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ERFURT/ DomStufen-Festspiele: DER NAME DER ROSE

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Theater Erfurt/ DomStufen-Festspiele 2019: „Der Name der Rose, Uraufführung des Musicals von Øystein Wiik (Text) und Gisle Kverndokk (Musik)/ deutsche Fassung Elke Ranzinger und Roman Hinze/ Vorstellung am 15.8.2019

 Krimi lösen im Regenschauer

Wer als Zuschauer nach oben blickte, der konnte schon die kommende Regenfront vorausahnen, aber noch war man trocken, sowohl auf der Bühne als auch auf der Zuschauertribüne. Die Vorstellung war ausverkauft und die Stimmung beim Publikum prächtig und erwartungsvoll.

Schließlich stand nichts weniger als eine Uraufführung für das gespannte Publikum bereit:

Umberto Ecos Roman „Der Name der Rose“, einst ein Bestseller, jetzt verwandelt in eine Musical-Fassung. Da durfte man gespannt sein.

Inhaltlich geht es in der im Jahr 1327 angesiedelten Geschichte um mysteriöse Todesfälle in einer Benediktinerabtei in den Abruzzen. Der Mönch Adson von Melk führt als Erzähler durch die Story. Außerdem begleitet er seinen Lehrer, den Franziskanermönch William von Baskerville, in das bergige Kloster. Dort erwarten Mitglieder des Franziskanerordens eine Gesandtschaft des Papstes. Damals brisante theologische Fragen, wie die Armut der Kirche, sollen disputiert werden. Wer das Buch gelesen oder den Film gesehen hat, der war inhaltlich gut vorbereitet und konnte nun gespannt die Musical-Umsetzung erwarten.

Wie schaffen es die beiden Norweger Øystein Wiik (Text) und Gisle Kverndokk (Musik) die opulente Handlung des Buches in ein Musical zu packen? Wie gelingt es der Regie von Axel Köhler diese Konvolut aus Krimi, Theologie und Kirchengeschichte auf die Domstufenbühne zu bringen?

Das Bühnenbild von Frank Philipp Schlößmann, der ein zertrümmertes Mosaik mit dem Christus als Pantokrator auf die Stufen von Dom St. Marien und St. Severi gebaut hat, ließ jedenfalls erahnen, das es opulentes Spektakel geben wird. Eine solche Gesamtkulisse wirkt bei diesem Stoff schon für sich.

Die dramatisch einsetzende Musik der Musical-Fassung zieht auch gleich in das Geschehen hinein und man bemerkt sehr schnell die Buchtreue des Stückes. Zwischen den Gesangsnummern finden viele Dialoge statt und der Zuschauer kann auf Sichttafeln die Tage zur besseren Orientierung mitlesen. Die Bruchstücke des Christus-Mosaiks sind verschiebbar und bilden immer neue Räume für Einzel- und Chorauftritte. Direkt am Dom ist ein mittelalterliches Buch aufgeschlagen, von dort berichtet, wie in Ecos Buch, der altgewordene Mönch Adson von Melk.

Das Geschehen nimmt seinen Lauf, die Morde passieren und William von Baskerville klärt semiotisch auf. In Sprech- und Liedtext deutet er die Zeichen und Spuren. Das ist dann auch etwas das Musical-Problem, denn seiner Sprache fehlt das Musical-Leichte. Zu sperrig wirken Texte. Man hat Umberto Ecos Buch vor 40 Jahren nachgesagt, wenn man die ersten 100 Seiten überstanden hat, dann wird es richtig spannend. Ähnlich schwierig gestaltet sich der Musical-Plot bis zur Pause. Dazwischen sind immer wieder flotte Rhythmen aber auch sich hinziehende Dialoge. Die werden zwar auch musikalisch rhythmisiert unterlegt, aber der Fortgang des Stückes wirkt etwas zäh. Dann beginnt auch noch der Regenfront zu tröpfeln. Natürlich bewundern alle die Sänger und den Chor, die unverdrossen weiterspielen und ihr Bestes geben.

Nach der Pause wird es zwar nicht trockener dafür aber umso geheimnisvoller. Die beleuchtete Domfassade und die Domstufen entfalten ihre ganz eigene Wirkung. Die Dramatik steigert sich sowohl schauspielerisch als auch musikalisch. Und auch der Himmel tut sein Übriges: er lässt es regnen. Das ist Moment, wo alle verfügbaren Folien zu Einsatz kommen und man mit den Darstellern fiebert, dass es hoffentlich zu keinem Abbruch kommen wird. Die Dunkelheit und die spannungssteigernde Beleuchtung und die Auflösung der Krimigeschichte mit dem Brand der Abtei bilden ein Finale, dem sich keiner entziehen kann. Als die letzten Töne verklingen gibt es zu Recht tosenden Applaus für die verregneten Akteure. Alle haben mehr als ihr Bestes gegeben.


