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Channel: KRITIKEN – Online Merker
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WIEN/ Staatsoper/ Staatsballett: SCHWANENSEE

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Olga Esina. Foto: Staatsballett/ Taylor

Staatsoper, Wiener Staatsballett, 10.2.2019:

„Schwanensee“ und ein frisch ernannter Erster Solotänzer – Jakob Feyferlik

Nummer 237 ist das gewesen. Die 237. Aufführung von Rudolf Nurejews Wiener Einstudierung von Peter Iljitsch Tschaikowskis „Schwanensee“ aus dem Jahr 1964. Und nach der blitzsauberen Darbietung dieses Evergreens ist ein neuer  Erster Solist mit in die vorderste Reihe des Wiener Staatsballetts gehievt worden: Jakob Feyferlik, ein echter Wiener und ein ganz, ganz nobler Junger ist bei dieser Ernennung nach der Vorstellung auf offener Bühne dafür bejubelt worden. Als groß gewachsener Prinz Siegfried liess er mit seiner hocheleganten Partnerin Olga Esina in den ruhig gleitenden Pas de deux ein unbefangenes Suchen nach Liebe spüren, reine Sehnsucht nach zärtlicher Verklärung. Virtuos, ohne auf Virtuosität zu setzen. Wenn so etwas in dem doch auf Showeffekte angewiesenen Genre Ballett zu sagen erlaubt ist: Ein junger Tänzer ohne die geringste Attitüde. Edelste Primaballerinen-Flair strahlt Olga Esina als Odette/Odile aus: eine poesiedurchwobene Schwanenkönigin und ein eher sanfter, kein allzu bedrohlich wirkender Schwarzer Schwan. Das fein koordinierte Schwanen-Ensemble und die Charaktertänzer im schwungvollen Divertissement boten ein klassisches Tableau, welches in eine gewisse festliche Stimmung zu versetzen vermochte. Denn auch Tschaikowskis gefühlstiefe Musik, vom Orchester unter Paul Connelly gut bedient, hat ihre Wirkung nicht verfehlt.

Meinhard Rüdenauer


BERLIN/ Deutsche Oper: LA SONNAMBULA

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Vincenzo Bellini: La Sonnambula, Deutsche Oper Berlin, 10.02.2019

(4. Aufführung seit der Premiere am 26.01.2019)

Belcanto, wie er sein sollte

Jossi Wieler und Sergio Morabito haben ihre Stuttgarter Inszenierung der Sonnambula aus dem Jahre 2012 für die Deutsche Oper Berlin überarbeitet. Und das mit grossem Erfolg.

Die Verortung in einem Gewölbe eines Wiener Gemeindebaus funktioniert weiterhin und ist als Synonym für einen kleinen, in sich geschlossenen Kosmos durchausstimmig. Am Bühnenrand ist eine Briefkastenzeile angedeutet, seitlich im Raum stehen ausrangierte Möbel, vornehmlich Schränke, die ihrerseits Auf- und Abgangsmöglichkeiten bieten, und zwei Treppen, eine nach oben, eine nach unten, schliessen den Raum nach hinten ab. Im freien Raum stellt der Chor zu Beginn Festbänke und Tische für eine Feier auf (Bühnenbild und Kostüme Anna Viebrock).


© Deutsche Oper/ Bernd Uhlig

Zahlreiche Details der Inszenierung zeugen von der tiefen, dramaturgische Durchdringung des Stücks, die das Markenzeichen von Jossi Wieler uns Sergio Morabito geworden ist. Zu einer guten Aufführung gehört eben nicht nur das Wissen um die Gesangstechnik, sondern auch die Entstehung, die „Umstände des Werkes“.

„La Sonnambula“ wurde am 6. März 1831 im Teatro Carcano in Mailand uraufgeführt, nur acht Monate nach der Juli-Revolution in Paris. So ist der Auftritt Graf Rodolfos nicht nur der eines Befreiers (der Gemeinschaft aus Unwissenheit und innerer Isolation), sondern vor allem die Rückkehr der alten Feudalmacht, eines in der beginnenden Restaurationsepoche durchaus aktuellen Problems. Die Gemeinschaft aber, durchaus auch Zeichen ihrer Isolation, wünscht sich die Rückkehr der alten Feudalmacht.

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© Deutsche Oper/ Bernd Uhlig

Dieser Wunsch wird aber nicht lange Bestand haben, den Rodolfo nimmt sich, ganz in Herrenmanier, was er kriegen kann. Nachdem er als Jüngling Schande über das Dorf gebracht hat, er hatte ein junges Mädchen geschwängert und dann verlassen, vergnügt sich nun zuerst mit der Wirtin Lisa und dann mit Amina. Dazu unterteilen Wieler und Morabito die Bühne mit einer Wand mit Fenster, ein Bettsofa, das die besten Jahre hinter sich hat, wird nun Schauplatz des Geschehens. Amina macht nun die gleiche Erfahrung wie ihre Mutter. Auch sie wird von Rodolfo geschwängert und präsentiert danach stolz den Blutfleck auf dem Laken. Die Herrschaft hat sich nicht geändert. Amina scheint nicht wirklich zu wissen, was Sache ist. In Bezug auf die Gegenwart nicht, und in Bezug auf die Vergangenheit genauso wenig. Das Unheil nimmt seinen Lauf. Klagt Elvino in der Arie „Ah! Perche non posso odiarti!“ Amina dann der Untreue an, wendet er sich für die zweite, im Belcanto verzierte und entsprechend gefühlsgeladene Strophe an Rodolfo. Er ist in Elvinos Augen am Unheil genauso schuldig. Dem Charakter einer Opera semiseria entsprechend bringt ein zweites Schlafwandeln Aminas die Lösung und die Gemeinschaft zur Einsicht in ihre Unschuld.

Im Mittelpunkt der Aufführung stehen natürlich die Sänger, hier die Russin Venera Gimadieva als Amina und der Mexikaner Jesús León als Elvino. Venera Gimadieva singt die Amina mit stupender Technik und grossartiger Bühnenpräsenz, verkörpert die Partie in nahezu idealer Weise. Jesús Leóns heller Tenor überzeugt mit Technik, Musikalität und vor allem mühelos erreichten Höhen. Der Gesang beider macht, um mit Bellini zu sprechen, weinen. Ante Jerkunica gibt mit seinem prachtvoll strömenden Bass einen Rodolfo mit starker Präsenz. Alexandra Hutton als Elisa, Helene Schneidermann wie schon in Stuttgart als Teresa, Andrew Harris als Alessio und Jörg Schörner komplettieren das Ensemble auf höchstem Niveau. Stephan Zilias, der das Dirigat erst kurz vor der Premiere von Diego Fasolis übernommen hatte, war den Sängern ein sensibler Begleiter. Das Orchester der Deutschen Oper Berlin war nun bestens disponiert und trug wie der von Jeremy Bines vorbereitete Chor der Deutschen Oper Berlin zum grossartigen Abend bei.

Melodie lunghe, lunghe, lunghe, die lang, lang, lang in Erinnerung bleiben werden.

Weitere Aufführungen in veränderter Besetzung: Sonntag 19.05.2019, 19.30 Uhr und Samstag 25.05.2019, 19.30 Uhr.

14.02.2019, Jan Krobot/Zürich

WIEN/ State Opera: Swan Lake – revisited: February 11th, 2019 (Vienna State Ballet)

WIEN/Staatsoper: LUCIA DI LAMMERMOOR

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Wien/ Staatsoper: LUCIA DI LAMMERMOOR  am 12.2.2019
„Frühjahrsdepression an der Staatsoper“

Die zweite Vorstellung der neuen Staatsopern-„Lucia“ hinterließ einen günstigeren Eindruck als die Premiere. Trotzdem ist diese Neuproduktion „gewöhnungsbedürftig“. Wer noch die alte Staatsopern-„Lucia“ positiv im Ohr und vor den Augen hat, vermeide tunlichts allzukritische Vergleiche.

http://www.operinwien.at/werkverz/donizett/alucia12.htm

 

Dominik Troger/www.operinwien.at

WIEN/ Staatsoper: LUCIA DI LAMMERMOOR

WIEN / Staatsoper LUCIA DI LAMMERMOOR von Gaetano Donizetti

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Die Hochzeitsgesellschaft vor den Resten des Schneehaufens, erheblich bewegungsbehindert. Mittendrin Olga PERETYATKO im Dauerwahnsinn.     Foto:M.Pöhn/Wr.Staatsoper

 

WIEN / Staatsoper

LUCIA DI LAMMERMOOR  von Gaetano Donizetti

2.Aufführung in dieser Inszenierung
Dienstag, 12. Februar 2019

 

Keine Augenweide, jedoch beklemmend inszeniert

 

Kenner behaupten ja, dass erst ab der zweiten Aufführung eine geeignete Grundlage für eine kritische Bewertung einer Neuinszenierung vorhanden ist. Hohe Erwartungen und Nervosität beeinträchtigen tatsächlich oft die Leistungen bei der Premiere, zudem werden aus den Erfahrungen der ersten Nacht oft schon erste Konsequenzen gezogen und allfällige Abschleifungen und Retouchen vorgenommen. Die Vorbereitungszeit war ja ohnehin meist zu knapp, so dass man sich erst allmählich aufeinander einspielen und abstimmen kann. Und dieser Prozess geht dann auch später noch weiter. Nicht zuletzt deshalb hat sich ja der Online Merker zum Ziel gesetzt, möglichst viele der Folgevorstellungen einer Serie kritisch zu begleiten. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.

Laurent Pelly wurde 2016 bei den International Opera Awards als bester Regisseur ausgezeichnet und ist in Wien mit seiner pfiffigen Inszenierung von Donizettis La fille du Regiment in bester Erinnerung. In seiner Neuinszenierung von Lucia di Lammermoor ist kein Platz für ein romantisierendes Idyll der schottischen Highlands à la Sir Walter Scott, von dem die Vorlage zur Oper stammt, sondern er versetzt die Handlung in das schneebedeckte, von Eiseskälte durchwehte 19. Jahrhundert. Das lässt sich natürlich nicht an der Landschaft festmachen, sondern an der – ebenfalls von Pelly stammenden – Kostümierung. Schwarzgekleidet, streng und verschlossen stapfen sie da im Schnee umher – das erinnert mehr an das engstirnige puritanische Norwegen Henrik Ibsens als an das – allerdings nicht weniger prüde – Viktorianische Zeitalter. Wie dort wird auch hier eine junge Frau in ihren Entfaltungsmöglichkeiten stark beschnitten und schließlich durch das strikte Diktat ihrer Familie in den Untergang getrieben. Schon die erste Szene mit den Jägerchor macht klar, dass es hier um eine Hatz gegen Lucia gehen wird, die zuvor im Vorspiel schon desorientiert, verwirrt und in einem desolaten Zustand über den schneebedeckten Hang wankt, die Geister beschwört, die sie heimsuchen, und stets auszurutschen droht.

