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MADRID/ Teatro Real: LA CALISTO von Francesco Cavalli. Kurzbericht von der Premiere

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Louise Alder (Calisto) und Monica Bacelli (Diana)

MADRID: Kurzbericht LA CALISTO Premiere– am 17. März 2019

Gestern Abend fand im Teatro Real de Madrid eine weitere Saison-Premiere statt, die Barock-Oper „La Calisto“ mit einem Prolog und drei Akten des italienischenKomponisten Francesco Cavalli. Im Jahre 1651 wurde sie in Venedig uraufgeführt. Cavalli selbst saß damals am Cembalo. Die Madrider Produktion wurde nun von der Oper Köln übernommen. Das Real hat ja kein eigenes Ensemble und kauft regelmäßig Produktionen ein. David Alden ist der Regisseur, der damals unter Intendant Sir Peter Jonas in gewisser Weise der „Barock-Hausregisseur“ der Bayerischen Staatsoper war, aber auch den „Ring“ von Michael Wernecke übernahm, der während der Arbeit an der Tetralogie verstorben war.

Aldens bisweilen subtiles Regiekonzept mit beeindruckender und dem Stück vollkommen gerecht werdender Personengie in einem grellbunten Bühnenbild von Paul Steinberg und mit den dazu passenden und bisweilen überaus fantasievollen Kostümen und Allegorien von Buki Schiff sowie der Beleuchtung von Pat Collins ließen das nicht immer ganz rund laufende Stück in einem frischen und unterhaltsamen Glanz erscheinen. Bei der UA-Serie im Teatro Sant’Apollinare war vielleicht nicht zuletzt das ein Grund für den Misserfolg. Wer weiß?!


Jupiter und Merkur: Foto: Teatro Real

Der GMD von Madrid, Ivor Bolton, dirigierte mit viel Feingefühl das Ensemble Monteverdi Continuo und das Barock-Orchester von Sevilla sowie die Trompeter des Hausorchesters des Real. Unter den Sängern taten sich besonders die Titelheldin Louise Alder als Calisto, Luca Tittoto als Jupiter sowie der junge Countertenor Tim Mead hervor, gut einstudiert als Endimione, der sich am Ende mit seiner angebeteten Diana (v.a. darstellerisch gut: Monica Bacelli) auf eine platonische Liebe einlässt, bzw. einlassen muss, während Calisto von Jupiter als Sternbild Großer Wagen an den Himmel gezaubert wird („alle stelle!“)…


Louise Alder beim Schlussapplaus

Riesenapplaus im fast vollbesetzten Real besonders für Alder, Tittoto und Mead sowie für Bolton mit den Musikern. Ebenfalls starker Applaus für das Regieteam.

Weitere Aufführungen bis 26. März 2019. (Detaillierte Rezension folgt).

Klaus Billand ausMadrid


STUTTGART/ Staatsoper: DER PRINZ VON HOMBURG von Hans Werner Henze. Premiere

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Robin Adams als „Prinz von Homburg“. Foto: Wolf Silveri

Premiere „Der Prinz von Homburg“ von Hans Werner Henze am 17.3.2019 in der Staatsoper/STUTTGART

DIE MACHT DES SCHLAFWANDLERS

 Ingeborg Bachmann stellte einmal fest: „Alle Männer sind unheilbar krank„. Ihre Bearbeitung von Heinrich von Kleists Schauspiel „Der Prinz von Homburg“ ergänzt die Musik von Hans Werner Henze in idealer Weise. Der Prinz von Homburg lebt in tranceartigen Traumzuständen, die fast schon krankhaft wirken. So weiß man auch nie, wann der Prinz träumt und wann er wacht. Dadurch handelt er in der Schlacht gegen höchsten Befehl, führt sein Heer aber zu einem totalen Sieg. Im realen Albtraum wacht er jedoch auf – Befehlsverweigerern droht die Todesstrafe. Es geht laut Kimmig aber auch um ein krankes System, um Missstände, eine Wunde. Die Funktionsweise von seltsamen Systemen wird eingehend untersucht. Der Kurfürst fordert, dass derjenige, der eigenmächtig die Reiterei in die Schlacht geführt hat, vor ein Kriegsgericht gestellt und zum Tode verurteilt wird. Als der Prinz von Homburg ihm die Siegestrophäen in Form von Fahnen überbringt, lässt er ihn entwaffnen und gefangen nehmen. Zuletzt wendet sich das Blatt jedoch zum Guten: Dennoch nehmen ihn der Kurfürst (der inzwischen ein Hemd mit der Aufschrift „Freiheit“ trägt), die Kurfürstin, Natalie und alle anderen schließlich in ihre Gemeinschaft auf, nachdem der Prinz von Homburg einen Läuterungsweg gegangen ist.

Die Inszenierung von Stephan Kimmig mit dem Bühnenbild von Katja Haß und den Kostümen von Anja Rabes sowie dem Video-Design von Rebecca Riedel ist schlicht. Man sieht eine Leiter und Stahlgerüste. In dieser seltsamen und kargen Umgebung wirken die Protagonisten wie Gefangene. Sie beschmieren sich mit Blut aus Kübeln, als sie in die Schlacht ziehen müssen. Die unheilbare Krankheit der Männer nimmt hier ihren Fortgang, sie ist nicht mehr aufzuhalten. Das hat Stephan Kimmig eindrucksvoll gestaltet. Dies zeigt sich auch, als sich der Prinz in einer Art Glaskasten befindet. Ihre Stärke besitzt diese Inszenierung nicht so sehr durch die Macht der Bühnenbilder, sondern eher hinsichtlich einer überaus konzentrierten Personenführung, die der Musik in die Hände spielt. Immer wieder fällt ein „eiserner Vorhang“ herab, der die Figuren und den Raum in seltsam-surrealistischen Sequenzen beleuchtet und reflektiert. Die Video-Arbeit ist hier gelungen. Ebenso wird der Macht des Schlafwandelns breiten Raum eingeräumt. Man hätte sich dabei zuweilen eine noch konsequentere szenische Weiterentwicklung gewünscht. Zuletzt wird das Publikum dann von großartigen Bildern überrascht, wenn die Protagonisten mit Spruchbändern ihre Forderungen postulieren: „Freiheit“, „Welt“, „Wir“. Es ist eine Freiheit, wie sie laut Ingeborg Bachmann noch nie in einem Staatswesen umgesetzt worden ist. Bei diesen zentralen Passagen erfüllt diese Inszenierung ihren tieferen Sinn, besitzt sie eine klare und unmittelbare Aussage. Es ist eine Feier für den Freimut.

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Foto: Wolf Silveri

Herausragend ist die musikalische Interpretation des Werkes durch den sensibel agierenden Dirigenten Cornelius Meister und das von ihm mit glühender Intensität geleitete Staatsorchester Stuttgart. Knappe musikalische Formulierungen korrespondieren dabei mit einem differenzierten kontrapunktischen Element, das sich insbesondere in der Gefängnisszene offenbart. Da entzündet sich das harmonische Geschehen in feurigen Funken, die melodische Sprache redet gleichsam mit tausend Zungen. Gerade die kammermusikalische Orchesterbehandlung gelingt Cornelius Meister dabei ganz ausgezeichnet. Mit seinem hohen Bariton imponiert hier Robin Adams als Prinz von Homburg, der den kunstvollen gesanglichen Figurationen von Henze immer wieder neue Nuancen abgewinnt. Stefan Margita gestaltet den Kurfürsten mit seinem ausgeprägten Heldentenor sehr voluminös und intensiv. Zwölftontechnik und serielle Arbeit korrespondieren dabei mit an Donizetti und Bellini geschulten Belcanto-Techniken, die sich überaus kunstvoll verdichten. Die Schlachtmusik im zweiten Akt gerät zu einer Musik wie in einer Hexenküche, die Zwölftonreihe zeigt erstaunliche Klangfarben und Facetten. Vieles klingt aber auch freitonal, brachial und kraftvoll. Der Prinz von Homburg gestaltet außerdem Glissando-Passagen ausdrucksstark, Flöte und Bratsche begleiten die Gesangsstimme mit filigranem Glanz. Unisono- und Ostinato-Passagen geben dem Ganzen einen brodelnden Untergrund, der sich auch auf die übrigen Gesangsstimmen überträgt. Hier imponieren neben Helene Schneiderman als voluminöser und leidenschaftlicher Kurfürstin vor allem Vera-Lotte Böcker als ungemein höhensichere Prinzessin Natalie von Oranien, Michael Ebbecke als markanter Feldmarschall Dörfling, Friedemann Röhlig als robuster Oberst Kottwitz und Moritz Kallenberg als prägnanter Graf Hohenzollern.


Robin Adams, Vera Lotte Böcker. Foto: Wolf Silveri

Außerdem ergänzen sich Mingjie Lei als erster Offizier, Pawel Konik als zweiter Offizier, Michael Nagl als dritter Offizier, Catriona Smith als erste Hofdame, Anna Werle als zweite Hofdame, Stine Marie Fischer als dritte Hofdame und Johannes Kammler als Wachtmeister gesanglich nahezu optimal. Insgesamt kann man bei dieser Produktion jedoch sagen, dass das musikalische Geschehen hier noch mehr überzeugt als das szenische. Denn es gelingt Cornelius Meister zusammen mit dem exzellent musizierenden Staatsorchester, die harmonische Feingliedrigkeit dieser Partitur ausgezeichnet zu beschwören. Die stählerne leere Quinte zu Beginn der Oper ergänzt den szenischen komplexen Entwurf treffsicher. Die Quinte und das Intervall der kleinen Sexte verdeutlichen dabei die Staatsräson, wobei Meister den geradezu virtuosen Umgang Henzes mit der Zwölftontechnik hervorragend verdeutlicht. Strenge Verfahren werden hierbei mit frei-tonaler Harmonik und Melodik kombiniert. Variationstechniken wie die der Passacaglia begleiten die kunstvoll verschränkten Handlungen in geradezu verblüffender Weise. Die zwölftönigen Passacaglia-Bässe wirken dabei geradezu unheimlich und fast magisch. Den leidenschaftlich-enthusiastischen Fortuna-Monolog des Prinzen von Homburg am Ende der zweiten Szene gestaltet Robin Adams mit wild-glühender Emphase. Hämmernde pianistische Doppelgriffe sowie Ordinario-Flageolett-Doppelgriffe der Streicher mit Tremolo-Effekten ergänzen den klanglichen Fluss mit bemerkenswerter Intensität. Immer wieder bricht hier aber auch die Inspiration des Melodikers Henze durch, der in der Lage ist, das Orchester zu gewaltigen dynamischen Steigerungen zu führen – wie dies beispielsweise auch bei seiner Oper „Die Bassariden“ der Fall ist. Melos und harmonische Struktur ergänzen sich vor allem bei den Sängerinnen und Sängern optimal. Für die artifiziellen Satztechniken hat Cornelius Meister als Dirigent einen besonderen Sinn, hier lässt er den Gesangssolisten auch immer wieder genügend Freiraum. Mit seiner unglaublichen Verzahnung kompliziertester Strukturen fesselt der gewaltige Klangapparat den Zuhörer. Selbst klangliche Homogenität, romantischer Impetus und traditionelle Metrik werden nicht verleugnet.

Großer Schlussjubel.  

Alexander Walther

WIEN/ Volksoper/ Staatsballett: ROMÉO ET JULIETTE. Wiederaufnahme

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Foto: Ashley Taylor/ Wiener Staatsballett

Volksoper, 17.3.2019: Wiederaufnahme des Balletts „Roméo et Juliette“ – ein Markenartikel von Shakespeares Gnaden

Es ist eine eigenartige dramaturgische Kombination, keineswegs eine künstlerisch geglückte:

Nr. 1.: „The Tragedy of Romeo und Juliet“ von William Shakespeare, 1595 in London geschaffen und seitdem ein weltweit bestens verkaufbarer Markenartikel für alle Schauspielhäuser.

Nr.2.: „Roméo et Juliette“, von Hector Berlioz als ‚Symphonie dramatique“ mit Chor, drei Gesangssolisten und großem Orchester frei nach Shakespeares literarischer Vorlage als ein originäres Monstrum komponiert und erfolgreich 1839 im Pariser Conservatoire zur Uraufführung gebracht.

Nr.3.: „Berlioz ist wunderschön“, äußerte sich der Mailänder Choreograph Davide Bombana zu dem Auftrag, für das Wiener Staatsballett diese Mixtur aus Liebesdrama und Chorsymphonie als vertanzte Nacherzählung zu gestalten. Vorige Saison wurde dieser Ballettabend – mit Chor und Gesangssolisten neben den Tänzern auf der Bühne – erstmals präsentiert, und bei der Wiederaufnahme sind nun alternierende Besetzungen zu sehen.

Diese überdimensionierte ‚Symphonie dramatique‘ in der Volksoper: Anständig musiziert vom Orchester unter Gerrit Prießnitz, bemüht gesungen von Chor und den Solisten, sehr feinfühlig getanzt von Maria Yakovleva und Arne Vandervelde (Rollendebüt) und den Tänzern dieser Abteilung des Wiener Staatsballetts, welche in der Volksoper ihre Probestätte haben. Die modernistische Ausstattung von rosalie kann so gut wie zu allem oder zu nichts passen. Folgt man der Choreographie, so bietet Bombana ein wendiges, sehr geschmeidiges tänzerisches Allerlei in einer schon länger anhaltenden aktuellen Tanzmode mit all deren zu Manier gewordenen Ingredienzien. Wohl den vorgegebenen Stimmungsbildern angepasst und um Poesie bemüht, doch der ganze choreographisch Ablauf hat sein Eigenleben, ohne auf die noblen, wiederholt sehr originellen Details dieser hochromantischen Musik einzugehen. Der ganze motorische Bewegungsfluss wirkt über die Musik gestülpt. Und, ebenfalls ein großes Problem: Berlioz gibt stets ausschweifende musikalische Perioden vor, lässt die Solisten lange, überlange Sequenzen singen – und dann versagt die Einfallskraft des Choreographen.

Ketevan Papava als sich windende spinnenartige Königin Mab, Zsolt Török als pathetischer Pater Lorenzo, Alexander Kaden (Mercutio), Martin Winter (Tybalt), Gleb Shilov (Benvolio) sowie die Gesangssolisten Martina Mikelic, Mehrzad Montazeri und Andreas Daum haben das Publikum jedenfalls ansprechen können. Shakespeares Vorlage ist nun einmal ein merkantil wertvoller Markenartikel.

 

Meinhard Rüdenauer  

 

DORTMUND/ Konzerthaus: ELEKTRA – konzertant

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Konzerthaus Dortmund. Elektra. hr-Sinfonieorchester Frankfurt mit Dirigent Andrés Orozco-Estrada und Elena Pankratova als Elektra. © Pascal Amos Rest

Dortmund Konzerthaus – R. Strauss Elektra – konzertant

grandioses Opernerlebnis am 17. März 2019

 In seiner Elektra folgte Textdichter Hugo von Hofmannsthal weitgehend klassisch-griechischen Vorbildern, etwa Sophokles, darin, daß die Bühne oft nur eine Fassade oder einen Innenhof etwa eines Palastes darstellt und die dramatische Handlung wie Kampf, Hysterie und Mord nicht auf der Bühne dargestellt sondern zum grossen Teil in Monologen und Zwiegesprächen erzählt wird. Dadurch eignet sich diese Tragödie in einem Aufzuge  gut für eine konzertante Aufführung, in der abstruse Regiemätzchen  nicht die grausame schauerliche Handlung verfälschen oder abmildern können.

