
„Lassu in cielo“ Caroll und Maltmann in der Schlussszene. Foto Copyright M.Pöhn
Ein neuer Herzog für den Narren
Giuseppe Verdis RIGOLETTO in der Wiener Staatsoper
29. Aufführung in der Inszenierung von Pierre Audi
Donnerstag, 9. Mai 2019 Von Manfred A. Schmid
Alles bleibt in einem kostbaren, musikalischen Rahmen
In der Regel besteht bei der vierten Vorstellung einer Aufführungsserie kein Bedarf mehr für eine weitere Kritik. Sollte nicht etwas Außergewöhnliches vorfallen, ist alles Wesentliche und Bemerkenswerte schon gesagt worden, und jeder weitere Kommentar nur noch redundante Nachbeterei. Im vorliegenden Fall gibt es allerdings eine personelle Umbesetzung, die besondere Aufmerksamkeit verdient: Da der in den ersten drei Vorstellungen – folgt man der Berichterstattung – stimmlich ziemlich angeschlagen wirkende Joseph Calleja seine weitere Mitwirkung abgesagt hat, wartet man diesmal gespannt auf das überraschende Staatsoperndebüt des jungen, aus Ulm stammenden Tenors Attilio Glaser in der Partie des Herzogs von Mantua. Vor allem mit seinem ersten Auftritt als Werther 2017 am Stadttheater Klagenfurt und bald darauf auch in Frankfurt und Zürich hat das Ensemblemitglied der Deutschen Oper Berlin international Beachtung gefunden. Sein bisheriges Repertoire reicht vom Tamino und Alfredo über Narraboth bis hin zu Don Ottavio. Auch den Duca di Mantova hat er zuvor schon an seinem Berliner Stammhaus gesungen.
Für die Partie des Herzogs, des notorischen Verführers und gewissenlosen Eroberers, bringt er eine nicht allzu mächtige, dafür aber nuancenreiche Stimme mit. Dank seiner virilen Ausstrahlung porträtiert er einen charmant um die Gunst werbenden und in Sachen Liebe das Blaue vom Himmel lügenden Lüstling. Die brutalen Züge im Wesen des Herzogs bleibt er allerdings weitgehend schuldig. In der Höhe ist er ziemlich sicher, auch wenn er kein lyrischer Tenor für mühelose Spitzentöne ist. Im ersten Akt noch etwas verhalten, taut Glaser im weiteren Verlauf immer mehr auf. Seine Arie „La donna è mobile“, auf die – wie könnte es auch anders sein – alle Welt gewartet hat, erweist sich dann allerdings nicht als der große Wurf, dafür gelingt sie ihm in der später folgenden, leicht abgewandelten Wiederholung schon um einiges besser. Am besten aber schlägt er sich im großartigen Quartett „Un dì, se ben rammentomi … Bella figlia dell’amore“. Insgesamt ein durchaus erfreuliches Debut mit noch viel Luft nach oben. Aber wie sollte es bei einem knapp 35-jährigen auch anders sein! Die weitere Entwicklung dieses Sängers wird man jedenfalls neugierig verfolgen, auch wenn er sich diesmal als d i e große Zukunftshoffnung für die Welt der Tenöre (noch?) nicht erwiesen hat.
Ansonsten verläuft in dieser Aufführung alles wie gewohnt und bietet, nachdem sich alle in den vergangenen Abenden aufeinander eingestellt und abgestimmt haben, einen musikalisch homogenen, sehr ausgewogenen Kunstgenuss. Mit Christoper Maltmann steht – nach teilweise nur wenig überzeugenden Leistungen von Ensemblemitgliedern oder Gästen – endlich wieder ein Rigoletto von rollen- und abendfüllendem Format im Zentrum des Geschehens. Mag sein, dass man ihm den lästerlichen, gewissenlosen Narren nicht so sehr abnimmt, aber sein zweites Gesicht als liebend sorgender, dann zutiefst getäuschter und verzweifelt auf Rache sinnender Vater ist von ungemein berührender Art. Andrea Carroll als Gilda begeistert mit ihrem leuchtenden Sopran ebenso wie mit der darstellerischen Gestaltung der angesichts ihrer Verführung verzeihenden und aufopferungsbereiten jungen Frau. Der Sparafucile von Jongmin Park gerät etwas zu salbungsvoll für einen Auftragskiller mit eigenwilligem Ehrenkodex, Nadia Krasteva bringt für die Partie der Maddalena ihren sinnlich-dunklen Mezzo und die erotische Ausstrahlung mit. Auch die übrigen Partien sind rollendeckend besetzt, so dass niemand – einschließlich des Chores – aus dem Rahmen fällt. Und für diesen musikalischen – verdischen – Rahmen der Aufführung sorgt der musikalische Leiter Giampaolo Maria Bisanti mit Umsicht und abwechslungsreicher Dynamik.
An manche Inszenierungen gewöhnt man sich freilich nie. Dazu gehört die von Pierre Audi zu Giuseppe Verdis Rigoletto, in der vor künstlichem Schmutz starrenden Ausstattung von Christof Herzer. Der Hof des Duca di Mantova ist moralisch völlig heruntergekommen: Geschenkt. Doch der Kurzschluss des leading teams, moralische Verkommenheit ruckzuck mit schäbigen, heruntergekommenen, von Hunde-, Vogel- und sonstigem Kot verdreckten Hauswänden, Treppen, Gassen und Hinterhöfen gleichzusetzen, ist einfach zu billig und widerlich. Gottseidank kann man den Unrat – dazu zählen auch die schwarzen, prallgefüllten Müllsäcke in den Winkeln – nicht riechen. Es bleibt aber auch so die hässlichste und abstoßendste Inszenierung seit Menschengedenken. Die nächste Direktion wird sie wohl schleunigst entsorgen müssen!
Die musikalische Seite des Abends ist erfreulicherweise so angetan, dass man allzu gerne – für kostbare Momente – darüber hinwegsieht und sich voll dem Gesang und dem, was aus dem Orchestergraben erklingt, hingibt. Der Applaus? Freudig bis begeistert – und im Bereich der sich nun offenbar etabliert habenden Norm von fünf bis sechs Minuten.
Manfred A. Schmid