Anders als gewohnt zeigt Pelly nicht eine anfangs hoffnungsfrohe Lucia, die von einem Happyend mit ihrem Geliebten träumt, der ausgerechnet der Todfeind ihres Bruders Enrico ist, und erst allmählich abgedrängt wird und in den Wahnsinn kippt, sondern Pellys Lucia ist von Beginn an verstört, desorientiert, zerbrechlich und gefährlich nahe am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Wie denn auch nicht? Die sich in weiterer Folge entwickelnde Zuspitzung in der Beziehung zwischen Lucia und ihrer Familie, die sie wie ein Pfand in ihren Machenschaften einsetzt, hat gewiss eine nicht weniger traumatische Vorgeschichte. Bei ihrem Liebesduett mit Edgardo ist der Hintergrund der Schneelandschaft in roter Farbe gehalten. Rot als Farbe der Liebe, aber auch eine Vorahnung auf die ebenfalls in Rot gehaltene Wahnsinnsszene. Mitten in diesem Duett geht Edgard plötzlich von der Bühne nach rechts ab, um dann wenig später von der anderen Seite – neu gekleidet – wiederaufzutauchen und in den Gesang einzustimmen. Realität und Wahnvorstellungen gehen also schon früh ineinander über. Das ist von Pelly scharfsinnig analysiert und wird zu einem gut umgesetzten Regieeinfall, um die heikle seelische Verfassung Lucias aufzuzeigen

Eindrucksvoll eingesetzt sind auch die beklemmenden Chorszenen. Als die Hochzeitsgäste eintreffen, künden sie von Jubel, Liebe und Freude. Die Art aber, wie sie sich bewegen, ist nur ein stumpfsinniger Trauermarsch mit unbewegten, griesgrämigen Gesichtern: Aus Ablehnung gegenüber Lucia? Oder gegenüber ihrem rücksichtslosen Bruder, der seinen Hof in den Ruin getrieben hat und sich durch ihre Verheiratung mit dem ungeliebten Arturo sanieren möchte? Tatsache ist, dass die Regie darauf abzielt, das Geschehen ausschließlich aus der Perspektive Lucias ablaufen zu lassen. Das stößt allerdings dann an seine Grenzen, wenn es sich um Szenen handelt, in denen Lucia gar nicht involviert ist, was leider oft der Fall ist.

Das karge Bühnenbild von Chantal Thomas bietet dem Auge wenig Abwechslung, ist aber ein getreues Abbild der Seelenlandschaft der tragischen Heroine. Bei den Szenen am Hofe schiebt sich dann die durchsichtige Fassade eines Herrenhauses hinter die Schneemassen. Die stilisierten, konstruktivistischen Strukturen, die an Mies van der Rohe erinnern und damit wie aus der Zeit gefallen wirken, und die fokussierende Beleuchtung von Duane Schuler vermitteln – zusammen mit dem weiß-grau-schwarzen Farben der Inszenierung – eine höchst dramatische, beklemmende Atmosphäre. Zugegebenermaßen keine Augenweide, aber dennoch ziemlich werkgetreu, wenn auch mit einem Touch Surrealismus versehen.

Lucia erheblich anlehnungsbedürftig, Edgardo Juan Diego FLÒREZ aber voll Ernsthaftigkeit Foto:M.Pöhn

Bei einer Inszenierung, die so sehr auf die Perspektive der Titelpartie hin ausgerichtet ist, hängt ihre Tragfähigkeit fast ausschließlich von der Besetzung dieser Rolle ab. Olga Peretyatko als Lucia ist stimmlich nicht überfordert, die mörderischen Koloraturen klappen recht gut, auch in der Höhe hat sie kaum Probleme. Es fehlt ihrem Sopran aber an Glanz und Eindringlichkeit. Das klingt alles zu brav und unauffällig.  Darstellerisch weiß sie zu berühren, aber auch da fehlt der Magnetismus, der die großen Sängerinnen dieser Partie auszeichnet.

Juan Diego Flórez betritt als Edgardo rollenmäßig gewissermaßen Neuland. Er ist in einer Phase angelangt, in welcher er dabei ist, sein Spektrum zu erweitern. Der Belcanto-Tenor zeigt sich dabei anpassungsfähig und auf dem richtigen Weg. Seine Arie „Fra poco a me ricovero“ wird mit Begeisterung aufgenommen und ist nahe daran wiederholt zu werden. Eine starke Leistung, wenn auch nicht unbedingt eine Idealpartie für den auch darstellerisch einnehmenden Sänger.

Ein starker Edgardo ruft nach einem ebenbürtigen Gegner. George Petean kann auch gut mithalten, hat in der Höhe allerdings zu kämpfen. Dass beide bei ihrem von Aggressivität geprägten Aufeinandertreffen, bei dem sie sich zum Duell verabreden, vor geschlossenen Vorhang ganz nahe nebeneinander zu stehen kommen, ist von der Regie nicht eben gut durchdacht.

Jongmin Park setzt seinen mächtigen, wohltönenden Bass ein und ist ein respektheischender, Autorität ausstrahlender Raimondo, auch wenn er in dieser Inszenierung nicht so gut wegkommt und letztlich als Komplize bei den Machenschaften gegen Lucia vorgeführt wird: Gemeinsam mit Alisa – gut dargestellt von Virginie Verrez –  treibt er die unwillige Braut, unerbittlich hinter ihr her marschierend, in die Arme des ungeliebten Arturo. Dieser wird von Lukhanyo Moyake rollendeckend verkörpert.

Im Orchestergraben sorgt Evelino Pido als ein etwas bürokratisch wirkender Kapellmeister für Ordnung, beweist aber, dass er, wenn es darauf ankommt, ein waches Ohr für die Bedürfnisse der Stimmen auf der Bühne hat. Interessant, dass trotz der durchgehenden Tragik Donizetti in dieser Oper ungewöhnlich viel Musik in Dur-Tonarten geschrieben hat – bis hin zu Lucias Arie „Soffriva nel pianto“, in der sie ihr schreckliches Los und ihre Abneigung gegenüber ihren Bruder Enrico Ausdruck verleiht. Für die Moll-Stimmung sorgt unentwegt ohnehin diese Inszenierung, die es einem nicht leicht macht, die manchmal verärgert und die nicht in allem gelungen ist, die aber dennoch in Vielem stimmig umgesetzt ist und zum Nachdenken anregt. Viel Applaus – der deutlich länger als die üblichen fünf Minuten andauert.

Manfred A. Schmid

MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: KARL V.

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München:“Karl V.”–Bayerische Staatsoper 13.02.2019–Delirien des sterbenden Kaisers

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Das eindrucksvolle Eingangsbild: Karl V. (Bo Skovhus) vor Tizians „Gloria
© Wilfried Hösl

Schon das Eingangsbild überwältigt: Vor der bühnenhohen Projektion von Tizians „Gloria“ steht reglungslos die einsame Gestalt von Karl V., während eine tiefe Frauenstimme (Mechthild Großmann, bekannt als kettenrauchende Staatsanwältin aus dem Münsteraner Tatort) aus dem Off die Titel des Kaisers aufzählt. Schier endlos ist diese Aufzählung und allein aus den weit auseinanderliegenden Länder- und Ortsnamen wird klar, dass die Absicht, ein so weitgespanntes Reich unter einer universalen Herrschaft, unter einem Glauben zu vereinen, zum Scheitern verurteilt sein musste.

In einem Beitrag für das Programmbuch plädiert der katalanische Regisseur Carlus Padrissa für eine Welt, die nach dem Verbindenden sucht, nicht nach dem Trennenden. Eine Idee, die man in der Oper Karl V. erst im Scheitern findet. Oder, wie der Jesuit am Ende sagt: „Doch bleibt uns ewig aufgegeben, was er heldenhaft versuchte“, nämlich einen einheitsstiftenden Gedanken für die ganze Menschheit zu finden. Die katholische Religion war das nicht und dass auch für uns heute noch eine Aufgabe ist, zeigt das bedrohliche Schlussbild der Inszenierung: in die ersten Parkettreihe strömen Menschen in bunter Alltagskleidung – Flüchtlinge? Zum Wahlspruch Karls „Immer weiter“ scheinen sie sich auf die Zuschauer im Parkett stürzen zu wollen, sie überrennen zu wollen.

Wer Carlus Padrissa und seine Theatergruppe La Fura dels Baus und einkauft, weiß, dass er ein Bildfeuerwerk erhält, das diesmal noch durch die bildende Künstlerin Lita Cabellut potenziert wird. Was beim Parsifal letztes Jahr grandios gescheitert ist, ein bildender Künstler als Bühnenbildner, hier gelingt es großartig. Die Videoprojektionen, die Spiegelungen in den verschiebbaren Bühnenwänden und im Wasser, das einen Großteil der Bühne zentimetertief bedeckte, schaffen immer neue, kaleidoskopartige Effekte. Die Delirien des sterbenden Kaisers als surrealistisches Bilderspektakel im Wasserbad, das geht auf. Natürlich dürfen auch die fliegenden Statisten, die vom Schnürboden hängend immer neue Figuren bilden, nicht fehlen.

Kaiser Karl und sein Gegenspieler und eigentlich ersehntes Alter Ego, König Franz I. von Frankreich stecken in lächerlich kurzen Mäntelchen, sind komplett weißgeschminkt und tragen Kopfschmuck, der an Hahnenkämme erinnert. Dass die beiden trotzdem nicht zur Witzfigur geraten, ist der großartigen Darstellungskunst vor allem von Bo Skovhus zu danken. Er ist während der gesamten Dauer der Oper, ohne Pause etwas mehr als zwei Stunden auf der Bühne. Diese Mammutpartie fordert ihm extrem schwer zu Singendes ab, was in den tieferen Lagen nicht immer gut gelingt. Sein Bariton fühlt sich in den höheren Lagen spürbar wohl und wo die Partitur es erlaubt, strömt seine Stimme sehr schön und ausdrucksstark.

Wolfgang Ablinger-Sperrhacke singt den leichtsinnigen französischen König mit heller Stimme, als wäre es die leichteste Übung der Welt.

Auch Gun-Britt Barkmin hat eine beeindruckende Bühnenpräsenz und singt als Eleonore, Karls Schwester, mit farbenreicher Mittellage, allerdings klingt die Stimme im höheren Bereich hart und metallisch, schwingt nicht aus. Karls Mutter, Juana, Johanna die Wahnsinnige, tritt als Madonna in einer Pietá auf – ihr toter Ehemann hängt ihr vom Schoß wie Jesus. Okka von der Damerau leiht ihr ihre wunderbare Altstimme. Eine der musikalisch schönsten Szenen ist der Auftritt von Anne Schwanewilms als Isabella, Karls Frau. Nur knapp fünf Minuten hat sie zu singen, wunderschön flirrend in fast unsingbaren Höhen erklärt die sterbende Isabella Karl ihre Liebe.

Für Martin Luther hat sich die Regie etwas Besonderes einfallen lassen: die erste Parkettreihe ist leergeblieben, gibt Raum für Luthers Auftritt am Reichstag zu Worms. Michael Kraus singt ihn mit raumfüllendem Bariton. Ein Anhänger verteilt Flugblätter ans Publikum, die vom Chor der Kleriker gleich wieder eingesammelt werden.

Bei all dem Aktionismus kommt die Personenregie etwas zu kurz. Darunter leiden muss vor allem der Tenor Scott MacAllister, sonst im deutschsprachigen Raum im schweren Wagner- und Straussfach unterwegs. Als Jesuit Francisco Borgia stehter meist unbeweglich wie eine Säule an der Rampe. Da sein Deutsch leider von einem doch manchmal störenden amerikanischen Akzent geprägt ist, verpufft die Wirkung als eisern zur Pflicht mahnender Mönch, eine Rolle, für die seine kräftige, metallische Stimme eigentlich prädestiniert ist.

Der junge Mönch, Beichtvater des Kaisers, ist die einzige Figur, die nicht von Kostüm und Maske zur Unkenntlichkeit ist. Erfrischend normal schaut er aus, der Schauspieler Janus Torp, und er gestaltet seine Sprechrolle erfreulich unpathetisch, so einen Gegenpol, den Einbruch der Normalität in die Traumwelt Karls bildend.

