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STUTTGART/ Schauspiel Nord: PLATONOW nach Anton Tschechow

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Leon Haller, Clara Liepsch, Hannes Buder. Foto: Björn Klein

STUTTGART: Premiere „PLATONOW“ nach Anton Tschechow am 10.7.2019 im Schauspiel Nord/STUTTGART

Der seltsame Intellektuelle

Ob Platonow bei Tschechow ein frustrierter Intellektueller ist, möchte die Inszenierung von Klemens Hegen gar nicht lösen (Kostüme: Josefin Kwon). Er sucht sich jedenfalls Zerstreuung in seltsamen und unerfüllten Liebesgeschichten. Und er möchte sich ganz klar den gesellschaftlichen Normen entziehen. Er kann und will für sich und andere keine Verantwortung übernehmen.

Statt dessen steht seine Andersartigkeit im Zentrum des Geschehens. Mit dem Ensemble von drei Schauspielern und einem Musiker wird das Textmaterial der Vorlage neu collagiert. Man möchte Tschechow mit heutigen Mitteln neu erzählbar machen. In Klemens Hegens Inszenierung am Schauspiel Stuttgart, die zugleich seine Abschlussarbeit im Studiengang Regie an der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg ist, wird dieses Stück zum Ausgangspunkt für eine Reflexion über Einsamkeit. Der junge Lehrer Platonow ist hinsichtlich der Liebe mehrerer Frauen eindeutig überfordert, Gleichzeitig wird seine Rolle in der subtilen Darstellung von Leon Haller, Clara Liepsch und Lia von Blarer aufgeteilt. Die recht kahle Bühne wird von einem kleinen Garten etwas lebendiger gemacht, in dessen Mitte der Cellist sitzt und spielt. Platonow sinniert über intellektuelle Frauen, die ihn nicht befriedigen. „Du bist ein großer Mann, doch vom Leben verstehst du nicht viel“, wird ihm vorgeworfen. Die Frauen haben ungeduldig auf ihn gewartet: „Wo bleibt Platonow?“ Gleichzeitig streitet man sich in heftiger Weise um geliehenes Geld. Die Beziehungen verkümmern: „Wo sind die Menschen?“ Tschechows „Platonow“ ist im Original  ein Stück in vier Akten, das mehr als 20 Personen versammelt.


Clara Liepsch. Foto: Björn Klein

Die Aufführung würde in ungekürzter Form etwa sieben Stunden dauern. Klemens Hegen hat diesen Text in seiner Kurzfassung erheblich zusammengestrichen. So dauert das Stück hier nur eine Stunde und zwanzig Minuten. Es werden andere Akzente gesetzt. Im Original wird der Lehrer Platonow zuletzt von einer eifersüchtigen Frau erschossen. Auch diese Version ist bei Hegen gestrichen worden. Die Protagonisten liegen am Schluss nur wie erschlagen am Boden und rechnen geradezu stoisch mit ihrem eigentlich verpfuschten Leben ab: „Gebt mir Wasser!“ Dekadenz, Verschuldung und sinnentleerter Zeitvertreib nehmen immer drastischere Formen an. Das arbeitet Klemens Hegen in seiner Inszenierung gut heraus und die Schauspieler folgen seinen Intentionen überzeugend.


Leon Haller, Lia von Blarer. Foto: Björn Klein

Aber es gibt in der Inszenierung auch Schwachstellen, die sich nicht so einfach kitten und überspielen lassen. So kommt beispielsweise das Beziehungsgeflecht zwischen den Protagonisten zu kurz, besser gelingt dem Regisseur deren triste Kommunikationslosigkeit: „Wo sind die Menschen?“ Die Langeweile nimmt auch gefährliche Züge an: „Wenn du nicht willst, nehm‘ ich dich mit Gewalt!“ Die Frauen Anna und Sofja verirren sich ins Leere, können den orientierungslosen Platonow seelisch nicht auffangen. Doch die Frauen wehren sich: „Ich bin zu kostbar für ein kleines Abenteuer...“ Gleichzeitig kommt es zu verwirrenden Geständnissen: „Ich liebe dich„. Bei dieser Inszenierung zeigen vor allem die beiden jungen Schauspielerinnen ungewöhnliches darstellerisches Talent, das sehr entwicklungsfähig ist. Der realistische Symbolismus Tschechows bleibt bei der Inszenierung aber immer erkennbar, könnte aber bei einigen Passagen noch deutlicher sein.

Leo Tolstoi hat Tschechow immerhin als den russischsten der Russen bezeichnet, was gerade bei diesem melancholischen Stück offenkundig ist. Die Live-Musik von Hannes Buder unterstreicht diese Intention. Es gab auch „Bravo“-Rufe und freundlichen Beifall.

Alexander Walther        


ST. MARGARETHEN/ Römersteinbruch: DIE ZAUBERFLÖTE – ein Jungbrunnen der Phantasie. Festspielpremiere

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Foto: Andreas Tischler/ Arenaria

St.Margarethen-Römersteinbruch: MOZART’S „ZAUBERFLÖTE“-EIN JUNGBRUNNEN DER PHANTASIE (10.7.2019)

Wagemut gehört dazu, im Römersteinbruch Mozart’s „ Zauberflöte “ aufzuführen. Denn so populär die Geschichte von Tamino und Pamina auch sein mag – die letzte Oper Mozart’s ist nicht nur Volksstück, sondern auch Opera Seria, Freimaurer-Oper  und „Vehikel“ der Aufklärung. Und an diesem „Mix“ sind schon Viele gescheitert. Nun: die Premiere an einem milden Sommerabend (live von ORFIII übertragen) war ein durchschlagender Erfolg, sozusagen ein „Jungbrunnen der Phantasie“. Und ein Beispiel für die Bereitschaft des Publikums, Neues zu akzeptieren. Da fehlen die Bären, Löwen oder Zebras, die üblicherweise Begeisterung auslösen, stattdessen flattern weiße Tauben oder krächzen schwarze Raben;  eine Riesen-Mulde mit Sternen-Kugeln verwandeln sich in eine Schlangen-Brut, die Feuer- und Wasser-Probe ist filmreif; zu allem  ist Papageno mit einem Jung-Schauspieler besetzt, der offenbar keinerlei gesangliche Ausbildung hat. Und mit dem Libretto  von Emanuel Schikaneder wird sehr frei umgegangen. Ja beim Hauptschlager „Ein Mädchen oder Weibchen“ hilft die 80jährige Papagena sogar beim Singen aus.

Jedenfalls kann der neue künstlerische Leiter von Margarethen Daniel Serafin mit dem Engagement von Cornelius Obonya und Carolin Pienkos für Regie und Raimund Bauer  fürs Bühnenbild sehr zufrieden sein. Und auch das musikalische Niveau ist hochkarätig! Der aus Schleswig-Holstein stammende Dirigent Karsten Januschke legte – gemeinsam mit der Budapester Philharmonischen Gesellschaft und Philharmonia Chor Wien(Leitung Walter Zeh) – das komplexe Werk sehr straff, sehr zügig an und meisterte souverän die „Chöre der Eingeweihten“. Das Ensemble kam aus aller Welt: die mit einer Traum-Robe (Gianluca Falaschi) als Eidechsen-Libelle erscheinende „Königin der Nacht“-Danae Kontora-stammt aus Griechenland. Ihre „sternflammenden Koloraturen“ griffen auf das Arsenal der „rising stars“ zurück. Ebenso  ihr Gegenspieler Sarastro – Luke Stoker – ein Australier. Tamino – mit heldische Attitüde – kam aus Deutschland: Attilio Glaser! Pamina – Ana Maria Labin wurde in Rumänien geboren und beeindruckte besonders mit der großen „Trauer-Arie“. Und Papagena – Theresa Dax : sie war die einzige Österreicherin in der Solisten – Premieren-Besetzung; und  beeindruckte mit Stimme ebenso wie mit ihrem komischen Talent. Monostatos – Keith Bernard Storum – verfügt nicht nur als Monostatos über eine dunkle Hautfarbe. Und ausgezeichnet die Drei Damen (Elizabeth Reiter, Nina Tarandek und Marie- Luise Dreßen), die Drei Knaben (Christian Ziemski, Moritz Strutzenberger und Lorenz Laus) und die Priester (Uwe Schenker Primus und Michael McCown).


Theresa Dax, Max Simonischek. Foto: Andreas Tischler/ Arenaria

Und wie kam Papageno an: Max Simonischek – an ihm schieden sich die Geister. Er ist wohl ein „cooler Typ“ vielleicht zu „norddeutsch“ aufgezogen, aber er kann wirklich nicht singen (was für Schikaneder übrigens nicht  zutrifft). Als Einzel-Experiment mag die neue Zauberflöte bestehen. Als Dauerlösung empfehle ich sie nicht. Es müsste doch einen jungen Michael Heltau geben! Aber was solls? Margarethen hat Mut bewiesen – trotz hölzerner Chorführung und problematischer Papageno-Besetzung; und  es hat mit dem Wetter Glück gehabt. Und Bitteschön – es gab ein Feuerwerk noch vor Mitternacht..

Peter Dusek

NÖ / Gutenstein: BRÜDERLEIN FEIN

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NÖ / Raimundspiele Gutenstein:
BRÜDERLEIN FEIN
von Felix Mitterer
Uraufführung
Premiere: 11. Juli 2019,
besucht wurde
die Generalprobe

 

 

 

 

 

Wer schreibt derzeit noch Stücke in Österreich? Handke längst nicht mehr, die Jelinek nur, wenn sie politisch wieder einmal etwas aufregt. Die „Oldies“, Turrini und Mitterer, sind noch unterwegs. Unter den „jüngeren“ ist Daniel Kehlmann der konventionellere, Schmalz und vor allem Palmetshofer ziehen einem Teil des Publikums den Nerv. Wem erteilt man einen Stückauftrag? Dass Andrea Eckert, als sie für ihre Gutenstein-Festspiele ein Stück über Ferdinand Raimund plante, auf Felix Mitterer zukam, war sicher grundlegend keine schlechte Entscheidung. Er hat, im Gegensatz zu anderen, seine Humanität – eine große Raimund-Eigenschaft, seiner „Menschenfeindlichkeit“ zum Trotz – schon vielfach unter Beweis gestellt. Und seine Bereitschaft, Biographisches aufzuarbeiten (von Leo Reuss über Mozarts Weberische bis Jägerstätter), auch.

„Brüderlein fein“ also, als Uraufführung bei den diesjährigen Raimund-Spielen in Gutenstein. Zu Beginn gibt es eine schöne, stimmige Idee: Mitterer schickt Nymphe und Fee aus, um – teilweise in Raimunds Worten – einem Menschen besondere Gaben zu verleihen, und Ferdinand Raimund ist der Erwählte. Leider war’s das dann mit der Poesie und zwar total. Sie kommt den ganzen Abend nicht mehr vor. Das „Raimund’sche“ liegt in der Folge gefesselt danieder.

Denn Ferdinand Raimund begegnet dem Publikum von Anfang an als vollmundiger Wiener Prolet, der meist herumschreit und herumtobt und eigentlich nichts an sich hat, was sein „Genie“ glaubhaft machte. Im ersten Teil, der eine Stunde dauert, werden überhaupt nur Raimunds Frauengeschichten erzählt: die „reine“ Liebe zur Kaffeehaus-Besitzers-Tochter Toni Wagner, die Verführung durch die „böse“ Luise Gleich, dazu kommt noch Therese Krones, ohne Profil zu gewinnen (schon gar nicht das der berühmtesten Darstellerin ihrer Zeit). Daneben wird klar, dass dieser Ferdinand Raimund unter falschen Voraussetzungen (sich selbst als Tragiker sehend) Schauspieler werden will (der Fluch des Vaters hallt schauerlich aus dem Hintergrund). Dass er auch einer der größten Dichter seiner Zeit würde – nein, davon ist noch nichts zu ahnen.

Das muss Mitterer in einen ganzen zweiten Akt stopfen, der ihm natürlich schwerer fällt, denn Liebesgeschichten und missglückte Heiratssachen sind leichter darzustellen als dichterische Prozesse. Der Autor von heute versucht es mit Lazzi, was nicht ohne Berechtigung ist – eine Probe zum „Barometermacher“ soll zeigen, wie ernst Raimund sein Dichtertum nimmt; reine Blödelei, wenn vorausgesetzt wird, dass der „Diamant des Geisterkönigs“ bei den Proben improvisiert wurde. Wenn Raimund dabei einen Hund hechelt – da kann das Publikum einmal herzlich lachen, zu lachen hat es ja sonst bei dem grimmigen Leichenbitter, der da auf der Bühne erzählt wird, nicht viel.

Apropos Hund – damit auch Raimund / Hund / Tollwut klar wird, schleppt er oft einen Stoffhund mit sich, ganz so einfach war es ja nicht… macht nichts, Vereinfachung ist das Prinzip hier, es geht wohl nicht anders.

Weiter im Zeitraffer durch das Leben des Künstlers, wobei der Rückzug nach Gutenstein natürlich eine große Rolle spielen muss (gespielt hat, fraglos) – der „Bauer als Millionär“ mit dem titelgebenden „Brüderlein fein“, schon ist man, mit einem Stückchen Rappelkopf-Monolog bei der Menschenfeindlichkeit des Dichters (schwer zu sagen, ob ein nicht total Raimund-fittes und –gebildetes Publikum da auch immer weiß, worum es geht).

