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Moritzburg bei Dresden/Schloss, Kirche und weitere Spielstätten: 27. MORITZBURG FESTIVAL – 4. ‑ 18.8.2019
Der relativ kleine Ort Moritzburg bei Dresden hat Großes zu bieten und ist für ein Festival der edelsten Musikgattung, der Kammermusik, wie geschaffen. Schon wegen seiner idyllischen Lage inmitten einer Seenlandschaft von 24, nur vom Regenwasser gespeisten, Seen (die trotz langanhaltender Hitze und Trockenheit noch Wasser führen), und erst recht wegen der attraktiven Bauwerke des Sächsischen Hofes, wie dem, auf einem Felssporn im größten See gelegenen, Barockschloss mit Sichtachsen zur neobarocken Kirche und zum kleinen, verspielten „Fasanenschlösschen“ aus dem Rokoko mit Minihafen und „Leuchtturm“ ist der Ort eine touristische Attraktion und gehört zum „Pflichtprogramm“ jedes Dresden-Besuchers. Käthe Kollwitz verbrachte hier ihre letzten Lebensjahre, die „Brücke“-Maler (Fritz Bleyl, Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff) schufen hier ihre epochalen Bilder, und in kurfürstlicher Tradition ist ein renommiertes Landgestüt für edle Rassepferde hier beheimatet.
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Foto: Moritzburg-Festival
Alljährlich im August erfährt der Ort durch das Moritzburg Festival eine weitere Bereicherung. Dann sieht man überall junge Leute und gefeierte Solisten der internationalen Musikszene aus aller Welt mit ihren Instrumenten durch den Ort eilen, um am Abend gemeinsam in attraktiven Räumlichkeiten zu musizieren und die zahlreichen, aufmerksam lauschenden Besucher mit ihrer großen Leidenschaft, der Kammermusik, zu „infizieren“. Der Ort wird dann zum Zentrum kulturellen und künstlerischen Lebens und Austauschs, ein Ort der Emotionen und der gemeinsamen kulturellen und musikalischen Erlebnisse für Künstler und Publikum gleichermaßen, an dem sehr unterschiedliche Kulturen zusammentreffen und sich bei der Erarbeitung und Aufführung von Kammermusikwerken in dynamischen Besetzungen austauschen und gegenseitig bereichern.
Das 1993 in Anlehnung an das berühmte „Marlboro Festival“ (USA) von Jan Vogler, seinem Bruder, dem Geiger Kai Vogler und seinem Freund, dem Cellisten Peter Bruns, damals drei junge enthusiastische Mitglieder der Sächsischen Staatskapelle Dresden von den ersten Pulten, gegründete, Festival ist in kürzester Zeit im Musikleben Dresdens und seiner Umgebung zu einer festen Größe und weltweit zu einem der renommiertesten Kammermusikfestivals mit Kultstatus geworden. Um auch außerhalb des Sommers in der internationalen Musikszene präsent zu sein, begibt sich das Moritzburg Festival mit seinen Künstlern seit 2001 regelmäßig „on Tour“ und gastierte bereits erfolgreich in Musikmetropolen wie Rom, Mailand, Brüssel, Berlin, Hamburg, Wien, New York und Seoul.
Inzwischen leitet „Energiebündel“ Jan Vogler, bei dem auch weiterhin seine weltweiten Soloauftritte als Cellist im Vordergrund stehen, das Festival, das sich als „experimentelles Labor und Exzellenzstätte“ versteht, allein – „neben“ seiner Tätigkeit als Leiter der Dresdner Musikfestspiele! Ab diesem Jahr gibt es einige „Neuerungen“. Zu den bisherigen Spielstätten Schloss Moritzburg und Schloss Proschwitz, Kirche Moritzburg und Kirche Steinbach sowie Elbe Flugzeugswerk Dresden und König-Albert-Theater in Bad Elster kamen zwei weitere hinzu, das Käthe-Kollwitz-Haus in Moritzburg und der Kulturpalast in Dresden.