Die musikalische Leitung lag in den Händen von Erik Nielsen. Der dirigiert das so locker, als hätte er einen Verdi vor sich. Sehr sängerfreundlich reizt er die gesamte dynamische Palette aus, die Tempi wirken genau richtig. Besonders schön das fast spätromantisch klingende Orchesterzwischenspiel vor den zweiten Teil.

Eine ungeheure Anstrengung, die die Bayerische Staatsoper da unternommen hat, dieses musikalisch nicht einfache Werk mit den vielen Solisten, die hier gar nicht alle genannt werden, auf die Bühne zu stemmen. Es wurde vom Publikum mit viel Applaus aufgenommen und es ist zu hoffen, dass es seinen Weg ins Repertoire findet.

Susanne Kittel-May

 

WIEN / Metropol: WIRD SCHON SCHIEFGEHEN

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WIEN / Metropol:
WIRD SCHON SCHIEFGEHEN von Jonathan Sayer, Henry Shields und Henry Lewis
Premiere: 14. Februar 2019

Früher hatte Wien eine richtig schöne Boulevard-Tradition. In den Kammerspielen glänzten Josefstädter Besetzungen, und dort, wo die Staatsoper heute Kinderoper spielt, gab es eine „Kleine Komödie“, die das Beste an neuen Lustspielen von überall in den denkbar besten Besetzungen (Manfred Schmid! Hellmuth Hron!) zeigte. Tempi passati. Heute muss man tief in die Vorstadt, um gelegentlich noch etwas zum Lachen zu finden…

Ein Stück wie „The play that goes wrong“ (einen Olivier-Award für die Beste Komödie bekommt man nicht so ohne weiteres!) hätte früher wohl die Josefstadt in den Kammerspielen gezeigt. Diesmal hat Peter Hofbauer sich im Metropol entschlossen, seine selbst gestrickten Musicals einmal durch diese importierte Komödie des Trios Jonathan Sayer, Henry Shields und Henry Lewis zu ersetzen, die in London schon das fünfte Jahr läuft. Überall in deutschen Landen unter dem Titel „Mord auf Schloss Haversham“ oder „Chaos auf Schloss Haversham“ gespielt, ist der Wiener Titel „Wird schon schiefgehen“ noch treffender. Denn genau darum geht es, wenn eine Laiengruppe einen Krimi aufführt…

Die Machart ist natürlich nicht neu, Theater auf dem Theater und was dabei alles schiefgeht: ein klassischer Lachschlager, Pointen und Slapstick. In diesem Fall ist das Stück, was Slapstick betrifft, nicht nur hohe, sondern höchste Schule, die Schauspieler von ungeheurer Beweglichkeit verlangt, die auch auf einer einbrechenden Balkonkonstruktion noch so herumturnen können, dass man (wie im Zirkus) blaß wird bei der Idee, was da alles schiefgehen kann… abstürzen, Knochen brechen, was immer. Darüber hinaus müssen die „Laiendarsteller“ des Stücks, weil eben bei einer Theateraufführung alles schief geht, gnadenlos improvisieren – und das ist streckenweise einfach brüllend komisch.

Alles Lady Agatha Christie, oder was, wenn auf Schloß Haversham erst eine Leiche herumkollert, aber, wie man es erwarten kann – ganz so tot ist Charles Haversham (Bernhard Viktorin) vielleicht doch nicht? Jedenfalls mimt seine Braut Florence (ungeheuer beweglich und selbstironisch: Leila Strahl) mit großen Gesten und Tanzschritten riesige Trauer, bis sich herausstellt, dass sie ohnedies ein Verhältnis mit dem Bruder des Verstorbenen (Michael Duregger) hatte. Des Mordes verdächtig ist auch Thomas, der Bruder von Florence (Paul König).

Unverzichtbar im Personal eines solchen Stücks: ein Butler (Martin Gesslbauer, der auch das durchaus kunstvolle, sich während der Vorstellung dauernd zerlegende Bühnenbild baute), natürlich ein Gärtner (nochmals Michael Duregger) und ein Inspektor, der auch der Intendant der unglückseligen Laiengruppe ist – Alexander Jagsch wirft einfach hinreißend immer wieder seine Nerven weg. Dass ein Schauspieler vom Kaliber des Ronald Kuste nur eine bedeutungslose Nebenrolle bekommt, ist ein Jammer.

Und eine besondere Pointe des Ganzen ist Anni, die Inspizientin der Theatergruppe, in Gestalt der entschlossenen kleinen Claudia Rohnefeld: Als die Darstellerin der Florence nämlich kurzfristig ausfällt, übernimmt sie deren Rolle, findet ungeheuer Geschmack daran und versucht, als die Rivalin wiederkehrt, entschlossen ihren Platz zu behaupten… Zwei unbegabte Damen, die teilweise im Chor ihren Text sprechen, ist die Folge.

Um den Krimi geht es übrigens gar nicht, aber Butler und Gärtner sind ja als potentielle Täter da („Der Mörder ist immer der Gärtner“), wenn man sich auch erinnert, dass Lady Agatha diesbezüglich schon zu viel übleren Tricks gegriffen hat… Die drei Autoren haben übrigens noch eine Menge Zitate aus englischen Stücken und Filmen eingeführt (Endlos-Schleife, Geschichte mit der Uhr usw.).

Das ganze Stück ist Machart, beruht erstens darauf, dass man schon ein sehr guter Schauspieler sein muss, um einen Laienschauspieler spielen zu können…. Und im übrigen hatte Marcus Strahl als Regisseur die Aufgabe, das Tohuwabohu auf das präziseste zu lenken und jeder der Irrsinns-Pointen so viel Raum zu geben, dass das Publikum auch zum Lachen kommt. Daran fehlte es am Premierenabend im Metropol nicht.

Man entnimmt übrigens der Verlagsinformation, dass das Stück von den Autoren für Amateurtheater nicht freigegeben ist. Wäre ja noch schöner, wenn Laien sich daran versuchten, hilflos über die Bühne stolpernde Laien zu spielen. Das ist nämlich sauschwer und erfordert hohe Professionalität.
Renate Wagner


WIEN / Josefstadt: GLAUBE UND HEIMAT

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 Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Theater in der Josefstadt
GLAUBE UND HEIMAT von Karl Schönherr
Premiere: 14, Februar 2019
besucht wurde die Generalprobe

Es war zweifellos eine gute Vorbereitungs-Übung für den Theaterkritiker, in seinen DVD-Beständen zu wühlen und die Burgtheater-Aufführung von Karl Schönherrs „Glaube und Heimat“ aus dem Jahr 2001 hervorzuholen. Denn Martin Kusej hat das Drama, in dem Schönherr körperliche und vor allem seelische Gewalt zeigt, bis zum äußersten ausgereizt. In nasser Erde stampfend, in einer Welt des Halbdunkels, gab es nicht das Stück, sondern Szenen daraus, die bis zum Horror-Movie-Effekt überdreht waren. Mit der logischen Folge, dass die nunmehrige Josefstädter Aufführung des Stücks geradezu „josefstädtisch“ anmutet – obwohl sie für das Publikum immer noch schlimm genug war. Viele kamen nach der Pause nicht wieder.

Immerhin ist das Stück hier kenntlich. Und die Aufführung ist ehrenvoll an der Tatsache gescheitert, dass wir gerade diesen Karl Schönherr heute nicht mehr aushalten, ja, nicht mehr aushalten können. Nicht nur, weil uns das Thema so fremd geworden ist – in einer Gesellschaft, die Mobilität und Ungebundenheit als hohe Qualitäten auf ihre Fahnen schreibt, ist die Gebundenheit an Scholle, Grund und Boden, Familientradition, Ehre (leider) gar kein Thema mehr. Dass man alles – Leib und Leben, Besitz, Bindungen, Familie – opfert, nur um seinem Glauben treu zu bleiben: In unseren Breiten schwer vorstellbar (und wie weit andere Religionen heute da gehen würden, wissen wir ja einfach nicht). Dies höchst dramatisch verdichtend, hat Schönherr Geschichte der Tiroler Protestanten, die im 17. Jahrhundert (und auch später noch) vertrieben wurden, mit einem Übermaß an Theatereffekten dargestellt, die heute schwer erträglich erscheinen.


Claudius von Stolzmann

Der „Reiter“ kommt mit seinen Soldaten als Abgesandter des Kaisers in ein Tiroler Dorf: Alle Protestanten, die nicht abschwören, müssen die katholische Habsburger-Monarchie verlassen, alles zurücklassen, sich auf den unsicheren Weg irgendwohin begeben, auf der Suche nach einer neuen Heimat … Da ist der alte Rott, in seinem Herzen Protestant, der dies aber erst am Totenbett gestehen will, damit man ihn nicht von Haus und Hof vertreibt – der aber freiwillig geht, als er hört, dass man ihn als Ungläubigen auf den Schindanger werfen würde. Und der in seiner Angst um sein „Bleiberecht“ so weit geht, seinen vertriebenen protestantischen Sohn zu verleugnen, als er wieder kommt: Glaube und Überzeugung hier, Kampf der Prioritäten gegen die andere Seite mit Heimat, Familie, außerdem Verbundenheit mit Besitz und Tradition als höhere Elemente als nur materielle – allein in dieser Figur ist alles drin.

 
Raphael von Bargen

Schönherr blättert die zahlreichen Tragödien auf, die auch von Loyalitäten handeln: Was ist für Christoph Rott wichtiger, der evangelische Glaube oder seine Familie? Bleibt die katholische Rottin bei ihrem Mann, wenn er sich auf den Weg machen muss? Lässt sich die Sandpergerin von dem Abgesandten des Kaisers ihre Bibel wegnehmen oder stirbt sie lieber unter seinem Schwert?

Schönherr war ein fabelhafter Effektdramatiker, er zeichnet auch den vor fundamentalistischer Wut glühenden katholischen Schergen differenziert mit Nachdruck und Überzeugungskraft. Nebenfiguren werden stark wie der Englbauer, der als Gewinnler des Elends die Höfe der Vertriebenen für seine Kinder kauft, damit diese „Grund und Boden“ haben, der den anderen entrissen wird. Selbst der Gerichtsschreiber, der als Beamter zwischen Pässen und Verträgen waltet, weil ja alles seine Ordnung haben muss, hat seine genaue Funktion…

Wenn der Autor die Verzweiflungsausbrüche und auch die Sentimentalitäten geschickt führt, so hat er mit dem „Spatz“, dem ungebärdigen halbwüchsigen Sohn der Rotts, doch eine nahezu unspielbare Figur geschrieben. Wenn es dem Katholiken um „Biegen und Brechen“, also auch um brutale Machtausübung geht (und doch meint er es mit seiner Religion ernst!) – dann stirbt der kleine Teufel lieber, bevor er sich brechen lässt. Und das Pathos trieft von der Bühne herab. Man bewundert, was ein Autor kann, weiß aber, dass es nicht mehr für heute ist, wie er sein Problem darbietet…

Nicht nur verglichen mit Kusej hat Stephanie Mohr das Stück kenntlich, mehr oder minder vom Blatt inszeniert, die Sprache von der akustisch Tirolerischen Unverständlichkeit befreit (in Wortwahl und Syntax bleibt vieles immer noch für uns schwierig), das Pathos nach Möglichkeit heruntergeschraubt (mit dem sentimentalen Triefen gelingt das nicht so leicht). Das Bühnenbild von Miriam Busch gibt, leicht stilisiert, dennoch einen kenntlichen Rahmen, stellt zwei Bauernstuben spiegelverkehrt nebeneinander auf die Drehbühne (das ist raffiniert in seiner Aussagekraft), dazu zwei Außenräume. Das Geschehen, das in den Kostümen von Alfred Mayerhofer (Bauernjoppen und –Gewänder halt) weder historisiert noch modernisiert wird, bekommt nur in der Figur eines Sängers mit aufgemaltem Totenkopf ein wenig „heutige“ Tünche: Kyrre Kvam schlägt die Trommel, singt, Musik spielt eine stimmungsmäßig, keine folkloristische Rolle. Es ist – danke! – eine Inszenierung, die das Stück erzählt, mit wenigen modernistischen Einsprengseln. Ein Stück, das man, wie erwähnt, um seiner selbst willen schwer aushält.

