale Opernstudio des Nationaltheaters führt im Studio Werkhaus das zweiaktige Intermerzzo Der gute Ehemann (Il buon marito) von Georg Anton Benda (1722-1795) in der neuen deutschen Übersetzung von Antonio Staude auf. Benda, in der Tschechei geborener deutscher Komponist, gilt als Vertreter der Frühklassik und erlangte zu Lebzeiten einige Berühmtheit als Verfasser von Melodramen und Intermezzi, von denen auch Mozart sich inspirieren ließ. Er war Violinist im Dienst Friedrichs des Großen und Kapellmeister in Gotha. Dort wurde auch sein ‚Guter Ehemann‘ aufgeführt. Das Paar Rosetta -Bazzotto macht eine Ehekrise durch, Rosetta möchte ihre ehelichen Rechte nach französischer Mode erweitern, und ihr Gatte soll nicht mehr die 1.Geige spielen. Sie stellt ihm eine Falle. Während er von einer seiner Gelagen heimkommt, lauert sie ihm auf. In der Dunkelheit stoßen sie aufeinander, und Bazzotto erkennt seine Frau nicht, will die unbekannte Dame nach Hause begleiten und wird dabei auch gleich anzüglich ihr gegenüber. Beim Verführungsversuch gibt sie sich ihm zu erkennen, und damit geht Rosettas Plan auf. Bazzotto will sich bessern. Er verspricht, viele Kinder mit ihr zu haben, um die Ehe zu retten. Rosetta geht darauf vorerst aber nicht ein und droht mit der Scheidung, worauf Bazzotto in hemmungslose Verzweiflung gerät. So kann Rosetta ihm ihre Wünsche diktieren, ein Treueversprechen abnehmen und auch seine eheliche Unterordnung verlangen. Damit erscheint die Ehe gerettet.

Der Regisseur und Bühnenbildner Marco Misgaiski, szenischer Leiter des internationalen Opernstudios, erfindet eine Figur als Sprechrolle hinzu. Im  Rahmen einer Paartherapie läßt er den österreichischen Arzt Jacob Levy Moreno (1890-1974) (der Schauspieler Felix Banholzer)  in einem Prolog auftreten, der in einem „Psychodrama“ das Eheproblem ‚aufführt‘ wie auf einer ärztlichen Bühne, und in einer Gruppensituation „die dabei entstehende Katharsis in dieser Schule zum Motor einer inneren Weiterentwicklung der Personen“ werden läßt. (Zitat Programmheft) In dem viereckigen Studio steht in der Mitte ein Podium mit Tisch, der Arzt tritt von einem Chaiselongue am Rand auf, die Zuschauer sitzen in 2-3 Reihen drum herum. Anfangs tritt auch der musikal.Leiter (Pianist) auf, der seine Tasche an die Arzthelferinnen in Nonnentracht übergibt, die die Partitur dann daraus auf dem Flügel placieren. Dann können die verfeindeten Partner sozusagen aufeinander los gehen. In der mitreißenden starken Musik Bendas, die am Klavier von Robin Philips prononciert engagiert wiedergegeben wird, singen die beiden ihre Ariosi und und Cabaletten in brillanter Abfolge. Die Kontrahenten sind beide seit dieser Spielzeit Mitglieder des Opernstudios. Die junge Serbin Natalija Cantrak mit langem blonden Lockenhaar, ganz reizvoll timbriertem Sopran und ‚Hang‘ zu Koloraturen, kann sich auch in ganz cooler Weise ihrem Partner entgegenstellen oder wirkt schon mal wie eine Furie, auch wenn sie von den Nonnenschwestern in Korsett und Stangenrock eingezwängt wird (Kostüm: Martina Klander). Ihr Partner ist der aus Ankara stammende junge Tenor Koral Güvener, der in Nebenrollen bereits im Spielhaus aufgetreten ist. Er kann sich auf seinen markanten guttimbrierten Tenor verlassen und macht das Beste aus seinen  anvancierten Arien, bemüht sich selbstverleugnend, fällt vor seiner Gattin auf die Knie. Wenn auch der Versöhnungsschluß ein wenig aufgesetzt wirkt, konnten sich doch zwei bemerkenswerte super Stimmen in einem eher unbekannten (musikalischen) Ambiente toll ausprobieren.                                                               

Friedeon Rosén

 

Film: SWEETHEARTS

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Filmstart: 15. Februar 2019
SWEETHEARTS
Deutschland / 2019
Drehbuch und Regie: Karoline Herfurth  
Mit: Karoline Herfurth, Hannah Herzsprung, Frederick Lau, Ronald Zehrfeld, Katrin Saß, Anneke Kim Sarnau u.a.
               
Also, Sweethearts sind die Damen absolut keine, wenn auch jede ihren „Soft Spot“ hat: Bei Mel, die gerade kaltblütig einen Juwelenraub durchgezogen hat, ist es ihre kleine Tochter. Und bei Fanny, die auf dem Rückzug so mir nichts, dir nichts als Geisel genommen wurde, ist es ein Polizist, der ihr über den Weg läuft. Aber erst später – und das im Rahmen einer Geschichte, die so verrückt ist, dass sie nicht ernst genommen werden kann. Aber das Genremix, das in dieser deutschen „Thelma & Louise“-Version geboten wird (man erinnert sich, das legendäre weibliche Gangsterpärchen), wäre unverdaulich, wenn es die Hauptdarstellerinnen nicht immer wieder retteten. Vermutlich wissen sie selbst nicht, wie: Zauber der Persönlichkeiten?

Natürlich ist es gut, dass in Deutschland jetzt so viele Filme gedreht werden, man will ja nicht nur von den Amerikanern abhängig sein (und die anderen großen Filmnationen enttäuschen – wie die Franzosen so oft – oder lassen ganz aus – wie die Engländer derzeit). Allerdings gibt es dann auch immer wieder die Fälle der „Selbstbedienung“: Wenn sich eine Schauspielerin ein Drehbuch schreibt, das eine Hauptrolle für sie enthält, und wenn sie zur Sicherheit auch noch selbst inszeniert. Folglich kann man sagen: Was immer in „Sweethearts“ passiert, ob Handlung, Darstellung, Umsetzung, Karoline Herfurth hat es zu verantworten. Und man fragt sich, ob die 34jährige, die in so manchem Film aufgetaucht ist, wenn auch meist als unübersehbar skurrile Nebenrolle, sich die Latte eigentlich hoch oder tief gelegt hat…

Tief ist es, weil sie einfach ein verrückt-irreales Lustspiel bietet, in dessen Zentrum sie als doch recht klischierte Figur steht – die von Panikattacken geschüttelte Hysterikerin, die sich selbst so normal vorkommt (aber sonst niemandem). Diese Fanny wird, wenn sie als Geisel genommen wird, sich erst nicht einmal sonderlich fürchten, sondern nur  herumzicken. Und eigentlich tut sie das den ganzen Film hindurch. Ein Wunder, dass Mel – die Räuberin, die keine wirkliche Kriminelle ist, sondern nur mit ihrer kleinen Tochter aus dem „Milieu“ aussteigen will – sie nicht nach kürzester Zeit auf Nimmerwiedersehen aus dem Auto wirft. Man selbst hätte das mit Sicherheit getan.

Aber das Road-Movie, zwei Frauen auf der Flucht, wird auch zum Buddy-Movie, wenn sich Fanny (Stockholm-Syndrom?) nach und nach an Mel anschließt und ihr am Ende sogar hilft, ihre logistischen Probleme mit der Polizei zu lösen. Glaubhaft ist das nicht eine halbe Sekunde lang, die ganze Handlung nicht, die aber über weite Strecken ja doch auf realistisch gepolt wirkt. Und am Ende gibt’s dann Blut – aber es ist nur der Böse (Ronald Zehrfeld), der auf der Strecke bleibt. Auf den kann man leichten Herzens verzichten und sich vom Shoot-Out schnell wieder aufs Happyend einstellen…

Auch die Parallelhandlung ist reichlich klischeebehaftet: Die kaltschnäuzige Polizistin (Anneke Kim Sarnau), mit der niemand zusammen arbeiten will, am wenigstens ihr Exfreund, Polizist Harry (Frederick Lau): Wie er als weitere Geisel (!) dann in die Handlung eingeführt wird, ist ein Kunststück an verbogener Argumentation. Aber seine Funktion besteht ohnedies nur daran, der völlig verkorksten Fanny so etwas wie erotische Gefühle einzuflößen… Ja, und da ist dann noch in einer kleinen Szene Katrin Saß (das ist die, die bis heute so unvergleichlich nach DDR riecht, dass sie solche Rollen besonders vorzüglich spielt) – eine kaltschnäuzige Mutter, die im Endeffekt ja den beiden Flüchtigen doch hilft. Wie gesagt, da wird nichts ausgelassen…

Ja, und da sind noch die gar nicht süßen Hauptdarstellerinnen, wobei Hannah Herzsprung das Gefühl vermittelt, sie habe diesmal ihren Typ geändert, sei nicht mehr so nervtötend „intensiv“, wie es ihr Markenzeichen ist, sondern eher ziemlich normal und sehr genervt. Kein Wunder angesichts von Karoline Herfurth, die sich natürlich die Traumrolle für eine Comedienne geschrieben hat, die sie zweifellos ist – das Nervenbündel, das natürlich auch zeigen kann / darf / muss, dass sie was drauf hat. Kein Klischee ausgelassen.