Die sich sehr für die Nachwuchsförderung engagierende Anne-Sophie Mutter hat jetzt die Schirmherrschaft übernommen. Die, von der Geigerin Mira Wang geleitete, Moritzburg Festival Akademie zur Förderung talentierter junger Musiker fand erstmals parallel zum Kammermusikfestival mit seinen 21 Veranstaltungen unterschiedlichster Prägung von Orchesterwerkstatt bis Schlosskonzert statt, um den Zeitraum zu verkürzen und vor allem die Förderung der jungen Musiker, die dadurch Gelegenheit hatten, auch die Konzerte mitzuerleben, zu intensivieren. Darüber hinaus gibt es jetzt eine Zusammenarbeit mit der renommierten Kronberg Academy, die acht aufstrebende junge Künstler für Kammermusikkonzerte nach Moritzburg entsendet.
In Kooperation mit CLARA19, dem Leipziger Festjahr anlässlich des 200. Geburtstages von Clara Schumann fanden mehrere Konzerte mit Werken von Komponistinnen und der Jubilarin sowie ein „LESEKONZERT“ im Käte-Kollwitz-Haus, wo Schauspielerin Christine Hoppe aus Briefen von Clara und Robert Schumann, den Geschwistern Mendelssohn und Johannes Brahms las, statt und bereicherten das Leipziger Konzertangebot. Damit wurde auch eine Brücke zwischen Leipzig, wo das Ehepaar Schumann 25 Jahre wohnte, nach Dresden, seinem nächsten Wohnort, geschlagen.
Josep Caballé Domenech, der schon in den vergangenen vier Jahren das Moritzburg Festival Orchester aus den 37 hochtalentierten jungen Musikern der Festival Akademie, die aus 500 Bewerbern ausgewählt wurden, beim Eröffnungskonzert leitete, wurde in diesem Jahr zum Chefdirigent des Festivals ernannt und leitete wieder das sehr gefragte „Eröffnungskonzert“ (4.8.) mit der „Ouvertüre“ zur Oper „Die Zauberflöte“ von W. A. Mozart (Fassung für Streichquartett), „La Création du Monde“ (Fassung für Kammerensemble mit Saxophon) von D. Milhaud und dem „Streichquintett F‑Dur“ von A. Bruckner im Schloss Moritzburg, dem ehemaligen Jagdschlosses Augusts des Starken. Wer keine Eintrittskarte mehr erhalten konnte, hatte Gelegenheit, das Konzert als Public Viewing (kostenfrei) auf der Schlossterrasse mitzuerleben.
Man hat auch an die vielen Musikfreunde gedacht, die nicht unmittelbar teilnehmen konnten, da bei zahlreichen Konzerten, räumlich bedingt, oft nur ein kleinerer Besucherkreis live teilhaben kann. Das Orchesterkonzert „MORTBZURG FÜR ALLE“ (10.8.), das einen Tag zuvor auch im König-Albert-Theater in Bad Elster stattfand, bot im Dresdner Kulturpalast sehr vielen Konzertbesuchern (zu kleinen Eintrittspreisen) die Möglichkeit, bekannte und beliebte Solisten gemeinsam mit dem Moritzburg Festival Orchester unter Josep Caballé-Domenech zu erleben. Andere Konzerte wurden u. a. auch im Rundfunk gesendet.
Man trifft bei den Künstlern immer wieder gute, „alte“ Bekannte und neue junge Musiker mit überraschenden Qualitäten. Von den zahlreichen Konzerten und Veranstaltungen in einem Spektrum von feierlichen Konzerten in Schloss und Kirche über Musiker- und Komponistenporträts bis zu öffentlichen Proben mit Blick „hinter die Kulissen“ können im weiteren hier nur einige stellvertretend stehen.
Die traditionelle Open-Air-Matinee „PROSCHWITZER MUSIK PICKNICK“ (11.8.) nach dem Vorbild des Gyndbourne Festivals, bei der die Teilnehmer der Moritzburg Festival Akademie ihr Könnern und die während ihres Aufenthaltes erarbeiteten Werke präsentieren und das Publikum in ungezwungener Atmosphäre (ohne Konzertbestuhlung) auf der weitläufigen Wiese im Park von Schloss Proschwitz, umgeben von Weinhängen, „Platz nimmt“, stand ganz im Zeichen von „Frauenpower“ mit Kammermusik von der Klassik bis zur Moderne.