Das Josefstädter Ensemble ist eindrucksvoll, wenn auch Michael König nicht gerade der knorrige alte Tiroler ist und auch nicht wirklich moribund wirkt. Raphael von Bargen als Christoph Rott ist ein Stiller, Starker, Claudius von Stolzmann (mit einem Gesicht wie Klaus Kinski als „Aguirre“) ein Lauter, innerlich Gebrochener, der umso brutaler losschlägt, je mehr er am Ende Mitleid in sich fühlt.

Sicher die eindrucksvollste Leistung des Abends kommt von Silvia Meisterle als Rottin (im Bild) , mit Tiroler Herbheit die Katastrophe ihres Schicksals unpathetisch und stark zugleich erleidend. Starke Frauen auch Alexandra Krismer als die (sterbende, und dann hier noch als Tote präsente) Sandpergerin, auch Elfriede Schüsseleder als Ahndl, die versucht zu schützen, was nicht zu retten ist. Swintha Gersthofer allerdings plagt sich vergeblich mit dem Spatz, der ist einfach zu vordergründig-theatralisch angelegt.

Unter den „Evangelischen“ sind da Gerhard Kasal als das Wrack des Rott-Bruders, der schon vor langem vertrieben wurde, aber zurückgekehrt ist, weil er es außerhalb der Heimat nicht aushält; Igor Karbus als Unteregger, der geht, und Roman Schmelzer, dem ein Teil des allergrößten Pathos auferlegt ist, wenn er lügend abschwört, nur um in der Heimat bleiben zu dürfen. Beeindruckend in seiner fickrigen Gier nach Land ist der Englbauer von Nikolaus Barton, ganz bemerkenswert profilieren Oliver Huether den Bader, Michael Schönborn den Schuster und Lukas Spisser den Gerichtsschreiber. Auch das, was man früher auf Wienerisch „G’sindel“ nannte, fügt sich bei Schönherr unter die braven, leidenden Leute und bekommt von Ljubiša Lupo Grujčić und Susanna Wiegand geradezu aktuellen Umriß.

Am Ende bleibt die Frage, warum man das Stück heute spielt? Will man die Frage der Vertriebenen, die alles hinter sich lassen und sich irgendwo eine neue Heimat suchen müssen, auf die Flüchtlinge unserer Tage umbiegen? Soll man bei der brutalen Trennung von Kindern und Eltern an den bösen Donald Trump und seine mexikanische Grenze denken? Das wäre allzu verbogen, und zumindest dankt man der Regisseurin, dass sie so billige Bezüge nicht hergestellt hat. Den Dramaturgen des Hauses mögen sie allerdings durch den Kopf gegangen sein, dessen ist man ziemlich sicher. Erlauben wir uns hingegen, „Glaube und Heimat“ als aktuelle Warnung davor zu nehmen, was fanatische Religiosität anrichten kann.

Renate Wagner

WIEN/ Volksoper: THE GERSHWIN’S PORGY AND BESS. Konzertante Aufführung

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Melba Ramos (Bess) und Lester Lynch (Crown). Foto: Barbara Palffy

The Gershwin’s Porgy and Bess

Konzertante Aufführung, Wiener Volksoper, 14.2.2019

Es dauerte „nur“ 53 Jahre, um DIE amerikanische Oper wieder am Spielplan der Volksoper zu sehen – und der Direktion kann dafür gar nicht zu viel gedankt werden! Packende drei Stunden Musiktheater (ja, das ist auch bei einer konzertanten Aufführung möglich!), ein hervorragend disponiertes Volksopernorchester und ein ebenso perfekt vorbereiteter Chor und Zusatzchor der Volksoper (Einstudierung Thomas Böttcher) trugen unter dem Dirigat von Joseph R. Olefirowicz zu einem fulminanten Erfolg bei.

George Gershwin hatte seinerzeit bestimmt, dass nur farbige Sänger für szenische Produktionen engagiert werden dürfen (mit ganz wenigen Ausnahmen wie den Detective), daher wird diese Oper in Europa meistens konzertant (wenn überhaupt) aufgeführt. Einige Häuser haben sich über die Wünsche Gershwins hinweggesetzt und sich dementsprechend großen Ärger eingehandelt.

„Porgy and Bess“ wird oft als Jazz-Oper beschrieben, manchmal als „Folk-Opera“. Obwohl Gershwin die beiden meiner Meinung nach ur-amerikanischen Musikstile, den Südstaaten-Blues und den Jazz, einfließen ließ, sind die stimmlichen Anforderungen doch für ausgebildete Stimmen ausgelegt (als Ausnahme kann man eventuell den Sporting Life sehen) – und immer wiederkehrende Leitmotive rücken dieses Stück auch eher in die Richtung der Oper als die des Musicals, als dass es auch manchmal beschrieben wird. „Schuld“ daran ist wahrscheinlich die Verfilmung Ende der 1950er-Jahre, für die AndrèPrevin die Oper neu arrangiert hatte und Rezitative gestrichen wurden. Fun Fact – der Sänger des Porgys beim Soundtrack war Robert McFerrin, Vater des bekannten Jazzers Bobby McFerrin, der ja auch schon die Wiener Philharmoniker dirigiert hat.

Im Vergleich zur Premiere dieser Produktion musste dieses Mal BongiweNakani passen, da sie ein ärztliches Auftrittsverbot erhalten hatte. Kurzfristig sprang für die Rolle der Maria Bonita Hyman ein, die sich gerade in Berlin aufgehalten hatte und so die Vorstellung rettete. Hyman sang eher zurückhaltend, konnte aber das Publikum durch einen sehr pointierten Gesang für sich gewinnen und erhielt auch Szenenapplaus.

Morris Robinson war der unumschränkte und umjubelte Star des Abends. Große Zustimmung nach „I‘vegotplentyofnothing‘“ war ihm sicher. Nicht nur durch seinen fundierten Bass beeindruckte er, nein, auch schauspielerisch überzeugte er. Überhaupt muss angemerkt werden, dass durch das ständige Kommen und Gehen der Sänger eine Dynamik entstand, die der einer szenischen Aufführung schon sehr nahekam. Die Beleuchtung (Wolfgang Könnyü) war auch perfekt auf das Geschehen eingestimmt.

Als Bess hinterließ Melba Ramos einen ausgezeichneten Eindruck – eine ganz kleine Unsicherheit sei ihr nachgesehen. Lester Lynch stellte den brutalen Crown sowohl schauspielerisch als auch stimmlich großartig dar – leider gibt es ja auch heutzutage noch Frauen, die solchen Typen verfallen…

Sporting Life – das ist nach meinem Dafürhalten die einzige Figur, die man nicht unbedingt mit einem ausgebildeten Opernsänger besetzen muss. Dieser drogen-dealende Dandy hat eine gewisse Leichtigkeit, die den anderen Figuren des Stückes abgeht. Der zweite Welthit dieser Oper, „Itain’tnecessarely so“, verlangt mehr Rhythmusgefühlund stellt den Sänger auch vor die Aufgabe, ein wenig „scatten“ zu müssen. Dies ist naturgemäß leichter für Darsteller, die mehr aus dem Bereich des Musicals oder des Jazz kommen. Ein hervorragendes Beispiel dafür war Cab Calloway, der ja nicht nur bei der Erstaufführung von „Porgy and Bess“ in Wien gesungen hat, sondern auch die Rolle des Sporting Life für den Soundtrack der Oper eingespielt hat. Nun, Ray M.Wade Jr. schlug sich gut und war sehr bühnenpräsent. Ich würde seinen Tenor als Mittelding zwischen heldisch und Charaktertenor bezeichnen.

Marcel Prawy bezeichnete einst Korngolds „Glück, das mir verblieb“ als letzten Opernschlager – da widerspreche ich, alleine diese Oper enthält drei Stücke, die sich zu Standards des Jazz oder Rocks entwickelten. Von Louis Armstrong und Ella Fitzgerald bis zu Miles Davis – kaum eine Jazzgröße konnte an diesen Themen und Melodien vorbeigehen. Neben den bereits genannten Stücken beziehe ich mich selbstverständlich auf „Summertime“ – da gibt es eine großartige Einspielung von Chet Baker, und Ende der 1960er-Jahre nahm auch Janis Joplin das Lied auf, eine absolute Jahrhunderteinspielung des Rock…

An diesem Abend eröffnete Rebecca Nelsen als erste Solokünstlerin mit diesem Stück – für meinen Geschmack hätte sie den ersten „Durchgang“ (Summertime wird ja noch von der Clara zwei Mal wiederholt und schlussendlich auch noch einmal von Bess) etwas lyrischer anlegen können, das ist allerdings der einzige Einwand, den ich vorbringen kann. Den Ehemann der Clare, Jake, wurde von Ben Connor sehr überzeugend gesungen. Auch seine Bühnenpräsenz überstieg die Größe seiner Rolle. Ich bin gespannt auf seine Entwicklung!

Julia Koci, die beim Schlussapplaus vom Publikum ebenfalls bejubelt wurde, überzeugte als Serena, Morten F. Larsen als schmieriger Advokat. Eine Luxusbesetzung als Annie war IseyarKhayrullova, die anderen Protagonisten des Abends seine pauschal gelobt.

Wie ich erfahren habe, wird es leider nur bei dieser Serie bleiben – zumindest für die nächste Saison wird dieses wirklich wichtige Stück der Musikliteratur nicht am Spielplan aufscheinen. Es bleibt zu hoffen, dass man nicht wieder mehr als 50 Jahre darauf warten muss diese Oper in Wien wieder zu erleben.

Insgesamt dauerte die Vorstellung inklusive einer Pause knapp 3 Stunden – und diese waren wirklich kurzweilig. Gesungen wurde übrigens in der Originalsprache mit deutschen Übertiteln – und die Übersetzung war sehr gut – auch da gebührt den Verantwortlichen ein Kompliment!

Für die weiteren Vorstellungen – 18., 22. und 25 Februar gibt es noch Restkarten. Wer in oder um Wien herum weilt, der sollte zuschlagen. Eine spannende Produktion wartet!

Kurt Vlach

HILDESHEIM/ Theater für Niedersachsen: DIE PANTÖFFELCHEN von Piotr I. Tschaikowsky

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Piotr I. Tschaikowsky: Die Pantöffelchen, Theater für Niedersachsen, Hildesheim, 11.02.2019

 (6. Vorstellung seit der Premiere am 09.12.2018)

Von kranken Sängern und kranken Bühnen

Gerade in dieser Jahreszeit beginnen Vorstellungen oft mit einer Ansage. In diesem Fall war glücklicherweise kein Sänger zu vermelden, der ins Bett gehört, das Publikum aber trotzdem beglücken will. Indisponiert war für einmal die Bühne, genauer die Hubpodien. In der Vorstellung war davon nichts zu bemerken, es kann also nicht so schlimm gewesen sein.

