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BERLIN/ Staatsballett Berlin: BALANCHINE | FORSYTHE | SIEGAL in der Staatsoper. Premiere und Uraufführung

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Berlin/ Staatsballett Berlin: BALANCHINE | FORSYTHE | SIEGAL in der Staatsoper, Premiere und Uraufführung, 04. Mai 2019

In dieser neuen Premiere des Staatsballetts Berlin werden alle bestens bedient: diejenigen, die das klassische Ballett lieben, und sie anderen, die Zeitgemäßes sehen wollen. Der Bogen spannt sich an diesem Abend von George Balanchine über William Forsythe bis zu Richard Siegal, einem der heutigen Star-Choreografen, der sogar eine Uraufführung fürs Staatsballett Berlin geschaffen hat.
„Wir wollen die Tradition in Ehren halten und sie zugleich in die heutige Zeit weiterführen.“ So drücken es die Intendantin Sasha Waltz und der Intendant Johannes Öhman aus. Das klingt beruhigend für die konservative Klientel.

Dass alle drei Choreografen auf den russischen Ballett-Traditionen aufbauen und später amerikanische Einflüsse integrieren, und dass sie alle, voneinander lernend, ihre eigenen Arbeiten schaffen, wird im Verlauf des Abends deutlich. Der Applaus, der den einzelnen Stücken folgt, zeigt jedoch genau, was vor allem die jüngere und mittlere Generation bevorzugt.


Maria Kochetkova, Daniil Simkin. Foto: Yan Revazov

Das erste Stück, Balanchines „Theme and Variations” von 1947, ist eine modernisierte Fortsetzung der Arbeiten seines Lehrers Marius Petipa, kombiniert mit raffinierter Raumeinteilung und geometrisch geprägtem Bewegungskanon, was auch der Compagnie viel Können und Konzentration abverlangt. Hierzu gibt es „echte“ Musik, Tschaikowskys „Suite für Orchester Nr. 3 G-Dur“, versiert gespielt von der Staatskapelle Berlin unter der Leitung des erfahrenen Ballettbegleiters Paul Connelly.

In hellblauen, frühlingshaften Edelkostümen (kreiert von Elsie Lindström) schweben die Tänzerinnen mitsamt der Ballerina und dem „primeur danseur“ über die Bühne. Maria Kochetkova als Gast und Daniil Simkin bilden ein exzellentes Solistenpaar. Schon für die Premiere von „La Sylphide“ hatte man sie für Simkin, den neuen 1. Solisten beim Staatsballett Berlin – zuvor beim American Ballet Theatre – als Partnerin engagiert. Offenbar braucht er eine extrem kleine, leichtgewichtige Tänzerin an seiner Seite. Aus Verletzungsgründen sprang bei der Sylphide-Premiere der Berliner Kammertänzer Marian Walter für ihn ein.

Nun also sind, wie geplant, Maria Kochetkova und Daniil Simkin tatsächlich als Premierenbesetzung zu erleben und machen das vorzüglich. Sie sehr wendig, federleicht auf flinken Beinen und immer mit einem Lächeln im Gesicht.

Geschmeidig und variantenreich absolviert Simkin seinen Part, glänzt mit zahlreichen Sprüngen und genau wie sie mit einer Fülle gelungener Pirouetten. Zum Walzertakt tanzen beide einen schönen Pas de deux, mit einem Arm schwingt Simkin die Zierliche um sich herum. Perfekte Technik, romantische Musik, alles wirkt leicht und flüssig, doch sein Gesicht bleibt unbeweglich. Die totale Konzentration fordert womöglich ihren Tribut.
Anders die Damen der Compagnie, die ebenfalls ein anspruchsvolles Bewegungsritual meistern mussten und es – nach der Duato-Lethargie – nun dank Johannes Öhman – mit Spaß und neuer Frische absolvieren. Heftiger Beifall nach diesem Frühlingsmärchen.


„The second detail“. Foto: Yan Revazov

Nach der Pause geht sogleich ein spürbarer Ruck durch den vollbesetzten großen Saal. Der zuckrigen Vorspeise folgt mit „The second detail“ von William Forsythe ein Hauptgang mit Biss, voll von krassen Kontrasten, ein Stück von 1991 und noch immer total heutig.

Die knallharte, rhythmisch pointierte Musik von Thom Willems dröhnt durch den Raum. Das grelle, auf die Bühne gerichtete Licht enthüllt fast alle Details der tanzenden Körper und bietet den Interpreten keinerlei Fluchtpunkte (Kostüme: Issey Miyake | Yumiko Takeshima).

Denn bei Forsythe – das war das Neue – zeigen sich die Tänzerinnen und Tänzer dem Publikum nicht wie beim Klassischen Ballett nur von vorne und bestenfalls von der Seite. Hier drehen sie sich in Gänze, kehren den Zuschauern oft auch den Rücken zu. Für die Tanzenden muss das damals nach einiger Eingewöhnung befreiend gewesen sein. Was 1991 einer Sensation gleich kam, ist bei zeitgenössischen Choreografien eine Selbstverständlichkeit.

Das Stück hatte bereits 2006 beim Staatsballett Berlin Premiere und kehrt nun in einer Neufassung zurück. Angeheizt von elektronischen Tonträgerklängen bieten die Tanzenden nun gekonnt ihren ganzen Körper dar. Zuletzt gesellt sich eine Frau im weißen kurzen Kleid – Jenna Fakhoury, auch ein Neuzugang – mitten unter die Männer und tanzt sich in ihrer Wildheit fast die Seele aus dem Leib. Sie feiert diese gewonnene Freiheit. Noch mehr als sie tobt dann der Saal. Brüllend und kreischend schreit sich das Publikum die Begeisterung von der Seele.


„Oval“. Foto: Yan Revazov

Anders die Uraufführung „Oval“, von Richard Siegal, geschaffen nach der Musik von Alva Noto (vom Tonträger). Die erschleicht sich eher unaufdringlich die Sympathie des Publikums. Unter einem hellen LED-Lichtreifen von Matthias Singer, der anfangs eher kreisförmig als oval wirkt, agieren die Tanzenden zunächst in ziemlicher Dunkelheit.

Mal verschwindet das Licht fast gänzlich, mal wird es stärker. Mal kippt das Oval und strahlt in Pink. Als es auf der Bühne insgesamt heller wird, gewinnen die Tänzerinnen und Tänzer in den sehr anliegenden, teils hautfarbenen, teils schwarzen und alles markierenden Kostümen (von Y Studio) Kontur.
Richard Siegal, 10 Jahre lang Tänzer bei der Forsythe Company, Gründer von The Bakery (im Jahr 2006) und Erfinder vom „Ballet of Difference“ (2016) geht eigene Wege. Das zeigte schon sein „Totales Tanztheater 360“, einer der Höhepunkte im Januar in Berlin beim Eröffnungs-Festival zu 100 Jahre Bauhaus. (Im September wird es auch in Dessau zur Eröffnung des dortigen Bauhaus-Museums zu sehen sein.)

Auf der heller werdenden Bühne herrschen nun Angriffslust und Partnerwechsel. Die Männer, einige im Ringer-Outfit mit nackter Brust, wollen und müssen sich hier beweisen, tun es mit teils abgezirkelten Bewegungen, um dann auch mal auszurasten.
Heftig agieren sie untereinander und auch gegenüber den Frauen. Die sind die treibende Kraft beim Partnerwechsel und suchen sich ungerührt den nächsten Mann. Die Pas de deux sind hier keine Liebeserklärung, sondern ruppige Annäherungen mit Fluchtpotenzial. Die 12 Damen und Herren tanzen sich in Ekstase und ziehen das Publikum zusammen mit der Licht- und Tonwirkung beinahe in einem außerirdischen Bann. Auch der anschließende Applaus sprengt erneut den gewohnten erdnahen Rahmen.

Ursula Wiegand

Weitere Termine am 6., 10., 11., 17., 18. und 24. Mai sowie am 4., 6., 19., 21. und 22. Juni.


WIEN/ Staatsoper: RIGOLETTO

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WIENER STAATSOPER: „Überzeugender Rigoletto und tenorales Missgeschick“(Dominik Troger)

Die Wiener Staatsoper hat Giuseppe Verdis „Rigoletto“ in der untauglichen Inszenierung von Pierre Audi wieder in den Spielplan aufgenommen. Christopher Maltman sang den vom Schicksal gebeutelten Hofnarren, Andrea Carroll seine Tochter, und als Herzog trat Joseph Calleja an.


Nadia Krasteva (Maddalena). Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

http://www.operinwien.at/werkverz/verdi/arigol17.htm

ZÜRICH/ Opernhaus: IL TURCO IN ITALIA

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Gioacchino Rossini: Il turco in Italia, Opernhaus Zürich, Vorstellung: 05.05.2019

 (3. Vorstellung seit der Premiere am 28.04.2019)

Wohnblock 37

Die Inszenierung des «Türken in Italien» von Jan Philipp Gloger ist bestes episches Theater im Sinne Bertolt Brechts. Gloger verortet die Handlung in der Gegenwart und dazu hat ihm Bühnenbildner Ben Bauer auf der Dreh-Bühne den Wohnblock 37 geschaffen. Es sind drei der identischen Appartements zu sehen, die in diesem Haus vermietet werden, die Waschküche und der Eingangsbereich mit den Briefkästen. Die Ausgangslage lässt sich während der Ouverture entdecken: in einem Appartement wohnen Don Geronio und seine Gattin, Donna Fiorilla, im Anderen ist der erfolglose Dokumentarfilmer (Video-Design: Sami Bill), Schriftsteller und Journalist Prosdocimo untergekommen und das dritte Appartement steht leer. Bereits hier zeigt sich die Detailverliebtheit der Ausstattung: Geronios Wohnung sieht aus wie der Verkaufsraums des schwedischen Möbelhauses und Prosdocimos Einrichtung spiegelt herrlich die Träume des langhaarigen Altachtundsechzigers. Auch die Kostüme von Karin Jud sind eine Augenweide: Allein die Schürze von Don Narcisios Frau, so, wie wir sie von der «Grossmutter vom Land» kennen, beschreibt schon die Frustrationen des Ehe- und Familienalltags. Don Narcisio ist der Hausmeister der Nummer 37: in kariertem Hemd und Kittel. Oder der Pantoffelheld Don Geronio, der in jeder Lebenslage die Gemütlichkeit des heimischen Sofas ausstrahlt und aussieht, wie nach einem Nickerchen auf demselben. Seine Gattin Donna Fiorilla, modisch vermeintlich auf dem letzten Stand, lässt spüren, dass sie zu Höherem berufen ist. Und Selim, als Haupt einer türkischen Grossfamilie, die hier für die Zigeuner steht? Lederjacke, Trainerhose und schwarze Turnschuhe mit goldenen Applikationen…

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Foto: Hans Jörg Michel

Jan Philipp Gloger zeigt in seiner Inszenierung nicht das Neapel des 18. Jahrhunderts sondern heutige Menschen, mit denen sich der Zuschauer ohne Probleme identifizieren kann. Die dauerhaften Überforderungszustände, denen Rossinis Figuren ausgesetzt sind, kennen wir auch heute noch. Wie Gloger nun die Geschichte eng am Libretto auf die Bühne bringt und aktuelle Themen wie Migration und Integration (geniale Plakate mit Anleihen bei SVP und AfD), den Clash of cultures thematisiert, ist gleichermassen grosses Kino wie grosses Handwerk!

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Foto: Hans Jörg Michel

Unter Maestro Enrique Mazzola spielt die Philharmonia Zürich in kleiner Besetzung gross auf! Differenziert, mit dem richtigen Mass Brio erfährt Rossinis Partitur genau die Spritzigkeit, derer sie bedarf. Grosses Lob an die Blechbläser!

Julie Fuchs ist aus der Baby-Pause zurück und debütiert in der Rolle der Donna Fiorilla. Mit stupender Technik gelingt ihr eine nahezu ideale Verkörperung der Partie. Renato Girolami gibt ihren Gatten Don Geronio und verkörpert die Couch-Potatoe ganz dem Klischee entsprechend. Edgardo Rocha (Don Narcisio) bestätigt seinen Ruf als hervorragender Belcanto-Tenor voll und ganz. Man freut sich ihm zuhören und -sehen zu dürfen. Wie immer in Leidenschaft und Spielfreude kaum zu bändigen ist Rebecca Olvera (Zaida). Nahuel di Pierro ist als Selim die Entdeckung des Abends. Ein wunderbarer, kräftiger Bariton ist hier zu vernehmen.