Auf der anderen Seite wird insbesondere für die Sängerinnen die Aufgabe noch schwieriger, gegen das  auf der Bühne platzierte Riesenorchester ansingen zu müssen. Erfand doch bekanntlich Richard Strauss anstelle des bei Sophokles die Handlung kommentierenden Chores  einen gewaltigen Orchestersatz mit  mehr aus vierzig dann noch variierten Motiven, das alles in kühnster Instrumentation und Harmonik. Weiter erschwerend kam  vor allem für die drei grossen Frauen- Gesangspartien hinzu, daß gerade zwei Tage zuvor in derselben Besetzung auch mit dem hr-Sinfonieorchester unter der Leitung von Andrés Orozco-Estrada Elektra  in der Alten Oper Frankfurt –  vom Hessischen Rundfunk übertragen  – aufgeführt worden war.

Trotzdem geriet die Aufführung vor allem dank dieser drei zu einem grandiosen Opernerlebnis.

Für die Titelpartie verfügte Elena Pankratova  über die Riesenstimme, wie Strauss sie sich wohl für die allerhochdramatischste Sängerin vorgestellt hat. Ohne Schärfe  und falsches Vibrato überstrahlten ihre Spitzentöne das Riesenorchester –  hier sei als Beispiel das hohe c im ersten Monolog bei königliche Siegestänze genannt – begleitet auch von entsprechender Gestik. Im Rahmen des grossen Stimmumfangs ihrer Partie traf sie  auch  die tiefen Töne und war soweit überhaupt möglich textverständlich. Dazu gelang es ihr, die Stimmfärbung der jeweiligen Gefühlslage anzupassen etwa Ironie auszudrücken beim Gespräch mit ihrer Mutter oder Aegisth. Sie konnte die Stimme auf kantable Legatobögen zurücknehmen, etwa,  als sie ihrer Schwester Hilfe beim Eheglück versprach, oder  bei den  Orest-Rufen der Wiedererkennungsszene endend mit deutlichem Crescendo beim  dritten Mal – zum Weinen schön!.

Wie man nur mit stimmlichen und gestischen Mitteln  ganz ohne Bühne einen hier psychisch abartigen Charakter vollendet darstellen kann, zeigte Michaela Schuster als Klytämnestra. Notengenau, textverständlich und in ausgereiftem Spiel besang sie ihre geistige Zerrüttung, ihre verzweifelte Suche nach Linderung auch durch die verhaßte Tochter, ihren psychischen Zusammenbruch bei Ankündigung der Rache durch Orest und schließlich den Triumph bei Nachricht von dessen vermeintlichem Tod.. Als Bespiele seien genannt der lange p-Ton bei   was ist denn ein Hauch? oder ihr verzweifeltes  zerfallen wachen Sinnes wie ein Kleid zerfressen von den Motten?

Wohl eher kurzfristig übernahm Allison Oakes  –  darin MET-erfahren  – die sympathische Rolle von Elektra´s Schwester Chrysothemis. Da in dieser Aufführung das Orchester manchmal zu laut für ihre Stimme tönte, mußte sie dann forcieren. Sehr schön geriet ihr bei Darstellung der Freuden des normalen Frauenlebens die Vokalise auf Weiberschicksal.

Für den Orest war Michael Volle eine  Luxusbesetzung.  Völlig textverständlich brachte er mit klangvollem  Bariton die Ergriffenheit beim Wiedersehen mit Elektra, die Entschlossenheit  zum und auch den Schauder vor dem Muttermord zum Ausdruck. Sein Duett mit Elektra geriet so zu einem Höhepunkt des Abends.

Luxusbesetzung war auch Michael  Schade in der kurzen Rolle des Aegisth. Mit helltimbriertem Tenor machte er stimmlich und auch darstellerisch den selbstverliebten eingebildeten Charakter der Figur deutlich.

Die vielen Nebenrollen wurden passend gesungen, wobei unter den Mägden Mandy Fredrich als fünfte und Elektra in Schutz nehmende Magd mit langem g auf königlich besonders punkten konnte. Alle Sängerinnen und Sänger der Nebenrollen wirkten hinter der Bühne bei den Orest-Rufen als Schlußchor mit.

Wenn in der Werbung für die Veranstaltung zu lesen war, für  Andrés Orozco-Estrada und sein (?) hr- Sinfonieorchester sei es ein besonderes Vergnügen, sich mit einer konzertanten Oper austoben zu dürfen, war man betreffend Lautstärke des Orchesters etwas skeptisch.  Das war zum grossen Teil unnötig, denn  Dirigent und Orchester versuchten soweit bei der Partitur überhaupt möglich insbesondere die Stimmen der Sängerinnen nicht übermässig zu strapazieren. Dabei half, was man sonst kaum hört, aber  bei einer konzertanten Aufführung zu sehen war, daß Richard Strauss etwa die 24 Geigen und 18 Bratschen in drei Gruppen eingeteilt hat, von denen teils nur eine oder zwei Gruppen spielen. In den Zwischenspielen konnten dann Instrumente solistisch und das Orchester insgesamt ihr Können zeigen, also hier sich austoben! Das galt für die lautmalerischen Abschnitte etwa mit dem Klang der Rute in der Szene der Mägde, dem Klirren der Talismane am Kleid Klytämnestras oder Elektras Graben nach dem Beil. Motivisch war die Vorherrschaft des Agamemmnon-Motivs immer deutlich und dann ganz schneidend zum Schluß zu hören. In der Erkennungsszene klangen Wagner-Tuben zu Orests erstem Auftritt und später die Trompeten mit dem Erkennungsthema wunderbar  rund und kantabel.

Richard Strauss schreibt die Tempoangaben häufig auf Deutsch, italienisch und als Metronom-Zahl. Soweit zu hören  war hielt sich  Andrés Orozco-Estrada  in etwa daran. Beim grossen Schlußduett zwischen Elektra und Chrysothemis steigerte er Tempo und mit weniger Rücksicht auf die Sängerinnen die Lautstärke enorm. Elektras ekstatischer Schlußtanz war dann rhythmisch exakt  (marcatissimo  schreibt Strauss)  nochmals eine gewaltige Steigerung bis hin zu den beiden fff-Schlußakkorden.

Darauf konnte das Publikum nur mit fast schon hysterischem Applaus  und Bravogeschrei reagieren, besonders natürlich  für die Darstellerinnen der  Hauptrollen, den Dirigenten und das Orchester.

Sigi Brockmann 18. März 2019

 

 

WIEN / Staatsoper DON GIOVANNI von W.A.Mozart

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Peter Mattei als Giovanni Foto: M.Pöhn

Porträts höchst widersprüchlicher Charaktere
In der Wiener Staatsoper ging eine Serie von Mozarts DON GIOVANNI mit der
56. Aufführung in der Inszenierung von Jean Louis Martinoty zu Ende

Sonntag, 17. März 2019                                                                           Von Manfred A. Schmid

 

Wer sich „an die Donna Anna wagt,“ dozierte der unerbittliche Eduard Hanslick im Jahre 1855, „muss der strengsten Anforderungen gewärtig sein. Wir verlangen überwältigende Leidenschaft und Größe, Genialität beinahe.“ Kein Wunder, dass die damit konfrontierte Adressatin – eine gewisse Frau Tietjens – diese Gaben nur zum Teil erfüllen konnte. Ausnahmesängerinnen dieses Kalibers gibt es eben nicht alle Tage. Das gilt auch für Olga Peretytko, die für die Gestaltung dieser Partie allerdings stimmlich und darstellerisch viel von dem mitbringt, was laut Hanslick Voraussetzung für eine gelungene Donna Anna darstellt: Stärke im Ausdruck und gesanglich große Bögen, die Koloraturen gelingen ihr mühelos, ihr Stimmumfang ist der Aufgabe angemessen und wird – anders als in der Lucia vor wenigen Wochen – nie bis zur Grenze ausgereizt. Die Ambiguität in ihren Beziehungen zum Verführer und mutmaßlichen Vergewaltiger Don Giovanni und zu ihrem Bräutigam Don Ottavio tritt klar zutage und bleibt bis zum Ende rätselhaft. Damit gelingt Peretyatko die Zeichnung einer komplexen, nie ganz durchschaubaren Figur. Und das macht den Reiz dieser von Da Ponte geschaffenen und von Mozart in ihrer seelischen Tiefe ausgeloteten Figur aus: Sie bleibt in ihrem Schmerz, in ihrer Leidenschaft und in ihrer Liebe bis zuletzt unfasslich.

Olga Peretyatko -Donna Anna im Zweifel ihrer Gefühle Foto M.Pöhn

Das gilt auch für ihre Leidensgenossin Donna Elvira, die von Don Giovanni schwer enttäuscht und zutiefst verletzt worden ist und dennoch weiter an ihm hängt und nicht von ihm lassen kann. Veronique Gens hat in dieser Partie bereits vor zwanzig Jahren unter Claudio Abbado auf sich als Mozart-Sängerin bei Festival von Aix-en-Provence aufmerksam gemacht. Ihrem Spiel merkt man die intensive Auseinandersetzung mit dieser Figur an, manche Spitzentöne verraten aber bereits einen scharfen Klang. Dennoch liefert sie insgesamt eine packende Donna Elivra, die unbeirrt und wider besseren Wissens einem mutwillig Treulosen bis zu dessen schauriger Höllenfahrt die Treue hält.

Der Mittelpunkt in diesem Wirrwar aus erotischen Abenteuern, mit Gewalt gespickten Verführungen  und erträumten Dauer-Beziehungen ist natürlich Don Giovanni. Peter Mattei bewältigt die Titelpartie gesanglich gut, nur die Champagner-Arie klingt etwas zu salopp – um nicht zu sagen: schlampig – vorgetragen. Dafür gelingt sein von der Mandoline auf der Bühne begleitete Ständchen „Deh, vieni alla finestra“ zum Niederknien schön. Darstellerisch ist Mattei sehr präsent und weiß als kühner, verstörender wie faszinierender Freigeist die ihn über den Weg laufenden Frauen zu betören und das Publikum zu begeistern.

Adam Plachetka in der Dienerrolle    Foto M.Pöhn

Die Rolle von Don Giovannis Diener Leporello, der seinen Herrn bewundert, davon träumt, auch einmal ein Herr zu sein, und der – in dieser vor allem ob des abscheulichen Bühnenbilds von Hans Schavernoch viel gescholtenen Inszenierung von Jean-Louis Martinoty – bereits viel von seinem Herrn abgeschaut hat (vor allem die schlechten Angewohnheiten im Umgang mit Frauen) bereitet Adam Plachetka offensichtlich viel Freude. Die Registerarie trägt er nicht ohne Bewunderung für seinen Herrn und auch mit einer Prise Neid vor, in den komischen Episoden kann er mit viel körperlichem Einsatz punkten.

Der Don Ottavio von Jinxu Xiahou liefert eine gediegene Leistung und weckt mit seiner hellen, gefühlvollen Tenorstimme Erinnerungen an Michael Schade. Don Ottavio ist hier kein Held. Er zückt zwar mehrmals das Schwert – oder vielmehr die Pistole, aber zur Aktion reicht es nie. Da ruft er doch lieber die Gerichte an. Darstellerisch hätte der ursprünglich in dieser Partie vorgesehene Rolando Villazon vermutlich für mehr Aufsehen gesorgt, aber gesanglich möchte man ihn sich lieber nicht mehr vorstellen. Da ist man mit dem bewährten Ensemblemitglied bestimmt besser bedient.

Daniela Fally ist eine entzückende Zerlina, die sich gesanglich – gemäß ihrer Rolle – stark zurücknimmt und ein naives Bauernmädchen spielt, das angesichts der eindeutigen Avancen ihres Herrn in zunehmende Verwirrung gerät. Ihr Bräutigam Masetto gibt dem vielseitigen Peter Kellner Gelegenheit, seine darstellerische Begabung und einen prächtigen Kavaliersbariton zur Schau zu stellen. Das noch junge Ensemblemitglied wächst mit jedem Einsatz. Man darf auf Kellners weitere Entwicklung gespannt sein.

Der Auftritt des Commendatore von Dan Paul Dumitrescu bei Don Giovannis Höllenfahrt fällt eher harmlos aus. Gar nicht harmlos, auch nicht routiniert, sondern höchst vital und zündend ist die musikalische Gestaltung des Abends durch Antonello Manacorda am Pult des Staatsopernorchesters. Namentliche Erwähnung verdient auch Stephen Hopkins am Hammerklavier für die animierte Begleitung der Rezitative. Insgesamt ein erfreulicher Opernabend, der aus dem Alltag der Repertoirevorstellungen hervorragt und zu Recht eifrig beklatscht wird.

Manfred A.Schmid
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GENF/ Grand Théâtre de Genève: GÖTTERDÄMMERUNG

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Markus Weinius (Siegfried) und die Rheintöchter Woglinde Polina Pastirchak, Wellgunde Carine Séchaye und Flosshilde Ahlima Mhamdi. Foto: Grand Théâtre de Genève /Carole Parodi

Götterdämmerung im Grand Théâtre de Genève vom 17.03.2019

Im Ring der Nibelungen erzählt Richard Wagner seine eigene Geschichte, indem er Handlungselemente und Personen der germanischen Liedersammlung Edda und dem Nibelungenlied verwendet und sein eigenes Abenteuer entwickelt. Er erfand eine Welt von einem Herrscher, der an seinem Machtbegehren zu Grunde geht, Kampf zwischen Mächtigen, welche die Welt knechten wollen und Sehnsüchtigen, die Liebe und Freiheit verwirklichen möchten. Am Ende bleibt alles unentschieden, weil die Mächtigen Fallen und die Liebe und Freiheit verloren geht.

Atemberaubende Regie in harmonischen, in sich geschlossenen Bildern

Als sich beim Rheingold der Vorhang erhob war die Bühne leer und als der Vorhang in der Götterdämmerung fiel, war die Bühne erneut leer. Die Geschichte hat sich somit in sich selber geschlossen. Aus dem Nichts ist diese Traumwelt entstanden und im Nichts ist sie vergangen.

Jürgen Rose und Dieter Dorn haben mit ihrem grossen Theaterkönnen ein Meisterwerk vollbracht, schlüssig, in sich geschlossen bis zum letzten Ton ist diese Inszenierung und das Bühnenbild.

Brünnhilde nimmt Grane in die Arme, liebkost ihn ein letztes Mal und wirft sich ins Feuer, hin zu ihrem geliebten Siegfried, der Held, der durch die Machtgelüste Hagens getötet wurde. Hagen, der am Schluss doch nicht im Besitz des so sehr begehrten Goldes wurde, fällt selbst zum Opfer und das glänzende Metall geht zurück an die Rheintöchter. Selten hat man soviel Harmonie verspürt, selten hat sich die Musik leichter angehört und selten waren die Stimmen schöner als in dieser Ringaufführung. Hier wurde tolles vollbracht. Dem Regieteam, den Musikern, dem Dirigenten, den Sängerinnen und Sänger, den mythischen nordischen Göttern und Richard Wagner sie gedankt!