Die Pantöffelchen (Tscherewitschki) sind Tschaikowskys vierte Oper und die Erste, der der an permanenten Minderwertigkeitskomplexen leidende Tschaikowsky selbst akzeptierte. Die Autographen der ersten beiden, der Wojewode und Undina, vernichtete er, den Autograph der dritten Oper, der Opritschnik, gab er nie zum Druck frei. Tschaikowskys vierte Oper, «Wakula, der Schmied» wurde am 06.12.1876 in St. Petersburg in erster Fassung uraufgeführt. Nach 18 Aufführungen wurde die Oper, die kein Erfolg war, abgesetzt. Dem Komponisten lag sein Werk aber am Herzen und so überarbeitete er grundlegend. Da mittlerweile auch andere Komponisten die Vorlage Gogols verwendet hatten, änderte Tschaikowsky den Titel in «Die Pantöffelchen», unter dem die Oper am 31.01.1887 uraufgeführt wurde. Auch in dieser Fassung war das Werk kein Erfolg, wurde nach sechs Aufführungen abgesetzt und zu Tschaikowskys Lebzeiten nie mehr gespielt.

Dank dem Theater für Niedersachsen in Hildesheim ist die Rarität nach 30 Jahren wieder in Deutschland zu erleben. Gesungen wird eine anonyme deutsche Übersetzung von etwa 1898.

Regisseurin Anna Katharina Bernreitner bedient sich in ihrer Inszenierung dem Stilmittel der Verfremdung und vermeidet so simplen  Realismus oder gar plakativen Folklorismus. Die Ausstattung von Hannah Rosa Oellinger und Manfred Rainer ist ebenso verfremdet. Die Dorfbevölkerung, wir befinden uns in den winterlich kalten Weiten Russlands, trägt Ski-Anzüge, Norweger-Pullis oder alte Militärkleidung. Das Märchen kann so Märchen bleiben.

Bildergebnis für hildesheim das pantöffelchen

©Theater für Niedersachsen

Die weisse Bühne ist fast leer, nur auf der linken Seite erhebt sich ein Hügel, der Hintergrund ist schwarz. Noch während der Ouvertüre hat der Teufel seinen ersten Auftritt und bringt ein stilisiertes Modellhaus auf die Bühne. In Matrioschka-Art enthält dieses Haus weitere Häuser, so dass am Schluss das Dorf Dikanka auf der Bühne nachgebildet ist. Mit Zauberhand beleuchtet der Teufel die einzelnen Hütten.

Nach einigen Irrungen und Wirrungen erklärt sich Oxana, vom Schmied Wakula verehrt und begehrt, dass sie nur bereit sei ihn zu heiraten, wenn er ihr die Pantöffelchen der Zarin bringe. Nun muss Wakula erst einmal der Lockungen der Rusalken, die hier mit langem her doch recht indifferent bleiben, wiederstehen.

Bildergebnis für hildesheim das pantöffelchen

 

©Theater für Niedersachsen

Als Wakula dann keinen Ausweg mehr sieht und Suizid begehen will, erscheint der Teufel und bietet, natürlich im Tausch gegen Wakulas Seele, seine Hilfe an. Wakula gelingt es nun aber den Teufel zu überlisten und so muss dieser ihn auf seinem Rücken zum Zarenhof tragen und die Pantöffelchen beschaffen. Der Zarenhof ist nun das Paradies, wie es sich die Dorfbevölkerung vorstellen könnte: ein Dutzend Wärmestrahler mit aufgesteckten Palmwedeln. Es kommt wie es kommen muss: Wakula bekommt die Pantöffelchen, bringt sie nach Dikanka und bekommt nun seine Oxana.

Bildergebnis für hildesheim theater die pantöffelchen

©Theater für Niedersachsen

Pantöffelchen? Üppig vergoldete Turnschuhe mit Leuchtdioden in der Sohle…

Unter Leitung von Achim Falkhausen bewältigt die TfN-Philharmonie die oft doch wesentlich moderner als das Folgewerk „Eugen Onegin“ klingende Partitur mit grosser Spielfreude und legt so die Basis für einen höchst interessanten Opernabend. Opernchor und Extrachor des TfN wie auch die Tänzer (Choreographie von Natascha Flindt) setzen Bernreitners Konzept hervorragend um. gibt die Prägende Figur des Abends und auch immer wieder beschäftigt, wenn er nichts zu singen hat, ist Peter Kubik als Teufel. Die Sopranistin Katja Bördner gibt die Oxana und jedem Zuschauer wird sofort klar, warum Wakula (an diesem Abend etwas verhalten Wolfgang Schwaninger) sie begehrt. Mezzosopranistin Neele Kramer ist Wakulas Mutter Solocha und will irgendwie gar nicht wie eine Hexe wirken. Uwe Tobias Hieronimi (Tschub/Ein alter Saporoger), Levente György (Pan Golowa/Durchlaucht), Julian Rohde (Panass/Schulmeister) und Jesper Mikkelsen (Der Zeremonienmeister) komplettieren das Ensemble.

Die Provinz lebt! Lohnende Begegnung mit einem Werk, dessen Raritätenstatus nicht so ganz klar werden will.

Weitere Aufführungen: Samstag 23.02.2019, 19.30 Uhr, Freitagtag 05.04.2019, 19.30 Uhr und Montag 08.04.2019, 19.30 Uhr.

14.02.2019, Jan Krobot/Zürich

WIEN Staatsoper : Giacomo Puccini TOSCA

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Der umjubelte Cavaradossi von Piotr BECZALA (Gemälde: Cavaradossi, Foto: M.PÖHN)

Ein Cavaradossi zum Niederknien
Zur 608. Aufführung von Puccinis Tosca in der Wallmann – Inszenierung der Wiener Staatsoper
Donnerstag, 14. Februar 2019         Von Manfred A.Schmid

 

Das stimmlich wie auch darstellerisch überzeugendste Opernereignis der bisherigen Saison ist – was das Repertoire betrifft – erwartungsgemäß auch am dritten Abend mit der laufenden Vorstellungsserie  von Puccinis melodramma, das in aller Frische und Intensität zu bewundern ist. Was hier geboten wird, ist zum Niederknien schön – im vorliegenden Fall hat diese ehrfurchtsvolle Formulierung ihre volle Berechtigung.  Geboten wird ein packendes, unter die Haut gehendes Kammerspiel, das von starken leidenschaftlichen Gefühlen geprägt ist:  Liebe, Hass, Eifersucht und gefährliche Brutalität halten das Geschehen vom Anfang bis zum Schluss in fesselnder, vibrierender Hochspannung. Und die farbenprächtige, effektvoll instrumentierte Musik ist mit Marco Armiliato am Pult des Staatsopernorchesters wieder in besten Händen. Er ist, besonders im italienischen Repertoire, seit Jahren der Garant für funkensprühende Opernabende – und wird von Mal zu Mal besser.

Thomas Hampson als ebenso eleganter wie abgrundtief böser Baron Scarpia strotzt vor imponierender Präsenz und liefert das beklemmende Porträt einer bipolaren Persönlichkeit, die über Leichen geht. Stimmlich geht er allerdings an seine Grenzen. Das macht die von ihm in höchster Erregung ausgestoßenen Töne aber umso bedrohlicher. Als er schließlich tot vor Floria Tosca am Boden liegt, stellt sie – nicht ohne Stolz und Erstaunen – lakonisch fest: „Und vor diesem Mann zitterte ganz Rom.“

Die Titelpartie der launenhaften, in ihrem Gefühlsleben zwischen Liebe und Eifersucht hin und hergerissene Diva, ist Sondra Radvanovsky anvertraut. Mit ihrem warmen, mit einem einnehmenden Vibrato ausgestatteten Sopran  zieht sie in  „Vissi d´arte, vissi d´amore“  eine berührende Bilanz ihres bisherigen kurzen, ausschließlich der Kunst und der Liebe gewidmeten Lebens. Wie sie sich dann in höchster Bedrängnis dazu aufrafft, Scarpias verbrecherischen Machenschaften ein Ende zu bereiten, und ihn ersticht, geschieht mit großer darstellerischer Hingabe.

Wenn auch Tosca naturgemäß der dramaturgische Mittelpunkt des Beziehungsdramas ist, den gesanglichen Höhepunkt des Abends liefert wiederum Piotr Beczala als der von ihr geliebte Maler Cavaradossi. Schon seine erste Arie „Recondita armonia“ wird begeistert akklamiert, und es scheint dann fast, als ob nun alle nur mehr gebannt auf seinen Abgesang „E lucevan le stelle“ warten würden, der dann, hinreißend dargeboten und wieder mit tosendem, langanhaltendem Applaus bedacht, erwartungsgemäß wiederholt werden muss. Das wird garantiert auch bei der Abschlussvorstellung am 17. Februar der Fall sein, denn das Dacapo ist in dieser Konstellation sozusagen bereits vorprogrammiert:  Man kann diese Arie anders singen, schöner derzeit wohl kaum.

Der gesangliche und darstellerische Impetus der Protagonisten, die beim Schlussapplaus stürmisch gefeiert werden, kann zuweilen auch die übrigen Mitwirkenden zur Leistungssteigerung anregen. Das trifft vor allem auf Ryan Speedo Green zu, der als von den Schergen Scarpias gehetzter Angelotti Panik und Todesangst gut über die Bühne bringt. Erwähnenswert ist weiters Maryam Tahon von der Opernschule als berührend singender Hirte.

Manfred A. Schmid

 

WIEN / Konzerthaus: LA DAMNATION DE FAUST

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v.l.n.r Nahuel di Pierro, Philippe Jordan, Edwin Crossley-Mercer, Saimir Pirgu 

WIEN / Konzerthaus:
LA DAMNATION DE FAUST von Hector Berlioz
Konzertante Aufführung unter Philippe Jordan 
15.
Februar 2019

Es ist genau 50 Jahre her, dass man „La Damnation de Faust“ – damals schlicht und einfach und auf Deutsch als „Fausts Verdammnis“ – zuletzt szenisch in Wien gesehen hat: Das war an der Volksoper. Eine konzertante Aufführung gab es (unter de Billy) vor zehn Jahren auch im Konzerthaus. Die Bregenzer Festspiele haben das Werk 1992 gezeigt. Kurz, übertrieben toll ist unsere Kenntnis dieses „Faust“ von Hector Berlioz nicht eben. Aber halt – vermutlich hat arte (oder YouTube) die Pariser Aufführung von 2015 gezeigt (sonst kennte man sie ja nicht): Alvis Hermanis lieferte mit Kaufmann, Koch, Terfel eine ziemlich schräge Inszenierung. Am Pult der Opera Bastille stand Philippe Jordan. Wie auch jetzt wieder.

Es ist nämlich Berlioz-Jahr, der französische Komponist, geboren 1803, starb 1869, also vor 150 Jahren in Paris. Grund genug, dass Jourdan mit (noch) „seinen“ Wiener Symphonikern das Werk konzertant zur Aufführung bringt. Zumal bei dieser „Dramatischen Legende“, wie Berlioz das Werk bezeichnet hat, für das Orchester am meisten zu holen ist. Dramaturgisch mutet die Sache, die sich auf Faust, Mephisto und erst im zweiten Teil auf Marguerite konzentriert, ziemlich verfahren an. Aber musikalisch – alles drin, vom raumsprengenden Donnerwetter einer Höllenfahrt bis zu den raffiniertesten Klangspielen, die dann einzelne Instrumente solistisch hervorholen. Superzart bis superlaut und stellenweise atemberaubend effektvoll, etwa bei jenem „Ungarischen Marsch“ der als „Rákóczy-Marsch“ in die Konzertsäle und die Ohren eines breiten Publikums eingegangen ist.

