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ZÜRICH/ Opernhaus: DER ROSENKAVALIER – 3. Aufführung der Wiederaufnahme

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Christoph Fischesser (Ochs), Sabine Devieilhe. Foto: Toni Suter

Zürich: DER ROSENKAVALIER – Wiederaufnahme (3. Aufführung am 27.2.2019)

Nichts weiter als eine Farce?…

Nach einer längeren Pause wurde die ästhetische Produktion (Regie: Sven-Eric Bechtolf, Bühnenbild und Kostüme: Rolf und Marianne Glittenberg) mit einer neuen Besetzung sorgfältig einstudiert. Nachdem die beiden vorangegangenen Aufführungen (15. und 23.2.) durch die grippebedingten Ausfälle in Mitleidenschaft gezogen waren, lief die Vorstellung vom 27.2. zu grosser Form auf, da nun die betreffenden Protagonisten wieder bestens disponiert waren. Aglaja Nicolet ist in ihrer Wiederaufnahme-Arbeit dem Original erstaunlich gut auf der Spur geblieben, obwohl natürlich die neuen Mitwirkenden schon durch ihre Persönlichkeit im Vergleich zur Premieren-Serie – mit Nina Stemme als depressiver Marschallin – andere Akzente setzten. Krassimira Stoyanova ist nun als Marschallin eine Frau, die mit beiden Beinen auf dem Boden der Realität steht. Sie lässt sich so leicht nichts vormachen oder gar einreden. Ohne Sentimentalität sieht sie die Sache so, wie sie ist, und hat die Grösse, Octavian schweren Herzens, aber ohne Bitterkeit freizugeben. Ihr „Ich weiss auch nix“ rührte wirklich die Herzen. Zudem singt die Stoyanova berückend schön: Alle „heiklen“ Stellen gelingen ihr wie im Traum und das wundervolle samtene Timbre gibt ihrer Interpretation der Marschallin eine grosse menschliche Wärme und sympathische Unmittelbarkeit. Da gibt’s – im wahrsten Sinn des Wortes – keine Flausen und „spanische Tuerei“.

Anna Stéphany ist ein toller Octavian. Von schlanker Gestalt bewegt sie sich als junger Mann ebenso natürlich wie gekonnt komisch als Mariandel. Ihre Stimme entwickelt sich immer weiter und hat vor allem in der oberen Lage einen herrlichen Strahl ohne Vibrato. Sie vermag sich auch ohne weiteres gegen die Strauss’schen Orchesterfluten (Beispiel: Kampfansage an Ochs im 2. Akt) durchzusetzen. Sabine Devieilhe ist – in ihrem Rollen-Debüt als Sophie – eine Traumbesetzung für diese Partie. Hier haben wir nun wieder eine Sophie mit diesen Glockentönen à la Reri Grist oder Lucia Popp. Ihr Deutsch ist tadellos und sie spielt die schüchterne und doch selbstbewusste Klosterabgängerin mit Eleganz und Charme. Zudem ist sie wunderhübsch anzusehen. Sehr schön „verblendeten“ sich die drei Frauenstimmen im Terzett und dann die der beiden „jungen Leut`“ im Schlussduett. Berührend das Schlussbild, als die Marschallin von aussen – man sieht nur ihre Silhouette – durch das Fenster in den Wintergarten blickt. Der kleine Mohammed, der hier das Taschentuch nicht findet, eilt ans Fenster und die Hände der beiden finden sich, getrennt durch die Scheibe…  

Christof Fischesser ist ein fabelhafter Ochs auf Lerchenau; er sang und spielte hervorragend. Nicht ein „alter Trottel“, sondern ein attraktiver Landadeliger, der sich in der mondänen Wienerstadt nicht mehr zurechtfindet: eigentlich eine tragische Figur. Und obwohl Ochs seine unangenehmen Seiten hat, verfügt er bei Christof Fischesser auch über Charme und Ausstrahlung. Fischesser, obwohl kein „Steh-Bass“, verfügt über alle tiefen und hohen Töne der anspruchsvollen Partie. Fabelhaft sein über neun Takte mit voller Stimme gesungenes „Heu“ im ersten Akt ebenso wie das tiefe „keine Nacht mir zu lang“. Die sonst eingestrichene Erzählung im ersten Akt sang Christof Fischesser ungekürzt! Er verfügt auch über ein Parlando mit einem natürlich eingefärbten Wienerisch: Man versteht jedes Wort! Als köstlich aufgeregter Faninal beherrscht Martin Gantner die Gratwanderung, auch dem eingebildeten Neureichen noch diesen oder jenen sympathischen Zug in seinem Auftreten zukommen zu lassen. Köstlich agierten als Intrigantenpaar: Irène Friedli als Annina spielte köstlich die Beleidigte, als Ochs sie fragte, ob sie „Geschriebnes lesen könne“ und Spencer Lang intrigierte elegant. Beide waren stimmlich exzellent. Zum Staunen brachte uns Derrick Stark als Italienischer Sänger mit einer elegant geführten Tenorstimme und der uns mit einer strahlenden Höhe bis ins hohe Ces begeisterte.

Das durchwegs hohe Niveau hielt sich bis in die kleinsten Partien, so die Leitmetzerin von Miranda Keys (mit hohem „der Rosenkavalier“-Ton), Caroline Fuss (Modistin), Alexander Kiechle als Polizeikommissar, Leonardo Sanchez und Thobela Btshanyana als Haushofmeister in den Herrschaftshäusern der Marschallin und Faninals. Weiters der Notar von Stanislav Vorobyov, der Wirt von Iain Milne, der Tierhändler von Thomas Luckett. Gut auch die drei Adeligen Waisen (Soyoung Lee, Olivera Dukic und Julie Bartholomew). Auch alle weiteren Statisten und die Lakaien der Marschallin sowie der Chor des Opernhauses Zürich (Einstudierung: Ernst Raffelsberger) waren alle hervorragend vorbereitet und entsprechend eingesetzt. Heike Behrens versah als Maestra suggeritore ihre unerlässlichen Dienste, die ihr von den Solisten vor dem Vorhang gebührend verdankt wurden.

Die Philharmonia spielte unter ihrem Chef Fabio Luisi zugriffig und stellenweise etwas laut und streckenweise vielleicht etwas grob. Aber immer wieder konnte Luisi Ruhepausen einlegen, sodass sich im ersten Akt die Lyrismen voll entfalten konnten. Sehr gut war sein stetes Vorwärtsdrängen, sodass sich auch keine „Durststrecken“ im 2. und 3. Akt ergaben. Luisi bevorzugt ein klares, transparentes Klangbild, alles ist hörbar. Zuweilen geht er recht forsch vor, was aber dem Werk – wenn man es so sehen will – nicht schadet. Sein Dirigat tendiert wohl mehr zu Verdis „Falstaff“ – vor allem in Akt 2 und 3 – und entbehrt erfreulicherweise jeglicher Sentimentalitäten und Gefühlsduseleien. Das Werk präsentiert sich hier mal unverblümt und auch streckenweise etwas umtriebig. Langweilig war‘s auf keinen Fall.   

Ein wunderbarer Opernabend, von denen sich die „unverbesserlichen Geniesser“ doch mehr wünschten…

John H. Mueller  

 


WIEN / Volkstheater: ROJAVA

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Fotos: www.lupispuma.com / Volkstheater

WIEN / Volkstheater:
ROJAVA von Ibrahim Amir
Uraufführung
Premiere: 28. Februar 2019

Wie selbsterklärend muss Theater sein? Schon an der Antwort auf diese Frage werden sich die Gemüter erregt spalten. Kann es sein, dass man das Programmheft lesen muss – was mehr Zeit und besseres Licht erfordert, als vor der Vorstellung zur Verfügung stehen -, um einigermaßen kompetent in die Problematik des Stücks einzusteigen? Tatsächlich kennt man den Begriff „Rojava“ eigentlich vor allem aus der Kriegsberichterstattung, als Bereich, wo die IS wütet. Dass die Kurden dort versucht haben, in einem Niemandsland, das sich durch den Krieg auftat, einen demokratischen, multikulturellen und vor allem (!) von Syrien und der Türkei unabhängigen Idealstaat aufzubauen, ist sicher nicht Allgemeinwissen. Allerdings – „Rojava“ an sich wird ja in dem gleichnamigen Theaterstück von Ibrahim Amir, das das Volkstheater in Auftrag gegeben und nun uraufgeführt hat, nicht wirklich diskutiert. Das wäre wohl auch zu komplex – und nicht aufzulösen.

Amir, der aus Aleppo gebürtige Kurde, lebt seit 20 Jahren in Österreich und bezeichnet sein Werk als „österreichisches Stück“ (was man nicht unbedingt darin erkennen kann). Es entspringt vermutlich dem schlechten Gewissen eines Mannes, der als Kurde das moralische Bedürfnis fühlt, beim Kampf seines Volkes – zumal wenn es um Unabhängigkeit und die utopische Idee eines vorbildlichen Staatsgebildes geht – mitzuwirken. Wäre natürlich nicht wirklich gemütlich, und schließlich hat man in Wien ein Kind… Argumente, es nicht zu tun, gibt es viele. Bequemer ist es, ein Stück darüber zu schreiben, oder sagen wir es so: es sich von der Seele zu schreiben. Dann hat man wenigstens etwas getan.

Nun hat man, ehrlich gesagt, von Ibrahim Amir („Homohalal“ im Werk X und „Heimwärts“ im Volx) noch kein wirklich überzeugendes Theaterstück gesehen. Sein Ruhm ist bisher größer als die tatsächlich vorgezeigte Leistung, und daran ändert auch „Rojava“ mit seiner simplifizierenden Struktur nichts. Abgesehen davon, dass man schon ein ultimativer Großmeister sein müsste, um ein solches Thema überzeugend auf die Bühne zu bringen…

Was Amir kennt und weiß, sind Menschen und ihr Bezug zu dem kurdischen Problem. In der Figur des Michael, von dem man allerdings nicht mehr erfährt, als dass er eine kurdische Freundin hat, zeichnet er den europäischen Idealisten, der zum Kopfschütteln oder zur Verzweiflung seiner Umwelt aus dem gesicherten Leben aufbricht, um in Rojava mitzukämpfen – für eine bessere Welt. Und wenn es sein Leben kostet. Amir zeigt, dass Leute wie Michael keinesfalls mit offenen Armen empfangen werden, sondern eigentlich auf Unverständnis stoßen – dass sie sich einer fremden Sache bis zur letzten Konsequenz annehmen, können die Menschen, die tief im Krieg stecken, nicht begreifen… Peter Fasching spielt den Idealisten, der offenbar mehr irgendwelchen romantischen Intentionen als seinem Verstand folgt, durchaus glaubhaft.

Wenn er in Rojava ankommt, trifft er auf Alan (nicht eben ein Name, den man als kurdisch empfinden würde?), der versucht, den Krieg leicht zu nehmen. Zusammen mit seinem blinden Cousin Kaua (Sebastian Pass, stimmlich durchdringend) spielt er ein tragisches Spiel – einfach an dem Klang erkennen, welche Waffen da in der Ferne schießen und töten, amerikanische Raketen, russische Maschinengewehre, deutsche Panzer… Aber tatsächlich will Alan nichts als weg von hier, weg von dem Krieg, der nicht der seine ist, er will, was Michael wegwirft, ein normales Leben. Er bekommt es auch, indem er diesem seinen  Paß abbittet, obwohl Michael mit den bittersten Worten warnt, wie furchtbar schlecht er als Flüchtling in Österreich behandelt werden wird…

Alan taucht in Wien auf, bei Peters Mutter (Claudia Sabitzer, die als zweite Rolle noch eine militante Kurdin spielt, lesbisch, damit auch das drinnen ist…), die ihm ein Argument entgegenschleudert, das vermutlich viele junge Männer aus dem Nahen Osten hören: Was macht ihr hier? Warum lasst ihr eure Heimat im Stich? Warum kämpft ihr nicht um eure Freiheit? Sie können dann wohl auch nur, wie Alan, antworten, dass sie „leben“ wollen und nicht im Kugelhagel krepieren… Luka Vlatković macht das glaubhaft.

So viel zu den Männerpositionen. Dazu gibt es eine Frauenrolle, die den emanzipatorischen Aspekt von Rojava unterstreichen soll. Denn hier kämpfen Frauen mit, auch in Führungspositionen, hier sind sie gleichberechtigt – was aber, auch bei den Kurden, sofort flach fällt, wenn sie die Uniformen ausziehen und wieder in die bekannten gesellschaftlichen Unterdrückungsmechanismen zurückfallen. Isabella Knöll hat es mit der Rolle der Hevin nicht ganz leicht, muss immer wieder martialisch losbrüllen, muss sich unter der Liebe zu Michael winden, ihn zurückstoßen… kurz, einfach schlechtes, künstliches Theater machen.

Denn Ibrahim Amir versucht nicht nur das Unmögliche, nämlich einigermaßen „realistisch“ Krieg auf die Bühne zu bringen, was einfach nicht geht (das kann, wenn überhaupt, nur das Kino – auf dem Theater funktioniert es höchstens gänzlich stilisiert), und er verquickt das noch mit der Liebesgeschichte (vielleicht hat er zu viel Hemingway gelesen). Dass zwei Liebende in einen Hinterhalt geraten und, Rücken an Rücken, die Waffe im Anschlag, ihre Liebesprobleme diskutieren – das kann einfach nur beklemmend lächerlich ausfallen.