Foto: Lutz Edelhoff

Einige Songs erhalten während der Vorstellung Szenenbeifall. Insgesamt wirkt die Musical-Fassung sehr textlastig. Die Handlung ist aktionsreich, da auch der Platz vor den Stufen genutzt wird z. B. die Ankunft des Großinquisitors mit Fackeln und Mittelalter-Kutsche. Die einheimischen Mönche sind grün und Franziskanermönche sind braun gewandet. Insgesamt tragen die Kostüme von Judith Adam viel zur Verstehbarkeit des Stückes bei. Außerdem runden sie natürlich die Mittelalter-Atmosphäre ab.

Die Gesangsleistungen sind trotz Dauerregen ausgezeichnet. Sowohl der Chor als auch die Einzeldarsteller singen und spielen an diesem Abend perfekt. Für die Rolle des William von Baskerville haben die Domstufen-Festspiel den Musicalstar Yngve Gasoy-Romdal engagiert und dem ist die Rolle wie maßgeschneidert. Auch die beiden Adsons: der alt gewordene Máté Sólyom-Nagy und junge Novize Florian Minnerop singen und spielen präzis unterhaltsam.

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Foto: Lutz Edelhoff

Zum Zuschauerliebling avanciert der Salvator-Darsteller Björn Christian Kuhn mit seinem komödiantischen Talent und Kauderwelsch streut er immer wieder freche und auflockernde Akzente in die Inszenierung. Nachvollziehbar gefährlich wirkt Rainer Zaun als Großinquisitor. Gar nicht komödiantisch tritt Jörg Rathmann als blinder Dogmatiker und ehemaliger Bibliothekar Jorge von Burgos auf. Er, der sonst auf Buffo-Rollen abonniert ist, beeindruckt diesmal mit Knarzigkeit. Das ist schon eher Juri Batukow in seinem gewohnten Milieu als Celerar Remigio. Das namenlose Mädchen, das Adson die Liebe beibringt, wird von Eva Löser glaubhaft verkörpert.

Wie einst Alfred Hitchcock in seinen Filmen, so spielt Regisseur Axel Köhler auch im Musical mit und übernimmt die Rolle des Mordopfers Malachias von Hildesheim, eines Bibliothekars.

Auch die hier leider nicht alle aufzählbaren Nebenrollen-Darsteller haben ihr Bestes gegeben und mit Leistung überzeugt. Auch der Chor in der Einstudierung von Andreas Ketelhut singt und bewegt sich so, dass er zum musikalischen und schauspielerischen Eckpfeiler der Aufführung wird. Am Dirigentenpult, mit dem glücklicherweise gut überdachten Philharmonischen Orchester, steht an diesem Abend Hausdirigent Chanmin Chung. Er hat die Orchesterzügel fest in der Hand und galoppiert forciert durch die Partitur des uraufgeführten Musicals von Øystein Wiik (Text) und Gisle Kverndokk (Musik). Auch das Licht, bei den Domstufen-Festspielen so entscheidend, wird von Florian Hahn exzellent auf die Stufen projiziert.

Mit dem Programmheft liefert das Theater Erfurt wieder viele interessante Informationen rund um das Stück: von der Inhaltsangabe über Rollenporträts bis zu kirchengeschichtlichen Aspekten und einem Rundgang durch das mittelalterliche Erfurt im Jahre 1327. So lässt sich das Erlebte noch zu Hause vertiefen. Wie immer gab es auch vor der Premiere eine Vortragsveranstaltung im Theater Erfurt. Dramaturg Arne Langer erläuterte dabei das Konzept. In der Kooperationsveranstaltung zwischen Katholischem Forum im Land Thüringen und dem Theater Erfurt wurde außerdem Geschichte und Musik von namhaften Wissenschaftlern erläutert. (Die gesamte Veranstaltung ist nach hörbar unter: https://bistum-erfurt.podigee.io/8-domstufenfestspiele)

Fazit: Das Musical-Wagnis ist grundsätzlich gelungen. Dennoch hätte sich der Autor Øystein Wiik weniger sklavisch an die Buchvorlage halten sollen, um Textlastigkeit abzuwerfen. Ein Musical muss nicht kongruent zu einer Buchvorlage sein. Das Regenwetter hat an diesem Vorstellungsabend von den Sängern alles gefordert und sie haben die Wasserprobe brillant bestanden. Dafür gab es viel Applaus und die stehenden Ovationen waren mehr als angebracht. Bravo!!!