Und dann reicht es Mitterer schon, der Reizname „Nestroy“ irrlichtert ein wenig (das hat er sich aus dem „Amadeus“ von Peter Shaffer abgeschaut, warum nicht), und schon sind wir bei Tollwut, Hobellied, zupft mich der Tod einst mit Verlaub, Schuß aus der Pistole, da leg ich meinen Hobel hin. Das war’s.

Im Zeitraffer Stationen eines Lebens abgeklappert, beiläufig darüber gewischt, kaum etwas vertieft, Klarheit kaum angesagt, Effekt eher – vielleicht wirken darum die sinnlosen, „pointierten“ Aktionen (die Fahrt mit der Kutsche) als Lacher – hier muss man nichts verstehen.

Was natürlich auch mit der Entscheidung der Regisseurin Nicole Claudia Weber zu tun hat, einfach auf laut, grob und schnell zu setzen, wir leben in unruhigen Zeiten, ein Smartphone-Publikum (ist es das Gutenstein-Publikum?) will es so genau nicht mehr wissen, Hauptsache, die vielfältigen Reize schlagen einander tot. Was man am Ende davon gehabt hat, ist heutzutage nicht mehr die Frage. Intendantin Andrea Eckert hat (wie auch schon mit ihren früheren Entscheidungen für Gutenstein) an den Zeitgeist flott angeschlossen – statt vielleicht, im Sinne Raimunds, ein wenig inne zu halten.

Im übrigen wirkt die Aufführung – sieben Darsteller und eine Ausstattung (Vanessa Achilles-Broutin), die beiläufig und stimmungslos ein paar Accessoirs hin- und herschiebt – , als sei sie auf „billig“ konzipiert. Die Frage, ob der optische Aufwand (gepaart mit Ideen) da nicht dazu gehört hätte, schwebt im leeren Raum. Dafür gibt es viel Geräusch – und Tommy Hojsa wandert diskret herum und drückt von Zeit zu Zeit seine Harmonika.

Raimund, der sicher auch Choleriker, aber doch eine sehr sensible Seele war, gewinnt in der Gestalt von Johannes Krisch den Umriß eines ordinären Vorstadt-Rüpels, mehr noch, die meiste Zeit verzerrt der Darsteller – Brüllen ist hier sein Naturell – dessen Gesicht zur Fratze. Das mag die zeitgemäße Art sein, auf die Vergangenheit zu blicken – ob man damit dem Menschen, um den es geht, Gerechtigkeit widerfahren lässt, sei dahingestellt. Dass Krisch eine hektische Virtuosenleistung liefert, die er sich auf sich selbst zugeschnitten hat, ist fraglos, dass ein Publikum, das Schauspieler liebt, dies zu würdigen weiß, ist auch klar.

Die Damen huschen herum: Anna Rieser will der Toni die Ecken und Kanten der lieben, aber im Grunde verständnislosen Frau geben, Larissa Fuchs tobt die Luise sehr sexy (und hat am Ende noch einen schönen Auftritt als gebrochene Frau), Lisa Schrammel ist da, ohne auch nur ansatzweise die Idee zu vermitteln, die Krones zu sein.

Die anderen, die Herren Gerhard Kasal, Reinhold G. Moritz und Eduard Wildner, sind Funktion in verschiedenen Rollen, wobei an der Person des Fürsten Kaunitz ein bisschen vom abgründigen Biedermeier eingearbeitet werden soll (das sonst – Metternich, die Zensur, vor der sich der Dichter Raimund so fürchtete – draußen bleibt).

Was würde Ferdinand Raimund, wenn er denn im Gutenstein-Himmel auf einem Baum sitzt, zu diesem Zerrbild seiner selbst sagen? „Danke, lieber Alpenkönig Mitterer, ich hab’ mich erkannt“? Wir wissen es nicht. Jeder muss sein eigenes Urteil darüber fällen, wie gelungen – oder nicht – dieser Versuch ist, dem Dichter nahe zu kommen…

Renate Wagner

 

STUTTGART/ Staatsoper: NORMA von Vincenzo Bellini

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Yolanda Auyanet (Norma). Foto: Martin Sigmund

Vincenzo Bellinis „Norma“ am 11.7.2019 in der Staatsoper/STUTTGART

Norma ist nicht Medea

 Jossi Wieler und Sergio Morabito betonen in ihrer großräumigen Inszenierung von Bellinis „Norma“ die konsequente Wiederherstellung der Frauenherrschaft. In der Priesterin Norma, die ihren Göttern dient und dennoch nicht keusch leben will, zeichnet Bellini in glühenden Farben das aufwühlende Doppelleben einer extrem liebesfähigen Frau. Sie hat sich ihren Herrschaftsbereich aber auch wieder selbst angeeignet und ist mitsamt ihren Kindern in den Tempel eingezogen. Als geistliche Autorität gibt Norma ihrem unterdrückten Volk Orientierung. Gleichzeitig gibt es ein geheimes Liebeseinverständnis mit Pollione, das dieser bricht, als er sich rettungslos in Adalgisa verliebt. In ihrer Seelenqual vertraut diese der Oberpriesterin ihre Liebe an. In wilder Rache will Norma zuerst ihre und Polliones Kinder töten, was die Inszenierung in grellen Bildern einfängt. Bei dem Versuch, Adalgisa gewaltsam aus dem Tempel zu entführen, wird Pollione ergriffen. Norma befiehlt einen Holzstoß zu errichten für eine Priesterin, die ihr Land und ihre Götter verraten hat. Doch sie nennt nicht Adalgisas Namen, sondern ihren eigenen. Dann wird sie zur Hinrichtung geführt. Dies alles wird in der Inszenierung nur angedeutet (Bühne und Kostüme: Anna Viebrock; szenische Leitung der Wiederaufnahme: Anika Rutkofsky). Es gibt immer wieder Bezüge zur modernen Welt – vom Telefon bis zum Ausziehbett. Auch wenn mystische und metaphysische Momente bei dieser Interpretation weitgehend fehlen, ist die Personenregie umso glaubwürdiger. Man begreift vor allem in der überzeugenden Darstellung der ausgezeichneten spanischen Sopranistin Yolanda Auyanet, dass Norma die besondere Würde einer Göttin besitzt, während sie bei der Schauspielvorlage von Alexandre Soumet nur kriminalisiert wird. Gleichzeitig machen Jossi Wieler und Sergio Morabito deutlich, dass Norma nicht Medea ist. Ihre Rache ist nicht so gnadenlos, sie ist zu einem grenzenlosen Selbstopfer bereit, das das Volk zunächst erschüttert und dann umso wütender zurücklässt. Die Kraft und Macht der Massen-Rebellion sticht bei dieser Inszenierung in überaus mitreissender und atemloser Weise hervor. Unter der feurigen Leitung des jungen italienischen Dirigenten Giacomo Sagripanti musiziert das Staatsorchester Stuttgart mit Esprit und Grandezza, Bellinis Tonsprache spricht hier mit tausend Zungen, die die grenzenlosen menschlichen Leidenschaften höchst lebendig werden lassen. An den Seiteneingängen treten zudem die Blechbläser auf und geben der Inszenierung ein seltsames militärisches Gepräge. Man spürt dabei, wie stark dieses Werk beispielsweise Giuseppe Verdi beeinflusst haben muss. Den ekstatischen Aufschwung des Gebets von „Casta Diva“ lässt Yolanda Auyanet in leidenschaftlichen Kantilenen aufblühen – und in der Cabaletta beschwört          

sie in höchst bewegender Weise ihren Ehebund mit Pollione. Den Gegensatz zwischen Gebet und Cabaletta zeichnet Yolanda Auyanet mit ebenmäßigem Timbre und bis ins Grenzenlose aufsteigenden Spitzentönen nach. Der Zauber des Belcanto offenbart sich jedoch auch bei der berührenden Verkörperung der Adalgisa durch die überaus emotional agierende und exzellent singende Diana Haller. Verminderte Intervalle und chromatische Durchgänge der Partitur werden dann in den höchsten Verzweiflungsmomenten in packender Weise umgesetzt. Eine zentrale Rolle spielt dabei der hervorragende Staatsopernchor Stuttgart (Einstudierung: Bernhard Moncado), der die Bühne immer wieder in geradezu umfassender Weise beherrscht.  Der strahlkräftige Tenor Massimo Giordano beschwört als Pollione seine seelische Zerrissenheit immer glaubwürdiger, um dann am Schluss die überlebensgroße Präsenz dieser Figur zu betonen


Massimo Giordano (Pollione). Foto: Martin Sigmund

Giacomo Sagripanti besitzt ein besonderes Gespür für die überhitzte Tonsprache Bellinis, die Gesangskultur und Virtuosität der Sänger wird dadurch in erheblicher Weise verstärkt und beschleunigt. Liang Li stellt Oroveso als Oberhaupt der Druiden mit sonorem Bass dar, während Regina Friedek als Normas Vertraute Clotilde und Daniel Kluge als Polliones Freund Flavio interessante Rollenporträts liefern. Als Normas und Polliones Kinder sind ferner Katarina Tomic und Konstantin Vogel zu sehen.

Jubel, frenetischer Beifall.  

Alexander Walther

GYÖR/ Ungarn: Ein Jubiläumsjahr für das Györi Balett  – mit aller Hingabe an den Tanz

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Ein Jubiläumsjahr für das Györi Balett  – mit aller Hingabe an den Tanz (Juli 2019)


Foto: Györi Ballet/Tamavölgyi Zoltán

Györ, die alte Festungsstadt der Habsburger am halben Weg zwischen Wien und Budapest, ist eine Schulstadt mit regem kulturellen Leben. Und hat sich als ein Zentrum in Ungarn für klassischen, modernen wie folkloristischen Tanz etabliert. Mehrer Jubiläen werden in diesem Kontext heuer gefeiert. Mit einem noch nicht ganz bewältigtem Problem: Im 1976 als Mehrspartentheater erbautem stattlich aufragenden wie geräumigen Nationaltheater Györ – teils von Victor Vasarely modern gestylt – muss im Frühjahr des nächsten Jahres der Spielbetrieb komplett umstellt werden, da das Gebäude entweder renoviert werden soll oder gar einem Neubau weichen muss. So oder so, offensichtlich scheint vorläufig noch beides offen zu sein.

Das kulturelle Aushängeschild der Stadt ist das renommierte Györi Balett (oder auf Tournee: Ballet Company of Györ). Gegründet wurde es 1979 vom charismatischen, auf Stil und Perfektion achtenden Ivan Marko, zuvor ein Solotänzer in Maurice Béjarts Ballet du XXe siècle, der sich auch als Choreograph international zu profilieren vermochte. Die Kompanie feiert nun in der kommenden Saison ihr vierzigjähriges Bestehen. Ein Wegbegleiter als Tänzer im Ensemble von der ersten Stunde an war Janos Kiss , der nun als verantwortlicher Direktor mit viel Energie und psychologischem  Geschick das Györi Balett zu einer international gastierenden und auch mit internationalen Tänzern besetzten Kompanie geformt hat. Janos Kiss: „Wir sind in vier Jahrzehnten gewachsen, wachsen mehr und mehr, haben in unserer Stadt den richtigen Weg zu einem eigenständigen Kulturleben gefunden. Aufschwung ist gegeben, das Renomee ist gestiegen.“ Auch Sponsoren helfen mit. Wie etwa die Automarke Audi Hungaria, welche in Györ eine große Fabrikationstätte betreibt.  

Die stilistische Ausrichtung der Kompanie ist in erster Linie auf eine Balance zwischen Klassik und Moderne ausgerichtet. Basierend auf klassischer Ausbildung wird auf ein zeitgenössisches Tanztheater hingearbeitet, welches nicht nach Extremen sucht, sonder in einer moderat modernen Tanzsprache psychologisch sublime Erzählungen zu vermitteln vermag. Der künstlerische Leiter László Velekei ist ein Meister in solch einer Feinarbeit. Und mit einer von ihm choreographierten neuen Version von „Anna Karenina“ wird im November die Jubiläumsgala zelebriert. Dazu feiert Janos Kiss seine nun schon ganze drei Jahrzehnte andauernde Verantwortlichkeit als Direktor, unermüdlicher Motor, Ideenbringer für die Kompanie (und feiert noch einen runden Geburtstag dazu).  

Das heuer im Juni zum 15. Mal durchgeführte, auch international ausgerichtete Magyar Tánczfesztivál, das große Ungarische Tanzfestival, hat sich vor einem dankbaren Publikum erneut als großer Erfolg erwiesen. Und eine Kostprobe aus Györ wird am 21. Juli bei der Ballettgala des „8. Vienna International Arts Festival“ im Wiener MuTh-Theater neben anderen arrivierten Solisten serviert: Luigi Jannone und Eszter Adria Herkovics tanzen den modernen Pas de deux „Piano Plays“ von László Felekei auf Klaviermusik von Franz Liszt.   