Darüber hinaus hat der Abend ein völlig verhatschtes Ende – wenn Alan Michaels Mutter von Michaels heldenhaftem Tod im Kampf berichtet und diese seine Leiche fordert (was daraus wird, wer weiß es schon) – und Michael Sekunden später zu dem blinden Kaua klettert, der sich freut ihn zu „sehen“: Und da wird Michael erschossen, obwohl man doch eben erst gehört hat, er sei schon tot? Klagend wird nach ihm gerufen, und abrupt ist das Ganze zu Ende…

Regisseur Sandy Lopičić wird im Internet als „bosnisch-österreichischer Musiker, Theaterregisseur, Filmkomponist und Schauspieler“ geführt („bekannt für die zügellosen Auftritte mit seinem Balkan Orkestar“), und er scheint sich für diesen Abend (mehr oder minder ein Einheits-Drehbühnenbild für Kriegsschauplatz und Wien: Vibeke Andersen) vor allem um die Musik gekümmert zu haben. Sie überbordet dermaßen (mit den Musikern immer auf der Bühne), dass das Hautgout eines kurdischen Folklore-Abends nicht ganz weg zu bekommen ist, auch wenn man durchaus Schönes hört (vor allem von der Sängerin Golnar Shahyar, die irgendwann aber auch sinnlos das Ave Maria singen muss).

Was ist es nun gewesen? Hat uns der Autor das Problem Rojava nahe gebracht? Oder hat er nur mit Gewalt versucht, ein paar paradigmatische Schicksale – die gewissermaßen aus dem Typen-Lehrbuch kommen – mit etwas Handlung so zu verlebendigen, dass eine Geschichte, ein legitimer Theaterabend daraus wird? Nun, der Teil des Publikums, der nach der Pause noch da war (der Besucherschwund begann schon im ersten Teil), hat jedenfalls heftig applaudiert.

Renate Wagner

FRANKFURT/ Alte Oper: HR-SINFONIEORCHESTER (Schostakowitsch, Debussy, Hillborg, Tschaikowsky)

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FRANKFURT/ Alte Oper: HR-SINFONIEORCHESTER am 28.2.2019

Dmitrij Schostakowitsch Suite aus der Oper »Lady Macbeth von Mzensk«
Claude Debussy Rhapsodie Nr. 1 für Klarinette und Orchester
Anders Hillborg Klarinettenkonzert »Peacock Tales«
Piotr Iljitsch Tschaikowsky Sinfonie Nr. 4 f-Moll op. 36

HR Sinfonieorchester

Martin Fröst Klarinette
Carlos Miguel Prieto Leitung

Besuchtes Konzert in der Alten Oper Frankfurt 28. Februar 2019

Kontraste!

Welch Fülle an Kontrasten! So mag es vielleicht dem ein oder anderen Konzertbesucher ergangen sein, als er beim jüngsten Konzert des HR-Sinfonieorchesters zu Gast war. In einem ungewöhnlichen Konzertabend begann der Abend mit einer Orchestersuite aus der Originalfassung der Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ von Dmitrij Schostakowitsch, die der Dirigent James Conlon 1989 zusammenstellte. Die 1934 uraufgeführte Oper war zunächst ein gewaltiger Erfolg. Bis zum dem Tage als Stalin 1936 einer Aufführung im Moskauer Bolschoi Theater beiwohnte. Wenige Tage nach dieser Aufführung verfasste er den in die Musikgeschichte eingegangen Verriss „Chaos statt Musik“. Beinahe hätte diese drastische Reaktion des Despoten das Schicksal des Komponisten besiegelt. Er musste Abbitte leisten und u.a. unter dem Titel „Katerina Ismailowa“ eine entschärfte Version komponieren. Die Ur-Fassung blieb für viele Jahrzehnte verboten. Es war das entschiedene Engagement von Mstislav Rostropovitsch, der sich in den 1970ziger Jahre für die Wiederaufführung der Ur-Fassung einsetzte. Seither zählt Schostakowitschs Oper zu den Meilensteinen der Opern des 20. Jahrhunderts.

Im Mittelpunkt der Handlung steht die sexuell frustrierte Kaufmannsgattin Katerina Ismailowa, die an der Seite ihres impotenten Gatten Sinowi und dessen brutalen Vaters Boris ein entbehrungsreiches Leben fristet. Ihr Leben ändert sich drastisch, als sie sich auf eine Liaison mit dem Arbeiter Sergej einlässt. Der verhasste Schwiegervater wird vergiftet, der Ehemann erschlagen und die Liebenden wandern in ein sibirisches Arbeitslager. Dort gibt sich Sergej einer Lagerhure hin. Katerina wird sie und sich selbst ermorden.

Viel Raum also für musikalische Drastik, die in der Musik Schostakowitschs zu umwerfender Wirkung kommt. Die dynamischen Extreme sind deutlichst ausgereizt: vom melodiösen Pianissimo bis zum ohrenbetäubenden Fortissimo! Dazu eine ungemein deskriptive Musik, die z.B. jede körperliche Aktivität des vollzogenen Ehebruchs en detail musikalisch beschreibt.

Gleich zu Anfang des Konzertes wurde das HR-Sinfonieorchester mit allen Kräften bis zum Anschlag gefordert. Unter Leitung des mexikanischen Gast-Dirigenten Carlos Miguel Prieto reizte das sehr gut einstudierte Orchester alle Farben dieser vielschichtigen Partitur überzeugend aus. Virtuose Blech- und Schlagzeugattacken auf der einen Seite und bewegende, sehrende Streicherklänge auf der anderen Seite. Dazu sarkastisch agierende Holzbläser. Prieto reizte die dynamische Palette niemals endlos aus, sondern war erkennbar um Struktur und Druchhörbarkeit bemüht. Das heftig geforderte HR-Sinfonieorchester zeigte eine große Leistung.

Vom musikalischen Expressionismus kann es kaum einen größeren Kontrast geben, als zum feingliedrigen Impressionismus von Claude Debussy zu wechseln! Dessen Rhapsodie Nr. 1 für Klarinette und Orchester brachte mit dem Solisten Martin Fröst einen versierten Interpreten, der sensibel die Klangwelt Debussys beschwor. Sanft und weich, wie aus dem Nichts kamen die Klangeinwürfe des Solisten. Überzeugend aber genauso die überragende Virtuosität, die Frösts Vortrag ebenso kennzeichnete. Das ursprünglich für Klavier und Klarinette komponierte Werk wurde von Debussy in einer Bearbeitung für Orchester 1911 veröffentlicht. Fröst und das HR-Sinfonieorchester agierten in einem sensiblen Dialog miteinander und sorgten so für einen sehr besonderen Farbwechsel in der ersten Konzerthälfte.

Danach erklang dann das Klarinettenkonzert „Peacock Tales“ des schwedischen Komponisten Anders Hillborg. Uraufgeführt 1998 widmete er dieses Konzert dem Solisten des Abends, der es sich nicht nehmen ließ, daraus eine besondere Performance zu machen. Fröst, der auch ausgebildeter Ballettänzer ist, stellte sich ganzheitlich, d.h. tanzend, pantomimisch, z.T. maskiert und musizierend in den Dienst des Konzertes, agierte die zwischen Diatonik und A-Tonalität umher tänzelnde Musik komplett aus. Unfassbar groß die dynamischen Effekte, die er mit seiner Klarinette erzielte. Das hellwache HR-Sinfonieorchester war sehr aufmerksam und überraschte am Ende als sauber intonierendes Gesangskollektiv! Dazu wurde das Orchesterpodium immer wieder in wechselnde Farbstimmungen beleuchtet. Ein ungewöhnliches Experiment im Rahmen eines klassischen Konzertes, das beim Publikum besonderen Anklang fand! Bejubelt dann die Zugabe, die Martin Fröst mit dem Orchester gemeinsam gab. Eine Improvisation mit vielen Klezmer-Musikanteilen. Große Begeisterung!

Ganz anders der finale Schlusspunkt mit einer der beliebtesten Sinfonien der russischen Konzertliteratur: Tschaikowsky‘s Sinfonie Nr. 4 in f-moll. Diese Sinfonie widmete er 1877 seiner amikalen Gönnerin Nadeshda von Meck. Sie gilt als eine seiner autobiographischsten Sinfonien und wurde 1878 in Moskau unter dem Dirigat von Nikolai Rubinstein uraufgeführt.

Gleich zu Beginn des ersten Satzes markierten die makellos intonierenden Hörner mit dem unbarmherzigen Schicksalsmotiv ein musikalisches Ausrufezeichen. Dirigent Prieto zielte in seiner Interpretation vor allem auf die musikalische Struktur, betonte den Gesamtklang immer zugunsten der Streicher. Markante Akzente oder starke dynamische Effekte blieben ausgespart. Es war eine zuweilen etwas nüchterne Lesart, die seine Interpretation kennzeichnete. Pathos und Bombast wurden vermieden, so dass es hier einen eher schlank musizierten Tschaikowsky zu erleben gab, der im Tempo immer im Vorwärtsdrang zu hören war.

Überzeugend das Zusammenspiel der gesamten Streichergruppe, ein Genuss. Sensibel empfunden die Dialoge der Holzbläser, vor allem Klarinette und Fagott. Ausgezeichnet und ungemein ausdauernd in der makellosen Intonation die viel geforderten Blechbläser. Im vierten Satz hatten dann auch die präzisen Schlagzeuger ihren besonderen Augenblick.

Prieto, völlig uneitel in seiner Körpersprache, oft auch, wie ein menschliches Metronom taktierend, überzeugte mit seiner auf Klarheit abzielenden Darbietung das groß aufspielende Orchester. Ein gediegene Interpretation, völlig unspektakulär, auf hohem spielerischem Niveau realisiert. Das Publikum in der gut besuchten Alten Oper reagierte freundlich angetan, wenn auch der große Enthusiasmus ausblieb.

Film: AUFBRUCH

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Filmstart: 8. März 2019
AUFBRUCH
Österreich / 2018
Drehbuch, Regie und Hauptrolle: Ludwig Wüst
Mit: Claudia Martini

Man hat die Aussage des Regisseurs / Drehbuchautors / Hauptdarstellers Ludwig Wüst (in Wien lebender gebürtiger Bayer) zu seinem Film „Aufbruch“: Wenn sich hier ein Mann einer fremden Frau annimmt, schreibt er, so hätte man dafür vor 2000 Jahren schon das Wort „Nächstenliebe“ erfunden… Das klingt sehr schön und nach einer edlen, einfachen Geschichte. Erzählt man sie nur nach, könnte es eine solche sein.

Eine alte Frau mit Koffer setzt sich am Straßenrand auf eine Bank. Hat einen Wutausbruch, spricht ihn auf den Anrufbeantworter eines Handys. Offenbar hat sie in einem Kuvert Geld bekommen, sie will es nicht – später ahnen wir, wofür. Ein knallgelbes, dreirädriges Auto (ein Blick, der eine Komödiensituation verspricht) nähert sich, fährt vorbei, hält dann doch. Ein alter Mann nähert sich der alten Frau, sie will mitgenommen werden.

Die Roadmovie-Situation hält kurz an, sie fahren zu einem leeren Haus, später erfahren wir nebenbei (viele Informationen kommen wie nebenbei, die meisten kommen gar nicht), dass es gegen ihren Willen verkauft wurde und abgerissen wird. Sie fahren weiter, bis das Auto zusammen bricht. Die beiden reden kaum miteinander, nur einmal bricht der Mann in einen Monolog über seine tragischen persönlichen Verhältnisse aus. Dann landen sie auf einem Fluß (?) mit einem Boot, die Frau stirbt, der Mann bleibt zurück, findet wie durch Zufall in der Handtasche der Frau das Geld… das war’s.

Als Geschichte schon seltsam genug, in der Machart noch seltsamer. Denn Ludwig Wüst macht die an sich einfache Handlung durch jede Menge pathetischer Aktionen, die nach absichtsvoller „Literatur“ klingen, schlechtweg unnatürlich. In dem einsamen Haus liegt ein unvollendetes Kreuz, der Mann entpuppt sich als Tischler, stellt es fertig, es wird mitgenommen. Die Frau beginnt, in dem leeren Haus eine Wand zu weißen (!?), der Mann kriecht in einen Mistkübel, holt ein Foto heraus, das er kreuz und quer zusammenklebt. Später zertritt er den Koffer der Frau (!), sie schreibt in ein Tagebuch, ein Zug fährt vorbei, er wirft ihre eingewickelte Leiche ins Wasser…

Was soll es bedeuten? Man hat wenig Text bekommen (und keine psychologische Glaubwürdigkeit in dieser seltsam-wortlosen Gemeinschaft), aber viele Geräusche, nicht nur normal aus der Umwelt kommen (wie Verkehr) – aus dem knirschenden Abbeißen und Kauen von Äpfeln wird eine eigene Szene gemacht… sehr her, hört her, wie großartig ich das mache?

Vielleicht muss man für diesen Film eine wahre Cineasten-Ader haben, die Kritiken waren teils hymnisch. Wüst selbst und Partnerin Claudia Martini exekutieren, was „Verzweiflung, Schmerz, Trauer und Einsamkeit“ zeigen soll (Pressetext), man fand Subtext, tiefe Symbole, Mystisches und Archaiisches, Meisterschaft des kinematografischen Minimalismus, geschundene Seelen, und es soll nicht verschwiegen werden, dass dies als „Perle von einem Film“ gerühmt wurde.

Wer nicht sensibel genug ist (oder auch nicht bereit), diese (angeberisch künstliche) Zwiebel zu schälen, bleibt als Zuschauer offenbar auf der Strecke…

Renate Wagner

Film: BEALE STREET

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Filmstart: 8. März 2019
BEALE STREET
If Beale Street Could Talk / USA / 2018
Regie: Barry Jenkins
Mit: KiKi Layne, Stephan James, Regina King u.a.