Larissa Gawritschenko und Thomas Janda

 


BAYREUTH/ Festspiele: PARSIFAL

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Ryan McKinny (Amfortas) und Elena Pankratova (Kundry). Foto: Bayreuther Festsspiele/ Enrico Nawrath

„Parsifal“ von Richard Wagner am 15.8.2019 im Festspielhaus/BAYREUTH

RINGEN UM RELIGIÖSE INHALTE

Die Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg besticht aufgrund ihrer bildkräftigen Direktheit. Religiöse Inhalte werden so ganz bewusst hinterfragt. Die Gralsritter sind im ersten Aufzug noch eine funktionierende Gemeinschaft. Das Bühnenbild von Gisbert Jäkel präsentiert hier einen Ort, wo das Christentum bedroht ist. Man sieht einen zuletzt grell erleuchteten, riesigen Kelch, der das Bühnenbild beherrscht. Die Kostüme von Jessica Karge zeigen die Figuren als heutige Menschen. Der Nahe Osten und das nördliche Afrika werden sichtbar. Es gibt eine Beziehung zur Gemeinschaft der Trappistenmönche. Auch der kunstreligiöse Ansatz wird betont, er wird dann im dritten Aufzug in gewaltiger Weise ausgebreitet. Hier bietet die pflanzliche Welt und das Paradies eine optische Vielfalt. Es gibt hier allerdings auch schwächere Szenen – etwa dann, wenn Kundry fast krampfhaft einen Kühlschrank reinigt. Im ersten Aufzug erreicht die Verwandlungsszene aufgrund einer monumentalen Reise durchs Weltall eine bemerkenswerte Deutlichkeit (Video: Gerard Naziri). Die Dimensionen scheinen sich in riesiger Weise auszudehnen. Laufenberg arbeitet hier auch heraus, dass Wagner die Menschheit als erlösungsbedürftig ansieht. Das Bühnenbild erweitert sich zuletzt zu einem enormen Theatergehäuse, das das Publikum voll miteinbezieht. In einer unheimlichen Reise durch die Luft sieht man unter anderem das Gesicht von Winifred Wagner und die Totenmaske Richard Wagners, die sich auflösen.

Trotz mancher szenischer Brüche bestechen diese Bilder durchaus aufgrund ihres visuellen Einfallreichtums. Das Festspielhaus selbst wird in dieser Inszenierung zuletzt als problematischer Ort gesehen. Allerdings öffnet sich das Gebäude und macht lichtdurchfluteten Weiten Platz. Die Menge blickt ratlos und ergriffen zugleich in den Hintergrund. Parsifal ist als reiner Erlöser aber immer gegenwärtig. Manches erinnert sogar an die „Götterdämmerung“. Die Rituale selbst spielen in der Inszenierung Uwe Eric Laufenbergs ebenso eine facettenreiche Rolle. Das liturgische Hochamt scheint variiert zu werden. Die sinnliche Darstellung dieses Rituals steht bei ihm im Vordergrund. Die Christusfigur wird in Tücher gehüllt, an Amfortas wird eine recht blutige Zeremonie vollzogen. Er wird dabei als jemand gezeigt, der wie Jesus in einen Opfergang gedrängt werden soll. Eine enorme Dichte erreicht dann der zweite Aufzug mit der zentralen Auseinandersetzung zwischen Parsifal und Kundry. In der oberen Etage agiert die groteske Eunuchenfigur von Klingsor, der sich vor einem Raum mit imginären Kruzifixen postiert hat, die durch Parsifals Bann zuletzt explosionsartig herabfallen. Man spürt, dass hier nicht nur der Zauberpalast einstürzt.  Das Publikum reagiert dabei mit großer Begeisterung. Dies liegt vor allem an den beiden fesselnden Darstellern Andreas Schager als Parsifal und Elena Pankratova als Kundry, die sich gegenseitig gut ergänzen. Aber auch der stimmgewaltige Klingsor von Derek Welton zeigt durchaus dämonische Größe. Elena Pankratova geht ganz in ihrer Rolle auf, sie spürt der psychologischen Tiefenwirkung dieser Figur in reizvoller Weise nach. Vor allem überzeugt ihre Darstellung aufgrund des packend herausgearbeiteten Leidensdrucks, unter dem Kundry immer steht. Ihr Sopran ist zu zahlreichen klangfarblichen Schattierungen fähig, was sich beim Absturz vom hohen H auf das tiefe Cis in eindrucksvoller Weise zeigt: „Ich sah – Ihn – und – lachte…“ Andreas Schager kann Parsifals heftige Selbstanklagen mit übergroßer Deutlichkeit betonen.


Andreas Schager, Elena Pankratova und Günther Groissböck (Foto: Enrico Nawrath/ Bayreuther Festspiele

Semyon Bychkov arbeitet als Dirigent mit dem klangschön musizierenden Bayreuther Festspielorchester die Einfachheit und Klarheit der Wagnerschen Partitur deutlich heraus. Bei ihm fehlen glücklicherweise aber auch leidenschaftliche Ausbrüche nicht. Die Diatonik der Gralswelt wird nie verleugnet. Und die Gralsmelodie in As-, Ces-Dur und d-Moll breitet sich in sphärenhafter Weite aus. Klingsor dagegen triumphiert mit imponierender Chromatik. Die harmonische Durchsichtigkeit des Karfreitagszaubers hätte bei der einen oder anderen Passage zwar noch präziser herausgearbeitet werden können. Doch gerade die wilden Amfortasklagen erreichen aufgrund der intensiven Darstellung von Ryan McKinny eine fesselnde Leuchtkraft. Als Gurnemanz, der umfangreichsten Rolle,  gefällt Günther Groissböck mit sonoren Bassklängen, deren Intensität ständig zunimmt. Der Bassist beging an diesem Abend seinen 50. Auftritt bei den Bayreuther Festspielen!

