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WIEN / Theater im Zentrum: FRANKENSTEIN

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Theater der Jugend / Theater im Zentrum • Frankenstein // nach Mary Shelley von Clemens Pötsch

WIEN / Theater der Jugend im Theater im Zentrum:
FRANKENSTEIN nach Mary Shelley von Clemens Pötsch
Premiere: 30. April 2019,
besucht wurde die Vorstellung am 2. Mai 2019

Es ist nicht das erste Mal, dass das Theater der Jugend einen klassischen Stoff hernimmt und ihn für sein Publikum so „heutig“ aufbereitet, dass das Original eigentlich auf der Strecke bleibt. So landete ja einst Oliver Twist in den Tiefen der Londoner U-Bahn… und dem Victor Frankenstein der Mary Shelley geht es derzeit nicht besser.

Die Neunzehnjährige (!!!), die sich vor mehr als 200 Jahren (!!!) im Sommer 1816 am Genfer See, die Geschichte des Mannes ausdachte, der einen künstlichen Menschen schuf, der schauriges Eigenleben entwickelt, hätte sich wohl nicht vorstellen können, ihre Werk als eine Art Scienc-Fiction-Film von heute zu sehen.

Aber gut, die Idee des Menschen als Schöpfer des Menschen reicht vom Golem über Homunculus wohl bis in die heutigen verschwiegenen Labors. Also ist man vielleicht nicht ganz fern von unserer Technologie und Vorstellungswelt – da wir es noch immer nicht geschafft haben (oder vielleicht doch, und die Wissenschaft sagt es bloß noch nicht), ist das Thema flirrend interessant.

Aber warum Bearbeiter Clemens Pötsch das Original offenbar so uninteressant war, dass er noch eine völlig erfundene Welt der Cyber-Diktatur darüber stülpte, mit Victor Frankensteins Vater (im Buch nicht allzu wichtig) als geifernden Diener des totalitären Staates, während eine erfundene Schwester bei den Widerstandskämpfern zu finden ist, wo dann auch das von Frankenstein geschaffene Monster landet… da spielt das Original eigentlich nicht mehr mit.

 
Fotos: Theater der Jugend

Immerhin hat Regisseur Felix Metzner in der Ausstattung von Andreas Lungenschmid / Andrea Bernd seine Inszenierung konsequent darauf zugeschnitten, was die Kids (der Abend ist für Elfjährige plus) ja ohnedies immer im Kino sehen, erkennen und was sie kaum erschrecken kann. Zumal das „Monster“ in Gestalt von Stefan Rosenthal (glatzköpfig und bleichgesichtig) zwar ungemein hintergründig und auf tragische Art auch dämonisch ist, aber nicht so erschreckend, wie er „zusammen gestückelt“ üblicherweise im Horrorfilm erscheint. Er darf auch einiges von den Identitätsproblemen des Außenseiters bringen, die schon Mary Shelley sorglich in ihm angelegt hat. Und Jürgen Heigl ist so persönlichkeitsstark als gequälter Victor Frankenstein, dass die beiden diese doch eher unkorrekte (weil so weit vom Original entfernte) Variante der Geschichte tragen…

Die erfundene Rebellin-Schwester (Christina Constanze Polzer) und Frankensteins Elisabeth (die gibt es wirklich im Roman) in Gestalt von Eva Dorlass teilen sich die Frauenrollen, Uwe Achilles ist (mit weißem Langhaar) der böse gewordene Vater, Rafael Schuchter und Daniel Jeroma sind mit diversen Nebenrollen befasst.

Das Ganze ist „wie im Kino“ und ein Lehrstück gegen Diktaturen, wenn es sich auch gedanklich nicht ganz ausgeht. Was die Autorin gemeint hat, war es nicht. Was Kinder heute vertraut ist, haben sie gefunden.

Renate Wagner


WIEN / Kammerspiele: DIE NIERE

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Foto: Theater in der Josefstadt

WIEN / Kammerspiele der Josefstadt:
DIE NIERE von Stefan Vögel
Österreichische Erstaufführung
Premiere: 2. Mai 2019,
besucht wurde die Generalprobe

Hoppla, Nierentransplantation, wer spendet wem – und spendet er überhaupt? Das klingt ja ganz ernsthaft. Da kann man an der Reaktion der Angefragten ganz gut Empathie und Distanz messen, kurz gesagt, da geht es ans menschlich Eingemachte. Und das bei Stefan Vögel, unserem Vorarlberger, der die Boulevard-Welt mit Komödien versorgt?

Mit „Arthur und Claire“ ist er dank der Verfilmung mit Josef Hader so richtig berühmt geworden – damals ging es ja auch erst ums Sterben. Am Ende allerdings war alles komödienhaft happy. Man kann sicher sein, dass es auch in den Josefstädter Kammerspielen genug zu lachen gibt, wenn „Die Niere“ von Vögel hier als österreichische Erstaufführung in Szene geht…

Ja, wie ernst ist es gemeint? Am Anfang denkt man mit. Ein seit einem Jahrzehnt offenbar glücklich verheiratetes Paar, Kathrin und Arnold, in den besten Verhältnissen, wie die moderne Wohnung (Ausstattung: Stephan Dietrich) ahnen lässt, Madame trägt auch Designer-Kleidung, der Architekt-Hausherr ist hoch zufrieden mit dem Modell eines 36stöckigen Glasturms, den er in Paris bauen wird. Alles paletti, man erwartet Gäste, Götz und Diana, sie ist Apothekerin, alle sind Freunde.

Da lässt Kathrin die Bombe platzen: Sie ist schwerkrank, braucht eine Spenderniere, und sie fragt zwar nicht direkt, aber Gatten Arnold ist schon klar, was sie von ihm erwartet, hat er doch dieselbe Blutgruppe…

Und ja, da arbeitet sich der Autor durch die Problematik, durch das Gefühl der Verpflichtung und das natürliche Zögern (Risiko, gesundheitliche Folgen, lange Arbeitsunfähigkeit)… fast jeder im Publikum würde das Ganze auch durchdenken. Ist ja keine Kleinigkeit, sich eine Niere herausschneiden zu lassen. (Auch dann nicht, wenn die Gattin das als Liebesbeweis zu betrachten scheint, der Druck also unverschämt hoch ist…)

Mit dem Auftauchen des anderen Paares verändert sich die Situation. Nun geht es zunehmend um Privates, darum, wer edel ist und wer fies, Ehebruch und üble Verhandlungstaktik (eine Niere gegen das Stillschweigen über einen Seitensprung?) – ja, und keine Frage, am Ende ist alles ganz anders. Immerhin gibt es zum Finale einen unerwarteten Knalleffekt, wo das Modell des Hochhauses (die Penis-Scherze waren zahlreich) eine Rolle spielt, und das bedeutet wohl: So möge es allen Ehemännern gehen, denen die Arbeit wichtiger ist als ihre Frauen… Ganz schön hart.

Aber das Stück ist nicht nur grottenkurz (eineinviertel Stunden), sondern auch geschmeidig und gefällig, solcherart von Folke Braband inszeniert und einem Quartett gespielt, das ausgezeichnet ist, aber eigentlich nicht den „Star“-Charakter hat, die Kammerspiele zu füllen. Immerhin, Martina Stilp verhandelt souverän über Gesundheit und Gefühle, und Pilar Aguilera, die man lange Jahre aus den „Kellern“ kennt, darf zeigen, wie gewandt sie josefstädtisch zu spielen versteht. Martin Niedermair ist der Verlierer der Geschichte und holt dafür das Maximum für sich heraus, während der Edelmensch (Oliver Huether) vergleichsweise am Rande bleibt. Wie ungerecht.

Und wie banal letztlich alles. Ein echtes Problem als Aufhänger für etwas, das in eine Eheschlacht mündet. Viel Glück beim Publikum, das sich vielleicht nicht unbedingt für die Nierentransplantationen anderer interessiert – selbst, wenn sie gar nicht stattfinden…

Renate Wagner

FRANKFURT: DIE WALKÜRE

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Bildergebnis für Frankfurt die Walküre libor
Christiane Libor (Brünnhilde), James Rutherford (Wotan). Foto: Barbara Aumüller)

Frankfurt: „DIE WALKÜRE“. Besuchte Vorstellung am 01. Mai 2019

Perspektiv, magisch, visionär gleich einem Labsal für die Augen kam die Sichtweise Vera Nemirovas Ring-Produktion (anno 2011) daher und zwar zur WA „Die Walküre“ (Richard Wagner), ließ so manches anderweitig erlebte debil-absurde Regiedebakel der letzten Jahre verblassen. Eine Offenbarung ebenso die an Neu-Bayreuth orientierte Bühnen-Ästhetik (Jens Kilian) einer variablen Ringe-Konstruktion zum vortrefflichen Design (Olaf Winter) in optimaler Illustration ins rechte Licht gerückt. Die passenden Kostüme kreierte Ingeborg Bernerth. In überwältigender Optik erschloss sich der finale Feuerzauber: nach einem bewegenden Abschied erhob sich der Mittelring mit der schlafenden Brünnhilde zum Altar empor, vom Schnürboden senkte sich ein dimensionaler Feuerreif und umgürtete Wotans Lieblingstochter, welche grandios-geniale Lösung.

Bereits zu den ersten Takten der Gewittermusik entführte GMD Sebastian Weigle mit seinem bestens disponierten Frankfurter Opern- und Museumsorchester in Wagners magisch-akustische Zauberwelten. In höchst qualitativer Manier offerierte Weigle in prächtiger Auffächerung die geniale Partitur, formte geschlossene instrumentale Perspektiven voll Wärme und Sentiment. Selten zuvor wurde mir das spannungsvolle elektrisierende Knistern im ersten Aufzug so intensiv gewahr, schier kammermusikalisch durchleuchtete der einfühlsame Dirigent mit seinem herrlich musizierenden Orchester die aufgelichteten Momente intimeren Charakters sowie durchleuchtete famos die Monologe der Folge-Akte. Handwerklich sensibel belichtet erklangen die melodischen Details der innigen Passagen zum warmgetönten Streicherklang und ohne instrumentale Überproportionen kontrastierten die wuchtigen Ausbrüche der präzisen Bläserfraktionen. Umsichtig bettete GMD Weigle seine Sänger zudem in wohlige Klangformationen und schenkte dem Rezensenten beglückende Wagner-Wonnen. Bravo! Das Publikum war meiner Meinung und überschüttete den GMD und sein Orchester mit den heftigsten Ovationen.

Unbeeindruckt von so viel liebevoller orchestraler Umhüllung entfalteten sich die Protagonisten des ersten Aufzugs. Das optisch wie vokal ungleiches Zwillingspaar präsentierte sich nicht als nicht ideal, zunächst sang Peter Wedd einen kraftvollen Siegmund in helden-baritonaler Manier,  wenige tenorale Qualitäten gewannen die Oberhand lediglich während des Dialogs mit der Halbschwester, ansonsten vernahm man nur voluminöse sehr dunkel-kernige Töne. Sehr dramatisches Gewicht schenkte ebenso Amber Wagner ihrer Sieglinde, führte die umfangreiche Mittellage ihres Soprans in bronzefarbene auftrumpfende, nicht immer angenehme Höhen und ließ das jugendliche Strahlen gänzlich vermissen. Als Brutalo vom Scheitel bis zur Sohle entpuppte sich Hunding und passend zum Outfit lieferte Taras Shtonda wenig klangvolles hohes Basspotenzial.

Angenehmere Töne vernahm man erst im zweiten Aufzug aus den Reihen der Götter. Mit klangvollem hohem Mezzosopran hielt Claudia Mahnke  die verhängnisvolle Standpauke der streitbaren Fricka, ganz Dame in schwarzem Abendkleid und Pelz die erotisch-beschwichtigenden Annäherungen des Göttergatten ignorierend. Zu hohen ausdrucksstarken Soprantönen von Wotans Avancen völlig unbeeindruckt entschied sie den Ehezwist für sich.

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James Rutherford, Christiane Libor. Foto: Barbara Aumüller

In warmgetönter Mittelbereich-Grundierung ihres Soprans verkündete Brünnhilde Walhalls Wonnen, leuchtend erklangen zuvor die Hojotohos,  in immensen Steigerungen führte  Christiane Libor die vokal anspruchsvollste aller Brünnhilden in wunderbare Höhensphären. Dazu berührte die Sängerin in dezenter Darstellung während emotionaler Momente: in betroffener Erkenntnis beim Erwachen der Liebe, der einfühlsamen Traurigkeit beim Dialog mit dem Vater und schließlich im überwältigenden Abschied. Zu herrlichen Nuancierungen ihres wandlungsfähigen Soprans brachte Libor diese Gefühlswelten in prächtiger Vokalise zum Ausdruck.