Was fängt man mit so einem Film an? Ehrlich, das ist schwer zu entscheiden. Einfach zu blöd? Oder doch witzig? Oder ein ironischer cineastischer Purzelbaum? So manches. Der Betrachter muss selbst zu seinem Urteil kommen, man kann es ihm nicht vorgeben – sonst steht man am Ende noch als Sauertopf da.

Renate Wagner

Film: UNDER THE SILVER LAKE

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Filmstart: 15. Februar 2019
UNDER THE SILVER LAKE
USA / 2018
Regie: Andrew Garfield, Riley Keough, Topher Grace u.a.

Es ist ja nicht so, dass dergleichen noch nicht da gewesen wäre. Ein bisschen ein alter Schmäh, den Regisseur David Robert Mitchell da zusammen gekocht hat. Sex and Crime in L.A., die Reichen von Hollywood, viel Esoterik – und ein ganz offensichtlicher Drogen-Coctail darüber geschüttet. Das hat den alten Vorteil, dass nichts stimmen muss, denn wenn man alles in bekifftem Zustand erlebt, geht die Irrealität immer als Sieger hervor. So geschieht es in „Under the Silver Lake“.

Zuerst lernen wir Sam in seinem normalen Nichtstun kennen. Der Anfangs-Dreißiger, der gelangweilt die Anrufe seiner überströmenden, aber fernen Mutter entgegen nimmt, hockt in L.A. in seiner Wohnung, deren Miete er nicht mehr bezahlen kann, tut gar nichts, schaut höchstens voyeuristisch gelegentlich durchs Fernglas. Eine hübsche Blondine am Pool, eine gemeinsame Nacht – und weg ist sie. Was niemanden wundert außer Sam.

Auf der Suche nach ihr beginnt nun die Odyssee des Filmemachers für seinen Helden, die zur Quiz-Show für den Cineasten-Freak wird: immer wieder Bilder, Motive, Szenen, die absichtlich an andere berühmte Filme erinnern. Prompt ist man damit beschäftigt, sein Gedächtnis auf der Suche zu durchforsten, denn nicht immer liegt alles (wie bei Hitchcock) gleich auf der Hand. Nur eines steht fest: sehr „Film noir“ ist es schon… Und man darf auch ein bißchen „Hollywood-Sightseeing“ betreiben und zwischen den Gräbern der Filmstars herumstreifen.

So sehr sich Sam zuerst gelangweilt hat, gerät er nun auf der Suche nach seiner Schönen in eine Welt der Verschwörungstheoretiker. Jedes Zeichen – und sei es auf einem Comic-Titelbild – habe eine Bedeutung, lernt er, Urban Legends erzählen uns magische Dinge. Wir sind knüppeldicke in der Welt der Esoterik, und ganz schnell rutscht man immer wieder ins Absurde ab. Da wird vielleicht geschwätzt und geschwafelt, sinniert und spekuliert, dass es nur so eine Freude ist. Da kommen die ganz dicken Weisheiten (wie sie halt so in verkifften Köpfen kreisen): „Your living is a bad version of the life you should have…“ Zwischen Verfolgungswahn, Paranoia und billiger Welterklärung ist alles drin.

Ob man das verwirrend oder reizvoll findet, anregend oder anödend, das liegt im Auge des Betrachters. Gegen Ende – Effekt: Horror – gerät Sam (durch einen seltsamen Mann mit Papierkönigskrone) in ein unterirdisches Labyrinth, das sich als Grab für einen Guru und seine Jüngerinnen herausstellt, die schon in ganz anderen Bewusstseinsschichten schweben und auf das ultimative Abheben warten… Da fragt man sich, als Zuschauer mittendrin aufwachend: Mein Gott, wie sehr kann man spinnen?

Gut, dass Sam da irgendwie rauskommt. Ob er sein Pool-Mädchen findet, wird natürlich nicht verraten (aber irgendwie spielt Hundekuchen eine Rolle, oder?). Am Ende gibt es drei Argumente für Hardcore-Filmfans, sich das doch anzusehen: Erstens ist diese L.A. / Hollywood-Subkultur mit ihrem Esoterik-Fimmel immer wieder erstaunlich und schaurig unterhaltsam; zweitens kann man wirklich das Ratespiel „Aus welchem Film ist dieses Zitat“ spielen; und drittens ist Andrew Garfield ein starker junger Hauptdarsteller, dem man bei seinen Verwirrungen gerne zusieht…

Renate Wagner

Film: ALITA: BATTLE ANGEL

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Filmstart: 14. Februar 2019
ALITA: BATTLE ANGEL
USA, Kanada, Argentinien / 2018
Regie: Robert Rodriguez
Mit: Rosa Salazar, Christoph Waltz, Mahershala Ali, Jennifer Connelly u.a.

Wenn man sich ein bisschen in der Branche umschaut, gibt es interessante Phänomene. So wurde in den USA schon mit Gewalt versucht, diesen Film noch vor dem Start zu vernichten, ihn als potentiellen Flop hinzustellen, ihn schlecht zu beurteilen. Wie dergleichen ausgeht, sei dahingestellt, was dahinter steckt, wissen wohl nur die Insider. Eines steht fest – Cyber-Freaks werden sich diese Alita, das berühmte Girl der japanischen Manga-Comics, sicher ansehen wollen. Und Österreicher pilgern ohnedies stolz und erwartungsvoll in jeden Film mit Christoph Waltz, auch wenn er seit einiger Zeit permanent enttäuscht…

Warum hat sich die US-Presse auf „Alita: Battle Angel“ so eingeschossen? Hat es mit den Namen zu tun? Verbindet man mit ihnen etwas Besonderem, liegt die Latte für alle Zukunft hoch. James Cameron (hier „nur“ der Produzent, aber das Gehirn hinter dem Ganzen), das war doch „Titanic“. Robert Rodriguez (der Regisseur), das war doch der mit den richtig pfiffigen Mexiko-Krimis. Dass die beiden ihr Niveau nicht gehalten haben, vergisst man gern angesichts von Filmen, die man nicht vergessen hat. Und nun – Alita…

Zugrunde liegt der Geschichte eine japanische Manga-Geschichte (Mangas unterscheiden sich interessant von amerikanischen Comics, weil sie in ihrer Ästhetik so stylish sind), die vom Inhalt her die absolut übliche Geschichte erzählt. Si-Fi-Zukunft, 26. Jahrhundert („gute, alte Zeiten“, deren Supertechnologie verloren ging, liegen wohl dreihundert Jahre zurück), und der Cyborg, der hier zum Leben erweckt wird (immer wieder das Frankenstein-Motiv), ist ein süßes junges Mädchen. Dr. Dyson Ido findet ihren Kopf im Schrott und gibt ihr den Körper seiner verstorbenen Tochter. Aber erst, als Alita, wie er sie nennt, ihren früheren Körper findet (wie praktisch), wird sie zu einer Berserker-Kampfmaschine, die alle, aber auch wirklich alle, die übelsten, riesigsten Blechhaufen-Kerle, besiegen kann…

Das ist es eigentlich auch schon, in einer Welt, die aus zwei Welten besteht: Wir da unten, die sehnsüchtig „hinauf“ schauen, zu einer offenbar viel tolleren Welt in einem Riesenraumschiff, vom ultimativen Meister beherrscht, der auch manchmal mit den kleinen Würmchen auf der Erde boshaft herumspielt…

Das Erstaunliche an Alita ist, dass Hauptdarstellerin Rosa Salazar von Maskenbildnern oder Computerspezialisten immer so verfremdet ist, dass man in ihr das Kunstgeschöpf erkennt – aber als ob die Disney-Zeichner über sie gekommen wären, strahlt sie so viel Zauber und menschliche Wärme aus, dass sie jedermanns Liebling sein muss.

Geschaffen hat sie Christoph Waltz, der diesmal den „guten Doktor“ spielt, kein Hauch von Fiesheit in der Figur, nur Milde und Zuneigung zu seinem Geschöpf. Besonders interessant ist das nicht, aber immerhin die Rolle in einem Film, von dem man hoffen konnte, es werde ein Blockbuster daraus.

Damit die Teenager im Publikum sich auch angesprochen fühlen, bekommt Alita in dem Menschen-Twen Hugo (TV-Gesicht Keean Johnson, hübsch und sympathisch) ihr Love Interest. Besser dran mit den Rollen sind die „Bösen“, wobei Jennifer Connelly gerade noch rechtzeitig mütterliche Wärme in sich entdeckt. Mahershala Ali (seit „Moonlight“ und vor allem „Green Book“ ein unvergessliches Gesicht) muss den Bösen spielen und tut es sehr elegant. Ja, und ganz, ganz am Ende schaut Edward Norton als übler Übervater von seinem Luxushimmel herab… und dem herausfordernden Blick von Alita möchte man entnehmen, dass sie die feste Absicht hat, in der Fortsetzung zu ihm hinaufzuklettern.