Fünf Komponisten (George Bizet, Ernst Sachse (1810-1849), Béla Bartók, August Klughardt (1847-1902) und Luigi Boccherini standen acht Komponistinnen gegenüber, bekannte wie Fanny Hensel, die Schwester Felix Mendelssohn-Bartholdys, und Anna Amalie von Preußen (1723-1787), aber auch unbekannte wie Maddalena Laura Lombardini Sirmen (1745-1818), Louise Adolphine Le Beau (1850-1927), Grazyna Bacewicz (1909-1969), Emilie Mayer (1812-1883), Ethel Smyth und Carolin Shaw (*1982), deren wieder entdeckte und „ausgegrabene“ Kompositionen vielleicht nur einmal oder auch einige Male gespielt werden und wieder verschwinden. Interessant ist so etwas aber immer.
Bei „Kaiserwetter“ und sehr hohen Temperaturen waren noch mehr Besucher als im vergangenen Jahr gekommen. Die Stimmung war großartig. Fast die Hälfte der Nachwuchstalente kam aus Europa und jeweils ca. 20 % aus Asien und Nordamerika und einige aus Südamerika. erstmals auch aus Indonesien und Island. Sie überraschten mit beachtlichen Leistungen und schon fast professioneller Reife. Obwohl nur Einzelkünstler anreisen (keine eingespielten Ensembles), fiel in den unterschiedlichsten Besetzungen – von Trompetenduos und Duos für Violine und Kontrabass über Bläserquintett, Streichquintett und Streichquartett in klassischer Besetzung und auch einmal mit nur vier Violinen bis zu ungewohnter Bläserbesetzung – immer wieder die interessante Klangwirkung und das kongeniale Zusammenspiele auf. Sie brachten auch sehr unterschiedliche Instrumente mit – eine kleine praktische „Instrumentenkunde“ so ganz nebenbei.
Da standen Violoncelli unterschiedlichster Bauart und Stilepochen oder ein barocker fünfsaitiger Kontrabass mit schön geschwungener und gewölbter Deckplatte (und ohne Stachel) neben einem nüchternen modernen Instrument mit den üblichen vier Saiten (und Stachel). Einige der jungen Musiker spielten mit Barockbogen, andere mit modernem Bogen – aber es passte irgendwie immer und nichts störte die Harmonie, höchstens gelegentlich ein leichter Windstoß, der mit den Notenblättern spielte und für eine kleine Unterbrechung sorgte. Alle jungen Musikerinnen und Musiker gaben ihr Bestes und musizierten sehr engagiert, eine Primaria (Amelia Dietrich, USA) mit sehr schönem, singendem Ton und Führungsqualitäten, andere Streicher/innen etwas zurückhaltender, aber die Bläser/innen allgemein sehr sauber und „locker“, wobei vor allem die beiden Trompeter Alvaro Garcia Martin und Josep Goméz Alemany aus Spanien auffielen, deren Namen man sich wahrscheinlich merken sollte.
In einem, der manchen Konzerten vorangestellten, „PORTRÄTKONZERTE“, in denen sich ausgewählte Interpreten (oder Komponisten) in Gesprächen und/oder (nur) musikalisch vorstellen, gab die aus Hongkong gebürtige, mehrfach mit Preisen und Stipendien ausgezeichnete, Pianistin Tiffany Poon Proben ihres Könnens mit Kompositionen des Ehepaares Schumann. Im historischen Speise-, jetzt Konzertsaal des Schlosses (14.8.) begann sie mit „Scherzo Nr. 2 c‑Moll (op. 14) und „Nocturne Nr. 2“ aus den „Soirées musicales“ (op. 6) von Clara Schumann, zwei Stücke, die wohl kaum jemand im Saal vorher kannte, echte Entdeckungen, die schon wegen ihrer kompositorischen Perfektion ein neues Licht auf das kompositorische Schaffen dieser Frau, die in ihrem Leben so viel als Pianistin, Komponistin, Lehrerein, Ehefrau und Mutter geleistet hat, werfen und es aus seinem bisherigen „Schattendasein“ befreien können.