Einen Wotan von beeindruckender Noblesse verkörperte James Rutherford , verlieh dem Gott  imposante Autorität und steigerte seinen wohlgetönten Bassbariton in die kräftezehrenden Dimensionen dieser prägnanten Partie. Gallige Töne mischte Rutherford seiner Erzählung bei, vokale Wärme durchfloss die Monologe mit der Tochter, gipfelnd in ausgezeichneter Charakterisierung des unnachgiebigen Göttervaters in viril-klangvollen Höhenattacken des Finales.

Vortrefflich fügten sich die Stimmen der 8 Walküren Irina Simmes, Elizabeth Reiter, Nina Tarandek, Katharina Magiera, Ambur Braid, Karen Yuong, Stine Marie Fischer, Judita Nagyová abrundend ins vokale Geschehen.

Einhellige Ovationen für alle Beteiligten, insbesondere jedoch für Weigle und sein Orchester.

Gerhard Hoffmann

 

 

TEL AVIV/Israeli-Opera: THE PASSENGER von Mieczyslaw Weinberg. Kurzbericht

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Schlussapplaus. Foto: Klaus Billand

TEL AVIV: Kurzbericht -THE PASSENGER am 2. Mai 2019

Am 30. April erlebte in der Israeli Opera Tel-Aviv-Yafo die Oper „The Passenger“ von Mieczyslaw Weinberg ihre israelische Erstaufführung mit einer teilweise internationalen Besetzung in den Hauptrollen. Gestern Abend erlebte ich die zweite Aufführung mit einer komplett israelischen Besetzung ausgezeichneter Qualität, allen mit ihren Rollendebuts. Der Generaldirektor der Israeli Opera Tel-Aviv-Yafo, Zach Granit, hatte die ebenso mutige wie großartige Idee, das Stück, welches mit dem Holocaust bekanntlich das finsterste Kapitel der deutschen Geschichte thematisiert, in Israel aufzuführen.

Dazu holte man die komplette Produktion der Bregenzer Festspiele aus dem Jahre 2010 von David Pountney mit den imposanten Bühnenbildern von Johan Engels, den Kostümen von Marie-Jeanne Lecca, dem Lichtdesgin von Fabrice Kevour und erlebte nach den ersten beiden Abenden enormen Zuspruch des israelischen Publikums im sehr gut besetzten Saal, den auch in der Pause fast niemand verließ. Revival Director ist Bob Kearly und Revival Lightdesigner für die riesige Bühne in Tel Aviv Christoph Forey.

Man hatte eine landesweite Vorbereitungskampagane für Gymnasialschüler von 16 bis 18 Jahren durchgeführt und in jede Aufführung zwischen 200 und 250 eingeladen. Granit wollte mit diesem Werk in einer Zeit des zunehmenden Populismus‘, in der es immer schneller und leichter möglich wird, einzelne oder ganze Gruppen zu stigmatisieren und zu verfolgen, am Beispiel des gerade für Israel so bedeutsamen Holocaust zeigen, wie gefährlich ein solche Entwicklung ist, wie schnell sie aus dem Ruder laufen kann und wie sehr man also aufpassen muss, dass so etwas nie wieder passieren kann. Die Demokratie sei deshalb die beste Regierungsform, solche Entwicklungen zu verhindern, da sie dazu über die besten Mittel verfügt. (In einem Interview mit Zach Granit, das in Kürze  folgen wird, werde ich näher darauf eingehen).

Nir Cohen Shalit dirigierte das Israeli Symphonie Orchestra Rishon LeZion, was nach nur vierwöchiger Probenzeit bestens mit der komplexen Partitur Weinbergs zurechtkam. Edit Zamit sang die Lisa, Peter Marsh den Walter, Ira Bertman die Marta.Unter den vielen kleineren, aber dramaturgisch ebenfalls sehr wichtigen Rollen ist stellvertretend noch Moran Abouloff als Yvette hervorzuheben. Mit dräuender Finsterkeit sang der Israeli Opera Chorus die immer wieder kehrenden Verse zur „Black Wall“ dem Todesblock, in dem alle früher oder später enden würden. Es wurde auf Deutsch, Polnisch, Tschechisch, Russisch, Französisch, Englisch, Jiddisch und Hebräisch gesungen!

Das junge und teilweise auch sehr alte Publikum applaudierte begeistert. Die Vorhänge der Solisten wurden mit rhythmischem Klatschen begleitet.    (Detaillierte Rezension in Kürze).

Klaus Billand aus Tel Aviv

Film: DER GAST

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Filmstart: 10. Mai 2019
DER GAST
Österreich / 2019
Regie: Houchang Allahyari
Mit: Gregor Bloeb, Karina Sarkissova, Erni Mangold, Mehmet Sözer, Doina Weber u.a.

Houchang Allahyari ist ein fester Bestandteil der österreichischen Filmlandschaft. In der letzten Zeit hat er vor allem Dokumentarisches gezeigt – seine Eindrücke von einer Reise in seine ehemalige Heimat Iran, ein Porträt seiner verstorbenen Ex-Schwägerin Ute Bock. Nun gibt es wieder einen Spielfilm, und einen weidlich seltsamen dazu. Sehr auf „künstlerisch“ gepolt, in Schwarzweiß, vieles verschwimmend, absichtlich unscharf in Handlung und Machart. Mit dem Effekt, dass man am Ende alles andere als überzeugt ist von dem, was man in „Der Gast“ gesehen hat.

Der ursprüngliche Arbeitstitel lautete „Die Villa“, und der Luxus-Wohnbau der namentlich nicht genannten, sehr großbürgerlichen Familie ist ausführlich zu sehen.

Der Hausherr (Gregor Bloéb, vielschichtiger als sonst) wird als „Herr Staatssekretär“ angesprochen, ist ein hoher Politiker mit entsprechender Verhaltensglätte, der allerdings, wie man bald merkt, zwei wunde Punkte hat – seinen gelähmten Sohn (Empathie) und den Ausländer (der schwule Bedürfnisse in ihm weckt)…

Die Hausfrau (Karina Sarkissova, offenbar doch nicht nur Adabei-Reizname, sondern auch darstellerisch einsetzbar) ist eine ehemalige Primaballerina mit offenbar schweren nervlichen Störungen, die sich auch durch körperliche Lähmungen ausdrücken (Regisseur Allahyari selbst mimt den freundlichen Arzt, der versucht, ihren Beschwerden auf den Grund zu kommen). (In irgendwelchen Traumszenen oder Rückblicken darf sie auch zu dem Adagio aus Mahlers Fünfter tanzen, aber diese Assoziation mit Viscontis „Tod in Venedig“ scheint in diesem Zusammenhang – denkt man an die qualitativen Welten, die diese Filme trennen – geradezu obszön…)

Die Tochter (Roya Anahita Mousavi) ist ein tief verwirrtes Wesen, das die Düsternis der Familie damit erklärt, dass ihr Bruder (Michael Haslik im Rollstuhl) seit einem Unfall völlig gelähmt ist. Er hat eine Pflegerin, die an schwerem religiösen Wahn (und unterdrückten sexuellen Bedürfnissen) leidet (beim Beten einen Orgasmus zu bekommen, das muss man erst einmal spielen, und Diona Weber kann das). Nur das Hausmädchen (Jennifer Grim) wirkt vergleichsweise unbeschwert.

Damit das Ganze noch eine Schicht an Bösartigkeit zulegen kann, kommt die Mutter des Hausherrn an, um mit der Familie zu leben – Erni Mangold ist ideal, wenn es darum geht, Atmosphäre zu vergiften. Sie haßt die Schwiegertochter, und sie haßt auf Anhieb den Fremden, der da kommt.

Um das Ganze (künstlich) mythisch, mystisch und geheimnisvoll zu machen, gibt Allahyari keinen Hinweis, wer der junge Mann (Mehmet Sözer) ist, dessen Aussehen ihn im Nahen Osten verankert. Er ist plötzlich da, spricht nicht, arbeitet im Garten, isst in der Küche, nimmt sich des Behinderten an. Wieso die Hausfrau, die seit einem Jahr keinen sexuellen Kontakt mehr mit ihrem Gatten hatte, plötzlich schwanger ist (Karina Sarkissova zeigt nicht nur nackten Busen, sondern dann auch Schwangerschaftsbauch), wird nicht erklärt, aber die unbefleckte Empfängnis war es wohl nicht. Die Anziehung, die der schweigende „Gast“ auf alle (außer die alte Mutter des Hausherrn) ausübt, ist unbestritten…

Tja, ohne dass ein Krimi daraus würde, lässt Allahyari einen Mord geschehen – die Tochter ist so eifersüchtig, dass der „Gast“ das Küchenmädchen vögelt, dass sie diese umbringt (!!!). Oma sorgt dafür, dass die Leiche verschwindet. Der Hausherr sorgt dafür, dass der Fremde (von Oma bei der Polizei als „verdächtig“ angezeigt) wieder aus Polizeigewahrsein heraus kommt. Eine Wohltätigkeits-Party wird gefeiert („Sollten sie das Geld nicht lieber direkt den Flüchtlingen geben?“ wird umweglos gefragt – so affektiert er sich gibt, so ist der Film doch nicht für wahre Feinheiten zu haben), der Gast ist dabei, die Tochter dreht durch, steht auf dem Dach… und man hat sich längst aus dem Drehbuch ausgeklinkt, für das u.a. der Sohn des Regisseurs, Tom Darius Allahyari, verantwortlich zeichnet. Diese Geschichte wird weit zu dumm, um ihre überhöhte Aussage – der Fremde als Katalysator, der alles verändert – vernünftig anzubringen.

Tja, bevor der Hausherr auf Omas Drängen dem Fremden ein Messer in den Bauch stößt, küsst er ihn noch begierig auf den Mund. Aber, keine Angst, unser Titelheld ist offenbar nicht tot. Das Schlußbild zeigt, wie er irgendwo in Afrika an eine Türe klopft. Man kann nur warnen: Wird ihm aufgetan, bringt er nur Trouble mit sich! Die Metapher von „Licht und Wärme“, die er bedeuten soll (wie Allahyari in einem Interview sagte), findet man in dieser wirren Geschichte kaum.

Renate Wagner

Film: NUR EINE FRAU

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Filmstart: 10. Mai 2019
NUR EINE FRAU
Deutschland /   2019
Regie: Sherry Hormann
Mit: Almila Bagriacik, Aram Arami u.a.
Wer es damals bewusst wahr genommen hat, kann es nicht vergessen haben: Dass – es war am 7. Februar 2005 – eine junge Türkin von ihrem Bruder mitten in Berlin auf offener Straße erschossen wurde. „Hingerichtet“. Ein Ehrenmord, um die Familie von einer Tochter zu befreien, die es gewagt hatte, ihr eigenes Leben zu führen. Regisseurin Sherry Hormann hat dieser 23jährigen (so alt war die Mutter eines fünfjährigen Sohnes, als sie starb) nun eine Stimme gegeben. Lässt sie ihre Geschichte erzählen.

Man wird diesen Film möglicherweise auf kleiner Flamme kochen, denn die Tendenz geht dahin, die Schattenseiten des Islam eher unter den Teppich zu kehren. Und die Einwanderer als friedliche, freundliche Menschen darzustellen, die von Böswilligen verleumdet werden. Die Geschichte von Hatun Aynur Sürücü erzählt etwas anderes. Von Menschen, die ihre durchaus gewalttätig ausgeübte Religion in ihre neuen Heimatländer mitgenommen haben und nicht bereit sind, Familienmitgliedern, die ihre Freiheit begehren, diese zu gewähren. Wenn sie Frauen sind. Nur eine Frau.

„Das bin ich, die Leiche“, sagt die Stimme aus dem Off, und dann sieht man sie, noch lebendig. Hauptdarstellerin Almila Bagriacik ist so selbstverständlich-deutsch-flapsig, wie es eine junge Frau, die in Berlin aufgewachsen ist, nur sein kann. Aber es war ein langer Weg aus einer streng sunnitischen Familie, die nach kurdischer Tradition lebte. Und die Tochter aus der Schule nahm, nach Istanbul verfrachtete und ungefragt an einen Cousin verheiratete.

Als ihr die körperlichen Brutalitäten des Gatten zu viel werden, kehrt die schwangere Aynur nach Berlin zu ihrer Familie zurück, wird aber keinesfalls freundlich empfangen. Nicht nur der Zorn des Vaters und der Brüder trifft sie (die ungeschaut auf der Seite des Ehemanns sind, der schließlich ein Recht hat, seine Frau zu schlagen). Erschütternd ist der Mangel an Solidarität unter den Frauen. Eine Mutter, die nur Unterwürfigkeit predigt und lehrt und lebt, Schwestern, die dann unwirsch sind, wenn Aynurs Baby schreit (schließlich leben alle Töchter in einem Zimmer und alle Söhne auch).