Wenn es denn eine gibt… Aber wieso eigentlich nicht? Selbst wenn die Geschichte einfach das Übliche ist, so ist sie doch in den zahllosen Kampfszenen, wo das kleine Mädchen tödlich herumwirbelt, prächtig gemacht, die rasante Choreographie erinnert an die Hongkong-Filme mit ihren fliegenden Helden, auch die Ninjas lassen grüßen… Asien kann dergleichen am besten, was spricht dagegen, es sich von ihnen abzuschauen?

Fazit: Wer sich viel erwartet oder gar Innovatives erwartet, wird natürlich enttäuscht. Wer glaubt, Christoph Waltz muss immer eine faszinierende Studie liefern, wird gleichfalls enttäuscht. Wer die übliche Cyber-Action sehen will, wird bedient – vor allem mit den brillanten Kampfszenen. Die Computer können das gut.

Renate Wagner

BERLIN/ Deutsche Oper: LA SONNAMBULA – ein Belcanto-Ereignis

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Bildergebnis für berlin deutsche oper la sonnambula
Amina (Venera Gimadieva) kommt schlafwandelnd zu Graf Rodolfo (Ante Jerkunica), copyright Bernd Uhlig

Berlin / Deutsche Oper: „LA SONNAMBULA“, ein Belcanto-Ereignis. 10.02.2019

Was für ein liebes Mädel ist doch diese Amina! Das ganze Dorf schwärmt für sie und preist ihre Reinheit. Die junge russische Sopranistin Venera Gimadieva passt, wie sich bald herausstellt, bestens in diese Rolle, und schnell wird klar, warum sie bereits international stark gefragt ist.

In dieser vierten Aufführung von „La Sonnambula“ an der Deutschen Oper Berlin gibt sich Venera Gimadieva zunächst als liebreizend Schüchterne, jedoch mit einer Stimme, die im Verlauf von Bellinis Belcanto-Oper alle Gefühlsschwankungen und Erlebnisse dieser jungen Frau in allen Schattierungen schildern kann. Was sie freut, was sie begeistert, wovor sie sich ängstigt, wie sehr sie liebt und ihre Unschuld beteuert und wie intensiv sie als Verachtete leidet – alles lässt sich aus diesem ebenso lyrischen wie koloraturfähigen Sopran heraushören.

Doch bevor Venera Gimadieva das erste Mal in Erscheinung tritt, richtet sich die Aufmerksamkeit auf  Alexandra Hutton, die sehr aparte Schankwirtin Lisa. Schlechtgelaunt sitzt sie mehrfach rauchend im Saal einer Dorfkneipe, möbliert mit schlafzimmergerechten großen braunen Schränken an den Wänden. Hässlichkeit hoch drei, aber absichtlich. (Bühne und Kostüme: Anna Viebrock)

Weißer Angorapulli, enger, hoch geschlitzter Rock, der oft noch höher rutscht, um ihre wirklich schönen Beine zu zeigen – so setzt sich diese Lisa in Szene, eine Frau, vermutlich nicht mehr ganz jung, die sicherlich „nichts anbrennen“ lässt. Nur von dem sie ständig bedrängenden Alessio (Andrew Harris!) will sie partout nichts wissen.

Sie hatte eine Weile Elvino als Partner, doch der – auch finanziell eine gute Partie – heiratet jetzt Amina. Voller Wut und daher besonders laut klappt sie, während die Musik schon läuft, die Sitzbänke auseinander und schmettert auch gekonnt einige zornige Koloraturen, während die Dörfler (der Chor, einstudiert von Jeremy Bines) den Hochzeitsfestgesang proben.

Die logische und mit guten Ideen gespickte Inszenierung ist kein Eigengewächs. Die Deutsche Oper Berlin hat diese vor fünf Jahren ersonnene Regiearbeit von der Stuttgarter Oper übernommen. Warum das Rad neu erfinden, wenn bereits etwas gut Durchdachtes zur Verfügung steht?

Starregisseur Jossi Wieler hat jedoch zusammen mit Sergio Morabito diese Inszenierung für die Deutsche Oper Berlin neu eingerichtet und überzeugt damit, zumal sein Interesse vor allem den Personen gilt, die in Bellinis Melodramma zwischen Liebe und Leid mitunter völlig die Orientierung verlieren. Auch einzelne Szenen sind fein durchleuchtet. Überzeugend und tonschön werden alle ihren Rollen gerecht.

Am meisten gefordert sind Venera Gimadieva als Dorfmädchen Amina und der mexikanische Tenor Jesús León als ihr Bräutigam Elvino. Großartig singend und intensiv spielend machen sie klar, wie sehr sie sich lieben, in welche Gefahr jedoch ihre Liebe gerät, und wie schnell Gefühle in Eifersucht, Kummer, Verzweiflung und Wut bis zu Mord- und Selbstmordgedanken umschlagen können.

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Venera Gimadieva als Amina, Alexandra Hutton als Lisa, Helena Schneideman als Teresa, copyright Bernd Uhlig.

Venera Gimadieva kann, wie schon erwähnt, eine ganze Gefühlsskala bieten, während Jesús Leóns  lyrischer, aber koloraturgewandter Tenor ermüdungsfrei und intonationssicher sehr angenehm in die Ohren dringt. Zwei junge Künstler, schon international gefragt und vielleicht auf dem Weg zum Star. 

Als Dritter und Störenfried der bevorstehenden Hochzeit kommt bekanntlich der verschollene Graf Rodolfo ins Geschehen. Nach Grafenart, von Amina innerlich berührt, benimmt er sich sogleich als solcher, streichelt ihr Gesicht und flirtet gekonnt mit ihr. Wie sollte sie auch diesem gewieftem Verführer, und wie sollte das Publikum seinem ebenso verführerischen, reichhaltigen Bass widerstehen? Über die ungebildete Dorfbevölkerung amüsiert er sich deutlich.

Als die schlafwandelnde Amina sein Zimmer betritt, versucht er zunächst noch als Gentleman zu handeln. Er merkt ja, dass sie gar nicht bei Sinnen ist. Hier ist sie es, die die Initiative ergreift, und bald geht’s im Bett heftig zur Sache.

Schon vorher wandelte Aminas verstorbene Mutter, einst die Geliebte des jungen Rodolfo, mehrmals  als stumme Wiedergängerin durch einzelne Szenen. Allmählich begreift Graf Rodolfo, dass er Sex mit seiner eigenen Tochter gehabt hat, die dennoch in wunderbaren Gesangsbögen immer wieder ihre Unschuld beteuert.

Als die Dorfbevölkerung mit Äxten und Mistgabeln in die Kneipe stürmt, um den unwillkommenen Grafen auf ihre Art zu begrüßen, versteckt der sich in einem der Schränke. Die Inszenierung wird jetzt sehr deutlich: Amina taumelt aus dem Bett, und triumphierend hält Lisa, die sich zuvor ebenfalls an den Grafen herangemacht hatte, das blutige Bettlaken hoch.

Die Dörfler brechen derweil die Lederkoffer des Grafen auf, um sich das Passende anzueignen, die Männer seine feinen Hemden und Unterhosen, die Frauen eher seine Bücher und die Kosmetiktasche Eine zieht gleich seinen seidenen Morgenmantel über ihre Kittelschürze.  

In all’ dem Tohuwabohu behält nur eine annähernd die Übersicht: Aminas Stiefmutter Teresa. Zärtlich und besorgt agiert Helene Schneiderman, wohl aus Stuttgart gleich mitimportiert. Lupenrein singend glaubt an die Unschuld der nun fieberkranken Amina. Ihr Hemd ist erneut blutbefleckt, sie krümmt sich vor Schmerzen und hat eine Fehlgeburt. Elvino krümmt sich unterdessen vor lauter Verzweiflung, dennoch anrührend und kraftvoll singend, auf dem Boden. Hilflos ist auch er.

Mutig hält Teresa dem Grafen, der vor Scham das Gesicht verbirgt, das Tuch mit dem blutenden Fötus entgegen. Nein, das ist nicht reißerisch inszeniert. Wieler und Morabito haben die verschiedenen Textquellen offenbar genau studiert und außerdem logische Schlüsse gezogen.

Von der gerade vergangenen Nacht mit dem Grafen kann dieses bisschen Leben nicht stammen. Dafür muss Elvino verantwortlich sein, da sich die beiden schon länger kennen und lieben. Würde dieser Elvino zu Bellinis Zeiten eine Frau geheiratet haben, von der alle wissen, dass sie keine reine Jungfrau mehr ist? Mit dem unaufgeklärten Mädchen ist etwas geschehen, das sie nicht versteht. Daher fühlt sie sich schuldlos. Unter welchen Schmerzen das bekannte Happy End geboren wurde, verschweigt diese Inszenierung nicht.  

Zuletzt großer Jubel, auch für das Orchester der Deutschen Oper Berlin unter der Leitung von Stephan Zilias. Der ursprüngliche Dirigent Diego Fasolis hatte zur Hauptprobe aus künstlerischen Gründen, so hieß es, plötzlich das Handtuch geworfen. Zilias, sein Assistent, sprang ein und rettete die Premiere am 26. Januar.   