James Baldwin war die wichtigste literarische Stimme des schwarzen Amerika, nicht zuletzt, weil er die Probleme aus seiner Sicht sah und darstellte. Auch in seinem Erfolgsroman „If Beale Street Could Talk“ (wobei „Beale Street“ in höherem Sinn der Raum war, wo schwarze Amerikaner aufwuchsen). Wenn man „Green Book“ nun – eigentlich völlig zu Unrecht – vorwirft, die Geschichte sei aus „weißem Blickwinkel“ betrachtet, so könnte man zu Baldwin sagen, dass auch die Sicht der „bösen Weißen, verfolgten Schwarzen“ zumindest schlicht ist in der Einseitigkeit. Aber das ist eine Diskussion, auf die man sich heutzutage nicht einlassen will. Man erkennt eine schöne Geschichte, wenn man sie sieht. Und ganz unkritisch ist sie ja auch nicht.

Regisseur Barry Jenkins, selbst Afroamerikaner, weiß, wie man das macht, schließlich hat er für „Moonlight“ 2017 den „Oscar“ als besten Film gewonnen, ein Thema, das der Baldwin-Story zumindest in der Gesellschaft, in der es spielte, verwandt war. Nun muss er eine Liebesgeschichte erzählen, die nur so tragisch ausfällt, weil die Weißen böse sind: Ein Polizist (Ed Skrein), der an ‚Fonny‘ Hunt (Stephan James) und Tish Rivers (KiKi Layne), einem unschuldsvollen schwarzen Pärchen, sein Mütchen kühlen will, von einer alten weißen Frau, die für sie eintritt (immerhin) zurückgeschlagen wird, auf Rache sinnt und sie auch bekommt – auf die übelste Art und Weise. Als eine junge Latina (Emily Rios) klagt, vergewaltigt worden zu sein, führt man ihr Fonny als „Täter“ vor, legt ihr nahe, ihn zu erkennen, nimmt ihn fest. Und weil sie gleich darauf nach Kuba verschwindet, haben Fonnys Angehörige keine Chance, die Anklage zu entkräften…

Das ist die Voraussetzung für die Geschichte, die in vielen Zeitebenen (und diese durcheinander gewirbelt) erzählt wird, wobei die Stimme von Trish kommentierend aus dem Off erklingt. Es ist die Welt der siebziger Jahre (Baldwin schrieb den Roman 1974, als „Zeitdokument“), wo die weiße Vorherrschaft noch weitgehend ungebrochen und Willkür gegen rechtlose Schwarze an der Tagesordnung war. In Rückblenden gibt es die Liebesgeschichte zweier blutjunger Menschen, von Trish, die in einem „weißen“ Laden Parfum verkaufen (und die lüsternen Männerblicke ertragen) darf, und von Fonny der Bildhauer ist, Künstler, also etwas „Besseres“. Was niemanden daran hindert, ihn wie Dreck zu behandeln und wegzusperren. (Und wie schlimm es im Gefängnis zugeht, wird auch erzählt – allerdings nicht zum ersten Mal in Literatur und Film…)

Wie vergeblich und verzweifelt die schwangere Trish, die in ihrer Liebe nie schwankend wird, und ihre Familie versuchen, Fonnys Unschuld zu beweisen, nimmt einen großen Teil des Films ein. Regina King hat Trishs Mutter, die sogar nach Kuba zur vergewaltigten Frau fliegt, um sie zum Überdenken ihrer Aussage zu bringen, so überzeugend gespielt, dass sie den Nebenrollen-„Oscar“ bekam. Auch Trishs Vater Joseph (Colman Domingo) zählt zu den Menschen mit großem Herzen.

Allerdings ist Baldwin nicht farbenblind, nicht alle PoC (Person of Color) sind a priori „gut“ und anständig. Er zeichnet Familienfehden zwischen den Angehörigen des Liebespaares, wobei vor allem die frömmelnde Mutter von Fonny (Aunjanue Ellis) offenbar der schwangeren Trish an allem die Schuld geben will und keinerlei Sympathie für die junge Frau hegt, die ihren Sohn so liebt… während ihr Mann (Michael Beach) verständnisvoller agiert.

Wenn gegen Ende der aussichtslosen Geschichte Trish wieder einmal zu Fonny auf Besuch kommt, dann ist ihr gemeinsamer kleiner Sohn schon an die fünf Jahre alt und hat seinen Vater nie außerhalb des Gefängnisses erlebt. Da wir wissen, dass Fonny unschuldig ist und es vielen seiner Leidensgenossen chancenlos genau so gegangen ist, wirkt das als Anklage – obwohl der Regisseur den Film sehr zurückhaltend, gewissermaßen schlicht führt – ebenso wie die dichte Liebesgeschichte des schwer geprüften Paares, die man mit angesehen hat.

Vielleicht würde man es, spielte es in einem anderen Milieu, zu kitschig finden, aber hier sind doch in ihrer Ruhe starke Bilder für einen damals immerwährenden Rassismus gefunden worden. Dass dieses Thema, dass „Beale Street“ als ihr Erbe, allerdings nicht einmal die schwarze Bevölkerung der USA ausreichend interessiert hat, entnimmt man den moderaten Einspielergebnissen… Vielleicht ist es, bei aller inneren Spannung, auch ein zu stiller Film.

Renate Wagner

STUTTGART/ Staatsoper: MEDEA von Luigi Cherubini

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Harte Auseinandersetzung: Simone Schneider (Medea) und Matthias Klink (Jason). Foto: Martin Sigmund

Stuttgart: „MEDEA“ 27.2.2019 – Dramen in der Küche

In der letzten Spielzeit musste Simone Schneider auf ihr geplantes Titelrollendebut im Rahmen der Neuinszenierung von Luigi Cherubinis Oper aufgrund eines Bandscheibenvorfalls verzichten. Jetzt konnte sie es bei einer weiteren Aufführungsserie nachholen und erfreulicher- aber auch erwartungsweise andere Akzente als ihre eingesprungene Vorgängerin setzen. Die beständig ins jugendlich dramatische Fach hinein gewachsene Sopranistin mit Koloratur-Vergangenheit setzt auf eine überwiegend belcanteske musikalische Interpretation ohne Zuflucht zu veristisch überladenen Anleihen, wie sie durch die italienische Version ausgehend von Maria Callas nach dem Zweiten Weltkrieg Verbreitung gefunden hatte, aber auch nicht in der stilistisch schlanker gehaltenen französischen Original-Form. Ihr musikalischer Ansatz passt genau zu der von Bettina Bartz und Werner Hintze für diese Inszenierung erfolgten neuen deutschen Übersetzung, ergänzt durch eine neue Dialogeinrichtung von Regisseur Peter Konwitschny, ist ganz klar in der Artikulation und präzise in der Linienführung. Durch ihr leuchtendes Timbre schwingt ein Hauch gläserner Kälte, die den zwiespältigen Charakter der zwischen Liebe und unentwegtem Rachegedanken zerrissenen Medea genau trifft.


Belcanteske Eroberung:  Simone Schneider als Medea. Foto: Martin Sigmund

Auch als Schauspielerin ist sie weniger der eruptive Vulkan, mehr die besonnene, dabei aber doch die Spannung am Grat des sich Beherrschens spürbar machende Frau. Die Differenzierung zwischen den feiner gesponnenen Phrasen und den mitreißenden Ausbrüchen hält ihren Einsatz unter dauerhaftem Hochdruck.

Matthias Klink hat sich die Rolle des zwischen Medea und der korinthischen Königstochter Kreusa stehenden Jason wie alle seine bisherigen vielseitigen Charaktere mit konsequenter Identifikation erarbeitet. Bei seiner totalen Investition spielen geringfügig auftretende Probleme in der höchsten Lage wie an diesem Abend keine Rolle. Der kompromisslose Einsatz seines schwer definierbaren, Lyrik und Dramatik fließend, übergangslos einbeziehenden Charaktertenors überzeugt jenseits aller sonstigen musikalischen Einwände.

Der menschliche Aktivposten, das Herz der Inszenierung bildete wieder Helene Schneiderman als Dienerin Neris. Zumal in ihrer vom Solo-Fagott gestützten Arie mit reifem Druck und ihr Alter Lügen strafender klanglicher Mezzo-Frische bewegte sie zutiefst.

Shigeo Ishino stellte wieder den hier eitel und angeberisch gezeichneten König Kreon mit unerschütterlicher baritonaler Kraft, Josefin Feiler die von Unbehagen bezüglich Medea befallene, schließlich von deren vergiftetem Kleid getötete, musikalisch leider ihrer anspruchsvollen Arie beraubte Kreusa mit dramatisch profiliertem Sopran.

Aoife Gibney und Fiorella Hincapié waren wiederum die beiden schrill gezeichneten Brautjungfern, Lucas Reymann und Jakob Sökler vom Kinderchor bewährten sich tapfer als Medeas Söhne, auch in einer kurzen, ihnen ursprünglich gar nicht zugedachten Gesangsphrase. Der  Staatsopernchor Stuttgart (einstudiert von Manuel Pujol) brachte Gesang und Spiel als bunt aufgetakelte Hochzeitsgesellschaft ideal auf den Punkt.

Nach Oksana Lyniv bei „Pique Dame“ und Eun-Sun Kim bei „Madama Butterfly“ stand mit der erst knapp dreissigjährigen Marie Jacquot in kürzester Zeit erneut eine Dirigentin am Pult und hatte den Apparat des Staatsorchesters Stuttgart nicht nur bei den klar und vorwärtsdrängend formulierten Motiven sicher im Griff, auch die feinen Strukturen der Zwischentöne wusste sie mit den Musikern deutlich heraus zu arbeiten.

Konwitschnys Inszenierung hinterlässt zwar Fragezeichen in der Bühnenraum-Verortung von Johannes Leiacker in der königlichen Küche, die sich nach dem Hochziehen der Wände als Insel in einem Meer aus Müll entpuppt, für den auch die Geschenkverpackungen rücksichtslos entsorgende Gesellschaft verantwortlich ist, überzeugt indes in der handwerklichen Struktur und teilweise richtig fesselnden, zur Sache gehenden Personenregie.

Viele freie Plätze, dafür aber ein nachhaltig begeistertes Publikumsecho, wie es bei manch gefüllter Vorstellung nicht vorkommt.

Udo Klebes

ATHEN/ Greek National Oper/“Kunsttheater Karolos Koun“: LA CLEMENZA DI TITO

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Foto: Greek National Opera

Greek National Opera / Kunsttheater „Karolos Koun“, Athen: La clemenza di Tito

Besuchte Vorstellung am 28. Februar 2019

Das Opernstudio der Griechischen Nationaloper praesentierte im vergangenen Jahr Wolfgang Amadeus Mozarts Oper “ Idomeneo“. Nun steht das Spaetwerk „La clemenza di Tito“ auf dem Programm. Gezeigt wird die Produktion nicht auf der Kleinen Buehne des Hauses, sondern im traditionsreichen Kunsttheater „Karolos Koun“ in der Athener Plaka. Die Regisseurin Martha Tompoulidou und die Ausstatterin Alexia Theodoraki setzen auf sparsame Akzente. Eine Statue des Kaisers Titus und vier Saeulenstuempfe bilden Hintergrund und Kulisse fuer die Handlung der (leicht gekuerzten) Oper. Die Kostueme erinnern mehr oder weniger an die Entstehungszeit des Werks. Erzaehlt wird Mozarts Titus traditionell, was vielleicht auch den beschraenkten Buehnenproben zu schulden ist. Es gibt aber waehrend der Ouvertuere und vor Beginn des zweiten Akts szenische Einschuebe, welche zum einen die Probensituation und zum anderen ein musikalisch gestimmtes Nachdenken ueber das Werk auf die Buehne bringen.

Das siebenkoepfige Orchester wird am Cembalo angefuehrt und dirigiert von Michalis Papapetrou. Trotz nicht idealer akustischer Bedingungen vermoegen es die Musiker, ein ansprechendes Klangbild zu entwickeln. Nach nur einer Woche Proben mit den Saengerinnen und Saengern kann man keine detailreiche musikalische Gestaltung erwarten. Im Vordergrund steht fraglos fuer den Dirigenten, den saengerischen Nachwuchs sicher durch die Auffuehrung zu bringen. Es ist klar, dass das junge Personal den anspruchsvollen Partien in unterschiedlicher Weise und (vorerst) nur mit gewissen Abstrichen gewachsen ist. Bemerkenswert ist Liana Kokosi als Vitellia, die mit einem klangschoenen, gut gefuehrten Sopran aufwarten kann und die Faehigkeit zu dramatischer Gestaltung deutlich erkennen laesst. Kokosi bekommt zu Recht am meisten Applaus. Ioulia Spanou als Sesto verfuegt ueber einen flexiblen, helltoenenden Mezzosopran, der sich klanglich gut mit der dunkler timbrierten Stimme von Katerina Botoni verbindet. Spanou bietet neben Kokosi die intensivste Leistung der Auffuehrung. Stimmig fuegen sich dazu Maria Alexandrou als Servilia mit ihrem leichten Sopran und Marinos Tarnanas‚ Publio mit sonorem Bassklang. Chrysostomos Kalogridakis als Titus hat einige Muehen mit seiner Partie. Dem Titel der Oper folgend soll hier aber mit Milde geurteilt werden. Das junge Ensemble bietet eine wirklich ansprechende Leistung und man darf auf die weitere Arbeit des Opernstudios gespannt sein.