Eine Traumbesetzung das sich sehen lässt


Petra Lang (Brünnhilde) und Markus Weinius (Siegfried, aufbebahrt). Foto: Grand Théâtre de Genève /Carole Parodi

Siegfried wird wieder von Markus Weinius dargestellt, hervorragend und unermüdlich bis zum Schluss. Die glanzvolle Petra Lang die alle drei Brünnhilde in diesem Genfer Ring Zyklus gesungen hat gebührt alle Ehre und grossen Respekt. Sie besitzt eine kraftvolle, betörend sichere Stimme und meistert die enorm schwierige Partie mühelos. Eine Luxusbesetzung ist Agneta Eichenholz als Gutrune. Mark Stone als Gunther, Tom Fox als Alberich und Jeremy Milner als finsterer Hagen sind exzellent. Sehr fein auch Michelle Breedt als Waltraute. Die Nornen, erste Norne Wiebke Lehmkuhl, zweite Norne Roswitha Christine Müller, dritte Norne Karen Foster und die Rheintöchter Woglinde Polina Pastirchak, Wellgunde Carine Séchaye und Flosshilde Ahlima Mhamdi fügen sich hier mitsamt dem bestens aufgelegten Chor in einen musikalisch grossen Abend.

Das Orchestre de la Suisse Romande unter der fabelhaften Leitung von Georg Fritzsch präsentiert sich im ersten Aufzug sehr konsequent. Die Blechbläser sind gross, die Tuba pulsieren den ganzen Abend in schönster Pracht und die Kontrabässe harmonieren glanzvoll.

Im zweiten Akt ist das Orchester immer noch in bester Form. Das Blech und die Hörner spielen sauber, auch im dritten Aufzug. In diesem finalen Aufzug erklingen die über den Abend begeisternden Kontrabässe hervorragend präzise. Insgesamt ist die Leistung des Orchesters unter ihrem Maestro sehr stark, ein riesiger Glücksfall für Genf.

Bis zum überwältigenden Schluss ist das Orchester präzise, kraftvoll und enorm präsent. Die subtile und sublime Genauigkeit in der Musik ist mehr als nur berührend. Die Streicher sind hervorragend. So schön kann ein Ende sein!

 

WIEN / Leopold Museum: WIEN 1900

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WIEN / Leopold Museum:
WIEN 1900 – AUFBRUCH IN DIE MODERNE
Neue Dauerausstellung auf drei Etagen
Ab 16. März 2019

Das Museum innerhalb des Museums

 
Fotos: Wesemann

Vor nicht allzu langer Zeit hatte das Leopold Museum auf seinem vierten Stock eine Kostbarkeit zu bieten: eine Überblicksschau zum Thema „Wien um 1900“, die ihresgleichen suchte. Dann musste die Präsentation der „Wow!“-Heidi-Horten-Sammlung weichen. Nun aber ist „Wien 1900“ als Dauerausstellung wieder da. Räumlich und thematisch breiter auf gestellt als zuerst. Man widmet dem Thema drei Stockwerke mit 1300 (!!!) Objekten: Das ist fast zu einem „Museum im Museum“ geworden. Und das Haus besitzt glücklicherweise noch genügend Raum für weitere Ausstellungspräsentationen.

Von Heiner Wesemann

Wien 1900 Aufbruch in die Moderne     Wahrscheinlich hat es Mitte der achtziger Jahre mit „Traum und Wirklichkeit“ so richtig begonnen: Der Traum vom Fin de Siècle. Hans Hollein hatte für eine Ausstellung des Wien Museums das Künstlerhaus in einen Feenpalast verwandelt. Das ganze Klimt’sche Gold schien sich auf die Epoche zu ergießen. Jugendstil und Secession wurden zum Export-Schlager und zu Quotengiganten bei Auktionen. Angesichts düsterer Epochen österreichischer Geschichte hatte man einen positiven Identifikationspunkt gefunden. Und tatsächlich kann man auch heute, aus der Distanz von mehr als einem Jahrhundert, nur Bewunderung für eine Welt hegen, in der „Kunst“ in jeder Form das Leben durchdrang.

 

Das Vorher und das Nachher     Das Leopold Museum lebt von der kenntnisreichen Sammelleidenschaft seines Gründers, Dr. Rudolf Leopold. Wollte man sich nur auf Jugendstil, Klimt, Schiele und die mit ihnen assoziierte „Wiener Werkstätte“ beschränken, man könnte ganze Ausstellungen füllen. (Und hat es schon getan.) Direktor Hans-Peter Wipplinger aber wollte ein in jeder Hinsicht breites Bild entwerfen. Vorgeschichte und Nachwirkungen gehören logisch dazu. Darum wird, mit roten Vorhängen für Makart, zuerst der Historismus beschworen. Schließlich ist vieles im Widerstand gegen diese Welt bedenkenloser Opulenz entstanden. Und auch darum führt man die Entwicklung nach 1918 weiter. Das Ende des Habsburger Reichs bedeutete einen politischen, gesellschaftlichen und ideologischen Bruch, den die Kunst mit trug. Es ist also viel zu erzählen in dieser Ausstellung.

 

Eine Welt von Geist durchdrungen   Wie kann man sich den Aufschwung des „Wien um 1900“ erklären? Mit der wirtschaftlichen Potenz der Habsburger Monarchie? Mit der zweifellos vorhandenen Liberalität, auch der jüdischen Bevölkerung gegenüber? Juden waren nicht nur, in ihrer Kernkompetenz, Ärzte, Anwälte und Bankiers, sie waren Musiker (Mahler), Wissenschaftler (Freud), Dichter (Schnitzler), eigentlich zum geringsten Teil Maler (Oppenheimer). Die „Traumdeutung“ von Sigmund Freud und der innere Monolog „Leutnant Gustl“ von Arthur Schnitzler erschienen im Jahr 1900 – Werke, die nicht nur Erregungen nach sich zogen, sondern auch Meilensteine waren. Eine eigene Wand listet die Prominenten der Zeit auf, eine stolze Sammlung großer Persönlichkeiten. Die Frauen werden nicht vergessen.

Alles ist Kunst    Das Verständnis, dass „alles“ Kunst sei, ist in diesem „Wien 1900“ fest verankert. Die Secessionisten malten, zeichneten, sie bauten, sie gestalteten den Alltag, sie schufen Plakate, die Kunst für jedermann auf die Straße brachte. Ihre Zeitschriften waren Kunstwerke, ebenso ihre Möbel, ihr Geschirr. Die Wiener Werkstätte postulierte die Schönheit für jeden Gegenstand. Die Mode befreite sich von Fesseln wie andere Künste auch. Und für alles gibt es Beispiele in der Riesen-Schau des Leopold Museums.

Ein Spaziergang durch die Vergangenheit    Die Gestaltung ist nobel, großzügig, kombiniert Gemälde mit Skulptur, „baut“ Räume. Wieder einmal ist ein Zimmer aus Gustav Klimts Wohnung zu sehen. Kolo Mosers prächtige Möbel kommen zur Geltung. Die Frauen erhalten viel Raum, die Schwestern Wiesenthal für ihren Tanz, Emilie Flöge für ihre Mode. Hoch elegant sind in stilsicheren Vitrinen die kostbaren „Gebrauchsgegenstände“ der Wiener Werkstätte ausgestellt. Und natürlich kann das Leopold Museum seine ganzen Schätze – darunter seine Gerstl-Sammlung – als Atout auf den Tisch legen (bzw. an die Wände hängen). Aber es gibt auch Fotodokumente, manche imaginieren wandfüllend eine Welt wie jene des Kaffeehauses. Erläuternde Texte arbeiten für den Besucher unaufdringlich mit.

Fazit       Als man „Wien 1900“ vor dreieinhalb Jahrzehnten neu „entdeckte“, war es ein Ausstellungs-Glanzstück. Heute, nach allem, was wir dazu wissen, zusammengetragen in der Dauerausstellung des Leopold Museums, ist es unser Besitz. „Wien 1900“ hat hier eine international bedeutende Pilgerstätte gewonnen.

Öffnungszeiten
Täglich außer Dienstag: 10 bis 18 Uhr
Donnerstag: 10 bis 21 Uhr
Juni, Juli, August: täglich geöffnet!

WIEN/ Staatsoper: CAVALLERIA RUSTICANA/ PAGLIACCI (3. Vorstellung)

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Elina Garanca, Zoryana Kushpler. Foto: Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper

CAVALLERIA RUSTICANA -PAGLIACCI – Wiener Staatsoper, 18.3.2019

(Heinrich Schramm-Schiessl)

Wie oft ist man in den letzten Jahrzehnten, wenn dieser „Opernzwilling“ am Programm stand, eigentlich nur wegen des zweiten Werkes ins Haus gegangen. An diesem Abend war es anders, da ging man wegen der „Cavalleria“ und zwar weil Elina Garanca endlich auch in Wien die Santuzza sang. Und wie sie sie sang. Sie hat hier zweifelsohne eine neue Traumpartie gefunden. Natürlich, sie ist kein typischer italienischer Mezzo, wie wir sie kennen und schätzen, aber es gelingt ihr dank ihrer Technik und ihrer auch stimmlich gestalterischen Fähigkeiten ein völlig neues, aber nicht minder faszinierendes Rollenbild zu entwickeln. Ihre Stärken sind ihre wunderbare, mittlerweile dunkler gewordene Mittellage und die strahlenden Höhen. Ihre Santuzza ist von Beginn an in sich gekehrt und einigermaßen angsterfüllt, so als würde sie das letale Ende schon ahnen. Da ist es nur folgerichtig, dass sie das „A te la mala Pasqua“ nicht herausschreit – was übrigens heute fast keine Sängerin mehr macht – sondern fast wie beschwörend singt. Schon die „Preghiera“ zu Beginn singt sie mit wunderschön fliessender Stimme und das „Voi lo sapete“ rührt zutiefst. In der Szene mit Alfio spürt man dann sofort, wie sie bereut, dass sie ihm die Wahrheit über Turiddu und seine Frau gesagt hat. Eine ganz grosse Leistung.

Leider schaut es um sie herum traurig aus. Yonghoon Lee, dessen „Siciliana“ schlimmes befürchten liess, erfing sich zwar rasch, aber das war es dann auch schon. Er verfügt zwar über eine intakte Höhe, aber kennt eigentlich nur eine Lautstärke. Differenzierung ist seine Sache nicht und auch das Timbre ist ziemlich uninteressant. Paolo Rumetz ist sicher ein wertvolles Ensemblemitglied, aber mit dem Alfio erweist er sich keinen guten Dienst. Er hat leider wenig Durchschlagskraft – das Auftrittslied verschenkt er nahezu komplett – und er wirkt weder stimmlich noch darstellerisch wirklich bedrohlich. Zoryana Kushpler fehlt es als Lucia leider an Persönlichkeit. Stimmlich kann man zufrieden sein. Svetlina Stoyanova gibt als Lola eine Talentprobe ab.


Marina Rebeka (Nedda), Igor Onishenko (Silvio). Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Auch im zweiten Teil des Abends hinterlässt die weibliche Hauptrolle den besten Eindruck. Marina Rebeka, sicher eine der wichtigsten Soprane unserer Zeit, ist stimmlich leider schon über die Nedda hinaus. Das merkt man besonders im Vogellied, wo es leider an Leichtigkeit fehlt. Die Szene mit Silvio und vor allen Dingen das Finale liegt ihr dann wesentlich besser und kann sie hier ihre Stärken ausspielen. Darstellerisch gefällt sie durchaus. Ihr am nächsten kommt George Petean als Tonio. Er überzeugt durchaus mit dem Prolog, ohne jedoch die Brillanz zu zeigen, die man schon gehört hat. In jedem Fall ist er hier besser aufgehoben als bei Donizetti. Den Rest des Abends ist er zufriedenstellend und gelingt es ihm, den miesen Charakter der Rolle glaubhaft zu machen. Wirklich nicht glücklich wurde man an diesem Abend mit Fabio Sartori als Canio. Dass er nicht unbedingt über eine Qualitätsstimme verfügt, weiss man, aber er singt den ganzen Abend über gleichförmig, ohne irgendwelche Akzente zu setzen. Dazu kommt ein phlegmatisches Spiel, wie man es in dieser Rolle noch selten gesehen hat. Gut, er muss nicht so einen realistischen Furor veranstalten, wie es einst Jon Vickers getan hat – Jeanette Pilou erzählte einmal,  dass sie bei ihrer ersten Nedda mit ihm Angst gehabt hätte, er würde sie wirklich umbringen – aber ein Minimum an Emotion wäre doch wünschenswert. Orhan Yildiz hält als Silvio leider nicht das, was man sich nach kleineren Rollen von ihm erwartet hat. Die Stimme klingt zwar in der Mittellage ganz ordentlich, aber in der Höhe wird sie eng. Jörg Schneider ist ein stimmlich und gestalterisch durchaus überzeugender Beppo. Der Chor sang in beiden Werken gut. 

Nicht zufrieden war ich mit dem Dirigenten Graeme Jenkins. Sicher, die beiden Werke haben ein grosses Orchester, aber deshalb muss es trotzdem nicht so laut, ja manchmal knallig klingen. Subtilität ist Herrn Jenkins Sache nicht.

Jeweils am Ende gab es verdienten grossen Jubel für Elina Garanca, durchaus verdiente Zustimmung für Marina Rebeka und George Petean, ansonsten unterschiedliche, nicht immer nachvollziehbare Reaktionen bei den übrigen Mitwirkenden.

Zum Schluss noch ein Wort zur Inszenierung. Es war wohltuend beim Aufgehen des Vorhanges die stimmungsvollen Bilder und stilvollen Kostüme Jean-Pierre Ponelles zu sehen und nicht irgendwelche kahle Räume mit Türen, Kuben, Schneelandschaften, Metallgerüsten u.ä. Leider fehlen natürlich viele Details der szt. Regie, wobei manches auch seine Ursache im Sparwahn des vormaligen Direktors hat. An den zukünftigen Direktor sei die dringende Bitte gerichtet, auch diese Produktion in seine Liste der „denkmalgeschützten“ Inszenierungen aufzunehmen. Vielleicht findet man auch noch einen ehemaligen Assistenten Ponelles und das seinerzeitige Regiebuch, um das Ganze aufzufrischen.

Heinrich Schramm-Schiessl


NÜRNBERG/ Staatstheater: NORMA mit „Meistersingerin“

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Staatstheater Nürnberg: „NORMA“ am 17.3.2019

Szenenbild aus "Norma"
Foto: Staatstheater Nürnberg/ Jutta Missbach

Dieses herrliche gallisch-römische Epos mit der süchtig machenden Musik des Sizilianers Vincenzo Bellini – dem „Novalis“ unter den Komponisten – steht ja leider viel zu selten auf den Spielplänen, überhaupt nördlich der Alpen. Und der Ausflug nach Franken, in die „Meistersinger  Stadt“ lohnte sich absolut.