Da kann ein Orchester prunken, und die Wiener Symphoniker taten es an diesem Abend – und das die ganze Zeit. Jordan hat spürbar Präzisionsarbeit geleistet, und die Musiker, den Chor (die Wiener Singakademie unter der Leitung von Heinz Ferlesch hat einen Riesen-Job) und auch noch Sänger der Opernschule der Wiener Staatsoper (Leitung: Johannes Mertl) bemerkenswert zusammengeschmiedet. Nicht, dass man uns Philippe Jordan als Dirigenten groß vorstellen müsste (allerdings war er in der Ära Dominique Meyer nie an der Staatsoper!), aber es tut gut sich daran zu erinnern, wer der Mann ist, der ab 2020 für unser Opernhaus so wichtig sein wird.

Der Held des Berlioz’schen „Faust“ ist der Titelheld, der Tenor, der am meisten und dabei viel Schwieriges zu singen hat. Man hörte es und die Pausengespräche beweisen es, wie überzeugend sich Saimir Pirgu im dramatischeren Fach gemausert hat. Er hat die Höhen ohne Probleme, er hat die Mittellage, und an diesem Abend brach er nur zu Beginn des zweiten Teils kurz ein, als ihm einige Piano-Stellen im Hals stecken blieben. Aber das minderte den Gesamteindruck nicht.

 
Saimir Pirgu und Kate Aldrich

Von der vorgesehenen Besetzung ist noch Kate Aldrich übrig geblieben, ein braver Mezzo, wenn auch ein bisschen farblos. Etwa drei Stunden vor Beginn des Konzert sandte das Konzerthaus per Mail die Umbesetzungen aus – was einen Großteil des Publikums völlig kalt erwischte. Die Dame neben mir brach in großes Gejammere aus, weil sie sich offenbar so sehr auf Ildebrando D’Arcangelo gefreut hatte. Um Florian Boesch wurde nicht gejammert, aber die Rolle des Brander ist auch winzig, Jordan holte dafür Edwin Crossley-Mercer von seiner Pariser Aufführung.

Der Argentinier Nahuel di Pierro hatte die Aufgabe, den Méphistophélè zu singen. Es sah mit dunklem Bart nur ein kleines bißchen „teuflisch“ aus, leider war die Stimme nicht entsprechend „schwarz“ und die Persönlichkeit nicht überragend. Aber im Konzertsaal hat man es schwer mit der Rollengestaltung.

Das Wiener Publikum zeigte durch seinen Beifall, dass es eine überzeugende Aufführung von „La Damnation de Faust“ gehört hatte.

Renate Wagner

WIEN / Kunstforum Wien: KÜNSTLERINNEN DER ART BRUT

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WIEN / Kunstforum Wien:
FLYING HIGH:
KÜNSTLERINNEN DER ART BRUT
Vom 15. Februar 2019 bis zum 23. Juni 2019

Wenn aus Therapie Kunst wird

„Art Brut“ wurde als Begriff von dem französischen Künstler Jean Dubuffet geschaffen, der sich selbst von den Arbeiten von Geisteskranken inspirieren ließ. Österreich hat mit Werken aus „Gugging“, die schon seit Jahrzehnten hohe Reputation genießen und ihren Platz im Kunstmarkt gefunden haben, eine eigene „Art Brut“-Tradition. Das Kunstforum unternimmt es nun, diese Kunst in Hinblick auf die weiblichen Vertreterinnen zu betrachten.

Von Heiner Wesemann

Die Frauen in der Art Brut   Im Katalog zur gegenwärtigen Art Brut-Ausstellung erinnert sich Direktorin und Kuratorin Ingried Brugger daran, dass das Kunstforum bereits vor zwei Jahrzehnten in der Ausstellung „Kunst und Wahn“ dieses Thema behandelt hat. Damals diskutierte man heftig den „Primitivismus“ – und dachte gar nicht daran, nach dem Frauenanteil zu fragen: „Ein Umstand, der weder den Kuratoren noch den Besuchern noch den Rezensenten aufgefallen ist.“ So ändern sich die Zeiten. Nun ist der Nachholbedarf bezüglich der Genderfragen stark (das Belvedere konzentriert sich derzeit auch auf Kunst von Frauen), und hier wie dort fragt man sich, ob es eine spezifische „Frauenkunst“ gibt. Möglicherweise bei der Art Brut noch eher als in der Welt der selbst gewählten „Künstlerinnen“, weil Frauen vermutlich eher als Männer zu Stoffen und Wolle greifen, um etwas zu gestalten.

Als Therapie hat es begonnen     Art Brut begann in Psychiatrischen Anstalten, begann mit der Beschäftigungstherapie der Kranken, begann mit der Idee der Ärzte, aus den Produkten etwas „herauslesen“ zu können. Man sieht in der Art Brut-Ausstellung deutlich, wie es hier nie grundsätzlich um „Kunst“ ging – man hat einfach etwas „gemacht“.  Nicht nur gezeichnet und gemalt, sondern auch Stoffe bestickt, Materialien appliziert, gebastelt, Collageartiges gestaltet. Die Welt der Kinderzeichnung spielt hier ebenso herein wie „naive Malerei“, einiges ist „gekritzelt“, einiges wie „ausgemalt“, einiges formal experimentiert, manches ornamental gestaltet. Es gibt Werke, die an Vorbilder gemahnen (man würde vermuten wollen, Elsa Blanenhorn habe Chagall-Werke gesehen und diese paraphrasiert), manches ist ein echt kreativer, gestalterischer Akt: Nicht jeder könnte, wie es Julia Krause-Harder es tut, Dinosaurier aus diversen Plastik-Stücken basteln. Ihre „Krankheit“ besteht darin, dass sie sich einbildet, die Tiere riefen nach ihr, und es sei ihre Mission, alle bekannten 800 Saurier-Arten zu gestalten.

Auf den Spuren der Sammler     Da Art Brut keine Schule ist und kein System hat, gibt es auch kein logisches Gestaltungsprinzip. Die Ausstellung geht daher nach den Sammlern vor, wobei es sich (mit Ausnahme von Dubuffet) vordringlich um Psychiater (immer Männer!) handelt, die die Werke der Patienten – in diesem Fall Patientinnen – zusammentrugen. Hans Prinzhorn, Walter Morgenthaler, das Gugging von Leo Navratil, die Sammlung L’Aracine – sie sind es, die dann für die Einteilung der Ausstellung sorgen (und man geht durch Tore mit ihren Namen in die einzelnen Räume).

Jede eine Welt für sich   Man kann angesichts der Werke weder einen roten Faden noch einen großen Zusammenhang sehen. Solcherart ist es ein buntes Sammelsurium, dem man begegnet – und die Ausstellung entspricht ihrem „Fly High“-Motto schon in der Einganghalle, wenn dort titellose Stoff- und Wolle- und Holzbündel von Judith Scott in der Luft hängen. Im Ganzen sind es 93 „Künstlerinnen“ (Kurzbiographien sind in einem Heftchen kostenlos erhältlich), die auch Kranke sind, und die Entscheidung, ob alles, was hier gezeigt wird, auch von Talent zeugt, also genuin der „Kunst“ zuzuordnen ist, fällt schwer. Manches mag auch eine Modeerscheinung sein. Dass man Verblüffendes sieht und erlebt, steht außer Frage.

WIEN / Kunstforum Wien:
FLYING HIGH: KÜNSTLERINNEN DER ART BRUT
Bis zum 23. Juni 2019, täglich 10 bis 19 Uhr, Freitags bis 21Uhr  

WIEN / Albertina: RUDOLF VON ALT UND SEINE ZEIT

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WIEN / Albertina / Tietze Galleries:
RUDOLF VON ALT UND SEINE ZEIT
Aquarelle aus den Fürstlichen Sammlungen Liechtenstein
Vom 16. Februar 2019 bis zum 10. Juni 2019 

Die große Kunst der kleinen Form

Gemälde und Skulpturen sind der spektakuläre Ausdruck der Kunst. Dass die „kleine Form“ des Aquarells nicht minder kostbar ist, haben Kunstfreunde und Sammler immer gewusst. Darum bietet die Albertina, die nun Beispiele aus der außerordentlichen Kunstsammlung der Fürsten von Liechtenstein zeigt, neben den „großen“ Werken auch noch eine Ausstellung, die 90 außerordentliche Beispiele vor allem des 19. Jahrhunderts präsentiert (ausgewählt aus den rund 1000 besten Aquarellen dieser Epoche aus Liechtenstein’schem Besitz). Eine Kostbarkeit für sich, die einen eigenen Besuch wert ist.

Von Heiner Wesemann

Als es noch keine Fotografie gab   Die „Aquarelle“-Ausstellung der Liechtenstein-Schätze, die sich Rudolf von Alt als Signatur-Namen gewählt hat, beginnt mit diesem: Fürst Alois II. und seine Gattin, Fürstin Franziska, hatten das logische Bedürfnis, nicht nur sich selbst, sondern auch die Welt, in der sie lebten, zu dokumentieren. Dass die Atmosphäre der Räume, dass die darin befindlichen Möbel und Kunstwerke auch mit absoluter Genauigkeit abgebildet wurden, dafür war Rudolf von Alt ein Garant. Seine Innenansichten fürstlicher Palais geben biedermeierliche Home-Stories, die in scheinbar bescheidenen Zeiten von höchstem Prunk erzählten. Natürlich reisten die Künstler auch – es gab schließlich die Liechtenstein-Schlösser in Eisgrub und Felsberg, die gleichfalls zu dokumentieren waren.

Biedermeier in Stadt und Land     Die großen Maler des Biedermeier, die nicht nur in Öl, sondern auch mit großer Vorliebe mit Wasserfarben malten, liefern der Nachwelt Stadtansichten, für deren Kenntnis man nur dankbar sein kann. Viele von ihnen sind gereist, haben den Süden in leuchtenden Farben wiedergegeben, schwelgten in den Ruinen der Antike und Küstenlandschaften. Doch sie liebten auch die heimischen Landschaften, die Berge, Seen und Wälder – Joseph Höger, der Zeichenlehrer der Liechtenstein- Kinder war, hat hier Bedeutendes geleistet, desgleichen Thomas Ender, der Kammermaler von Erzherzog Johann.

Fürstlich-bürgerlicher Alltag     Natürlich hat man nicht nur die Fürsten in repräsentativen Ölgemälden (in voller Pracht, mit ihren Orden) dargestellt, sondern auch Szenen aus der Familie malen lassen – Eltern mit Kindern, spielende Kinder, Miniaturporträts. Viele Aquarelle sind auch Vorstudien zu Ölgemälden. Als besondere Kostbarkeit empfindet man das Skizzenbuch von Peter Fendi, der diese kleinen Genreszenen zur Meisterschaft erhob.

Botanik und Zoologie   Und schließlich war es auch der wissenschaftliche Aspekt, der das Zeitalter prägte: Blumen, Tiere, Muscheln mit höchster Detailgenauigkeit darzustellen, galt als Herausforderung, der sich selbst ein Mann wie Moritz Michael Daffinger unterzog. Die Buntheit und Vielfalt dieser „kleinen“ Welt des Aquarells, die auffordert, sich bewundernd ins Detail zu vertiefen, macht verständlich, warum echte Kenner hier zu leidenschaftlichen Sammlern wurden.

