Christoph Fischesser (Ochs), Sabine Devieilhe. Foto: Toni Suter
Zürich: DER ROSENKAVALIER – Wiederaufnahme (3. Aufführung am 27.2.2019)
Nichts weiter als eine Farce?…
Nach einer längeren Pause wurde die ästhetische Produktion (Regie: Sven-Eric Bechtolf, Bühnenbild und Kostüme: Rolf und Marianne Glittenberg) mit einer neuen Besetzung sorgfältig einstudiert. Nachdem die beiden vorangegangenen Aufführungen (15. und 23.2.) durch die grippebedingten Ausfälle in Mitleidenschaft gezogen waren, lief die Vorstellung vom 27.2. zu grosser Form auf, da nun die betreffenden Protagonisten wieder bestens disponiert waren. Aglaja Nicolet ist in ihrer Wiederaufnahme-Arbeit dem Original erstaunlich gut auf der Spur geblieben, obwohl natürlich die neuen Mitwirkenden schon durch ihre Persönlichkeit im Vergleich zur Premieren-Serie – mit Nina Stemme als depressiver Marschallin – andere Akzente setzten. Krassimira Stoyanova ist nun als Marschallin eine Frau, die mit beiden Beinen auf dem Boden der Realität steht. Sie lässt sich so leicht nichts vormachen oder gar einreden. Ohne Sentimentalität sieht sie die Sache so, wie sie ist, und hat die Grösse, Octavian schweren Herzens, aber ohne Bitterkeit freizugeben. Ihr „Ich weiss auch nix“ rührte wirklich die Herzen. Zudem singt die Stoyanova berückend schön: Alle „heiklen“ Stellen gelingen ihr wie im Traum und das wundervolle samtene Timbre gibt ihrer Interpretation der Marschallin eine grosse menschliche Wärme und sympathische Unmittelbarkeit. Da gibt’s – im wahrsten Sinn des Wortes – keine Flausen und „spanische Tuerei“.
Anna Stéphany ist ein toller Octavian. Von schlanker Gestalt bewegt sie sich als junger Mann ebenso natürlich wie gekonnt komisch als Mariandel. Ihre Stimme entwickelt sich immer weiter und hat vor allem in der oberen Lage einen herrlichen Strahl ohne Vibrato. Sie vermag sich auch ohne weiteres gegen die Strauss’schen Orchesterfluten (Beispiel: Kampfansage an Ochs im 2. Akt) durchzusetzen. Sabine Devieilhe ist – in ihrem Rollen-Debüt als Sophie – eine Traumbesetzung für diese Partie. Hier haben wir nun wieder eine Sophie mit diesen Glockentönen à la Reri Grist oder Lucia Popp. Ihr Deutsch ist tadellos und sie spielt die schüchterne und doch selbstbewusste Klosterabgängerin mit Eleganz und Charme. Zudem ist sie wunderhübsch anzusehen. Sehr schön „verblendeten“ sich die drei Frauenstimmen im Terzett und dann die der beiden „jungen Leut`“ im Schlussduett. Berührend das Schlussbild, als die Marschallin von aussen – man sieht nur ihre Silhouette – durch das Fenster in den Wintergarten blickt. Der kleine Mohammed, der hier das Taschentuch nicht findet, eilt ans Fenster und die Hände der beiden finden sich, getrennt durch die Scheibe…
Christof Fischesser ist ein fabelhafter Ochs auf Lerchenau; er sang und spielte hervorragend. Nicht ein „alter Trottel“, sondern ein attraktiver Landadeliger, der sich in der mondänen Wienerstadt nicht mehr zurechtfindet: eigentlich eine tragische Figur. Und obwohl Ochs seine unangenehmen Seiten hat, verfügt er bei Christof Fischesser auch über Charme und Ausstrahlung. Fischesser, obwohl kein „Steh-Bass“, verfügt über alle tiefen und hohen Töne der anspruchsvollen Partie. Fabelhaft sein über neun Takte mit voller Stimme gesungenes „Heu“ im ersten Akt ebenso wie das tiefe „keine Nacht mir zu lang“. Die sonst eingestrichene Erzählung im ersten Akt sang Christof Fischesser ungekürzt! Er verfügt auch über ein Parlando mit einem natürlich eingefärbten Wienerisch: Man versteht jedes Wort! Als köstlich aufgeregter Faninal beherrscht Martin Gantner die Gratwanderung, auch dem eingebildeten Neureichen noch diesen oder jenen sympathischen Zug in seinem Auftreten zukommen zu lassen. Köstlich agierten als Intrigantenpaar: Irène Friedli als Annina spielte köstlich die Beleidigte, als Ochs sie fragte, ob sie „Geschriebnes lesen könne“ und Spencer Lang intrigierte elegant. Beide waren stimmlich exzellent. Zum Staunen brachte uns Derrick Stark als Italienischer Sänger mit einer elegant geführten Tenorstimme und der uns mit einer strahlenden Höhe bis ins hohe Ces begeisterte.
Das durchwegs hohe Niveau hielt sich bis in die kleinsten Partien, so die Leitmetzerin von Miranda Keys (mit hohem „der Rosenkavalier“-Ton), Caroline Fuss (Modistin), Alexander Kiechle als Polizeikommissar, Leonardo Sanchez und Thobela Btshanyana als Haushofmeister in den Herrschaftshäusern der Marschallin und Faninals. Weiters der Notar von Stanislav Vorobyov, der Wirt von Iain Milne, der Tierhändler von Thomas Luckett. Gut auch die drei Adeligen Waisen (Soyoung Lee, Olivera Dukic und Julie Bartholomew). Auch alle weiteren Statisten und die Lakaien der Marschallin sowie der Chor des Opernhauses Zürich (Einstudierung: Ernst Raffelsberger) waren alle hervorragend vorbereitet und entsprechend eingesetzt. Heike Behrens versah als Maestra suggeritore ihre unerlässlichen Dienste, die ihr von den Solisten vor dem Vorhang gebührend verdankt wurden.
Die Philharmonia spielte unter ihrem Chef Fabio Luisi zugriffig und stellenweise etwas laut und streckenweise vielleicht etwas grob. Aber immer wieder konnte Luisi Ruhepausen einlegen, sodass sich im ersten Akt die Lyrismen voll entfalten konnten. Sehr gut war sein stetes Vorwärtsdrängen, sodass sich auch keine „Durststrecken“ im 2. und 3. Akt ergaben. Luisi bevorzugt ein klares, transparentes Klangbild, alles ist hörbar. Zuweilen geht er recht forsch vor, was aber dem Werk – wenn man es so sehen will – nicht schadet. Sein Dirigat tendiert wohl mehr zu Verdis „Falstaff“ – vor allem in Akt 2 und 3 – und entbehrt erfreulicherweise jeglicher Sentimentalitäten und Gefühlsduseleien. Das Werk präsentiert sich hier mal unverblümt und auch streckenweise etwas umtriebig. Langweilig war‘s auf keinen Fall.
Ein wunderbarer Opernabend, von denen sich die „unverbesserlichen Geniesser“ doch mehr wünschten…
John H. Mueller