Inzwischen ist alles gut eingespielt, und alle können ohne Premierenstress ihr Können beweisen. Sie haben es getan und das Publikum mit einem herrlichen Belcanto-Abend beglückt. Es ist eine alte Opern- und Theaterweisheit: Wer keine Premierenverpflichtungen hat und aufs „Schaulaufen“ verzichten kann, ist mit der dritten oder vierten Vorstellung, falls hochkarätige Gastsängerinnen und Gastsänger an Bord bleiben, zumeist weitaus besser bedient.  

Ursula Wiegand

Weitere Vorstellungen am 19. und 25. Mai

WIEN / Staatsoper Giacomo Puccini TOSCA

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Tosca und Cavaradossi in verliebter Pose: Sondra RADVANOVSKY und Pitr BECZALA (Foto: M.Pöhn)

WIEN / STAATSOPER

Giacomo Puccini   TOSCA

Sonntag 10. Februar 2019
607. Aufführung in dieser Inszenierung


GLANZ UND ELEND IN EINEM HAUS UND EIN DACAPO

Kaum 24 Stunden waren vergangen und in der Wiener Staatsoper konnte schon wieder soviel Glanz, Jubel und Stimmung auf eine vergeigte Premiere folgen, so dass sich das Publikum von der „evidenza della situazione“ eines Komponisten mitreißen ließ, von Puccinis musikalischer Atmosphäre seiner TOSCA und von der Ausstrahlung eines Künstlertrios, nämlich mit einem, an einem solchen Abend gleich doppelt animierten Maestro und einem umjubelten Hauptrollenpaar

Man war dem matten Produktionsentwurf einer romantischen italienischen Oper Donizettis bei der vorabendlichen Premiere mit Enttäuschung, Ratlosigkeit, Langeweile gefolgt und letztlich – dies alles aus Gesprächen mit Besuchern oder unseren Forumsbeiträgen entnommen und letztlich dem schmerzhaften Selbstversuch, sprich Vorstellungsbesuch folgend – zur Erkenntnis gelangt, dass das viele Geld für eine Neuinszenierung beim Fenster des Teesalons hinausgeworfen wurde. Damit wurde aber die Erkenntnis, die man am vorgestrigen Premierenabend zum wiederholten Male gewonnen hatte, es folge fast nie besseres nach, nur gefestigt und jede Direktion sei angefleht, diese Inszenierung der Tosca erst dann auszuwechseln, wenn dazu ein begnadetes Regietalent auftaucht. Aber wenn man den Stimmen der Gerüchte folgt, ist die nächste Intendanz bereits eher heftig bemüht, alte inszenatorische Meisterleistungen einer Wiederbelebung zu unterziehen, um jüngste Fehlleistungen auszuwechseln. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Zurück zu Puccini: Der Maestro des Abends war, wie so oft Marco Armiliato, der aus der bereits in seinem Kopf verankerten Partitur die Dramatik des Stückes sowie die schwelgerische Lyrik der tragischen Liebeshandlung vermittelte und das Staatsopernorchester folgte mit hörbarem Einsatz. Wenn es so etwas wie die Eloquenz dirigierender Hände gibt, dieser Dirigent hat sie.

In der Titelrolle Import aus der fernen Metropolitan Opera, aber nicht nur aus dieser bringt die in Chicago geborene Sandra Radvanovsky weltweite Erfahrung aus dem dramatischen Sopranfach der italienischen Oper ein. Mit ihrer großen, warmen Stimme meistert sie auf unprätentiöse Weise alle Seiten dieser Partie: die Liebesschwüre, die eifersüchtigen Anklagen, die flehenden Bitten an Scarpia im sogenannten Gebet, die Schilderung des Mordes mit einem siegreich gesetzten „Messer-C“. Und sie erinnert auch an die erste Tosca dieser Inszenierung nicht nur mit ihrem gesanglichen Ausdruck, sondern auch im Aussehen: an Renata Tebaldi. So etwas wie gewollte Heiterkeit angesichts des Todes erntet sie für den an Cavaradossi gerichteten „Unterricht“ im Verhalten beim Erklang der vermeintlich simulierten Gewehrsalve des Hinrichtungspeletons.

Doch die Salve ist echt, Cavaradossi macht seine Sache aufregend, denn mit Piotr Beczala hat in dieser Rolle, was edles Auftreten und opferbereites Revoltieren, aber auch die stimmliche Leistung seines ausgereiften Materials anlangt, der Sänger inzwischen die Spitzenklasse erobert. Ich glaube, dass ihm heute kaum jemand sein „E lucevan le stelle“ so nachsingt. Und er hat sich und das Publikum mit einem „Bis“ zu Recht belohnt. Auch die Acuti dieser Partie (La vita mi costasse und das Vittoria) setzte er hörenswert um. Dazu die unvergleichlichen dolci mani.

Für Thomas Hampson war der mit dramatischem Impetus auftretende Scarpia des ersten Aktes in seinen besten Zeiten schon ein Grenzfall, erst Recht heute, wo der Sänger bereits im siebenten Lebensjahrzent steht. Aber mit diesem Problem ist er nicht alleine, dafür hat er im zweiten Akt seine Chance zu zeigen, wie fies und lüstern er den Polizeichef anlegen kann. Frau Radvanofsky ist bemüht, sich ihn mit drei Messerstichen vom Leib zu halten, er stirbt darauf martialisch und nicht wenige Smartphones glimmen im Saal auf.

Der Rest ist einfach gestrickte Routine aus unserem Ensemble: Ryan Speedo Green als Flüchtender, Alexandru Moisiuc als unauffälliger Mesner, Benedikt Kobel als Dauerspoletta und Igor Onishchenko der Sciarrone. Ayik Martirossian ist der Schließer auf der Engelsburg und Rebekka Rennert, ein Opernschulkind der stimmschöne Hirte. Der Chor hatte seinen Stehplatz in Sankt Andrea della Valle stimmlich gut genützt.

Rund zehn Minuten teils sehr heftiger Schlussapplaus.

Peter Skorepa
OnlineMERKER

 

DORTMUND/ Konzerthaus: MOZART-MATINÉE (Mozart/ Beethoven) unter Gabriel Feltz

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Foto: Stephan Lucka

Dortmund – Konzerthaus  – 10. Februar 2019  Mozart-Matinée. Werke von Mozart und Beethoven

 

Musikalischen Großeinsatz leisteten die Dortmunder Philharmoniker und ihr Dirigent GMD Gabriel Feltz am vergangenen Wochenende.

Am Samstag spielten sie im Opernhaus  hinreissend im melodischen Zusammenspiel sowie  in allen Soli der farbigen, harmonisch und rhythmisch anspruchsvollen Instrumentation den Orchesterpart in der Premiere von Giocomo Puccini`s lyrischem Drama (dramma lirico)  Turandot. Schon am folgenden Sonntagmorgen bestritten sie die Matinée der Mozart-Gesellschaft Dortmund mit Werken von Mozart und Beethoven.

Im ersten Teil umrahmten zwei Kompositionen  von Wolfgang Amadè Mozart aus den Jahren 1785 und 1786 eines seiner Frühwerke.

Zu Beginn erklang die Maurerische Trauermusik c-moll KV 477, die Mozart zum Tode zweier Logenbrüder komponiert hat. Trotz der verhältnismässig grossen Streicherbesetzung, die besonders für die Hörbarkeit der manchmal begleitenden  punktierten 16teln der Violinen günstig war, vermittelten  die Bläser den elegischen klanglichen Eindruck des Stücks, hier insbesondere die Oboen zu Beginn und die beiden Bassetthörner. Elegisch klang  besonders der Mittelteil mit dem choralartigen Zitat entnommen den gregorianischen Klagegesängen des Jeremias. Deutlich erklang als Abschluß der für die Zeit ganz ungewöhnliche Schwellton, jetzt in C-Dur.

Ziel der Mozart-Matinéen ist bekanntlich, junge Nachwuchskünstler als Stipendiaten dadurch zu fördern, daß sie Gelegenheit erhalten, mit grossen Orchestern zu konzertieren.

So folgte nun die ganz frühe – Mozart war fünfzehn Jahre alt – Motette Regina coeli für vierstimmigen Chor und Sopran in C-Dur KV 108 – die erste von drei solcher Motetten Mozarts zum Lob der Himmelskönigin. Insbesondere in den Alleluja-Ecksätzen glänzte stimmlich der etwa 50 Sängerinnen und Sänger umfassende  Jugendkonzertchor der Chorakademie Dortmund einstudiert von Felix Heitmann auch dann, wenn nur einzelne Stimmgruppen  sangen oder die  Orchesterbegleitung aussetzte. Die beiden Sopran-Solosätze sang die Stipendiatin Sophie-Magdalena Reuter mit besonders in der Höhe perlenden Koloraturen  und Trillern im schnelleren Quia quem meruisti (den du zu tragen würdig warst) und langer Kantilene im Ora pro nobis, hier besonders in tieferer Lage ganz einfühlsam unterstützt und begleitet von Gabriel Feltz und dem Orchester.