   Eine wirkliche „Meistersingerin“ war für die Titelpartie aufgeboten: Ytian Luan aus China, die im letzten Jahr bereits als „Lucrezia Borgia“ und „Anna Bolena“ am Landestheater Niederbayern überzeugte, sich auch nicht zu schade ist, zuletzt im Müpa in Budapest di Mi im „Land des Lächelns“ zu übernehmen, und der man nach dieser Leistung jetzt getrost eine steile Karriere voraus sagen kann!  Es war erst ihre dritte „Norma“ – Vorstellung an diesem Abend – und die war so sicher, so überzeugend interpretiert wie wenn sie schon etliche Produktionen bestritten hätte! Das bezog sich nicht nur auf Ihre Bühnenpräsenz – sobald sie auftritt ist sie „da“, zieht in ihren Bann, erzeugt Spannung – sondern auch auf ihre raffinierte musikalische Gestaltung. Schon das große erste Recitativo wird gestaltet, modelliert, zeugt von Verständnis und Rollenidentifikation. Die „Casta  diva“ erklingt behutsam im piano, mit gut geführtem langem Atem und vielen Schattierungen, während sie bei der Cabaletta so richtig auftrumpft, und das „C“ bombensicher im Haus steht. Ja und so geht’s weiter, über die berührende Szene mit den „figli“, mit den großen Duetten, dem Furor, wenn sie den treuelosen Pollione „entdeckt“, und ihre Hingabe im Finale, wo einem schon die Tränen aufsteigen. Ihr Sopran verfügt über die Leuchtkraft, Flexibilität und viele Schattierungen, weiters hat sie „Italianitá“ und große Musikalität auf ihrer Habenseite – in keiner Sekunde denkt man daran, daß sie ja – ursprünglich – aus einem ganz anderen Kulturkreis kommt. Eine exzellente, stark bejubelte Leistung!

     Und mit Freude kann ich auch von der Adalgisa berichten: Almerija Delic bringt die positive sympathische Ausstrahlung für die Adalgisa mit und überrascht mit einem voluminösen Mezzo – Gott sei Dank wurde hier nicht der aktuellen Mode gefrönt und diese Partie mit einem leichten Sopran besetzt! Passend zu ihrer Stimme spielt sie die verführte Priesterin nicht als „Hascherl“, sondern als attraktive junge Frau, die getäuscht wurde. Voll strömt ihr Mezzo, den sie auch wunderbar zurücknehmen kann und singt schöne Kantilenen. Ohne zu „drücken“ oder abdunkeln zu müssen steuert sie klangschöne tiefe Passagen bei. Und nach oben sind im  forte, das fast hochdramatisch klingt, ebenfalls keine Grenzen zu orten. Da bietet sich ein breites Betätigungsfeld für die aus Bosnien gebürtige und in Essen – und kurzzeitig auch in Graz – studiert habende Mezzosopranistin an, die nach Dortmund nun hier in Nürnberg im Ensemble ist und in der neuen „Butterfly“ die Suzuki sein wird. Aber in der Ferne läßt da schon Amneris und ähnliches grüßen…Glücklich ein Haus mit solch einer „vocone“ im Ensemble!

     Schon der Beginn war erfreulich, als Orovesos Eingangsszene mit dem Chor durch die voll strömende Stimme des Litauers Tadas Girininkas das ihr zustehende Gewicht bekam. Mit markantem „basso profondo“ und einer imposanten Bühnenerscheinung verlieh er dieser Vaterrolle Würde und Präsenz, was nicht jedem Oroveso so selbstverständlich gelingt.

     Für den vorgesehenen, aber kurzfristig erkrankten Pollione wurde in letzter Minute aus dem Ulmer Ensemble Joska Lehtinen geholt, der sich gut aus der Affäre zog, wenngleich sein eher heller, manchmal ein wenig greller, zwar durchschlagskräftiger Tenor nicht unbedingt in dieser Partie am Besten aufgehoben scheint. Er meisterte diese sicher nicht einfache Aufgabe aber trotzdem sehr anständig und lieferte alle geschriebenen Noten ab, inclusive dem – notierten , aber auch von berühmteren Kollegen ausgelassenen – „C“ mitten in der Arie.

    Es komplettierten Nayun Lea Kim als Clotilde und Chang Liu als Flavio: beide mit angenehmen Stimmen, gut einstudiert und beide im Opernstudio, wo sie von niemand Geringerem als Siegfried Jerusalem betreut werden.

    Ausgezeichnet der Chor ( Tarmo Vaask)und auch die Staatsphilharmonie Nürnberg, die echte Italianitá hören ließ und offenkundig mit großer Freude musizierte. Ein weiterer Pluspunkt des Abends war Björn Huestege am Pult: von der ersten Attacke an konnte er einen Bogen spannen, ließ die Bellinische Partitur mit Brio funkeln und leuchten und war ein auf alle Eventualitäten immer rasch reagierender Koordinator und „Mitatmer“ mit den Solisten!

    Ach ja, es gab auch eine Inszenierung… Die Produktion hatte in Nürnberg im Mai 2017 Premiere und ist eine Co-Produktion mit St. Etienne und dem „Theatre des Champs-Elysees“ . Das quasi Einheitsbühnenbild war immerhin akustikfreundlich, ein grauer Steinrahmen  war prägend, in der Mitte eine grosse drehbare Wand – für Auftritte nutzbar, ein Bäumchen, das auf den Souffleurkasten gestellt wurde; nur im Schlußbild dann ein großer, ausladender Baum bot eine optisch ansprechende Szene dann. Pollione im Anzug kommt zum Duett mit Adalgisa als „Rosenkavalier“ mit einem Strauss roter Rosen, die er dann mal zornig auf den Boden wirft, Flavio fuchtelt während seiner Szene mit einem Revolver herum, die Damen alle in blauen Kleidern ( Choristinnen und Norma und Adalgisa, nur Clotilde im „kleinen Schwarzen ), ein lächerliches Hüftschwingen der Chor -Damen zweimal – das wär nicht mal bei einer Fasnachtsitzung gut angekommen – ja, ansonsten wenigstens nichts, was besonders gestört hätte. Stephane Braunschweig führte Regie und zeichnete fürs Bühnenbild verantwortlich, Thibault Vancraenenbroeck für die Kostüme, und Johanne Saunier für die sogenannte „Choreographie“.

    Großer Jubel des Publikums – erfreulich viele jüngere Personen inclusive – für die Protagonisten und den Maestro. Eindeutig hieß es :  prima la musica –dopo gli attori – dopo la scena!

 Michael Tanzler

WIEN / Vienna’s English Theatre: CORPSE!

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WIEN / Vienna’s English Theatre:
CORPSE! von Gerald Moon
Premiere: 19. März 2019

Das Genre nennt sich „Comedy Thriller“, und man hat „Corpse!“ aus der Feder des englischen Schauspielers und Autors Gerald Moon mit der „Mausefalle“ der Agatha Christie, mit „Sleuth“, dem „Krimi-Klassiker“ von Anthony Shaffer, und mit Ira Levins „Death Trap“ verglichen. Alles zu hoch gegriffen – und Vienna’s English Theatre sollte es wissen, denn es hat dieses Stück (das 1983 uraufgeführt wurde) schon 1994 gespielt. Aber offenbar ist das Bedürfnis nach Boulevard mit Krimi-Einschlag so groß, dass man auch zu Zweitklassigem greift.

„Corpse!“ heißt die Sache wohl zurecht, denn es kugeln jede Menge von Leichen herum, die sich dann wieder als lebendig herausstellen. Leider hat es der Autor nahezu mit diesem Running Gag bewenden lassen. Und mit einer Doppelrolle, um die sich Schauspieler reißen könnten. Denn der eine Zwilling, Evelyn Farrant, ist ein offensichtlich erfolgloser Schauspieler, der beschließt, seinen reichen Bruder Rupert ermorden zu lassen und dann in seine Rolle zu schlüpfen. Klingt ja soweit logisch. Als Mörder hat sich Evelyn einen ältlichen Kleinkriminellen namens Ambrose erkoren, der sich als Major ausgibt und das überkonstruierte, komplizierte Tat-Konstrukt ausführen soll.

Am Ende des ersten Teils, der sich mit viel überflüssigem Gerede einigermaßen zieht, hat man dann eine Leiche, aber ist es auch der richtige tote Bruder? Im Gespräch mit der Hauswirtin, wo Ambrose im Halbdunkel den Toten als lebendig ausgibt, wird schon der komplett possenhafte Ton angeschlagen. Dieser beherrscht den zweiten Teil bis zur kompletten Blödel-Albernheit, aber immerhin hat der Autor dem Geschehen ein Motiv verliehen, auf das man nicht kommen konnte: Ein bisschen Überraschungseffekt gibt es also am Ende doch.

 
Foto: Vienna’s English Theatre

Regisseur Ken Alexander weist im Programmheft zurecht darauf hin, wie gnadenlos präzise Stücke dieser Art (wo die Leichen immer wieder auferstehen) inszeniert werden müssen. Leider ist das nicht völlig gelungen – ein bisschen mehr eleganter Slapstick hätte geholfen. Und von Chris Polick hätte man erwartet, die beiden Brüder doch genauer zu differenzieren und trotz gleichen Aussehens zwei wirklich verschiedene Menschen auf die Bühne zu bringen. Und Major Ambrose wirkte in der Gestaltung von Moray Treadwell eher unsicher – nicht der Major des Stücks, sondern der Interpret auf der Bühne… Kleine und effektvolle Rollen hatten Margaret Preece als Mrs. McGee, die lüsterne Hauswirtin, und Richie Daysh als Hawkins, der naive Polizist.

Sicher zu den wirkungsvollsten Bestandteilen des Abends zählte das Bühnenbild von Terry Parsons – die Rumpelkammer des armen Bruders und das Apartment des reichen (mit raffinierter Bar für Alkoholisches) verwandelten sich bemerkenswert hin und zurück. Und da der Autor mit Schlußpointen und katastrophalen finalen Effekten nicht knausrig war, zeigte sich das Publikum am Ende hoch vergnügt. Und so soll es ja auch sein.

Renate Wagner

WIEN / Musikverein: FESTKONZERT 2019 MUSIKGYMNASIUM Neustiftgasse

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Chöre & Orchester des mgw, Elisabeth Schwarz, Richard Böhm, Drew Sarich als „Schwan mit Hut“ und Marco di Sapia

WIEN / Musikverein: FESTKONZERT 2019 MUSIKGYMNASIUM Neustiftgasse

Wenn das Musikmachen Flügel verleiht …

19.3. 2019 – Karl Masek

Der Streit um E-Musik und U-Musik – er wurde ewige Zeiten „mit heiligem Ernst“ ausgetragen. Ich erinnere mich an meine eigene Musikausbildung in den 70er Jahren im damaligen Konservatorium der Stadt Wien. Da gab es einen Lehrenden (u.a. Tonsatz und Instrumentenkunde), ich nenne seinen Namen nicht, Gott hab ihn selig, der sagte einmal in einer Seminarstunde zum Thema „Zupfinstrumente“, die für  den Geiger und Pianisten alle bestenfalls zweitrangig waren: „Eine Zither gehört auf eine Almhütte…“. Wäre die Rede auf Jazz, Musicals, Filmmusik, Rock & Pop gekommen, er hätte gesagt, das alles sei  U-Musik und könne an ernste Musik nicht heranreichen.  Keine Diskussion!

Leonard Bernstein räumte auf mit diesen vorurteilsbefrachteten Sichtweisen. Für ihn gab es nur gute oder schlechte Musik. Legendär sein Satz, die schönste Melodie seit Schubert sei „Yesterday“ von den Beatles. Er war ein Beispiel dafür, dass Musikmachen Flügel verleiht – wenn es gute Musik ist. Grund genug für das Wiener Musikgymnasium Neustiftgasse, für das traditionelle Festkonzert in diesem Jahr einmal kein Werk des klassisch-romantischen Kern-Repertoires auf das Programm zu setzen, sondern ein Bernstein-Stück und eine Uraufführung anzubieten. Um nach der Pause mit „Carmina Burana“ noch eins draufzusetzen.

„A Musical That Makes History“ , so lauteten Londoner Schlagzeilen 1985 nach der Uraufführung von „Les Misérables“ von Alain Boubil und Claude-Michel Schönberg nach dem Roman von Victor Hugo. Mehr als 70 Millionen Menschen haben das Musical seither weltweit gesehen, in 52 Ländern und 22 Sprachen. Für dieses Konzert hat der  britische Musical-,  Filmkomponist  und Dirigent John Cameron (* 1944 in Essex), vielfach preisgekrönt bis hin zu Oscar-Nominierungen, 2018 eine Neufassung seiner „Les Misérables.Symphonic Suite“ für Chor und Orchester geschrieben („Castle on a cloud“ wurde der Suite zusätzlich beigefügt, und so hatte auch der Unterstufenchor eine schöne, effektvolle Nummer darin zu singen. 

Camerons Musik bringt die bekanntesten Teile aus der Musical-Show, erweist sich als genial arrangiertes, effektvoll instrumentiertes Chor- und Orchesterstück, das „ins Ohr“ und „unter die Haut“ geht. Es ist eine herrliche Kombination aus Geschichte, einer Botschaft sowie einer Musik, die tatsächlich Flügel verleiht. Sie gibt dem Oberstufenchor Gelegenheit zu vielen Farb- und Gefühlsnuancen. Von zart bis hart, von pathetisch bis innig. Und fürs Orchester eine Fülle an Möglichkeiten, durch tollen Sound mit Steigerungen zu glänzen, schönen Klang zu erzeugen und sozusagen „unendliche Melodien“ auszukosten. Herrliche Soli für das Cello, die Konzertmeisterin an der Violine, das Englischhorn, delikate Kombinationen der  Flöten mit den Harfen. Herausragend die Horngruppe, die Trompeten, die Posaunen, die Basstuba, das Schlagzeug, sie alle haben viel zu tun und zu zeigen.  Mit sicht- und hörbarem Enthusiasmus wird hier 35 Minuten lang das Musical- und Filmmusikgenre mit schönem Klang „geadelt“ – und das wirkt keine Sekunde schmalzig oder kitschig. Man ist überzeugt, den jungen Musikern wird dann auch Klangsinnlichkeit bei Berlioz, Mahler, Richard Strauss, Schostakowitsch, Gershwin, … gelingen und Spaß machen! 

Schon die Ouvertüre zu Candide von Leonard Bernstein hatte Drive, Schwung, Witz –  und irgendwie verschwimmt auch hier auf geniale Weise das E-Musik-hafte mit Unterhaltungsmusik vom Allerfeinsten. Und es wurde mustergültig, blitzsauber musiziert.  

Der Dirigent des Festkonzertes 2019 ist diesmal Richard Böhm. Wenn man sich diese musikalische Vita ansieht: Ein „Rundum“- Künstler, ein Alleskönner von geistlicher Musik, Chorleitung, Liedbegleitung, Korrepetition  bis hin zum Musical (Masterclass für Musical im Londoner Westend ). Er leitete den Abend mit in sich ruhender  Souveränität, Sicherheit ausstrahlend.