In weiteren Rollen fesseln neben Wilhelm Schwinghammer als Titurel Martin Homrich als erster Gralsritter, Timo Riihonen als zweiter Gralsritter sowie Alexandra Steiner, Mareike Morr, Paul Kaufmann und Stefan Heibach als erster, zweiter, dritter und vierter Knappe. Klingsors Zaubermädchen beweisen in der subtilen Darstellung von Katharina Konradi, Ji Yoon, Mareike Morr, Alexandra Steiner, Bele Kumberger und Marie Henriette Reinhold nicht nur aufgrund der einfallsreichen Kostüme von Jessica Karge erhebliche erotische Verführungskraft. Auch das Motiv des Leidens erreicht bei Semyon Bychkov einen starken Ausdruck in den Bass-Akkorden, die auf den Tönen Ges-F-E verweilen. Das Klingsor-Motiv mit seinen unheimlich zuckenden Rhythmen könnte hier noch zielgerichteter sein. Dem verkürzten Motiv der Verdammnis trotzt Semyon Bychkov mit dem Bayreuther Festspielorchester dagegen drastische Präzision ab. Dass Wagners Charakteristik hier nicht weniger grell als etwa in der „Götterdämmerung“ ist, spürt man bei dieser Wiedergabe genau. Das Unruhe-Motiv wird beim Erscheinen der Blumenmädchen bei dieser Aufführung facettenreich herausgearbeitet, was sich ebenso beim Sorge-Motiv zeigt. Ergreifende Deutlichkeit beherrscht das Motiv des Mitleids, wobei während des Kusses langsam das Motiv der Verdammnis aufsteigt. Parsifals Sinneswandlung erreicht bei dieser Aufführung gerade im zweiten Akt eine logische Konsequenz. Ausgesprochen poetisch interpretiert Semyon Bychkov mit dem Festspielorchester den Bericht des greisen Gurnemanz an den zurückkehrenden Parsifal im dritten Aufzug. Und der gewaltige Trauermarsch der Dekorationswandlung erreicht dann schauerliche Größe, wobei seine klangliche Intensität auch noch eindringlicher sein könnte. Die Totenklage mit der Bassstimme im gleichen Rhythmus besitzt erschütternde Kraft. Packend agiert der von Eberhard Friedrich einstuderte Festspielchor vor allem bei den Amfortas-Szenen.

Es gab Ovationen für die Sänger und den Dirigenten, keine „Buh“-Rufe. Es ist eine hintersinnige Inszenierung, die trotz einiger Abstriche Bestand hat. 

Alexander Walther              

Film: CRAWL

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Filmstart: 23. August 2019
CRAWL
USA / 2019
Regie: Alexandre Aja
Mit: Kaya Scodelario, Barry Pepper u.a.

Es gibt Tiere, vor denen sich die meisten Menschen (zu Recht!) fürchten. Schlangen beispielsweise. Oder weiße Haie. Ideale Protagonisten für Horrorfilme. Freilich, einem Meister wie Hitchcock reichten schon Vögel, um Gänsehaut zu erzeugen… Wie dem auch sei, diesmal sind es Alligatoren. Über den Unterschied zu Krokodilen (andere Zähne, andere Schnauzenform) muss man sich nicht den Kopf zerbrechen. Sie sind genau so tödlich, wenn man ihnen als Mensch begegnet. Und in Florida sind sie (weil sie nur im Süßwasser existieren) sehr verbreitet…

Kein Horrorfilm beginnt (es sei denn, er hat einen Prolog) wie ein Horrorfilm. Sondern im friedlichen Alltag. Zwei Schwestern telefonieren wegen Papa, lange nichts von ihm gehört. Die Rückblenden zeigen, wie eng Haley (Kaya Scodelario) mit dem Vater verbunden war. Offenbar hat sie es zur Meisterschwimmerin gebracht, und schon als sie ein kleines Mädchen war, hat Papa Dave (Barry Pepper) sie trainiert, ihr immer Mut gemacht, sie das Durchhalten gelehrt. All das wird als Voraussetzung für das Kommende noch wichtig.