Meinhard Rüdenauer

STUTTGART/ Staatsoper: NORMA. Wiederaufnahme

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Yolanda Auyanet (Norma), Massimo Giordano (Pollione) und Diana Haller (Adalgisa). Foto: Martin Sigmund

Stuttgart: „NORMA“ 11.7. (Wiederaufnahme) – mit neuen Kräften

Seit der Premiere im Juni 2002 maßgeblich geprägt von Catherine Naglestad in der Titelrolle und nach ca. 60 Vorstellungen erfolgter Streichung dieser Partie aus ihrem Repertoire schien eine Wiederauflebung der Inszenierung von Jossi Wieler und Sergio Morabito kaum mehr denkbar bzw. galt sie als abgespielt. Umso größer nun die Überraschung, dass mit der ersten der drei vom ehemaligen Operndirektor und seinem Chefdramaturgie-Partner entworfenen Bellini-Opern doch nochmals ein neues Kapitel aufgeschlagen wurde, und auch die Freude über die Feststellung, dass das szenische Konzept stark genug ist, um auch ohne ihr bisheriges Kraftzentrum auszukommen.


Yolanda Auyanet (Norma) mit Staatsopernchor. Foto: Martin Sigmund

Die Verlegung der Handlung in den Zweiten Weltkrieg, genauer gesagt in die Zeit der Resistance der Franzosen gegen die deutschen Besatzer, liegt zwar fern von der originalen Bekämpfung zwischen den Galliern und belagernden Römern, doch der zentrale Konflikt Normas  behält auch in dieser veränderten Konstellation und dank der ausdrucksintensiven Personenregie seine Gültigkeit. Nicht zuletzt ist es aber auch Beweis, wie sich die neue Titelinterpretin Yolanda Auyanet  in musikalischer und gestalterischer Hinsicht behauptet. Die aus Gran Canaria stammende Sopranistin gebietet über eine natürliche, auch in extremen Momenten unaufgesetzte Ausstrahlung und hat diesen vokalen Belcanto-Prüfstein sicher und zuverlässig  in Körper und Kehle verankert. Sie muss nie zu irgendwelchen Tricks greifen oder Schwächen durch stilfremde Anleihen kaschieren, ist der anstrengenden Partie in allen Gefühlslagen mit vielen Tonsprüngen, den langen Bögen der melodie lunghe, den Koloraturen, aber auch den Kontrasten zwischen Innigkeit und Attacke gewachsen. Auch ohne ein beim ersten Hören speziell auszumachendes Timbre-Charakteristikum gelingt es ihr Norma Kontur und führende Kraft zu verleihen, sie zum Mittelpunkt des Geschehens zu machen. Bei noch zunehmender Intensität dürften mit ihr noch nachhaltig effektivere und erinnerungswürdigere Vorstellungen möglich sein.

Wobei es ihr die Adalgisa von Publikumsfavoritin Diana Haller nicht leicht macht, doch die kroatische Mezzosopranistin drängt sich bei aller Potenz nie in den Vordergrund, ist ihr in den Duetten eine kollegial mitziehende Partnerin. Dennoch übertrifft sie sie in der Feinheit atemtechnischer Phrasierungskunst, kombiniert spannungsreich helle und dunkle Stimmfarben in der Offenbarung ihres Gefühls-Zwiespalts und durchmisst die breite Tonskala von einer gesättigten Tiefe bis zum strahlend den Raum erfüllenden Höhenregister ohne jegliche Anstrengung und Trübung. Dazu macht sie aus ihrem Temperament in der Auseinandersetzung mit dem zuerst verehrten und dann verachteten Pollione auch körperlich keinen Hehl.

Diesen zwischen den beiden Frauen stehenden Pollione interpretiert Massimo Giordano mit attraktiver Erscheinung und immer wieder spürbar zum Platzen neigender Aggressivität als glaubhaften Frauenhelden, der erst unter vehementen Drohungen Reue zeigt. Für seinen sehnig dunklen Tenor ist der heldisch angelegte Part kein Grenzgang, allerdings dürften ihm die flotten Tempi des Dirigenten sehr entgegen kommen, weil er eher über Details hinweg huscht als dynamisch damit zu spielen. Der auf Dauer etwas einsilbige Vortrag passt indes genau zum Charakter Polliones. Dennoch schien der Tenor seine Vorzüge als Cavaradossi im letzten Winter vor Ort idealer zur Geltung gebracht haben.

Eine sichere Bank ist Liang Li als Oberhaupt Oroveso, sowohl in der Verschmelzung seines Basses von sämigem Belcanto-Wohllaut mit autoritärer Strenge als auch im szenischen Profil. Der Moment der Abführung seiner Tochter zur Hinrichtung kostet auch ihn einige Tränen, obwohl er sich trotz ihrer letzten Bitten vehement von ihr losgesagt hat.

Regina Friedek ist eine agile, mit ansprechendem Sopran ausgestattete Vertraute Clotilde, Daniel Kluge mit strengem (wie wohl ausdrucksvollem) Tenor als Polliones Gefährte Flavio der einzige „Fremdkörper in diesem Belcanto-Umfeld. Katarina Tomic und Konstantin Vogel erhöhten als spielerisch einbezogene Kinder Normas die Drastik ihrer Situation.

Es fällt immer schwerer noch andere Worte des Lobes über den Staatsopernchor Stuttgart  zu finden, und so soll an dieser Stelle zusammengefasst vermeldet sein, dass hier situationsgemäßer Ausdruck und die Ansprüche eines edel kultivierten Belcanto-Klanges vorbildlich miteinander verknüpft werden (Einstudierung: Bernhard Moncado).

Neu am Pult und erstmals im Haus der noch junge Italiener Giacomo Sagripanti, der gleich mit der Ouvertüre die Gangart des Abends vorlegte: überaus zügige, in langsamen Abschnitten fast zu rasche Tempi, aber doch mit aller Rücksicht auf begleitende Nuancen und klaren rhythmischen Impuls sowie exakten Einsätzen nicht nur für das sich klangreich entfaltende Staatsorchester Stuttgart, auch für die Bühne. Das Ergebnis war eine wackelfreie Wiedergabe wie aus einem Guss mit hinreichend gesteigerten Höhepunkten, die mit lautstarker Begeisterung gewürdigt wurde.

 Udo Klebes

ZÜRICH/ Opernhaus: ELEKTRA. Herlitzius, Meier, Fischesser – Philharmonia Zürich – Simone Young (Leitung)

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Zürich: Opernhaus – Richard Strauss «Elektra» – Herlitzius, Meier, Fischesser – Philharmonia Zürich – Simone Young (Leitung)    – Besuchte Aufführung 11. Juli 2019


Foto: Michael Hug

Besser geht fast nicht mehr …

Bereits nach den ersten drei Akkorden lässt sich erahnen: Das wird ein grosser Theaterabend! Und so ist es: Was die Sängerinnen, Sänger und die Philharmonia Zürich unter der Leitung von Simone Young hier bieten, ist musikalisch absolut outstanding! Da gerät die düstere und mittlerweile etwas in die Jahre gekommene Inszenierung von Martin Kusej – trotz der Sambatänzer am Schluss – noch so gerne in den Hintergrund; gut so.

Simone Young führt die SolistInnen und das Orchester kraftvoll und dennoch fein differenziert durch den Abend. Die Aufführenden können sich auf der Bühne voll und ganz ausleben und werden dabei durch die Philharmonia Zürich tatkräftig unterstützt; zuverlässig und präzis gibt die Dirigentin die Einsätze. Trotz grosser und zuweilen kräftiger Klangbogen werden die Sängerinnen und Sänger nie vom Orchester überdeckt. Äussert sensibel und feinfühlig arbeiten Dirigentin Young und das Orchester sowohl die anrührenden Stellen als auch die üppigen Klangfluten der Partitur heraus.

Das spannungsgeladene, mitreissende Dirigat wird von allen Personen auf der Bühne noch so gern aufgenommen und mit Leidenschaft umgesetzt. Zu Beginn zeigen die fünf Mägde Judith Schmid, Deniz Uzun, Irène Friedli, Hamida Kristoffersen, Natalia Tansaii und Aufseherin Marion Ammann, was Sache ist. Auch die Vertraute Justyna Bluj und die Schleppträgerin Yuliia Zasimova – beide Künstlerinnen kommen übrigens, wie Natalia Tansaii auch, vom Internationalen Opernstudio – wissen mit ihren jungen, frischen Stimmen zu gefallen.

Nicht selten sind die Kleinstrollen des jungen und des alten Dieners nur unbefriedigend besetzt. Gerade beim «jungen Diener» mögen die Sänger oftmals nicht zu überzeugen. Diese Kürzestrolle hat es aber auch ganz schön in sich! In Zürich sind die beiden vortrefflich besetzt: Iain Milne meistert die tenorale Achterbahn des jungen Dieners souverän, so, als wäre das gar nichts, Richard Walshe, ebenfalls vom Opernstudio, macht mit seiner sehr gepflegten und umsichtig geführten Bassstimme auf sich aufmerksam. Ein weiteres Mitglied des Opernstudios begeistert als der Pfleger des Orest: Alexander Kiechle liefert den Beweis, dass mit den Bässen der Züricher Sängerschmiede zu rechnen ist.

Aegisth ist bei Michael Laurenz in allerbesten Händen, ein Highlight für sich bildet Christof Fischesser als Orest. Eine Chrysothemis voller Leidenschaft bietet Tamara Wilson. Mit ihrer strahlenden, kräftigen Sopranstimme holt sie Elektras Schwester aus dem vermeintlichen Schattendasein heraus und macht ihre Botschaft deutlich erlebbar.


Christof Fischesser, Waltraud Meier, Evelyn Herlitzius, Simone Young (Foto: Michael Hug)

Ein weiterer Glücksfall ist Waltraud Meier als Klytämnestra. Die grossartige Sängerin verleiht der Rolle das Profil einer halb wahnsinnigen, verzweifelten Frau, welche durchaus noch Gefühle für ihre Tochter – und wäre es die da … – hegt und entsprechend unter deren Rückweisung leidet. Frau Meier gestaltet die Rolle mit fein differenziertem Gesang und nimmt ihr so das «Knusperhexen-Image». Wunderbar, diese Rolle aus dem Blickwinkel der verletzlichen Frau und Mutter zu erleben!

Für mich zählt sie gegenwärtig zu den grössten und bedeutendsten Sängerinnen für das deutsche Fach: Evelyn Herlitzius. Steht die zierlich wirkende Sängerin auf der Bühne, verschmilzt sie in jeder Beziehung mit ihrer Rolle und lässt sie nicht mehr los, bis der Vorhang fällt. Das macht diese grossartige Künstlerin in jeder Rolle, welche sie verkörpert, so ergreifend und einzigartig – ganz egal, ob sie als Brünnhilde, Isolde – oder eben wie heuer in Zürich als Elektra zu erleben ist. Sie bleibt nichts schuldig und zieht mit ihrer grossen Darstellungskunst und grossartigem Gesang, mit welchem sie sich scheinbar mühelos gegen die Wogen aus dem Orchestergraben durchsetzt, das Publikum in ihren Bann. Ihre Elektra ist leidenschaftlich, wild verzweifelt und doch flammt immer wieder ein Fünkchen Hoffnung auf. Trotz grosser Leidenschaft führt Evelyn Herlitzius ihre Stimme kontrolliert – auch die hohen Töne sind gesungen und nicht geschrien. Geschickt teilt die Sängerin ihre Kräfte ein und kann die Titelpartie von der ersten bis zur letzten Note ohne die geringste Müdigkeitserscheinung durchziehen. Was für eine Sängerin!!!

Grosser, lange anhaltender Applaus für alle Aufführenden eines ausserordentlichen Opernabends!

Michael Hug

 

 

SOFIA: TRISTAN UND ISOLDE und PARSIFAL. Kurzberichte

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„Tristan und Isolde“ Finale – König Marke mit Brangäne, bei Tristan und Isolde, Foto: Svetoslav Nikolov

SOFIA: Kurzbericht TRISTAN UND ISOLDE sowie PARSIFAL – WA 10. und 12. Juli 2019

Das Sommer-Wagner-Festival an der Sofia Opera and Ballet unter der Leitung von Prof. Plamen Kartaloff, dem großen Initiator der Wagnerschen Spätwerke auf dem Balkan, ist dieses Jahr mit Wiederaufnahmen von „Tristan und Isolde“ und „Parsifal“ in seine mittlerweile 7. Runde gegangen. Wieder kamen viele Gäste aus dem Ausland, so eine große Gruppe zum „Parsifal“ heute Abend aus Großbritannien – noch besteht ja Reisefreiheit – und auch wieder das mittlerweile schon berühmte, überaus elegante Ehepaar aus New York, das auch beim Sofioter „Ring“ in Füssen war und ganz begeistert von den Inszenierungen Kartaloffs ist.


„Tristan und Isolde“ 3. Aufzug Tristan und Kurwenal, Copyright: Svetoslav Nikolov

Dieser konnte den international bekannten Dirigenten Constantin Trinks gewinnen, einem Rat seines 2017 leider verstorbenen großen Freundes Richard Trimborn folgend. Was das Orchester der Sofia Opera, ohnehin schon seit Jahren mit der Musik Richard Wagners vertraut, an diesen beiden Abendenleistete, war das weitaus Beste, was ich hier in den letztenJahren gehört habe. Trinks konnte das Orchester zu unglaublicher musikalischer Sensitivität und Transparenz animieren, bei einem praktisch fehlerfreien und äußerst engagierten Vortrag. Der musikalische Teil war neben den beiden einnehmenden und aus der Partitur erarbeiteten Inszenierungen Kartaloffs mit Abstand der beste Teil beider Abende.