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Foto: Hans Jörg Michel

Der Zusatzchor des Opernhaus Zürich, vorbereitet von Ernst Raffelsberger, und der Statistenverein am Opernhaus Zürich setzen das Konzept des Regisseurs hervorragend um.

Schade, dass Donna Fiorilla und Zaida mit zwei so ähnlich klingenden Sopranen besetzt wurden.

Ein Besuch lohnt sich!

Weitere Aufführungen: 10.05.2019, 14.05.2019, 18.05.2019, 23.05.2019, 26.05.2019 und 29.05.2019.

06.05.2019, Jan Krobot/Zürich

ZÜRICH/ Oper: MANON von Jules Massenet

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Jules Massenet: Manon, Opernhaus Zürich, Vorstellung: 04.05.2019

 (7. Vorstellung seit der Premiere am 07.04.2019)

Der Flieder auf dem Vormarsch

  1. Akt, 2. Bild: Foto: T+T Fotografie / Toni Suter + Tanja Dorendorf

Die Inszenierung von Regisseur Floris Visser überzeugt nicht nur durch ihre „Ruhe“ und Werktreue sondern auch durch interessante Details. So zum Beispiel im zweiten Akt des dritten Bildes, im Priesterseminar von Saint-Sulpice, versucht des Grieux den Verlockungen der Welt, im Speziellen Manons zu widerstehen, was ihm aber nicht gelingt. Als er sich umdreht, um sich wieder dem Gebet zuzuwenden, trägt die Madonna auf dem Altar plötzlich die Züge Manons und lässt die Hüllen fallen.

Lebt so ein It-Girl? Manon (Elsa Dreisig) gönnt sich im Bett ein Gläschen Wein.
Elsa Dreisig. Foto: T+T Fotografie / Toni Suter + Tanja Dorendorf

Bereits vor Beginn der eigentlichen Handlung lernt der Zuschauer Manon als Kind kennen. Sie posiert vor einem grossen Spiegel, zupft sich ihr Kleid zurecht und macht dann ein paar Tanzschritte bis ihr Vater kommt und sie vom Spiegel weg und aus ihren Träumen reisst. Spiegel begleiten weiter durch die Oper: im Hotel Transsylvanie hat der grosse Spiegel der Situation entsprechend einen grossen Riss und als Manon stirbt, streckt der Chor, der die offene Szene (damit die Seele entweichen kann) beobachtet, die Scherben des Spiegels in die Luft. Ein weiterer Pluspunkt der Inszenierung ist die Führung der Kollektive, so die gaffenden Bürger im ersten Akt, die Damen des Bürgertums, die im 2. Akt des 3. Bildes die Priester anhimmeln oder eben der Chor, der bei Manons Tod dabei ist.

Elsa Dreisig als Manon überzeugt weiterhin durch ihr jugendlich-frisches Spiel und ihre sichere Stimme, die in der Höhe manchmal etwas scharf wird. Piotr Beczala geht den des Grieux weiterhin sehr heldisch mit viel Schmelz an. Yuriy Yurchuk liess sich als Lescaut ansagen: von einer Indisposition war allerdings nichts zu vernehmen. Alastair Miles als Le Comte des Grieux ist weiterhin eine Idealbesetzung.

Schwachpunkt der Aufführung ist weiterhin der Dirigent, der die Sänger weiterhin zum Forcieren zwingt. Das französische Fach scheint Marco Armiliato nicht wirklich zu liegen, denn tags darauf war zweimal zu erleben, dass die Philharmonia Zürich die Lautstärke-Skala bruchlos beherrscht.

Der Flieder ist auf dem Vormarsch (https://onlinemerker.com/zuerich-manon-von-jules-massenet/), hat aber noch eine weite Strecke vor sich.

Weitere Aufführungen: So 12. Mai, 14.00; Mi 15. Mai, 19.00.

06.05.2019, Jan Krobot/Zürich

LINZ/ Musiktheater: MÉDÉE von Luigi Cherubini. Premiere

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Zwischen Mutterliebe und Gattenhass
Martin Achrainer, Theresa Grabner. Foto: Reinhard Winkler/Landestheater

Musiktheater Linz:  Cherubini MÉDÉE 4.5. 2019. Premiere

Als Koproduktion mit der Opéra de Nice und dem Theater Erfurt präsentierte das Landestheater Linz im Großen Saal seines Musiktheaters Cherubinis Médée in französischer Sprache mit Dialogen auf Deutsch nach der Neuedition aus dem Jahr 2008. Grundlage für Cherubinis Oper bildeten die antike Tragödie Medea von Euripides und Pierre Corneilles (1606-84) Drama Médée von 1635. Das Libretto verfasste François-Benoît Hoffman (1760-1828). Die Uraufführung der französischen Erstfassung mit gesprochenen Dialogen fand dann am 13.3.1797 im Théâtre Feydeau in Paris statt. Das Werk erlebte danach eine aufregende Aufführungsgeschichte. Für eine Produktion am Kärntnertortheater in Wien am 6.11.1802 erstellte Cherubini selbst eine gekürzte Zweitfassung, die in einer deutschsprachigen Übersetzung von Georg Friedrich Treitschke (1776-1842) gezeigt wurde. Der deutsche Komponist und Dirigent Franz Paul Lachner (1803-90) ersetzte schließlich 1854 die Dialoge durch Rezitative im Stil Richard Wagners, welche 1865 von dem italienischen Geiger und Komponisten Luigi Arditi (1822-1903) ins Italienische übersetzt wurden.

Guy Montavon, Intendant des Theaters Erfurt, führte einige Striche in den Musiknummern und den langen Dialogen von François-Benoit Hoffman durch und verlegte die Handlung in die Zentrale eines Konzernes in einem Wolkenkratzer an der Wallstreet in New York. Während der Ouvertüre öffnet sich der Vorhang und wir erblicken ein von Annemarie Woods entworfenes Großraumbüro mit Computerarbeitsplätzen. Die Familienaufstellung erinnerte mich an die US-amerikanische Fernsehserie „Dynasty“ (1981-89), wobei die Rivalinnen Alexis Colby und Krystle Carrington sowie Blake Carrington bei Regisseur Montavon zu Médée, Dircé und Créon umgedeutet werden. Medea und Jason haben sich zunächst als fremde Zuwanderer ein eigenes Imperium an der Wallstreet aufgebaut. Auf Grund einer Finanzkrise überschrieb der wendehalsige Karrierist Jason dieses aber an den Magnaten Créon und hofft, dass sich ihm an der Seite des Firmenchefs und seiner Tochter Dircé, die in ihrem hellen Outfit an Melania Trump erinnert, bessere Zukunftschancen eröffnen werden. Im Businesslook von Annemarie Woods vergnügen sich die Angestellten dann auf der Hochzeit von Dircé und Jason in diesem Bürokomplex, der durch seine Transparenz keinerlei zwischenmenschliche Regungen aufkommen lässt. Jason verstößt Medea, verlangt von ihr aber, dass sie ihre beiden Söhne zurücklässt. Fulminant inszenierte Montavon schließlich das Ende der Oper, indem alle PCs im Créons Tower abstürzen und Medea den Weltenbrand wie in Wagners Götterdämmerung entzündet, indem alle Beschäftigten und sie selber in den lodernden Flammen des Hochhauses zu Grunde gehen.

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Brigitte Geller. Foto: Reinhard Winkler/ Landestheater

Als Médée glänzte am Premierenabend die in der Schweiz geborene Berliner Kammersängerin Brigitte Geller. Sie bewies erstaunliches Durchhaltevermögen in den langen Gesangsphrasen und hielt das Publikum auch bei den deutschen Textpassagen mit ihrer stupenden Aussprache und Satzmodulation in Atem. Glaubwürdig zeigte sie die Zerrissenheit der liebenden Mutter und der hasserfüllten betrogenen Ehefrau auf, deren einzige Gedanken nur mehr auf Rache sinnen. Sie erinnert Jason an ihre frühere Liebe und die Opfer, die sie ihm zuliebe gebracht hatte und fleht ihn in ihrer großen Arie „Vous voyez de vos fils la mère infortunée“ an, Mitleid mit ihr als verlassener Mutter zu empfinden. Ihr totales Scheitern in der fremden kalten Welt eines Finanzimperiums gipfelt schließlich im doppelten Kindsmord, nachdem sie zuvor Dircé einen roten Schal, den ihr Jason einst geschenkt hatte, und einen Revolver als Hochzeitsgeschenk übergibt. Sie versteht diesen Wink Medeas und dass ihre Liebe zu Jason unter keinem guten Stern steht und sucht den Ausweg aus dieser Krise, indem sie sich erschießt. Allerdings wissen wir über Medea, dass sie auch eine Göttin und Zauberin ist, sodass sie diesen roten Schal vergiftet haben könnte und sich Dircé, nachdem sie ihn mit den Händen berührt hatte, wie fremdgeleitet gezwungen war, sich mit Médées Revolver zu töten. Jessica Eccleston war als ihre Begleiterin Néris die einzig wirklich sympathische Figur in dieser Oper. Die gebürtige Britin bewies mit ihrem Mezzosopran höchste Belcanto Qualitäten. Voller Mitgefühl verspricht sie ihrer Herrin in der berührenden Arie „Ah! nos peines seront communes“, begleitet von einem Solofagott, auf jeden Fall ihr Schicksal teilen zu wollen. Die gebürtige Salzburgerin Theresa Grabner ergänzte in der Rolle der Dircé dieses starke Damentrio. Ob sie bloß nach dem Willen ihres Vaters Créon als Spielball einer Firmenräson in eine Ehe mit dem Immigranten Jason einwilligt, bleibt offen. Und diese Unsicherheit spielt sie überzeugend, indem sie die Feierstimmung wegen ihrer bevorstehenden Hochzeit mit Jason nicht in Freude versetzt. Bereits im ersten Bild plagt sie eine böse Vorahnung, die sie in ihrer Arie „Hymen! viens dissiper une vaine frayeur“, die von einer Soloflöte begleitet wird, furchtsam zum Ausdruck bringt. Der in Celje geborene slowenische Tenor Matjaž Stopinšek als Jason ließ seine Stimme heldenhaft wagnerisch erstrahlen, blieb aber in der Rollengestaltung hinter den drei Damen zurück. Was aber blieb ihm anderes übrig, denn die Rolle des Jason ist die eines schwachen Mannes, der zwischen zwei selbstbewussten Frauen steht. Im Duett mit Médée „Perfides ennemis, qui conspirez ma peine – O fatale toison! O conquête funeste!“ verwünschen beide das Goldene Vlies, das so viel Leid verursacht hat. Martin Achrainer als Créon, König von Korinth, wurde von der Maske gleich um einige Jahrzehnte künstlich gealtert. Er behandelt Medea abfällig und fordert sie mehrmals auf, zu gehen. Dann beweist er aber doch ein gewisses Maß an Diskussionskultur, indem er Medeas letzten Wunsch, von ihren Kindern Abschied nehmen zu dürfen, gewährt. Sein stupender Bassbariton passte ideal zu dem eiskalten Firmenchef Créon, dem sich alle und alles unter zu ordnen haben. Die gebürtigen Koreanerinnen Margaret Jung Kim und Yoon Mi Kim-Ernst ergänzten als erste bzw. zweite Frau aus Dircés Gefolge mit ihren gut geführten Sopranen und szenischer Präsenz. In den stummen Rollen der beiden Söhne Medeas und Jasons wirkten am Premierenabend Matthias Körber und Raphael Naveau noch etwas schüchtern mit.

Unter der musikalischen Leitung von Bruno Weil bewies das Bruckner Orchester Linz wieder einmal mehr, dass es zu den führendsten Orchestern Österreichs zu zählen ist. Die ständigen Wechsel zwischen deklamatorischen, dramatischen und lyrischen Passagen wurden besonders plastisch heraus gebildet und auch die Gefühlslagen der handelnden Personen säuberlich modelliert. Bemerkenswert erklang auch das feine klagende Halbtonmotiv, welches in jedem Akt als ein Moment der Erinnerung wiederkehrt. Und besonders prächtig fiel auch das Gewitter zu Beginn des dritten Aktes aus, welches zugleich den inneren Konflikt Medeas vor dem Mord an ihren beiden Söhnen vermitteln soll. Elena Pierini hatte den spielfreudigen Chor des Landestheaters Linz auf diesen höchst erfreulichen Premierenabend bestens vorbereitet. Das Premierenpublikum wurde von dem entfachten musikalischen wie szenischen „Weltenbrand“ förmlich mitgerissen und bejubelte die Produktion. Wie lange der Applaus gedauert hatte, entzieht sich dem zum Zug nach Wien eilenden Rezensenten! Ein Besuch dieser spannenden Produktion kann nur empfohlen werden!                               