Der Weg der Frau, die in den Augen ihrer Familie die Ehre verletzt und ihnen Schande gemacht hat, ist beklemmend. Die deutschen Behörden sind zurückhaltend, aber letztlich hilfreich. Aynur darf in ein Haus für junge Mütter ziehen, wo sie allerdings auch keinerlei Solidarität unter Frauen findet. Sie jobt im Supermarkt, macht eine Ausbildung als Elektromechanikerin, legt das Kopftuch ab und will als moderne junge alleinerziehende Mutter in Deutschland leben.

Der Terror ihrer Familie (vor allem die Brüder beschimpfen sie unaufhörlich am Telefon, ohrfeigen sie im Bus) vertreibt den deutschen Freund, der nett ist und gern mit ihr und ihrem Jungen leben würde: Aber er ahnt, was sie in ihrer unerschütterlichen Liebe zu ihrer Familie nicht wahrhaben will. Dass ihr Leben für ihre Familie, für die Gesellschaft, aus der sie kommt, für den predigenden Iman, bei dem sich die Brüder Rat holen, eine solche Provokation darstellt, dass es eines Tages zum Gewaltausbruch kommt.

Und so geschah es auch: Man schickte den jüngsten Bruder, der sie auf offener Straße erschoß. Die Gefängnisstrafe für ihn war nicht bedeutend, der Rest der Familie wurde frei gesprochen. Die deutschen Behörden wollen es sich schließlich mit ihren türkischen Mitbrüdern nicht verscherzen…

Die Geschichte wird ganz ohne Sentimentalität geradezu nüchtern erzählt. Immerhin – für Verständnis der Familie gegenüber wird nicht plädiert. Vielleicht können sie nicht anders denken und leben. Aber kann das Land, in dem sie immerhin als Bürger aufgenommen wurden, nicht verlangen, dass man seine Gesetze respektiert? Die Unvereinbarkeit einer Religion, die im radikalsten Fall (wie hier) Frauen rechtlos unterdrückt, mit einer Gesellschaft, die Gleichberechtigung postuliert und wohl auch lebt, wird bitter klar.

Es ist ein „Lehrfilm“, wie es Lehrstücke auf dem Theater gibt. Am Ende versteht man einiges mehr. Ob sich die Probleme im Laufe der kommenden Generationen abschleifen werden – wer weiß? Die Familie hat nicht um Aynur getrauert. Sie hat „nur“ ihre „Ehre“ wieder hergestellt.

Renate Wagner

Film: STAN & OLLIE

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Filmstart: 10. Mai 2019
STAN & OLLIE
USA / 2019
Regie: Jon S. Baird
Mit: John C. Reilly, Steve Coogan, Nina Arianda, Shirley Henderson u.a.

Der eine ein bisschen sauertöpfisch und dümmlich, der andere der aufgedrehte Dicke, der perfekte Kontrast – – das waren Stan & Ollie, der Brite Stan Laurel (1890- 1965) und der Amerikaner Oliver Hardy (1892- 1957), auf Deutsch so unfreundlich „Dick und Doof“ benannt und als Paar ein großes Kapitel Filmgeschichte. Dass ein biographischer Film über zwei Komiker, die Millionen zum Lachen brachten, aber seinerseits alles andere als eine reine oder gar platte Lachnummer ist, sondern eine tief empfundene, menschliche Geschichte– das macht eigentlich die Stärke davon aus, was der schottische Regisseur Jon S. Baird buchstäblich auf die Leinwand gezaubert hat.

Es sei eine „Liebesgeschichte“, meinte er (nein, natürlich nicht „so“, die Gattinnen der beiden spielen auch mit und sogar ziemlich nachdrücklich), auf jeden Fall eine Schicksalsgemeinschaft, zwei, die ohne einander nicht konnten – auch wenn sie einander gelegentlich verletzten. Wie das Leben so spielt.

Künstlerisch konnten sie nur als Duo existieren, einer war ohne den anderen nicht denkbar, sie lockten auf gleicher Höhe das Beste aus einander heraus. Wenn Laurel auch gewissermaßen der Intellektuelle der beiden war und auch versuchte, ihre Stellung in Hollywood finanziell zu etablieren: In einem (nicht langen) Vorspiel erlebt man die beiden 1937 in der Filmstadt, am Höhepunkt ihrer gemeinsamen Karriere, seit 1921 machten sie einen Film nach den anderen miteinander (106 sollen es laut Wikipedia geworden sein). Laurel verlangte mehr Geld und postulierte dafür, dass er an den Drehbüchern mitwirkte, auch mehr Würdigung, aber der schlichtere Hardy wollte sich nicht mit den Studios anlegen: persönliche Krise der beiden, ihre Wege trennen sich einige Zeit. Ollies „Verrat“ wird noch jahrzehntelang in Stan wühlen und zu bösen Worten führen … die sie dann beide zutiefst bereuen.

Dann springt die Handlung ins Jahr 1953 in England, kein künstlerischer Weg bleibt immer auf der Siegerstraße, in Hollywood gibt es mittlerweile Abbott und Costello, der eigene Ruhm des Duos ist so bescheiden geworden, dass sich bei einer Live-Tournee die Theatersäle anfangs nur zögerlich füllen. Obwohl man spürt, dass Ollie bereits krank ist, zieht es sie wie Theatertiere, die ohne „Manegen-Luft“ nicht leben können, immer wieder auf die Bühne – und nach und nach kommt auch das Publikum. Live-Auftritte bedeuten, die Lacher direkt zu hören. (Und es ist wunderbar, sich diese Bühnenszenen anzusehen.)

Die Handlung des Films ist weder auf der privaten noch der künstlerischen Seite hektisch aufgemotzt – man sieht das Leben zweier Arbeitstiere, und auch als die beiden Gattinnen erscheinen, um bei der Tournee dabei zu sein, lässt der Regisseur keine besondere Aufregung zu. Dabei rollt Nina Arianda den russischen Akzent und den Aplomb von Laurels Gattin (sie hatte in ihrer Heimat als Sängerin Karriere gemacht), und Shirley Henderson spielt die liebevolle Sorge der Lucille Hardy um ihren Mann aus – das ist komisch, wie vieles an diesem Film, aber im Grunde verliert man nie das Gefühl der Melancholie. Und ahnt etwas, das begreifen lässt, dass man Laurel & Hardy als Vorbilder für Wladimir und Estragon in Becketts „Warten auf Godot“ gesehen hat…

 

Es ist natürlich die Leistung der beiden Hauptdarsteller, die diesen Film letztlich so unwiderstehlich macht. John C. Reilly spielt für den „lustigen“ dicken Ollie immer auch ein wenig Melancholie mit, und auch Steve Coogan zeichnet als Stan keinen glücklichen Menschen. Aber man weiß es ja: Komiker sind im Privatleben alles andere als lustig. Und gegen Ende, wenn Ollie immer schwächer wird, wird es sogar richtig traurig. Die Darsteller sind so überzeugend, so seelenvoll, um dieses Wort einmal zu benützen, dass sie durch die Haut gehen (und direkt ins Herz hinein). Man liebt sie einfach – so wie den ganzen Film.

Der Nachspann mit den „Originalen“ – mit Szenen von Laurel & Hardy – beweist, dass die Interpreten deren Zauber und deren menschliche Anmut eingefangen haben.

Liebender, berührender und schöner hätte man der beiden nicht gedenken können.

Renate Wagner

HOHENEMS/ Schubertiade: LIEDERABEND DANIEL BEHLE mit dem Liederzyklus „DIE SCHÖNE MÜLLERIN“

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mit Sveinung Bjelland und Daniel Behle C: Schubertiade

HOHENEMS / SCHUBERTIADE: Liederabend Daniel BEHLE mit dem Liederzyklus „DIE SCHÖNE MÜLLERIN“

 … und der Bach ist Protagonist …

2.5. 2019 – Karl Masek

Franz Schubert hat diese 20 Lieder nach Gedichten von Wilhelm Müller in den Monaten Oktober und November 1823 komponiert. Allem Anschein nach während eines längeren Spitalsaufenthaltes. Müllers Gedichtzyklus enthielt aber noch 3 weitere Gedichte: „Das Mühlenleben“, „Erster Schmerz, letzter Scherz“ – und „ Blümlein Vergissmein“. Müller hat aber auch einen Prolog und einen Epilog verfasst, in denen er in angeblich durchaus ironischer Weise als Vermittler der Texte spricht. Da hat Schubert – warum auch immer – auf eine Vertonung verzichtet. Der wie immer besonders gründliche Dietrich Fischer-Dieskau hat sich auch diese Texte nicht entgehen lassen und sie dann eben rezitiert …

Darauf wurde an diesem Abend verzichtet. Man erzählte die gewohnte Geschichte.  Der Müllersbursche findet nach einem Wechselspiel von Liebesfreud und Liebesleid durch den Freitod im Bach Erlösung. Wie auch im Programmheft zu lesen ist:  „Der Bach ist schicksalhafter Begleiter des Müllerjungen und fungiert zugleich auch auf semantischer Ebene als Bindeglied…“, so Gerhard Fend.

Daniel Behle, der aus Hamburg stammende Tenor und der Norweger Sveinung Bjelland sind dem Vorarlberger Schubert-Festival mittlerweile gute alte Bekannte, bestritten doch beide ihr Debüt 2012 und gastieren seither regelmäßig in Hohenems und oben in Schwarzenberg.

Dass beide „Die schöne Müllerin“ schon etliche Male gemeinsam aufgeführt hatten, merkte man ihren Interpretationen in keinem Moment an. Wo sich mitunter die Routine im negativen Sinne und allzu große Sicherheit einschleichen könnte: Das klingt bei ihnen mit einer Frische und Unmittelbarkeit des Ausdrucks, als ob es das erste Mal wäre.

Mit rasantem Wandertempo wird da losgelegt, zugleich aber auf die kleinsten Nuancen in diesem Strophenlied (das jeder im Saal mitsingen könnte) geachtet. Die Sextolenbegleitung beim Lied „Wohin?“. sprudelt munter dahin, um dann die Stimmungsschwankungen des glücklich- unglücklichen Burschen mit den G-Dur/e-Moll – Modulationen (genial, wie Schubert das mit scheinbar so einfachen Rückungen einfängt!) Klang werden zu lassen.

Der Bach ist der Protagonist! Nicht erst beim Dialog mit dem Todgeweihten im vorletzten Lied und dem himmlischen E-Dur-Abgesang („Des Baches Wiegenlied“), der einem jedes Mal die Kehle zuschnüren  und die Tränen in die Augen treiben kann. Zugleich merkt man beim Mitlesen im Klavierauszug, da gibt es im Klavierpart hundert Jahre vor Alban Bergs „Wozzeck“ den obsessiven Todeston H als Dominante im doppelten Wortsinn!

Unglaublich viele scheinbar bisher Details gab es in einem Werk zu entdecken, das man ganz genau zu kennen glaubte! Wenn der Seelenzustand des unglücklich Verliebten kippt, das hektisch gesteigerte Accelerando, die pausenlosen, geradezu atemlosen Übergänge zwischen den Liedern 12 bis 14, der namenlose Zorn auf den Widersacher („Was sucht denn der Jäger am Mühlbach hier…“). Die tiefe Traurigkeit des drittletzten Liedes („Trockne Blumen“)  nach. dem Entschluss zum Freitod: Das alles bringt Daniel Behle mit bohrender Intensität und Stimmvaleurs von fahl-resigniert bis strahlend, wenn es etwa heißt: „Der Mai ist kommen, der Winter ist aus…“. In den besten Momenten kommt er mit seinem Edeltenor seinem erklärten Vorbild Fritz Wunderlich  nahe.

 Da gibt es eine enorme Bandbreite der Emotionen, nuancenreich sind die Dynamik und  die Stimmfarben. Obendrein sehr rasch wunderbar freigesungen!  Einige kraftvoll ausgesungene Steigerungen lassen den für die nächsten Monate geplanten Lohengrin (in Dortmund und Stuttgart)  schon erahnen. Und bei der künstlerischen  Partnerschaft mit dem kongenialen Pianisten  Sveinung Bjelland, man hat das Gefühl, die beiden verstehen und vertrauen einander blind.