Als Tristan wuchs Martin Iliev mit seiner leicht depressiven Aura insbesondere im 3 . Aufzug über sich hinaus. Er spielte nicht nur den Tristan, er  w a r  Tristan mit Leib und Seele. Dazu kam sein klangvoller, besonders für diese schwere Rolle geeigneter Heldentenor. Die eher jugendlich dramatische Sopranistin Radostina Nikolaeva sah als Isolde im 1. Aufzug ihre stimmlichen Grenzen, konnte aber im 2. und erst recht mit ihrem auch emotional beeindruckenden Finale weitgehend überzeugen. Jukka Rasilainen, bewährter Wagnersänger an fast allen großen Häusern, war eine Luxusbeetzung für den Kurwenal und dokumentierte hohe, über lange Jahre gewachsene Gesangskultur. Petar Butchkov war ein etwas zu rauer Marke und Cveta Sarambalieva eine etwas zu spröde klingende Brangäne.


Schlussapplaus „Tristan und Isolde“, Copyright: Svetoslav Nikolov

In der wirklich beeindrucken „Parsifal“-Inszenierung, „auch wenn“ Plamen Kartaloff hier auf einen durchaus konventionellen Interpretationsansatz baut, der in dieser Form im „Westen“ wohl keine Chance hätte zu reüssieren – zumindest nicht bei der Presse -konnte er belegen, dass man Wagners Abschlusswerk, wenn esgut gemacht ist, auch immer noch den Regieanweisungen gemäß inszenieren kann, ohne damit als altmodisch oder gar intellektuell rückständig zu gelten. Hier wird eben einfach mit viel Herz und Liebe zum Stück vorgegangen. Allein schon, wie intensiv Parsifal im 3. Aufzug den Speer behandelt und kaum aus den Händen gibt, war ein – wenn auch nur dezenter – Beleg in diese Richtung. Nahezu genial ist aber Kartaloffs Idee, den Gral als bühnenhohe Kelch-Andeutung mit zwei konisch aufeinanderzulaufenden Segmenten aus der einfachen Drehung dicker Seile zu formen. Im Finale sind diese Lichtsäulen, unter denen Parsifal als neuer Gralskönig mit vom geheilten Amfortas übergebener Krone und erhobenem Speer steht, grell von den um ihn wie die Artus-Runde à la Wieland Wagner im Kreis stehenden Rittern abgesetzt. Ein Schlussbild mit berührender Seltenheit…

Stimmlich war der „Parsifal“ etwas schwächer als der „Tristan“. Kostadin Andreev, optisch ein idealer Parsifal und bewährter junger Siegfried in Sofia, sang mit einem allzu baritonal gefärbten Tenor oft zu tief und mit erheblichen Vokalverfärbungen, bei gleichwohl emotional intensiver Darstellung der Titelrolle. Angel Hristov hat mit seinem prägnanten Bass bei guter Diktion eher eine Hagen-Stimme als die des Gurnemanz, bei der es etwas mehr an samtenem Klang sein dürfte. Gergana Rusekova war als Kundry in der Mittellage durchaus überzeugend, verlor in den Höhen aber jeglichen stimmlichen Klang. Von Diktion konnte da dann auch keine Rede mehr sein. Die Verführung Parsifals gelang ihr dennoch gut, zumal hier auch der Reifeunterschied beider Figuren erlebbar war. Biser Georgievs Stimme scheint nach den vielen Alberichen etwas kleiner geworden zu sein, und es mangelt auch an Resonanz. Darstellerisch war er finster die immer in seinen Bösewicht-Rollen. Der Beste des Abends war jedoch wieder einmal -zumindest für mich – der junge Bassbariton Atanas Mladenov als Amfortas, der ein weiteres Mal seinen klangvollen Bassbariton bei bester Diktion und großem stimmlichem Ausdruck hören ließ. Ein vielversprechendes Talent in Kartaloffs„Wagner-Kader“. Dieser Sänger hat m.E. eine große internationale Karriere vor sich. Auch der wie immer von Violeta Dimitrova einstudierte Chor derSofia Opera and Ballet war an beiden Abenden stimmstak und imposant.


Finale „Parsifal“, Copyright: Svetoslav Nikolov

Das Orchester konnte mich unter der Stabführung von Constantin Trinks an diesem Abend noch mehr beeindrucken als beim „Tristan“. Die so spezifisch erhabene klangliche „Parsifal“-Ästhetik kam zu vollerEntfaltung mit Trinks‘ sensiblem und sängerfreundlichem Dirigat, aber auch bei seiner Akzentuierung dramatischer Momente, wenn niemand mehr auf der Bühne war oder singen musste, wie beispielsweisebei der Verwandlungsmusik im 3. Aufzug. Mit dieser Leitung muss das Sofioter Orchester keinen Vergleich mit ähnlichen Orchestern im „Westen“ scheuen. (Detaillierterer Bericht folgt in Kürze).

Klaus Billand aus Sofia


LUDWIGSBURG/ Seeschloss Monrepos: Klassik Open Air & Feuerwerk „Viva Europa!“

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Klassik Open Air & Feuerwerk „Viva Europa!“ am Seeschloss Monrepos bei den Schlossfestspielen/LUDWIGSBURG (13.7.2019)

Euphorisch und leidenschaftlich

Es war „ein Hexenritt“ der besonderen Art und Klasse. Auch in diesem Jahr musizierten das Orchester des Goethe-Gymnasiums Ludwigsburg unter der Leitung von Benedikt Vennefrohne sowie das Orchester der Ludwigsburger Schlossfestspiele unter der impulsiven Leitung von Pietari Inkinen gemeinsam. Das Motto „Hexenritt“ passte natürlich gleich zum ersten Stück, dem „Hexenritt“ und „Knusperhäuschen“ aus der Oper „Hänsel und Gretel“ von Engelbert Humperdinck. Mit rhythmischer Präzision konnten sich die Motive prachtvoll entfalten. Melodisch hingebungsvoll und einfühlsam spielte das Orchester des Goethe-Gymnasiums unter Benedikt Vennefrohne dann das Andante aus „Loreley“ op. 16 von Max Bruch, während die „Walpurgisnacht“ von Charles Gounod ein inneres Feuer besaß, das nicht mehr zu löschen war. Der feine Nerv der französischen Sprachmelodie wurde von den jungen Musikern genau getroffen.

Bei der überaus rasant musizierten „Karneval-Ouvertüre“ op. 92 von Antonin Dvorak triumphierte der straffe rhythmische Stil in elektrisierenden Staccato-Attacken. Hier musizierte das fulminante Orchester der Ludwigsburger Schlossfestspiele unter der zupackenden Leitung von Pietari Inkinen auch die Rumänischen Volkstänze Sz. 68 von Bela Bartok mit nie nachlassender Inspirationskraft. Äusserste Strenge und Differenziertheit beherrschte bei dieser feinnervigen Interpretation die Klangsprache. Mit atemlosen Tempi wurden außerden die Ungarischen Tänze Nr. 1, 3 und 5 von Johannes Brahms interpretiert, wobei sich die thematischen Verbindungslinien glutvoll zusammenschlossen. Eine aufregende Entdeckung war ferner „Maskerade“ von Carl Nielsen, wo sich die einzelnen Motive wirklich wie hinter Masken verbargen, um dann wieder ganz unmittelbar hervorzuleuchten. Das unheimliche viertaktige Motiv von „In der Halle des Bergkönigs“ aus der „Peer-Gynt-Suite“ Nr. 1 op. 46 von Edvard Grieg erreichte dabei eine immer größere Intensität – und nach der Übernahme der Geigen und Oboen setzte eine große Steigerung ein, die nicht mehr aufzuhalten war. Die Posaunen übernahmen den stampfenden Rhythmus in markanter Art. Von Wilhelm Stenhammar erklang die sinfonische Ouvertüre „Excelsior!“ op. 13 als interessante Entdeckung – und dies insbesondere aufgrund der ungewöhnlichen Streicherbehandlung, deren chromatische Spitzfindigkeiten sich immer weiter emporschraubten.

Das Vorspiel zu Richard Wagners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ gelang Pietari Inkinen mit dem Orchester der Ludwigsburger Schlossfestspiele mit plastischer Klarheit. So wurde die kunstvolle Polyphonie des Stimmgewebes in atmosphärisch reizvoller Weise herausgestellt. Lebensfreude und kraftvoller Gefühlsüberschwang beherrschten diese mitreissende Interpretation. Das lebhaft vorwärtsdrängende Synkopenmotiv ging dann schwungvoll zum zweiten Thema über, der blühenden Liebesmelodie aus Walthers Preislied. Von Edward Elgar erklang der pathetisch musizierte Marsch aus „Pomp and Circumstance“ op. 39, eine Art englischer Nationalhymne. „Eine Nacht in Lissabon“ op. 63 von Camille Saint-Saens spielte facettenreich mit klassizistischen Nuancen, die sich klangfarblich verfeinerten. Ausgezeichnet gelang dem Orchester hier auch die schwärmerische Liebesmelodie mit dem reizvollen Englischhorn-Solo aus der Ouvertüre „Der Römische Karneval“ op. 9 von Hector Berlioz. Zum grandiosen Feuerwerk, das sich in diesem Jahr in tausend Himmelsrichtungen entfaltete, erklang zuletzt das „Capriccio italien“ op. 45 von Peter Tschaikowsky. Das effektvolle Trompeten-Signal stach glanzvoll hervor. Riesenjubel für dieses ungewöhnliche Open-Air-Konzert, bei dem Intendant Thomas Wördehoff seinen Abschied feierte.

Alexander Walther

PLOVDIV/Bulgarien/ Antikes Römisches Theater: RIGOLETTO. Kurzkritik

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Carlos Almaguer. Copyright: Alexander Thompson

PLOVDIV/ Antikes Römisches Theater: RIGOLETTO

Am 14.7. fand vor vollem Haus bei lauer Sommertemperatur in antiken römischen Theater von Plovdiv (dem antiken Philippopolis) im südlichen Bulgarien eine sehr eindrucksvolle open air Vorstellung der „Rigoletto“-Produktion von Acad. Plamen Kartaloff statt, dem Generaldirektor der Sofia Oper und Ballett. Die Inszenierung von Sofia, die u.a. schon vor vielen Jahren in Tokio gezeigt wurde, hatte der Regisseur gekonnt auf die bestechende Optik des einst wieder ausgegrabenen römischen Theaters angepasst, sodass das Bühnenbild von Lyubomir Yordanov mit der antiken Ästhetik bestens harmonierte. Die dazu passenden Kostüme hatte Elena Ivanova entworfen. Paolo Lardizzone, den ich schon als Calaf in Ekaterinburg gehört hatte, sang den Herzog von Mantua mit strahlendem Tenor und spielte ihn äußerst agil. Carlos Almaguer aus Mexiko gestaltete den Rigoletto nicht nur sehr authentisch, sondern sang ihn mit seinem ausdrucksstarken Bariton auch emotional einnehmend. Stanislava Momekova konnte mit einer mädchenhaften Aura und einem wohlklingenden Sopran mit sicher sitzenden Höhen aufwarten.


Paolo Lardizzone. Copyright: Alexander Thompson

Die anderen Künstler waren zunächst nicht zu eruieren, da es keinen Abendzettel gab, und wenn es ihn gegeben hätte, wäre er wohl nur auf Bulgarisch gewesen. Alle sangen und spielten aber wirklich gut und hätten es verdient, in dieser Kurzkritik erwähnt zu werden, ebenso wie das überzeugende Orchester von Plovdiv mit seinem Dirigenten Luciano Di Martino. Dieses liebevoll veranstaltete kleine Opernfestival mit dem Namen OPERA OPEN 2019, das such auch gut im Internet darstellt, sollte für die kommenden Aufführungen vielleicht einen Abendzettel drucken lassen. Man möchte ja schon wissen, wer am jeweiligen Abend in welcher Rolle singt. Plovdiv ist in diesem Jahr immerhin European Capital of Culture, und das Festival beansprucht auch, ein internationales Publikum anzuziehen.


Stanislava Momekova, Carlos Almaguer, Elena Tchavdarova. Copyright: Alexander Thompson

Hier sind nun alle anderen Sängerinnen und Sänger: Duca – Paolo Lardizzone; Sparafucile- Plamen Kumpikov; Maddalena- Kamelia Kader; Giovanna- Elena Tchavdarova-Issa; Monterone- Mihail Jivkov Puliev; Borsa- Boris Kuchkov; Marullo- Avgust Metodiev; Ceprano – Jivko Peychev; Contessa Ceprano- Zwetanka Angelova; Paggio- Blagovesta Kostadinova. (Detaillierte Rezension später).

Klaus Billand aus Sofia

 

 

 

 

MANNHEIM/ Nationaltheater: IL TROVATORE. Musikalisch glanzvolle Premiere

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Irakli Kakhidze (Manrico), Miriam Clark (Leonore), Evez Abdulla (Luna). Copyright. Hans-Jörg Michel


Mannheim:
„IL TROVATORE“ – 13.07. 2019

Musikalisch glanzvolle Premiere !