Es gibt Musikstücke, die wegen ihrer ausgefallenen Besetzung nur selten aufgeführt werden können. Dazu gehört von Mozart die grosse Konzertszene mit Rezitativ und Rondo Ch’io mi scordi di te? ES-dur KV 505  über Verzweiflung und Treue in der Liebe für Sopran, Klavier und Orchester..Mozart schrieb sie zum Abschied der  Sängerin Nancy Storace (der ersten Susanna im Figaro ) und den Klavierpart für sich selbst. Kürzlich erklang sie in einer Matinée der Mozartwoche in Salzburg, Jetzt musizierten sie als Sopran  wieder   Sophie-Magdalena Reuter und die schon länger von der Mozart-Gesellschaft auch durch Herausgabe einer CD  geförderte Pianistin Magdalena Müllerperth – immer noch betreut durch Prof. Klaus Hellwig aus Berlin. Zu der anspruchsvollen Sopranpartie – wechselnd zwischen dramatischem Rezitaiv und melodischen Kantilenen  – spielte die Pianistin  die Singstimme teils kontrastierend teils begleitend den Klavierpart. Dank ihrer pianistischen Fähigkeiten wurde es zusammen mit dem Orchester fast ein kleines Klavierkonzert in Mozarts spätem Stil. Als Zugabe erfreuten die beiden Stipendiaten mit  dem Vergeblichen Ständchen von Brahms.

Im zweiten Teil der Matinée glänzten das Orchester und der auswendig dirigierende Gabriel Feltz mit einer ausgefeilten, durchdachten  und sorgfältig einstudierten Aufführung der 7. Sinfonie A-Dur op. 92 von Ludwig van Beethoven. Dies zeigte sich auch an den spannenden  Übergängen zwischen verschiedenen Teilen innerhalb eines Satzes, etwa in ersten Satz zwischen der langsamen Poco sostenuto – Einleitung und dem punktierten 6/8 Rhythmus des folgenden Vivace – Flöten und Oboen sei gedankt . Dabei hörte sich dieses Vivace vielleicht etwas langsamer an als sonst schon einmal, dafür aber groß und mächtig. Der fast-Stillstand beim Übergang zur Coda  wurde dadurch besonders dramatisch. Im  direkt folgenden Allegretto des zweiten Satzes gelangen sehr gut die melodischen Teile einschließlich des kleinen Fugato als Gegensatz zum bohrenden Hauptrhythmus. Der dritte Satz war dann so sehr Presto, daß man sich wunderte, daß die Holzbläser ein so schnelles Staccato überhaupt spielen konnten. Wieder folgten direkt die mächtigen aber immer exakten Anfangsakkorde des abschliessenden Allegro con brio. Auch hier kam wieder besondere Spannung auf durch einen Fast-Stillstand durch den  zweimaligen verzögerten Sprung zum sf  vor erneutem Einsatz des ersten Themas. Danach  versetzte die dynamische Steigerung bis zum fff-Höhepunkt  der Coda  das Publikum im fast ausverkauften Konzerthaus offenbar in eine Art Rauschzustand, so stark waren Beifall und Bravorufe.

Sigi Brockmann 11. Februar 2019

 

 


ATHEN( Onassis Cultural Center: A QUIET EVENING OF DANCE

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Copyright: Onassis Cultural Centre

Onassis Cultural Centre, Athen: A Quiet Evening of Dance

Besuchte Vorstellung am 10. Februar 2019

Vermessung bewegter Koerperraeume

William Forsythe hat Tanzgeschichte geschrieben. In seinen Jahren in Stuttgart und Frankfurt hat er eine eigenstaendige Sprache des Tanzes entwickelt. Sein Interesse gilt den Grundprinzipien menschlicher Bewegung und deren Spuren im Raum. Wie kaum ein anderer Choreograph entwickelte er eine kuenstlerische Recherche – um nicht zu sagen Forschung – zum Tanz. Neben seinen Buehnenwerken schuf und schafft er Installationen sowie Filme und macht das gewonnene Wissen im Internet verfuegbar. Nun ist ein neues Projekt von Forsythe zu bestaunen, ein Tanzabend, der zwei neue Arbeiten – „Epilogue“ und „Seventeen/Twenty One“ – mit zwei Neufassungen aelterer Werke – „Dialogue (DUO2015)“ und „Catalogue“ – verbindet. Das Ergebnis ist ein dichtgefuegtes, intensives Tanzerlebnis.

Der Tanzabend „A Quiet Evening of Dance“ zeichnet sich dadurch aus, dass seine einzelnen Teile praktisch vollstaendig im Ganzen aufgehen. Sicher gibt es Unterschiede in Bewegungssprache und Musik, die einzelnen Abschnitte sind aber letztlich einer uebergreifenden Betrachtungsweise untergeordnet, welche die Motorik des Koerpers und die Bewegungsfuehrung im Raum in den Fokus nimmt. Das Geschehen auf der Buehne entwickelt dabei einen mitreissenden Sog, der die Zuschauer gleichsam zu Zeugen experimentell und improvisiert anmutender Handlungen macht. Da werden die Koerper der Taenzer auf den Pruefstand gestellt, ihr Atem und die Geraeusche ihrer Bewegungen mittels Mikrophonen akustisch erfahrbar gemacht. Der Tanz wird als Bewegung im Raum untersucht, wobei es vom unmittelbaren Umraum der Koerper hinein in den Buehnenraum geht. Oder es wird zu Musik von Jean-Philippe Rameau ueber Rhythmus und Eigenlogik taenzerischer Bewegung nachgedacht, In der Tat offenbaren Forsythes Arbeiten ein tiefes Nachdenken ueber Tanz, welches die Beteiligten auf der Buehne zu nicht nur ausfuehrenden, sondern eben auch denkenden Geschoepfen macht. „A Quiet Evening of Dance“ ist eine ebenso analytische wie lustvolle Lehrstunde, ein von Details ueberbordendes Gesamtkunstwerk. Wie Forsythe diesen gelehrten Abend leichtfuessig und humorvoll choreographiert, verdient in der Tat Bewunderung.


Copyright: Onassis Cultural Centre

Natuerlich ist es nicht allein der Choreograph, der das Publikum in Staunen versetzt. Es ist ebenso sein grossartiges Ensemble. Cyril Baldy, Brigel Gjoka, Jill Johnson, Christopher Roman, Parvaneh Scharafali, Riley Watts und Rauf ‚RubbertLegz‘ Yasit zeigen exzellente Leistungen. Sie setzen noch die kleinsten Bewegungsdetails mit aeusserster Praezision um, ihre vor Energie geladenen Koerper zeichnen Bilder voll Natuerlichkeit und Anmut in den Raum. Als Zuschauer kommt man so aus dem Staunen nicht heraus. Zum grossartigen Eindruck dieses Abends tragen ferner das Lichtdesign von Tanja Ruehl & William Forsythe, die Kostueme von Dorothee Merg & William Forsythe (welche einer Farbenlehre entsprungen sein koennten) sowie der Sound von Niels Lanz bei. Der Choreograph William Forsythe beweist einmal mehr, dass Tanz mehr als die Illustration einer Geschichte oder von Musik sein kann. Sein Tanz schafft Energiefelder, in denen die Koerper gleichsam zu explodieren scheinen.

Das Publikum im ausverkauften Onassis Cultural Centre war hingerissen und feierte das Ensemble mit lautstarken Ovationen.

 

Ingo Starz

FRANKFURT/ Alte Oper: JONAS KAUFMANN – KATE ALDRICH. L´Opéra – Arien und Duette

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Jonas  Kaufmann als „Rosenkavalier“, Kate Aldrich, Jochen Rieder- Copyright: „Pro Arte“

Frankfurt / Alte Oper: „JONAS KAUFMANN-KATE ALDRICH-
                                                PRAGUE PHILHARMONIA-
JOCHEN RIEDER“    –  10.02. 2019

 L´Opéra – Arien und Duette

In jüngster Vergangenheit holten sich aus welchen Gründen auch immer Gesangsstars  Verstärkung ins Beiboot, so nun auch heute wurde Jonas Kaufmann bei seinem Recital mit ausschließlich Werken des französischen Repertoires  in der Alten Oper von der amerikanischen Mezzosopranistin Kate Aldrich assistiert. Wie auch sei der heimliche Traum aller Schwiegermütter und jene in der Publikumsmehrheit folgten dem Ruf ihres Idols, ER kam sang und siegte, die Herzen öffneten sich und flossen vor Wonne über.

Jonas Kaufmann jedoch hat mehr als maskulinen Sex-Appeal zu bieten, sang keine italienischen Ohrwürmer sondern  tenorale Juwelen der französischen Oper und eröffnete sein spektakuläres Programm sehr eindrucksvoll mit Pays merveilleux – Ó Paradis  aus „L´Africaine“ (Meyerbeer). Innige Töne vernahm man zum Liebesbekenntnis L´amour – Ah, léve –toi, soleil! Kaufmann sang den Roméo in eleganter Stimmführung mit  herrlich rundem dunkel gefärbten Timbre und bot vorbildlich phrasierten Belcanto pur. In gleicher Manier erklang die betörend intonierte Arie La fleur que tu m´avais jetée des Don José (Bizet).

Mit der „Carmen“ hatte Kate Aldrich ihr Solo und überzeugte mit helltimbrierten Mezzosopran und attraktivem Outfit zur Habanera L´amour est un oiseau rebelle.

Überzeugend gestaltete die Sängerin mit dem hinreißenden „Werther“ die „Charlotte“ während des Duetts Il faut nous séparer  (Massenet), welches zugleich den ersten Konzertteil beschloss.