Das Publikum im akustisch wunderbaren Markus-Sittikus-Saal  erjubelte sich 2 Zugaben. Dacapos von „Ungeduld“  und „Am Feierabend“. Und es war dann prompt  um noch eine Nuance besser …

 Karl Masek


MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: TURANDOT

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München: “Turandot” – Bayerische Staatsoper 02.05.2019 – Schlussapotheose im Bambuswald

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Die Prinzessin und die Ahnfrau in 3D – Ensemble und Chor der Bayerischen Staatsoper             © Wilfried Hösl

Turandot ist nun wirklich keine Oper, die zu Psychologisierung einlädt, zu holzschnittartig sind die Charaktere gezeichnet: die eisige Prinzessin, der arrogante Prinz, die aufopferungsvolle Liu. Und wenn als Regisseur Carlus Padrissa mit seiner Akrobatentruppe La Fura dels Baus gebucht ist, erwartet man keine ausdifferenzierte Personenregie, sondern kraftvolles Aktionstheater. Davon gibt es in dieser letzten von vier Aufführungen der aktuellen Repertoireserie von Puccinis Turandot mehr als genug. Diese Turandot-Inszenierung hatte im Dezember 2011 Premiere und es wurde schon ausführlich darüber berichtet. Auch wer die Reizüberflutung ablehnt – es gibt zusätzlich zu den im Libretto vorgesehenen Personen noch Schlittschuhläuferinnen, Akrobaten, bewegliche Totenschädel,etc. – wird doch mit einigen eindrucksvollen Bildern nach Hause gehen: Der Auftritt Turandots im Zentrum eines riesigen Auges. Der Kinderchor, der in weiße Kapuzenmäntel gekleidet das Gestell mit dem zum Tode verurteilten Prinzen von Persien auf die Bühne zieht und dabei engelsgleich singt. Das Feld mit den abgeschlagenen Köpfen, die zum sehnsüchtigen Gesang von Ping, Pang und Pong zu tanzen beginnen. Und vor allem das Schlussbild, der Tod Lius, bei dem sich die Bühne in einen romantischen Bambuswald verwandelt. Wenn dann aber mitten in die wunderschön und bewegend gesungene Schlussszene – der Tod Lius – das Zeichen für die 3-D-Brillen erscheint und das ganze Haus wieder knisternd die rot-grünen Ungetüme aufsetzt, ist der Zauber zerstört. Schade.

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Schlussapotheose im Bambuswald – Ensemble und Chor der Bayerischen Staatsoper      © Wilfried Hösl

Anna Pirozzi als Turandot beeindruckt mit eisigen Spitzentönen, die nur in der Rätselszene einmal etwas schrill werden. Wenn sie vom Schicksal ihrer Ahnfrau erzählt, legt sie Wärme und Mitleid in die Stimme. Wenn sie mit Yonghoon Lee als Calaf zusammen das Hohe C erreicht, lässt die Phonstärke das Haus erzittern. Lee ist ja bekannt für seine Vorliebe für lautes Singen, da klingt seine Stimme auch am besten. Wenn er, wie in Nessun Dorma, mal eine Phrase im Piano versucht, wird die Stimme leider klanglos und fahl. Seine Gestik in dieser Arie wirkt wie die Parodie eines Operntenors: rechter Arm ausgestreckt, die Hand ballt sich zur Faust, Positionswechsel, linker Arm ausgestreckt, die Hand ballt sich zur Faust…

Für die Sklavin Líu hat Puccini die schönsten und ergreifendsten Melodien dieser Oper komponiert, Golda Schultz singt sie mit wunderschöner Phrasierung und viel Ausdruck.

Als Ping, Pang und Pong sind Mattia Olivieri, der unverwüstliche Kevin Conners und der schönstimmige Galeano Salas ein so komisches wie melancholisches Trio. Goran Jurić gibt mit schönem Bass dem Timur Gewicht. Der Kaiser Ulrich Reß dagegen, klingt etwas brüchig.

Die musikalische Leitung lag in den Händen von Pinchas Steinberg, der sich, wie schon in Macbeth letztes Jahr, als Mann der grellen Gegensätze präsentiert. Er legt mit dem Bayerischen Staatsorchester ein flottes Tempo vor und stellenweise eine Lautstärke, die, wie schon erwähnt, das Haus erzittern lässt. Da bleibt gerade den Sängern von Turandot und Calaf oft kein Spielraum für musikalische Differenzierung.  In den Szenen mit Líu und Ping, Pang und Pong und vor allem am Ende nimmt er das Orchester auch mal zurück. Sehr schön und atmosphärisch dicht die Chorszene, wenn das Volk den Mond, das „abgeschlagene Haupt“ erwartet.

Es bleibt der Eindruck eines großen. lauten Events, das aber auch voll leuchtender musikalischer Farben ist. Großer Applaus für alle Beteiligten.

 

Susanne Kittel-May

 

 

STUTTGART/ Schauspielhaus: LAMM GOTTES -DER GENTER ALTAR. Premiere

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Foto: Michiel Devijver

Premiere von „“Lamm Gottes – Der Genter Altar“ am 3. Mai 2019 im Schauspielhaus/STUTTGART

ZAHLREICHE SPIEGELUNGEN GOTTES

In der Inszenierung von Milo Rau kommt die Genter Stadtgesellschaft auf die Bühne. Man sieht einen Dirigenten, der das Geschehen mit Hilfe von Samuel Barbers „Adagio for Strings“ in suggestiver Weise beschwört. Mann und Frau übernehmen die Rolle von Adam und Eva, entkleiden sich, dann wirkt ein Kinderchor in erfrischender Weise mit. Der Genter Altar der Brüder van Eyck bildet hier immer wieder ein geradezu magisches Zentrum, das aus dem Nebel geheimnisvoll und fast unheimlich aufsteigt. Die Darsteller agieren zuweilen wie in Trance, Lämmer betreten zusammen mit einem Hund die Bühne. Ein Schaf wird geschoren, es ist ein religiöses  und meditatives Ritual. Lichtschatten fallen auf die Bühne. Ein nacktes Paar verschmilzt in einem Liebesakt. Spirituelle Elemente kehren bei dieser Inszenierung immer wieder. In Videoaufnahmen sieht man, wie Lämmer geschlachtet werden. Milo Rau hat sogar an Pasolinis Verfilmung der „120 Tage von Sodom“ des Marquis de Sade gedacht. Man sieht dabei, dass das Schlachten von Tieren immer ein barbarischer Akt ist. In solchen erschreckenden Momenten erkennt der Zuschauer die Zusammenhänge.

Aber es gibt hier nicht nur furchteinflößende Passagen, sondern vor allem auch berührende und zärtliche Augenblicke zwischen Menschen, die sich in sehr natürlicher Weise nahekommen. Das sieht man im Theater selten. Zuweilen scheinen die Protagonisten im Gebet zu verharren. Der Genter Altar wird in unsere moderne Zeit übertragen, man sieht das Original auch in einer Videoaufnahme. Es sind Spiegelungen Gottes in tausend Schattierungen, die den Zuschauer hier überraschen. Da gewinnt diese Inszenierung eine immer größere Dichte. Eine alte Frau ist in Großaufnahme sichtbar, die ihr Leben noch einmal Revue passieren lässt. Man sieht ihr Lächeln, als sie ein Lieblingslied ihres Idols Leonard Cohen hört. Der nackte Adam und die nackte Eva kehren dann am Ende wieder in anderer Form noch einmal zurück, verwandeln die Szene ganz kurz in ein unbeschreibliches Paradies, bis sie in der Dunkelheit verschwinden. Die Schlange bleibt spürbar. Das verlorene Paradies lässt grüßen. Eine Frau beklagt den Verlust ihres Sohnes, der in Syrien als IS-Kämpfer verschollen ist. Politische und soziale Konflikte unserer Zeit werden in diesem Stück wiederholt  drastisch angesprochen. Aber es ist auch faszinierend, wie Milo Rau die Architektur und Struktur des Genter Altars auf die Bühne holt. Der Flügelaltar in der St.-Bavo-Kathedrale in der belgischen Stadt Gent gewinnt so modernes Leben, denn die einzelnen Darsteller werden mit Hilfe von Video-Sequenzen einfach nach oben „gebeamt“. Sie sind jetzt Inhalt des Altars. Das ist visuell besonders reizvoll und einfallsreich. Die über der unteren Etage befindliche mittlere Zone zeigt nun die Verkündigungsszene ganz neu. Das ist spannend, denn der auf vier Tafeln präsentierte Innenraum wird in ungewöhnlicher Weise reflektiert. Und die obere Zone mit ihren Rundbogenabschlüssen der darunter liegenden Tafeln weisen auf Adam und Eva hin. Es besteht so eine sehr enge Verzahnung zwischen Bühne und Altar, was absolut ungewöhnlich ist. Auch die Festtagsseite mit ihren zwei Zonen lässt die monumentale Gestalt erahnen, die als Gott Vater, als Christus oder Dreieiniger Gott ausgelegt werden kann. Und der untere Teil der Festtagsseite mit ihren fünf Tafeln und der Landschaft im Hintergrund wird bei dieser subtilen Inszenierung durch die Darsteller angedeutet.


Foto: Michiel Devijver

Auf der großen Bühne agieren Rames Abdullah, Storm Calle, Güllüzar Calli, Andie Dushime, Koen Everaert, Fatima Ezzarhouni, Frank Focketyn, Nima Jebelli, Chris Thys, Fanny Vandesande und Bram Wets (Kostüme: Anton Lukas; Video: Steven Maenhout). Diese Koproduktion des Genter Theaters mit dem Theater Amsterdam besitzt eine enorme künstlerische Aussagekraft, die sich auf das Publikum in positiver Weise überträgt. Denn es sind Visionen von der Existenz Gottes und der biblischen Geschichte, die die Zuschauer hier bewegen. Man spürt die Gegenwart des Verkündigungsengels, der hier durch die Darsteller zu den Menschen spricht. Die Anbetung des Lammes wird so zu einer Quelle des Lebens.

Alexander Walther

BERLIN/ Deutsche Oper: OCEANE von Detlev Glanert

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Nikolai Schukoff, Maria Bengtsson, Albert Pesendorfer. Foto: Bernd Uhlig

Berlin/ Deutsche Oper: „OCEANE“ von Detlev Glanert, 2. Aufführung, 03.05.2019

Eine Stimme erklingt, ein ferner, engelsgleicher Gesang ohne Worte. Auf den noch geschlossenen Vorhang wirft ein Video (von Robert Pflanz) das Gesicht einer Frau, mal verschwommen, mal klarer. Der Ostseewind weht in ihren blonden Haaren.

Der Chor gesellt sich ebenso wortlos zu diesem klaren Sopran von Maria Bengtsson und wird allmählich stärker, scheint schon einen Sturm anzukündigen. Ein poetischer Beginn der von Detlev Glanert (geb. 1960) komponierten Theodor-Fontane-Oper „Oceane“ in der Deutschen Oper Berlin, vom Chefdirigenten Donald Runnicles, zusammen mit dem Orchester des Hauses in dieser Szene feinfühlig musiziert.

Ein Textfragment Fontanes hatte Glanert animiert, daraus eine Oper zu machen. Schon jahrelang beschäftigte er sich damit, auch in Form anderer Kompositionen. Ein Schnellschuss zu Fontanes 200. Geburtstag, der nun vielerorts begangen wird, ist „Oceane“ also nicht, aber sicherlich ein Höhepunkt inmitten der zahlreichen Veranstaltungen. Am 28. April 2019 wurde „Oceane“ im Haus an der Bismarckstraße uraufgeführt. Aus Termingründen erlebe ich die zweite Vorstellung.

Als sich der Vorhang öffnet, fällt der Blick in ein heruntergekommenes Hotel am Ostseestrand (Bühne: Luis F. Carvalho). Die Eignerin Madame Louise, jahrelang eine Powerfrau, ist durch Arbeit und Geldmangel ermüdet. Während der Kellner Georg – Stephen Bronk mit kräftigem Bass-Bariton – alle Mängel des einst schicken Hotels schonungslos aufzählt, hofft sie noch immer auf einen Kredit in letzter Minute.


Doris Soffel,  Maria Bengtsson, Albert Pesendorfer. Foto: Bernd Uhlig

Madame Luise – Doris Soffel mit Wagner-gestähltem Mezzo – hat selbst auch schon bessere Tage erlebt – in ihrer Jugend in Paris mit zahlreichen Liebschaften. An der Ostsee hat sie, ein Single, dann dieses Hotel gekauft, hat hart gearbeitet, sich dort wohl gefühlt und eine neue Heimat gefunden.

Nun weiß sie, dass das bevorstehende Sommerfest wird das letzte Ereignis in ihrem Hotel sein wird, falls nicht ein Wunder geschieht. Das erhofft sie sich von der rätselhaften Oceane van Parceval, die hier ein Zimmer gemietet hat und ihren kostbaren Schmuck achtlos herumliegen lässt.