Giuseppe Verdis „Il Trovatore“ erlebte 1997 szenisch und letztmals 2007 konzertant am Nationaltheater seine Aufführungen, als letzte Opern-Premiere der Spielzeit 2018/19 präsentierte man wiederum eine Neuinszenierung unter Roger Vontobel. Der Schweizer Regisseur fabrizierte hier am Hause bereits eine vom Publikum nicht freudig aufgenommene „Aida“, sodann entfachte sein „Fidelio“ Buh-Orkane der Entrüstung, nun vertraute man dem Regie-Künstler erneut „Il Trovatore“ an welcher vom Auditorium ohne Contra akzeptiert wurde. Vontobel bestückte die Handlung mit noch mehr rätselhafter Symbolik. Als „Trauma“ verband eine Tänzerin überflüssigerweise (Delphina Parenti) pantomimisch die Szenenfolge. Holzpaletten, abstrakte herabhängende Elemente schufen viel Bühnenfreiraum ((Claudia Rohner) für illustrive Schattenspiele und das interessante Lichtdesign (Frank Kraus), lediglich die penetrante Dauer-Bestrahlung greller Scheinwerfer reizten Zuschauer-Augen empfindlich, für evtl. weitere Besuche wäre eine Schlafmaske oder Sonnenbrille von Nöten. Die weniger attraktiven Kostüme kreierte Nina von Mechow.

Hinterließ die Optik recht zwiespältige Eindrücke durfte man dagegen musikalische Komponente vom Feinsten in überwältigender Klang-Akkuratesse erleben, wie man sie allenfalls nur südlich der Alpen zelebriert (ein Besuch wäre unserem GMD dringend anzuraten).  Am Pult des bestens disponierten Orchester des NTM waltete Roberto Rizzi Brignoli, der italienische Gast-Dirigent entlockte dem Instrumentarium Verve, Esprit eine glutvolle „Italiana“, dass es einem schier den Atem verschlug. Des Maestros Zugriff auf Verdis meisterhafte Partitur war geprägt von beherzten Tempi, klarer Transparenz, mediterraner Eleganz und überwältigte die Solisten mit Rasanz während der Arien, Duette, Terzette und Ensembles. Jeder Bewegungsablauf, jede noch so kleine Geste war aus der Musik heraus entwickelt, markant-üppig wirkte die Raumklangästhetik des vortrefflich aufspielenden Orchesters unter der Stabführung Rizzi Brignolis dessen Musizierstil auch den Solisten viel Freiraum zum Atmen ließ, welche sich dadurch bestens formierten und die Ohren mit Belcanto-Vokalise allererster Güte verwöhnten.

Allen voran lieferte Irakli Kakhidze als Manrico eine vokale Glanzleistung und entfachte Beifallsstürme. Es war bis dato eine Freude die stimmliche Entwicklung des georgischen Tenors zu verfolgen, kommt er schließlich aus dem kaukasischen Land in welchem die Künstler auf den Bäumen zu wachsen scheinen. Ob zur Arie, Cabaletta, Stretta oder den pietoso Duetten entfaltete sich das herrliche Timbre des Sängers aufs Wunderbarste und schenkte in Verbindung des prächtigen Höhenpotenzials, der ausgezeichnet-wohlklingenden Mittellage, den strömend schmelzreichen Pianissimo-Passagen,  heißblütigen Minne-Gesang und Tenor-Wonnen par excellence.

Eine Leonora zum Niederknien präsentierte die phänomenale Miriam Clark und bestach mit belkantisch-elitärem Gesang. Herrlich schwebend, überirdisch schön erblühten die strahlenden Höhen aus der phrasierungsreichen Mittellage ihres wunderschönen timbrierten Soprans. Zu bezaubernden Piani, emotionaler Intensität und umwerfender Legato-Kultur portraitierte Clark die unglücklich Liebende geradezu exemplarisch.

Julia Faylenbogen verordnete man eine sehr unvorteilhafte Optik, doch überzeugte die famose Mezzosopranistin mit einer glanzvollen vokalen Leistung. Mit typengerechter Intonation, gutturalen Tiefen, schön timbriertem mezzoforte und bombensicherem Höhenbereich überzeugte die sympathische Sängerin mit einer fulminant interpretierten Azucena.

Der Ansage zum Trotz erwies sich das enorme Stimmpotenzial von Evez Abdulla keineswegs indisponiert. Zum markanten Erscheinungsbild servierte der Sänger einen prachtvollen, strahlkräftigen Verdi-Bariton der Extraklasse. Farbenreich, nuanciert und bestens ausbalanciert bot Abdulla den dynamischen Luna und komplettierte das exzellente Sänger-Quartett.

In dessen Schatten sich keineswegs Bartosz Urbanowicz verstecken musste, keineswegs denn sein bassgewaltiges Volumen, das prächtige Kolorit, das warme Timbre seiner schönen Stimme in Verbindung  packender Charakterisierung des Ferrando ließ keine Wünsche offen.

Dynamisches Feingefühl, vokale Rhythmik, hinreißend schön der Chor der Nonnen, voluminös und beweglich die Herren offerierte der von Dani Juris bestens einstudierte Chor des NTM und repräsentierte kultivierten Gesang auf hohem Niveau.

Mit schönen Stimmen ergänzten die Sänger der kleinen Rollen Ines (Natalija Contrak), Ruiz (Koral Güvener), Bote (Xuecheng Zhang), ein Zigeuner (Daniel Claus Schäfer) das vortreffliche Ensemble.

Fazit: Ein musikalisch spannungsreicher, atemberaubend-delikater festlicher Premieren-Abend wurde vom Publikum mit prasselndem Applaus und lautstarker Begeisterung vehement gefeiert.

Gerhard Hoffmann

 

ZÜRICH/ Oper: LA FORZA DEL DESTINO

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Giuseppe Verdi: La forza del destino, Opernhaus Zürich, Vorstellung: 13.07.2019

 (5. Vorstellung seit der Wiederaufnahme am 30.06.2019)

Der Tag der Aussenseiter

Der vergangene Samstag war der Tag der Aussenseiter. Während in London Simona Halep die Wimbledon Championships gewann, reüssierte am Opernhaus Zürich ebenfalls ein Aussenseiter, ein Künstler, den der Kritiker so nicht auf der Rechnung hatte: GMD Fabio Luisi. Für einmal dirigierte er nicht konsequent zu laut, stilistisch angemessen und mit passend gewählten Lautstärkeabstufungen. Die in allen Gruppen, vor allem aber den Bläsern, bestens disponierte und höchst aufmerksame Philharmonia Zürich folgte ihm präzise. Positiv überrascht, war der Abend in dieser Hinsicht ein Genuss.


Foto: Monika Rittershaus

Rollendebütantin Maria Pia Piscitelli gab eine hervorragende Donna Leonora. Mit ihrer technisch top ausgebildeten Stimme gelangen ihr wunderbare Piani, die trotzdem im ganzen Haus zu hören waren, und wo nötig, konnte sie dramatisch problemlos auftrumpfen. Als Don Alvaro brüllte sich Yonghoon Lee durch die Partie, dass einem Angst und Bange werden konnte. Unter permanentem Höchstdruck singend geriet die Tongebung stark guttural und brüchig mit miserabler, bis zum Lallendem reichender Diktion. In diesem Zustand hätte er angesagt, besser ersetzt gehört. Unter seiner Interpretation hatten alle Kollegen, vor allem aber George Petean zu leiden, denn er musste sich in vielen Szenen «einfach nur» Gehör verschaffen. In den Soloszenen zeigte Petean, was er kann, wenn man ihm Raum zum Singen lässt. Die Preziosilla von Elena Maximova hinterliess keinen bleibenden Eindruck. Mit schönem Bass sang Wengwei Zhang den Marchese di Calatrava und den Padre Guardiano. Renato Girolami als Frau Melitone und Jamez McCorkle als Mastro Trabucco ergänzten das Ensemble.

Der Chor der Oper Zürich und der Zusatzchor des Opernhauses Zürich, vorbereitet von Janko Kastelic, überzeugten voll und ganz.


Foto: Monika Rittershaus

Die aktuelle Inszenierung verantwortet Intendant Andreas Homoki. Hartmut Meyer (Bühnenbild) hat ihm dazu eine variabel aufklappbare Rückwand in grau-weiss, einen portalhohen Würfel in rot-schwarz und einen Boden in den gleichen Farben geschaffen. Die grellen, grotesk-unästhetischen Kostüme wurden von Mechthild Seipel entworfen. Der Inszenierung gelingt es leider weder das Familiendrama noch die Komik schlüssig herauszuarbeiten. Sieht man, wie es Homoki im Programmheft herausstreicht, das Stück als nihilistischen Weltentwurf, wäre das Möglichkeit und vor allem Grund gewesen, die Petersburger Erstfassung und nicht die geschönte Mailänder Fassung zur Aufführung zu bringen?

Keine weiteren Aufführungen.

14.07.2019, Jan Krobot/Zürich

HANNOVER: DER BAJAZZO/ CAVALLERIA RUSTICANA beim NDR Klassik Open Air

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Marco Berti, Alexandra Kurzak, im Hintergrund die Dirigentin Kerri-Lynne Wilson. Foto: Youtube

HANNOVER: Der Bajazzo / Cavalleria rusticana beim NDR Klassik Open Air in Hannover am 13. Juli 2019

Seit 2014 hat sich das NDR Klassik Open Air vor dem Neuen Rathaus in Hannover zu einer festen Größe des sommerlichen Kulturlebens entwickelt. Auch wenn die Zahl der Besucher in diesem Jahr, wetterbedingt, mit 25.000 – davon die meisten im angrenzenden Maschpark vor zwei großen Leinwänden – geringer ausgefallen ist, der Erfolg bleibt ungebrochen. Das Programm für das kommende Jahr, und damit die siebte Ausgabe, steht schon fest, es wird Carmen geben; noch nicht sicher dagegen ist, ob das Projekt darüber hinaus eine Fortsetzung finden wird. Es wäre schade wenn nicht, die Atmosphäre ist wunderbar und, vor allem, die Güte der Aufführungen unbedingt erlebenswert.

In diesem Jahr standen nun für die sechste Ausgabe des Open-Air-Events Der Bajazzo und Cavalleria rusticana auf dem Programm, in genau dieser Reihenfolge. Wie bereits in den vergangenen Jahren gab es auch jetzt wieder den Versuch, auf dem begrenzten Raum und ohne technische Möglichkeiten eine halbszenische Aufführung zu geben, für die Michael Valentin verantwortlich zeichnete. Doch der wenigen szenischen Andeutungen hätte es gar nicht bedurft. Keri-Lynn Wilson, bereits zum vierten Mal bei dieser Gelegenheit am Pult der NDR Radiophilharmonie, baute über beide Stücke einen großen, packenden Spannungsbogen mit viel Sinn für dramatische Höhepunkte. Die Radiophilharmonie, für die Oper ein Ausnahme-Terrain bleibt, folgte ihr hochkonzentriert und mit leidenschaftlicher Spiellaune für den emotional aufgeladenen Verismo. Das klang durchweg nicht nur schön, sondern hatte großes Format.

Unter den Solisten waren es an erster Stelle Marco Berti als Canio und Turiddu sowie Claudio Sgura als Tonio und Alfio, die dem Abend das herausragende vokale Niveau gaben. Berti verfügt über eine in Farbe und Klangkultur perfekte Stimme für dieses Repertoire und verlieh beiden Partien, mit denen er ja bereits an vielen großen Bühnen Erfahrungen sammeln konnte, überzeugende Statur. Claudio Sgura, ebenfalls ein international erfahrener Verismo-Sänger, hat einen so runden und durchschlagenden, dabei tief dunkel und sehr facettenreich gefärbten Bariton, dass er eine kongeniale Ergänzung zu Mario Bertis Tenor war.

Großes Format zeigte auch Liudmyla Monastyrska als Santuzza, die ihren dunkel timbrierten, glutvoll gefärbten und großes dramatisches Potenzial aufweisenden Sopran für ein ergreifendes Rollenporträt nutzen konnte. Mit genau der adäquaten Balance aus Leichtigkeit und zupackender Gestik sang Aleksandra Kurzak eine verführerische Nedda.

Auch die übrigen Partien waren auf höchstem Niveau besetzt. Aufhorchen ließ mit kernigem, kraftvollem Bariton Andrzej Filonczyk als Silvio. Xabier Anduaga gab mit leichtem,  ausgesprochen präzisem Tenor den Beppo, Veta Pilipenko mit schönem, lyrischem Mezzo die Lola. Tichina Vaughn schließlich wertete mit ihrem dramatischen Alt die Mamma Lucia erheblich auf.

In dieses Ensemble fügten sich die Chöre, bestehend aus Mitgliedern des Mädchenchors und des Johannes-Brahms-Chors sowie des Staatsopernchors, nahtlos ein.

Ein musikalisch großer Opernabend war das, der seine Erfüllung noch darin fand, dass er, im Gegensatz zur ersten Aufführung am Donnerstag zuvor, ohne Regen zu Ende gehen konnte. Viel begeisterter Applaus. 

Christian Schütte

Videoaufzeichnung der ganzen Veranstaltung

ERL/ Tiroler Festspiele: GUILLAUME TELL (Wiederaufnahme)

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Foto: Xiomara Bender/ Tiroler Festspiele

TIROLER FESTSPIELE ERL:  „GUILLAUME TELL“   ( Wiederaufnahme ) am 13.7.2019)

 Für nur eine Aufführung studierte man eine drei Jahre alte Produktion des Rossinischen Spätwerkes ein, im Gegensatz zur Premiere, die in italienischer Sprache gezeigt wurde, nun diesmal im originalen französich. Nun ist dieses Werk eine wirklich „große Oper“ mit enormen Anforderungen an Solisten, Chor und auch die szenische Umsetzung ist so einfach nicht. Erfreulicherweise kann ich von einer wahrhaft gelungenen, festspielreifen ( im besten Sinne des Wortes) Aufführung berichten!