Das Publikum spendet am Schluss lebhaften Beifall und Bravorufe. Und im Foyer gibt es dann auch Blumen fuer die Saengerinnen und Saenger.

Ingo Starz

 

LUDWIGSBURG/ Forum Schlosspark/ Gastspiel Theater Chemnitz: DIE WAKÜRE – konzertant mit Vogt, Foster, Kessler, Bohinec, Argiris, Piontek

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Richard Wagners DIE WALKÜRE mit dem Theater Chemnitz – konzertant am 1. März 2019 im Forum am Schlosspark/LUDWIGSBURG

BOMBASTISCHES IN ROT

Wie stark das Seelenleben der handelnden Figuren im zweiten Teil von Richard Wagners Bühnenfestspiel „Der Ring des Nibelungen“ im Mittelpunkt steht, machte diese glanzvolle konzertante Aufführung der „Walküre“ mit dem Theater Chemnitz und der fulminanten Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz unter der einfühlsamen Leitung von Guillermo Garcia Calvo deutlich. Man braucht nicht immer eine Inszenierung, um dieses Werk ganz zu begreifen. Siegmund ist hier auf der Flucht und sucht Schutz bei Sieglinde und Hunding. Zugleich erkennt Sieglinde ihren Bruder – und die Geschwister verlieben sich ineinander. Hunding dagegen fordert als eifersüchtiger Ehemann Siegmund zum Zweikampf heraus. Um Siegmund zu helfen, stellt Wotan ihm Brünnhilde zur Seite. Seine Gattin Fricka mokiert sich dagegen über das inzestuöse Verhältnis der Geschwister. Sie erreicht, dass Wotan sich schließlich einverstanden erklärt, dass Siegmund fällt. Brünnhilde gelingt es nicht, Siegmund zu retten. Sie flieht mit der schwangeren Sieglinde vor dem Zorn Wotans. Schließlich wird Brünnhilde von Wotan auf einen feurigen Felsen verbannt. Aus dieser Gefangenschaft kann sie nur durch einen Mann und künftigen Gatten befreit werden.

Die Steigerungsmacht dieser Musik kam dank der glühenden Wiedergabe mit der Robert-Schumann-Philharmonie unter Guillermo Garcia Calvo in fesselnder Weise zum Vorschein. Gerade die minuziöse Herausarbeitung der einzelnen Motive gehörte hier zu den großen Vorzügen dieser Interpretation, die auf das Bombastische und Monumentale immer wieder großen Wert legte. Die harmonische Inspiration feierte so Triumphe, die sich vor allem auf die Sänger übertrugen. Sowohl Klaus Florian Vogt als heller und strahlkräftiger Siegmund als auch Astrid Kessler als ungemein höhensichere und stimmlich bravourös aufleuchtende Sieglinde entwickelten sich hier zu einem Traumpaar der Wagnerschen Tonsprache. Im zweiten Akt gelang es dem Dirigenten Guillermo Garcia Calvo ebenfalls ausgesprochen gut, die ununterbrochene Reihe von Dialogen in konzentrierter Weise zu bündeln und zu steuern. Nicht nur bei der „Todverkündigung“ besaß Catherine Foster als Brünnhilde bewegende Momente, die die leidenschaftliche Emphase ihres Gesangs regelrecht beflügelten. Wagner selbst meinte dazu: „So etwas kann man kaum noch komponieren nennen.“ Auch schauspielerisch gingen die einzelnen Sänger bei dieser überzeugenden Produktion ganz aus sich heraus. Dies galt nicht nur für den robusten und stimmgewaltigen Bassisten Magnus Piontek als Hunding, sondern auch für Monika Bohinec als leidenschaftliche Fricka und vor allem für Aris Argiris als erhaben-emphatischen Wotan, der sich am Schluss beim berührenden Abschied von Brünnhilde noch einmal gewaltig steigerte.

Die Walkürenszenen mit Daniela Köhler (Helmwige), Caroline Wenborne (Gerhilde), Magdalena Hinterdobler (Ortlinde), Sylvia Rena Ziegler (Waltraute), Franziska Krötenheerdt (Siegrune), Diana Selma Krauss (Rossweiße) und Nathalie Senf (Grimgerde) Sophia Maeno (Schwertleite) besaßen hier eine ungeheure Wucht und geradezu feurige Ekstase. Überwiegend in flammendes Rot gekleidet, wirkten diese Sängerinnen dabei wie ein wilder harmonischer Feuersturm, der sich immer weiter auffächerte. Schon der Gewittersturm gleich zu Beginn gelang Guillermo Garcia Calvo in seinen dynamischen Kontrasten ausgesprochen packend und atemlos. Der Einschlag des Blitzes auf dem tiefen A (mit Kontrabass-Tuba und zwei Pauken) besaß wirklich etwas ungemein Elektrisierendes. So konnte sich das Sturmmotiv immer ungehemmter entwickeln. Auch das Crescendo der aufblühenden Liebe zwischen Siegmund und Sieglinde besaß dabei etwas Sphärenhaftes und geradezu Metaphysisches. Und das schwermütige Siegmund-Motiv erfasste Klaus Florian Vogt ganz ausgezeichnet. Sieglindes Entschluss zur Ergreifung des Schlafmittels bei den Tönen G bis As in den Bässen erreichte hier ebenfalls eine ungeahnte Intensität. Das zu beschleunigender Bewegung vorwärtsstürmende Siegschwertmotiv beim Beginn des zweiten Aktes gelang dem Dirigenten Guillermo Garcia Calvo ebenfalls ganz hervorragend. Da hatte er die einzelnen Stimmen des Orchesters voll im Griff. Der unheimliche und mit dem Fluchtmotiv verschmelzende Hunding-Rhythmus machte sich dann immer drohender bemerkbar. Aris Argiris als emotionaler Wotan ließ die grellen Dissonanzen des Fluch-Motivs bei den Tönen D zu Des im Grundakkord und daraufhin Ges zu G („O heilige Schmach!“) in exzellenter Weise deutlich werden. Der Walkürenritt mit seinem geradezu orgiastisch interpretierten Walküren-Ruf und dem Walküren-Motiv sorgte im dritten Akt dann nochmals für einen fesselnden Höhepunkt bei dieser Aufführung in Ludwigsburg. Speer-Motiv und Beschirmungs-Motiv am Schluss erreichten bei dieser Wiedergabe unvergessliche Augenblicke. Wotans Abschied ließ die E-Dur-Welt in geradezu mystischer Weise erstrahlen. Der umsichtige Dirigent Guillermo Garcia Calvo forderte dabei magische Momente heraus.

Es war eine Wiedergabe aus einem Guss, die kaum Wünsche offenließ. Ovationen. 

Alexander Walther


GELSENKIRCHEN/ Musikverein: EUGEN ONEGIN. Premiere

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Bele Kumberger (Tatjana). Foto: Musiktheater im Revier/Karl und Monika Forster

GELSENKIRCHEN: EUGEN ONEGIN. Premiere am 1. März 2019

Preisfrage: welche Opernpartitur erfordert neben einem bloßen Streichquartett und ein paar Bläsern Klavier, Celesta und Akkordeon (insgesamt 11 Spieler). Der geneigte Leser wird es kaum erraten: „Eugen Onegin“. Aber tatsächlich hat sich André Kassel getraut, Tschaikowskys Musik zu einem Salongeraune herabzudimmen. Die Tasteninstrumente gehen einem schon bald auf die Nerven, zumal die Celesta, und das Akkordeon suggeriert mehr karnevalistische Fröhlichkeit als russischen Herz-Schmerz.

Herr Kassel arbeitet in Weimar, wo der jetzige Gelsenkirchener Intendant Michael Schulz bis 2008/9 Operndirektor war. Dort wurde offenbar diese obskure Idee geboren, worüber freilich nichts Definitives verlautet. Der Leporello des Musiktheaters im Revier behauptet keck, daß sich die klangdürftige Neuinstrumentation „der von Tschaikowsky intendierten Intimität wieder an(nähert)“. Behauptung ist eine Sache, Wahrheit eine andere. Gefühle bei Tschaikowsky sind bei aller vorhandenen Zartheit nun mal großdimensioniert und erfordern ein ausreichendes orchestrales Fundament. Was einem unter dem kaum angemessen zu beurteilenden Dirigenten THOMAS RIMES entgegenwimmert, ist – gelinde gesagt  eine ziemliche Zumutung.

Durch Kassels Bearbeitung ist die Aufführung zwangsläufig ins Kleine Haus verschlagen worden. Die Musiker sitzen links von einer mittigen Plattform, viele Auftritte geschehen von hinten, der Chor erhebt sich von Sitzreihen im Rang. Da wird aus der Not nur wenig Tugend gemacht. DIETER RICHTER  bietet auf der Bühne einen Hintergrundprospekt mit Birken, echte Stämme stehen links und rechts. Im Duellbild wird der Prospekt variiert und erhält durch nachtbläuliche Beleuchtung eine imaginäre Atmosphäre. Lampions und Kronleuchter dienen der coleur locale bei den Festbildern, zu denen RENÉE LISTERDAL adäquate Kostüme beisteuert.

RAHEL THIEL, Regieassistentin am MiR, hat vor einiger Zeit eine durchaus eindrucksvolle Inszenierung von Brittens „Turn oft he Screw“ geboten. Ihre „Onegin“ besitzt nur wenig dringliche Momente, ist in toto biedere Hausmannskost. Der Chor ist beispielsweise auch dann da, wenn er überhaupt nicht gebraucht wird wie bei Onegins Arie, steht oft nur peinlich steif herum (Gremin-Fest). Und bei der szenischen Vermittlung von Gefühlen bei den Protagonisten läuft nicht allzuviel oder sie ist schlichtweg falsch wie die letzte Begegnung von Tatjana und Onegin. Weitere Details zu diesen Defiziten auf Anfrage.

Eine Szene immerhin kann als bemerkenswert gelten. Nach dem Tod von Lenski (der bis zum Schluß auf der Bühne liegen muß) wühlt Onegin erregt im Bodengras herum. Das erinnert an die letzte Inszenierung der Oper 1981 durch Dietrich Hilsdorf, der vom damaligen Intendanten Claus Leininger zu seiner ersten Musiktheaterregie ermuntert worden war. Da wälzte sich John Janssen verzweifelt auf der Bühne, während der Festchor des nächsten Bildes bereits seinen Auftritt absolvierte. Das war ein emotionaler Kontrast, der unter die Haut ging.

Ein anderes Detail von damals. Am Ende seiner Arie (die ja keine kalte Predigt ist, sondern eine – freilich schmerzhaft – nüchterne Belehrung) stieß Onegin mit seiner Fußspitze einen kleinen Papierturm um, hinter welchem sich Tatjana „verbarrikadiert“ hatte. Kleine Geste, große Wirkung. Wenig Vergleichbares in der aktuellen Aufführung, die vom Premierenpublikum unverständlicherweise widerspruchslos hingenommen wurde.

Wenigstens die Sänger bieten Lichtvolles, wobei auch der von ALEXANDER ERBERLE einstudierte Chor ausdrücklich zu erwähnen ist – Sonderapplaus nach dem ersten Auftritt. BELE KUMBERGER gibt eine sehr mädchenhafte, auch in der Mimik ausdrucksvolle Tatjana, PIOTR PROCHERA (diesmal sehr belcantesk) einen (wo er darf) feurigen Onegin. Der Südafrikaner KHANYISO GWENXANE bezaubert mit einem stimmschönen Lenski; dazu subtile Phrasierung und dynamische Noblesse. MICHAEL HEINE muß die Gremin-Arie vor versammelter Festgesellschaft absolvieren und tut das mit fürstlichem Anstand. NORIKO OGAWA-YATAKE (Larina, darstellerisch unterfordert), ALMUTH HERBST (ein rundum stimmige Filipjewna – 1981 war es Marga Höffgen!) und bei  Nachwuchs LINA HOFFMANN (Olga), JOHN LIM (Hauptmann/Saretzki) und MORITZ WELSING (Guillot) sind wie weiteren Mitwirkenden. Nicht zu vergessen TOBIAS GLAGAU, welcher das Triquet-Ständchen doch wahrhaftig in besoffenem Zustand offerieren muß. Das freilich macht er virtuos.

Noch lange nach der Aufführung klingelte einem die Celesta in den Ohren.

Christoph Zimmermann

LUDWIGSBURG/ Forum: DIE WALKÜRE -konzertant

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LUDWIGSBURG/ Forum: DIE WALKÜRE -konzertant – am 1.3.2019

 Phänomenale konzertante Walküre

Legendär die grandiose RING-Inszenierung von Michael Heinecke an der Oper Chemnitz der Spielzeit 1999/2000 und in Kreisen der Wagnerianer von Berlin bis Wien immer wieder eine Reise wert. Ebenso die traumhaften Produktionen des genialen Regisseurs vom Tristan, Holländer, Tannhäuser welche mir persönlich noch immer unauslöschlich im Gedächtnis haften. Wolfgang Wagner meinte dereinst: „Chemnitz ist das Bayreuth des Ostens“. Nun produzierte das renommierte Opernhaus bereits seinen neuen Ring in drei zyklischen Aufführungen nun zu Ostern und Pfingsten 2019. Meinerseits bereits in Planung  besuchte ich vorweg als Entree und der Nähe wegen „Die Walküre“ in konzertanter Fassung im Forum Ludwigsburg. Völlig unverständlich die freien Plätze, das Management setzte wohl mehr auf Gottvertrauen?

Selbst nach schier hundertfacher Sicht mancher sehenswerten Inszenierung liebe ich nach wie vor (und verhehle es nicht!) konzertante Aufführungen und kam heute natürlich voll auf meine Kosten zudem eine elitäre Sänger-Riege den absoluten Genuss komplettierte.