Denn nun geht ein Unwetter über Florida nieder, und zwar eines von den ganz großen (das fügt dem kommenden Horror noch die Katastrophen-Elemente hinzu). Haley erreicht den Vater auf dem Handy nicht, nimmt an, er sei in seinem einsamen Haus bei den Sümpfen und macht sich gegen die Warnungen der Guards, die überall herumstehen, auf, ihn zu suchen…

Von nun an kommt es natürlich so, wie man es erwartet. Unwetter – die sind ja nicht erfunden, die sind harte Realität – lassen sich grausam zeigen, Stürme, Wasserfluten, die ganz schnell bis zu den Straßen hoch steigen. Da hinein begibt man sich nur, wenn man einen sehr, sehr triftigen Grund hat. Etwa den geliebten Vater. Und der ist vermutlich in seinem bereits überfluteten Haus…

Phantasiebegabte, klaustrophobische Kinobesucher seien gewarnt. Sie müssen einen großen Teil der nun folgenden Handlung in engen, überfluteten Kellerräumen zubringen. Und da ist nicht nur der blutende Vater, der unter zusammengebrochen Hausteilen verletzt und unbeweglich liegt. Da kommen sie auch schon, die Alligatoren, sperren ihre Riesenmäuler auf und erfüllen ihre Horrorpflicht: Man hat in diesem Film keine 20 Minuten darauf warten müssen…

Dafür geht es lange so weiter. Hier Sturm und Regen, der Keller im Wasser, dort der Papa, der die Tochter wegschicken und sich selbst opfern will („You need to go“ – „Not without you“, sagt die Tochter), und unsere ganze Anteilnahme ist mit der starken, listenreichen Haley, der ihre Fähigkeiten als Meisterschwimmerin zugute kommen und die immer wieder mit den Alligatoren konfrontiert ist, die sich überfallsmäßig einstellen. Unglaublicherweise funktionieren die Smartphones, so dass sie Papa warnen kann, wenn wieder so ein schauerliches Viech sich nähert, gegen die man sich nur wehren kann, indem man ihnen gewaltig auf die Schnauze haut (und da sind so schreckliche Reißzähne drinnen!) Ja, der französische Regisseur Alexandre Aja hat sich mit Slasher-Movies einen Namen gemacht.

Logisch, dass es nicht viel Zeit für menschliche Interaktion gibt, wenn man in Lebensgefahr im Wasser plantscht (und auch das noch unter niedrigen Kellerdecken), aber dass man für einen geliebten Menschen alles tut und grandiose Kräfte entwickelt, wird schon klar („This kid is a fighter“, stöhnt der Papa). Ein bisschen einförmig kann es trotz der schaurigen Hauptdarsteller – da sind jetzt die Alligatoren gemeint – schon werden, dramatische Wendungen gibt es, wenn die Retter scheinbar kommen, aber… Am Ende freilich, wenn die Alligatoren wie Riesendrachen auf unsere Heldin einstürzen und diese das Messer nimmt – na ja, so wirklich ernst ist diese Art von Filmen ja nie gemeint. Wer im schönen Sommer wirklich ins Kino gehen und es grauslich haben will, da erfüllt „Crawl“ seine Pflicht.

Renate Wagner

Film: GLORIA – DAS LEBEN WARTET NICHT

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Filmstart: 23. August 2019
GLORIA – DAS LEBEN WARTET NICHT
Gloria Bell / USA / 2018
Regie: Sebastián Lelio
Mit: Julianne Moore, John Turturro u.a.

Ein Mangel an Teenie-Filmen ist im Angebot der stets neu produzieren Streifen nicht zu beklagen, wen wundert’s, schließlich gehen sie ins Kino und wollen ihre eigenen Probleme dargestellt sehen. Aber auch die Herrschaften in Richtung Silberhaar wollen Filme (und sie sind das ins-Kino-Gehen noch viel mehr gewöhnt, aus einer Zeit, wo sie nicht alles am Computer oder dem Smartphone fanden) – und da tut sich nun einiges. Oft geht es um Probleme, die durchaus „echt“ schmecken.

So wie bei Gloria: nicht mehr jung, unscheinbar, Brille, freundliche Ausstrahlung. Wenn sie ihre erwachsenen Kinder anruft, gehen diese nicht an den Apparat, und sie sagt ihnen fast verlegen paar nette Worte. Sie lebt in Los Angeles, arbeitet bei einer Versicherung, und nachts geht sie in Bars.

Aber, nein, keine spektakuläre Verwandlung in eine „Schöne der Nacht“ (hatten wir schon oft), sie will halt nur raus, wohl in der vagen Hoffnung, dass ihr bei solch einer Single-Parties jemand über den Weg läuft. Dabei hat diese Gloria nicht viel Geld, wenn sie ihre Mutter trifft, zahlt diese. Und sagt ihr eine Wahrheit: „Life goes by like a flash.“ Ja, stimmt.

Und irgendwann gibt es auch einen Mann, der sich für sie interessiert. Nett, zurückhaltend, geschieden. Wo ist die Achillesferse? Dieser Arnold hat zwei erwachsene Töchter, immerhin schon 27 und 31, Berufe haben sie nicht, und sie sind von ihm „abhängig“. Man wird noch erfahren, was das bedeutet – und was daraus resultiert.

Aber anfangs geht es gut. Er nimmt Gloria zu dem „Amusement Park“ mit, den er leitet. Zeigt ihr, wie man schießt. Sie küssen sich. Musik schwillt auf. Sex. Endlich das zweite Glück für zwei einsame Menschen?