     Nach einer Produktion von „Furore di Montegral“ – so ist es im Programm zu lesen. Die Regie hatte Gustav Kuhn, der die Geschichte schlicht und ohne Mätzchen auf die Bühne stellte, in einem stimmungsvollen, einfachen Bühnenbild, mit dem Alfredo Troisi die einzelnen Schauplätze gut charakterisiert und auch teils großer, verschiebbare Figurinen in schönen Farben einfache Szenenwechsel ermöglicht. Die kleidsamen Kostüme stammen von Lenka Radecky, die Choreographie des Ballets, das auch teilweise zur – unaufdringlichen – Illustration der Handlung herangezogen wird ( etwa der Flug des Pfeiles in der Apfelschussszene  wurde durch Tänzerdargestellt ), besorgte Katharina Glas.

      Das Orchester und die Chorakademie der Tiroler Festspiele Erl  ( Chorleitung: Olga Yanum) erschienen zum Vortag wie ausgewechselt! Plötzlich war aus dem Graben ein differenzierter Klang zu Vernehmen, die Konzentration schien um ein Vielfaches mehr, die stark geforderten Chöre gelangen präzise und mit voller Klangpracht, es wurde auch weit animierter mitgespielt und agiert. Wer war nun dieser „Zauberer“, der dieses Kunststück zu Wege gebracht hat? Nun es war Michael Güttler am Pult, der aber überhaupt nicht zaubern musste, sondern durch seine offensichtliche Beherrschung und auch Liebe zum Werk Zeit hatte sich einfach um alles zu kümmern! Ich sage es erfreut, ein Maestro im Stile der hervorragenden „Concertatori“, der „Kapellmeister“ der guten alten Schule, die so selten geworden sind! Da wurde dem Graben genauso viel Zuwendung entgegengebracht, wie dem Mitatmen mit den Solisten auf der Bühne, die sich mit ihren Bedürfnissen nie verlassen , sondern bestens aufgehoben fühlen konnten, oder der Chor, der mit perfekten Einsätzen bedient und unterstützt wurde. Immer wieder gab es anerkennende, aufmunternde Blicke und Gesten für die Musiker im Graben,  es wurde beglückend miteinander musiziert – es war eine Freude für alle im Hause anwesenden. Bereits mit der mitreissend interpretierten Ouverture konnte man die positive Energie spüren, und einen großen Abend erwarten, der er auch wurde.


Foto: Xiomara Bender / Tiroler Festspiele

      Die erste – sehr heikle – Soloszene gehört dem „Fischer“: eine Tenor mit blendender Höhe wird für die kleine Canzone benötigt – Matteo Macchioni – hat diese demonstriert, seine nicht zu großer, aber angenehm timbrierte Stimme war bestens dafür geeignet.  Der „primo uomo“, der Arnoldo lag beim jungen Koreaner Sung Min Song in besten Händen. Der am Saarländischen Staatstheater im Ensemble beheimatete Künstler hat einen durchschlagskräftigen und höhensicheren  Tenor aufzuweisen, der sich durch sicheren Vortrag und gefühlvolle Phrasierung auszeichnet. Während er in den Duetten mit Tell und Matilde restlos überzeugen konnte, und auch seine Arie eindrucksvoll gestaltete, zeigte er leider gerade in der Cabaletta mit den „hohen Cs“ Nerven, tippte hier die Noten , bis auf das letzte nur jeweils kurz an, und verschenkte dadurch einen noch größeren Erfolg. Die Mathilde von Sophie Gordeladze stellte eine sympathische Habsburgerin auf die Bühne, führte ihre – für mich für die Partie etwas zu wenig breite – aber gut geführte Stimme sicher und mit guten Koloraturen durch den langen Abend. Ein Wiederhören wäre sicher interessant!  Den Vogel abgeschossen  aber hatte der Jemmy, Tells Sohn. Schon in den Ensembles mit glockenhellem Sopran darüber strahlend und ihrer lieblichen Bühnenerscheinung positiv hervorstechend, räumte sie mit ihrer – nicht wie sonst meist gestrichenen – Bravourarie vor dem Apfelschuss regelrecht ab. Bianca Tognocchi aus Como brannte ein wahres Feuerwerk an elektrisierenden Tönen bis in höchste Höhen ab – Brava! Tells einzige Soloszene „Resta imobile“ , wo er Jemmy auffordert beim Schuss ruhig stehen zu bleiben, die unmittelbar darauf folgte, und die Andrea Borghini wirklich gut und empfindsam gelungen ist, blieb leider ohne Applaus. Mir tat der junge Künstler darob direkt leid, weil er den verdient gehabt hätte. Er verfügt über einen sehr schön timbrierten , edlen Bariton, der leider vom Volumen her  begrenzt und in der unteren Lage nur eher schwer vernehmbar ist. Da er auch von Gestalt eher klein ist, konnte er die Dominanz des Protagonisten nicht so ganz ausfüllen – trotzdem unterm Strich durch seine schöne Linienführung und sein Stilgefühl eine positive Bilanz für ihn.   Die eher kleinere Rolle seiner Frau Hedwige wurde durch die Südtirolerin Anna Lucia Nardi stark aufgewertet. Ein interessanter, samtener Mezzo, mit Stilgefühl eingesetzt und dank ihrer blendenden Bühnenerscheinung ( warum sollte Tell keine jung wirkende, attraktive Frau gehabt haben? ) konnte sie bestens reüssieren, und nutzte das herrliche Damenterzett vor dem Finale zum Vorzeigen ihrer Möglichkeiten. Mit Zelotes Edmund Toliver gab es für Staatsopernbesucher der 80 er Jahre ein Wiederhören als Melchthal, Nicola Ziccardi gab den Leuthold, Adam Horvath den Walter Fürst – alle rollendeckend. Als Bösewicht Gessler passte Giovanni Battista Parodi ganz gut mit seinem trockenen Organ, sein Gefolgsmann Rodolphe wurde von Giorgio Valenta mit typischem Charaktertenor interpretiert, Ferederoik Baldus ergänzte als „Chasseur“. 

      Mit einem der für mich schönsten hymnischen Finali der Opernliteratur endete dieser beglückende Opernabend! Großer Jubel und Beifallstürme des Publikums, diesmal interessanterweise genau den Leistungen entsprechend fein abgestuft!

     Man muss den sympathischen Festspielen und den überwiegend regionalen Mitarbeitern und Helfern alles Gute für die neu anbrechenden Zeiten wünschen, und am Besten gleich zur Wintersaison im Dezember zu „Elisir“ und „Rusalka“ fahren. Es ist schön unterhalb des beeindruckenden Kaisergebirges…

  Michael Tanzler

WIEN/ Volkstheater/ ImPulsTanz: MACBETH von Johann Kresnik

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Wien: ImPulsTanz-Festival: „Macbeth“ von Johann Kresnik, 11.+13.07.2019


Macbeth (Teng Huang) © Dieter Wuschanski

Shakespeare’s blutige Tragödie aus dem frühen 17. Jahrhundert vom schottischen König Macbeth, der mit tyrannischer Herrschaft seine Macht zu erhalten suchte und schließlich fiel, verbindet Johann Kresnik in seinem 1988 uraufgeführten Stück mit der 32 Jahre alten und wohl ewig ungeklärt bleibenden Geschichte um den Tod des deutschen Politikers Uwe Barschel, der 1987 nach einer im Wahlkampf von ihm initiierten Verleumdungskampagne gegen seinen politischen Herausforderer Björn Engholm zurücktreten musste und letztlich in einer Hotelbadewanne in Genf tot aufgefunden wurde, zu einem Tanztheater über die ewig aktuelle skrupellose Gier nach Macht.

Der Maler Gottfried Helnwein gestaltete, hier erstmalig als Bühnen- und Kostümbildner tätig geworden, ein klinisch anmutendes Ambiente. 14 Badewannen zwischen weißen Wänden und anfangs schwarz gewandeten Protagonisten strahlen Kälte ins Auditorium. Nur das Rot des Blutes, Lady Macbeth’s rotes Kleid und goldene Kronen brechen diese Polarität auf. Und ein blutroter Kasch fällt einige Male, um die Szenen zu trennen.


Macbeth © Dieter Wuschanski

Shakespeare’s Drama zu kennen ist hilfreich, jedoch nicht notwendig zum Verständnis des Stückes. Die Bilder sind kaum zu missdeuten. Das Morden findet hinter dem immer wieder mit krachendem Hall ins Schloss fallenden riesigen Portal im Hintergrund statt. Blut strömt durch Schläuche an den Wänden. Und der Mann Gottes als Handlanger, auch die Kirche spielt ihre Rolle in diesem Spektakel, bringt nach jedem Schlachten Blut und Eingeweide in Eimer und Badewanne, um sie in den in ein Becken verwandelten Orchestergraben zu schütten. In dem übrigens auch die beiden Pianisten sitzen. Bela Fischer jr. und Stefanos Vasileiadis spielen vierhändig die Kompositionen von Kurt Schwertsik, dessen hämmernde, dann wieder disharmonisch komplexe und auch nach den klassischen Regeln der Tonsetzerei organisierte Klangwelt die Handlung begleitet.
Der König geilt sich an seiner Macht auf, rasselt mit den Säbeln. Die drei Hexen sind sexy Hostessen, schwarz uniformiert fast wie SS-Schergen. Die Fülle an assoziativen Anspielungen, wie etwa auf grenzenlose Triebhaftigkeit und blinde Gier, latenten Faschismus und Unterdrückung im Privaten, Konformismus und Eitelkeit überwältigen.


Macbeth (Pavel Povrazník, Jonatan Salgado Romero) © Dieter Wuschanski

Dieser Rausch von unwiderstehlicher Macht, Sex und der vom Mob angeheizten zwingend sich ergebenden und eskalierenden Gewalt, die zum Selbstläufer wird, erfasst alle. Wie zum Abendmahl an die Tafel gesetzt lassen sie sich verführen von der Chance auf Macht, korrumpiert mit einem Krönchen. Und ganz nebenbei wird uns vor Augen geführt, dass es ohne uns nicht funktioniert, dieses Spiel. Wer sich darauf einlässt, bleibt nicht nur distanzierter Zuschauer, sondern spürt das Gleichnishafte. Parallelitäten zum aktuellen Weltgeschehen natürlich, auch aber die Transposition des selben Geistes in gesellschaftliche, soziale und private Sphären.

Die Beklemmung verstärkt sich noch mit jenem Bühnen-Bild, das einen gigantischen Tisch mit Teekanne und Tasse darauf und einen riesigen Stuhl davor zeigt. Die in Pyjamas ausgelassen Tanzenden werden bald von wie Wärter eines Irrenhauses anmutenden Männern gefesselt, geschlagen, vergewaltigt und gemordet. Hier gibt Kresnik Antwort, trotz Helnweins Anmerkung im vorherigen Künstlergespräch, dass Kunst nur Fragen stellen sollte. Die so oft bemühten vor allem sozioökonomischen Ursachen für den Zustand der Welt und des Menschen greifen zu kurz. Angewandte Tiefenpsychologie.


Macbeth (Andressa Miyazat & Pavel Povrazník) © Dieter Wuschanski

Lady Macbeth, Andressa Miyazato besticht tänzerisch und darstellerisch, bleibt, sich ihrer Schuld bewusst und vereinsamt, die einzige mit einer Verbindung zu sich selbst. Den Kampf mit ihren inneren Dämonen verliert sie letztlich und zerbricht.
König Macbeth selbst, Pavel Povraznik glänzt in seiner Rolle, hüpft am Ende mit Narrenkappe und in ihm viel zu großen Stiefeln durch einen Wald aus herabhängenden riesigen raketengleichen Bleistiften. Schon wieder mehr Antwort als Frage. Und dann legen sie ihn in die Wanne, tot …


Macbeth (Pavel Povrazník, Tura Gómez Coll) © Dieter Wuschanski

Die gewaltigen Bilder und die massiven, trotzdem mit großer Sensibilität umgesetzten Emotionen verstören in ihrer schonungslosen Drastik und Direktheit. Das Ensemble von TANZLIN.Z mit seinen 19 TänzerInnen präsentiert sich dem tänzerisch und darstellerisch sehr anspruchsvollen Sujet gewachsen. Tanz-Theater im besten Wortsinne, vom Publikum begeistert gefeiert.

Intendant Karl Regensburger setzt mit „Macbeth“ als Eröffnungs-Performance seines heuer zum 36. Mal durchgeführten ImPulsTanz-Festivals ein Zeichen. Politische Kunst, geboren aus tiefem Humanismus und mit klarer, kompromissloser Haltung auf die Bühne gebracht, braucht diese Zeit.