Tiffany Poon spielte beide Stücke der jungen, verliebten Clara, die wie alles in Claras Leben von aufrichtigen, wenn auch aufgewühlten, aber doch auch immer sanften Gefühlen bestimmt sind, mit allen pianistischen Raffinessen, reichlich Pedal und oft auch Kraft im starken Kontrast zu sanfteren Passagen, womit sie nicht ganz den feinsinnigen Charakter und die sensible Gefühlstiefe Claras traf, die ganz der Zeit der Romantik entsprach. Bei den „Kinderszenen“ (op. 15) des ebenfalls noch jungen Robert Schumann traf sie dann den Nerv des Komponisten und seiner Komposition, die mit dem „ewigen Kind“, dem Sehnsuchtsort der Romantiker nach innerer Heimat und Geborgensein „spielt“, auch „sacht und zart und glücklich wie unsere Zukunft“ wie Robert an Clara schrieb, erschien, aber eben aus männlicher Sicht, herzhafter und mit „Bodenhaftung“.
Das anschließende „KONZERT IM SCHLOSS“ (14.8.) begann mit W. A. Mozarts „Adagio und Fuge für Streicher c-Moll“ (KV 546), ein Wagnis, das die Ausführenden, Esther Hoppe, die das Quintett mit energischem Strich ihrer Violine anführte, Kevin Zhu, Violine, Sindy Mohamed, Viola, Hayoung Choi, Violoncello und Alexander Edelmann, Kontrabass, „gestandene“ Musiker, technisch versiert wiedergaben. Die Struktur war gut zu erkennen, die einzelnen Stimmen klar zu verfolgen. Man vermisste lediglich Klang und Leichtigkeit, die man bei Mozart nun einmal gewohnt ist, aber das Werk ist nicht leicht zu bewältigten und führt bei anderen Interpreten nicht selten zu kaum verständlichem „Chaos“.
Nachdem Mozart die Fugen der Bachsöhne studiert hatte, versuchte er es ebenfalls mit Fugen. Ihm schien nichts unmöglich, er wollte sich ausprobieren, aber für diese Gattung war die Zeit vorüber, die musikalischen Empfindungen waren andere geworden. Während die Fugen der Familie Bach auch gut klingen, gelang Mozart (wie später auch Beethoven) das Fugenschreiben mehr theoretisch als praktisch, so dass solche „klassischen“ Fugen nicht leicht zu komponieren waren und noch schwerer zu interpretieren sind, so dass sich die Ausführenden verständlicherweise vorrangig auf die technische Seite konzentrierten.
Anders war es bei Richard Strauss‘ einzigem Klavierquartett. dem „Klavierquartett c‑Moll (op. 13). Hier waren der sehr einfühlsam am Klavier musizierende und zusammen mit Alexander Sitkowetzky, Violine, den guten Ton angebende Boris Giltburg sowie Ziyu Shen, Viola und Huy Johnston, Violoncello ganz in ihrem Element. Die Stimmen und Klänge verschmolzen in perfektem Zusammenspiel der Streicher mit dem klangvollen Klavier zu großen schwelgerischen Gesten. In kraftvollen, wuchtigen Passagen verliehen die Musiker den aufregenden Erlebnissen des jungen Strauss eines Winters in der Großstadt Berlin mit eleganten Frauen, aufregendem Nachtleben und wichtigen Persönlichkeiten, die den Neunzehnjährigen wie „elektrisierten“, Ausdruck, professionell, überlegen und mit schöner Klarheit.