Aber Regisseur Sebastián Lelio, Chilene aus der Arthaus-Welt, dessen Transvestiten-Film „Una mujer fantástica“2018 den Auslands-„Oscar“ gewann und der hier selbst das US-Remake seines eigenen chilenischen Originalfilms dreht, hat sich auch die Geschichte ausgedacht, die nicht glücklich enden soll.

Denn da sind die Töchter (die man kaum zu Gesicht bekommt): Wenn sie anrufen, lässt Arnold alles liegen und stehen, um ihre Probleme zu lösen. Und er wagt auch nicht, ihnen Gloria vorzustellen. Wenn sie Arnold hingegen zu einer Feier in ihrer eigenen Familie mitnimmt, trifft sie den Exgatten, von dem sie seit zwölf Jahren geschieden ist, mit einer neuen Frau. Sie erfährt, dass ihre schwangere Tochter zu ihrem Freund nach Schweden ziehen wird (und später sehen wir sie am Flughafen bei deren Abschied weinen).

Und alle, alle sind betreten bei diesem Familien-„Fest“. So locker geht das doch nicht immer mit den neuen Partnern. Missverständnisse schmerzen, Auseinandersetzungen bleiben nicht aus. Und gesundheitliche Probleme muss es auch immer geben (Gloria verliert nach und nach ihr Augenlicht) – kurz, das Leben hat nicht immer ein Happyend bereit, die Tragik wirkt sich in den Alltag ein.

Gloria will es zwar noch einmal probieren – bei einer gemeinsamen Reise wohnen Arnold und sie übrigens in „Caesar’s Palace“ in Las Vegas… Nützt alles nichts. Kaum dreht sie sich um, telefoniert er schon wieder heimlich mit den Töchtern, die ihn in den Krallen haben. Merk’s: Familie kann eine Kette sein, die einen Menschen in den Abgrund zieht. Und: Wer sich aus seiner Vergangenheit nicht befreien kann, der hat keine Zukunft. Und es endet nicht gut… wie peinlich, dass es die eigene Mutter ist, die die kaputte Glora abholen muss.

Julianne Moore, die sich den 60 nähert, ohne dass man es bemerkt hat, ist großartig darin, sich in ihre jeweilige Figur zu verwandeln (man wird es auch demnächst sehen, wenn sie in „After the Wedding“ einen ganz anderen Charakter verkörpert). Gloria ist nie auf die Butterseite des Lebens gefallen. Umso bitterer, dass es wieder nicht klappt, wenn einmal die Möglichkeit am Horizont leuchtete… und umso kunstvoller, das ohne absichtsvolles Getue (Seht her, welch große Schauspielerin ich bin!) spüren zu lassen.

John Turturro war nie ein Heldentyp und immer ein großer Schauspieler. Sein Problem, zwischen Verpflichtungen und Gefühlen, zwischen Müssen und Wollen zerrissen zu werden, ist fast das interessantere.

Also, wer sich an guten Schauspielern ergötzt – da sind Moore und Turturro trotz trüben Geschehens durchaus einen Kinobesuch wert.

Renate Wagner

BADEN / Stadttheater: KUSS DER SPINNENFRAU

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Drew Sarich (Molina) und Ann Mandrella (Aurora/Spinnenfrau). Foto: Bühne Baden/Lukas Beck

BADEN / Stadttheater: KUSS DER SPINNENFRAU von Terrence McNally, John Kander und Fred Ebb
18. August 2019 (Premiere 3. August 2019)

Von Manfred A. Schmid

Mit dem Musical Cabaret, das demnächst als erste Premiere die Herbstsaison an der Volksoper eröffnen wird, hatten sie 1966 ihren ersten großen Erfolg gelandet. 1992 gelang dem genialen Duo John Kander (Musik) und Fred Ebb (Liedtexte) mit Kuss der Spinnenfrau ein weiteres, mit sieben Tony-Awards ausgezeichnetes Meisterwerk. Die Neuproduktion dieses Stücks durch die Bühne Baden bietet noch bis Ende August ein fulminantes und ob seiner politischen Brisanz ungemein berührendes Musiktheatererlebnis.