Rando Hannemann


BADEN-BADEN/ Festspielhaus/ Sommerfestspiele: LIEDERABEND ANNA NETREBKO (Elena Maximova, Malcolm Martineau)

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Liederabend Anna Netrebko (Elena Maximova, Malcolm Martineau am 14.7. 2019 bei den Sommerfestspielen 2019 im Festspielhaus Baden-Baden

Sinn für Klangfülle

Slawische Melancholie und leidenschaftliche Aufschwünge beherrschten gleich zu Beginn Anna Netrebkos Interpretation der Lieder „Flieder“ op. 21/5, „Vor meinem Fenster“ op. 26/10 und „Hier ist es schön“ von Sergej Rachmaninow. Und man spürte dabei auch ganz unmittelbar, dass sich ihre Stimme hinsichtlich der voluminösen Fülle und der gesanglichen Reife weiter verändert hat. Malcolm Martineau (Klavier) begleitete sie dabei mit lyrischer Emphase und ausgesprochen sensiblem Anschlag. Der Sinn für große Klangfülle und bewegenden Ausdruckszauber kam so nicht zu kurz. Romantisch-schwärmerisches Gefühl prägte ferner „Morgen“ op. 27/4 von Richard Strauss mit der ausdrucksvollen Violinbegleitung von Giovanni Andrea Zanon, die die Gesangsstimme von Anna Netrebko einfühlsam unterstützte. Dem drängenden Überschwang verlieh Anna Netrebko ausgesprochen berührende Töne, die sich tief einprägten. „Es weint in meinem Herzen“ von Claude Debussy bestach aufgrund der subtilen Verfeinerung der Nuancen und der formalen Vollendung. Poetischer Ausdruck paarte sich hier mit zartesten Gebilden. Das aneinandergereihte motivische Material führte zu einer Abfolge von Spannung und Entspannung. Die Schönheit des reinen Tons stand hier immer wieder in beeindruckender Weise im Mittelpunkt, wobei sich Anna Netrebko und Malcolm Martineau sehr gut ergänzten. Die Arie der Louise „Seit dem Tage“ aus der Oper „Louise“ von Gustave Charpentier bestach einmal mehr durch innere Aufgewühltheit, die sich nur schwer bändigen ließ. Hier wurden gesanglich und harmonisch immer wieder Grenzen überschritten. Eine ähnliche Erfahrung machte man dann bei „Das war im ersten Frühlingsstrahl“ und „O sprich, wovon singt die Nachtigall“ von Peter Tschaikowsky, wobei das aufrührerisch-wilde Melos bei diesem klar timbrierten Vortrag nur ganz entfernt zu spüren war. Auch hier erwies sich Malcolm Martineau als kongenialer Begleiter dieser Ausnahmesopranistin, die das Publikum an ihren unbeschreiblichen gesanglichen Höhenflügen ganz unmittelbar beteiligte. Dies ist der eigentliche Erfahrungswert von Anna Netrebkos Liedinterpretationen. Mit instrumentalen Effekten und reizvollen Spielformen schmückte Malcolm Martineau seine pianistische Begleitung, die der Singstimme aber immer genügend Freiraum ließ. Die rhythmischen Finessen von „Go Not, Happy Day“ von Frank Bridge sowie der große mediterrane Zauber von „Mattinata“ von Ruggero Leoncavallo erfasste Anna Netrebko mit der ihr eigenen Klarheit für tänzerisch-spielerische Bewegungskraft. Elena Maximova (Mezzosopran) als Polina begleitete Anna Netrebko dann beim Duett Lisa/Polina „Abend ist’s“ aus der Oper „Pique-Dame“ von Peter Tschaikowsky. Man begriff bei dieser berührenden Interpretation auch, dass „Pique Dame“ tatsächlich einen noch größeren dramatischen Nerv besitzt wie etwa „Eugen Onegin“. Entfesselte Liebesempfindung und Aufruhr der Leidenschaften waren hier nicht mehr zu bremsen.


Malcolm Martineau, Anna Netrebko. Foto: Andrea Kremper

Malcolm Martineau besaß dabei als Liedbegleiter immer die richtigen Impulse und ein genaues Gespür für dynamische Veränderungen. „Wolkenzug“ von Nikolai Rimsky-Korsakow und Peter Tschaikowskys „Schlaflose Nächte“ verbanden sich bei der Wiedergabe durch Anna Netrebko und Malcolm Martineau auf harmonisch geheimnisvolle Weise. Einen weiteren hervorragenden Eindruck gewann man bei den drei Richard-Strauss-Liedern „Die Nacht“ op. 10/3, „Wiegenlied“ op. 41/1 und „Ständchen“ op. 17/2, wo Anna Netrebko einen riesigen dynamischen Bogen spannte, der die Gesangsstimme mit starker Energie erfüllte und auch der Klavierbegleitung von Malcolm Martineau ganz eigene Konturen verlieh. Impressionistische und slawische Facetten bildeten bei „Nach einem Traum“ op. 7/1 von Gabriel Faure und „Als die alte Mutter“ op. 55/4 von Antonin Dvorak reizvolle Gegensätze. „Traum“ von Sergej Rachmaninow entführte die gebannten Zuhörer noch einmal in melancholische Gefilde. Dass sie auch die Welt von George Gershwin und Frederick Loewe in unnachahmlicher Weise zu beschwören vermag, bewies Anna Netrebko dann bei „Gold ist eine feine Sache“ als Arie der Elisabeth „Baby“ Doe aus der Oper „“The Ballad of Baby Doe“ von Douglas Moore. Bei Jacques Offenbachs Barcarole „Schöne Nacht, oh Nacht der Liebe“ aus der Oper „Hoffmanns Erzählungen“ von Jacques Offenbach waren Anna Netrebko als Giulietta und Elena Maximova (Mezzosopran) als Nicklausse ganz in ihrem Element. Die glutvolle Landschaft einer venezianischen Nacht wurde so lebendig. Wechselnde Formen und Farben begeisterten ferner bei „Ob der Tag regiert oder die Nacht“ op. 47/6 von Peter Tschaikowsky.

Als Zugabe interpretierte Anna Netrebko zusammen mit Malcolm Martineau unter anderem noch „O mio babbino caro“ aus der Oper „Gianni Schicchi“ von Giacomo Puccini mit einer grandiosen Atemtechnik, die den Tönen eine endlose Weite und überwältigende sphärenhafte Leuchtkraft verlieh. Ovationen.

Alexander Walther                   

Film: CHILD’S PLAY

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Filmstart: 18. Juli 2019
CHILD’S PLAY
USA / 2019
Regie: Lars Klevberg
Mit: Gabriel Bateman, Aubrey Plaza, Mark Hamill (Stimme) u.a.

Die Genres sind fix – also beispielsweise Horrorfilme -, die Accessoires wechseln. Mal schickt man Zombies aus, mal müssen junge Leute in den Wald, um sich dort zu fürchten. Dergleichen kommt in Schüben. Derzeit sind die dämonischen Puppen an der Reihe. Eben noch war die unheimliche „Annabelle“ schon im dritten ihr gewidmeten Film in den Kinos, und schon kommt „Chucky“, eine ähnlich mörderische, ähnlich „kultige“ Puppe, um das Publikum mit dem irrationalen „Bösen an sich“ zu konfrontieren.

Gehen wir davon aus, weder Fan noch intimer Kenner der originalen „Chucky“-Puppe (der Film von 1988) zu sein (denn da gab es schon die üblichen Proteste der Aficionados, die in unseren Zeiten durch die sozialen Medien dann immer so laut sind). An sich hat die Geschichte, wie der norwegische Regisseur Lars Klevberg (der schon in „The Wall“ ein Kind in eine Extremsituation versetzt hat) sie hier erzählt, einen absolut begreiflichen Ausgangspunkt. Man weiß, dass vernachlässigte Kinder ihre Spielzeuge zu „Partnern“ machen, mit ihnen reden, ihnen Nöte anvertrauen – nur dass hier keine Mutter (Aubrey Plaza als Karen Barclay) leichtfertig die Wohlstandsverwahrlosung ihres 13jährigen Sohns verursacht. Vielmehr ist sie schwer beschäftigt, sie beide über Wasser zu halten, und arbeitet als Verkäuferin in einem Warenhaus. Dort kommen immer wieder Dinge zurück, die dann niemand will und braucht.

Und so bringt sie ihrem Sohn Andy (Gabriel Bateman) seine HighTech-Puppe mit, als „Buddi“ für Kinder gedacht, große Augen, seltsames Aussehen – und die Fähigkeit zur verbalen Kommunikation. Das wundert heutzutage ja ohnedies niemanden mehr, dass „tote“ Dinge mit uns sprechen… obwohl es doch ein bisschen was Schauriges hat.

Eigentlich will der einsame Andy ja keine Puppe und würde sich mit „Chucky“ gar nicht beschäftigen – aber das lässt dieser nicht zu. In langen Sequenzen werden hier Psychoterror-Methoden angewendet, mit denen Chucky die Freundschaft mit Andy geradezu erzwingt (im Original ist es die Stimme von Mark Hamill). Man kennt diesen emotionalen Druck, den Menschen, die darin versiert sind, ausüben können, um ihren Willen durchzusetzen – hier ist es Chucky, und eigentlich will er nur „ein Freund“ sein. Aber er ist auch Beschätzer, wenn jemand Andy was tut – na, dann fällt Chucky Schlimmes ein, um ihn zu rächen… Motto: Gib acht, was Du Dir wünschst.

Was dann kommt, braucht man nicht zu schildern, allerdings entwickelt sich der Horror irgendwie logisch, die titelgebenden „Kinderspiele“ sind schnell keine mehr – man gleitet von der psychologischen Studie in den Slasher-Thriller, und man vollzieht das Entsetzen von Andy mit, der von der enthemmten Puppe quasi im Würgegriff gehalten wird und ihre irren Taten mit ansehen muss. Logischerweise glaubt ihm ja auch keiner, dass Chucky die ekelhaften Morde begeht… Bis eine Mutter begreift, dass man seinem Kind zuhören muss. Und es sind schließlich echte Morde, mit deren Lösung der Detective (Brian Tyree) konfrontiert ist.

Klar, dass das Ende kein wirklich glückliches ist. In unendlicher Anzahl warten verpackte Chuckys im Warenhaus darauf, an Kinder ausgeliefert zu werden, Firmenboß Kaslan (Tim Matheson als unheimlicher Mogul) hat sie kreiert, sie sind da – und so mischt sich der Horror mit unseren Zukunftsängsten über die Dinge, die da auf uns zukommen und wir nicht mehr kontrollieren können (was Goethe schon beim „Zauberlehrling“ eingefallen ist).

Tatsache aber ist, dass diese Art von blutigem, perversem, gewissermaßen realem Horror (Fans des Genres werden ihn „einfallsreich“ finden) auch immer mit einer schrecklichen psychischen Meta-Ebene Hand in Hand geht – wo liegen überall die Abgründe, die Menschen in Horror-Filme treiben? Bannen wir damit unsere Ängste, indem wir sie auf die Filmleinwand („ist eh nicht wahr“) auslagern?

Renate Wagner

BADEN/ Casino/ Teatro Barocco: DER GUTE EHEMANN von Georg Anton Benda/ ARIADNE AUF NAXOS von Joseph Haydn. Premiere

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Der Theatersaal im Casino Baden präsentierte sich mit einer opulenten Bühnenausstattung (Foto: Barbara Palffy)

 Teatro Barocco im Casino Baden:

„Der gute Ehemann“ von Georg Anton Benda und

„Ariadne auf Naxos” von Joseph Haydn  (Premiere: 14. 7. 2019)

Das im Jahr 2012 gegründete Teatro Barocco bietet heuer im historischen Theatersaal des Congress Casino Baden wieder einen Opernabend der besonderen Art an – mit zwei Raritäten von hochgeschätzten Komponisten des 18. Jahrhunderts, die Wolfgang Amadeus Mozart gekannt hat und deren Werke ihn nachweislich beeinflusst haben: „Der gute Ehemann“ von Georg Anton Benda (1722 – 1795) und „Ariadne auf Naxos“ von Josef Haydn (1732 – 1809).

Am 14. Juli 2019 fand die feierliche Premiere in Baden statt, wobei Bürgermeister Dipl.-Ing. Stefan Szirucsek die Gäste herzlich begrüßte. Er wies darauf hin, dass sich Baden als Kulturstadt vor den Toren Wiens der Verpflichtung bewusst ist, ein Opernfestival, wie es das Teatro Barocco anbietet, auch zu unterstützen. In Vertretung von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner sprach Bundesrätin Marlene Zeidler-Beck Begrüßungsworte, ehe Prinzessin Gabriele von und zu Liechtenstein ein Kurzreferat über die Stellung der Frau in der Barockzeit hielt.

Intendant und Regisseur Bernd R. Bienert präsentiert in diesem Jahr zwei völlig gegensätzliche Meisterwerke, die wieder in historischen Inszenierungen aufgeführt werden.


Maria Taytakova als Rosetta in der Oper „Der gute Ehemann“ von Benda (Foto: Barbara Palffy)

 

 Bei der erst kürzlich wiederentdeckten Opera buffa „Der gute Ehemann“ von Benda handelt es sich in Baden um die Österreichische Erstaufführung. Diese musikalische Komödie erzählt von Rosetta, der Gattin Bazettos, die spätnachts auf ihren Mann wartet. Als dieser betrunken nach Hause kommt, stellt sie ihm eine Falle und gibt sich mit verstellter Stimme als unbekannte Schöne aus. Es gelingt ihr dadurch, ihren Ehegatten zur Untreue zu verführen, worauf sie die Scheidung fordert.