Alexander Borodin, der neben seinem Beruf als Chemiker eigentlich nur „Hobbykomponist“ war, aber dennoch als einer der berühmten Komponisten des 19. Jahrhunderts gilt, obwohl er hauptsächlich durch seine (unvollendete) Oper „Fürst Igor“ und da wiederum vor allem durch die „Polowetzer Tänze“ bekannt geworden ist, schrieb nur ein einziges Streichquartett, das „Streichquintett f‑Moll“, das Mira Wang, Violine, Ulrich Eichenauer, Viola, Christian Poltéra, Violoncello und Maciej Kułakowski, Violoncello in vollendeter Form zu Gehör brachten. Es gab Applaus nach jedem Satz. War es wirklich Begeisterung oder nur Unkenntnis, da dieses Quartett kaum bekannt ist, aber umso überraschender in seiner fließenden Eleganz, bei der genialer musikalischer Einfall auf Einfall folgt und jeder Satz in sich abgeschlossen erscheint und keine Fortsetzung mehr erwartet wurde? Es war verständlich, dass jemand offenbar (schon) während des gesamten Spiels das „Bavo“ auf den Lippen hatte, das mit dem letzten Ton herausbrach, aber man hätte das meisterhaft interpretierte Quartett gern ausklingen lassen, schön aber, wenn Kammermusik auch in unseren Tagen solch euphorische Begeisterung auslösen kann.
Bezüglich eines musikalischen „Nachtlebens“ konnten sich die Festival-Besucher für eine „WIENER NACHT“ mit Schubert, Beethoven, Mozart, Lanner und Johann Strauss und renommierten Künstlern auf Schloss Proschwitz (16.8.) entscheiden oder für die „LANGE NACHT DER KAMMERMUSIK“ (15.8.) in der Moritzburger Kirche mit den Teilnehmern der Festival Akademie und der Verleihung des „Akademiepreises 2019″, der zwar vom Publikum, aber einem musikliebenden, sachverständigen, vergeben wird. Lassen wir die Jugend zu Wort kommen. Da stand noch mehr „Frauenpower“ auf dem Programm, 10 Komponistinnen standen 4 Komponisten gegenüber. In kammermusikalischen Besetzungen “ konnte man hier zum Teil auch noch einmal einige der Werke erleben, die schon beim „Proschwitzer Musik Picknick“ gespielt wurden, aber jetzt noch reifer, noch ausgefeilter.
Mag es daran gelegen haben, dass im Raum manche Feinheit besser zur Geltung kommt als bei open air, vor allem aber hatten die jungen Musiker noch einige Tage Zeit, um noch weiter zu probieren, sich noch besser aufeinander einzustellen und an ihrer Interpretation zu feilen – schon wegen des Akademiepreises in drei Kategorien. In zwei Kategorien ging er an zwei Ensembles, die von Amelia Dietrich (USA) geleitet wurden, die schon beim „Musik Picknick“ positiv auffiel. Vielleicht wächst hier eine neue, vielversprechende Konzertmeisterin heran. Einen ähnlichen Fall gab es schon einmal, als ein unbekannter Teilnehmer in Moritzburg sozusagen seine Karriere begann und jetzt 1. Konzertmeister der Berliner Philharmoniker ist. In der dritten Kategorie ging der Preis an ein Streichquartett, das sich mit Vehemenz und Können für Carolin Shaw, eine Komponistin des 20./21. Jahrhunderts einsetzte.
Das Programm wird von Mira Wang, der Leiterin der Akademie, ausgesucht. Die jungen Musiker aus den verschiedensten Ländern und mit unterschiedlicher Ausbildung finden sich “ad hoc“ zu einem Kammermusikensemble zusammen. Da sitzt ein junger Mann aus Indonesien neben einer jungen Frau aus den USA und eine Musikerin aus China neben einem Musiker aus Finnland oder Kroatien. Das sind echte, unverfälschte Wettbewerbsbedingungen und nicht hoch genug zu schätzende Leistungen, wenn die jungen Musiker schon nach wenigen Tagen zusammen auftreten und so gut miteinander harmonieren, wobei auch der am Klavier mitwirkende Daiki Kato mit seiner besonderen Einfühlsamkeit bei den unterschiedlichsten Kompositionen auffiel.