Die Kellner, die nun geschwind Speisen und Getränke auf die Tische stellen, kommen ebenso bekannt vor, wie die ans Buffet drängende Gästeschar, die Sommerfrischler jener Zeit, die nach wochenlangem Ostseeurlaub hier ihr Abschiedsfest feiern. Der bekannte kanadische Regisseur Robert Carsen schafft in diesen Szenen (mit Komparsen und den von Jeremy Bines einstudiertem Chor) sehr realistische, anfangs erheiternde, später auch erschütternde, zum Geschehen passende Bilder.

Unterstützt wird er darin von Dorothea Katzer, die für die Kostüme zuständig ist. Wie damals üblich, sind die Gäste selbst beim Sommerfest dezent grau oder schwarz gekleidet.  Dagegen erscheint Oceane van Parceval in einem weißen perlenbestickten Sommerdress und wird sogleich der strahlende Stern unter all’ den grauschwarzen „Mäusen“.  Mit perfektem Gesang in allen Tonhöhen und ihrer Schauspielkunst ist sie die Idealbesetzung und trägt bis zum Schluss die gesamte Oper. 

Ihr edles Kleid erweckt große Verwunderung, doch Pastor Baltzer, der zunächst zum Genuss der guten Gottesgaben aufruft, schürt sofort Neid und Misstrauen, um bald das Volk gnadenlos gegen die Fremde aufzuhetzen.

Anlass ist ihr wilder, enthemmter Tanz, der alle schockiert. (Auch das macht Maria Bengtsson bewundernswert). Der Bass Albert Pesendorfer als religiöser Fundamentalist gerät in Fahrt, und überzeugt mit Stimme und Körperpräsenz. Die empörte Menschenmenge verfolgt die  erschreckt Flüchtenden (!), das Sommerfest ist geplatzt.

Einer hat sich sofort in die schöne Oceane verliebt: der Adlige Martin von Dircksen. Mit warmem, angenehm kräftigem Tenor legt Nikolai Schukoff  der schönen Fremden bald sein Herz und seinen gesamten Besitz zu Füßen. Der hält auch nach diesem „Sommerfest-Skandal“ zu ihr. Glanert unterstreicht das mit sanften Klängen.

Als er seine Liebe körperlich beweisen will, stößt Oceane ihn zurück. Allein am Strand geblieben, wünscht sie sich ein Messer. „Ich schneide mich aus diesem Bild“, singt sie. Klar hat sie erkannt, dass sie nicht zu diesen Menschen passt. Die aus der kühlen Ostsee stammende Meeresfrau ist keine Schaum geborene Liebesgöttin Aphrodite, die angeblich einst dem sommerlich warmen Mittelmeer entstieg. Oceane kann nicht lieben und auch nicht einen jungen toten Fischer betrauern.

Beim letzten Strandpicknick kommt wieder Hoffnung auf. Eigentlich will Oceane nicht einsam sein, sehnt sich nach den Menschen. Plötzlich fällt sie Martin um den Hals, empfindet dabei aber gar nichts. Der aber kündet sogleich begeistert seine Verlobung an, schwärmt sehr von Oceane als Mutter seiner Kinder.

Das andere Paar in den Dünen, die kesse Kristine (Nicole Haslett!!), die sich schnell Martins Freund Dr. Felgentreu (Christoph Pohl) geangelt hat, macht sofort mit der eigenen Verlobung mit.  Beide Paare eilen ins Hotel und Madame Luise lässt den erneut gekommenen Gästen den letzten Champagner servieren.

Der „Gottesmann“ zieht nun alle Register, singt donnernd von künftiger Teufelsbrut in Oceanes Leib und warnt das Volk vor dieser Unglück bringenden Hexe. Die Aufgeputschten hetzen Oceane erneut, in dem Durcheinander versucht Madame Luise noch, ihr eine Kreditzusage fürs Hotel abzuringen. Nur der alte Kellner Georg sieht in ihr den unschuldig leidenden Menschen.

Die einen Sturm ankündenden Wellen (Video) schäumen nun genauso auf wie die Musik. In ihr Element kehrt jetzt Oceane leer und glücklich zurück. Das wird nicht gezeigt. Wie am Anfang ist nur der leiser werdende Gesang der Ertrinkenden zu hören.

Mit ihrem Abschiedsbrief in der Hand steht schließlich Martin allein am Strand, Auch sein Freund hat sich von ihm abgewendet. Der warme Sommer ist vorbei, nun drohen Winter und Tod. – „Oceane“ ist keine Sommeroper, aber – nach Zemlinkys „Zwerg“ – ein weiterer Gewinn für die Deutsche Oper Berlin und ihr Publikum.

Das bejubelt alle Beteiligten und feiert vor allem die großartige Maria Bengtsson und fast ebenso Doris Soffel.

Weitere Termine am 15., 17. und 24. Mai.  

Ursula Wiegand

WIEN / Volx-Margareten: DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHER

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Foto: Volkstheater

WIEN / Volkstheater im Volx-Margareten / spätere Bezirks-Vorstellung:
DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHER nach Goethe von Calle Fuhr
Premiere: 3. Mai 2019

Das ist das Wunderbare am Theater: Man kann immer überrascht werden. Auch positiv. Sogar positiv. Die Ankündigung, Goethes stürmischer Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“ (ursprünglich hieß es ja „Werthers“, aber diesen Genetiv hat die Nachwelt gestrichen, und es ist auch verständlich) werde auf die Bühne des Volx-Margareten gebracht, musste ja nicht von enthusiastischen Erwartungen begleitet sein, bedenkt man, was man bei Anna Bardora schon alles vorgesetzt bekommen hat.

Aber da springt plötzlich ein junger Mann aus dem Zuschauerraum vor das Publikum – und er trägt Werthers blauen Rock und die berühmte gelbe Weste. Und auch Lotte ist kein Pop-Girl, sondern optisch ein braves Mädchen von anno dazumal, Albert kein Fixer in Jeans, sondern ein solider Bürger – Calle Fuhr kam von Berlin nach Wien, um Goethe Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Er sorgte in einem bescheidenen Bühnenbild, mit historisch stilisierten Kostümen dafür, dass wir Werther (bei aller Schätzung dessen, was Ulrich Plenzdorf für die aktualisierende Paraphrasierung des Goethe-Helden unternommen hat) nicht für einen Hippie halten…

Nun kennen wir ja den „Werther“, er ist – sagen wir es bewundernd: ausufernd. Er kann in seinen Briefen an seinen Freund nicht weitschweifig genug schwärmen – und natürlich wirbelwindig denken, wie junge Menschen es tun (Goethe war Mitte 20, als er das Buch schrieb). Daraus diese Fassung zu destillieren, die wenig mehr als eine Stunde dauert, sich auf die drei Hauptpersonen konzentriert, vieles weglässt, weglassen muss – und doch Essentielles bringt, das ist bemerkenswert. Da ist des jungen Mannes existenzielle Problematik zwischen einem zur Totalität gesteigerten Gefühl für Lotte und den Grundfragen des Menschen nach Sinn und Zweck und Bedeutung des Lebens, das mit dem Verstand gemeistert werden soll. Und schließlich die Ausweglosigkeit einer Dreiecksgeschichte…

Sie ist ausweglos für alle Beteiligten, weil Goethe den genialen Kunstgriff bedient hat, Lotte zwischen zwei Männer zu stellen, die zwar total verschieden, aber in sich gleich wertvoll sind, was eine Entscheidung unmöglich macht. Weshalb Werther ihr und Albert, den er einfach schätzen und lieben muss, die Entscheidung durch seinen Selbstmord abnimmt. Man verkleinert Goethes Denkansatz, wenn man von enttäuschter und verschmähter Liebe spricht. Es geht vielmehr darum, den absoluten Anspruch nicht aufzugeben und die würdige, „edle“ Konsequenz zu ziehen…

Das muss man einmal spielen. Und man kann nicht genug staunen über die drei Protagonisten, die man eigentlich am Volkstheater noch nie gesehen hat, drei junge Schauspieler, die der Regisseur zu Leitungen von selten gesehener Stimmigkeit führt.

Voran Anton Widauer. Werther a priori als Außenseiter, einer der sich ausprobiert, der gerne aneckt, lustvoll den Clown spielt, aber auch einer, der anständig ist und liebevoll, verrückt und gescheit. Eine herrlich widersprüchliche Mischung.

Genau so stark steht ihm Sören Kneidl als Albert gegenüber. Da ist einer konventionell aus Überzeugung und dabei kein fader Spießer. Einer, der empfindet – nicht nur für Lotte, auch für diesen seltsamen Werther. Und verzweifeln muss er auch, aber das geht ja Liebenden nun einmal so.

Zwischen den beiden Lotte: Tilla Rath ist voll widersprüchlicher Gefühle und dabei keine Sekunde überspannt. Werthers Lotte, die Brot schneidet, aber weder lieblich noch betulich ist. Auch um sie zu retten, bringt Werther sich um.

Calle Fuhr hat, wie gesagt, Goethes Text bis aufs Skelett der Dreiecks-Geschichte verschlankt (das ganze breite Ambiente der Goethe-Zeit bleibt natürlich weg, wir sind ja nicht bei Massenet und in der Oper), und er gab nur weniges dazu. Am ehesten noch Musik (Alexander Wanat) – so wie man heute traurig über Liebe singt. Dergleichen ist bekanntlich ewig, und darum passte es.

Das Publikum wollte zu klatschen gar nicht aufhören. Kann es ein Werk tatsächlich verstehen, wenn man es in seiner Zeit belässt und nicht mit Gewalt und Äußerlichkeiten zu uns herholt? Schau, schau.

Renate Wagner

HOHENEMS/ Markus-Sittikus-Saal: Liederabend „SCHUBERT UND SEINE DEUTSCHEN POETEN“ — BENJAMIN APPL und GRAHAM JOHNSON

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Foto: Andrea Masek

HOHENEMS/Markus-Sittikus-Saal: Liederabend „SCHUBERT UND SEINE DEUTSCHEN POETEN“ — BENJAMIN APPL und GRAHAM JOHNSON

Dichterreise mit Sternstundencharakter

 3.5. 2019 – Karl Masek

So genannte Konzept-Liederabende machen neugierig, erhöhen von vornherein die Konzentration eines Festspielpublikums, das großteils „in Residence“ ist – wie auch die meisten der Künstler/innen. Man kommt nicht bloß rasch auf ein Konzert vorbei, um  ein Allerweltsprogramm im Gemischtwarenstil zu konsumieren. Die „Schubertiade“ ist viermal im Jahr (je 2 Serien in Hohenems und im Bregenzerwälder Ort Schwarzenberg) „Eine Traumadresse für Kammermusik“, wie das der leider so früh verstorbene Cellist Heinrich Schiff einmal bezeichnet hat.

Schubert und seine deutschen Poeten—Eine Dichterreise im Grünen: so nannte der weltweit hoch geschätzte Pianist, Klavierbegleiter und Schubert-Forscher Graham Johnson diesen musikalischen „Jakobsweg“ mit Schubert-Liedern von 1815 bis zum Todesjahr 1828. Zu Johnsons großen Verdiensten zählt eine Gesamtaufnahme von Schuberts Liedschaffen, bekannt unter der Bezeichnung „The Hyperion Schubert Edition“. Also ein besonders profunder Kenner seines Œvres. Unzählige Stars des Liedgesanges haben sich im Laufe der Jahrzehnte der musikalischen Partnerschaft des mittlerweile 69-jährigen Großmeisters der Liedbegleitung versichert …

Schuberts Textdichter stammten u.a. aus Niedersachsen (Schulze, Hölty), aus Baden-Württemberg (Uhland, Rückert), Sachsen-Anhalt (Wilhelm Müller), Berlin (Rellstab) und natürlich Hessen/Thüringen, von Frankfurt bis Weimar, erraten: Goethe, Schiller! Ein Bouquet von 25 Liedern umfasste diese Landpartie an diesem Abend. Abwechslungsreiche Sprach- und Musiklandschaften galt es da zu bestaunen. Mit dem Bariton Benjamin Appl und Graham Johnson als kundige Reiseleiter.

Originell auch die Idee, bei jedem Wechsel in das nächste Bundesland  den Sänger um das Klavier herum in Bewegung zu setzen – hin zu einem Flipchard. Weiter geblättert, und die Wappen waren zu sehen. Derweil erklang als musikalische Klammer, von Johnson leicht paraphrasiert, das Vorspiel zum 1. Lied aus der „Schönen Müllerin“, Das Wandern.

 Es wurde eine Zeitreise in Schubert-Gefühls-Welten. „Station gemacht“  wurde dabei u.a. auf der Insel Rügen,in den Städten Münster, Freiburg, Tübingen, Erlangen, Jena, Dessau und Berlin – den Wohnorten dieser Dichter.