Harald Lacina

ZÜRICH/ Opernhaus: LA SONNAMBULA – konzertant. Premiere

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Lawrence Brownlee, Pretty Yende. Foto: Oper Zürich

Vincenzo Bellini: La Sonnambula, Konzertante Aufführung, Opernhaus Zürich, Premiere 05.05.2019

 

Standing Ovations trotz Indisposition

«Wintereinbrüche tun den empfindlichen Stimmen der Sänger nicht gut.» So erklärte Intendant Andreas Homoki dem Publikum die Ansage von Pretty Yende. Kalt war es tatsächlich, 4 Grad in Zürich, 19cm Neuschnee in St.Gallen, aber bei dieser Ansage ging es angesichts des Rollendebuts (Vorbereitung der Auftritte an der Deutschen Oper Berlin vom 19. Und 25. Mai) wohl eher um die Nerven und nicht um die Stimme. Ähnlich scheint der Fall bei der Ansage von Liliana Nikiteanu nach der Pause gelegen zu haben.

Belcanto wird in Zürich nicht mehr mit gleicher Intensität wie früher gepflegt, und so kommt das Publikum nun in den Genuss konzertanter Aufführungen. Letzte Saison war es Donizettis Regimentstochter, jetzt Bellinis Sonnambula.

Basis des Abends war ein tadelloser Auftritt einer nicht wiederzuerkennenden Philharmonia Zürich unter Leitung von Maestro Maurizio Benini. Satte Streicher, wunderbare Holzbläser, wiederrum perfekte Blechbläser (Bravo ans Horn!)… Und vor allem: das sonst so schmerzlich vermisste Spektrum an Lautstärken. Vom kaum wahrzunehmenden Pianissimo bis zum Fortissimo war bruchlos alles  möglich. Ebenfalls perfekt aufgetreten ist der Chor des Opernhaus Zürich, vorbereitet von Ernst Raffelsberger. Bravi! Maestro Benini erwies sich als phänomenaler Sängerbegleiter.

Vier der sieben Solisten des Abends waren Rollendebutanten. Pretty Yende war „La Sonnambula“. In ihrer grossen Schlafwandelszene kam sie quasi aus dem Nichts und schritt dann langsam durch die Reihen von Chor und Orchester in Richtung Bühne. Mit wunderbaren Farben gestaltete sie diese Szene  und mit stupender Technik. Diese Technik erlaubte ihr in der grossen Schlussszene ein kaum je gehörtes Feuerwerk an Fiorituren und Spitzentönen. Ja, sie war auch zu hören, als sie dem Publikum den Rücken zudrehte… Ist die Nervosität einmal verflogen und etwas Routine gewonnen, die Gestaltung der Rolle mit mehr Emotion perfektioniert, wird sie zu den ersten Interpretinnen der Amina gehören. Ebenbürtiger Partner war ihr Lawrence Brownlee als Elvino. Einmal mehr vermochte er das Publikum mit seiner kraftvollen Stimme und hochmusikalischen Verzierungen in seinen Bann zu ziehen. Bass-Bariton Kyle Ketelsen begeisterte mit warmer, runder Stimme als Conte Rodolfo. Liliana Nikiteanu sang eine hervorragende Teresa und Sen Guo als Lisa begeisterte durch ihr engagiertes Spiel (soweit in einer konzertanten Aufführung davon sprechen kann) und unerwarteten Verzierungen in ihrer grossen Arie im zweiten Akt. Omer Kobiljak war der Notar und Ildo Song sang den Alessio (bei der Diktion des Italienischen ist noch Luft nach oben).

Eine Sternstunde des Belcanto!

Weitere Aufführungen: 09.05.2019, 12.05.2019.

 

06.05.2019, Jan Krobot/Zürich

WIEN/ Staatsoper: MACBETH – Giuseppe Verdis Shakespeare-Melodramma

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George Petean (Macbeth), Tatiana Serjan (Lady). Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: Giuseppe Verdis Shakespeare-Melodramma MACBETH

  1. Aufführung in dieser Inszenierung
  2. Mai 2019

Ein solider Opernabend mit Anlaufschwierigkeiten

Die Dreier-Konstellation George Petean in der Titelpartie, Tatiana Serjan als Lady Macbeth und Ferruccio Furlanetto als Banquo ist dem Stammpublikum der Wiener Staatsoper bestens vertraut, prägte sie doch schon die Premiere der – dank des Bühnenbilds von Gary MacCann – noch immer hoffnungslos zubetoniert wirkenden Neuinszenierung von Christan Räth aus dem Jahr 2015. Soviel gleich vorweg: Die Rezeptionsgeschichte muss, auch fast fünf Jahre danach, nicht neu geschrieben werden.

Tatiana Serban, die von vielen – im Sinne der Erwartungen des Komponisten, dem es bei dieser Figur weniger auf Schöngesang und vielmehr auf Ausdrucksstärke ankam – als ideale Lady Macbeth gehandelt wird, macht ihre Sache recht gut, auch wenn sie zunächst einen ziemlich suboptimalen Start hinlegt. Intonationsmäßig unsicher und mit verwaschenen Phrasierungen bleibt sie der Partie der ehrgeizzerfressenen, ihren Mann zu Mordtaten drängenden Gattin im ersten Akt Einiges schuldig. Mit dem Trinklied „Si colmi il calice“ kann sie dann einigermaßen Tritt fassen, doch erst ihre fulminant vorgeführte Schlafwandelszene im vierten Akt, mit der unter die Haut gehenden, irrlichternd vorgetragenen Arie „Una macchia è qui tuttora…“, kann sie ihre darstellerischen Fähigkeiten und das samtig-schöne Timbre ihres Soprans richtig ausspielen. Da sitzen auch die Koloraturen, und die Spitzentöne gelingen mühelos.

Etwas Anlaufzeit braucht an diesem Abend auch George Petean. Er ist ein solider Macbeth, der die Überforderung dieser Figur angesichts der mit Blut erkauften Königswürde glaubhaft verkörpert. In der Konfrontation mit dem Tod gewinnt er klar an Statur. Davon legt seine Arie „Pietà, rispetto, amore“ beredtes Zeugnis ab.


Ferruccio Furlanetto (Banquo). Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Die dominanteste Erscheinung in dieser Dreier-Konstellation ist und bleibt Ferruccio Furlanetto als Banquo. Fast 35 Jahre nach seinem Staatsoperndebüt im Jahre 1985 weiß er mit seiner noblen Bühnenpräsenz, seinem gepflegten Bassbariton noch immer zu faszinieren. Natürlich hat seine Stimme inzwischen etwas an Glanz eingebüßt und ist etwas tiefer gerutscht, ein Ereignis aber ist er allemal. Warum er sich beim Applaus vor der Pause nach dem zweiten Akt nur mit allen übrigen Mitwirkenden gemeinsam zeigt und keinen Einzelapplaus abholen will, bleibt ein Rätsel. Widerwillen gegenüber einer Inszenierung, die ihm offenbar schon bei der Premiere, wie man damals schon zu verspüren glaubte, nicht so behagt hat? Man hätte ihn jedenfalls gern gefeiert!

Ensemblemitgied Jinxu Xiahou, in der Premierenbesetzung noch als Malcolm eingesetzt, liefert als Macduff einen passablen Einstand. Im Sextett „Schiudi, inferno, la bocca, ed inghiotti“ hat man freilich den Eindruck, dass er mit der – vom ersten Ton an – extremen Höhe seines Parts doch zu kämpfen hat und etwas kopfstimmig wirkt. Lukhanyo Moyake fehlt es bei seinem Rollendebüt in der eher undankbaren Rolle als Malcolm (noch?) an der dafür geforderten Durchschlagskraft. Ayk Martirossian und Fiona Jopson sind tadellose, rollendeckende Besetzungen für Spion und Kammerfrau.

Dirgent James Conlon spult das Ganze ziemlich uninspiriert ab. Was an diesem Abend aus dem Orchestergraben kommt, ist also wenig packend. Besonders unsensibel erweist sich Conlon bei den mit jungen Stimmen aus der Opernschule der Wiener Staatsoper besetzten Stimmen der Erscheinungen, die er erbarmungslos zudeckt. Angesichts dieser Umstände fällt es offenbar auch dem in dieser Oper sehr präsent eingesetzten Staatsopernchor schwer, seine gewohnte Hochform zu erreichen. Ein solider Opernabend. Mehr nicht.                                                                       

 Manfred A. Schmid

WIEN / Musikverein, Brahms – Saal: VIVALDI mit Rubén Dubrovsky,

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Ruben Dubrovsky, Vivica Genaux beim Signieren. Foto: Andrea Masek

WIEN / Musikverein, Brahms – Saal: VIVALDI mit Rubén Dubrovsky,

Das groovt und swingt!

5.5. 2019 – Karl Masek

Vor kurzem hat Rubén Dubrovsky mit dem aus Fairbanks (Alaska) stammenden, in Italien lebenden Mezzosopran Vivica Genaux und dem Bach Consort Wien eine über alle Maßen gelungene CD herausgebracht: Hommage Vivaldi. Sie enthält Arien, Kantaten und Concerti des „Roten Priesters“ (Il Prete Rosso) aus Venedig mit Sterbeort Wien. Ein Vivaldi-Abend mit leicht veränderter „Reise-Route“ gab es nun im Brahms – Saal zu hören.

Dubrovsky-Konzerte haben immer vergnügliche „Einmoderationen“. Darin ist er gewissermaßen ein Fortsetzer von Nikolaus Harnoncourt. Diesmal also: „Kaiser Karl VI. holt Vivaldi nach Wien, stirbt aber, kaum, dass Vivaldi in Wien eingetroffen ist, an einer Schwammerlvergiftung. Vivaldi – er wollte in Wien als Opernkomponist reüssieren – kommt nicht dazu, sich in Wien zu profilieren und Geld zu verdienen, denn es gibt ein Jahr Staatstrauer. Vivaldi verkauft alle seine Noten, stirbt selbst und hat ein Armenbegräbnis ganz ohne Musik…“

Amüsant dabei folgende Spekulation: Wie hätte Vivaldi auf den ganz jungen Haydn gewirkt, hätte er länger gelebt? Was hätte Haydn dann seinerseits an den jungen Beethoven weitergegeben? …

Dubrovsky ist Sanguiniker durch und durch – und dieses fröhliche, sonnige Naturell spiegelt sich in all seinen Musikwiedergaben. Das groovt und swingt, würde man heute sagen, wenn in den Concerti (wie in jenem für Streicher und Basso continuo g-Moll, RV 156) mit musikantischer Frische zu den Allegro-Teilen angesetzt wird. Dass Dubrovsy nicht bloß dirigiert, versteht sich bei ihm von selbst. Auch diesmal spielt er  am Colascione (einer Langhalslaute) bei den „Concerti“ mit.

Dass die Komponisten der Barockzeit genau voneinander wussten, ohne einander persönlich kennengelernt zu haben, beweist der Fall des Concerto grosso, h-Moll, RV 580 (auch: op.3/10), genannt  „L´ estro  armonico“. Johann Sebastian Bach schätzte das Werk Vivaldis  so sehr, dass er es kurzerhand für sich selbst bearbeitete. Daraus wurde ein Werk für 4 Cembali (BWV 1065, nach a-Moll transponiert).  Das Vivaldische Original verwendet vier Violinen als Soloinstrumente und reichert mit  Violoncello und Basslinie an. Ein effektvolles Werk mit allem was das Barockherz musikalisch begehrte: Soloepisoden, klangsatte Akkordfolgen, charakteristisch punktiert-rhythmische „Seufzermotive“, tänzerische Finali (diesfalls im 6/4-Takt). Die geteilten Streicher bewirken Stereo-Effekte.

Menschlich durchpulster Klang herrscht vor, niemals wird da etwas mechanisch ratternd, die Klangwirkung wie aus einem Guss. Mal ruhig schwebend, mal in elegantem, wiegenden Siciliano – Rhythmus, mal harmonische Extravaganzen subtil herausarbeitend.