„KÜNSTLER GANZ NAH“ waren in der alten, anheimelnden, schön restaurierten Dorfkirche Steinbach nahe Moritzburg zu erleben (16.8.). In einem sehr geschickt aufgebauten Programm, chronologisch vom 20. zum 18. Jahrhundert und instrumental vom hohen Streichinstrument zu den tieferen, boten „gestandene“ Künstler neben jungen, hoffnungsvollen ein Feuerwerk an Virtuosität und Esprit, wobei die ursprünglich in logischer Folge für den Abschluss vorgesehene „Suite für Violoncello solo Nr. 6“ von J. S. Bach, technisch versiert dargeboten von Guy Johnston, vom Ende an den Anfang rückte.
Mit der „Allemande“ aus der „Sonate für Violine solo Nr. 4 e‑Moll“ von Eugéne Ysaýe und „Rezitativo und Scherzo-Caprice“ von Fritz Kreisler präsentierte der 19jährige Nathan Meltzer mit zauberhaften Klängen auf „seiner“, einst Roman Totenberg von einem seiner Schüler gestohlenen und erst 2015 wieder entdeckten, „Ames“- Stradivari, auf der er zu spielen versteht, wahre „Hexenkünste“ an atemberaubender Virtuosität mit klangvollen Doppelgriffen in ungeahnter Perfektion, voller Temperament und Verve, und Glanzpunkte an interpretatorischer Reife.
Esther Hoppe und Kai Vogler boten eine Auswahl von den „44 Duos“, die Béla Bartók für zwei Violinen schrieb, und Sindy Mohamed und Guy Johnston das „Duo Es‑Dur“ von L. v. Beethoven. Den grandiosen Abschluss bildete die „Sonate Nr. 10 G‑Dur für zwei Violoncelli von J.-Baptiste Barrière (1707-1747), in vollendeter Wiedergabe von Hayoung Choi und Maciej Kułakowski. Als „kleine Überraschung“ bot Kai Vogler mit seiner, noch studierenden, Tochter Margarethe in sehr ansprechender Weise und völliger klanglicher Übereinstimmung „Variationen für Violine und Violoncello von G. F. Händel“ des Norwegers Johan Halvorsen.
Die beiden Cello-Virtuosen Hayoung Choi und Maciej Kułakowski waren noch einmal in einem anderen “PORTÄTKONZERT (17.8.) in der Moritzburger Kirche zu erleben, bei dem u. a. noch einmal „ihre“ „Sonate Nr. 10 G‑Dur für zwei Violoncelli“ von Jean-Baptiste Barrière zu hören war, die sie in der Steinbacher Kirche gespielt hatten. Der unterschiedliche Raum und die andere Atmosphäre ließen das Werk wieder neu und ein wenig anders erscheinen, aber sehr ansprechend und nuancenreich beeindruckte die Sonate auch hier. Bei einem „Duett für zwei Violoncelli D‑Dur (Hob.X:11) von Joseph Haydn, bei dem er, von ihr einfühlsam begleitet, mit singendem Cello die Führung übernahm, ließen sie auch den liebenswürdigen Humor Haydns zur Geltung kommen, der auch gegenwärtig immer noch anspricht, wenn er so wiedergegeben wird.
An virtuoser Überlegenheit aber stellten die „Variationen über ein Thema von Rossini“ von Niccolò Paganini alles in den Schatten. Bei Chois völlig konformer „Begleitung“ und Mitgestaltung „wie ein Herz und eine Seele“ konnte Kułakowski meist die Führung übernehmen und den effektvollen „Kunststücken“ wie dem perfekt auf einer Saite tänzelnden „Glissando“ und anderen Raffinessen widmen, denen sie in anderer Weise nicht nachstand. Sie hauchten beide der immer wieder neu und anders variierten, von Paganini ganz auf äußerliche Effekte bedachten, volksliedhaften Melodie mit überlegenem Humor und „nahtloser“ Harmonie Leben ein – wie aus einem „Guss“ und bedankten sich beim Publikum für den begeisterten Applaus als Zugabe mit ebensolcher Virtuosität in atemberaubender Schnelligkeit.