Albertina: Rudolf von Alt und seine Zeit.
Aquarelle aus den Fürstlichen Sammlungen Liechtenstein
Bis 10. Juni 2019, täglich von 10 bis 18 Uhr, Mittwoch und Freitag bis 21 Uhr


WIEN / Albertina: RUBENS BIS MAKART

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WIEN / Albertina / Kahn Galleries:
RUBENS BIS MAKART
DIE FÜRSTLICHEN SAMMLUNGEN LIECHTENSTEIN
Vom 16. Februar 2019 bis zum 10. Juni 2019

Kunstsinn und das Geld dafür…

Das Fürstentum Liechtenstein feiert heuer seinen 300. Geburtstag. Die Verbindung der Liechtensteiner mit der ehemaligen Familie Habsburg geht weit zurück und hat deren Schicksal mitgeprägt. Dass nun eine Auswahl der besten Werke der berühmten Kunstsammlung in ein ehemaliges Habsburger-Palais, die Albertina, einzieht, ist für Direktor Klaus Albrecht Schröder nur einer von vielen Zusammenhängen.

Von Heiner Wesemann

Das Fürstentum Liechtenstein        Das Fürstentum Liechtenstein liegt gleich „neben“ Österreich (genau: „neben“ Vorarlberg, im übrigen umgeben von der Schweiz), ist weniger als halb so groß wie Wien und hat ungefähr so viele Einwohner wie ein mittlerer Wiener Bezirk. Aber diese „Kleinheit“ geht mit gewaltiger Potenz Hand in Hand – finanziell und in Bezug auf die Kunstsammlung der Fürsten, die als eine der größten der Welt gilt. Die Liechtensteiner waren immer reich, sie wurden katholisch, seit 1608 erbliche Fürsten, und sie waren den Habsburgern stets treue, verlässliche und nützliche „Diener“, die es sich leisten konnten, mit ihnen vor allem in der Leidenschaft des Kunstsammelns regelrecht zu konkurrieren. Ihre Selbständigkeit als „Reichsfürsten“ erhielten sie vor 300 Jahren, 1719, von Kaiser Karl VI., der ihre Besitzungen von Vaduz und Schellenberg (die sie verarmten Vorarlberger Adeligen abgekauft hatten) zu einem eigenen Staat im Rahmen des Heiligen Römischen Reichs erhob. Dennoch blieben die Liechtensteiner Fürsten in Wien und ihren böhmischen Gütern „zuhause“. Erst der Vater des jetzigen Fürsten, Franz Josef II. (dessen Taufpate noch Kaiser Franz Joseph gewesen war), zog sich vor den Nazis in sein eigenes Land zurück, wo die Liechtensteiner seither residieren. Das Ende des Ersten Weltkriegs hatte sie zwar nicht, wie die Habsburger, ihre Herrschaft gekostet, aber das 20. Jahrhundert erwies sich als wirtschaftlich schwierige Epoche. Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten sich die Liechtensteiner, deren Besitzungen in der heutigen Tschechei kaltblütig und ohne Entschädigung enteignet worden waren, sogar von einem Teil ihrer Kunstwerke trennen. Dass mittlerweile das Land neben der Schweiz als Finanzzentrum mehr als potent ist, strahlt auch auf das Fürstenhaus zurück. Man kann nicht nur wieder sammeln, sondern auch vieles, was man einst verkaufen musste, zurück erwerben.

Die Fürsten als Sammler     Es gibt Habsburgische Kaiser wie Rudolf II., die mehr durch ihre Leidenschaft für Kunst als durch ihre politische Begabung gekennzeichnet sind. Die Liechtensteiner sammelten seit 400 Jahren mit ihnen um die Wette. Es war die zeitgenössische Kunst, aber auch jene früherer Epochen (Mittelalter), die man erwarb, und nicht nur die beiden Wiener Palais der Fürsten (in der Rossau und im Stadtzentrum) füllten sich mit Kunstwerken. Wenn es heute heißt, die englische Königin besäße die größte Canaletto-Sammlung der Welt – auch die Liechtensteiner konnten sich den Venezianer leisten. Und in unseren Tagen war es der heutige Fürst von Liechtenstein, Hans Adam II., der den Frans Hals, der vom Kunsthistorischen Museum restituiert wurde und in den Kunsthandel kam, kaufte. Als der Verfasser dieses Artikels einmal (es ist einige Jahre her, als das Liechtenstein Museum als solches noch existierte) den Fürsten fragte, warum er keine moderne Kunst sammle, sagte Hans Adam II. ganz offen: „Weil sie mir nicht gefällt. Warum sollte ich es also tun?“ Aber im Erwerben alter Meister ist er unermüdlich. Die Büste von Kaiser Marc Aurel, gestaltet im 16. Jahrhundert von dem bedeutenden Mantuaner Bildhauer, der sich „Antico“ nannte, ist eine der jüngsten Erwerbungen des Hauses und begrüßt die Besucher der Wiener Ausstellung im ersten Raum.

Von den Palais’ ins Museum   Der Fürst von Liechtenstein hat in seinem prachtvollen barocken „Gartenpalais“ (zwischen Liechtensteinstraße und Porzellangasse) ab 2004 ein Museum eingerichtet, das einen Teil seiner Schätze sowie Sonderausstellungen zeigte. 2012 wurde der Museumsbetrieb eingestellt, seither fungiert der Palast als Event-Location. Es kann nur noch zweimal im Monat mit Führungen besichtigt werden, ebenso wie das Stadtpalais der Fürsten (hinter dem Burgtheater). Es war nun die Idee von Klaus Albrecht Schröder, wichtige Liechtenstein-Schätze in ein Habsburger-Palais, damit aber gleichzeitig „ins Museum“ zu holen. Er konnte selbst auswählen – und holte Höhepunkte aus einem halben Jahrtausend Kunstgeschichte zusammen. Die nun, wie in Museen üblich, auf „Augenhöhe“ zu besichtigen sind – eine Nähe, die im Liechtenstein-Palais etwa für die berühmte „Venus vor dem Spiegel“ von Rubens nie gegeben war, weil sie in luftigen Höhen gehängt war.

Durch fünf Jahrhunderte Kunst     Die Kuratoren, Liechtenstein-Beauftragter Johann Kräftner und Laura Ritter für die Albertina, lassen den Rundgang (nach der „Begrüßung“ durch Marc Aurel) mit exquisiten Werken des Mittelalters beginnen, Gemälde der Renaissance folgen. Ein hoch begabtes Bild eines Bruegel-Sohnes („Die Volkszählung in Bethlehem“) erweist sich in seiner peniblen Detailfreude als des Vaters würdig. Die grimmigen „Steuereintreiber“ des Quentin Massys sind weltberühmt und durch die Prägnanz ihrer Darstellung tausendfach abgebildet und zitiert worden. Und auch eines der berühmten Kompositbilder von Archimboldo („Die Erde“) konnte man offenbar den Habsburgern wegschnappen…

Besondere Schwerpunkte     Eine eigens gestaltete „Rundecke“ verbindet die Bronzeskulptur des Heiligen Sebastian des Adrian de Vries mit dem Sebastian-Gemälde des Cornelis Cornelisz. van Haarlem, und vermutlich könnte man, wenn man alle Liechtenstein-Schätze zusammen stellte (kein Museum der Welt wäre groß genug) viele dieser thematischen Querbeziehungen herstellen. Die Rubens’schen Monumentalgemälde der Liechtenstein hat man nicht in die Albertina geschafft, wohl aber andere Riesenstücke, darunter einen „Raub der Sabinerinnen“ von Sebastiano Ricci und eine großartige „Liegende Löwin“ von Frans Snyders. Man kann die Menge von Landschaften, Stilleben, Porträts gar nicht überblicken, Ausstellungen wie diese muss man öfter sehen.

Schwerpunkt Rubens   Fast „nur“ kleine Rubens, aber darunter ultimative Kostbarkeiten, die Venus, das Kinderbildnis seiner Tochter Clara Serena, eine wenig bekannte Kopfstudie eines Mannes, die beweist, dass man auch Überraschendem begegnen kann. Dazu einige historische Szenen: Alle der Fürsten haben Rubens gekauft und gesammelt – die würdigen Herren, die auch in der Ausstellung vertreten sind und in ihren Porträts von den Wänden blicken, ruhig und selbstbewusst.

Die Fürsten des Biedermeier   Auch als souveräne Reichsfürsten fanden sich die Liechtensteiner immer den Habsburgern verbunden, Johann I. kämpfte an der Seite von Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern gegen Napoleon. Fürst Alois II. und Fürst Johann II. lebten im 19. Jahrhundert in Wien und gaben Werke in Auftrag, kauften und besitzen bis heute „Signaturbilder“ dieser Epoche, die immer wieder abgebildet werden, Amerlings Mädchenbildnisse (jene mit geneigtem Kopf, jene mit Strohhut, die in Träumen Versunkene), Peter Fendis zauberhaftes neugieriges Stubenmädchen, das durch das Schlüsselloch blickt, aber auch dessen Genrebilder ebenso wie jene von Danhauser, dazu Gauermanns ländliche Bildnisse, Thomas Enders beeindruckenden Großglockner (mit der Pasterze). Und schließlich der Schwerpunkt bei Waldmüller, Stilleben, Landschaften, Reisebilder (aus Italien, berauschend schön) – und auch der kleine Erzherzog Franz Joseph von 1832 (der später Kaiser werden sollte), gelangte in Liechtenstein’schen Besitz. Ist man im letzten Raum angekommen, treffen zwei phantastische Makarts mit Marc Aurel zusammen und man hat den beeindruckenden Rundgang beendet. Und sollte sich einen eigenen Termin vormerken, um die Ergänzungsausstellung „Rudolf von Alt und seine Zeit“ zu besichtigen.

Albertina: Von Rubens bis Makart
Die Fürstlichen Sammlungen Liechtenstein
Bis 10. Juni 2019, täglich von 10 bis 18 Uhr, Mittwoch und Freitag bis 21 Uhr

WIEN/ Staatsoper: TOSCA (Kurzbericht)

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Sondra Radvanovsky, Marco Armiliato und Piotr Beczala. Foto: Instagram

WIEN: Kurzbericht TOSCA am 17. Februar 2019

Die Dernière der vier „Tosca“-Aufführungen, in denen der gefeierte polnische Tenor Piotr Beczala sein Rollendebut als Cavaradossi gab, ist mit einem weiteren Triumph für den sympathischen Sänger, aber auch für die erstklassige US-Amerikanerin Sondra Radvanovsky in der Titelrolle, und großem Beifall für KS Thomas Hampson als Scarpia zu Ende gegangen. Der agile und gewohnt hochemotionale Marco Armiliato stand wieder am Pult des engagiert aufspielenden Orchesters der Wiener Staatsoper. Man wird noch lange von dieser „Tosca“-Serie reden, wohl länger als von jener mit Jonas Kaufmann im letzten Jahr. Denn was Beczala an betörend schönen tenoralen Klängen mit einem vor Jahren am Ring bei ihm noch gar nicht zu ahnenden Maß an Italianità und authentischer Emotionalität an diesem Abend zeigte, war einfach Weltklasse. Natürlich musste er, zumal er es schon bei der zweiten und dritten Aufführung gemacht hatte, dem nicht ruhen wollenden Publikum „E lucevan le stelle…“ ein zweites Mal singen.