Nach „Arbeit“ klingt das alles nicht, sondern nach purem Vergnügen, das da vom Podium ins Auditorium herüberstrahlt. Die „Arbeit“ fand vorher in akribischen Proben statt. Entspannte Kommunikation, wenn die Solisten, angeführt von Agnes Stradner, Miloš Valent (Violinen) und Peter Trefflinger (Violoncello) einander die musikalischen Bälle zuspielen.

Vivica Genaux, stimmlich eine wahrhafte Barock-Queen, setzte schließlich dem stürmisch bejubelten Abend die Krone auf, riss das Publikum schon im 1. Teil mit 3 Arien zu Ovationen hin. Die irrwitzigen Koloraturkaskaden beispielsweise bei „Come  in  vano  il  mare  irato“ aus der Oper „Catone in utica“ mit ihrem wilden Zorn, die brillanten Intervallsprünge, das souveräne Durchmessen der Stimmlagen von fast baritonalen Kontraalt-Tiefen bis zu Sopran-Explosionen, das alles gelang hinreißend.

Ist dies alles noch zu toppen? Ja, der Beweis gelang eindrucksvoll mit der abschließenden Kantate „In  turbato  mare  irato“, RV 627, für Sopran(!), Streicher und Basso continuo. Hier steigerte sich Vivica Genaux in eine Überform, in einen  wahren Singrausch. Dubrovskys Mitstreiter vom Bach Consort hielten bravourös mit, ließen sich zu riskanten Accelerandi mitreißen, und es entwickelte sich ein euphorisches Musizieren. Nach dem abgerissenen Schlusston des wilden „Halleluja“ (Dubrovsky in der Anmoderation: „Auch so kann Kirchenmusik gehen!“) ein kollektiver Aufschrei des Publikums, fast wie bei einem Pop-Konzert.

2 Zugaben (beseelter Händel;  Genaux mit innigem Ausdruck, plötzlich ganz zurück genommen; mündet in wundersame Einfachheit – und schließlich noch ein Koloratur-Wunder-Schmankerl von Antonio Vivaldi, dem man an diesem Abend eine furiose Hommage bereitet hat…

Karl Masek


WIEN/ Kammeroper: CANDIDE

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Wien/ Kammeroper: CANDIDE : Eine verrückte (Medien)Welt
„Candide“, Kammeroper, 5.5.2019
Sonntagnachmittag in der Kammeroper: Während in der Stadt Rudel durchschwitzter Läufer nach dem „Wings for Life World Run“ in der kühlen Regenluft unter Alufolien Schutz suchen, eilt der Schreiber dieser Zeilen ebenfalls durch den Regen, um Leonard Bernsteins „Candide“ in der Fassung von 1974 zu erleben.


Aleksandra Szmyd, Johannes Bamberger, Tatjana Kuryatnikova. Ensemble. Copyright: Barbara Zeininger

http://www.operinwien.at/werkverz/bernstein/acandide.htm

Dominik Troger/ www.operinwien.at

 

ZÜRICH/Opernhaus: LA SONNAMBULA. Konzertante Premiere

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Pretty Yende. Foto: T+T-Fotografie/ Toni Suter

Zürich: LA SONNAMBULA  – Konzertante Aufführung (Premiere 5.5.2019)

Pretty Yende trotz Erkältung eine überragende Amina

Als Intendant Andreas Homoki vor Beginn auf das Konzertpodium trat, erklärte er, dass Pretty Yende erkältet sei, aber heute Abend trotzdem singen werde. Das tat sie denn auch, fing vorsichtig an und konnte sich dann im Laufe des Abends immer mehr freisingen. In Finale des ersten Aktes konnte sie schon die erwarteten hohen Töne wagen. Im zweiten Akt war sie „gut eingesungen“ und konnte so richtig loslegen. Und diese sympathische und aparte Sängerin, die sich natürlich und charmant gibt, wurde ihrem Ruf, der ihr vorausgeeilt war, bestens gerecht. Man fragte sich, wie singt die dann, wenn sie ganz gesund ist? Aber haben wir das nicht schon öfters erlebt, dass als indisponiert angesagte Sängerinnen und Sänger gerade dann wunderschön sangen. So war bei Pretty Yende zwar immer ein leichter Schleier über der Stimme, aber dies störte gerade bei der Sonnambula nicht, da sie im wahrsten Sinn eine Träumerin ist. Und vor allem verfügt die Sängerin über ein Timbre, das sie aus den andern, sogenannten „durchschnittlichen“ Stimm-Timbres sofort hervorstechen lässt. Dazu kommt ihre Jugend, die der Charakterisierung der Amina sehr entgegen kommt. Die Stimme klingt wunderbar durchgebildet, hat keine Registerbrüche und kann sich bis zum hohen e‘ und f‘ emporschwingen. Dazu kann sie wirklich Legato singen, weiss zu phrasieren, den fil-di-voce mit erstaunlich sicherer Atemführung zu spinnen. Die Standing Ovations waren mehr als verdient!


Kyle Ketelsen, Sen Guo. Foto: T+T-Fotografie/ Toni Suter

Als Elvino hörten wir den topsicheren Lawrence Brownlee, der sich auf Mezzoforte- bis Forte-Lautstärke verliess und somit aus dem lyrischen Charakter des Elvino fast einen kleinen Otello, vor allem in der Eifersuchts-Szene, machte. Schön, wenn ein Sänger, sprich Tenor, derart sicher seine hohen Töne produziert, aber gerade bei Bellini dürfte durchaus mehr Lyrismus angebracht sein. Als Conte hörten wir Kyle Ketelsen, der über ein gesundes Bass-Material verfügt und ohne Mätzchen seine Partie sang. Es war eine Freude, wieder einmal eine genuine Bass-Stimme zu hören! Liliana Nikiteanu war die Mamma und wie immer, obwohl auch sie stimmlich durch eine plötzlich auftretende Heiserkeit etwas eingeschränkt war, gut bei der Sache. Als Aminas Gegenspielerin zeigte Sen Guo einmal mehr, dass mit ihr nach wie vor als perfekte Koloratur-Sängerin und launige Darstellerin, hier als kapriziöse Lisa, zu rechnen ist. Es ergänzten wohlklingend Ildo Song als Alessio und Omer Kobiljak als Notar.

Leider klangen der Chor (Einstudierung: Ernst Raffelsberger) und die Philharmonia, animiert durch das grobschlächtige Dirigat von Maurizio Benini, eher pauschal und wenig differenziert. Da hätte man auch einen Lawrence Brownlee durch ein einfühlsameres Dirigat zu mehr Lyrismen verführen können. Aber leider, es war – fast – alles viel zu laut und grob. Schade, denn die Sängerschar war vorzüglich!

John H. Mueller       

 

MANNHEIM/ Nationaltheater: DON CARLO. Wiederaufnahme

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Miriam Clark, Nicola Diskic, Julia Faylenbogen. Foto: Hans-Jörg Michel.

Mannheim: „DON CARLO“ – WA 05.05.2019

Fand die szenische Kontroverse des Teams Jens-Daniel Herzog (Regie), Mathis Neidhardt (Bühne), Verena Polkowski (mit dem Bühnenbildner – Kostüme) zur Premiere anno 2013 beim Publikum wenig Gegenliebe, auch ich mied danach dieses absurde Panoptikum, lediglich die neue interessante Sänger-Riege lockte mich abermals zur WA des „Don Carlo“ (Giuseppe Verdi) als Privat-Besuch ins Nationaltheater.

Bis auf die Vertreter Philipp und Großinquisitor und wenige Nebenrollen hatten alle Künstler  ihre beachtlichen Rollen-Debüts und adelten die Aufführung  mit ihren hervorragenden Glanzleistungen zum gloriosen FOA, die späteren Gäste hierfür müssen sich „warm anziehen“ diesem Niveau standzuhalten.

Das bis in kleinste Rollen hervorragend besetzte Sänger-Ensemble wurde von dem jungen Bariton Nikola Diskic angeführt. Überreich an klangvoller Intonation, mit weich herrlichem Timbre gesegnet verströmte der Sänger sein kostbar-balsamisches Material und überzeugte mit allen Vorzügen eines echten Verdi-Baritons. Stets auf eleganter Linie mit noblen Valeurs, vorbildlicher Diktion schenkte Diskic seinem Posa darstellerisches Format, charakteristische Noblesse während den Duetten mit Carlo, seiner Abschiedsszene sowie  dramatischen Aplomb zur Begegnung mit Philipp und avancierte verdient zum umjubelten Publikums-Favoriten.


Irakli Kakhidze (Carlo), Nikola Diskic (Posa). Foto: Hans-Jörg Michael

Einen weiteren Glanzpunkt seines Repertoires fügte Irakli Kakhidze mit dem Carlo hinzu und setzte vokale Akzente von besonderer Art. Gleichwohl in allen Szenen

faszinierte der georgische Tenor mit raffiniert-perfekter und eleganter Stimmführung. Emotional, dynamisch verkörperte Kakhidze den labilen und dennoch willensstarken Infanten,  bezauberte mit wunderschönen Kantilenen und servierte auf hohem Niveau virtuose Spitzentöne voll pulsierender Energie. Stilistisch harmonierend entfaltete sich das herrliche Timbre insbesondere beim Final-Duett zunächst in hymnischer Ekstase, sodann in bewegender Askese resignierend. Eine tenorale souveräne Glanzleistung des aufstrebenden Sängers ohne jegliche Effekthascherei.

Verdis Wunsch Gesang in der Oper möge immer ein sinnlich-glühender Spiegel der Seele sein erfüllte Miriam Clark als Elisabeth auf stringente Weise und symbolisierte zudem eine empfindsame und auch konsequente unglückliche Königin. Ihr perfekt sitzender Sopran schwang sich zu feingespannten Atembögen in mühelos schattierte  Höhen und konnte zudem in uneingeschränkter Musikalität, herrlichen Piani und weich timbrierten Stimmfarben überzeugen. Einfach großartig – auf ihre Trovatore-Leonora darf man sich bereits heute freuen.

Ihren hohen Mezzosopran ließ Julia Faylenbogen beim Schleierlied flexibel vibrieren, schenkte ihrer Eboli-Interpretation während der Gartenszene dunkle satte Dramatik, profilierte ihre gute Technik während der expressiven Passagen zu O don fatale und stieß lediglich im Obertonbereich an ihre vokalen Grenzen.

In subtiler Gestaltung, geschmeidiger Vokalise präsentierte Sung Ha den Philipp, bewahrte im dezenten Spiel stets Noblesse und erfüllte die Partie mit balsamischem Wohlklang dank seines prächtig aufblühenden Basspotenzials. Markant, volltönend setzte Thomas Jesatko seine  Bassreserven ein, wuchs über sich selbst hinaus und verlieh dem Großinquisitor eine  vokal erschreckende Gefährlichkeit. Eindrücklich, kultiviert erklang die dritte schwarze Stimme während der kurzen Mönch-Passagen (Ivo Stanchev).

Mit silberhellem Timbre verlieh Amelia Scicolone dem Tebaldo kecke Burschikosität, engelsgleich verhieß die Stimme (Natalija Cantrak) den sechs flandrischen Deputierten die himmlische Erlösung. Sichtlich verjüngt und sehr schönstimmig kamen jene Ke An, Valentin Anikin, Kabelo Lebyana, Richard Eunwon Park, Matthias Tönges, Reuben Willcox daher. Koral Güvener schenkte Lerma/Herold gehaltvolles Profil.

Virtuos, prächtig disponiert in vokaler Präsenz agierte der von Dani Juris bestens vorbereitete Chor und Extrachor des NTM während der komplexen Massenszenen.

Erfreulich erfrischend erklang das Orchester des NTM unter der temperamentvollen Stabführung von Benjamin Reiners zu Verdis kollektivem Meisterwerk. Transparent ließ der dynamische Dirigent seinen bestens disponierten Klangkörper farbenreich, instrumental, subtil aufspielen, war den Sängern stets ein verlässlicher Begleiter. Zu trefflich ausbalancierten Tempi voll ungeheurer Plastizität verstand es Reiners die überwältigende Partitur auch beim heiklen Autodafé  klangtechnisch bestens koordiniert und dramatisch effektvoll auszukosten.

Das Publikum war begeistert und feierte alle Beteiligten mit herzlicher Zustimmung und Bravochören.