Wundersam, sehr poetisch, aufregend ging es dahin. Schon die Lieder aus dem Jahre 1815 zeigen überdeutlich, wie sehr sich der 18-jährige Hilfslehrer mit zeitgenössischer Lyrik befasst hat und nicht bloß Texte vertont, sondern sie füllhornartig mit Melodien, kühner Harmonik sowie einer emotionalen Dringlichkeit angereichert hat, die ihresgleichen sucht. Da werden auch sehr konventionell ausgefallene Gedichte durch Schuberts Genie zu Kleinodien. Feine, gelassene Ironie etwa im Lied „Der Einsame“ (1825, op. 41). Oder etwa die köstliche Stelle im Lied „Auf der Bruck“ (Text: Ernst Schulze, nie gehört!): „Manch Auge lacht mir traulich zu“, wenn das Klavier naturalistisches Pferdewiehern simuliert. Oder dieser Schwung auf Zehenspitzen im Lied „Auf dem Wasser zu singen“, wenn es heißt „Morgen entschwindet mit schimmerndem Flügel wieder wie gestern und heute die Zeit…“.

Besondere Höhepunkte an Inspiration die Goethe-Lieder „Ganymed“, op. 19/3 (duftige Eleganz), „Der König in Thule“ (voll edler Haltung) oder „Prometheus“ (mit trotzigem Aufbegehren und hochdramatischem Nachdruck).

Benjamin Appl , hervorragend bei Stimme, hatte all diese Nuancen und Stimmvaleurs und dynamischen Feinheiten quasi auf Knopfdruck. Ein Ereignis für sich Graham Johnson.  Ihn als Begleiter am Klavier zu bezeichnen, wäre eine Beleidigung des großen Klangmagiers.

Vollends Sternstundencharakter bekam der Abend nach der Pause, in denen Schubert   Lieder schreibt, die sich um Aufschreie einer gequälten Seele handeln. Hier navigiert er nicht kunstvoll von Tonart zu Tonart, sondern irrt im Quintenzirkel umher. Atemberaubend, wie Appl & Johnson derlei umsetzen, z.B. Im Lied „Die Liebe hat gelogen“, op. 23/1. Um mit den beiden Rellstab- Liedern aus dem Todesjahr 1828, „Herbst“ und „Abschied“ mirakulös in die Zielgerade der Reise einzubiegen.

Stürmisch der Jubel des enthusiasmierten Publikums. Jetzt kam als 1. Zugabe das gesamte Lied „Das Wandern“ und schließlich „Die Taubenpost“, D 957 (1828).

 

Karl Masek

attitude – Ballet-Blog: This week’s recommendations: May 4th, 2019

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This week’s recommendations: May 4th, 2019

A short Talk with Ketevan Papava

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Ketevan Papava, Ricardo Leitner. Foto: Leitner

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It’s „show time“, Folks!

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Forsythe – van Manen – Kylián: Première April 14th, 2019

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STUTTGART/ im Nord/Stuttgart/ JOiN : ROTKÄPPCHEN von Georges Aperghis. Premiere

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Lisa Kunerth, Adam Ambarzumjan, Andrea Nagy und Mark Lorenz Kysela. Foto: Martin Sigmund

Premiere „Rotkäppchen“ von Georges Aperghis am 4.5.2019 im JOiN (Junge Oper im Nord)/STUTTGART

EIN HÄUFIGER ROLLENWECHSEL

In dieser „Rotkäppchen“-Version des griechischen Komponisten Georges Aperghis ist alles anders. Inszeniert und choreografiert von Guillaume Hulot und Elena Tzavara (Bühne und Kostüme: Elisabeth Vogetseder) regieren Witz und Esprit. Das Märchen von Charles Perrault nach den Gebrüdern Grimm wird gründlich umgekrempelt. Es gibt dabei immer wieder überraschende Konstellationen.

Das sechsköpfige Instrumentalensemble des Staatstheaters Stuttgart erzählt, spielt, singt und begleitet dieses Märchen als hochvirtuoses Kammerstück. Dabei entwickeln sich die einzelnen Szenen in immer neuen Variationen und geheimnisvollen Verwandlungen, wobei von den versierten Musikern auch die Rollen gewechselt werden. Es entstehen die für Aperghis so typischen Parallel-Bewegungen. Olga Wien, Markus Hein (Klavier), Andrea Nagy, Adam Ambarzumjan (Klarinette und Bassklarinette), Mark Lorenz Kysela (Sopran- und Baritonsaxophon) sowie Lisa Kuhnert (Violine) lassen diese Märchenfiguren in skurriler Weise lebendig werden. Man sieht einen ballartigen, riesig-leuchtkräftigen Mond, der auf einem seltsamen Metall-Gestell abgestützt wird. Darunter scheint sich ein Garten zu befinden. Geigenintervalle, Glissando-Passagen, Pizzicati (etwa bei der Frage „Großmutter, warum hast du so große Ohren?!“) oder gar Staccato-Attacken beschreiben den Fortgang dieses  berühmten Märchens. Die Großmutter wird vom bösen Wolf auch hier gefressen. Und als Rotkäppchen in die Kammer geht, liegt der Wolf als Großmutter verkleidet im Bett und verstellt seine Stimme. Und auch Rotkäppchen wird schließlich vom Wolf in genüsslicher Weise verspeist. 


Andrea Nagy (Klarinette). Foto: Martin Sigmund

Doch eine Passage fehlt: Denn dem Wolf wird hier nicht der Bauch aufgeschnitten. Es werden ihm auch keine schweren Steine in den Körper gelegt. Irgendwie scheint er davonzukommen. Eine weitere Geschichte wird nur angedeutet, lässt den Zuschauer aber ziemlich ratlos zurück. In ihren silbernen Kostümen scheinen die Protagonisten um den Mond zu tanzen. Chromatische Aufgänge beschreiben eine ungewöhnliche harmonische Entwicklung, die sich den Charakteren anzupassen scheint. Eine fast schon obsessive Erforschung sinnlicher Wahrnehmungen ist bei diesem Werk immer wieder auszumachen. Das spürt man sogleich zu Beginn, als die einzelnen Instrumente Vogelstimmen und Insekten kunstvoll imitieren. Dicht übereinander stehende Strukturen werden thematisch in facettenreicher Weise miteinander verknüpft. Bei diesem Netz von Klangflächen und differenzierten Produktionstechniken erforscht Aperghis auch das Verhältnis von Stimme und Sprache. Die Tonsprache von Janacek und Schubert bleibt spürbar, was die Musiker hervorragend betonen. Ein ganz eigener Rhythmus setzt sich bei dieser Wiedergabe wie von selbst durch, korrespondiert in reizvoller Weise mit dem Bühnenbild, auf dem auch zwei Flügel stehen, die für die szenische Handlung ganz bewusst benutzt werden. Die Töne werden hier vom Rhythmus bestimmt, was zu völlig ungewöhnlichen Hörerfahrungen führt. Und so kommt es zuletzt zu einem regelrechten Klangchaos, das die Figuren in alle möglichen Himmelsrichtungen vertreibt. Kontrastierende Tempi und robuste Klangblöcke sorgen immer wieder für einen abwechslungsreichen harmonischen Fluss. Vierteltonintervalle zerlegen die Klangflächen in ihre Einzelteile.

Insbesondere bei den Kindern kam diese gut 40 Minuten lange Produktion von „Acht Brücken„/Musik für Köln gemeinsam mit JOiN bei der Premiere sehr gut an. Es ist ein Musiktheater für Kinder ab 6 Jahren und ihre Familien, das man mit bestem Gewissen weiterempfehlen kann.   

Alexander Walther


WIEN/ Staatsoper/ Staatsballett: LE CORSAIRE

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WIEN/ Staatsoper/ Staatsballett: LE CORSAIRE am 3.5.2019 – Reichlich viel Wüstensand…

»Le Corsaire«, 3. Akt: Mihail Sosnovschi (Seyd Pascha) und das corps de ballett des Wiener Staatsballetts © Wiener Staatsballett/Ashley Taylor
»Le Corsaire«, 3. Akt: Mihail Sosnovschi (Seyd Pascha) und das corps de ballett des Wiener Staatsballetts. Foto: Ashley Taylor/Staatsballett

Im Haus am Ring zuletzt im Oktober 2016 getanzt, kehrt uns Manuel Legris’ Fassung von Le Corsaire für eine Serie in unterscheidlichen Besetzungen wieder. Zwischenzeitlich gastierte die Com­pagnie mit der Produktion in Japan, so daß die letzte Einstudierung und Probenphase nur ein Jahr zurückliegt. Daher verwundert es umso mehr, daß es besonders, aber nicht nur, im corps de ballet so viele Ungenauigkeiten gibt. Da steckt einiger Wüstensand im Getriebe… Hoffen wir, daß dieser in den nächsten Vorstellungen von den Meeresströmungen ausgespült wird.

 

http://www.dermerker.com/index.cfm?objectid=1343E300-6F25-11E9-9F5B005056A64872

Ulrike Klein (www.dermerker.com)

KLAGENFURT/ Stadttheater: KOMA – Definitive Fassung“ der Oper von Georg Friedrich Haas und Händl Klaus

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Das Ensemble. Copyright: Stadttheater Klagenfurt/ Arnold Pöschl

Stadttheater Klagenfurt: „Definitive Fassung“ der Oper Koma von Georg Friedrich Haas und Händl Klaus
6. Aufführung in dieser Inszenierung
3. Mai 2919
Eine mikrotonale Grenzerfahrung in absoluter Dunkelheit

„Wer im Dunkeln sitzt, zündet sich einen Traum an,“ verkündet die Lyrikerin und Nobelpreisträgerin Nelly Sachs in einem ihrer tiefsinnigen Gedichte. Wovon aber träumt Michaela Windisch, die vermutlich nach einem gescheiterten Suizidversuch – umringt von Krankenhauspersonal und Familienangehörigen – in einem gekachelten Krankenbett liegt? Träumt sie überhaupt, oder dämmert sie nur vor sich hin? Als Wachkomapatientin kommuniziert sie jedenfalls nicht mir ihrer Umgebung, man weiß daher auch nicht, was in ihr vorgeht, wenn sie so daliegt und singend Vokalismen von sich gibt oder in unruhige Zuckungen verfällt. Zunehmend rat- und hilflos reagieren darauf nicht nur die drei Pfleger und die zwei Ärztinnen, sondern auch ihre Familie – und nicht zuletzt wohl auch das in diese Aufführung sehr geforderte Publikum.

Handlung gibt es in dieser Oper, die in ihrer Urform zunächst 2016 in Schwetzingen ihre Weltpremiere hatte und nun am 28. März in ihrer „definitiven Fassung“ in Klagenfurt am 29. März d. J. uraufgeführt worden ist, kaum, medizinisch-pflegerische Be-Handlungen können hingegen sehr wohl registriert werden. Da werden Erinnerungssplitter an gemeinsame Erlebnisse mit Michaela geäußert, man erzählt von einem Vogel, der zu Tode gekommen ist, von einer Katze, und berichtet darüber, dass sie als Mutter ihr Kind geschlagen hat. Einmal wird ihr auch ein wohlvertrauter Gegenstand, vielleicht ein selbstgestrickter Schal, in die Hände gelegt und unter ihre Nase hochgehalten. Mit derlei Aktionen hoffen die Angehörigen – auf Anweisung des ärztlichen Personals – sie aus ihrer undurchdringlichen Welt in die Wirklichkeit zurückholen zu können. Diese Szenen sind meist so angelegt, dass von den involvierten Personen nur scherenschnittartige, schwarze Umrisse wahrzunehmen sind. So wird wohl unterstrichen, dass das, was in Michaelas Innerem vorgeht, für die Außenwelt unsichtbar bleibt.
Wenn alle Personen voll zu sehen sind, dann geht es meist um körperliche Aktionen. Da wird Michaela gefüttert, massiert, gestreichelt und beruhigt, wenn sie sich erregt und mit den Händen und ihrem Oberkörper zu zittern beginnt. Und als Höhepunkt wird sie gegen Schluss hin kollektiv gewaschen und gereinigt.