Das ist – neben dem grandios gebauten Stück nach dem Buch von Terrence McNally und nach einer literarischen Vorlage von Manuel Puig – vor allem der exquisiten Besetzung der Hauptrollen und der packenden Regie von Werner Sobotka geschuldet. Wie es Sobotka gelingt, das stete Hinüber-Kippen aus der brutalen Realität in einem lateinamerikanischen Gefängnis zur Zeit der Diktatur in eine cineastische Traumwelt, in der der homosexuelle Molina Zuflucht sucht, auf die Bühne zu bringen, zeugt von großem Einfühlungsvermögen und perfekter Beherrschung der Möglichkeiten, die das von Karl Fehringer und Judith Leikauf kongenial geschaffene Bühnenbild bietet. Die Kerkerzelle, die der unpolitische Schaufenstergestalter Molina, der wegen Verführung eines Minderjährigen inhaftiert worden ist, mit dem Polithäftling Valentin teilt, verwandelt sich in Handumdrehen in den Gefängnishof, in dem die Häftlinge, von den Wächtern drangsaliert, ihre Runden drehen (Choreographie Natalie Holtom). Der Hof dient aber auch als Folterkammer, in der die grausamen Verhöre stattfinden. Auf einer zweiten, darüber gelegenen Ebene finden die furchteinflößenden Auftritte des Gefängnisaufsehers (Franz Josef Koepp) statt. Ein gerissener, skrupelloser Bürokrat, der Molina mit Gewaltanwendung und falschen Versprechungen – vergebens – dazu überreden will, Valentin die Namen seiner Mitverschwörer zu entlocken und ihm zu verraten.

Zugleich handelt es sich hier aber auch um eine metaphysische Ebene, denn sie bietet Platz für eine Showtreppe, auf der die Auftritte der geheimnisvollen, von Molina inbrünstig verehrten Filmschauspielerin Aurora stattfinden. Eine Diva, die sich schließlich als die ebenso gefürchtete wie heiß ersehnte, mit ihrem Kuss den Tod und Erlösung bringende Spinnenfrau entpuppt. Mit der aus Frankreich stammenden Ann Mandrella als Filmdiva und Todesengel ist für diese magische Figur eine Idealbesetzung mit imponierender Bühnenpräsenz gefunden. Wann immer sie auftritt, hält man den Atem an. Und von Mal zu Mal wird auf ihrem schwarzen Kleid (Kostüme Friederike Friedrich) die Kontur eines Spinnennetzes – und damit das unausweichlich fatale Ende – sichtbarer.

Der Amerikaner Drew Sarich ist – wie seine Ehefrau Mandrella – eine internationale Größe in der Musicalszene. Was dieser Mann schon alles verkörpert hat, ist in seiner Vielfalt ziemlich einzigartig. Als tuntig-sanfter, überaus sympathischer Molina gelingt ihm eine wunderbare Zeichnung dieser komplexen Figur, und man versteht, warum sich der vierschrötige, mit beiden Beinen auf der Erde stehende Valentin (intensiv und eindrucksvoll Martin Berger) auf Dauer dem Charme und der bezwingenden Offenheit und Ehrlichkeit seines Zellengenossen nicht entziehen kann.

Andrea Huber als Molinas Mutter porträtiert eine liebende Mutter, die ihren Sohn so nimmt und akzeptiert, wie er ist. Ihre Begegnung, nachdem Molina vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen worden war, um seine kranke Mutter, die ihn früh als Kartenabreißerin in die Zauberwelt des Kinos eingeführt hat, wiederzusehen, gehört zu den berührendsten Szenen des Abends. Wie Valentin versprochen, ruft er danach dessen Freundin an, um ihr zu melden, dass ihr Geliebter noch lebt. Doch Marta (Elisabeth Ebner), die einer höheren Gesellschaftsschicht angehört, zeigt längst kein Interesse mehr an dessen Schicksal und wimmelt ihn ab. Molina wird wieder inhaftiert, um ihn zur Preisgabe der Namen der Kontaktpersonen aus Valentins politischem Umfeld zu zwingen. Über sich hinauswachsend, weigert er sich, und die Schergen – und in ihrem Gefolge auch die Todesgöttin – walten ihres Amtes.

Die Musik von John Kander setzt auf lateinamerikanische Rhythmen, präsentiert aber, in den beklemmenden Gefängnisszenen, auch harte, hämmernde und schrill dissonierende Klänge, die dann, in den Episoden der Entrückung aus dem tristen Geschehen, von einschmeichelnden Anklängen an romantische Filmmusik wirkungsvoll kontrastiert werden. Das Orchester der Bühne Baden unter der Leitung von Christoph Huber wirkt sehr präsent und trägt – wie das ganze Ensemble aus Gefangenen und Gefängniswärtern sowie der Chor – zum großen Erfolg der Aufführung bei. Das Publikum im dicht besetzten Zuschauerraum bedankt sich stehend mit begeistertem Applaus.

Manfred A. Schmid

18.8.2019

BAYREUTH/ Festspiele: LOHENGRIN

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Tomasz Konieczny (Telramund) und Elena Pankratova (Ortrud). Foto: Enrico Nawrath/ Bayreuther Festspiele