Gerhard Hoffmann

 

WIEN/ Gesellschaft für Musiktheater: MARISA ALTMANN-ALTHAUSEN und STEPHAN MÖLLER – Brahms, Dostal, Dvořák

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Wiener Konzerte:

 

6.5.2019: Gesellschaft für Musiktheater: MARISA ALTMANN-ALTHAUSEN und STEPHAN MÖLLER –

Brahms, Dostal, Dvořák  – Große Dramatik im kleinen Saal…

 Sie sind ein perfektes Team: der fabelhafte Pianist für alle Bereiche die dramatische Mezzosopranistin, die ja eigentlich auf die Wagner-Bühne gehört! Aber ein so dramatisches Programm habe ich von den beiden noch nicht gehört.

Der 1. Teil des Abends, zur Gänze Johannes Brahms gewidmet, begann mit der Rhapsodie h-Moll, op.79/1, so fulminant, dass man den Verdacht hegte, es werde bei diesem Konzert keine Chance auf ein gemütliches Zurücklehnen geben. Aber: ein fortissimo eines wirklich erstklassigen Pianisten bedeutet nicht, dass dieses einen erschlägt. Nein, dieses belebte einen, denn Stephan Möller spielte seine Crescendi und lebhaften ff-Passagen so voller Inbrunst, dass man nur überlegte, was der Komponist damit eigentlich sagen wollte. Leidenschaftliche Liebe? Reiselust zu Frühlingsbeginn? Oder einfach überbordende Lebensfreude??? Die leiseren, melodiösen Passagen – wie kurze Atempausen – , dienten nur zu weiteren Höhenflügen. Die Wahl dieses Stückes mochte aber auch einfach der Sängerin zuliebe erfolgt sein, die auch immer wieder zu fesselnder Dramatik fand. Aber diese kam ganz natürlich, klar und schön, mit metallischen Höhen und manchmal geradezu balsamischen Alt-Tiefen; es gab kein Forcieren, kein Zeichen von besonderer Anstrengung.


“Neun Lieder und Gesänge für eine Singstimme und Klavier, Op.63“
betitelte der Komponist seinen Zyklus. Die Titel hören sich alle recht schwärmerisch-romantisch an: „Frühlingstrost“, „Erinnerung“, „An ein Bild“, „An die Tauben“ sind aber gänzlich unsentimental, vielmehr sprühend vor Leben. Ich bin mit Marisa Altmann-Althausen zusammen einmal den Brahms-Wanderweg in Mürzzuschlag gegangen – da haben wir viel erfahren, mit welcher Passion er gewandert ist und manchmal in einem Tempo, dem begleitende Freunde nicht folgen konnten, bis es einmal wieder Besinnungsmomente gab, mit Betrachtung von Naturphänomenen und erhebende Ausblicke auf das Hochgebirge (Schneeberg, Rax). Viel Naturverbundenheit spricht aus diesen Gesängen, wobei die Titel der einzelnen Lieder manchmal irreführend sind. „Meine Liebe ist grün“ etwa fängt schon im Forte „animato“ an, fürs Klavier-Zwischenspiel dann „stringendo“, und in jeder Folgestrophe ebenso feurig-dramatisch, bis hinein in die finalen „liebestrunkenen Lieder“ – für eine so dramatische Stimme wie geschaffen. „Wenn um den Hollunder“ beginnt „zart bewegt“, aber fürs Klavier „poco forte“, für den Sänger/die Sängerin „p dolce“, kulminierend in Besingung der „heiligen Gottesgewalt“. Die wiederholten  Intervallsprünge verlangen der Stimme große Beweglichkeit ab, doch am Ende kann die Sängerin mit ihrer schönen Alttiefe punkten. Bei den letzten 3 Liedern, „Heimweh“, „O wüsst ich doch den Weg zurück“ und „Ich sah als Knabe Blumen blüh‘n“, dominiert eine verträumte Rückschau. Der einst geflochtene Blumenkranz erschien Brahms zuletzt  – bei  animierendem Rhythmus –  neu und frisch.

Stephan Möller entließ uns mit einer furiosen  g-Moll-Rhapsodie, Op.79/2, angeregt in die Pause.

Franz Eugen Dostals (des Präsidenten der  Gesellschaft für Musiktheater)  „Drei  Gesänge um Orpheus“ sind (in Moll-Tonarten) in tragisch-düsterem Grundton gehalten: „Orpheus an Eurydike“, „Orpheus unterwegs in den Hades“, „Orpheus unter Efeu“. Sie verlangen von der Stimme, vom Klavier wie auch von der Emotion her Hochdramatik und ihre Intensität fordert von den Interpreten enorme Spannungsbögen. Der selbstverständlich anwesende Komponist sagte mir dann, dass ihn die Wiedergabe seiner Kompositionen durch eine Frau mit solch flexibler Stimme mehr überzeugt hatte als von Männern gesungen.

Der Rest des Abends gehörte den „Zigeunern“!

Antonin Dvořáks „Zigeunermelodien“ – eine Vollblut-Musik, angesiedelt  in den Weiten der Puszta und angesichts der Tatra-Höhen, schien die beiden Interpreten genauso zu fesseln wie uns Zuhörer. Sie konnten mit den böhmischen Rhythmen, mit manch eindringlichem Legato (auch pianistisch!) oder wunderbaren Glissandi berühren, bis hin zum hinreißenden Höhepunkt in „Horstet hoch der Habicht auf den Felsenhöhen“: „Hat Natur, Zigeuner, etwas Dir gegeben? Ja! Zur Freiheit schuf sie mir das ganze…Leben!

Hochdramatischer Applaus des Auditoriums legte es nahe, dass – um bei den ZigenuerInnen zu bleiben, als Draufgaben AzucenasStride la vampaund CarmensSeguidillaOpern-gerecht zu erleben waren.

Zur Beruhigung des Publikums gab es die Wiederholung des ersten Brahms-Liedes:Frühlingstrost“.                                  

Sieglinde Pfabigan

 

 

BERLIN/ Komische Oper: „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“, Opernfassung von Moritz Eggert, Uraufführung

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Scott Hendricks mit Kinderkomparsen. Foto: Monika Rittershaus

Berlin / Komische Oper: „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“, Opernfassung von Moritz Eggert, Uraufführung, 05.05. 2019

Erstmals hat Barrie Kosky, Intendant und Chefregisseur der Komischen Oper Berlin, zusammen mit seinem Chefdramaturgen Ulrich Lenz ein Libretto verfasst, um aus dem legendären Film von Fritz Lang  „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ von 1931 eine gleichnamige Oper zu formen und so seinem Haus durch dieses auch eigenhändig inszenierte Werk eine erste Uraufführung zu bescheren.  

Geglückt ist dieses Vorhaben nicht. Die Messlatte lag trotz aller Bemühungen zu hoch. Aber ist es überhaupt akzeptabel, diese leider wahre Geschichte über Kindesmissbrauch und Kindermord durch entsprechende Umgestaltung operntauglich zu machen und sie auf diese Weise aufzuwerten?

Da im Film der Mörder lange kein Wort spricht, aber ein Handlungspfaden gebraucht wurde,  singt der Unhold hier bekannte Kinder- und Volkslieder sowie einige vertonte Gedichte des 1896 in Berlin geborenen, deutsch-jüdischen Schriftstellers Walter Mehring, der angeblich zu einem bedeutenden Satiriker der Weimarer Republik avancierte.

Kindermissbrauch und Kindertötung sollten jedoch zumindest in einem Opernhaus ein Tabu sein. Eigentlich sollte es auch allen kalt über den Rücken laufen, wenn ein hübsch gekleidetes Mädelchen auf die (von Klaus Grünberg gestaltete) Bühne tritt und frohgemut verkündet: „Der Mörder singt jetzt das Lied „Häschen in der Grube“. Kosky hat das bei der Arbeit gemerkt. „Der unschuldige Text eines Kinderliedes aus seinem Mund – da wird einem ganz mulmig zumute.“ So zu lesen in einem im Programmheft abgedruckten Interview.

Kosky will das offensichtlich abmildern und fragt, ob M die Kinder wirklich ermordet oder sich das alles nur einbildet hat. Oder ob dieser ganze 90-minütige Opern-Albtraum „nur ein seltsam makabres Kinderspiel“ sei.

Dieser Verharmlosungsversuch wird durch vertauschte Rollen in die Tat umgesetzt. Alle Erwachsenen werden von kleinen Kinderkomparsen mit großen, oft hässlichen Pappmaschee-Köpfen gespielt. Das ist eine raffinierte Regie-Idee, nimmt aber die Angst der Mütter um ihre verschwundenen Kinder, ihre Trauer um die getöteten und die berechtigte Furcht der Bevölkerung vor solchen Tätern nicht ernst und macht sie beinahe lächerlich. Eher lustig verzerrt werden die übereifrigen Polizisten und die ganz gewöhnlichen Ganoven, die wegen der andauernden Kontrollen um das eigene Geschäftsmodell bangen.  

Ein ganz gewöhnlicher Mensch scheint auch der Mörder zu sein, ein Mann wie (fast) jeder andere in T-Shirt und Jeans, aber einer, der die Kinder sanft zu sich lockt, offenbar auch ein Mädchen mit roter Mütze, die er sich nach dem Mord selbst auf den Kopf setzt. Immerhin wird keine der Tötungen gezeigt.


Scott Hendricks als Mörder. Foto: Monika Rittershaus

Diesen unauffälligen „Kinderfreund“ singt und spielt der Bariton Scott Hendricks. Der macht seine Sache gut, ist meistens allein auf der Bühne und versucht, mitunter auf einem länglichen Gestell im Hintergrund hüpfend, etwas „Leben in die Bude“ zu bringen.

Doch der Durchhänger sind viele, zumal Alma Sadé und Tansel Akzeybek als Solisten im Off singen, ebenso der Chor, einstudiert von David Cavelius. Auch die Studierenden der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin, die den pappköpfigen Kindern ihre verfremdeten Stimmen leihen, bleiben unsichtbar.  

Im Graben leistet derweil GMD Ainārs Rubiķis mit dem Orchester der Komischen Oper eine überzeugende Arbeit, muss diesmal auch Saxofon, E-Gitarre und  Keyboards integrieren. Das größte Lob verdient der Kinderchor mit seiner Leiterin Dagmar Fiebach. Die Songs, die sich der Komponist Moritz Eggert für die Kleinen ausgedacht hat, sind recht anspruchsvoll. Die hellen Stimmen sind eine wahre Wohltat in diesem düsteren Geschehen.

Insgesamt liefert Eggert eine ohrfreundliche Gebrauchsmusik mit einem Parcours durch die Stile der 1930’er Jahre bis zu heutigen Disco-Klängen, aufgemöbelt durch einen Surround-Sound, der das Publikum von allen Seiten beschallen soll. Die tut musikalisch niemandem weh, nur die Anschrägung des Kinderliedes „Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann“, das der nun rasend gewordene Mörder herausschreit, geht an die Nieren.

Schrecken müsste auch seine Schilderung über die eigene Triebhaftigkeit erregen, die ihn, der mitunter mit Luftballons herumläuft, immer wieder überfällt. Aber offenbar ist in den Augen und Ohren der Regie alles halb so schlimm, und so sind es hier sogar die Kinder, die ihn fröhlich verfolgen. Das wirkt nun tatsächlich wie ein makabres Spiel, das sich die Kids ausgedacht haben, darüber hinaus jedoch wie eine Schuldzuweisung an die Stadt und die Eltern der ermordeten Kinder, die ihn, den kranken Serientöter, so sehr verfolgt haben. Ach so, die Ermordeten sind schuld und nicht der Mörder. In der Oper wird das fast noch mehr betont als im Film. 

„Ich kann doch nichts dafür“, lautet der berühmte Satz des Mordlustigen im Film und nun auch in der Oper, mit dem er sich bei seiner Ergreifung durch die Polizei für seine ihm nur allzu gut bekannten Taten rechtfertigt.

Dem Publikum in seiner Mehrheit ist bei diesem Geschehen offensichtlich nicht mulmig geworden, sehen in dieser neuen Oper wohl einen Krimi wie jeder andere. Die wollen sich in der Komischen Oper nach bewährter Art amüsieren. Daher werden zuletzt alle gefeiert, besonders Scott Hendricks, der Kinderchor und Barrie Kosky sowieso. Nur Moritz Eggert muss sich einige Buhs anhören.  