Um keinen Künstler zu benachteiligen gebe den Damen galanterweise den Vorzug: Ich darf mich glücklich schätzen Catherine Foster in diversen Rollen dutzendfach erlebt zu haben, umso mehr war ich über die Wiederbegegnung sehr erfreut, betrachte ich die Künstlerin persönlich  als größte und bedeutendste Wagner-Strauss-Interpretin unserer Zeit und wiederum schenkte mir die unvergleichliche Künstlerin kulinarische akustische Wonnen der besonderen Art.

Ohne Zweifel avancierte ihre Brünnhilde zum vokal-solitären Höhepunkt des Abends. In Bravour verkörperte Catherine Foster Wotans Lieblingskind mit Charisma, Temperament und Sensibilität, alles Charakterzüge, welche in den unglaublich vielschichtigen stimmlichen Möglichkeiten der Sängerin bedeutungsvolle Prädikation fanden. Weich strömend floss ihr farbenreicher Sopran dahin, nuanciert entfaltete sich das Goldtimbre in vokaler Natürlichkeit, mühelos aufblühend in leuchtender Pracht. In faszinierender Flexibilität und Intuition demonstrierte Frau Foster die hohe Kunst des Gesangs, da blieb nichts dem Zufall überlassen jede Note erhielt ihre aussagekräftige Bedeutung, ob zu den jungendlich-frisch, stahlenden Hojotohos, den prächtigen Höhenaufschwüngen oder den innigen Piani. Erschütternde Momente wie zur Todesverkündigung, zur Rechtfertigung war es so schmählich, was ich verbrach oder während des bewegenden Dialogs mit dem Vater erschütterten  ungemein und trieben selbst einem alten Hasen wie mir die Tränen in die Augen. Bewundernswert ohnedies mit welch unvergleichlicher Souveränität und Noblesse Catherine Foster der  wohl anspruchsvollsten und schwierigsten aller Brünnhilden begegnete und im Gegensatz der restlichen Sänger ohne „Blatt“ sang.  Chapeau bas!

Mit gesundem jungendlich-dramatischen Sopran interpretierte Astrid Kessler die Sieglinde, berührte mit lyrischen Phrasen, ließ das herrlich timbrierte Material strahlend leuchtend aufblühen und schenkte während ihrer Erzählung Der Männer Sippe… bedeutungsvoll warme Grundierungen der sehr modulierten Mittelage. Farbenreich, ausdrucksstark, klangschön steigerte sich Kessler in den finalen Jubel des ersten Aktfinales, nuancierte vortrefflich Nicht zehre dich Sorge um mich und triumphierte zudem mit dem strahlenden O hehrstes Wunder. Bar dieser positiven Attribute avancierte Kesslers Sieglinde zu einem sinnlich intensiven Erlebnis. Nach der wunderbaren Tannhäuser-Elisabeth bezauberte die vielseitige Sängerin wieder mit einem gelungenen Rollen-Portrait. Nun freue ich mich auf die Abigaille in einer Woche – ob man gar auf die „Salome“ im Sommer hoffen darf?

Die Dritte im Bunde der vorzüglichen Damen war Monika Bohenic, mir noch aus ihrer viel zu kurzen Zeit am Mannheimer Nationaltheater in allerbester Erinnerung. Mit einer so attraktiven Fricka an der Seite kann man Wotans Eskapaden… aber lassen wir das leidliche Thema! Geradezu phänomenal die vehemente Ausstrahlung ihrer Fricka zu expressiven aber auch in dunklen  herrlichen Couleurs schimmernden, glutvollen Mezzosopran-Nuancen, entschied sie den Ehezwist für sich und lies dem Göttergatten trotz einleuchtender Argumentationen keinerlei Chancen.

Mit ebenso gewaltiger und vortrefflicher  Präsenz boten die Herren des Abends so viel Frauen-Power durchaus maskuline Vokal-Paroli. Großartig in jungendlich-frischem Elan sang Klaus-Florian Vogt den strahlenden Gegenpol zur Zwillingsschwester und verkörperte einen ausgezeichneten Siegmund. Gleichwohl zu den lyrischen Phrasen wie den kraftvollen metallisch-auftrumpfenden tenoralen Glanzpunkten schenkte Vogt Sieglindes Bruder höchste Präsenz und beide vereinten sich vorzüglich zum nicht nur optisch idealen Geschwisterpaar.

Mit Spannung sah ich natürlich dem Wotan von Aris Argiris entgegen, erlebte ich den  hervorragenden Sänger bisher nur in vielen italienischen Bariton-Partien und war über dessen vokale Entwicklung sehr positiv überrascht. Wann darf man einem Göttervater begegnen mit derart jungendlich-frischem Timbre, markant, sicher und autoritär intonierter Vokalise? Unglaublich in welch prächtiger Formation sich diese resonanzreiche, bruchlos geführte Stimme evolvierte, ohne jeglichen Druck gestaltete Argiris die langen Phasen der Dialoge und zog im Forte und Höhenbereich glanzvolle Extraregister ohne jegliche Ermüdung des Potenzials. Bravo!

Zu individuellen Zeichnungen charakterisierte Magnus Piontek den männlichen und durchaus konkurrenzfähigen Hunding und brachte dabei attraktive, klangvolle und imposante Bassfülle ins Spiel.

Überwältigend der Aufmarsch von Wotans Amazonenstreitmacht, die acht Damen Daniela Köhler, Caroline Wenborne, Magdalena Hinterdobler, Sylvia Rena Ziegler, Franziska Krötenheerdt, Diana Selma Krauss, Nathalie Senf, Sophia Maeno alle in roten Roben imponierten nicht nur mit optischer Aura sondern überzeugten durchaus mit klangvollen Vorzügen.

Zum vokalen Gourmet-Menü servierte Guillermo Garcia Calvo am Pult der Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz par excellence orchestrale Delikatessen. In bester Manier geleitete der temperamentvolle Maestro den hervorragend disponierten Klangkörper durch Wagners grandiose motivische Partitur, formte ausgezeichnete musikalische Perspektiven voll Wärme und Sentiment. Bereits zur Gewitter-Einleitung, im spannungsvoll elektrisierenden Knistern des ersten Aufzugs wurde instrumental gewahr, was diese geniale Komposition so reizvoll  und auf besondere Weise fasziniert. Aufgelichtete Klänge intimeren Charakters durchwebten die Monologe, prächtig instrumentierte Calvo Details der zugespitzten Formationen, kontrastierte orchestrale Eruptionen der exzellenten Bläserformationen zu herrlich innigen Passagen der warmgetönten Streicherklänge und erwies sich zudem als kongenialer Sängerbegleiter.

Gerhard Hoffmann

 

 

 

 

 

LINZ/Musiktheater RAGTIME von Terence McNally und Stephen Flaherty

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Gino Emnes (Coalhouse Walker) und Myrthes Monteiro (Sarah)  Foto: Copyright Reinhard Winkler

Wer wagt, gewinnt
RAGTIME
von Terrence McNally (Buch) und Stephen Flaherty (Musik)
Im MUSIKTHEATER des Linzer Landestheaters am Volksgarten
Freitag 1. März 2019     Von Manfred A. Schmid

 

In der ziemlich verblassten „Musicalstadt Wien“ spielt man in I am from Austria unverdrossen bebilderte Hits von Reinhard Fendrich hinauf und hinunter, zehrt in Bodyguard vom Abglanz der allzu früh verstorbenen Whitney Houston oder ist in der Volksoper dabei, das musikalisch ziemlich uninspiriert daherkommende Bernstein-Musical Wonderful Town – auch Genies produzieren manchmal nur Dutzendware – mit nicht geringem, aber letztlich unbelohntem Aufwand abzustauben. Anspruchsvolle und packende Musicalproduktionen muss man derzeit anderswo suchen. In Linz zum Beispiel. Dort sorgt Ragtime nach dem gleichnamigen Roman von E. L. Doctorow – Premiere war am 1. Februar – ungebrochen für Begeisterung.

Die komplexe, dicht verwobene literarische Vorlage, eine kühne Abrechnung mit dem amerikanischen Traum, spielt in New York in der Ära des Ragtime, also in der Zeit zwischen 1900, als aus Europa neue Einwandererströme ins Land kamen, und dem Ausbruch des 1. Weltkriegs. Der Name „Ragtime“ kommt aus der afroamerikanischen Musik und bezieht sich auf den damals neuen, ungewohnt synkopierten Musikstil, der durch die Verwendung von Stücken aus der Feder von Scott Joplin im Film Der Clou mit Paul Newman und Robert Redford auch bei uns bekannt geworden ist. Geschickt und – aller Tragik zum Trotz – mit feinsinnigem Humor verknüpft das Musical (Libretto von Terrence McNally) drei sozial sehr unterschiedliche Gruppen in einer bunten, kaleidoskopartigen Handlung, die ihren Anfang nimmt, als Sarah, eine junge Schwarze, ihr Neugeborenes im Garten einer wohlhabenden weißen Familie ablegt. Beide werden von der mitfühlenden Mutter ins Haus genommen. Bald macht sich dort auch der Kindesvater, ein talentierter Ragtime-Pianist, vorstellig, und das Verhängnis nimmt seinen Lauf. Coalhouse Walker, sein Name ist eine Anspielung auf Kleists Michael Kohlhaas, entpuppt er sich doch als beharrlicher Kämpfer für Gerechtigkeit, der sich gegen die Diskriminierung der Schwarzen wendet und – enttäuscht und voll Verzweiflung – schließlich zu einem gewaltbereiten Stadtguerillero wird und im Kugelhagel der Polizei sein Ende nimmt. Dramatische Sozialdramen – in prägnant kurzen Episoden eingeblendet – spielen eine große Rolle:  Versammlungen der sich formierenden Arbeiterbewegungen, brutal niedergeknüppelte Streiks, politische Agitation, Anarchismus, erwachender Feminismus und Repression verweisen ebenso auf  vorherrschende gesellschaftliche Konflikte wie das Auftauchen von zeitgenössischen Ikonen wie Booker T. Washington, Henry Ford, J.P. Morgan oder Houdini.

Dass die Ära des Ragtime auch die Zeit ist, als die Bilder laufen lernten,  erfüllt sich am Schicksal des aus Lettland stammenden jüdischen Einwanderers Tate, der sich und seine Tochter zunächst erfolglos mit dem Verkauf von selbstverfertigten Scherenschnitten durchzubringen versucht, alsbald ein erfolgreicher Filmregisseur wird und am Schluss die inzwischen verwitwete Mutter ehelicht. Die dadurch entstehende Patchworkfamilie ist eine augenzwinkernd postulierte Idylle gelungener amerikanischer Integration: eine weiße Mutter und ihr Sohn, Tate und seine Tochter sowie das Kind Sarahs, das nach deren Tod – sie wird bei einer Demonstration erschossen – die Familie um einen weiteren Farbton bereichert.

All das klingt recht verwirrend, dem Regisseur Matthias Davids gelingen aber atemberaubende Abläufe, die den jeweiligen Handlungsverlauf stets transparent erkennbar machen. Daran hat auch das praktikable, ausgefeilte Bühnenbild von Hans Kudlich seinen Anteil, das rascheste Verwandlungen ermöglicht, in erster Linie aber die fetzige Musik von Stephen Flaherty, die nicht nur immer wieder Ragtime-Klänge einstreut, sondern geschickt aus dem reichen Fundus der Musicalgenres schöpft: Tolle, rhythmisch perfekte Tanzeinlagen (Choreographie Melissa King), vielseitig eingesetzte Chorszenen (Einstudierung Erna Pierini) und vor allem ein hervorragendes Sängerensemble sorgen – unter der dynamischen Leitung von Tom Bitterlich am Pult des Brucknerorchester Linz für einen mitreißenden Abend. Nach der Pause gibt es musikalisch allerdings ein paar Durchhänger, da klingen manche Songs (Gesangstexte von Lynn Ahrens, deutsche Übersetzung von Roman Hinze) nach allzu gewohnter Musicalkost.

Mit Gino Emnes als eindrucksvoller Coalhouse Walker und Myrthes Monteiro als Sarah hat das Landestheater zwei international bewährte Musicalstars ins Haus geholt, die es verstehen, das Publikum mitzureißen. Hervorragend auch die Leistung von Daniela Dett als berührende Mutter, die sich in ihrer sozial empathischen Haltung nicht von ihrem Mann (Carsten Lepper), der ihr Engagement missbilligend zur Kenntnis nimmt, beirren lässt. Stark auch Riccardo Greco als Tate, der trotz Anfangsschwierigkeiten an den amerikanischen Traum festhält und damit Recht behält.  Besondere Erwähnung verdienen noch Ariana Schirasi-Fard als anarchistische Agitatorin Emma Goldmann und als Evelyn Nesbit und Hanna Kastner als femme fatale.

Ragtime, 1996 in Toronto uraufgeführt und danach ein vielfach preisgekrönter Hit am Broadway, bleibt eine inszenatorische Herausforderung. Linz hat sich – nach Graz vor einem Jahr – darauf eingelassen, das Ergebnis ist mehr als zufriedenstellend. Wer wagt, gewinnt. Auch neue Zuschauer. Denn das Thema bleibt brandaktuell: Einwanderung, Chancen und Probleme der Integration, soziale Spannungen, Angst und Zuversicht, Streben nach Gerechtigkeit, Liebe und Hass.

Vorstellungen noch bis Juni.