Ein guter Teil der zweistündigen Aufführung ist aber in totale Finsternis getaucht: Ausdruck des Nichtwissens über den wahren Zustand der Patientin, der Unzugänglichkeit ihrer Welt und des Scheiterns jedweder Verständigung. Die undurchdringliche Dunkelheit aber schärft zudem auch alle anderen Sinne und macht vor allem eines: überaus hellhörig für die Welt der Töne: „In meiner Musik wird man für ein paar Minuten in die Situation von Steinzeitmenschen versetzt, nach dem Erlöschen des Lagerfeuers in der nächtlichen Höhle – gespannt lauschend, ob Bedrohliches auf sie zukommen könnte. Und man ist nicht alleine – gemeinsam mit Menschen ist man für ein paar Minuten lang ausschließlich auf das Hören konzentriert.“ (Komponist Georg Friedrich Haas im Programmheft)

Koma ist für das Publikum wahrlich keine einfache Kost, sondern eine Grenzerfahrung im wahrsten Sinn des Wortes. Man wird – vor allem in den immer wiederkehrenden, wenige Sekunden bis über zehn Minuten dauernden Phasen der Dunkelheit, die alles umhüllt und alle vereinnahmt, zu einem Teil des Ganzen. Man nimmt Anteil, fühlt und bangt mit. Besonders auch deshalb, weil sich Manuela (großartig die Sopranistin Ruth Weber) gerade in diesen Phasen mit ihren eindringlichen Vokalismen einmischt. Mal mit glasklaren Linien, dann wieder melancholisch wirkend und zuweilen offenbar auch ziemlich emotional eingefärbt. Nur: Man weiß nie, ob man das nur so beim Hören empfindet. Was wirklich dahinter steckt, erschließt sich einem nicht.

Das Ausgesetzt-Sein in radikaler Dunkelheit ist eine einzigartige Erfahrung, gerade in einer Zeit, in der man mit totaler Finsternis kaum mehr konfrontiert wird. Besonders herausgefordert sind dabei vor allem die Sängerinnen und Sänger sowie die Orchestermusiker. Wenn rund die Hälfte der Zeit in absoluter Dunkelheit musiziert und gespielt wird – noch dazu in einer Tonsprache, die das traditionelle Tonsystem der zwölf chromatisch gestimmten Halbtöne weit hinter sich lässt und mikrotonal angelegt ist – dann gelangen alle notgedrungen an ihre Grenzen. Das ist für die Musikerinnen und Musiker tatsächlich „eine Zumutung“, wie der Komponist zugibt. Denn es dürfte kaum genügen, dass man die Partitur auswendig lernt und dann einfach so spielt. Da auch der Dirigent unsichtbar bleibt, ist selbstverständlich ein hohes Maß an Eigenverantwortung gefragt. Dennoch geht es hier letztlich aber auch um ein Zusammenfinden im Zusammenklang. Ein jeder muss daher – wieder in den Worten des Komponisten – „präzise auf die Anderen hören“ und „mit schlafwandlerischer Sicherheit das Feuer der Klänge weiterreichen.“ Unvorstellbar, dass es gelingt. Aber: Es gelingt! Und wie! – Ein großes Lob gebührt daher dem Kärntner Sinfonieorchester unter der – man kann es nur so nennen – magischen Leitung von Bars Wiegers für die Bereitung eines einzigartigen Hörerlebnisses sowie dem Komponisten und seinem Librettisten, denen es gelungen ist, eine Situation zu schaffen, in der so etwas möglich ist.

Aus den durchwegs tadellosen sängerischen Leistungen hervorzuheben ist weiters der Countertenor Daniel Gloger, der – wie die bereits erwähnte Ruth Weber – schon bei der Schwetzinger-Aufführung dabei war und nicht nur der Mutter Michaelas seine Stimme verleiht, sondern als Bariton auch als ihr Schwager Alexander in Erscheinung tritt. Stimmlich und darstellerisch überzeugen weiters die Altistin Christiane Döcker als Frau Dr. Auer und der Bariton Stefan Zenkl als Michaelas Mann Michael.

Die nüchtern gekachelte Bühne von Nicola Reichert wird genial belebt durch die Videoprojektionen von László Zsolt Bordos. Geometrische Muster, die sich allmählich verändern und schließlich gänzlich auflösen, unterstreichen die Ungreifbarkeit und Unbegreiflichkeit des Geschehens. Einmal krabbeln Tausende Käfer empor und suggerieren, dass alles in beunruhigender, unkontrollierbarer Bewegung ist.
Die Regie von Immo Karaman sorgt für eine gut koordinierte Personenführung und vertraut ansonsten auf die Kraft der Musik. Unnötig ist freilich die Szene, wo die Pfleger sich rote Nasen aufsetzten, denn es handelt sich hier gewiss um kein Kinderkrankenhaus, in dem Cliniclowns einen Auftritt hinlegen sollten. Die letzte Viertelstunde zieht sich dramaturgisch wie auch musikalisch etwas in die Länge. Es gab davor ein eindrucksvolles Tableau, bei dem man meinte, das könnte schon der effektvolle Schluss gewesen sein. Es handelt sich um die pieta-artig aufgebaute Szene, als die vor dem Ertrinken Gerettete von allen zärtlich umfasst und aufgerichtet wird: Der eindrucksvollste und in der Erinnerung stärkste Moment einer außergewöhnlichen Aufführung, deren Besuch – es gibt im Mai noch drei Vorstellungen – an zeitgenössischem Musiktheater Interessierten mit Nachdruck ans Herz gelegt wird.

Manfred A. Schmid

NEW YORK/ Metropolitan Opera: DER RING DES NIBELUNGEN – SIEGFRIED und GÖTTERDÄMMERUNG

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Die Welt ist untergegangen, samt den Göttern, und alle sind zufrieden. Foto (c) Huber: Nach viel zu schnell vergangenen 5,5 h um 11:30 pm EDT = 05:30 MESZ Götterdämmerungs-Schlußapplaus in der Met, v. l. die Rheintöchter Woodbury/Hankey/Mumford, Owens, Schager, Jordan, Goerke, Nikitin, Haller

Wagners Ring in New York

Wiederaufnahme und Neueinstudierung von Robert Lepages Inszenierung.

„Siegfried“ (2. 5.2019) und „Götterdämmerung“ (4. 5.2019)

 

Die Bühnenmaschine von Carl Fillion (Projektionen Boris Firquet, Licht Etienne Boucher) dominiert das Geschehen auch an den beiden letzten Hauptabenden der Tetralogie. Was diese 24 dicht an dicht aufgefädelten flachen Dreieckskörper mit ihrer lautlosen Verstellbarkeit kollektiv, aufgefächert oder „chaotisch“ aufführen, was sie für Illusionen vermitteln können, ist schon atemberaubend. Die vier Projektoren (und ein paar Zusatzgeräte), die exakt silhouettendeckend diese verstellbare Projektions- und Spielflächen begleiten, in allen Positionen ohne „Kontamination“ des Bühnenhintergrundes, liefern nach eher statischen, wenn auch detailreichen Bildern von dicht an dicht stehenden Baumstämmen in der Walküre nun auch vielfältig bunt bewegte – Herbstwald mit fallenden Blättern, aber auch radierungsartig dargestelltes, sich windendes Gewürm und natürlich auch einen eindrucksvoll feurig-abweisenden Brünnhildenfelsen. Und ein Bach bei Mimes Werkstatt sowie ausfließendes Drachenblut läßt sich so auch, mit tropfenden Details, darstellen.

Immer wieder fächert sich das System auch auf, um die Illusion einer hügeligen Landschaft, eines gewaltigen Vogels oder eines Gebirges zu erzeugen, oder Spiel auf mehreren Ebenen zu gestatten. Äußerst anspruchsvoll für Darstellerinnen und Darsteller, noch dazu, wo die Maschineneinstellungen in Proberäumen nur unvollkommen nachgebildet werden können. Positiver Nebeneffekt dieser besonders aufwendigen Vorbereitung einer Wiederaufnahme ist, daß das Regiebuch von 2012 wirklich bis ins Detail durch- sowie bedarfsweise auch umgearbeitet wurde und die Interaktionen der Handelnden dadurch wohl ähnlich komplex und szenisch überzeugend wie in der Premierenserie ausfallen.

Am letzten Abend wird die Maschine mehr flächig eingesetzt, die smarten Projektionen spielen die Hauptrolle – z. B. wenn die Halle der Gibichungen holzvertäfelt und parallel gemasert ist, ist an den paar schräg angeschnittenen Elementen das Hirnholz zu erkennen; und der Gebirgsbach, in dem die warnenden Rheintöchter verschwunden sind, färbt sich rot vom Blut Siegfrieds, als sich Gunther die Hände wäscht. Als Brünnhildes Feuer niederbrennt, wird dahinter das einstürzende Wallhall sichtbar.

Jedenfalls am Gesamtkonzept für uns besonders faszinierend die Kombination von high-tech Bühne Gestaltung und konservativen Kostümdesign, bei dem wohl auch einige Elemente aus Fantasy-Welten eingeflossen sind, macht immer wieder geradezu sprechende Bilder. Diese transportieren die Geschichte perfekt und bieten immer wieder Anregung zum Mitdenken und zum Ausloten psychologischer und philosophischer Hintergründe.

Gerhard Siegel ist ein power-Mime, dessen Verschlagenheit und mitunter Larmoyanz dadurch umso unguter wirkt. Nährvater und definitiv unangenehmer Gegner für Siegfried. Andreas Schager läßt sich durch dieses kraftvolle Gegenüber fast (anders als Stephen Gould voriges Jahr in Dresden) ein bißchen zu viel herausfordern und streift dadurch beim Schmieden von Nothung seine freilich extrem weit gestreckte stimmliche Grenze; ab dem zweiten Akt legt er aber eine atemberaubend perfekte Leistung hin und schwingt sich in der Schlußszene mit Brünnhilde noch einmal zu genau kontrolliertem, aber trotzdem durchschlagenden und befreit jubelndem Fortissimo auf. Ebenso vielschichtig abgestuft und jetzt immer definitiv perfekt dosiert seine Leistung am Schlußabend, wo er in der Todesszene auch sein vorzüglich angesetztes und trotz der geringen Lautstärke tragfähiges Piano einsetzen kann. Sein durchaus expressives Spiel hätte Otto Schenk mit dem Hinweis „mano“ vielleicht dann und wann etwas gedämpft.

Christine Goerke trifft schon mit ihrem ersten Ton nach dem Erwachen genau den Nerv von Publikum und Werk und spielt mit Siegfried stimmlich wie körperlich einen wahren, immer enger werdenden pas de deux bis zum jubelnden und trotzdem innigen Finale des dritten Abends. Stimmlich wirkt sie dabei gegenüber der „Walküre“ befreit – auch ihre Leistung ist mit „perfekt“ nicht übertrieben zu beschreiben, und das gilt auch für die „Götterdämmerung“, in der sie natürlich noch mehr Emotionen (und Schauspiel) bieten muß und auch scheinbar mühelos zu bieten hat. Fast bekommt ihre Stimme dabei ein bißchen was vom flüssigen Quecksilber einer Birgit Nilsson…!

Tomasz Koniecznys Alberich ist auch im Siegfried ein trotz „schöner“ Stimme dämonisch wirkender Regisseur des Bösen, was er auch am letzten Abend bei Hagen vorzüglich darstellt. Michael Volle verabschiedet sich als Wanderer aus der Geschichte mit von Akt zu Akt resignativerer Darstellung, was er auch fein dosiert mit der Stimme überträgt.
Fafner Dimitry Belosselskiy liegt und besitzt über Lautsprecher mit Halleffekt, nach Schlachtung seines eher entzückenden als furchterregenden Drachen-Ichs kriecht er aus der Neidhöhle und stirbt mit seiner unverfälschten, guten, auch im Verdämmern sicheren Stimme. Karen Cargill als Erda gibt eine zufriedenstellende Darstellung, kommt besser über die Rampe als im „Rheingold“.

Günther wird von Evgeny Nikitin solide gespielt und gesungen – etwas, das in dem riesigen Saal nicht viele so gut hinbekommen! Der Hagen von Eric Owens ist zwar nicht ganz so tief basiert wie die Stimme von Günther Groissböck, aber er überzeugt mit höchst differenziertem Gesang wie Spiel und einer ausgezeichneten Diktion, der besten des Abends.

Bei aller überzeugend dargebotenen Emotion und bisweilen nötiger Lautstärke behält die Stimme von Edith Haller (Gutrune) stets großen Wohlklang. Der glanzvollen Produktion adäquat auch die Nornen (Ronnita Miller, Elizabeth Bishop, Wendy Bryn Harmer), eine verzweifelt und mit wunderbar eindringlicher Stimme warnende Waltraute (Michaela Schuster) und die quicklebendigen Rheintöchter Amanda Woodbury, Samantha Hankey sowie Tamara Mumford, denen auf der schräg gestellten Maschinenwand körperlich einiges abverlangt wird, was sie aber nicht von feinziseliertem und glockenhell-rundem Gesang abhält.