 Ursula Wiegand  

Weitere Termine: 5., 11. und 24. Mai, sowie am 9., 22. und 26. Juni

WIEN/ Vienna`’s English Theatre: NEXT TO NORMAL. Musical von Tom Kitt und Brian Yorkley

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Diana Goodman (Suzanne Carey) umringt von Ehemann Dan (Kevin Perry) und Sohn Gabe Kilian Berger). Foto: Reinhard Reidinger / V.E.T.)

WIEN / Young V.E.T des Vienna´s English Theatre: Premiere des Musicals Next to Normal von Tom Kitt und Brian Yorkley

  1. Mai 2019

Normal? – Was ist schon normal!

Wie kann es sein, dass ein Stück wie dieses, das vom nicht ganz einfachen Zusammenleben der Familie Goodman erzählt, in der die Mutter Diana an einer bipolaren Störung leidet, am Broadway einen Sensationserfolg feiern konnte, mehrfach preisgekrönt wurde (Tony Award und Pulitzerpreis) und inzwischen weltweit nachgespielt wird? – Die Antwort auf diese Frage erhält man am besten, indem man eine der Vorstellungen des Musicals Next to Normal besucht, das derzeit im Vienna´s English Theatre auf dem Spielplan steht. Dort wird – präsentiert vom YOUNG V.E.T. und in der Regie von Adrienne Ferguson – vorgeführt, wie Themen wie Trauer und Verlust, Selbstmord, Drogenabhängigkeit und psychiatrische Behandlungsmethoden in einer Weise auf die Bühne gebracht werden, die durchaus unterhaltsam ist, trotzdem in die Tiefe geht und ungemein berührt.

Das liegt in erster Linie am gut gearbeiteten Libretto von Brian Yorkley und an der feinen Musik von Tom Kitt, die mit fünf Instrumentalisten (Klavier, Violine, Gitarre, Bass und Schlagwerk) ihr Auslangen findet und geschickt verschiedenste Impulse aus dem gegenwärtigen Musical-Fundus aufgreift und weiter verarbeitet. Auch Mozart, Spieluhrenmusik und Oscar Hammerstein werden da zitiert und geistreich abgewandelt. Ein Beispiel gefällig? –  Wenn die von ihrem Arzt mit Psychopharmaka abgefüllte Diana vor ihrem Medikamentenschrank steht und die verschiedensten Arzneien entnimmt, erklingt eine Reminiszenz an „My Favorite Things“ aus The Sound of Music, nur dass es hier eben nicht von „apple strudel“ und „schnitzel with noodles“ die Rede ist, sondern von den ihr verschriebenen Pillencocktails.

Am Erfolg der mit standing ovations bedachten Premiere haben selbstverständlich die Sängerinnen und Sänger ihren kräftigen Anteil. Suzanne Carey ist als sympathische, mehr oder weniger verhaltensauffällige Mutter Diana das Zentrum des Geschehens. Wie sie verzweifelt mit den Folgen – Gedächtnisverlust – von Elektroschock-Behandlungen kämpft und am Schluss ihren Koffer packt und die Familie verlässt, um ihrem trotz der großen Belastungen stets gut gelaunten und hoffnungsfrohen Ehemann Dan Goodman (Kevin Perry) und ihrer Tochter Natalie ein Leben „next to normal“, also ein „fast normales“ Leben zu ermöglichen, geht unter die Haut.

Eine wichtige Nebenhandlung ist die sich unter Schwierigkeiten anbahnende Liebe zwischen Natalie und dem jungen Aussteiger, Träumer und Kiffer Henry (Caleb F. Siems). Natalie (Helen Lenn) leidet darunter, dass im Universum ihrer Mutter vor allem ihrem Bruder Gabe alle Aufmerksamkeit zuteilwird. Sie sucht Bestätigung und Anerkennung an der Schule, wo sie die Perfektion findet, die sie zu Hause so sehr vermisst, flüchtet sich schließlich aber auch in leichten Drogenkonsum. Kilian Berger verkörpert ihren – auch in seiner tatsächlichen Abwesenheit – stets überpräsenten und alles dominierenden Bruder Gabe. Keine einfache Rolle, doch er bringt die für dies Figur nötige Aura des Geheimnisvollen gut über die Bühne. Den Cast vervollständigt Alex Wadham in der Doppelrolle der beiden Ärzte, deren Praktiken in diesem Stück ziemlich kritisch hinterfragt werden.


Diana (Suzanne Carey) und Ihr Arzt Dr. Fine (Alex-Wadham). Foto: Reinhard Reidinger / V.E.T.)

Man sollte möglichst unbeschwert in die Vorstellung zu gehen. Um dieses Musical voll genießen zu können, sind nämlich keine Vorkenntnisse der Handlung oder der darin abgehandelten Probleme nötig. Ganz im Gegenteil. Man setze sich einfach neugierig auf das, was kommen wird, hinein. Dann sieht man, im ersten Teil vor der Pause der zweieinhalb Stunden dauernden Aufführung, eine Durchschnittsfamilie – Vater, Mutter, Sohn und Tochter – , die nur manchmal leicht aus den Fugen gerät, den Alltag mit seinen Herausforderungen aber doch erstaunlich gut meistert und offenbar gelernt hat, mit Humor und Gelassenheit damit umzugehen. Erst wenn die Mutter frohgemut mit der Geburtstagstorte für ihren Sohn hereinplatzt, folgt die Erkenntnis über ein ganz spezielles Familiengeheimnis, das entfernt an die Komödie Mein Freund Harvey erinnert, aber, vor allem in seinen Folgen, nicht ganz so unbeschwert und heiter ist. Und dann wartet man bestimmt gespannt darauf, wie es nach der Pause weitergehen wird…

Manfred A. Schmid

Saint-Etienne/Opéra de SaintEtienne CENDRILLON von Nicolas Isouard

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Die Stiefschwestern (Jeanne Crousaud und Mercedes Arcuri) schmücken sich für den Ball und singen höfische Melodien, während Cendrillon (Anaïs Constans) den Hof kehrt und eine Bauernliedchen singt.


SAINT-ETIENNE /  Opéra de Saint Etienne                                   
„CENDRILLON“ von Nicolas Isouard

Freitag 3. Mai 2019     Von Waldemar Kamer    

 

Gelungene Wiederentdeckung des damals bekanntesten „Aschenbrödel“ mit einem fantastischen Jugendorchester

Es lohnt sich, in die so genannte „Provinz“ zu fahren, denn dort findet man seltene Werke und Initiativen, die man in der Hauptstadt oft vergeblich sucht. Nach der „Cendrillon“ von Massenet in Nantes (Siehe OnlineMERKER 12/2018), fahren wir nun nach Saint-Etienne, 50 km südlich von Lyon. Die Geburtsstadt von Jules Massenet war in der Musikwelt lange bekannt für das Massenet-Festival, das es leider nicht mehr gibt. Aber die Oper spielt neben den gängigen Werken – im Juni „Carmen“ – immer noch Raritäten, wie zum Beispiel die kaum bekannte opéra comique von Gounod „Le Médecin malgé lui“ (nach Molière), über die wir mit Vergnügen im Merker-Heft berichtet haben (11/2015). Nun kommen wir für die quasi unbekannte opéra comique „Cendrillon“ von Nicolas Isouard, 1998 zum allerersten Mal durch Richard Bonynge auf Platte aufgenommen und die jetzt erst wieder eine Opernbühne erklimmt.

Die sehr willkommene Initiative stammt vom Palazzetto Bru Zane, das bei den letzten Opera Awards in London den Mäzenaten-Preis für jetzt schon zehn Jahre Einsatz für die weniger bekannte französische Musik des 19. Jahrhunderts bekommen hat. „Cendrillon“ von Isouard ist ein Paradebeispiel für eines der vielen damaligen Werke, deren Wiederentdeckung man mit großer Freude begrüßt. Nicolas Isouard (1773-1818), der sich „Nicolò“ nannte (Napoleon liebte in der Musik alles was Italienisch klang), war ein damals sehr bekannter Komponist in Paris und seine „Cendrillon“ 1810 ein Welterfolg. Doch bei allem was jedes Jahr in Frankreich über Napoleon veröffentlicht wird und auch in den auffallend vielen Ausstellungen über Napoleon – zum Beispiel jetzt, sehr interessant, in Fontainebleau über seine Hofhaltung (eine große Ausstellung aus Montreal, die nach einer Amerika-Tournee bis zum 15. Juli in Frankreich zu sehen ist), sucht man die Musik vergebens. Die einzige Ausnahme ist das Palais Fesch in Ajaccio, wo ich in einem Ausstellungskatalog einen langen Artikel über die Musik bei den Bonapartes geschrieben habe – der erste auf Französisch seit über 50 Jahren. Dabei gibt es viel zu berichten, denn Marie-Louise von Österreich, die zweite Gattin Napoleons, spielte auf ihrer Harfe – die ihre Tante Marie-Antoinette am französischen Hof eingeführt hatte – gerne das Harfen-Solo aus Isouards „Cendrillon“ und es wird berichtet, dass sie mit ihren Hofdamen die damals sehr beliebten „Cendrillon“-Tänze in den Tuilerien getanzt hat. Denn in der französischen Fassung des Aschenbrödel-Märchens von Charles Perrault (1697) steht der Königshof im Mittelpunkt und die bei Jakob und Wilhelm Grimm (1819) dramaturgisch so wichtige verstorbene Mutter Aschenbrödels und die romantisch-philosophischen Naturbezüge kommen gar nicht vor.

Die Handlung beginnt mit einem Duo der beiden Stief-Schwestern „Arrangeons nos fleurs et nos dentelles“, die sich für den Hofball schmücken und ihre Tänze ausprobieren und sich dabei mokieren über das einfältige Bauernliedchen „Il était un petit homme“, das Aschenputtel gleichzeitig beim Kehren des Hofes singt. „Cendrillon“ ist also eine Parodie auf die Eitelkeit am Hofe, mit köstlichen gesprochenen Dialogen des damals an der Opéra Comique sehr beliebten Librettisten Charles-Guillaume Etienne. Einer der ersten Bewunderer dieses Librettos war Gioacchino Rossini, der es als Vorlage für seine „Cenerentola“ nahm, die er 1817 in weniger als einem Monat in Rom komponierte. Da Isouards „Cendrillon“ nur anderthalb Stunden dauerte, schmückte Rossini die Handlung gegen Ende aus und machte zum Beispiel aus dem verlorenen Schuh ein Armband.

Wem passt dieser Schuh? Riccardo Romeo (Prince Ramir), Jérôme Bouteiller (der Magier Alidor), Christophe Vandevelde (Diener Dandini), Jeanne Crousaud (Clorinde), Mercedes Arcuri (Tisbé), Jean-Paul Muel (Baron de Montefiascone) und Anaïs Constans (Cendrillon).

Marc Paquien traf als Theater-Regisseur genau den richtigen Ton dieser komischen Oper. Manche Figuren und Szenen waren vielleicht ein bisschen überzeichnet, aber zwei der vier Vorstellungen in Saint-Etienne waren für Schüler vorgesehen, die schon an der Premiere zahlreich anwesend waren und sich köstlich amüsierten. Wir auch, vor allem in den gesprochenen Szenen mit viel „esprit“ (der sich schwierig ins Deutsche übersetzen lässt). Jean-Paul Muel, an den wir uns noch aus dem Grand Magic Circus von Jérôme Savary erinnern, beherrschte als Baron de Montefiascone (bei Rossini, Don Magnifico barone di Montefiascone) die Bühne in den bunt japanisch-mexikanisch überzeichneten Kostümen von Claire Risterucci. Christophe Vandevelde konnte ihm als Diener Dandini (ebenfalls eine Sprechrolle) herrlich die Bälle zuwerfen, sowie der wohlklingende Bariton Jérôme Bouteiller als Prinzen-Erzieher und Magier Alidor. Bei den Sängern gaben unerwarteter Weise die Stiefschwestern, die den Abend mit ihren zierlichen Vorbereitungen eröffneten und mit ihrem bösen Gekeife beendeten, den Ton an. Isouard hat die drei weiblichen Hauptrollen den damaligen Sängerstars der Opéra Comique auf den Leib geschrieben – jede bekam (nur) eine große Arie – und Mmes Duret und Regnault besaßen offensichtlich Stimmen mit einer großen Bandbreite. So trumpfte Jeanne Crousaud als Clorinde in einer temperamentvollen Spanischen Bolero-Verführungsarie und Mercedes Arcuri als Tisbé in einer urkomischen Rache-Arie, in der Isouard offensichtlich seine Italienischen Kollegen karikierte, die am Hofe Napoleons so beliebt waren. Im Gegensatz dazu klang die schlichte Romanze der Cendrillon „Je suis fidèle et soumise“ – auch wenn wunderbar gesungen durch Anaïs Constans – etwas blass und ging Riccardo Romeo etwas unter als einfältiger Prince Ramir (bei Rossini Ramiro). Emmanuel Clolus schuf eine einfache Einheits-Drehbühne und Dominique Bruguière – in Wien bekannt durch ihre langjährige Zusammenarbeit mit Luc Bondy und Patrice Chéreau – eine ganz wunderbare Lichtregie, die noch einmal unter Beweis stellt, dass man auch mit wenigen und einfachen Mitteln gute Kunst machen kann.