Geschmeidig, sensibel begleitet wurden die Sangeskünstler von Jochen Rieder am Pult der ausgezeichnet musizierenden Prague Philharmonia welche instrumental transparent, temperamentvoll, rhythmisch federnd mit den Ouvertüren zu „Mignon“ (Thomas), „Les fées du Rhin“ (Offenbach), sowie „Habanera“ (Chabrier), „Danse Bohéme“, „Aragonaise“ (Bizet), „Le dernier sommeil de la Vierge“ (Massenet) und „Rákoczy-Marche“ (Berlioz) orchestrale Kurzweil bot.

Nach diesem schwungvollen Intermezzo aus „La damnation de Faust“ betörte wiederum Jonas Kaufmann auf sehr hohem Niveau mit Fausts Arie Merci, doux crépuscule.

Emotional in bewegendem Tiefgang und atemberaubender Intensität gestaltete der vielseitige Tenor Eléazars Rachel, quand du Seigneur aus „La Juive“ (Halévy). Noblesse, impressionistische Couleurs schenkte er dem traumhaft interpretierten Gebet des Rodrigue Ah, tout est bien fini – Ò souverain, ó juge, ó pére aus „Le Cid“ (Massenet) und erzeugte Gänsehaut-Effekt. Nach diesen beiden wunderbaren Kostproben wünscht man sich den großartigen Gestalter in beiden Rollen auf der Opernbühne.

Jonas Kaufmanns Vortrag korrespondierte neben meisterhaft nuancierter Stimmkultur  mit einem Höchstmaß an überwältigender Artikulation und Diktion. Mit dem dramatischen, unter die Haut gehenden Finalduett aus „Carmen“ beschlossen Kate Aldrich und Jonas Kaufmann ihr umjubeltes Konzert.

Das Publikum tobte und Jonas Kaufmann verlieh „Werthers“ Pourquoi me réveiller jene elegische Tristesse umflort von vokal-subtiler Legatokultur, zu Tränen rührend. Atemberaubend schön, einfach überwältigend, intim gestaltend folgte Des Grieux´s Le réve aus Massenets „Manon“. Beide Künstler verabschiedeten sich mit der  „Barcarole“ (Offenbach) und trafen voll den Geschmack des Publikums.

Gerhard Hoffmann

BADEN / Bühne: DIE GESCHIEDENE FRAU von Leo Fall

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Maya Boog als Jana und Matjaž Stopinšek als Karel (Copyright: Christian Husar)

 

Operetten-Rarität in Baden: „Die geschiedene Frau“ von Leo Fall (Vorstellung: 10. 2. 2019)

 

Die Operetten-Metropole Baden zeigt wieder einmal im Stadttheater eine echte Rarität: „Die geschiedene Frau“ von Leo Fall. Diese musikalisch-satirische Operette, die die Freiheit und Gefangenschaft der Ehe auf humorvolle Art aufs Korn nimmt, hatte ihre Uraufführung am 23. Dezember 1908 im Wiener Carltheater (mit Hubert Marischka als Karel).

Dass die Wiener Gesellschaft der damaligen Zeit manches in dieser Operette für zu frivol empfinden könnte, wie beispielsweise das Lied von der freien Liebe, war möglicherweise mit ein Grund, warum man die Handlung im liberalen Amsterdam spielen lässt. Jedenfalls war die Operette von Leo Fall so erfolgreich, dass sie 227 Aufführungen in Serie hatte und am 11. Dezember 1909 das Jubiläum der 250. Vorstellung gefeiert wurde. Auch in Berlin hatte das Werk ein Jahr später den gleichen Erfolg.

Die Handlung der Operette in drei Akten, deren Libretto von Victor Léon stammt, in Kurzfassung: Die eifersüchtige Jana von Lysseweghe will sich scheiden lassen. Ihr Mann Karel hat unabsichtlich eine Nacht im Schlafcoupé mit der jungen Gonda van der Loo verbracht, der er sein Abteil aus Platznot zur Verfügung gestellt hat. – Karel beteuert seine Unschuld. Als aber im Prozess bekannt wird, dass Gonda Anhängerin der freien Liebe ist, glaubt man Karels Verteidigungsversuchen nicht mehr. Die Ehe wird geschieden. – Nach vielen amourösen Verwicklungen, in die auch der Gerichtspräsident Lucas van Deesteldonck und Janas Vater Pieter te Bakkenskjil verstrickt sind, kommt es schließlich doch noch zur Wiederversöhnung zwischen Jana und Karel.

Der südafrikanische Regisseur Leonard Prinsloo, der auch für die Bearbeitung des Textes verantwortlich zeichnete, schuf eine komödiantische Inszenierung, die leider etliche Male in Klamauk abdriftete, wie beispielsweise im ersten Akt, der in einem Gerichtssaal spielt. Die oft schräg-witzige Handlung verstärkte noch die Bühnenbildnerin Su Pitzek, deren Ausstattung sich durch schräge Fenster und schiefe Betten auszeichnete. Elegant hingegen die Kostüme, die Mareile von Stritzky entwarf, wobei aber auch der Humor nicht zu kurz kam.

Exzellent die Besetzung der drei Hauptrollen: In der Titelrolle brillierte die Schweizer Sopranistin Maya Boog, die sowohl darstellerisch wie stimmlich als eifersüchtige Jana überzeugte. Ihr in jeder Hinsicht ebenbürtig die aus Graz stammende Mezzosopranistin Martha Hirschmann in der Rolle koketten Gonda van der Loo. Sie trat überzeugend für die freie Liebe ein und zeigte sich in jeder Szene als verführerische Frau.

Bildergebnis für baden die geschiedene frau
Der  Gerichtspräsident (Artur Ortens) wirbt um die Gunst von Gonda van der Loo (Martha Hirschmann) Copyright: Christian Husar

Dass sich Karel von Lyssweghe – vom slowenischen Tenor Matjaž Stopinšek gleichfalls überzeugend gespielt und blendend gesungen – zwischen den beiden Frauen hin und her gerissen fühlte, konnte man nachempfinden. Der Grazer Schauspieler und Sänger Artur Ortens hatte in der Rolle des Gerichtspräsidenten Lucas van Deesteldonck seinen stärksten Auftritt in der Gerichtsverhandlung und durfte sich am Schluss über eine legale Verbindung mit Gonda van der Loo freuen.

Komödiantisch auch der Wiener Peter Horak als Janas Vater Pieter te Bakkenskjil, der als Chef der Schlafwagengesellschaft ebenfalls im Nachtzug ein kleines Abenteuer mit Adeline, der Braut des Schlafwagenschaffners, hatte. Adeline wurde von Gabriele Kridl, der Schlafwagenschaffner von Robert R. Herzl gespielt, der allerdings in vielen Szenen zu stark outrierte und dadurch oftmals bloß lächerlich wirkte. 

Das Ballett der Bühne Baden konnte in der Choreographie von Regisseur Leonard Prinsloo seine tänzerischen Qualitäten einige Male unter Beweis stellen. Das Orchester der Bühne Baden gab unter der Leitung von Oliver Ostermann die ins Ohr gehenden Melodien von Leo Fall auf treffliche Weise zum Besten. Zu den musikalischen Höhepunkten zählten das Marsch-Quintett Ich und du und Müllers Kuh, der mitreißende Tanzwalzer Kind, du kannst tanzen und das Duett Man steigt nach.

Das begeisterte Publikum, das immer wieder die Akteure mit Szenenbeifall belohnte, zollte am Schluss der Vorstellung allen Mitwirkenden minutenlang frenetischen Applaus.

 

Udo Pacolt

ZÜRICH/ Opernhaus: LE GRAND MACABRE von György Ligeti

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David Hansen, Jens Larsen. Foto: Herwig Prammer

 

ZÜRICH / Opernhaus: György Ligeti: LE GRAND MACABRE

Der nicht erfolgte Weltuntergang – schrill und hintersinnig

  1. Aufführung am 10.2.2019 – Die Premiere war am 3.2.2019

Karl Masek

Weltuntergang war es keiner am Premierentag. Aber sicher  Stunden, in denen es dem Intendanten Andreas Homoki und allen Zürcher Opernverantwortlichen siedend heiß geworden sein muss: Der Grippeteufel lachte. Die Sängerin der „Mescalina“ (einer Hauptrolle), Judith Schmid, musste wegen einer veritablen Grippe w.o. geben. Es gibt weltweit gerade einmal vier Sängerinnen, die diese Rolle drauf haben. Eine davon machte die Direktion in Guadeloupe ausfindig: Sarah Alexandra Hudarew hatte die Partie schon 2017 in Luzern verkörpert. Nur wenige Stunden vor der Premiere wurde sie also eingeflogen, rettete die Premiere (man hätte das Publikum wohl heimschicken müssen!), indem sie von der Seitenbühne aus sang. Den komplizierten Bühnenablauf dieser Inszenierung konnte sie nicht binnen so kurzer Zeit verinnerlichen. Und der Coup: Die Regisseurin Tatjana Gürbaca spielte kurz entschlossen „Mescalina“ auf der Bühne. Es geht noch weiter: In der 3. Aufführung wäre Frau Hudarew bereits ins Bühnengeschehen eingearbeitet gewesen (Frau Schmid war noch nicht genesen)  –  da wurde auch sie krank. Man zauberte die dritte weltweite Rollenvertreterin aus dem Hut. Also: Hudarew spielte nun die Rolle stumm auf der Bühne, und die wuchtige Wagner-Heroine Heidi Melton nahm den Singe-Platz an der rechten Bühnenseite ein. Nerven haben die aus Stahl! Man wünschte uns von Seiten der ansagenden Direktion einen aufregenden Opernabend! Weitere Vorstellungen: 13., 16., 21., 24. Februar; 2. März! Ob da ein drittes Mal „etwas passieren wird“?