Manfred A. Schmid

 

NEW YORK/ Wien/ Die Met im Kino: LA FILLE DU RÉGIMENT

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Bildergebnis für metropolitan opera la fille du regiment

MET/Kino „La fille du regiment“ am 2.3.2019

Neuerlich eine Produktion mit Wiedererkennungsfaktor 100: Diese Produktion (Regie und Kstüme von Laurent Pelly, Bühnenbild Chantal Thomas) ist auch hierorts schon oft gezeigt worden, freilich selten in dieser hohen Qualität. Die absolute Objektivität ist nicht möglich, bei allem Respekt vor den Wiener Kräften muss man konstatieren, dass das MET-Ensemble sehr viel zu bieten hatte. Da war eine Spielfreude, Komödiantik gepaart mit phantastischen Gesangsleistungen, die ihresgleichen suchen.

Pretty Yende als Marie war Pluspunkt Nummer eins, ihr faszinierendes, überschäumendes Temperament, wertete die Rolle des Regimentszöglings merklich auf. Wie sie in diesem „Männerhaushalt“ schaltet und waltet und alle am Gängelband hat, ist Klasse. Dazu kommt noch ihre tolle Stimme, mit der sie die Arien um eingelegte Spitzentöne bereichert, die sie bombensicher setzt, da kann man nur staunen. Der zweite überragende Sänger war Javier Camarena als Tonio. Auch er konnte seinen wunderbaren Tenor wirkungsvoll einsetzen, die große Arie zu wiederholen, damit 18 Cs sicher zu singen, macht ihm keiner nach. Optisch vielleicht nicht der strahlende Held, macht er mit gekonntem Spiel einiges wett – einen Tiroler nimmt man ihm allerdings nicht ab.

Maurizio Muraro war der köstliche Sulpice, eine dankbare Rolle für einen Komödianten. Obwohl als leicht erkältet angesagt, sang er die Partie mit viel Routine pannenlos. Auch Stephanie Blythe zeigte sich als Marquise von Berkenfield von ihrer komischen Seite, ihre selbstironische Art, den Drachen zu spielen, kann man als sehr gelungen betrachten. Als Duchesse von Krakenthorp engagierte man die bekannte Filmschauspielerin Kathleen Turner. Auch sie fügte sich mit gekonntem Spiel ins Geschehen. Ihre Verzweiflung über das endlose Abspielen des Menuetts, die auf Englisch gesprochenen Kommentare und ihr resolutes Auftreten (wie einst Ljuba Welitsch in der Volksoper) waren äußerst unterhaltsam.

Am Pult des nicht immer fehlerlos spielenden Orchesters stand mit Enrique Mazzola ein routinierter Dirigent, der vor allem bei der Ouvertüre für furioses Tempo sorgte. Ovationen des Publikums belohnten dieses festliche Spektakel.

Johannes Marksteiner

LINZ/ Landestheater: „PENTESILEA“ von Othmar Schoeck. Premiere

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Martin Achrainer, Dshamilja Kaiser und Ensemble. Foto: Reinhard Winkler/ Landestheater

Linz: „PENTESILEA“ – Premiere am Musiktheater des Landestheaters, Großer Saal, 02. 03.2019
Oper in einem Akt nach dem gleichnamigen Theaterstück von Heinrich von Kleist, Libretto und Musik von Othmar Schoeck

Ein noch mehr als jene in Vergessenheit geratener Zeitgenosse der Spätromantiker Franz Schreker und Alexander Zemlinsky ist Othmar Schoeck, geboren 1886 im Kanton Schwyz, gestorben 1957 in Zürich. Er wurde außer im Zürcher Konservatorium auch bei Max Reger (damals in Leipzig) ausgebildet. Nach kleineren, auch musikdramatischen, Werken von ihm wurde eine einaktige Oper 1927 in der Dresdner Semperoper uraufgeführt: die schon im Original 1808 sperrige und weithin, unter anderem von Goethe, abgelehnte Tragödie über die tragische Liebe der Amazonenkönigin Penthesilea; deren Konflikt mit alten, längst sinnentleerten „Ordensregeln“ führt zu einer blutrünstigen Katastrophe – abgründig genug, um eine Theateraufführung bis 1876 zu verzögern.

Getreu dem Saisonmotto „Welt aus den Fugen“ wurde nun wenige Wochen nach der Premiere der düster-mörderischen „Elektra“ eben dieses Stück angesetzt; der Komponist hatte, wie Richard Strauss 20 Jahre davor mit der „Salome“, das Libretto durch Kürzungen des Originaltextes selbst erstellt und so ein kompakteres Werk geschaffen – Regelaufführungsdauer um 1½ Stunden. Wie das Atridendrama ist auch diese Geschichte vom Ende der Amazonen mit dem Trojanischen Krieg verknüpft: bei Kleist und Schoeck erwischt es, anders als in den altgriechischen Quellen, den blonden Achill aber erst nach dem Ende des Kampfes um Troja.

Die Musik Schoecks ist spröde, aber dabei äußerst elaborat und verschwendet Dynamik nicht um des vordergründigen Effektes willen; Lyrik beinhaltet sie nur kurz, aber diese dafür sehr innig, als Penthesilea und Achill in einem Duett ihre gegenseitige Liebe erkennen. Die Orchestrierung ist eigenwillig und auf die düstere Thematik hin orientiert – hohe Streicher sind reduziert, die tiefen verstärkt, auch Bläser überdurchschnittlich besetzt: 10 Klarinetten sind gefordert, dazu erweitertes Schlagwerk sowie zwei obligate Klaviere. Auch mit dieser ungewöhnlichen Literatur kommt das brillante Bruckner Orchester freilich hervorragend und lupenrein, CD-fähig, zurecht. Die musikalische Leitung liegt in den Händen von Leslie Suganandarajah, der trotz des ungewöhnlichen szenischen Aufbaues Balance und Übersicht wahrt und vor allem auch dieser in Blöcken daherkommenden Musik, die Melodramteile und sogar reine (durchaus im Duktus der Musik bleibende) Deklamationsstellen beinhaltet, einen vom ersten Takt bis zu Schlußakkord reichenden Spannungsbogen verleiht.


Bühnenaufbau. Foto: Petra und Helmut Huber.

Die Inszenierung wurde wieder (wie Brittens „Der Tod in Venedig“ letzte Saison) in Zusammenarbeit mit dem Theater Bonn gestaltet, wo die Produktion 2017 Premiere hatte. Verantwortlich zeichnet der vielfach preisgekrönte Peter Konwitschny (mit Johannes Leiacker für Bühne und Kostüme, konzeptionelle Mitarbeit & Dramaturgie Bettina Bartz und Christoph Blitt). Man verwendet ein weit abseits der Guckkastenbühne liegendes Raumkonzept: Handlungszentrum ist ein weißes Quadrat von etwa 7 x 7 m, das auf den Orchestergraben bis über die ersten Parkett-Sitzreihen gebaut und zum Teil von Sesselreihen umgeben ist, auf denen Statisterie, Chor, aber auch Publikum Platz nehmen. Einige Parkettplätze sind ebenfalls von Darstellern besetzt, wie auch ein Sitz in der linken Seitenloge. Orchester und Dirigent sind auf abgestuften Hubpodien im Bühnenraum untergebracht. Auf dem „Spielgeviert“ stehen zwei auf Rollen aufgebockte Bösendorfer-Flügel, die nicht nur bestimmungsgemäß bespielt werden, sondern auch als verschiebliche Versatzstücke dienen, wie zum Beispiel als Gebirge, in das sich das Liebespaar zurückzieht.

Irgendwie erwartet man auf so einer boxringartigen Bühne ein Schauspiel wie Brechts Arturo Ui – und so weit entfernt davon ist es tatsächlich nicht, was sich abspielt: In unverbindlich-modernen Gewändern werden Hierarchien und Autoritäten herausgefordert, Eifersucht und Machtspiele wogen, alles deutlich in der Musik wiedergespiegelt. Ruhe kehrt erst ein, als sich die Titelheldin in den griechischen König verliebt. Freilich: das ist nicht von Dauer, die alten Regeln der Amazonen werden von selbigen eingemahnt. In die hochkomplexe, organische Personenführung sind der vom Komponisten nach altgriechischem Vorbild beigefügte Chor und Statisterie vielfältig eingebunden (Chorleitung Elena Pierini, Leitung Extrachor Martin Zeller).
Als die beiden Protagonisten tot sind, tritt die Darstellerin der Penthesilea aus der Rolle (und ihrer Fremdbestimmtheit) und beschließt die Aufführung in großer Robe als elegischen Liederabend. Achill steht am Klavier und hört ihr zu.


Martin Achrainer. Foto: Reinhard Winkler/ Landestheater

In Bonn war und jetzt in Linz ist Dshamilja Kaiser diese Amazonenkönigin – prachtvoll strahlender Mezzo, immer noch wortdeutliches, perfekt angesetztes pp, dabei im Gesang und der Deklamation, bis hin zum Flüstern, sehr wortdeutlich, ebenso überzeugend im Schauspiel.
Martin Achrainer gibt, in jeder Beziehung auf gleichem Niveau wie sein amazonisches Gegenüber, Achilles, König der Griechen. Ein einziges Mal fordert die Partitur, in die Tiefe über seine ohnedies weit gesteckten Grenzen zu gehen, was er aber mit Technik schafft.

Die weiteren Amazonen sind mit Julia Borchert (Prothoe), Katherine Lerner (Meroe) und Vaida Raginskytė (Oberpriesterin der Diana) stimmlich und schauspielerisch ebenso souverän abgedeckt. Diomedes, König des Griechenvolkes, ist Matthäus Schmidlechner, der auch dieses schwierige Material scheinbar mühelos beherrscht. Gotho Griesmeier als Priesterin und Domen Fajfar (Hauptmann) komplettieren mit guten Leistungen die handelnden Personen – fast, denn: auch die Bühnenpianisten spielen nicht nur (perfekt) Klavier, sondern haben auch kleine szenische Aufgaben, daher seien auch Andrea Szewieczek und Elias Gillesberger unter den Darstellern genannt.

Premierenfeier: Konwitschny, Pierini, Griesmeier, Kaiser, Achrainer, Raginskyté, Szewieczek, Schmidlechner, Borchert, Gillesberger, Lerner. Foto: Petra und Helmut Huber

Begeisterter Applaus für Darstellerinnen und Darsteller, Dirigent und Orchester, aber auch das Produktionsteam.

Petra und Helmut Huber

STUTTGART/ Schauspielhaus: BERNARDA ALBAS HAUS von Federico Garcia Lorca

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Bildergebnis für stuttgart bernarda albas haus
Nicole Heesters und Anke Schubert. Foto: Thomas Aurin

„Bernarda Albas Haus“ von Federico Garcia Lorca am 16.3.2019 im Schauspielhaus/STUTTGART

ZENTRALE KONFLIKTE ESKALIEREN

Szenische Nüchternheit und Sehnsucht nach Liebe und Freiheit beherrschen die Inszenierung der Frauentragödie  „Bernarda Albas Haus“ von Federico Garcia Lorca, für die Calixto Bieito verantwortlich zeichnet. Die Bühne von Alfons Flores besticht durch ein schwarz-weißes Ambiente. Stühle werden an einer Art Leinwand hochgezogen, das verleiht diesen szenischen Bildern etwas Surrealistisches und Eruptives. Zunächst wird die Totenmesse sehr intensiv geläutet, da der zweite Ehemann von Bernarda, Antonio Maria Benavides, verstorben ist. Ihre fünf Töchter und sie selbst tragen zuerst Trauer hinter schwarzen Schleiern. Diese werden nach und nach gelüftet, dadurch erhält diese Tragödie ihr Gesicht. Dass die jungen Frauen plötzlich von der Außenwelt total isoliert sind, macht Calixto Bieito als Regisseur plastisch deutlich. Der zentrale Konflikt des Dramas wird bei dieser Aufführung treffsicher aufgebaut. Angustias ist die einzige Tochter aus erster Ehe und erbte von ihrem Vater ein Vermögen. Deswegen besitzt sie die Erlaubnis, sich mit Pepe el Romano zu verloben. Adela rebelliert als die jüngste Tochter gegen die strenge Ordnung ihrer herrschsüchtigen Mutter und verliebt sich ebenfalls in Pepe el Romano, der ihre Liebe erwidert. Trotzdem entscheidet sich dieser aus finanziellen Gründen für die Ehe mit Angustias. Er trifft sich nachts nicht nur mit seiner zukünftigen Frau Angustias, sondern auch heimlich mit Adela. Dadurch eskaliert der Konflikt auch bei dieser Inszenierung in deutlicher und sehr drastischer Weise. Die eifersüchtige Schwester Martirio denunziert Adela bei ihrer Mutter. Aus diesem Grund schießt Bernarda dann im Hof mit einem Gewehr auf Pepe el Romano. Dieser flieht, während Adela glaubt, dass ihr Geliebter tot sei. Sie nimmt sich daraufhin das Leben. Dies verdeutlicht Bieito damit, dass er die Leiche an einem Seil hängend herablässt.