Der Clou des Abends war für uns die Musik, die Julien Chauvin mit großem Können dirigierte (sowie er es auch auf vielen CDs des Palazzetto Bru Zane tut). Und die Überraschung kam auf der Premierenfeier. Denn als ich dem sympathischen jungen Dirigenten zu seinem makellos klingenden Orchester komplimentierte – man hatte mich noch kurz vor Beginn der Vorstellung gewarnt, dass es sich nicht um das reguläre Opernorchester handelte – und fragte, wer denn dieses lange Horn-Solo von der Seitenbühne und das schöne Harfensolo gespielt hätte, erklärte er, dass die beiden Solisten 13 und 16 Jahre alt sind !! Denn der musikliebende Bürgermeister Gaël Perdriau fordert seit Jahren, dass die Oper in Saint-Etienne auch Jugendliche einbezieht. Deswegen befindet sich gleich neben dem Bureau des Intendanten Eric Blanc de la Naulte das des „Musik- und Jugendverantwortlichen“ François Bernard, der eine höchst originelle Zusammenarbeit mit dem Conservatoire Massenet begonnen hat. Da viele Orchestermusiker dort auch Lehrer sind, können einige Schüler nach einem Jahr Proben mit Eric Varion in ausgewählten Produktionen mit dem regulären Orchester mitspielen. So saßen 23 Jugendliche von 12 bis 26 Jahren neben 21 erfahrenen Orchestermusikern im Graben und haben dort eine sicherlich einzigartige Erfahrung gemacht. Wo sieht man das sonst? Komplimente für alle Beteiligten und diese wirklich exemplarische Jugendarbeit! Die Premiere war überaus erfolgreich und die Oper in Caen hat bereits angekündigt, dass sie diese Produktion nächstes Jahr übernehmen will. Wir freuen uns für Isouard und sein wiedergefundenes Meisterwerk!

Waldemar Kamer
Alle Fotos Cyrille Cauvet

 

Opéra de Saint-Etienne: www.opera.saint-etienne.fr

Libretto und Informationen: www.bruzanemediabase.com

Der Hof von Napoleon: www.chateaudefontainebleau.fr

 


WIEN/ Festssaal Gatterburggasse: „1797 – EIN GUTER JAHRGANG: SCHUBERT-HEINE-DONIZETTI“

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David Hausknecht, Oscar Ore. Foto: Herta Haider


Johanna Baader (rechts) mit ihrer Cousine Christina Baader. Foto: Herta Haider

Wien 19., Gatterburggasse 14/ Festsaal Bezirksvorstehung/ MERKER-SALON

„1797 – EIN GUTER JAHRGANG: SCHUBERT-HEINE-DONIZETTI“ (6.5.2019)

Eine Fundgrube für Talente war der Merker-Salon, der von der umtriebigen Elena Habermann in Döbling seit Jahren souverän organisiert wird, schon immer. Diesmal kam es neben der Präsentation von Stars von morgen obendrein zu einer ganz und gar unkonventionellen Programmzusammenstellung durch zwei junge Nachwuchs-Sänger:  die österreichische Sopranistin Johanna Baader – sie ist im Zweitberuf Illustratorin – und der peruanische Tenor Oscar Ore sangen – ausgezeichnet am Klavier unterstützt vom „Einspringer“ David Hausknecht– Werke von Franz Schubert, Heinrich Heine und Gaetano Donizetti, Diese 3 Künstler (Heine, Donizetti und Schubert) haben alle  als Geburtsjahr 1797, repräsentieren also einen „guten Jahrgang“.

Und so ergab sich ein interessanter Programm-Mix, der von den jungen Künstlern sehr ambitioniert vorgetragen wurde. Im Mittelpunkt stand logischerweise der Lieder-Zyklus „Schwanengesang“ von Franz Schubert nach Texten von Heinrich Heine, auf den beide Sänger zugriffen. Johanna Baader wählte „Der Atlas“, „Ihr Bild“ und „Das Fischermädchen“  sowie „Die Stadt“, „Am Meer“ und „Der Doppelgänger“ . Mit einer mächtigen Stimme ausgestattet, die an die junge Hilde Konetzni erinnert, verfügt sie über das was man als „vielversprechend“ bezeichnen muss. Neben einer dunklen, üppigen Mittellage entwickelt sie vor allem in den oberen Stimm-Lagen einen mächtigen, runden „Glockenton“. Mitunter gibt es noch gewisse Schärfen bei den Spitzentönen, der Textvortrag ist perfekt, die Art des Vortrages zu statisch.

Ganz anders der aus Peru stammende „Feschak“ Oscar Ore – er wählte von Schubert die „Gassenhauer“ „Ständchen“, „Wanderers Nachtlied“ und „An die Musik“mit dem Dank für die Reisen in „Bessere Welten“. Er hat eine „Naturhöhe“ (deshalb auch die Arie des Tonio aus „La fille du regiment“) aber am Passaggio der Mittellage muss er noch arbeiten. Das hörte man eher bei Schubert als bei Donizetti. Aber auch er zählt in die Kategorie „hochbegabt“! Der Pianist David Hausknecht, der erst am Tag des Konzert von seinem „Glück“ erfuhr, spielte bravourös Beethoven (1.Satz Sonate Nr,7) und Schumann(Kreisleriana). Oscar Ore  trug  noch zwei weitere Titel von Donizetti vor :„Eterno amore“ und „La tradimento“. Johanna Baader wählte als Zugabe die „Zueignung“ von Richard Strauss und wich damit von der Vorgabe des guten Jahrganges „1797“ ab.

Alles in allem: ein interessantes Programm mit Sängern, deren Namen man sich merken sollte.

Peter Dusek

NEW YORK: DAS RHEINGOLD und DIE WALKÜRE – Kurzbericht

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NEW YORK: Kurzbericht–DAS RHEINGOLD und DIE WALKÜRE 6./7. Mai 2019


Met-Ring-Poster

Nun ist auch der Ring III und damit der letzte dieser Saison nach sieben Jahren (!) an der Met in seiner Mitte angekommen, und „Die Walküre“ wurde heute Abend zu einem Triumph für den zukünftigen Wiener Chefdirigenten Philippe Jordan und das Metropolitan Opera Orchestra. Schon vor dem 3. Aufzug bekam er mit dem Ensemble frenetischen Applaus, so dass sich die Musiker sogar erheben mussten. Der musikalische Höhepunkt des Abends wurde dann Wotans Abschied und der anschließende Feuerzauber. Ein weiterer Triumph war das Rollendebut von Michael Volle als Wotan, der mit dieser Partie schon in„Ring“ II letzte Woche debütiert hatte. Trotz seiner eher heldenbaritonalen Lage konnte er auch im 3. Aufzug, wo der Bassbariton des Wotan besonders gefragt ist, voll überzeugen, sodass die Wagner-Welt sich endlich wieder über einen Weltklasse-Wotan freuen kann. Herrlich seine Diktion und Phrasierung bei enormem Rollenverständnis, also auch bei exzellenten darstellerischen Qualitäten. Zu Recht bekam auch Eva-Maria Westbroek als Sieglinde begeisterten Beifall. Christine Goerke als Brünnhilde und Stuart Skelton ließen m.E. dagegen einiges zu wünschen übrig, erstere stimmlich und letzterer auch etwas stimmlich,  aber besonders darstellerisch, denn er gab den Siegmund nahezu charismafrei und mit stereotypen Gesten. Die „Maschine“ von Carl Fillion läuft nun im wahrsten Sinne des Wortes wie geschmiert beherrscht aber weiterhin das Bühnenbild und damit die ganze Produktion so sehr, insbesondere auch im „Rheingold“, dass eine ohnehin nur in Ansätzen erkennbare Personenregie, besonders die Spannungsverhältnisse zwischen den Akteuren, nicht recht zumTragen kommt. Es ist ein visueller „Ring“ von Robert Lepage und wird es wohl mit „the machine“ immer bleiben…

In Kürze mehr.


Die Met-Ränge. Foto: Klaus Billand

Klaus Billand aus New York

DRESDEN/ Staatsoperette: DER MANN MIT DEM LACHEN – Musical von Frank Nimsgern nach einer Romanvorlage von Victor Hugo. Uraufführung

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Ensembleszene. Foto: Stephan Floß

Der Mann mit dem Lachen – nach einer Romanvorlage von Victor Hugo

Spektakuläre Uraufführung an der Dresdner Staatsoperette

 Nach „Der Glöckner von Notre Dame“ und „Les Misérables“ ebenso nach Vorlagen von Victor Hugo, erfreut man sich nun eines neuen Musicals, Musik von Frank NIMSGERN, worüber sich aber die Geister streiten. Denn nach den Erfolgen zuvor genannter opulenter und glanzvoller Musicalproduktionen, die einen internationalen Erfolg erzielten, ebenso auch verfilmt wurden, so ist es doch auch immer ein Risiko, Themen nach irgendwelchen Vorlagen aufzugreifen, die sich vielleicht für ein Musicalwerk gar nicht eignen, wenn man die gesamte Dramatik des Romans „Der Mann mit dem Lachen“ einmal erfasst. Diesen Stoff man jederzeit als Opernwerk in Auftrag hätte geben können, um in dieser sehenswerten, sehr kostspieligen Ausstattung, dies als rein klassisches Opernwerk auf die Bühne der Semper Oper hätte uraufführen können. Ein Wagnis wäre ohnedies beides gewesen, und doch umso erstaunlicher war zu beobachten, mit welcher temporeichen Inszenierung (Andreas GERGEN) hier eine wahre Meisterleistung vollbracht, umgekehrt aber, wenn man die Produktion auf ein internationales Niveau bringen möchte,  Dialoge (TILMANN VON BLOMBERG) und die Gesangstexte (Alexander KUCHINKA) überarbeitet gehören, denn der ganz große Wurf ist dieses Stück mit derartigen Texten leider nicht. Wogegen aber das Bühnenbild (Sam MADWAR) und die Kostüme (Uta LOHER und Conny LÜDERS) doch ein wahrer Augenschmaus sind.

Die rauschenden Feste des dekadenten Adels sind die wirklichen Glanzlichter des Abends. Und bei genauer Betrachtung lebt dieses neue Musical doch in erster Linie von den bravourösen Ensembleszenen, hier Andreas GERGEN wieder einmal ein regiekonzeptionelles hervorragendes Geschick zeigt, welches er auch bereits in vielen Inszenierungen an der Wiener Volksoper bewiesen. Wo er auf die charakteristische Darstellung einzelner Personen setzt, und egal ob Tänzer, Chorsänger/innen und Statisten hier eine persönliche Individualität einbringen. Die Führung von Chor und Ballett sind seine wahre Stärke aber auch die der Solisten. Lobenswert die Choreografie von Simon EICHENBERGER, der hier wahrlich die Puppen tanzen lässt, teils skurril und überaus dekadent, insbesondere auf den adligen Bällen, wo gerockt, auch vermischt mit Klassik, und mit einem Schuss Erotik, man hier so richtig die Fetzen fliegen lässt, und wo hingegen einiger langatmiger Szenen man hier auf unterhaltsamere und humorvolle Weise das Publikum aus seiner Steifheit wieder herausholt. Außerdem wenn man Nimsgern absolute Spitzenreiter kennt, wie „Hexen“  und „Der Ring“, so weiß man, dass er ein Garant für gute Ensemblenummern ist. Obwohl wirkliche Ohrwürmer, sodass es die Spatzen von den Dächern pfeifen, gibt es auch in diesem Musical nicht. Wo es unsere Vorreiter der amerikanerischen und englischen Musicals, und zu guter Letzt der ungarische Komponist Sylvester Levay (Elisabeth, Mozart, Rebecca, Marie Antoinette) uns immer wieder gezeigt haben, dass ein Musical zumindest aus 3 – 6 Ohrwürmern bestehen sollte.