Entstanden ist diese einzige vollendete Oper György Ligetis zwischen 1974 und 1977 (Uraufführung am 12. April 1978 in der Königlichen Oper Stockholm). Vorlage ist die Farce des flämisch-belgischen Autors, Michel de Ghelderolde, „La ballade du Grand Macabre“. Seine Stücke werden dem Absurden Theater zugeordnet. 

Wesentliche Aufführungen in Österreich bisher: 1994 im Wiener Jugendstiltheater; 1997 bei den Salzburger Festspielen, Inszenierung Peter Sellars; Dirigent  Esa-Pekka Salonen. Eine Aufführung, die der streitbare Ligeti damals vehement abgelehnt hatte … 

Ligeti hatte sein Szenario als „Anti-anti“- Oper bezeichnet. Sowohl Operntraditionen attackierend als auch elefenbeinturmartige Avantgarde mit Deftigkeit persiflierend. Aus einer kompositorischen Sackgasse wollte er heraus und etwas völlig Neues kreieren.  „Jenseits von Avantgarde und Postmoderne“, wie  Constantin Floros im gleichnamigen Ligeti-Buch  darlegt.

Das gleichermaßen derbe wie pittoreske Stück hält das Auditorium auch nach mehr als 40 Jahren  in Atem. Viel beschäftigt bleibt das Auge im „Breughelland“. Eine absurde Melange aus Mummenschanz und schrillem Klamauk, Weltuntergangsfantasien, hintersinnigen Gedanken über die Welt und das Dasein. Über die Politik und ihren Populismus im Breughelland. Das hat bei all den Kalauern, die in comic-haftem Tempo auf das Auditorium einprasseln, etwas erschreckend Aktuelles. Lässt man heutige leibhaftige politische Protagonisten & Populisten von Kim Jong bis Trump Revue passieren, kann einem schon angst und bange werden.

Doch Ligeti und der Librettist Michael Meschke unterlaufen diesen Totentanz um den „Großen Makabren“ Nekrotzar, der den von ihm selbst mehrfach und mit apokalyptischem Pomp angekündigten Weltuntergang verschläft. Tote erstehen wieder auf, weil sie – wie etwa „Piet vom Fass“-  feststellen, Durst zu haben. Schwarzer Humor hat sardonisches Gelächter im Publikum zur Folge.

Grundlage also für überbordende Fantasien, für Kalauer, Zoten, comicstripartige Darstellung. Aber auch „antipsychologisches“ Welttheater, in dem Götter (Venus und Nekrotzar), ein infantiler Fürst, zwei Minister, ein Hofastrologe und seine Frau, eine Vertreterin der GEPOPO (= die Geheime Politische Polizei) und eine Art Papageneo (Piet vom Fass) vorkommen.

Tatjana Gürbaca lässt die Puppen tanzen, sprüht vor Ideen und fantastischer, bildmächtiger Rhetorik (kürzlich, bei Händels „Alcina“ im Theater an der Wien, machte dieselbe Regisseuse Theaterzauber „mit der Handbremse“!). Ein riesiges, klobiges Propeller-Flugobjekt beherrscht das Bühnenzentrum (Bühnenbild: Henrik Ahr, Kostüme: Barbara Drosihn, Licht: Stefan Bolliger).  „Bühne“ ist alles: Die Logen, das Zuschauerparterre. Von hier aus ag(it)iert der Chor (Einstudierung: Ernst Raffelsberger) und imaginiert einen „Publikumsaufruhr“. Eine boshafte Zunge vom Nebensitz meinte da gleich: „Aha, jetzt weiß ich, warum der Abend ausverkauft ist!“.  Aus einer Seitenloge lässt sich auch Nekrotzar, der große Bluffer,  huldigen. Die Theatertricks sind natürlich alles andere als neu. Spannend bleibt es allemal.

Ligeti verfeinert (persifliert) in einer „letzten, endgültigen Fassung“ tradierte Techniken, sodass in dieser Weiterentwicklung („Sackgasse“ triumphal zurücklassend) etwas völlig anderes, jenseits von Avantgarde und Postmoderne, entsteht. Schon die „Ouvertüre“ ist eine kunstvoll-witzige Toccata – Polyphonie von verschiedenartigsten Autohupen. Musikalische Zitate kommen in sehr vage angedeuteten „Allusionen“, wie etwa Rameaus „La Poule“ und – sogar notengetreu Schuberts „Grätzer Galopp“. Das Orchesterinstrumentarium liest sich wie  eine Weltenanordnung von allem, mit dem man Musik und Geräusche umsetzt. Neben dem tradierten Orchester müssen die Schlagzeuger und Bläser  u.a. folgende Instrumente bedienen: Spieluhren, Türklingeln,  eine Kuckuckspfeife, Sandpapier, Holzhammer, Trillermaschine, 3 chromatische Mundharmonikas. Also, da wird’s schon ziemlich hypertroph!

 Eine ausgewalzte Sex-Szene zwischen dem Astrologen und seiner Frau Mescalina wird mit graziösem sotto-voce-Singen persifliert. Auch das freilich ist nichts Neues! Ähnlich Provokantes kam schon in den 30er Jahren bei Schostakowitsch (in der Lady Macbeth von Mzensk“) vor. Damals schockierte derlei – vielleicht auch noch in den 70ern. Heute kratzt das niemanden mehr. Gelächter, wenn sich Mescalina über „unerfüllte Wünsche“ beschwert.


Jens Larsen, Leigh Melrose, Alexander Kaimbacher. Foto: Herwig Prammer

Den Sängern wird allerhand abverlangt. Und darstellerisch-pantomimisch geht es auch „in die Vollen“. Leigh Melrose ist der bedrohliche wie lächerliche Weltuntergangs-Prophezeier Nekrotzar, der in Wahrheit (zur Erleichterung der Menschheit) alles versemmelt. Wuchtiger Bariton, selbstentäußernd die Szenen, in denen er sich am vermeintlichen Blut der Millionen Opfer berauscht und dann besoffen den Weltuntergang verschläft. Jens Larsen ist der hellsichtige, jedoch impotente Hofastrologe Astradamors. Eir Inderhaug (in der Doppelrolle Venus/ Chefin der GEPOPO ) schraubt sich in aberwitzige stratosphärische Höhen und liefert absolut irre Koloraturen – Feuerwerke. Der Schwarze und der Weiße Minister liefern sich virtuos-dadaistisch-rapartige Schimpfkanonaden (Oliver Widmer und Martin Zysset, beide mittlerweile Ensemble-Urgesteine hier in Zürich). David Hansen ist mit seinem Countertenor und schlaksiger Darstellung  jeder Zoll der schwache, kindisch-exaltierte Fürst Gogo. Die Rollenverdopplung in Sachen Mescalina war übrigens eine gelungene surrealistische Pointe, so als wäre das schon immer im Regie-Konzept gestanden!

Aus dem fabelhaften Ensemble ragt Alexander Kaimbacher heraus. Sein „Piet vom Fass“ ist der wahrhafte Strippenzieher, Weinerprober,  Nekrotzars Knecht am Anfang, dann aber der, welcher Nekrotzar zu einem letzten Saufgelage überredet. Er, wie soeben aus der Pantomimenschule Marcel Marceaus entsprungen, ist  eine virtuose Mischung aus Marcel Marceau, Zirkusclown, Charles Chaplin, Papageno, bühnenbeherrschender Entertainer. Körpersprache und Stimmbandgeschmeidigkeit (ob Brustregister, ob Falsett) gehen eine Symbiose von höchster Könnerschaft ein. Und er befindet sich da in seinem Element!

Als Ligeti-Spezialisten kann man den eingesprungenen Dirigenten Tito Ceccherini bezeichnen (Der vorgesehene Fabio Luisi erkrankte schon zu Beginn der Probenarbeit). Er fühlt sich im apokalyptischem Spektakel hörbar wohl, sorgt für exaktes Timing. Die Philharmonia Zürich klang gut aufgelegt.

Breughelland existiert also weiterhin, die Welt ist wieder einmal nicht untergegangen. Wenn die Menschen am Schluss singen: „Fürchtet den Tod nicht, gute Leut! Irgendwann kommt er, doch nicht heut‘. Lebt wohl so lang in Heiterkeit…“, so meint Tatjana Gürbaca dazu im Schluss-Satz eines Interviews im Programmheft: „Ich höre da nicht nur Fröhlichkeit, sondern Resignation im Sinne von: Dann machen wir halt weiter wie immer. Ich fühle mich an  … den Schluss von ‚Don Giovanni‘ erinnert. Die Menschen spüren den Verlust, wenn der Held zur Hölle gefahren ist. Die Aufklärung hat eingesetzt, aber ob das wirklich das ist, was die Menschen glücklich macht, steht auf einem anderen Blatt“

Das Publikum beließ es eher beim: Gut ist’s gangen, nix is‘ g’schehn. Gut aufgelegte Zustimmung in der 3. Aufführung dieser Inszenierung.