Carl Orffs  Geniestreich aus dem Jahr 1937, „Carmina Burana“, ist natürlich ein ideales Stück für jugendliche musikalische „Überflieger“. Hat man durch vielleicht zu viele Aufführungen des Werks in den letzten Jahrzehnten mitunter das Gefühl bekommen, die „Cantiones profanae cantoribus …“ aus Benediktbeuern hätten sich fast schon totgespielt (das mag aber einer Routine im schlechten Sinne und sehr „gesetzten“ Aufführungen erwachsener Profis geschuldet sein): Wenn es  s o  jugendlich-authentisch rüberkommt, s o mitreißend,  s o  packend, dann ist begeisterter Jubel eines hingerissenen Publikums garantiert.  

Was die wunderbaren Musikpädagog/innen da immer wieder hinkriegen – es ist seit dem Jahrzehnt, in dem ich als Beobachter dabei bin, von gleichbleibend erstklassiger Homogenität, als würden da Chöre und das Orchester seit vielen Jahren „zusammengewachsen“ sein. Jedoch, es sind immer wieder neu nachrückende Sänger/innen und Orchestermitglieder. Man mag die „Carmina Burana“ fast nicht mehr von Erwachsenenchören hören, so absolut  passend ist das Klangbild, das da gezaubert wird.  Man glaubt den jungen Mädchen, wenn sie etwa bei „Chramer, gip die varwe mir“ eine perfekte Mischung aus Unschuld und Erotik umsetzen oder den Burschen, wenn sie sich beim (ersten?) liederlichen Leben  („In taberna…“)  in doppeltem Wortsinn „in einen Rausch singen“. Poesie pur mit hellen, natürlichen Stimmen kam vom Unterstufenchor beim „Amor volat undique“. Das Orchester kann es mit dieser Leistung durchaus mit renommierten Profiorchestern aufnehmen! Einstudierung: Monika Arbeiter-Salzer, Monika Feninger, Roman Hauser, Johannes Kerschner, Georg Kugi, Elisabeth Lampl, Andreas Pixner, Thomas Reuter. Ihnen allen großes Kompliment!

Schließlich die 3 Solist/innen, allesamt vom „Währinger Gürtel“: Sie rundeten den stürmisch gefeierten Abend mit ausgezeichneten Leistungen höchst animiert ab: Die Einspringerin Elisabeth Schwarz mit himmlischen Sopranhöhen beim „Dulcissime“, der Volksopernbariton Marco di Sapia lief mit Fortdauer des Abends zur Hochform auf und Drew Sarich, der Musicalstar der Wiener Volksoper (und in diesem Fall auch Vater von mitwirkenden Jugendlichen) sang den gebratenen Schwan mit exzentrischer Tenor-Komik, wie man es wohl kaum noch gehört hat. 

Der helle Jubel brachte die Karyatiden im Musikverein beinahe zum Wackeln. Das mit dem Flügel-Verleihen: Es möge für alle in der Neustiftgasse mit der gleichen Begeisterung weiter gelingen!

Karl Masek 

ZÜRICH: LUCIA DI LAMMERMOOR. Derniere

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ZÜRICH: Premiere: LUCIA DI LAMMERMOOR 14.09.2008, besuchte 6. Vorstellung seit der Wiederaufnahme am 22.02.2019) am 19.3.2019

Nello Santi macht nicht Musik, er ist Musik

Nach einer Wiederaufnahme bestenfalls auf Hauptprobenniveau nun das: ein Abend, an dem alles stimmte. Zwei neue Solisten, sonst war alles gleich. Aber nun von Anfang an.

Wie eigentlich immer, wenn er in Zürich dirigiert – das tut er nun seit 60 Jahren, was, allein auf weiter Flur, die Sonntagszeitung mit einem wunderbaren Interview zu würdigen wusste -, wurde Maestro Nello Santi begeistert vom Publikum empfangen. Es war ein kräftiger, langer Applaus. Lang war er. Mit knapp 90 Jahren kann der Weg durch den Graben dauern… Aber dann! Der Maestro zeigt, warum er eine lebende Legende ist. Natürlich ist da seine Erscheinung… Sein photographisches Gedächtnis… Die Erfahrung eines fast 70 Jahre währenden Dirigentenlebens… Ein Markenzeichen des Maestros ist die Demut vor dem Werk, die genaueste Kenntnis der Partitur. Und an diesem Abend zeigt, er, was das genau heisst: die Oper so zu dirigieren, dass alle Beteiligten zu ungeahnten Leistungen beflügelt werden und jeder Einzelne, trotz allfälliger Defizite, brillieren kann.

Bildergebnis für zürich lucia di lammermoor
Foto: T+T Fotografie / Toni Suter + Tanja Dorendorf

Da wäre einmal die Philharmonia Zürich. Schon in der Wiederaufnahme hat sie hervorragend gespielt und sich nun nochmals gesteigert. Traumhaft!
Nina Minasyan sang wieder die Lucia di Lammermoor und war nur schwer wiederzuerkennen: Die Höhen waren da und nun auch eine Bühnenpräsenz, die im Verlauf des Abends immer stärker wurde. Die Stimme bleibt eher schwer, vermochte aber je länger je mehr zu überzeugen. Im Zusammenspiel mit ihrem Edgardo Ismaele Jordi waren dann plötzlich auch Emotionen da: wunderbar, wie sie im 4. Bild, als Edgardo der Hochzeitsvertrag gezeigt wurde und er sie verstossen hat, versucht nochmals seine Hand zu greifen, bevor er von Enrico und Arturo zusammengeschlagen wird. Bei Jordi bleiben die fehlende Technik, schlechte Atmung und dadurch herausgepresste Phrasen, und die fehlende Höhe, aber da er viel vom Piano her gearbeitet hat und, wie man es so schön nennt, sängerfreundlich dirigiert wurde, waren die Defizite weit weniger auffällig. Roman Burdenko gab mit grosser Stimme und guter Technik einen herben Enrico Ashton mit dem notwendigen Schuss Boshaftigkeit. Omer Kobiljak sang einen hervorragenden Arturo und Jamez McCorkle wäre mit etwas weniger Vibrato ein sehr guter Normanno. Wenwei Zhang war Raimondo und grossartig bei Stimme: hier ist die Luft nach oben im Bereich der Diktion. Gemma Ní Bhriain als Alisa und Ginger Nicole Wagner Die weisse Frau ergänzten das Ensemble.
Mit grosser Spielfreude aktiv war der Chor der Oper Zürich, vorbereitet von Janko Kostelic.

Die Beobachtungen sind nun berichtet, die Defizite aufgezählt. Entscheidend ist aber der Gesamteindruck des Abends und der war hervorragend. Hier wurde Belcanto auf hohem Niveau geboten und es war beeindruckend, wie das Gelingen der Oper von jedem Einzelnen abhängt und die Beteiligten gegenseitig zu Höchstleistungen gebracht haben.

Standing Ovations am Schluss. Nicht nur, aber vor allem für Nello Santi.

Keine weiteren Aufführungen in der Saison 2018/2019.

Aber: Gemäss Interview in der Sonntags-Zeitung ist ein Vertrag unterschrieben und Santi dirigiert 2020 den Liebestrank. Die Zürcher Opernfans wünschen ihm Gesundheit und hoffen auf ein Wiedersehn!

22.02.2019, Jan Krobot/Zürich

WIEN / Literaturmuseum: WIEN – EINE STADT IM SPIEGEL DER LITERATUR

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WIEN / Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek im Grillparzer Haus:
WIEN – EINE STADT IM SPIEGEL DER LITERATUR
Vom 12. April 2019 bis zum 16. Februar 2020

Der kritische Blick

So richtig „schön“ war Wien nur in den Filmen der Fünfziger Jahre und ist es heute noch in der Tourismus-Werbung. Dass gerade die Dichter diese Stadt kritisch hinterfragen, verwundert niemanden. Das Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek hat für die Ausstellung „Wien. Eine Stadt im Spiegel der Literatur“ jede Menge Dichtermeinungen zusammen getragen. Wien als Reibebaum der Schreibenden, die es – wenn sie nicht ohnedies hier leben – dennoch immer wieder hierher gezogen hat.

Von Renate Wagner

Raumgreifend      Man weiß, dass die Österreichische Nationalbibliothek ungewöhnlich viele Dichter-Nachlässe besitzt (und schon „Vorlässe“ von Lebenden kauft), also verwundert es nicht, dass man über 300 Objekte fast ausschließlich aus eigenen Beständen zusammen tragen konnte. Auch das Bildarchiv steuerte bei, Fotos und Zeichnungen spielen für die Wien-Reflexion eine Rolle, Filmausschnitte laufen: Die von Bernhard Fetz und Katharina Manojlovic kuratierte Ausstellung hat stellenweise Installationscharakter, umkreist ihr Thema aus vielen Blickwinkeln. Über 40 Namen sind vertreten, und es sind die ganz Großen, Doderer und die Bachmann, Bernhard und Handke, Jandl und Sperber, Spiel und Zeemann, und viele andere mehr. Jeder wird persönliche Lieblinge finden.

Kritisch und gar nicht liebevoll     Nein, wenn man sich so umsieht und „anliest“, was an Texten geboten wird – eigentlich hat keiner der Dichter, die hier zu Wort kommen, Wien gemocht, im Gegenteil: kritisch bis bösartig stehen sie der Stadt gegenüber. Einen „Hymnus an den Kahlenberg“ dichtet keiner mehr. Emotional und real herrscht Düsternis.

Mit der Bachmann beginnt’s       Die Kärntnerin, die in Rom starb und manisch unterwegs war, ist doch in ihren jungen Jahren in Wien gelandet, hat hier gelebt, ist erwachsen und zur Schriftstellerin geworden. Dabei wollte sie – wie man aus Entwürfen zu dem sieht, was später als „Malina“ berühmt wurde – die Stadt auch mit dem Blick der Fremden, quasi touristisch sehen. Die Nationalbibliothek kann hier erstmals ein Originalmanuskript ausstellen, Fans werden andächtig sein. Manche, die das Thema „Stadt“ grundsätzlich in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen stellten, sind hier gleichfalls vertreten, wie der 2010 im Wiener Exil gestorbene Serbe Bogdan Bogdanović – die Kuratoren spannen den Bogen weit.

Erwanderte Topographie     Die einen sind „Geher“ – Thomas Bernhard, Peter Handke, nehmen wahr und schreiben nieder. Andere hören zu, auch viele Frauen – die Marzik, die Nöstlinger geben die Sprache wieder, die nicht zu den noblen Bezirken gehört. Andere wieder, die sonst auch schreiben, fotografieren – Robert Menasse warf seinen Blick in den 79er Jahren auf „G’stetten“, wie es sie in allen Vorstädten gibt. Wien ist groß, wenn man es von einem Ende zum anderen ausschreitet. Man kann – manchmal blinzelnd – nachlesen, was Dichter niederschrieben. Man kann es auch ansehen.

Dreharbeiten: „Der dritte Mann“ Filmszene am Neuen Markt, dahinter sichtbar Kriegszerstörungen. Foto: Ernst Haas

Der Wien-Krimi       Den Wien-Krimi gibt es, es ehrt eine Ausstellung, dass sie nicht nur hohe Literatur berücksichtigt, sondern auch, was (viel gelesen) Autorinnen wie Edith Kneifl schreiben. Aber am spannendsten war Wien ja – und da wird es Grau in Grau pittoresk – in der Nachkriegszeit, in der Welt des „Dritten Mannes“: Da legt die Nationalbibliothek auch Graham-Greene-Bücher hin, hängt ein Filmplakat auf, bringt Fotos von den Dreharbeiten. Ja, und dann hat ja Josef Haslinger Mitte der neunziger Jahre geplant, die Besucher des Opernballs allesamt glatt umzubringen. Zu seinem „Opernball“-Roman gibt es interessantes Recherche-Material. Alles noch auf Papier – was heute fast nur noch im Computer ist.

„Vergessenshauptstadt“   Robert Schindel prägte den Begriff über die Vertriebenen. Hilde Spiel ist aus der Emigration zurückgekehrt, nicht ohne Schauder. Frederic Morton, Amerikaner geworden und geblieben, blickt zurück. Ruth Klüger tut es auch. Keiner mit Sentimentalität oder Liebe. Aber sie tun es. Ein Buch von Friedrich Heer, der auch an dieser Stadt gelitten hat, liegt am Ende. Der Titel könnte bezeichnender nicht sein: „Scheitern in Wien“. Moloch einer Stadt und ihrer Bewohner, ohne den Kaiserstadt-Glanz und Nostalgie. Dichter sind oft erstaunlich nüchtern. Und begreiflich böse.

Manuskripte, Typoskripte     Die Ausstellung gibt auch einiges zu denken, nostalgisch gewiß, aber nicht ohne Berechtigung. Wenn man hier Handschriften (!) sieht, wo durchgestrichen und eingefügt wird, maschinengeschriebene Texte mit handschriftlichen Korrekturen, dann wird der dichterische Prozeß weit fühlbarer als heute, wo der Computer jede Korrektur definitiv macht und die vorangegangene Fassung (die ja auch interessant ist) tilgt. Die ganze alte Liebe zum Papier, die mancher in der digitalen Welt vergessen hat, kann man hier wieder entdecken…

Literaturmuseum Wien im Grillparzer Haus
Wien – Eine Stadt im Spiegel der Literatur
Vom 12. April 2019 bis zum 16. Februar 2020
Oktober bis Mai: Di bis So 10 bis 18 Uhr, Do bis 21 Uhr, Montag geschlossen
Juni bis September: täglich 0 bis 18 Uhr, Do bis 21 Uhr

MÜNCHEN/ Cuvilliéstheater: MAVRA / IOLANTA – Opernstudio der Bayerischen Staatsoper. Premiere

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München: “Mavra/Iolanta” – Opernstudio der Bayerischen Staatsoper – Cuvilliés-Theater 15.04.2019, Premiere  – Zauberhaft

Einen zauberhaften Abend beschert Regisseur Axel Ranisch mit dem Opernstudio der Bayerischen Staatsoper dem begeisterten Publikum mit zwei russischen Einaktern: der komischen Oper Mavra von Igor Strawinsky und der lyrischen Oper Iolante von Peter I. Tschaikowsky.

Das sind zwei Werke, wie man sie sich gegensätzlicher kaum vorstellen kann: Mavra mit ihren grob gezeichneten Charakteren, die alltägliche Probleme diskutieren – die Köchin ist gestorben, die junge Parascha jubelt ihrer strengen Mutter ihrem Geliebten Wassili in Frauenkleidern als neue Köchin unter, damit sie ungehemmt mit ihm zusammen sein kann – und das Märchen Iolanta, in dem die Liebe zum edlem Ritter Vaudémont eine blinde Prinzessin wieder sehend macht. Wer nun erwartet hat, dass diese beiden Werke brav nacheinander aufgeführt werden, hat die Rechnung ohne Ranisch gemacht: er verschränkt beide Opern miteinander, Mavra wird zum Puppenspiel der Prinzessin, die mit Parascha und Wassili ihre geheimen Wünsche und Sehnsüchte darstellt. Die Handlung von Iolanta fungiert als Rahmen, der immer wieder vom Puppenspiel unterbrochen wird. Am Ende führen die Puppen die Menschen: denn bei Ranisch wird Iolanta nicht wirklich sehend, sondern spielt das nur vor, um ihren Ritter vor dem Tode zu retten. Der merkt das als einziger und blendet sich selbst. Parascha und Wassili setzen am Ende den beiden ihre Puppenköpfe auf und machen sie so sehend. Zwei glückliche Paare entliehen zu Strawinskys jazzhaften Klängen in die Freiheit.