Maria Taytakova als Rosetta und Pablo Cameselle als ihr Ehemann Bazzotto (Foto: Barbara Palffy)

In der Rolle der Rosetta begeisterte die slowakische Sopranistin Maria Taytakova sowohl stimmlich wie schauspielerisch durch ihr ausgeprägtes komödiantisches Spiel. Ihr ebenbürtig erwies sich der spanische Tenor Pablo Cameselle, der gleichfalls eine große Spielfreude an den Tag legte. Für die dichte barocke Atmosphäre sorgte nicht nur das Ensemble TEATRO BAROCCO, das auf historischen Instrumenten unter der Leitung des aus den Philippinen stammenden Pianisten Aries Caces – er begleitete das Orchester auf dem Hammerklavier – spielte , sondern auch Regisseur Bernd R. Bienert, der überdies noch für die  Kostümentwürfe und für die opulenten Bühnenbilder verantwortlich zeichnete.  


Katharina Adamcyk als Ariadne (Foto: Barbara Palffy)

 Die szenisch aufgeführte Kantate „Ariadne auf Naxos“ von Joseph Haydn, die in Baden als „Intermezzo“ zwischen den beiden Akten der Benda-Oper gezeigt wurde, war mit zeitgenössischer Orchesterfassung aus der Zeit des Komponisten zu hören, wobei die Figur der Königstochter Ariadne in einem von Bienert dafür rekonstruierten Originalkostüm auftrat  (nach einem um 1786 entstandenen Ölgemälde von Joseph Hickel, das noch heute im Wiener Burgtheater aufbewahrt wird).

Mit ihrer wandlungsvollen Stimme bot die Wiener Mezzosopranistin Katharina Adamcyk als Ariadne eine erstklassige Leistung. Ihr inniger Gesang, der sich immer wieder dramatisch steigerte, zeichnete das tragische Schicksal dieser mythologischen Figur, die auf Naxos von ihrem geliebten Theseus verlassen wird, anschaulich nach. Auch eine kleine Panne, als einer Violinspielerin im Orchester eine Saite ihrer Geige riss und dadurch eine kurze Pause erzwungen wurde, brachte sie nicht aus der Fassung – sie begann ihre Arie aufs Neue!

Das begeisterte Publikum belohnte alle Akteure mit rauschendem, lang anhaltendem Beifall und Bravorufen. Bernd R. Bienert, dem Gründungsintendanten von Teatro Barocco, ist zu gratulieren.

Udo Pacolt

 PS: Die weiteren Vorstellungen im Casino Baden finden am 20. und 27. Juli sowie am 3., 11. und 17. August statt. Am 10. August zeigt das Teatro Barocco den historischen Opern-Stummfilm „Le nozze di Figaro“ (mit deutschen Untertiteln). Am Klavier: Eliana Morretti.

BADEN-BADEN: Liederabend „ANNA NETREBKO – MALCOLM MARTINEAU“  –

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Elena Maximova, Giovanni Andrea Zanon, Anna Netrebko, Malcolm Martineau. Foto: Andrea Kremper

Baden-Baden: „ANNA NETREBKO – MALCOLM MARTINEAU“  –  14.07.2019

 Ein elitärer Liederabend: „Tag und Nacht“

Eine Königin des Gesangs gab sich die Ehre! Nach zwei exquisiten Symphonie-Konzerten beschloss das Festspielhaus seine „Sommer-Festspiel 2019“ mit einem hochkarätigen Liederabend und präsentierte dafür eine der besten Sopranistinnen der Gegenwart: Anna Netrebko. Mir war die Ehre widerfahren die großartige Künstlerin auf ihrem Erfolgsweg der Anfänge bis dato in diversen Recitals und Opern-Events zu begleiten und zu erleben. Anna Netrebko gehört zu den wenigen internationalen Gesangs-Stars welche sich immer wieder aufs Neue interessante Rollen erarbeiten und sich so „nebenbei“  den Luxus erlauben sporadisch  grandiose Liederabende zu offerieren.

Heute präsentierte die begnadete Sopranistin eine neue Programmfolge mit Liedern, Arien und Duetten unterstützt von der Mezzosopranistin Elena Maximova,  beide Stimmen vereinten sich vortrefflich abgestimmt beim Duett Lisa/Polina Uzh vecher aus „Pique Dame (Tschaikowsky) sowie zur Barcarole aus „Les Contes d´Hoffmann“ (Offenbach).

Schwerlich lassen sich wiederum meine neuen Eindrücke zum Vortrag dieser absoluten Künstlerin erfassen, Anna Netrebko versteht es nicht nur vokal zu interpretieren, nein die geniale Künstlerin choreographierte ihren Vortrag hauchte ihm Leben ein, bewegte sich raumfüllend fernab des begleitenden Instruments stellte so auf eindrückliche Weise den Pianisten in den Vordergrund. Natürlich wie selbstverständlich beiläufig wirkte die inszenierte Optik wie beispielsweise beim Auftritt mit weißem Blumenstrauß oder nach der Pause mit einem Luftballon, vereinten doch diese Interieurs gewisse Text-Bezüge.

Siren´ und Son (Rachmaninow) duftig wie Flieder und träumerisch verklärt erklang der füllige Sopran in herrlichsten melodischen Couleurs. Leicht wie eine vorüberziehende Wolke artikulierte Netrebko die zwei Preziosen Redeyet oblakov letucaya sowie sonnambul durchleuchtet zum Gesang der Lerche Zvonce zavoronka aus der Feder Rimsky-Korsakows.

Mit zwei höchst differenzierten Arien erfüllt von Dramatik, schwebender Leichte und Resignation bereicherte Anna Netrebko ihr Liedprogramm: sehnsuchtsvoll,  mit Höhenakrobatik gekonnt versehen, vernahm man das Bekenntnis Depuis la jour der „Louise“ (Charpentier) und geprägt von Lebenslust in herrlichen Variationen vorgetragen die Arie der Elisabeth aus „The Ballad of Baby Doe“ (Moore).


Malcolm Martineau, Anna Netrebko. Foto: Andrea Kremper

Vortrefflich untermalte Malcolm Martineau der souveräne Gestalter die Vokalistin, seine  Melodienfolgen fließen, man spürte regelrecht die Spannung die Wachsamkeit mit welcher der einfühlsame Pianist nie vordergründig sondern sensibel und kongenial nachhaltig die Singstimme begleitete. Auf Genaueste exerziert erklangen Ornamente energiegeladen in instrumentaler Perfektion.

Melancholisch in hellen Farben und feinsten Nuancen interpretierte Anna Netrebko Il pleure dans mon coeur (Debussy), ließ traumverloren Aprés un réve (Fauré) folgen und hinreißend authentisch und sehr persönlich erklang Kdyz mne stará matka (Dvorak). Lustvoll, burschikos wirkte Go not, happy day (Bridge) sowie beschwingt, von der Sonne Italiens durchflutet kam die Mattinata (Leoncavallo) daher.

Richard Strauss widmete die vielseitige Künstlerin Morgen zum Weinen schön gesungen und von der Violine (Giovanni Andrea Zanon) elegisch begleitet. Konträr folgten Die Nacht, zärtlich versonnen Wiegenlied und schließlich euphorisch-hymnisch, prächtig nuanciert Ständchen in ausgezeichneter Artikulation.

Eine gewisse Affinität verbindet die Sängerin mit Peter Tschaikowsky, seinen Vertonungen schenkte die grandiose Gestalterin und Erzählerin eine besonders liebevolle Attention. Warm getönt wie der inhaltliche Frühling erklangen  To bylo ranneju vesnoj, leidenschaftlich visionär Noci bezumniye sowie fragend, expressiv in atemberaubender Tongebung das offizielle Finale des überwältigend-aufregenden Abends Den´li carit.

Standing Ovations für die sympathische Sängerin welche immer wieder völlig uneigennützig ihren Partnern den Vortritt ließ. Bravochöre schallten den Künstlern entgegen, beim schwungvollen „Il Bacio“ (Arditi) anmutig perlten die Koloraturen, sichtlich musste Netrebko ihr Temperament zügeln, gar zu gerne wäre sie über die Bühne getanzt. Nach der zweiten Zugabe O mio babbino caro (Puccini) wunderbar innig vorgetragen, verabschiedete sich die einzigartige Künstlerin endgültig, entließ das Publikum in den lauen Sommerabend und bestärkte die Gewissheit nachdrücklich, einem Event der Sonderklasse beigewohnt zu haben.

Gerhard Hoffmann

WIEN/ Odeon/ ImPulsTanz: „TANK“ von Doris Uhlich und Boris Kopeinig

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Wien/ ImPulsTanz: „TANK“ von Doris Uhlich und Boris Kopeinig im Odeon


Doris Uhlich (AT) – TANK © Katja Illner

Ein Solo über die Angst vor dem Leben. Nebelgefüllt und fast ein wenig verloren steht ein Glaszylinder mitten auf der Bühne. Elektronischer Sound wabert dunkel, bedrohlich beinah. Eine Hand drückt sich an das von unten beleuchtete Glas, dann ein Fuß. Der Nebel lichtet sich langsam, langes Haar, schließlich eine nackte Frau werden sichtbar.

Doris Uhlich, in Oberösterreich geboren, in Wien lebend und mittlerweile international tätig und geschätzt, knetet ihren Bauch, schüttelt ihre Beine, als stünde sie auf einem Vibrationsboard, presst ihren Körper an die gläserne Wand, kreiselt am Glaszylinder, dass einem schon beim Zuschauen schwindlig wird. Und sie hält auch inne. In völliger Stille regungslos, spürt man die Spannung im Publikum. Sie spricht und singt. Von der Transparenz, in der wir leben, von Robotern, die weder schwitzen noch scheißen, davon, dass sie schwitzen und stinken will, denn Roboter tun das nicht. Und über ihren Körper, dessen Teile eine Atem-, Ess-, Schwitz- und Scheiß-Maschine sind.

Der von Boris Kopeinig live eingespielte elektronische Sound entwickelt sich vom düster Flächigen zu rhythmischeren Strukturen. Überraschend selten wummern die Beats, die so prägend sind für die vielen bisherigen Arbeiten dieses kongenialen Künstler-Paares (beide übrigens entwickelten Konzept und Texte dieser Performance). Auch harmonische Akkorde unterlegt er ihrer teils verfremdete Stimme.


Doris Uhlich (AT) – TANK2 © Katja Illner

Der vom Berliner Kollektiv Proper Space gebaute Zylinder aus Plexiglas wirkt im Licht von Sergio Pessanha wie ein Reagenzglas aus Science-Fiction-Filmen (in „Avatar“ zum Beispiel werden in ähnlichen Behältern die Körper der Na’vi, einer extraterrestrischen Zivilisation, nachgezüchtet). Dieser auf vier schrägen Beinen ruhende Zylinder steht für vieles. Er grenzt ab und isoliert, er schützt ein Innen vor einem Außen und umgekehrt, er gewährt Ein- und Aussicht und ist Retorte und Reaktor.

Später einmal erscheint ihre Mutter Gertraud Uhlich, umkreist, eine Zigarette rauchend, langsam den Zylinder, in dem ihre Tochter nackt und regungslos steht. Aus der Distanz blickt die reife, lebenskluge Frau mit Verwunderung, Unverständnis, aber auch mit Nachsicht auf das gläserne Gefäß. So einfach und so wirkmächtig kann das sein: ein suchender, rast- und ratloser Geist und eine wissende Seele.

Doris Uhlich verlässt auch einmal den Zylinder. Sie singt davon, ihr intelligentes Auto narren zu wollen. Aber dieser Ausflug in die Freiheit währt nur kurz. Zurück in der vertrauten Umgebung füllt sich der Bottich schlagartig mit Nebel. Denn sie will sich gar nicht sehen, weder ihren Körper, viel weniger noch ihre Seele. Und sie will nicht gesehen werden, wie sie ist.


Doris Uhlich (AT) – TANK3 © Katja Illner

„TANK“ ist eine komplexe und vielschichtige Arbeit. Die physischen, technologischen und chemischen Reagenzien zur Synthese optimierter menschlicher Körper versinnbildlichen das eigentliche Dilemma: Der einen ungeheuren gesellschaftlichen und sozialen Druck empfindende postmoderne Mensch unterwirft sich unreflektiert normierenden Ideologien. Er macht sich zum Opfer seiner übernommenen, selbstsabotierenden Überzeugungen. Die Retorten-Menschen leben längst unter uns, die Profile auf Facebook und Co. sprechen beredt von solchen Wunsch-Identitäten. Die Angst vor der Freiheit, vor dem Unwägbaren und Ungewissen, vor dem Dunklen, Abgründigen und Ungewollten in uns, vor der Veränderung, die nun einmal uns und das Leben ausmachen, erzeugt Kontrollfreaks. Das Anorganisch-technologische erscheint da vielen als (Er-) Lösung. Das Leben aber lässt sich nicht kontrollieren. Wer es tun will, will es töten. Und so gerät diese Performance zu einem Manifest für das Lebendige mit all seinen Facetten und Aspekten. Es geht darum, sich selbst und das Leben anzunehmen, ohne Einschränkungen.

Das ausverkaufte Odeon feierte die nackte Doris Uhlich.

Rando Hannemann

Wien: ImPulsTanz-Festival: „TANK“ von Doris Uhlich und Boris Kopeinig im Odeon, 12.+14.07.2019

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