Seine Partnerin Radvanovsky begegnete Beczala auf Augenhöhe mit einem charaktervollen, dunkel timbrierten Sopran und signifikant dramatischem Aplomb. Immer wieder legte sie auch theatralisch wirksame Effekte ein. Noch nie habe ich eine Tosca so viel weinen und schluchzen gehört. Ihr „Vissi d‘arte, vissi d‘amore“ war ein Höhepunkt des Abends. Zu jenen gehörte auch ihre Auseinandersetzung mit KS Thomas Hampson als elegantem, ja hochherrschaftlich wirkendem Scarpia, der in dieser Rolle ebenfalls einige neueAkzente setzen konnte. Hampson beeindruckte insbesondere durch sein souveränes Spiel, die Intelligenz und Larmoyanz seiner Mimik. Die Stimme ist immer noch groß, hat aber nicht mehr den kräftigten bassbaritonalen Kern, den man bei dieser Rolle als Ausdruck ungehemmten Begehrens gern hört – man denke nur an Tito Gobbi. Die weitere Besetzung und der wie immer gute Chor waren staatsoperngerecht.

Marco Armiliato war der richtige Begleiter für dieses hochklassige Protagonisten-Team und ließ wie immer einen sehr veristischen Puccini erklingen. Riesenbeifall mit fleißigem Blumenfangen durch die drei Sänger und den Dirigenten.

Klaus Billand

ST. GALLEN: DER UNSTERBLICHE KASCHTSCHEI (Rimski-Korsakow / DIE NACHTIGALL (Strawinsky)

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Nikolai Rimski-Korsakow: Der unsterbliche Kaschtschei | Igor Strawinsky: Die Nachtigall (Theater St.Gallen, 17.02.2019, 4. Vorstellung seit der Premiere am 02.02.2019)

“Sag meiner Tochter, sie schulde mir noch einen Kopf”

“Sag meiner Tochter, sie schulde mir noch einen Kopf” gibt in Rimski-Korsakows Oper “Der unsterbliche Kaschtschei dem Held Sturmwind mit auf den Weg.


Foto: Aus dem Trailer

Da die Figuren der russischen Märchen hierzulande weitgehend unbekannt sind, sieht Regisseur Dirk Schmeding die Notwendigkeit die Figuren für das Publikum lesbar zu machen, die Figuren in einem Kosmos zu verorten und so hat er entschieden “Der unsterbliche Kaschtschei” als Weltraummärchen zu erzählen. Bühnenbildnerin Martina Segna hat ihm dazu einen Asteroiden geschaffen, der fast die ganze Bühne einnimmt und die Videos von Johannes Kulz sorgen für die richtige Weltraumatmosphäre und die damit verbundenen Kältegefühle. Frank Lichtenberg hat ihm dazu nahezu ideale Kostüme geschaffen, so dass, beleuchtet von Reinhard Traub, das Konzept “Weltraummärchen” voll aufgeht. Die absolute Verfremdung erleichtert dem nicht mit der Gabe kindlicher Phantasie gesegneten Zuschauer das Verständnis und ermöglicht es dem Regisseur das irgendwie doch an Turandot gemahnende Märchen gradlinig und klar zu erzählen. Riccardo Botta brillierte mit kräftigem, sicheren Tenor als Zauberer Kaschtschei. Von Regisseur Dirk Schmeding wird er körperlich verstümmelt gezeigt, was sicher auch seine unterschwellige Bosheit und Kälte gegenüber seiner Gefangen motivieren mag. Ieva Prudnikovaite, einziger Gast auf dem Besetzungszettel, sang mit wunderbar dramatischem Mezzosopran des Zauberers Tochter Kaschtschejewna. Tatjana Schneider gab Prinzessin Tausendschön mit grosser Bühnenpräsenz und hat ihren Prinz Iwan (Shea Owens) dann. auch bekommen. Martin Summer als Held Sturmwind hatte jeweils den spektakulärsten Auftritt: der Bote wurde jeweils in Raumfahrer-Montur (so wie für den Ausseneinsatz) aus dem Bühnenhimmel herabgelassen und wieder hinaufgezogen.


Foto: Aus dem Trailer

Am Schluss sind doch alle gleich

Für das Märchen von der Nachtigall legt Regisseur Dirk Schmeding nun trotz der Allgemeingültigkeit von Märchen eine Zeitebene fest: die Gegenwart, irgendwo in Asien. Wenn der Fischer nun Rohstoffsammler (Müllsammler) und der Kaiser plötzlich CEO eines Gesundheitskonzerns ist, nimmt Schmeding dem Märchen genau das phantastische Element, das seinen Reiz ausmacht. Im Weltraum funktioniert das, auch dank der skurrilen Kostüme, noch tadellos. Hier kommt aber unweigerlich der Gedanke: „Schon wieder Kapitalismuskritik?“. Das letzte Bild mag man dann mit der Weisheit „Vor dem Tod sind alle gleich“ in Verbindung bringen. Dass der Tod hier die Gestalt der Kaschtschejewna hat, mag die beiden Werke verbinden. Mehr aber auch nicht. Sheida Damghani ist, sobald sie sich warm gesungen hat, eine hervorragende Nachtigall mit glockenreinem Sopran. Im schwarzen Kleid steht sie ganz links im Rang, hoch über dem Orchestergraben: weshalb ein Kind (Thea Pestalozzi) ihre szenische Aktion übernimmt, wird nicht klar. David Maze gibt einen sonoren Kaiser von China, Tatjana Schneider die Köchin. Nik Kevin Koch bleibt mit seiner Kletterei im Abfallberg nur schon auf Grund des Inszenierungskonzepts blass. Shea Owens (Des Kaisers Kammerherr), Martin Summer (Der Bonze), Iskander Turiare (Japanischer Gesandter) und Robert Virabyan (Japanischer Gesandter) ergänzen das Ensemble der Nachtigall. Als Tod tritt Ieva Prudnikovaite auch in der Nachtigall auf.

Der Litauer Modestas Pitrenas, seit dieser Saison Chef-Dirigent des Sinfonieorchesters St.Gallen, feiert nach „Don Carlo“ mit seinem Orchester einen weiteren Erfolg. Mit viel Energie bringt das Orchester die Partituren zum Klingen und sein Dirigent lässt die Verbundenheit zum Orchester wie zu den Partituren spüren. Michael Vogel hat den Opernchor des Theaters St. Gallen bestens vorbereitet.

Weitere Aufführungen: Mittwoch, 6. März 2019 19:30-21:45; Sonntag 10. März 2019, 14:30-16:45; Freitag, 15. März 2019, 19:30-21:45; Dienstag, 2. April 2019, 19:30-21:45.

Jan Krobot

LUDWIGSBURG/ Forum Schlosspark: DER GOTT DES GEMETZELS von Yasmina Reza. Gastspiel Schauspiel Leipzig

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Foto: Rolf Arnold

„Der Gott des Gemetzels“ mit dem Schauspiel Leipzig am 17. Februar 2019 im Forum am Schlosspark/LUDWIGSBURG 

TOHUWABOHU WEGEN UNGEZOGENEN KINDERN

„Die Ehe ist die schlimmste Prüfung, die Gott uns auferlegt hat“, lautet das Credo bei diesem Schauspiel von Yasmina Reza, einer mittlerweile berühmten Autorin mit iranischen Wurzeln. Zwei Jungs haben sich geprügelt, der eine hat dem anderen die Zähne ausgeschlagen. Deswegen wollen die Eltern die Sache klären. Doch bei Espresso und Selbstgebackenem beginnt die Fassade des Liberalismus erheblich zu bröckeln.

Enrico Lübbe hat in seiner Inszenierung mit dem recht gemütlich-beschaulichen Bühnenbild von Etienne Pluss und den eleganten Kostümen von Bianca Deigner die komisch-witzigen Effekte dieses Stücks minuziös herausgearbeitet. Ferdinand Reille hat seinem Klassenkameraden Bruno Houille zwei Schneidezähne ausgeschlagen. Die Eltern Reille (sie Vermögensberaterin, er Anwalt) sind nun bei den Eltern Houille eingeladen (er ist Haushaltswarengroßhändler, sie Autorin mit Schwerpunkt Menschenrechte und Afrika). Die schwierige Angelegenheit soll zivilisiert besprochen werden. Doch dieses Vorhaben geht dann doch gründlich schief, weil verschiedene Milieus und Weltsichten dabei gnadenlos aufeinandertreffen („Diese Frau ist falsch…“). Peinlichkeiten und messerscharfe Wortgefechte wechseln sich virtuos ab: „Mein Sohn hat Ihren Jungen nicht entstellt!“ Die Probleme der beiden Ehepaare miteinander geraten hier immer mehr ins Zentrum des Geschehens, das sich recht atemlos entwickelt. Der Streit um die Erziehung der Kinder wird zur gnadenlosen Auseinandersetzung mit den eigenen Lebensentwürfen: „Unser Sohn ist ein Wilder!“ Die von Anne Cathrin Buhtz mit virtuoser Dramatik gemimte Annette Reille muss sich schließlich ständig übergeben, was Veronique Houille (glänzend gespielt von Bettina Schmidt) immer hysterischer und exaltierter werden lässt: „Das ist ja der reinste Alptraum!“ Michel stellt fest, dass ihr „das Kotzen“ gut bekommen sei. Gleichzeitig betont Veronique energisch, dass nicht alle Choleriker seien. Die beiden Männer Michel Houille (farbenreich: Michael Pempelforth)  und Alain Reille (ungeduldig: Dirk Lange) sind ihren Frauen hier rettungslos ausgeliefert. Annette Reille steckt das Handy ihres verzweifelten Ehemannes schließlich in die Blumenvase, worauf das Gerät natürlich kaputt geht. „Sie öden mich an!“ sind jetzt noch die harmlosesten Vorwürfe. Michel wird von seiner Frau Veronique verprügelt – und Annette reisst schließlich alle Blumen aus den Vasen und schmeisst sie wie wild in der Wohnung herum. Das heillose Tohuwabohu um die ungezogenen Kinder will gar nicht mehr enden. Die zunächst ernste, herzliche und tolerante Stimmung kippt zusehends um, was das Publikum amüsiert zur Kenntnis nimmt. Als das Ehepaar Reille die intakte Ehe der Houilles anzweifelt, verliert Veronique die Nerven: „Woher nehmen Sie sich das Recht?!“ Jetzt fallen wüste Beschimpfungen wie „Raus!“ und „Schlampe!“ Und dabei steigert sich auch das Tempo der Inszenierung ganz erheblich.

Foto: Rolf Arnold

Trotzdem gelingt es Lübbe, den Boulevard-Charakter nicht übermäßig zu betonen. Veronique schleudert Annettes Tasche einfach gegen die Wand, worauf diese über ihre kaputten „Puderdöschen“ jammert: „Ich verzichte auf Ihre Anerkennung!“ Und das Ehepaar Reille kontert: „Es ist uns völlig schnuppe, was Sie an Frauen mögen!“ Seit seiner Uraufführung 2006 ermöglicht dieses Stück ausverkaufte Schauspielhäuser und wurde in Starbesetzung von Roman Polanski verfilmt. Die tragikomische Farce sorgte mit den entfesselten Schauspielern in Ludwigsburg jedenfalls für Furore. 

Alexander Walther

A short talk with Dumitru (Dima) Taran: Soloist Vienna State Ballet

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A short talk with Dumitru (Dima) Taran: Soloist Vienna State Ballet

I was in quite a hurry to arrive punctually at “The Guesthouse“, also a background for many good interviews, at exactly 2:20 pm. I managed to arrive two minutes earlier and sat down, sort of out of breath. At precisely 2:20 Dumitru (Dima) Taran walked through the door reminding me of of Charles Dickens and „Mr. Pickwick’s reputation for punctuality“. He was just coming from rehearsals and looked as cool and fresh as if he had been lounging somewhere…

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Ricardo Leitner, Dumitru Taran. Foto: Leitner

ZUM INTERVIEW

Ricardo Leitner

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