Iolanta (Mirjam Mesak ) sitzt in ihrem goldenen Käfig und spielt mit den Puppen Parascha (Anna El-Khashem) und Wassili (Freddie De Tommaso)         © Wilfried Hösl

Falko Herold, verantwortlich für Bühne und Kostüme, stellt für Iolanta einen goldenen Käfig auf die Drehbühne des Cuvilliés-Theaters, innen Schlafzimmer und Garten der Prinzessin, außen Schauplatz für das Techtelmechtel zwischen Parasha und Wassili oder Auftrittsort für Ritter und König. Der Käfig öffnet sich am Ende, wenn Iolanta sich für sehend erklärt. Die Figuren in Mavra tragen große Puppenköpfe aus Drahtgeflecht, die die Stimmen erstaunlicherweise überhaupt nicht behindern.

Die Solisten des Opernstudios, die im großen Haus immer nur die kleinen Rollen singen, zeigen großartige Gesangskunst und eine überwältigende Spielfreude. Allen voran Mirjam Mesak als Iolanta mit süßem, lyrischem Sopran, in der Höhe wunderbar aufblühend. Ihr Puppen-Pendant steht ihr in nichts nach: Anna El-Khashem als Parascha hat ein etwas erdigeres Timbre, ebenfalls eine bewegliche Stimme, was für den Strawinsky auch nötig ist, hat er der Parascha doch ziemlich komplizierte Gesangslinien geschrieben. Großartig auch Long Long als Vaudémont, er klingt als sei die Partei für ihn geschrieben, meistert mit Leichtigkeit alle Höhen, lässt edle Piani hören und kann in seine Stimme alle Emotionen des romantischen Liebhabers legen. Die Figur des anderen Liebhabers, des Husaren Wassili, ist bei Freddie De Tommaso in etwas gröberen Händen: er sing meistens eindimensional laut, was sich aber auch gut anhört.


Gleich werden die Puppenköpfe getauscht: Wassili (Freddie De Tommaso) und Parascha (Anna El-Khashem) mit Vaudémont (Long Long) und Iolanta (Mirjam Mesak)         © Wilfried Hösl

Auch die tiefen Stimmen konnten überzeugen, vor allem der hünenhafte finnische Bass Markus Suihkonen als König René. Samtschwarz strömt seine Stimme, auch in den höheren Passagen nie eng werdend. Das hat sich schon in der einen Zeile, die er als Herold in Otello zu singen hatte, abgezeichnet. Man darf sich auf größere Rollen dieses Sängers freuen!


Sieht aus wie Siegfried, singt wie König Philipp: Markus Suihkonen           © Wilfried Hösl

Noa Beinart in der Doppelrolle als Iolantas Amme und Paraschas Mutter konnte mit warm strömendem Alt überzeugen. Natalia Kutateladze als Nachbarin in Mavra und Laura in Iolanta ließ einen schönen Mezzo hören.

Herzog Robert wurde von Boris Prýgl mit markantem Bariton gesungen. Oğulcan Yilmaz als arabischer Arzt Ibn-Hakia konnte da nicht ganz mithalten, sein Bariton klang etwas trocken und schwach. Caspar Singh als Almerik, Oleg Davydov als Bertrand und Anaïs Mejías als Brigitta vervollständigten das Ensemble.

Die Musikalische Leitung lag in den Händen von Alevtina Ioffe. Sie sorgte für flotte Tempi und einen schönen, elegischen Fluss in Tschaikowsky Musik. Den Beginn der Ouvertüre, wenn die tiefen Holzbläser eine todtraurige, in den Harmonien an Markes Klage aus dem Tristan erinnernde Melodie spielen, kostet sie besonders schön aus. Ein bisschen mehr Piano hätte der Iolanta vielleicht noch gutgetan, das kam in der direkten Akustik des Cuvilliés-theaters schon manchmal etwas zu knallig daher. Vielleicht wird an der Balance noch gearbeitet, auch bei den Sängern erschienen manche Stimmen schon zu groß für das kleine Theater. Strawinsky hat seinen Einakter kammermusikalisch besetzt mit einer Violine, einer Flöte, zwei Klarinetten, einem Kontrabass und einem Klavier. Das wurde hier als Bühnenmusik geboten, die Musiker saßen angetan mit weißen Strubbelperücken auf der Bühne.

Ein sehr unterhaltsamer Abend, bei dem das Opernstudio der Bayerischen Staatsoper wieder einmal seine Qualität zeigen konnte. Großer Jubel im Publikum.

 

Susanne Kittel-May

 

 

STUTTGART/ Liederhalle/ Beethovensaal: STAATSORCHESTER-KONZERT (Sciarrino, Romitelli, Beethoven)

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STUTTGART/ Liederhalle: 5. Staatsorchesterkonzert im Beethovensaal der Liederhalle am 15.4.2019

EINE IMAGINÄRE REISE

Das Radio zieht in Salvatore Sciarrinos „Efebo con radio“ (1981) für Stimme und Orchester einen kleinen Jungen in seinen Bann. Vielfältige Kanäle verursachen hier ein mysteriöses Rauschen, das die ausgezeichnete Altistin Stine Marie Fischer mit strahlkräftigen Intervallspannungen noch befeuert. Anklänge an Ravels „La Valse“ und Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“ verleihen dieser Musik etwas Überirdisches und Rauschhaftes. Es vollzieht sich dabei ein effektvoller Blick auf den Klang des Italiens der Fünfzigerjahre. Der 1988 in Teheran geborene Dirigent Hossein Pishkar mischt dieses trügerische Kindheitsidyll allerdings deutlich mit Visionen von Angst und totaler Überwältigung. Aber auch der schwungvolle Humor kommt hier nicht zu kurz. So entsteht zwischen Sängerin und Dirigent sogar ein witziger Dialog. „Audiodrome – Dead City Radio“ nennt Fausto Romitelli sein diffiziles Stück für Orchester, das auf dem Einfall einer fiktiven Radioübertragung beruht. Hossein Pishkar stellt das Hauptthema aus der „Alpensinfonie“ von Richard Strauss dabei in geheimnisvoller Weise heraus. Dieses Thema gerät dann in unheimlicher Weise in den Sog eines gewaltigen Strudels. Das Klangbild wird in raffinierter Art verzerrt und entstellt. Fremde Klangtexte und sinnentleerte Wiederholungen beherrschen das harmonische Gerüst bemerkenswert. Es kommt zu gewaltigen Blechbläser-Eruptionen. E-Gitarre und Synthesizer sorgen für weitere irritierende Verfremdungseffekte. Der Klangraum weitet sich ins wahrhaft Monströse aus. 

Das Staatsorchester Stuttgart musiziert die vierte Sinfonie B-Dur op. 60 von Ludwig van Beethoven unter der inspirierenden Leitung des iranischen Dirigenten Hossein Pishkar wie aus einem Guss. Mit tatkräftiger Energie vereint sich hier ausgelassener Schwung. Die bestechenden geistvollen Einzelheiten der thematischen Einheit blitzen klar hervor. Das zeigt sich sogleich bei der geheimnisvollen Adagio-Einleitung, aus deren erregender Spannung das Hauptthema leuchtkräftig hervortritt. Kaum zu bändigen ist der Übermut, mit dem sich dieses Thema bei der Wiedergabe durchsetzen kann. Aber auch besinnlichere Momente kommen bei dieser konzentrierten Interpretation keineswegs zu kurz. Der Sonatensatz behauptet sich mit ungestümer Energie und großer harmonischer Kraft. Eine Melodie voller träumerischer Vergangenheit arbeitet der umsichtige Dirigent Hossein Pishkar mit dem ausgezeichneten Staatsorchester Stuttgart geradezu visionär heraus. Die abgewandelte Umkehrung in der Klarinette blitzt brillant hervor. Zwischen Dur und Moll kann sich das Lied intensiv durchsetzen. Beim ausgelassenen Allegro vivace ist Hossein Pishkar dann ganz in seinem Element, denn dessen feuriges Kopfthema besitzt bei dieser Wiedergabe klare Konturen. Besinnlichere Töne schlagen dann die Holzbläser im Trio an. Schelmisch antworten darauf die Geigen. Und die knisternden Streicherfiguren des Finales reissen die Zuhörer hier geradezu mit. Da besitzen auch die Paukeneinsätze einen wunderbar elektrisierenden Biss und wuchtige Schlagkraft. Das alles erinnert bei dieser Wiedergabe auch etwas an Mozart. Es kommt zu zahlreichen dynamischen und harmonischen Eigenwilligkeiten und facettenreichen Überraschungen, die die spieltechnischen Vorzüge des Staatsorchesters Stuttgart einmal mehr beweisen. Als sich bei den Akkorden eine Hürde aufbaut, stockt auch der thematische Ablauf jäh. Diese strukturellen Besonderheiten der Partitur erfasst Hossein Pishkar ganz hervorragend. Bis in die Schlusstakte hinein reissen die Finten nicht ab.

Die Zauberkunststücke dieser Beethoven-Partitur aus dem Jahre 1806 überwältigten das Publikum im Beethovensaal. Es honorierte diese Wiedergabe mit „Bravo“-Rufen. 

Alexander Walther


BADEN-BADEN: „PATRICIA KOPATCHINSKAJA – BERLINER PHILHARMONIKER – KIRILL PETRENKO“

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Foto: Monika Rittershaus

Baden-Baden: „PATRICIA KOPATCHINSKAJA –  BERLINER PHILHARMONIKER –

                         KIRILL PETRENKO“  –  15.04.2019

Gleich eines Paukenschlags eröffnete das Festspielhaus seine konzertanten „Osterfestspiele 2019“ mit den Berliner Philharmonikern welche ohnedies das immense Programm mit wechselnden Dirigenten bewältigen. Am Pult waltete der designierte Chefdirigent des Orchesters Kirill Petrenko, wie man im Verlauf des Abends auf beglückende Weise erleben durfte war es sicherlich die beste Wahl der Philharmoniker diesen außergewöhnlichen Dirigenten zu ihrem Chef zu küren.

Die Geigerin Patricia Kopatchinskaja war zu Gast mit dem expressiven „Violinkonzert“ von Arnold Schönberg. Wenn der Tonsetzer gar selbst die Äußerung fallen ließ, dass das Zwölftonsystem „Privatsache des Komponisten“ sei, hatte nicht als Theoretiker, sondern als Komponist gesprochen, welcher vom sich Zurechtfinden im neuen Heim seiner Musik in Anspruch genommen, sich von jedem eingehenden Verallgemeinern fernhalten wollte. Dank der inzwischen gewonnenen Zeitperspektive wird ziemlich unbefangen bemerkt: Das Zwölftonsystem ist die Tonalität selbst in einer neuen Phase ihrer Entwicklung.

Nach wie vor erscheint jedoch diese Musik nicht in allen Ohren Zutritt, ich muss gestehen mein Gehör empfand sie zwar interessant aber keineswegs schmeichelhaft. Einige empfindsame Konzertbesucher verließen wohl deshalb auch vorzeitig den Ort des Geschehens. Gewiss streichelte ich öfters den Hundekopf meines Gehstocks beruhigend, damit er nicht aufjaulte – aber nun im Ernst und Spaß beiseite, dachte ich so manchmal melodische Konzerte kann fast JEDER spielen, jedoch ein derart extrem-komplexes Werk in brillanter Formation zu präsentieren, das ist die absolute hohe Kunst.

Mit welcher Emphase, fein filigraner Spieltechnik eröffnete Patricia Kopatchinskaja die ersten Takte des Sonatensatzes des poco allegro, die Expositionen der Reihe verschiedenartiger Tonika-Wiederholungen. Ob im folgenden Andante oder dem weitläufigen finalen Allegro zur höchst virtuosen Kadenz, welche in ungeheuer komplexem Tonansatz erklang, die extravagante und charismatische Künstlerin verstand es zu fesseln nicht nur zu barfüßigen Sprüngen, rhythmisch-grazilen Bewegungen oder energischem Stampfen und mimischer Pointierung. Nein vielmehr verstand es die exzellente Geigerin mit eruptiven Tönen, die expressiven Strukturen, die ungewöhnliche Fraktur dieser Komposition experimentell in brillanter, tontechnischer Variation und bestechender Akkuratesse auszuloten.

Derart konstruktive Freisetzung von Zwölftonreihen im Mikrokosmos heftigster Energien fand auch im in den Reihen der Berliner Philharmoniker unter der famosen umsichtigen Leitung von Kirill Petrenko eindrucksvollen Wiederhall und vortreffliche instrumentale Begleitung.

Die publikumswirksame Resonanz bedankte die gefeierte Künstlerin, inzwischen wieder in die Schuhe geschlüpft unterstützt vom Klarinettisten Andreas Ottensamer mit dem kurzen musikalischen Spaß Jeu aus der „Suite op. 157b“ (Darius Milhaud).

Nach der Pause erlebte ich einen meiner Komponisten-Favoriten Peter I. Tschaikowsky völlig neu und wähnte die „Fünfte Symphonie“ nach unzähligen Malen während der letzten Jahrzehnte „erstmals“ zu hören! Wie in der Vierten liegt auch in der emotionsreichen Fünften der poetische Grundgedanke des Schicksals zugrunde, dessen pathetische Expressionen, welche das Werk eröffnen und von Tschaikowsky selbst als Motiv der vollständigen Beugung vor dem Schicksal gedeutet wurde und in allen vier Sätzen ausdrucksstark wiederkehren.

Leise, versonnen, wie aus einer anderen Welt empor getragen ließ Kirill Petrenko das motivische Thema des Andante – Allegro con anima von den Klarinetten in tiefer Lage angestimmt erklingen. Der versierte Dirigent nahm dem Satz in sensibler Artikulation die sonst gewohnte Schwere, ließ schier anmutig aufspielen und steigerte sich allmählich mit dem prächtig aufblühend musizierenden Berliner Eliteorchester in jene bedeutungsvollen Strukturen schwerblütiger Klangfülle.

Sehnsuchtsvoll, elegisch zum Weinen schön erhob sich das traumverlorene Horn-Solo welches das romantische Andante cantabile einleitete. Die Violinen schwelgten, die Holzbläser formierten sich tonschön zur intensiven Entwicklung, schemenhaft steigerten sich nach und nach die Seitenthemen zum Tutti  um im Fortissimo regelrecht zu explodieren. Petrenko beleuchtete formell weiche Konturen, nahm den Ecksätzen die sonst verwendeten Schärfen, setzte zwar zielstrebig Kontraste, kehrte jedoch immer wieder zu beruhigendem Intonieren zurück und im überwältigen Pianissimo klang der Satz aus.

Prägend animierte der Klangzauberer sein qualifiziertes Orchester im Allegro moderato zur choralartigen Einleitung der tiefen Streicher im Wechselspiel der Oboen, Celli und Violinen steigerte sich zu pastoraler Intensität und entwickelte sich drängend zur dramatisch hereinbrechenden Introduktion. Transparent, virtuos, kapriziös erklang die Valse-Melodie des Ecksatzes.