Doch nichtsdestotrotz ist diese neue Musicalproduktion nicht nur eine emotionale Achterbahnfahrt, sondern auch ein mit Spannung und Dynamik geladenes Werk, welches man sich keineswegs entgegen lassen sollte. Denn allein die Optik ist ein wahrer Genuss. Die peitschenden Meeresstürme, die Schneewanderungen in einer klirrenden Winternacht, die grausamen Folterungen, die Karikatur des Adels, die Seelenschmerzen eines von der Gesellschaft Ausgestoßenen, die Ausbeutung von Kindern und Erwachsenen, so wie in Hugos Roman beschrieben, werden in dieser Inszenierung sinngemäß dargestellt. Es ist eine Geschichte zwischen Traum und Wirklichkeit – zwischen Schuld und Sühne – zwischen dem Hässlichen und dem Bösen. „Denn Hässlich ist, wer Böses tut“ so wie bereits im Stück interpretiert. Wo doch die wahre Schönheit kommt von innen – nur der der reinen Herzens ist.


Jannik Harneit, Anke Fiedler inmitten des Ensembles. Foto: Stephan Floß

Mit sehr viel Feingefühl verdeutlicht uns Jannik HARNEIT in der Titelrolle des Gwynplaine, dass in dieser kuriosen Welt nicht alles Gold ist, was glänzt. Sein Traum von einem besseren Leben, stellt sich doch am Ende als teuflisches Machtwerk menschlicher Begiere heraus. Hier stellte er wieder einmal sein vielseitiges, schauspielerisches Talent unter Beweis, und es war ein ausgesprochener Glücksgriff, ihn für diese Rolle zu besetzen. Ebenso aber auch Christian GRYGAS (Barkilphedron) überzeugte hier mit Souveränität und großartiger schauspielerischer Leistung. Mit seinen Hauptsong „ der Wind hat sich gründlich gedreht“ zog er alle Register. Wie eben auch sein Kollege Elmar ANDREE in der Rolle als Ursus, in zwar den etwas leiseren, gütigeren, väterlichen Tönen schauspielerisches Profil zeigte. Olivia DELAURÉ als blindes Weisenmädchen Dea und Geliebte von Gwynplaine, überzeugt insbesondere im sentimentalen Spiel, und würde auch in „Dantons Tod“ eine zauberhafte Lucile abgeben. Mit viel Sex -Appeal und als herrschsüchtige Josiane Darnley, überzeugte schauspielerisch aber auch gesanglich Anke FIEDLER. Angelika MANN (Anne Stuart/ Königin von England) brillierte mit sonnigen, humorvollen lichten Momenten, in dem ohnehin schon so ernsten Stück. Wo Anne SCHAAB als Sarah Churchill ihr schauspielerisch souverän zur Seite stand. Bryon ROTHFUSS, auch dem Ensembles angehörig, überzeugte hier in den verschiedensten Facetten, als Dr.Hardquannome, Chirurg, und  Georg Prinz von Dänemark. Die verschiedensten Verwandlungsprozesse, beginnend mit Irland 1654, über die Südküste Englands, 1690, bis hin zu London, 1705, stellten nicht nur allein Bühnen – und kostümtechnisch eine große Herausforderung, sondern auch an jeden einzelnen Protagonisten, die oft mit schnellen Umzügen hinter der Bühne konfrontiert waren. Ständig wechselnde, teils verblüffende Schauplätze taten ihr weiteres, um hier atmosphärisch für Hochspannung zu sorgen. Wo sich alles drehte und bewegte, und ohne Drehbühne ein derartiges opulentes Bühnenbild gar nicht realisierbar gewesen wäre.

Das mit sechzig Musikern besetzte Orchester unter dem Dirigat von Christian Feigel überzeugt uns mit einem bunten musikalischen Mix, dessen Bandbreite aus Barock und Rock, aber auch Ähnliches musikalisch aufwirft, wo einige Fragmente durchaus auch von Levay oder auch anderen Komponisten abstammen könnten. Eine musikalische Stilrichtung indem Sinne gibt es nicht, und wie bereits erwähnt auch keine Ohrwürmer.

Fazit: Eine durchaus anspruchvolle und passable Musicalproduktion, die ihre Anhänger finden könnte, wenn man sie textlich, aber auch musikalisch weiters aufbereiten und noch mehr ausarbeiten würde. Denn neben einen großenartigen Ensemble und hervorragenden Solisten, abgesehen von der spektakulären Inszenierung, einschließlich des Bühnenbilds, könnte diese Produktion ein wahrer Dauerbrenner werden.

Begeisterungen in der gestrigen Vorstellung blieben dennoch nicht aus, wo vonseiten des Publikums der Applaus aber in erster Linie den so hervorragenden Solisten, dem Ensemble und dem Dirigenten galt.

Manuela Miebach

 

WIEN/ Staatsoper: MACBETH

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WIEN/ Staatsoper:  MACBETH am 8.Mai 2019

Es ist schon erstaunlich, wofür Spielvogte heutzutage bezahlt werden: Christian Räth und sein Team zum Beispiel: Räth beansprucht Autorenschaft an Franceso Maria Piaves und Verdis Werk. Dabei wäre seine Aufgabe, als Interpret im Geist der Schöpfer wirken. Die Trumpfkarte von der »Freiheit der Kunst«: Sie ist der Offenbarungseid der Verantwortlichen. Doch noch immer verfehlt sie ihre Wirkung auf’s Feuilleton nicht.


George Petean (Macbeth), Tatiana Serjan (Lady). Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

http://www.dermerker.com/index.cfm?objectid=98D76F00-72EA-11E9-A7FF005056A64872

 

Thomas Prochazka/ www.dermerker.com

MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: TANNHÄUSER

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München: “Tannhäuser” – Bayerische Staatsoper 09.05.2019 – Tannhäuser mit Steigerung


Venus im Fleischberg: Elena Pankratova und Klaus Frorian Vogt © Wilfried Hösl

Eine zwiespältige Sache ist diese zweite Aufführung des Tannhäusers in der aktuellen Repertoireserie an der Bayerischen Staatsoper, sowohl szenisch als auch musikalisch. Die symbolgeladene Inszenierung von Romeo Castellucci, der außerdem auch für Bühne, Kostüme und Licht verantwortlich zeichnet, fordert zu ständigem Nachdenken über den Zusammenhang mit dem als bekannt vorausgesetzten Inhalt von Wagners Werk auf, ohne eine Lösung, einen Schlüssel zu bieten. Viele der Bilder, die Castellucci anbietet, stehen einfach zu lange und lassen den Sängern zu wenig Entfaltungsmöglichkeit, sodass sich des Öfteren gepflegte Langeweile ausbreitet. Vor allem zu Beginn fragt man sich, weshalb Tannhäuser sich überhaupt in diesen Venusfleischberg begeben hat, vor dem er sich offensichtlich ekelt.

Zu dieser Langeweile trägt vor allem das zu Beginn – später wird es dann anders – dynamisch wie rhythmisch undifferenzierte Dirigat von Simone Young bei. Im Vorspiel stehen die verschiedenen Orchesterstimmen stehen nebeneinander ohne Bezug zueinander, meist wird Mezzoforte gespielt.

Elena Pankratova zeigt sich unbeeindruckt von den szenischen und musikalischen Widrigkeiten. Von der Regie dazu verdammt, von der Brust abwärts in einem Berg wabernder Hautfalten zu stecken, legt sie ihre ganze Verführungskunst in ihre Stimme. Diese Venus lockt mit warmer Tiefe, flirrt verführerisch in der Höhe und wird schneidend in ihrem Zorn, wenn sie realisieren muss, dass sie Tannhäuser verloren hat.

Der Tannhäuser, Klaus Florian Vogt, klingt immer dann an besten, wenn er Spitzentöne im Forte heraustrompeten kann. Im ersten Akt gibt es davon nur wenige, auch passt hier das keusche Timbre seiner Stimme nicht zur Leidenschaft des Textes. Leisere Passagen in der Mittellage bleiben fahl und glanzlos. Vogt klingt am besten, wenn er seine Spitzentöne im Forte schleudern darf. Trompetenhaft überstrahlen die alles, z.B. in „ein Wunder war’s “ im Duett mit Elisabeth oder „nach Rom“. Auch das verräterische Lied an die Göttin der Liebe schmettert er mit beeindruckender Stimmkraft in den Raum und die „erbarm dich mein“-Rufe gelingen ihm sehr eindringlich.

In der Romerzählung des 3. Aktes erscheint er ganz bei sich zu sein, geht völlig in der Rolle auf und stellt ein wirklich beeindruckendes Portrait, sowohl stimmlich als auch darstellerisch, des zutiefst enttäuschten Büßers vor. Dabei mag es hilfreich sein, dass Castellucci die Figuren hier als Menschen von Fleisch und Blut zeichnet, und nicht wie in den vorangegangenen Akten als Verkörperung von Ideen. Die Idee, der Verfall der beiden Körper – Elisabeth und Tannhäuser – bis nur noch zwei Häufchen Staub übrig sind, findet hier in der stummen Nebenhandlung statt.

Elisabeth ist das einzige Objekt der – auch erotischen – Begierde, weil sie unerreichbar, unberührbar ist. Das wird dargestellt durch das Bild eines Körpers, das Elisabeth auf ihrem Kleid trägt. Dieses Bild legt sie ab, als sie sich durch Tannhäusers Loblied der Venus berührt und beschmutzt fühlt. Emma Bell (eingesprungen für die erkrankte Lise Davidsen) ist in dieser Rolle ist ein zwiespältiger Fall: sie hat eine schön timbrierte, dramatische Stimme mit warmer, kräftiger Mittellage, aber die Höhen blühten nicht so richtig auf, klangen belegt. Die Hallenarie gerät uneinheitlich in der Phrasierung, Doch auch sie findet im 3. Akt zu einer ausdrucksstarken, berührenden Darstellung. Bereits die ersten Töne, „Er kehret nicht zurück“ brachte sie in einem tieftraurigen Piano, das man ihr nach der vorhergegangenen Lautstärke gar nicht zugetraut hätte. Das Gebet dann sang sie mit wunderschöner Phrasierung.


Ludovic Tézier al sWolfram im 3.Akt von Tannhäuser. Im Hintergrund: Klaus Frorian Vogt        © Wilfried Hösl

Schön phrasiert hat auch Ludovic Tézier. Er ist natürlich ein völlig anderer Wolfram als Christian Gerhaher, der die Partie in der Premiere gesungen hat. Bodenständiger und dramatischer. In der „Todesahnung“ und mehr noch im Lied an den Abendstern läuft er zu ganz großer Form auf. Dynamisch differenziert, klug phrasierend, textverständlich, emotional, dramatisch, nach den Liedsängern – neben Gerhaher hatten wir hier in München noch Matthias Goerne und Simon Keelyside in der vorherigen Inszenierung dieser Rolle, die waren auch alle gut – endlich mal ein Wolfram, der seine Opernstimme nicht versteckt.

Stephen Milling als Landgraf singt balsamisch, väterlich und sticht aus den Männerensembles positiv hervor. Von den Sängern der Wartburg haben nur Dean Power als Walther von der Vogelweide und Peter Lobert als Biterolf nennenswerte Soli zu singen. Powers eigentlich schöne Tenorstimme scheint an Glanz verloren zu haben, sie wirkt angestrengt und klein, Loberts Bass knorrig.

Dem jungen Hirten lieh Anna El-Khashem ihren schönen, weichen und runden Sopran. Allerdings wirkt es seltsam, wenn der Hirtendarsteller so offensichtlich nur dasteht und den Mund auf und zu macht.

Der Chor der bayerischen Staatsoper singt wie immer mit überwältigender Stimmkraft, beim Einzug der Gäste zu einheitlich laut, in den Pilgerchören differenzierter.

Zurück zu Simone Young. Für den Eindruck der Steigerung in dieser Aufführung ist nicht zuletzt auch ihr Dirigat im 3. Akt verantwortlich. Jetzt ist alles da, was man vorher vermisst hat. Jetzt passen Tempo, Dynamik und Ausgewogenheit der verschiedenen Orchesterstimmen. Jetzt gelingen große, organisch entwickelte Aufschwünge.

Es bleibt der Eindruck eines 2:1 Abends: zwei Akte, die nicht zu Begeisterung führten und dann ein großartiger 3. Akt. Der letzte Eindruck zählt.

Susanne Kittel-May

 

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