Bildergebnis für stuttgart bernarda albas haus
Foto: Thomas Aurin

Diese Inszenierung in den schlichten Kostümen von Merce Paloma (Mitarbeit Kostüme: Uta Baatz) lebt ganz von der hervorragenden Darstellungskunst der Schauspielerinnen, die die Zuschauer aufgrund ihrer enormen künstlerischen Wandlungsfähigkeit geradezu betören. Allen voran begeistert hier Nicole Heesters als ungeheuer schillernde und gleichzeitig undurchsichtige Bernarda Alba, die ihren Töchtern weder Freiheit noch Ruhe gönnt. Angst und Alpträume beherrschen deswegen auch die Handlung, der Calixto Bieito immer wieder Fieberschauern von Lust, Hass und Tod abtrotzt. Die Tragödie der Familie Alba ist gleichsam ein Synonym für die Tragödie Spaniens. Das Land befand sich unter Franco damals in einer Art Bürgerkrieg. Auch das Schweigen spielt hier eine zentrale Rolle, das die verzweifelten Töchter aber immer wieder durchbrechen. Sowohl Josephine Köhler als Angustias als auch Anne-Marie Lux als Magdalena und Jelena Kunz als Amelia bieten hier überragende Charakterstudien. Ergänzt wird dieses fieberhaft-feurige Spiel durch die elektrisierenden Auftritte von Paula Skorupa als Martirio, Nina Siewert als Adela und Anke Schubert als frustrierte Dienerin La Poncia.

Die Ereignisse verdichten sich so immer deutlicher und drängender. Die soziale Anklage gegen abgelebte Scheinwerte entwickelt sich hier zu einer beklemmenden Geschehniskette, die die Protagonisten in einen rücksichtslosen Strudel der Gewalt geradezu hineinzieht. Nicole Heesters vermag diesen inneren seelischen Kampf in besonders eindrucksvoller Weise zu gestalten. Auch Elke Twiesselmann hat als Großmutter Maria Josefa eindrucksvolle Auftritte. Sie rebelliert gegen „Bernarda Leoparda“, hat aber gegen die robuste Stärke dieser Frau ebenfalls keine Chance. Antithetisch gesetzte Ironie beherrscht diese Tragödie ebenso, was sich bei der Inszenierung immer wieder skurril offenbart. Das feierliche Begräbnis des verstorbenen Mannes mit seinen skurril wirkenden, endlosen Responsorien geht einher mit der schmerzhaften Unterdrückung des Trieblebens, unter dem alle Töchter leiden. Diese seelentötende Scheinmoral gipfelt in Bernardas stoischem Satz: „Ich habe mit den Herzen nichts zu tun, aber ich will eine schöne Fassade und Einigkeit in der Familie.“ Sexuelle Hemmungslosigkeit wird in brutaler Weise verteufelt, die Frauen rufen ultimativ zur Ermordung einer Kindermörderin auf. Der Mann, den die Frauen allesamt herbeisehnen, bleibt hier bis zum Schluss unsichtbar. Das „grässliche“ Haus wird zum Sinnbild der menschlichen Vergewaltigung. Bernarda führt ein tyrannisches Regiment im Haus, um die fahle Fassade der Familienehre zu wahren. La Poncia wird von Bernarda immer wieder regelmäßig losgeschickt, um diese über das Leben und den Klatsch im Dorf auf dem Laufenden zu halten. Sie geht an den grausamen Ritualen des Schweigens ebenfalls zugrunde, was Anke Schubert überzeugend herausstellt. Schmerz und Verlangen, die sich in den Jahren angesammelt haben, werden hier einfach erstickt. Dies wird auch szenisch passend ausgedrückt, indem das Gebäude wie ein Kartenhaus zusammenfällt. Und die verwirrte Großmutter verschwindet in der Dunkelheit.

Viel Beifall und Jubel. 

Alexander Walther         

a t t i t u d e: This week’s recommendations: March 17th, 2019- Ballettblog


WIEN / Volx: OPERNBALL

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Stefan Suske, Sebastian Klein, Bernhard Dechant, Lukas Watzl, Thomas Frank © Barbara Pálffy / Volkstheater 

WIEN / Volkstheater im Volx/Margareten:
OPERNBALL nach dem gleichnamigen Roman von Josef Haslinger
Bühnenfassung von Alexander Charim und Heike Müller-Merten
Premiere: 17. März 2019

Die Dramaturgie denkt und das Leben lenkt. Das Volkstheater spielt die dramatisierte Fassung eines 24 Jahre alten Romans von Josef Haslinger, der von einem Terroranschlag auf den Opernball handelt. Wenige Tage vor der Premiere tötet in Neuseeland ein Terroranschlag auf eine Moschee an die 50 Menschen. Man kann sich nicht darauf zurückziehen, das Geschehen als „historisch“ zu betrachten. In diesem Fall reflektiert das Theater das Hier und Heute.

Man erinnert sich noch gut, warum „Opernball“ vor fast einem Vierteljahrhundert eine solche „Erregung“ bedeutete: Immerhin hatte sich Haslinger an einem heiligen Gut der Nation vergriffen, als er die Opernball-Besucher (samt gesamter Regierung) durch Giftgas umkommen ließ…

Geschildert wurde das im Buch von mehreren Figuren, die die Ereignisse von außen und von innen betrachteten. Wobei eine „Dramatisierung“ selten so souverän gelungen ist wie diese von Regisseur Alexander Charim und Dramaturgin Heike Müller-Merten. Dem Regisseur muss man auch zugute halten, dass seine Inszenierung ein logistisches Meisterstück ist. Er muss mit sechs Schauspielern auskommen, fünf davon übernehmen verschiedene Rollen. Und immer ist für den Zuschauer glaskart, was da auf der Bühne geschieht. Die Geschichte entwickelt sich umweg- und schnörkellos.

 

 

 

 

 

 

 

 

Rainer Galke ist Kurt Fraser, Fernsehreporter, an sich auf Kriegsberichterstattung spezialisiert. Über den Opernball berichtet er nicht zuletzt, weil sein Sohn als Kamera-Assistent beteiligt ist. Und dieser zählt zu den Opfern des Anschlags. Fraser steht für viele Elemente der Geschichte – in Rückblenden wird gezeigt, wie er verzweifelt seinen süchtigen Sohn auf die rechte Bahn bringen wollte; im übrigen ist er selbst der Sohn eines emigrierten Juden, der dem ewig antisemitischen Österreich eigentlich misstrauen sollte; und schließlich ist er als Kriegsberichterstatter mit „schuldig“ an einer Medienwelt, für die keine Sensation krass genug sein kann: Wenn seine Kamera läuft, als eine Frau von einer Bombe zerrissen wird, bedeutet das für ihn beruflich einen großen und lukrativen Erfolg…

Erzählt wird die Geschichte auch von einem Polizisten, der – wie das Klischee es befiehlt – eigentlich faschistoide Überzeugungen hegt und absolut nicht glücklich ist, dass er gegen die „anderen“ nicht so brutal vorgehen kann, wie er es sich wünschte (Thomas Frank schlüpft voll überzeugend in diese Rolle).

In das Zentrum des Geschehens rückt der Abend aber die Neonazi-Gruppe, die von einem mehr oder minder charismatischen „Führer“ (exzellent: Sebastian Klein) ideologisch zugespitzt und aufgehetzt wird. Rund um ihn profilieren sich die verschiedenen Typen – der Aufrührer (Bernhard Dechant kann brüllen wie keiner sonst), der (wohl auch von allerlei Gefühlen getragene) geradezu hündisch ergebene Gefolgsmann (wunderbar: Lukas Watzl), der lautstarken Randalierer (Thomas Frank), der Mitläufer (Stefan Suske). Und alle sind sich einig: Die Ausländer müssen weg, und ein Terroranschlag ungeahnten Ausmaßes wird jenen Polizeistaat nach sich ziehen, den sie für ihre Pläne brauchen…

In zwei pausenlosen Stunden drehen sich Ideologie und Schicksale im vollsten Wortsinn im Kreis, und man möchte annehmen, dass der Regisseur auch die Lautstärke in dem kleinen Kellerraum des Volx mit voller Absicht dermaßen überdrehen ließ, um die Gewalttätigkeit des Geschehens für den Zuschauer entsprechend nachdrücklich (und schwer erträglich) zu machen.

Kleinigkeiten hat man auch auf unsere Zeit zurechtpoliert (die Frage, wie ein Volk in seiner Majorität „rechts“ wählen könne, war 1995 noch nicht aktuell), die Abneigung der „eingesessen Bevölkerung“ gegen die Ausländer hat sich nicht geändert, und dass in irgendwelchen Dörfern und Kellern faschistoide Ideen zwischen Bier, Sex und Waffen ausgebrütet werden, kann man gut und gern annehmen.

Dass das Ganze von höchst vordergründiger Griffigkeit ist, versteht sich – wer ein Thema verkaufen will, muss seine Meinung an den Mann bringen. Und sei es demagogisch. Jedenfalls so deutlich wie möglich. Dem Volkstheater ist es immerhin mit Können und Niveau gelungen.

Renate Wagner

ATHEN/ Greek National Opera: DIE WACHSPUPPE von Tasos Rosopoulos

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Foto: Greek National Opera

Greek National Opera, Athen: Die Wachspuppe von Tasos Rosopoulos 

Besuchte Vorstellung am 17. Maerz 2019

Der Klang von gestern

Die Alternative Buehne der Griechischen Nationaloper greift bei ihren Bemuehungen, neue Werke auf die Buehne zu bringen, gerne auf klassische Stoffe zurueck. Nach einer wenig ueberzeugenden Opernfassung von Ibsens „Hedda Gabler“ findet sich nun die Oper „Die Wachspuppe“ im Programm, die auf der gleichnamigen Novelle von Konstantinos Christomanos (1867-1911) basiert. Der 1911 veroeffentlichte Text traegt die literarischen Spuren seiner Zeit. Der Autor, welcher etliche Jahre in Wien lebte, erzaehlt eine Geschichte, die die Naehe zum Wiener Fin de siecle und zum Symbolismus im allgemeinen spueren laesst. Im Zentrum von Christomanos‘ Erzaehlung steht die todkranke Verginia, die mit dem Handwerker Nikos verheiratet ist. Als die junge Liolia als Dienstmaedchen ins Haus kommt, bahnt sich schon bald eine Affaere mit dem Ehemann an. Im Zeichen des Athener Karnevals kommen die beiden sich naeher, im folgenden Fruehling verfallen sie in Liebe zueinander. Unmittelbar daraufhin stirbt Verginia. Der Weg ist somit frei fuer das Liebespaar, das bald danach heiratet und ein Kind bekommt. Das wachsfarbene Gesicht des kranken Babys erinnert die Nachbarn an die verstorbene Tote. Als Liolia mit dem Kind das Grab Verginias aufsucht, um dort Vergebung zu finden, fuehrt das zu dessen raschem Tod. Und das Sterben setzt sich fort: Nikos kommt im Streit mit dem Rivalen Mimis um, Liolia stirbt an seinem Totenbett. Angesichts der vielen Toten, die Christomanos‘ Novelle aufweist, koennte man von einem geradezu perfekten Opernstoff sprechen.


Foto: Greek National Opera

Dem Librettisten Yannis Svolos ist es leider nicht gelungen, das Personal der Geschichte sinnvoll zusammenzustreichen und die drei Hauptfiguren naeher zu beleuchten. Er bringt vielmehr den Schriftsteller als zusaetzliche Figur auf die Buehne und macht die zahlreichen Nebenfiguren zu einer Art von antikem Chor. Das traegt durchaus nicht zur dramatischen Intensivierung des Geschehens bei, sondern produziert einige Laengen. Man bekommt den Eindruck, dass das Ganze mehr als Schauspiel mit Musik denn als zeitgenoessisches Musiktheater gedacht ist. Die Musik von Tasos Rosopoulos vermag an diesem Eindruck wenig zu aendern. Seine Komposition bringt ein musikalisches Deklamieren auf die Buehne, das melodische Boegen nicht scheut und dabei wenig Akzentuierungen aufweist. Der Gesang klingt – gemessen an dem, was man auf westeuropaeischen Buehnen zu hoeren bekommt – nicht eben zeitgenoessisch. Progressiv ist Rosopoulos‘ Zugriff jedenfalls nicht, was sich auch beim Orchestersatz offenbart, der mittels Akkordeon und Gitarre Elemente traditioneller griechischer Musik miteinschliesst. Vom genannten Volkston abgesehen, entwickelt das Orchester kaum Eigenleben. Es begleitet die Saenger und illustriert das Geschehen. Der Musik von Tasos Rosopoulos gelingt es nicht, atmosphaerische Klangraeume zu schaffen und innere Bilder zu evozieren.

Das von Simos Kakalas auf die Buehne gebrachte Werk, praesentiert sich ein wenig symbolhaft – Karnevalsmasken, die mit dem wachsfarbenen, Tod verheissenden Gesicht Verginias korrelieren – und im Gewand der Entstehungszeit (Buehnenbild: Kenny McLellan / Kostueme: Claire Bracewell). Die Ablaeufe sind konventionell arrangiert, die Figuren gewinnen dabei kaum Tiefenschaerfe. Wenn die Saengerinnen und Saenger nicht solistisch im Einsatz sind, sitzen sie am Buehnenrand, wo sie immer wieder als Chor zu hoeren sind. Das Ergon Ensemble unter der Leitung von Nicolas Vassiliou entledigt sich seiner Aufgabe aufs Beste. Freilich haette man dem in zeitgenoessischer Musik erfahrenen Kollektiv eine bessere Komposition gewuenscht. Zu einer intensiven saengerischen Gestaltung dringt lediglich Theodora Baka als Verginia vor. Ihr wohlklingender, sicher gefuehrter Mezzosopran setzt die Hoehepunkte des Abends. Yannis Kalyvas als Nikos, Stelina Apostolopoulou als Liolia, Dionisos Tsantinis als Mimis und alle weiteren Beteiligten bieten gute Leistungen (wenn sie die Moeglichkeit erhalten, laengere Momente saengerisch zu gestalten). Die Saenger und Musiker lassen einen freilich nicht die mindere Qualitaet des Werks vergessen.