In beschwörender Hymne eröffnete wiederum das Schicksalsmotiv das finale Andante maestoso, in wogenden Triolen repetieren sich Sequenzen, drängend erhob sich der Streichersatz. Drohend erklang der stampfende Marsch, die Holzbläser appellierten das Seitenthema, in spannender voranstürmender Entwicklung entfalteten die Blechfraktionen in akkurat geschmetterten Läufen den Ruf des Schicksals, der komplexe Apparat schien in unbändiger Wildheit zu bersten und strebte in höchst präziser Interpretation, in einem an Brillanz unübertroffenen glanzvollen Trompetenwirbel seinem Finale entgegen.

In einem Aufschrei aus hunderten von Kehlen, Bravostürmen und in überschäumender Begeisterung feierte das Publikum den Maestro und die Berliner Gäste.

Wie schon so oft nach derart nachhaltigen Konzert-Events dachte ich so bei mir: dafür gebe ich gut und gerne jede Menge halbherziger Opern-Aufführungen hin.

Gerhard Hoffmann

BADEN-BADEN/ Osterfestspiele/ Festspielhaus: OTELLO

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Foto: Lucie Jansch

Giuseppe Verdis „Otello“ am 16. April 2019 im Festspielhaus/BADEN-BADEN

MAGIE UND KNAPPE FORM

 Der Sturm nimmt bei dieser minimalistischen Inszenierung von Robert Wilson einen sehr breiten Raum ein. Man sieht hinter geheimnisvollen Vorhängen einen riesigen sterbenden Elefanten (Video: Tomasz Jeziorski). Es ist ein Synonym für den mächtigen afrikanischen Feldherrn Otello, der zu Beginn von Verdis Oper „Otello“ auf der Insel Zypern vom Volk beobachtet wird, wie er als venezianischer Gouverneur nach seinem Sieg über die türkische Flotte gegen einen gewaltigen Sturm ankämpft. Robert Wilson taucht die Bühne hier in blau-magische Bilder, die zwischen unheimlichen Nebelbänken immer wieder schemenhaft aufleuchten. Dazwischen sieht man auch elektrisierende Blitze. All dies wird der knappen Kompositionsform Verdis durchaus gerecht. Nach dem Sturm schwören sich Desdemona und Otello ihre gegenseitige Liebe. Doch Jago ist auch hier von Anfang an ein dämonischer Störenfried, der in seinem nihilistischen „Credo“ die Nichtswürdigkeit des Menschen beschwört. Er redet dem unter krankhafter Eifersucht leidenden Otello ein, dass seine Frau Desdemona ihn mit Cassio betrogen habe. Dabei verwandelt sich immer wieder die Säulenhalle mit ihren historischen venezianischen Motiven (Co-Regie: Nicola Panzer; Co-Bühnenbild: Serge von Arx; Co-Lichtdesign: Solomon Weisbard). Auch die Kostüme von Jacques Reynaud und Davide Boni unterstreichen den unnahbaren Charakter der einzelnen Figuren, was von Manuela Halligans Haar- und Make-up Design noch intensiviert wird. Der am Horizont zu sehende Mond färbt sich blutrot und dann wieder schwarz, einzelne Teile der Säulenhalle fliegen plötzlich unvermittelt im Raum herum. Stark ist die Szene in Desdemonas Gemach im vierten und letzten Akt. Da wölbt sich in fast gespenstischer Weise ein riesiger Vorhang im Hintergrund, denn es weht bei dieser Szene ein seltsamer und tödlicher Wind. Man sieht Otello, der aus dem Hintergrund heranschleicht und der erwachenden Desdemona eröffnet, dass er sie töten werde. Sie liegt auf einer Art Schrein – zunächst ganz im Gebet versunken. Doch auch später bleiben die Emotionen eher spärlich. Der Mord an Desdemona wird nur zaghaft angedeutet. Auch der anschließende Selbstmord des verzweifelten Otello zeigt sich in schemenhaften Hinweisen. Eine starke Position bekommt jedoch Emilia, die die Machenschaften ihres intriganten Gatten Jago lückenlos aufdeckt.

Natürlich vermisst man in dieser Inszenierung von Robert Wilson zuweilen die psychologische Personenführung und die Emotionen der Protagonisten untereinander. Immerhin haben wir es hier mit einem Drama von William Shakespeare zu tun, für das Arrigo Boito ein fesselndes Libretto geschrieben hat. Doch Magie und knappe Form entschädigen den Zuschauer bei dieser ungewöhnlichen Inszenierung immer wieder. Ein weiterer positiver Aspekt sind die Berliner Philharmoniker unter der souveränen Leitung von Zubin Mehta, der das Meisterwerk betont langsam dirigiert. Dafür blühen die unvergleichlichen Schönheiten der Partitur aber voll auf, was auch den Sängerinnen und Sängern zugute kommt. Die Idealform der durchkomponierten Oper kommt hier nicht zu kurz. Der vergeistigte Charakter der harmonischen Struktur erhält so neue Akzente. Zwischen den vielen strukturellen Gliederungen besteht bei Zubin Mehta durchaus ein Band des inneren Zusammenhalts. Deklamation und Arioso verschmelzen bei den einzelnen gesanglichen Leistungen in dieser Vorstellung problemlos. Luxuriös und makellos klingt die opulente Besetzung der tiefen Bläser bei den Jago- und Otello-Sequenzen. Und auch die Streicher erstrahlen bei Desdemonas Auftritten mit überirdisch-sphärenhafter Leuchtkraft. Und die Wucht von Otellos „Liebestod“ besitzt eine unmittelbare Klarheit und Leuchtkraft.


Stuart Skelton, Sonya Yoncheva. Foto: Lucie Jansch

Trotz mancher Intonationstrübung gelingt es dem Tenor Stuart Skelton als Otello, die ungeheure Strahlkraft seiner Partie in den Spitzentönen zu beschwören. Noch überzeugender ist Sonya Yoncheva als Desdemona, die die bewegenden Klangfarben ihrer Rolle vor allem bei der Sterbeszene fesselnd herausarbeitet. Vladimir Stoyanov kann als Jago die Dämonie seiner Rolle gut beschwören, während Anna Malavasi mit ihrem robusten Mezzosopran die ungeheure Verzweiflung seiner Frau packend verdeutlicht. Auch Francesco Demuro ist ein eindrucksvoller Cassio, der den Vorwürfen aber weitgehend machtlos  gegenübersteht.

In weiteren Rollen überzeugen Gregory Bonfatti als Rodrigo, Federico Sacchi als Lodovico, Giovanni Furlanetto als Montano und Mathias Tönges als Herold.


Sonya Yoncheva, Stuart Skelton. Foto: Lucie Jansch

Zubin Mehta hebt als Dirigent die Gesangslinien der einzelnen Partien sensibel hervor, die Berliner Philharmoniker sind hier immer ein hilfreicher Begleiter. Die Klangflächen besitzen etwas Durchsichtiges und Übersinnliches. Auch der gewaltige Beginn der Sturmmusik mit den Tönen C-Cis-D beschwört bei dieser Wiedergabe eine unmissverständliche Klarheit, die den späteren tiefen Fall des Titelhelden irgendwie schon unsichtbar andeutet. Der Philharmonia Chor Wien (Einstudierung: Walter Zeh) sowie der Kinderchor des Pädagogiums Baden-Baden (Einstudierung: Uwe Serr und Anja Schlenker-Rapke) bieten eine voluminöse Leistung mit imponierender Intonationskraft. Als Desdemona den Namen „Cassio“ ausspricht, brechen die Erinnerungen des Chores deutlich ab. Otellos Seele wird wieder vollkommen bezaubert, was Stuart Skelton überzeugend betont. Die modalen Wendungen und der aus Terzen aufgebaute Akkord im Sturm und im Flammenchor werden von Zubin Mehta geradezu genüsslich ausgekostet, die Berliner Philharmoniker folgen ihm hier in allen Details. Parallele Akkorde unterstreichen die „Eifersuchts“-Passagen sehr präzise. Vor allem die harmonische Entwicklung erhält hier immer wieder einen unaufhaltsamen Fluss, der die Sänger trotz der langsamen Tempi ungemein beflügelt. Dies zeigt sich ebenso in der Bündelung der dissonanten Sturmmotive in einer a-Moll-Melodie. Sonya Yoncheva vermag ihrer schmelzenden Kadenz im Zusammenhang mit Cassio ungewöhnlichen Farbenreichtum zu verleihen. Auch die fallenden Nonen der vier gedämpften Celli vor dem Liebesduett und das Kussmotiv im Orchester besitzen minuziöse Präzision. Zubin Mehta seziert Verdis Partitur bei vielen Passagen, entschlüsselt geheimnisvolle Tonsymbole neu und entlockt dieser Musik zwischen fragenden Spaltklängen ungewöhnliche Antworten.

Das Publikum im Festspielhaus feierte vor allem den Dirigenten und die Sänger mit „Bravo“-Rufen und Beifallsstürmen.

Alexander Walther     

WIEN/ Staatsoper: TURANDOT

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WIENER STAATSOPER: „TURANDOT“ am 16.4.2019

 Marco Arturo Marelli war in den letzten Jahren so was wie der Hausregisseur, wurde auch Ehrenmitglied der Staatsoper. Nun, an dieser Produktion wird es sicherlich nicht gelegen haben. Die quasi Übernahme von den Bregenzer Festspielen wurde auf die Größe der Staatsoper zusammengestutzt – dies ist zwar gelungen, allerdings inszenierte Marelli oft gegen das Libretto, was wirklich sehr ärgerlich ist.

Beispiele gefällig? Turandot wird vom Chor als eine in weiß gekleidete Prinzessin geschildert. Hier tritt sie abwechselnd in blau, rot und schwarz aus. Weiß ist in fernöstlichen Kulturen die Farbe des Todes – da haben sich die Librettisten sicherlich was dabei gedacht! Calaf tritt wiederum in weiß auf…

Im dritten Akt sitzt Calaf gefesselt auf einem Bett während Turandot singt, dass er sie nicht berühren soll… Das mach überhaupt keinen Sinn.

Weiters fällt auf, dass Liu vor der Pause eine Art Hose anhat, danach allerdings in einem Kleid auftritt (mit den Zöpfen wirkt sie dann wie eine Version der Dorothy aus „Wizard of Oz“).

… und braucht man wirklich Figuren, die im Libretto nicht vorkommen – wie zum Beispiel den weißen Clown (übrigens sehr gut dargestellt von Josef Borbely) ?

Aber nun genug über die Produktion gemotzt – kommen wir zum musikalischen Teil des Abends. Domingo Hindoyan stammt aus Venezuela. Sein Werdegang führte ihn über die Schweiz nach Deutschland, wo er Assistent bei Daniel Barenboim war. An diesem Abend schien es, als ob Hindoyan nur eine einzige Lautstärke kennt – Fortissimo. Er zwang dadurch alle Sänger zum Forcieren – was besonders bei den lyrischeren Stellen (ja, die gibt es in diesem Werk auch) enorm störte.

Als Turandot war Anna Smirnova zu hören – warum sie, die eine ausgezeichnete Mezzosopranistin ist, ins dramatische Sopranfach wechselt, bleibt wahrscheinlich ihr Geheimnis. Während sie naturgemäß in den tieferen Registern keine Probleme hatte, tremolierte sie in der Höhe – allerdings in einem noch erträglichen Ausmaß. Die Frage ist halt, wer (neben Nina Stemme) heutzutage diese Rolle überzeugend bewältigen kann. Eine neue Birgit Nilsson ist leider weit und breit nicht in Sicht.

Alfred Kim verkörperte den tatarischen Prinzen. Sein Timbre ist nichts Besonderes, allerdings hat er die Kraft, über drei Akte hinweg über das Orchester hinweg zu singen – was bei der oben angesprochenen Lautstärke eine Kunst war. Er begann etwas verhalten und wirkte bei den tieferen Tönen viel angestrengter als in der Höhe. „Nessun Dorma“ klang als wie von zwei verschiedenen Sängern interpretiert – während er beim ersten Teil der Arie verkrampft wirkte, konnte er zum Schluss mit klaren Spitzentönen überzeugen. Was an diesem Abend angenehm war – die Vorstellung wurde danach nicht durch Applaus unterbrochen!

Überzeugend an diesem Abend war Dinara Alieva in der Rolle der Liu. Die – meiner Meinung nach – einzige Sympathieträgerin der ganzen Oper wurde von Alieva ausdrucksvoll dargestellt. Das Timbre ist zwar nicht so mädchenhaft, wie man es sich vielleicht wünschen kann, sie trotzte aber auch erfolgreich den vom Dirigenten herbeigeschworenen Klangmassen des Orchesters.

Samuel Hasselhorn, Carlos Osuna und Leonardo Navarro waren sehr gute und spielfreudige Minister, Paolo Rumetz ein Mandarin, der nicht weiters auffiel. Ich kann mich vielleicht irren, aber begeht im Originallibretto Timur Selbstmord? Nicht nur, dass er im letzten Akt plötzlich sehen kann (vielleicht eine Spontanheilung, nachdem sein Sohn die drei Fragen erfolgreich beantworten konnte?) und den Dolch, mit dem sich Liu entleibte, von Boden aufhob, schnitt sich der wie immer sehr verlässliche Dan Paul Dumitrescu beim Abgehen noch die Pulsadern auf.

Apropos Dolch uns Liu-Selbstmord. Da dürfte ein kleines Hoppala passiert sein. Ich nehme mal an, dass der Farbbeutel für das Blut schon früher geplatzt war und so musste die Liu schon ihre Schlussarie mit blutendem Herzen singen. Konsequenterweise hat sie sich dann den Dolch in den Unterleib gerammt und war sofort tot.

Benedikt Kobel als Altoum sah nicht nur sehr gebrechlich aus, er klang auch so. Ob gewollt oder ungewollt – wer kann das schon sagen?

Die Leistung der beiden Mägde Younghee Ko und Irena Krsteska war tadellos.

Beim Schlussapplaus erhielt Dinara Alieva die größte Zustimmung, gefolgt von Alfred Kim und Anna Smirnova. Es war insgesamt ein solider Repertoireabend, der aber durch diverse Regieeinfälle getrübt war.

Vor der Pause war der Stehplatz voll, nach der Pause nur noch zur Hälfe – das sieht man leider immer wieder und ist schade. Insofern ist es gut, dass ab nächster Saison die Preise für die Stehplätze angehoben werden. Heutzutage kostet eine reguläre Führung durch die Staatsoper für Erwachsene 9 Euro, für Studenten 4 Euro. Da ist eine Stehplatzkarte für Balkon und Galerie billiger, man sieht die Räume der Oper und nimmt quasi im Vorübergehen auch noch einen Akt einer Aufführung mit…

Kurt Vlach

WIEN/Theater an der Wien: „ORLANDO“, diesmal von Georg Friedrich Händel

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Foto: Monika Rittershaus

WIEN/Theater an der Wien: „ORLANDO“, diesmal von Georg Friedrich Händel

Rasender Roland, ein irrer Stalker

16.4. 2019 – Karl Masek

Wo Claus Guth draufsteht, ist Claus Guth drin. Klar, dass im Falle „Orlando“ nicht der Ritter Roland, Krieger aus dem Heer Karls des Großen, gezeigt wird. Klar, dass da nicht das Epos, wie es Librettist Ludovico Ariostokreiert hatte, vom Blatt gespielt wird. Klar, dass hier mit dem speziellen und mittlerweile altbekannten szenischen Vokabular, das dem zweifachen Faust-Preisträger, Philosophen, Germanisten und Theaterwissenschaftler eigen ist, operiert wird: Die Geschichte wird in die Gegenwart verlegt und geografisch aus dem Süden Europas (Spanien) in eine noch südlichere Gegend Lateinamerikas (Mexiko?) „verortet“, wie das dann immer so schön heißt. Figuren werden hinzu erfunden (5 Statist/innen bekommen mehr zu tun als üblich), mit Doubles wird gearbeitet.  Ein besonderer Dejá-vù-Effekt bei Claus Guth, der schon reichlich Patina angesetzt hat in all den Jahren seines regielichen Wirkens.