Das darauffolgende „KONZERT“ brachte zunächst eine Begegnung mit Hanns Eisler wie man den Österreicher und Weggefährte Bertold Brechts, dem der Nimbus der politischen Lieder anhaftet, nicht unbedingt kennt. „Präludium und Fuge über B-A-C-H für Streichorchester“, eines der kürzeren, streng konstruierten Stücke, die er zu Lehrzwecken verfasste, um mit steigendem Schwierigkeitsgrad die Zwölftontechnik umzusetzen, wurden von den versierten Musikern Alexander Sitkowetsky, Violine, Ziyu Shen, Viola und Macej Kułakowski, Violoncello, der sich nach seinem Höhenflug mit Paganini auch wieder kongenial in das Trio einfügte, klangvoll dargeboten.
Mit zum Teil „himmlisch schönen“ Klangwirkungen in gutem Zusammenspiel gestalteten Boris Giltburg, Klavier, Kai Vogler, Violine, Ulrich Eichenauer, Viola und Christian Poltéra, Violoncello, die schon zu den „Alten Hasen“ des Moritzburg Festival gehören, das “Klavierquartett Nr. 1 D‑Dur“ (op. 23) von Antonín Dvorak, bei dem weniger die „slawische Seele“ als vielmehr die geniale Virtuosität im Vordergrund stand.
Mit sehr ausdrucksvoller Streicherkunst und Hingabe, mit der der geniale junge Nathan Meltzer, Violine das Quartett mit Ester Hoppe, Violine, Ulrich Eichenauer, Viola und Guy Johnston, Violoncello, anführte, wurden „Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“ (Fassung für Streichquartett Hob. XX 18) von Joseph Haydn zum eindrucksvollen, emotionalen Klangerlebnis, ein ungewöhnliches Werk mit, für die Karfreitagsliturgie zwingenden, sechs Sätzen in sehr ruhigem Tempo (Largo, Grave e Cantabile, Grave, Adagio, Lento, Largo), bei denen es Haydn verstand, in immer wieder neuer, anderer Gestaltung die Aufmerksamkeit zu erhalten, und dem letzten, furiosen Satz (Presto).
Mit dem ABSCHLUSSKONZERT (18.8.) klang das 27. Moritzburg Festival in der Kirche stimmungsvoll aus. Noch einmal brachte es eine Begegnung mit einem kaum bekannten Werk, dem „Streichoktett C‑Dur“ (op. 7) des Rumänen und Kosmopoliten George Enescu, „hitzig, hochemotional und mit nicht zu bremsender Energie“, das die Herren Sitkovetsky, Meltzer, Kevin Zhu, Kai Vogler, Joshua Cai, Eichenauer, Poltéra und Johnston in ebensolcher Weise zu Gehör brachten, klar und klangvoll, volltönend und temperamentvoll, melodiös und melodienreich, im 2. Satz, dem Stück entsprechend, aufgeregt, aber immer klanglich ausgewogen. Wie alle Kammermusikensembles des Festivals musizierten Vertreter aller Herren Länder und Ethnien gemeinsam und bestachen durch klare Führung der Stimmen und musikalischen Linien, Klarheit und Homogenität.
Mit ganz anderem Charakter wurden Kevin Zhu, Esther Hoppe, Nathan Meltzer, Kai Vogler, Ulrich Eichenauer, Ziyu Shen, Jan Vogler und Hayoung Choi dem „Streichoktett Es-Dur“ (op. 20) von Felix Mendelssohn-Bartholdy zwischen leicht und luftig und kraftvoll und selbst im letzten Satz mit atemberaubendem Presto gerecht, immer konform mit viel Temperament und Begeisterung. Das war Kammermusik vom Besten und Feinsten und ein Abschluss, der Lust auf mehr machte.
Das 28. Moritzburg Festival wird in der Zeit vom 11. – 26. August 2018 stattfinden. Zur „Überbrückung“ finden 5 Konzerte mit erlesenen Musikern, die u. a. auch beim 27. Moritzburg Festival dabei waren, auf Schloss Albrechtsberg in Dresden mit Jan Vogler, Ismo Eskelinen, Daniel Müller-Schott, und Boris Giltburg u. a. statt.
Ingrid Gerk