Am Schluss gibt es herzlichen Applaus und einzelne Bravorufe fuer das Ensemble.

Ingo Starz

Film: DER BODEN UNTER DEN FÜSSEN

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Filmstart: 22. März 2019
DER BODEN UNTER DEN FÜSSEN
Österreich / 2018
Drehbuch und Regie: Marie Kreutzer
Mit: Valerie Pachner, Mavie Hörbiger, Pia Hierzegger u.a.

Regisseurin Marie Kreutzer (42) hat es weder ihren Figuren noch ihrem Publikum je leicht gemacht. Von ihrem Debutfilm an wälzte sie harte Probleme – „Die Vaterlosen“ (2011) war eine schaurige Familiengeschichte. In „Gruber geht“ (2015) ging es, nicht ganz ausgeglichen, ums Sterben, „Was hat uns bloß so ruiniert“ (2016) war nur oberflächlich lustiger. Aber nun stürzt sie in „Der Boden unter den Füßen“ ihre Heldin in einen Abgrund, den mitzuerleben auch den Zuschauer beutelt.

Dabei scheint es rein äußerlich die – fast übliche – dunkle Geschichte einer Karrierefrau zu sein, die blond und bestens angezogen im Büro einen harten Positionskampf auszufechten hat. Ungeachtet dessen, dass sie mit ihrer Chefin schläft (die letzte „Liebesszene“ der beiden ist so gnadenlos, dass man sich windet), hat sie in der Unternehmensberatung, in der sie arbeitet, einen schweren Stand. Die Männer sind immer noch cooler und rücksichtsloser – und, zugeben, es ist ja auch keine schöne Arbeit, den Reichen beim Sparen zu helfen, indem man möglichst viele von ihrer Belegschaft entlässt…

Im Grunde würde das – samt vielfachem Herumreisen, in diesem Fall zwischen Wien und einem Job in Rostock – schon ausreichen, um Lola ins Burnout zu treiben. Aber Marie Kreutzer (Drehbuchautorin und intensive Regisseurin zugleich) bürdet ihr von Anfang an schier Unerträgliches auf. Lola ist am Flughafen, als ein Anruf aus der Toxikologie sie erreicht: Ihre Schwester Conny hat versucht, sich umzubringen, diesmal mit Gift, nicht zum ersten Mal. Wieder landet sie in der Psychiatrie, in die sie schubweise (mit ihrer Schizophrenie) ohnedies gehört. Wieder quält sie ihre Schwester mit Anrufen, Bitten, sie rauszuholen, Beschuldigungen gegen die gesamte Umwelt. So intensiv, dass die beruflich ohnedies hoffnungslos gestresste Lola den Boden unter den Füßen verliert… wie es der Titel sagt.

Nun klappt gar nichts mehr. Wir können ihr beim „Zerbröckeln“ zusehen. Die Beziehung zur lesbischen Geliebten, in der keine Liebe herrscht. Die Situation im Büro, die (#metoo? Schnecken!) sexuellen Zumutungen der mächtigen Männer, die einen Auftrag von einer gewissen Bereitwilligkeit abhängig machen. Und der Druck durch die Schwester, die sie nicht liebt, für sie sie sich aber verantwortlich fühlt…

Man fühlt sich mit Lola, die von Valerie Pachner nie emotional überbordend, aber nervlich überlastet glaubhaft gemacht hat, wie im spanischen Würgegalgen. Man fragt sich, was eine Frau, wie ihre Geliebte Elsie (Mavie Hörbiger kann wunderbar „böse“, rücksichtslos, unmenschlich sein) antreibt, die sich von Privatem nie in ihrem eisernen Karriereweg stören lässt. Und man leidet unter Conny (Pia Hierzegger mit gnadenloser Intensität), von der man weiß, dass sie nichts für ihr Verhalten kann, die aber imstande ist, mit ihren Forderungen und Wahnvorstellungen einen Mitmenschen – in diesem Fall die Schwester – zu zerstören.

Ohne Handlungsdetails preisgeben zu wollen (es ist kein Krimi, aber doch spannend durch die Aussichtslosigkeit der Situation), hinterlässt die Regisseurin ihre Heldin in einem Zustand totaler Ungewissheit – und man ist als Zuschauer betroffen, weil einem selbst auch nichts für Lola einfällt. Ob sie je wieder festen Boden unter den Füßen gewinnt? Man soll es nicht wissen. Marie Kreutzer hätte die Tragödie der alleinstehenden Frau in dieser Welt nicht dichter und schlimmer erdenken können.

Renate Wagner

Film: DIE GOLDFISCHE

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Filmstart: 22. März 2019
DIE GOLDFISCHE
Deutschland / 2018
Drehbuch und Regie: Alireza Golafshan
Mit: Tom Schilling, Birgit Minichmayr, Jella Haase, Maria Happel, Sybille Canonica u.a.

Früher gingen die Leute in den Narrenturm, um „Teppen“ zu schauen, und machten sich ein Freizeitvergnügen daraus. Wir können uns zu Recht nicht genug über so viel Seelenrohheit entrüsten. Und was tun wir? Wir stellen die „Teppen“ in einem Film aus, nennen es Lustspiel, geben vor, hier mit Herz und Schmerz zu arbeiten – und begehen doch nur die ultimative Geschmacklosigkeit…

Der Debutfilm von Alireza Golafshan, der aus der Münchner Filmschule kommt, hat einen griffigen Ausgangspunkt: Oliver Overrath sitzt (in Gestalt von Tom Schilling, der wirklich von Anfang bis zum Ende brillant ist – über alle Drehbucheskapaden hinweg) am Steuer seines Luxusautos, soll, Finanzberater, der er ist, bei einer wichtigen Sitzung sein. Steckt im Stau. Prescht schließlich auf die andere Spur – und bumms. Auto überschlägt sich, ihn erleben wir im Krankenbett, wo seine Model-Freundin vorbei schaut, um Adieu zu sagen. Und dann sitzt er im Rollstuhl…

Unter den vielen Unglaubwürdigkeiten des Drehbuchs fragt man sich auch, ob in einer Reha wirklich geistig normale Gelähmte mit echten Behinderten (oder „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“, wie es heute korrekt heißt) zusammen leben? Immerhin wird es voraus gesetzt. Und Oliver, der sich um kein bisschen geändert hat, der im Rollstuhl auch nichts anderes will als von seinem Laptop aus Geschäfte zu machen, kommt in die Behinderten-WG ohnedies nur auf der Suche nach dem optimalen WLAN. Denn das hat das Heim, dem unsere Maria Happel als skurrile Direktorin vorsteht, offenbar nur partiell zu bieten…

Ja, und jetzt soll man über sie lachen dürfen und sie ins Herz schließen: Da ist Franzi mit dem Down-Syndrom (Luisa Wöllisch) und ihren dringenden Wünschen nach Designermode. Da konnte sich Birgit Minichmayr für die Rolle der blinden Alkoholikerin Magda mit ausgesprochen unsympathisch-ruppigen Manieren erwärmen (man muss es ja nicht verstehen). Da gibt es „Rainman“ (Axel Stein), was natürlich als Autismus zu verstehen ist, und einen gewissen vor sich hin grinsenden Michi (Jan Henrik Stahlberg), dessen Krankheit nicht definiert wird (und alle schreiben den Pressetext ab, dass er „in seiner eigenen Welt“ lebt). Wie lustig ist das, sie in ihren Absonderlichkeiten auszustellen und ihnen bei ihrem Verhalten zuzusehen? Wie „rührend“ ist das?

Natürlich entdeckt Oliver sein Herz für diese „Goldfische“-Clique, die in Jella Haase eine patente Gutmensch-Betreuerin namens Laura und in Kida Khodr Ramadan (obzwar kurdisch-libanesischer Herkunft) als Eddy Patzke den Inbegriff eines grob-urigen türkischen Pflegers haben.

Die Grundhandlung bleibt realistisch, wenn Oliver beobachtet, wie unbeschränkt Magda im Supermarkt stehlen kann, weil niemand es wagen würde, eine Behinderte aufzuhalten oder gar nach dem Inhalt ihrer Tasche zu befragen. Und weil das deutsche Finanzamt hinter seinen Schweizer Ersparnissen her ist, spielt er sich als Big Spender auf, der seinen Goldfische-Freunden einen psychologisch wertvollen „Kamel“-Aufenthalt in der Schweiz spendiert (das wird eine klassische Esoterik-Parodie, bei welcher Sybille Canonica herrlich mitmacht).

Natürlich geht es nur darum, das Geld mit Hilfe seiner behinderten Freunde nach Deutschland zu schaffen, vorbei an den Schweizer Zöllnern, bei denen man nichts zu lachen hat – und nun überstürzen sich nicht nur die Ereignisse zu exzessiver Albernheit, nun entdeckt auch der knallharte Oliver seine weiche Seite und nimmt sich der „Goldfische“ herzlich an… man glaubt es nicht. Viel logischer erscheint, dass Eddy, der ihm beim Bunkern des Geldes aus dem Schweizer Tresor heraus helfen soll, sich plötzlich als knallharter Erpresser entpuppt…

Wenn man sieht, wie fest das Geld dann dem Rainman auf den Leib geklebt wurde, ist es nur eine Unglaubwürdigkeit mehr des so unglaubwürdigen (und kitschigen) Ganzen, dass das Geld sich bei einer Hochschaubahn-Fahrt löst und über die Menge im Rummelplatz regnet… ein Bild, angesichts dessen man nicht erstmals merkt, wie aufdringlich der Regisseur die Symbolschiene bedient.

Am Ende hat Frau Direktor Maria Happel noch eine goldene Idee, und alles wird gut, und wenn Oliver seine empörte Laura direkt vom Burger-King zurück in seine Arme holen muss… All das wurde auch von Kritikern als herzerquickendes Lustspiel bewertet. Tatsächlich ist es billiges Lachen über „Teppen“, und in der Filmographie des immer so bemerkenswerten Tom Schilling sollte man diese Mitwirkung auf kleinster Flamme kochen.

Renate Wagner

Film: DESTROYER

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Filmstart: 22. März 2019
DESTROYER
USA / 2018
Regie: Karyn Kusama
Mit: Nicole Kidman, Toby Kebbell, Jade Pettyjohn u.a.

Abgewrackte, desillusionierte, durch ihren Beruf körperlich und seelisch lädierte Polizisten gehören zum festen Typenreservoir des Kinos. Sie haben zu viel Schlimmes gesehen und wohl auch getan, unter den Tisch gekehrt und verleugnet. Meist sind es Männer. Diesmal ist es eine Frau. Und man hat sich für den Film „Destroyer“ interessiert, seit man auch nur ein Foto von Nicole Kidman als LAPD-Detective Erin Bell gesehen hat – ein fast totes Gesicht, ausgepowert, so unendlich müde. Man hört es auch – bis in die gebrochene Stimme ein Bild des Elends.

Nun ist die Kidman nicht nur eine exzellente Schauspielerin, sondern auch eine, die (ähnlich wie Meryl Strepp) Verwandlungskunststücken nicht abhold ist. Sie, die ohne Anstrengung als Grace Kelly eine der schönsten Frauen der Welt spielen konnte, hat sich einst als Virginia Woolf so verunstaltet, dass sie den „Oscar“ (2002 für „The Hours“) dafür bekam. Nun ist sie in einer Periode ihres Lebens, wo sie besonders viel spielt – und dafür sorgt, dass jede Rolle etwas komplett Neues bietet. Optisch und darstellerisch.

In diesem Film von Regisseurin Karyn Kusama geht es um Schuld und Sühne. Um eine alte Rechnung der Polizistin, die mittlerweile auch unter ihren Kollegen nur noch wie ein Gespenst herumwankt, um das sich keiner mehr kümmert. Auf der Suche nach einem bestimmten Mann namens Silas (Toby Kebbell) marschiert sie durch die Unterwelt von L.A. wie nur je ein einsamer Wolf. Es gibt nichts, was sie nicht täte: In einer Szene masturbiert sie einen Todkranken für eine Information, die sie einen Schritt näher zu Silas bringt. Sie schlägt auch zu, wenn es sein muss – auch auf eine andere Frau. Und sie bricht ohne Zögern alle Gesetze, um ihr Ziel zu erreichen. Ist das ein Leben? fragt man sich angesichts des grausamen Herumirrens.

In Rückblenden (nicht zuletzt durch geänderte Kidman-Frisuren kenntlich) gibt es Erklärungen, da sieht man, was vor 17 Jahren alles schief gelaufen ist. Und warum sie so leer geworden ist, dass es ihr egal ist, was mit ihr geschieht. Einziger Fehler der Geschichte – sie läuft zu lange gewissermaßen leer und wird erst gegen Ende dann wieder interessant.

Und da ist auch noch die familiäre Ebene, die anklagende Tochter Shelby (Jade Pettyjohn), die die Mutter so heftig ablehnt, weil sie sich angeblich nie um sie gekümmert hat – und das typische Schuldbewusstsein der Frau, die meint, in der Mutterrolle versagt zu haben. Und außerdem ist der Vater ihrer Tochter damals bei einer gemeinsamen Undercover-Aktion gegen Silas umgekommen. Und außerdem hat sie selbst damals rund um einen Bankraub ein Unrecht begangen…

So etwas kann nicht gut ausgehen, und das tut es auch nicht. Es ist eine lichtblicklos-düstere Ballade über Verbrechen, die sich von den üblichen Werken dieses Genres nur durch eines unterscheidet: Dass diesmal eine Frau im Mittelpunkt steht und so tragisch untergeht wie sonst nur Männer in dieser Welt…

Renate Wagner

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