Das Orchester erneut uneinheitlich: einerseits kann ihm Philippe Jordan am Pult alles entlocken, was zu einem tollen Ring nötig ist, auch wunderbare Abstimmung mit den Gesangssolisten, andererseits passieren immer wieder so Sachen wie: die wunderbar gespielte Baßtuba kündigt in der Einleitung des „Siegfried“ den Wurm an und wird dann von schlecht gestimmten höherem Blech umspielt… In der „Götterdämmerung“ schließlich kommt es dann doch zum guten Ende, als das Holzbläserensemble im ersten Akt ganz wunderbar tönt, der Solohornist Erik Ralske eine makellose Leistung bietet und schließlich beim würdig dahinziehenden Trauermarsch und dem feurigen Finale ein wahrer Farbenrausch aus dem Graben aufsteigt und den Golden Horseshoe erfüllt.

Tosende Begeisterung des Publikums an beiden Abenden, von der Christine Goerke, Andreas Schager und Philippe Jordan den größten Anteil abbekamen.

H & P Huber

 

WIEN/ Staatsoper: RIGOLETTO mit Christopher Maltman

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Christopher MALTMANN und Joseph CALLEJA Foto: Copyright M.PÖHN

WIEN / Staatsoper: „RIGOLETTO“ mit Christopher Maltman

Und wieder ein Hinterhof im Niemandsland

4.5. 2019 – Karl Masek

Am 20. Dezember 2014 hatte diese Inszenierung eine „fluchbeladene“ Premiere. Unfreiwillig mit 2 Titelrollensängern durch den damaligen Ausfall von Simon Keenlyside mitten in der Vorstellung. Mittlerweile hat sie 27 Aufführungen auf dem Buckel. In einer abgründig hässlichen Ausstattung (Christof Hetzer), welche direkt von einer Abrissbaustelle  zu kommen schien. Mauer- und Treppenteile könnten vielleicht einmal von einem Palast gewesen sein. Ein Hinterhof im Niemandsland, Baumleichen, Müll.  Gilda ist eingesperrt in einer vergitterten Hebevorrichtung (eine der vielen Lift- und Aufzugsvarianten der Direktion Meyer mit hervorragenden Repertoirevorstellungen, aber etlichen eher verunglückten Neuinszenierungen!). Das Leading-Team (Pierre Audi, Christof Hetzer, aber auch der Dirigent) wurde bei der damaligen Premiere mit Buhs bedacht …

Aber auch über dem 2. Abend des aktuellen „Rigoletto“-Viererblocks schien im Schlussbild ein Hauch von „Maledizione“ zu liegen.

Joseph Calleja war nach  Jahren Absenz von der Wiener Staatsoper nach dem Solistenkonzert am 22. Jänner wieder einmal „Duca di Mantova“ (kein Hauch von Mantua auf der Bühne!). Sein letzter Auftritt in dieser Rolle war im Jahr 2004 noch in der alten, sehr konventionellen, aber jedenfalls werkgerechten Inszenierung von Sandro Sequi. Geschimpft wurde auch über diese Inszenierung! Damals dirigierte übrigens ein gewisser Kirill Petrenko – und die Gilda sang Stefania Bonfadelli.

Er ist mittlerweile ein auch stimmlich stämmiger Duca, die erforderliche „Italianitá“ bringt der Mann aus La Valletta natürlich mit, Eleganz der Stimmführung geht ihm mittlerweile weitgehend ab. „Questo e quella“ im Einheitsforte. Am besten gelang ihm „Ella mi fu rapita“. Mit Fortdauer des Abends  klang die Stimme im passagio immer angestrengter, was schon die große Szene mit Gilda beeinträchtigte. Lag es an der Abendverfassung? Vielleicht wäre eine Ansage angebracht gewesen! Oder offenbaren sich doch gewisse stimmtechnische Probleme, die dann die Stimmbänder verkrampfen lassen – dann wird „La donna e mobile“ unwillkürlich zu einer Angststelle und zur tenoralen Nervenprobe. Es kündigte sich förmlich an. Calleja schmiss beim „Ohrwurm aller tenoralen Ohrwürmer“ den Schlusston und ging dann bis zum Ende, stimmverzittert, völlig ein.  Bleibt zu hoffen, dass sich Calleja bis zur nächsten Vorstellung am 9.5. wieder konsolidieren kann!

Christopher Maltman gab als Rigoletto in dieser Serie sein Rollendebüt am Haus. Er ist (ähnlich wie Rollenvorgänger Keenlyside) ein überragender Sänger-Darsteller, der sichtlich und hörbar aus dem Land des William Shakespeare kommt. Er trimmt die Stimme auch auf „alt“ (samt beträchtlichem Vibrato), was bei dieser Charakterrolle durchaus legitim ist. Er bringt die zynischen Facetten und den wetterwendischen Charakter des Hofnarren fesselnd auf die Bühne. Er singt den Vater, der seine Tochter vor den Nachstellungen des Herzogs und seiner dekadenten Gesellschaft mit untauglichen Mitteln des Freiheitsentzugs schützen will, mit Farbenreichtum und Nachdruck und spielt die Rachefantasien nach der Verschleppung Gildas und  den Zusammenbruch am Sack mit der sterbenden Tochter ergreifend. Sein Bariton: stählern beim „Cortigiani…“, bombensicher die Höhen in der Stretta des 2. Aktes, alle Stimmfarben der Klagen in der Szene mit den Höflingen …

Andrea Carroll war als Gilda die  Einspringerin für Aida Garifullina, die ihrerseits als Einspringerin für Anna Netrebko freigegeben wurde. Das Ensemblemitglied hielt sich sehr gut (eine anfängliche Tendenz, den „berühmten Viertelton“ zu tief anzusetzen, gab sich bald und sie hatte viel von „Engelstönen“ – sie wird ja vom Vater immer wieder als „Mein Engel“ bezeichnet.

Zufrieden konnte man mit Sparafucile und Maddalena sein. Jongmin Park mit Samtbass, er sah allerdings in der Kostümierung so überhaupt nicht wie ein gedungener Berufskiller, eher wie ein Abiturient aus – dafür kann er nichts! Freude über die „Heimkehrerin“ Nadia Krasteva und ihre schlanken, gleichwohl profunden Mezzotöne.

Die Comprimarii haben kaum Chance auf Profilierung. Margaret Plummer (Giovanna), Igor Onishchenko (Marullo), Leonardo Navarro (Borsa), Marcus Pelz und Lydia Rathkolb (Graf & Gräfin Crepano) sowie Ileana Tonca (mit der Ein-Satz-Rolle des Pagen) zogen sich achtbar aus der Affäre.  Für Monterone (diesfalls Alexandru Moisiuc) sollte man sich langsam Alternativen überlegen.

Tadellos der Chor (Einstudierung: Martin Schebesta), eher schwächlich tönte das Bühnenorchester der Wiener Staatsoper im 1. Akt. Das Orchester der Wiener Staatsoper machte soliden Abenddienst, allerdings blieben orchestrale Glanzlichter diesmal aus.

Das lag vermutlich (mir unverständlich, mit welcher Lautstärke er gefeiert wurde!) am Dirigenten des Abends: Giampaolo Maria Bisanti dirigierte zwar mit großer Geste, es blieb aber über weite Strecke bei grob musizierter Al-fresco-Manier.

Am Ende Jubel für Maltman, Carroll und den Dirigenten. Mit Calleja ging das Publikum sehr fair um und bezog ihn in die Bravi (wie auch Park und Krasteva) mit ein. Wenn das Saallicht angeht, ist’s  aber mit dem Schlussbeifall schlagartig vorbei. Früher war das Opernpublikum in Wien schon ausdauernder …

Karl Masek

STUTTGART/ Kammertheater: THADDÄUS TROLL von Gernot Grünwald. Premiere

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Benjamin Pauquet, Sebastian Röhrle. Foto: Björn Klein.

STUTTGART/ Kammertheater: Premiere von „THADDÄUS TROLL“ von Gernot Grünewald am 4.5.2019 im Kammertheater/STUTTGART 

Die Schwaben und der Sex

 Der Regisseur Gernot Grünewald hat hier der Zerrissenheit des schwäbischen Schriftstellers Thaddäus Troll nachgespürt, der eigentlich Hans Bayer hieß. 1980 nimmt sich Troll das Leben. Schon zuvor hatten ihn Depressionen gequält. Offensichtlich hat ihn der Krieg nie losgelassen, er war Kriegsberichterstatter im Zweiten Weltkrieg. Und das Kriegende hat er als zweite Geburt beschrieben. Ende der 60er-Jahre gelingt dem Autor mit „Deutschland deine Schwaben“ ein großer Erfolg. Der Mensch hinter diesem Pseudonym tritt inzwischen als Theaterkritiker und leidenschaftlicher SPD-Wahlkämpfer auf. Zudem setzt er sich für die Rechte von Schriftstellern ein. Die subtile Inszenierung von Gernot Grünewald schwankt zwischen Heimatdichtung und Kriegsbericht (Bühne und Kostüme: Michael Köpke; Video: Thomas Taube; Kamera: Jochen Gehrung, Daniel Keller; Musik: Dominik Dittrich).


Sebastian Röhrle, Jannik Mühlenweg, Benjamin Pauquet und Giovanni Funiati. Foto: Björn Klein.

Obwohl Thaddäus Troll ein Meister der Mundartdichtung war, sollte man ihn nicht in die Gemütlichkeitsecke stellen. Das macht der Abend in überraschender Weise deutlich. In zahlreichen Videosequenzen wird der schwäbischen Mentalität schonungslos nachgespürt. Die vier virtuosen Darsteller Giovanni Funiati, Jannik Mühlenweg, Benjamin Pauquet und Sebastian Röhrle machen sich nicht nur über die schwäbische Kehrwoche ihre Gedanken, sondern entlarven auch den verklemmten Pietismus bei „Der Schwabe und der Sex“. Dabei erfährt man dann, dass die Schwaben Sex oft als eine Erfindung des Satans bezeichnen. Auch körperliche Liebe ist für viele Teufelswerk. Die Spießigkeit der schwäbischen Seele stellt Gernot Grünewald als Regisseur grell zur Schau: „Der Pietismus hat das schwäbische Wesen sehr geprägt“. Man bekommt als Zuschauer aber auch mit, mit wie viel Einfühlsamkeit und Witz Thaddäus Troll beispielsweise die Entstehung eines Kindes beschrieben hat. Zwischen „Hefezopf“ und „Wein-Kantaten“ erklingen auch kurze Ausschnitte aus Beethovens fünfter Sinfonie. Das Ganze läuft revueartig ab. Während dem schwäbischen Hausbesitzer tief in die Seele geleuchtet wird, erklingt Richard Wagners „Walkürenritt“.

Insbesondere die dargestellten Kriegsszenen haben es in sich. Man begreift, warum Troll dieses Trauma nie loswurde. Man erfährt auch, dass ein paar Schwaben Hitler das Wort abgeschnitten hatten. Das Publikum wird außerdem über Stellung und Funktion der Propagandatruppen im Zweiten Weltkrieg  genau informiert. Da eskaliert die Situation rasch anhand des unbeschreiblichen Grauens in den Schützengräben. Dazwischen sieht man dann immer wieder Aufnahmen von Stuttgart, die in diesem Zusammenhang seltsam bieder und geradezu „unschuldig“ wirken. Die vier Männer begeben sich zu Beginn in einzelne Kabinen auf der kreisrunden Bühne und ziehen sich ihre Kleider an. Sie erscheinen zunächst nur mit Unterhose, dann kleiden sie sich an. Zuletzt legen sie ihre Kleider wieder ab. Zuweilen erklingen auch Melodien der „Comedian Harmonists“ oder Sequenzen aus berühmten Unterhaltungssendungen des deutschen Fernsehens. Gleichzeitig wird das zwiespältige Verhältnis des Schwaben  hinsichtlich aller Sinnlichkeit beleuchtet. Man erfährt letztendlich, dass „der Krieg ein furchtbares Feuer ist“. Das Weltbild des Schwaben wird  hier aufs Tiefste erschüttert. Gott erscheint im „Deutschen Wirtschaftswunderfernsehen“. Mit Sendungen wie „Kulenkampffs Schuhe“ sollen Mord und Verbrechen vergessen werden. Kriegstraumatisierte Showmaster haben hier einem kriegstraumatisierten Publikum geholfen. Erschütternd wirken die letzten Briefe Trolls vor seinem Suizid, in denen er ganz langsam von der Welt Abschied nimmt. Hier erreicht diese Inszenierung eine ungeahnte Dichte und Stimmigkeit, was nicht bei allen Szenen der Fall ist.

Trotzdem ist der Abend sehenswert, weil man in die verletzte Seele Thaddäus  Trolls blicken kann.

Alexander Walther

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