Karl Masek

DESSAU: DER FREISCHÜTZ

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Foto aus dem Trailer

DESSAU: DER FREISCHÜTZ
10.2. 2019 (Werner Häußner)

An sich ist nichts dagegen einzuwenden, eine Oper als wirkkräftiges Bühnenstück ohne Subtext und Metaebenen zu erzählen. Wichtig dafür ist ein genauer Blick auf den Verlauf und die Motive der Handlung, auf die Seelenlagen und Antriebskräfte der Personen, auf den symbolischen Wert von Bildzeichen und Bühnenkonstellationen. Das Ganze aus Libretto und Musik als gleichwertigen Quellen entwickelt und mit einer lebendigen, spannungsvollen Regie umgesetzt – so können packende Abende auch jenseits von „Regie“- oder „Dramaturgen“-Theater entstehen, fern von postmoderner Dekonstruktion oder dem Heranziehen des Stücks als „Material“, das nach Überschreibung schreit.

Wenn jemand aber, wie Saskia Kuhlmann am Anhaltischen Theater in Dessau, im „Freischütz“ Carl Maria von Webers ein entscheidendes Motiv wie das der übersinnlichen Kräfte (weiße Rosen, Warnung des Eremiten, Freikugeln) schlicht eliminiert, den frommen Mann am Schluss unmotiviert wie den schlapphutbedeckten Wanderer aus einer modrigen Wagner-Inszenierung an den Rand des Orchestergrabens postiert und dann – Achtung, dominierender Regieeinfall! – die Ebene des Erzählens durch ein weißgewandetes Kind durchbricht, das den „Eremiten“ hinausführt, stellt sich die Frage, was denn nun konzeptionell beabsichtigt ist. Zumal weder die Bühne Dietrich von Grebmers noch die kräftigen Eingriffe in die Dialoge Aufschluss geben: die eine dekoriert nur, die anderen zerstören den inneren Sinnzusammenhang der Handlung.

Ein Fehlschuss also, an dessen Gelingen man in der Wolfsschlucht-Szene endgültig verzagt. Denn Saskia Kuhlmann und ihrem Bühnenbildner ist nichts eingefallen, was diesen Höhe- und Wendepunkt des Geschehens in irgendeiner Weise szenisch beglaubigen könnte. Es wird erst blau – aha, das blaue Licht kennen wir schon aus der Szene zwischen Max und Kaspar –, dann dunkel. Auf der Projektionsgaze vor der Bühne (Videos: Angela Zumpe) ist zunächst ein Schaf zu sehen: das Lamm der Unschuld? Das Schaf der Dummheit? Ein groß gewordenes Opferlamm? Ein Nachhall des Schlingensief’schen Hasen aus dem Bayreuther „Parsifal“?

Es darf gerätselt werden, denn das Tier spielt nie wieder eine Rolle. Und dann wird es noch dunkler, und über die Wand flimmern zur packenden Musik Webers wacklige Bilder: Stämme, Wald, ein dunkler Vogel, eine Sauhatz. Das Zählen der Kugeln tönt aus dem Off. Weder Kaspar noch Max sind sichtbar. Am Ende der Szene ist nur festzustellen: Mit den Flimmerbildern hat die Regie endgültig ihr Scheitern erklärt.

Man tritt dieser vergeblichen Weber-Bemühung wohl nicht zu nahe, wenn man ihr unterstellt, sich um die Bilder bemüht zu haben, die lediglich des deutschen Bildungsbürgers vage Assoziation mit diesem Stück bedienen. Schon die Eröffnungsszene legt das nahe: Der Chor drapiert mit Kostümen, die mal an ein undefiniertes Biedermeier der Weber-Zeit, mal an Kittelschützenmode der Nachkriegszeit erinnert. Katja Schröpfer überzieht die Farben mit aschgrauer Stumpfheit, flicht Blumenkränzchen ins Haar, dekoriert den Kaspar mit Dreadlocks und etwas kühnem Leder, das dann in der Kluft des säkularisierten Eremiten wieder auftaucht. Und der deutsche Wald reckt seine Stämme auf einer Art Fototapete im Hintergrund – so als ob dieses historische Interpretament heute noch irgendeine Bedeutung vermittelte. Wenn hier tiefsinnige Chiffrierung am Werk sein sollte: So etwas ist schon sinnenfälliger entwickelt worden!

Dann werden Hüte geworfen und Kränzchen geschwungen – und zum „Hehehe“ dürfen die Chordamen auch keck die Hüften schwingen. Die Verruchtheit nach Art der Fünfziger erreicht einen vorläufigen Höhepunkt, wenn zum „Hussa“ kühn die Humpen geschwungen werden und sich eine blonde Schankmaid alkoholisiert über eine Sitzbank wälzt. Das tut alles sehr realistisch, ist aber in Wahrheit nur abgestandenes Klischee. Selbstredend darf auch Ännchen ein dralles Hinterteil erotisch als Signalgeber für den „schlanken Bursch“ einsetzen, der vielleicht mal gegangen kommt, während sich die beiden Damen bedeutungsschwanger und ausführlich mit dem Verrücken des Urältervater-Porträts befassen. Agathe schleudert mal ihre Schuhe von sich, aber die Regie lässt sie genau als die dämliche Schnepfe erscheinen, als die sie 13jährige Pennäler empfinden, die mit deutscher musikalischer Romantik gelangweilt werden.

So ganz ohne Metaphysik geht’s dann doch nicht ab: Der Böse ist im Dessauer Falle eine samten eingehüllte Samielle mit verruchten roten Haaren, die nicht zum Kleid passen, und einem silberglitzernden Brustkorb. Constanze Wilhelm ist so attraktiv, dass nicht ganz verständlich ist, warum Kaspar sich die Frist noch einmal verlängern lassen will. Der sackt im Finale mit Herzinfarkt zusammen und folgt seiner Tödin, noch bevor ihn der Fürst als Scheusal in die Wolfsschlucht stürzen lassen kann. Am Ende widersteht Kuhlmann dem Mainstream heutiger Freischütz-Interpretationen und lässt es mal gut ausgehen: Agathe und Max strahlen Hand in Hand ins Publikum, während sich die Damen des Chores in der ersten Reihe brav hinknien. Sie hatten vorher schon in behaglicher Runde die dramatischen Ereignisse ohne erkennbare innere Rührung verfolgt.

Spannung und Dramatik bleibt also der Anhaltischen Philharmonie überlassen – und die Dessauer Musiker lassen sich von ihrem GMD Markus L. Frank nicht ergebnislos anfeuern. Die Ouvertüre beginnt gemessen im Tempo, aber nicht zäh; die Hörnerprobe wird bestanden. Der Beginn des Allegros gelingt sauber, die Klarinette beruhigt mit schönem, weitem Ton. Dann lässt Frank das Brio zünden. Die Wolfsschlucht-Musik mit ihren über die romantischen Klangerfindungen E.T.A. Hoffmanns, Louis Spohrs oder Giovanni Simone Mayrs hinausgehenden Überraschungen erklingt dramatisch geladen, drängend im Tempo, aber auch plastisch durchgestaltet.

Im tüchtigen Dessauer Sängerensemble sind keine Ausfälle zu melden, im Gegenteil: Auch die weniger hervortretenden Rollen wie Ottokar (Kostadin Argirov), Kuno (Cezary Rotkiewicz), Kilian (David Ameln) und der stimmlich satte, gerundete Eremit (Don Lee) sind ansprechend besetzt. Kammersängerin Iordanka Derilova singt – nach Riesenpartien wie Turandot und Brünnhilde – eine erstaunlich mädchenhafte Agathe, hat das Vibrato im Griff und überzeugt mit gelöstem Ton. Cornelia Marschall setzt auf bezaubernd kecke Agilität und leuchtende Höhe. Ulf Paulsen, ebenfalls wagnererfahrener Kammersänger, lässt sich vom Run durch die Register ebenso wenig erschüttern wie von der geforderten durchschlagenden Dramatik, die er allerdings mit zu viel Wagner-Aplomb realisiert.

Als Max war ein Gast zu erleben: Alexander Geller, ein vielseitiger Tenor, der u.a. in Mörbisch als Tassilo („Gräfin Mariza“) und in Graz als Caramello („Eine Nacht in Venedig“) zu erleben war, hat mit den Plattitüden der Regie kein Problem, mit den Anforderungen seiner Partie auch nicht: ein kräftiger, aber schlanker Tenor mit präsentem Ton und brillantem „squillo“, der auch die Dialoge einwandfrei artikulieren und gestalten kann. Sauber und klangsatt ebenfalls der Dessauer Chor („O lass Hoffnung dich beleben …“), selbst als sich die Jäger im letzten Akt ein wenig durch die Details mogeln. Auch wenn die Regie wacker dem Stücklein den Rest hat gegeben – der musikalischen Seite möchte man attestieren: Brav. Herrlich getroffen.

Werner Häußner

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