Nun denn: Orlando, von Kriegserlebnissen schwer traumatisiert, zieht sich in sein früheres Leben zurück. Er ist nicht mehr „kompatibel mit der normalen Welt, hat seine moralischen Proportionen verloren“, wie sich der Regisseur im Programmheft ausdrückt. Die besitzergreifende Liebe zu Angelica ist erstrebenswerter als ein zweifelhafter (Nach)ruhm eines Kriegshelden, der womöglich  sein Leben hergegeben hat. Diese Angelica ist aber mittlerweile dem jungen Medoro zugetan. Und auch eine gewisse Dorinda gibt es, die ihrerseits Medoro liebt. Zoroastro ist nach Guths Willen kein „Zauberer“, sondern eine Figur, dieerfolglos versucht, Orlando wieder für den Dienst mit der Waffe zu gewinnen. Dazu wechselt er einen Abend lang ständig Rolle und Outfit, ist einmal korrekter, knochentrockener „Bürokrat“, dann wieder ein schmuddeliger, ständig sternhagelvoller Obdachloser.

Ausgangslage also für eine Story mit den üblichen Konflikten, Verwicklungen, Liebeswirrnissen, krankhafter, tobender Eifersucht (die „Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft“!) und der gewissen barocken „Umständlichkeit“ des ausufernden Erzählens. Orlando ist nicht rasender Roland, sondern irrer Stalker mit (Selbst)zerstörungstendenz, letztlich willens, sich selbst und alle(s) abzufackeln.

Ausstatter Christian Schmidt stellt eine hässliche, heruntergekommene, seltsam monumentale Betonkonstruktion auf die Bühne. Ein Wohnbereich wie ein längst nicht mehr bewohntes Plattenbau-Appartmenthaus.  Bar jeder Einrichtung ist dieses Obergeschoss. Darunter eine Garage. Eine Limousine, die trotz aller Bemühungen nicht reparabel scheint.. An der Wand steht: „PROHIBIDO FUMAR“ – es wird allerdings tüchtig geraucht und gezündelt an diesem Abend! Die Drehbühne ermöglicht Blickfänge zu einer Imbissbude, welche die junge Dorinda betreibt. „Schäferin“ – das war früher! Dorthin kommt auch ein Kunde, derrein optisch an die „Alltagsgeschichten“ der Toni Spira erinnert. Dann wieder ein offenes Stiegenhaus, indem sich waghalsige Verfolgungsjagden und Kletterpartien abspielen, wenn sich das Geschehen mehr und mehr zuspitzt. An der Bushaltestelle wiederum kommen die verlorenen Seelen zusammen. „THAT’S LIVE“ ist hier zu lesen. Eine Bierwerbung. Vergeblich schaut Dorinda beim Fahrplan nach, wann denn der nächste Bus (nach nirgendwo?) kommt. Der Obdachlose bietet der Traurigen Bier aus der Dose an …

Guth will – wie üblich – die Geschichte anders, sprich: heutig, erzählen, dem heutigen Publikum näherbringen, er erklärt uns die (Opern)welt, wozu es natürlich „heutige“ Menschen mit „heutigen“ Emotionen braucht. Orlando ist ein Macho, der gewohnt ist, dass ihm gehört, was er erkämpft hat. Angelica irrlichtert zwischen den beiden Männern hin und her, bringt Orlando zum Wahnsinn, setzt sich über das Aufklärungs-Ideal „Vernunft über alles“ konsequent hinweg, ist den horizontalen Freuden und der Promiskuität nicht abgeneigt, krallt sich den Automechaniker Medoro, auch in Erwartung einer Liebesreise mit dem Luxusschlitten. Koffer (!) sind schon bereit. Die einfach gestrickte WürstelstandbesitzerinDorinda scheint bis zum lietofinebei Medorokeinen Meter zu machen. Bis die nach dem Wüten Orlandos totgeglaubte Angelica diesem wieder erscheint, auch alle anderen Gestalten erscheinen wieder – und sich schließlich alles zum Guten wendet. „Die Realitäten driften auseinander und setzen sich neu zusammen“, heißt es lakonisch in der Inhaltsangabe des Programmhefts. Und man kann als Publikum die Beziehungs-Puzzleteile neu zusammensetzen …

Höchste Zeit für die Musik! „Orlando“, 1733 entstanden, scheint nach dem Höreindruck des 1. Aktes ein etwas schwächeres Stück des großen Hallensers zu sein. Da gibt es doch ziemliche Längen,  mit dem subjektiven Gefühl verbunden: Nach einer Stunde hab ich auf die Uhr geschaut, und es sind 20 Minuten vergangen. Somit ist eine Inszenierung, in der sich „etwas tut“, sehr willkommen! Und derlei reichert Guth mit gekonnter Personenführung natürlich an.  Licht (Bernd Purkrabek) und Videozuspielungen (rocafilm) inbegriffen.

Trumpf-As des Abends war freilich das Orchester Il GiardinoArmonico. Ihm hörte man mit nie erlahmender Aufmerksamkeit, ja mit steigender Begeisterung, zu. Das klang „mit der wilden Frische von Limonen“,  angesichts der dramatischen Steigerungen, da grollte das Orchester auch schon mal mit gefährlich klingendem Bass-Fundament, aber auch sanfte Farben kamen, wenn sich die Protagonist/innen in ihren Gefühlen verlieren. Giovanni Antoniniwar der Animator am Pult, der auch selbst zur Blockflöte griff wenn es galt, besonders schöne und sinnliche Klangfarben zu malen!

Christophe Dumauxwar der atemberaubende, tobende Stalker. Staunenswert, was heutige Opernsänger/innen heute mit ihrer Körperbeherrschung und offensichtlichem Hochleistungssport alles leisten!  Dumaux ist Sänger, Darsteller, Stuntman. Das alles mit einer Counterstimme, die bisher ungeahnte, virtuose Registerwechsel mit größter Selbstverständlichkeit und Mühelosigkeit hörbar macht.

Anna Prohaska als weibliches Objekt der Begierde, Angelica: Respekt für ihre sing-darstellerische Leistung! Sie hat glaubhafte Bühnenpräsenz, somit das Potenzial, gleich 2 Männer um den Verstand zu bringen. Rein sängerisch bewegte sie sich allerdings einen Abend lang am Limit.

Am besten gefiel mir die junge, aufstrebende italienische Sopranistin Giulia Semenzato. Sie verlieh ihrer Figur erdige Hemdsärmeligkeit, sang die Rolle mit mädchenhaft naiver Unschuld, aber auch mit resoluter Schärfe (die unfehlbare Intonation nahm zusätzlich für sie ein!).

Der zweite Counter, Raffaele Pe, bewährte sich als Liebhaber mit schöner Figur, als Automechaniker, der mit Wagenheber und Werkzeugkasten authentisch umzugehen verstand, aber auch mit hübscher Stimme, die allerdings ob der körperlichen Anstrengungen mitunter auf der Suche nach der richtigen Tonhöhe schien.

Ja, und der angebliche Zauberer Zaroastro: Florian Boesch – er war schon im Vorjahr ein  toller „Saul“ in Guths Lesart – holte sich als Sandler Zoroastro mit einer virtuos besoffen geröhrten Arie den ersten Szenenapplaus des Abends. Er musste monatelang in der Szene studiert haben, so perfekt bis ins kleinste Detail der Körpersprache spielte er einen, der auf  Parkbänken übernachtet. Ob es mit Händels Oper  „kompatibel“ ist? Einige gerümpfte Nasen im Publikum wollten das nicht unbedingt beglaubigen!

Allerdings, nach 200 Minuten „Orlando“:  Ungetrübte Zustimmung des Publikums bei dieser 1. Reprise,  Akklamation, Jubel.

Karl Masek

 

WIEN / Theater an der Wien: ORLANDO

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Fotos: Monika Rittershaus

WIEN / Theater an der Wien:
ORLANDO von Georg Friedrich Händel
Premiere: 14. April 2019,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 16. April 2019

Orlando liebt Angelica. Diese ihrerseits liebt Medoro. Und diesem hat auch Dorinda ihre Gefühle zugewendet. Man hat also ein Quartett, wo ausgerechnet der Titelheld – das ist natürlich „Orlando“ in der Oper von Georg Friedrich Händel aus dem Jahr 1733 – in Sachen Liebe gar nichts abbekommt. Das ist gegen jede Opernregel, aber folglich ist es wirklich kein Wunder, dass er – wie’s in allen Vorlagen steht – „furioso“ wird. Befrieden kann seinen Ausbruch aus Zorn, Wut und Frustration, wo er allerlei in Stücke zerlegt. den Rivalen  und die ihn Verschmähende umbringt, nur der Zauberer Zoroastro, dessen Wunsch es auch ist, Orlando endlich wieder zu dem zu machen, was er von Berufs wegen sein soll: ein Krieger. Die Oper hindurch jammert er ja nur hinter seinen Gefühlen her…

Dabei hat Händel viele Rezitative auch vom Orchester begleiten lassen, was damals ungewöhnlich war, schrieb einige Virtuosenarien, aber auch viel gedehnt Lyrisches, und krönt das seltsame Happyend (die Toten erstehen auf, Orlando verzichtet auf die Liebe und wird wohl wieder das Schwert führen) mit einer musikalisch schlechtweg prachtvollen Ensembleszene.

Dennoch ist die ganze Oper, verglichen mit den berühmten Händel-Werken, inhaltlich eigentlich dürftig und wiederholt ihre Motive ununterbrochen, und es verwundert nicht, dass sie eher zu seinen unbekannteren Schöpfungen zählt. Allerdings war sie 2013 in einer popig-punkigen Aufführung in der Kammeroper, die auch die starke Naturbezogenheit von Handlung und Arien thematisierte, besser aufgehoben als derzeit im Theater an der Wien. Da wirkt der dreieinhalbstündige Abend oft wie „viel Lärm um nichts“.

Zu „Orlando“ muss man sich etwas einfallen lassen, und das ist Regisseur Claus Guth fraglos gelungen. Natürlich wollen wir keinen Ritter aus dem Heer von Karl dem Großen mehr auf der Bühne sehen und auch keine Schäferinnen. Wenn die Handlung allerdings hier und heute in irgendeinem schäbigen Wohnblock in Mexiko spielt, muss man sich als Zuschauer / Zuhörer darauf einlassen, dass ausgerechnet diese Leute Händel singen. Dass alles, was in dem Werk an „Zauber“ passiert, nur Wahn ist. Dass am Ende offenbar selbst heilende Kräfte wirken, sonst kann nicht plötzlich alles „gut sein“.

Aber man will es glauben, einfach weil Guth die gänzlich neue Welt, die er für das Werk kreiert, mit Hilfe von Ausstatter Christian Schmidt durchzieht. Einmal nicht eine der faden Zimmerdekorationen. Vielmehr steht – allerdings sehr an Castorf-Ambiente gemahnend – ein klobiger Betonbau auf der Drehbühne, hat vier Seiten, das Untergeschoß ist eine Garage (Medoro werkt da auch, kann den Wagenheber bedienen, wenn man sich nicht irrt, riecht es tatsächlich nach Schmieröl), außerdem steht da ein Imbiß-Bus; weiter gedreht gibt es eine Bushaltestelle; wieder gedreht einen leeren Raum im Obergeschoß; noch einmal gedreht jene Außentreppen, wie man sie vielfach aus den USA kennt, aber nicht aus Eisen, sondern auch als Beton (und eine Zumutung für die Sänger, die Schwieriges zu singen haben und noch Treppen laufen müssen. Gut, sie sind alle einigermaßen jung, aber trotzdem…). Ja, und irgendwo klebt ein Plakat, auf dem „Mexico“ steht. Das spielt aber für den Schauplatz keine weitere Rolle.

Hier laufen die Darsteller in heutiger Kleidung herum, wobei Orlando und Medoro einander so ähneln (Bart, Frisur, Kleidung), dass man anfangs, wo sie einem noch nicht so vertraut sind, Gefahr läuft, sie zu verwechseln. Was bei den doch sehr verschiedenen Damen nicht passieren kann. Warum Florian Boesch sich aus dem „Zauberer“ Zoroastro, den er an sich als humorlosen Sklaventreiber anlegt, zwischendurch in einen Sandler verwandeln muss (pinkeln gehört heutzutage einfach dazu), bleibt unklar wie vieles andere auch. Aber das haben heutige Inszenierungen so an sich: Sie sind nicht zwingend. Alles kann so sein, könnte auch anders sein und spielt keine Rolle. Ob Guth da noch seltsame Nebenfiguren einbringt, die man nicht identifizieren kann, oder ob er, wenn von Pluto die Rede ist (nächster Umweg vom Orkus nach Mexico) Statisten mit Anubis-artigen Hundeköpfen auf die Bühne schickt… mein Gott, ist halt so in der Betonwelt.

Aber zumindest macht dieses ganze wehleidige Liebesgedöns in Guths Regie einigermaßen Sinn, und die fünf Sänger spielen mehr oder minder überzeugend, was man ihnen sagt. Dabei muss man „Orlando“ Christophe Dumaux noch zu seiner Wendigkeit gratulieren, er ist fast am eindrucksvollsten, wenn er im Bühnenbild herumturnt und herumspringt, als ob es nichts kostet und ein paar Schreckensmomente erzeugt. (Ein Deja vu-Moment hat man als Theater-an-der-Wien-Besucher übrigens bei der Stelle, wo Orlando sich mit Benzin übergießt und ein Feuerzeug schwenkt – hatten wir das nicht gerade erst bei „Elias“?)

Im übrigen kann man allen Sängern leider nachsagen, dass sie keine aufregend schönen Stimmen haben und Händel nicht mit jener Virtuosität exekutieren, die nun einmal dazu gehört – nicht die Countertenöre Christophe Dumaux und Raffaele Pe, noch weniger die Damen Anna Prohaska und Giulia Semenzato, beide schon eher überfordert mit den Koloraturen, auch nicht Florian Boesch mit grobem Bassbariton.

Il Giardino Armonico klang so harmonisch, wie es bei alter Musik auf alten Instrumenten nur gelingen kann, und Dirigent Giovanni Antonini war bei den dramatischen Sequenzen weit überzeugender als bei den lyrischen, die manchmal unerträglich geschleppt wirkten.

Das Publikum schien keinerlei Einschränkungen zu hören und zu sehen, auch die zweite, voll besetzte Aufführung des Werks wurde ehrlich bejubelt.

Renate Wagner

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