Bayreuther Festspiele:  Lohengrin   18.8.2018

Der Lohengrin in der Inszenierung von Yuval Sharon und unter der Leitung von Thielemann präsentiert sich in seinem zweiten Jahr szenisch deutlich verbessert. Der im vorigen Jahr für Alvis Hermanis kurzfristig eingesprungene Sharon hatte wenig Zeit, dem weitentwickelten Bühnen- und Kostümbild (Neo Rauch & Rosa Loy) eine adäquate Regie hinzuzufügen. Das wurde jetzt nachgeholt und zeigt wieder einmal eine optimal funktionierende ‚Werkstatt Bayreuth‘, wo die Regisseure zur Wiederaufnahme ihrer Inszenierungen zu erscheinen und somit die Möglichkeit zu verändern und zu verbessern haben. Yuval Sharon, der ja schon in Karlsruhe eine sehr farbenreiche, Walt-Disney-Anklänge nicht scheuende Walküre vorgelegt hat, zeigt hier, daß er auch Personen und Kollektive führen kann. Heuer hat er besonders an der Chor-Regie gefeilt, die letztes Jahr noch eher statisch war. Wie hier die Massen, auch geteilt in Sachsen und Brabanter, oft wie Wellen nach hinten & vorne, diagonal und zu den Seiten hin fluten, ist  fast schon magisch zu nennen und korrespondiert mit der Stromasoziation im Bühnenbild. Im 2.Akt kommen noch die Blumen streuenden Knappen und Mädchen hinzu in eigens zurecht geschnittenen Wämschen und Röckchen und bei dem Zusammenprall der Antagonisten Elsa- Ortrud und Lohengrin – Telramund „brennt“ die Bühne dann wirklich. Elsa im ersten und Ortrud am Schluß werden von Häschern der Brabanter an langen Leinen in Schach gehalten, und beide sollen am Strommast wie am Marterpfahl verbrannt werden.

Den Taktstock hat wieder Christian Thielemann übernommen und gestaltet das Vorspiel nicht nur keusch-ätherisch, sondern läßt die hohen Violinen auch mal richtig süffig aufspielen. Das erscheint als Gralsmacht pur. Im weiteren Verlauf  erlaubt sich Thielemann, wie es seine Art ist, viele expansive Rubati und läßt den Klangfluß öfter fast zum Stillstand kommen. Das Orchester und seine SängerInnen, auch die für Netrebko eingesprungene Annette Dasch, machen das immer gerne mit, eine eingeschworene Truppe. Wenn Thielemann also sehr häufig ritardieren läßt und damit den Klang auskostet, fällt auf, daß er beim wichtigen Schlüssel-Chor mit Ensemble „Geheimnis“ Ende 2.Akt plötzlich ‚durchdirigiert‘, als gälte es jetzt, schnell zum Ende zu kommen. Abgesehen davon muß aber positiv das häufige und akkurate Auf- und Abschwellen betonter Stellen hervorgehoben werden, was unvorhergesehene Wendungen mit großem Effekt markiert. Das macht Thielemann so schnell Keine/r nach.

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Piotr Beczala (Lohengrin). Foto: Bayreuther Festspiele/ Enrico Nawrath

 

Die  4 Edlen sind mit Griffke, Akzeybek, Reichert und Rihonen stimmlich eher zurückhaltend besetzt. Die Edelknaben und -damen mit de Geus, Ragg, Schlestein und Gutjahr singen äußerst stimmschön. Der Heerrufer, auch Einflüsterer des Königs, ist Egils Silins mit elastisch durchgestyltem Baßbariton. Elena Pankratova als neue Ortrud achtet beim Gesang auf schön gestaltete Belcantophrasen, ein beherrschendes Bühnenweib, deren Zauber- und Seherkräfte ihr auch am Ende nicht genommen werden können. Tomasz Konieczny ist als Telramund eine echte Ausnahmeerscheinung, sein dunkel geschmeidiges bronzenes Timbre ist einzigartig, auch wenn Vokalverschleifungen öfter hörbar sind. Auch er bekommt Riesenapplaus. Ein wichtiger Mitspieler ist auch Georg Zeppenfeld. Wendig in der Szene als König (im Gegensatz zum weniger „bewegten“ Lohengrin) bringt er einen in allen Registern gut ansprechenden Baß ein. Bei Piotr Beczala sind deutlich die tieferen von hohen Registern unterschieden. Er verbindet sie aber gut. Das tiefe baritonale hat einen eher gewöhnlichen Klang, das hohe dagegen einen ganz balsamischen, was der Gralserzählung und den rein vokalen Schwanengesängen ätherischem Glanz verleiht.

Zum Glück hatten die Festspiele Annette Dasch als Einspringerin für Anna Netrebko in der Hinterhand. Und die erlebt wirkliche einen zweiten Frühling. Leider hat sie ja gewisse Höhenprobleme (und ist darin auch mitWaltraud Meier vergleichbar). Sie singt die Elsa jetzt noch dezidiert dramatischer als vor Jahren in der Neuenfels-Inszenierung. Und hat diese jubelnden Aufschwünge mit einzigartig perlendem Timbre immer noch drauf –  und dafür liegt man ihr zu Füßen!                                                               

Friedeon Rosén

INNSBRUCK/ Festwochen der Alten Musik/ Innenhof der Theologischen Fakultät: OTTONE von G.F.Händel. Premiere

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Teofane, Ottones Verlobte (Mariamielle Lamagat) Foto: Rupert Larl

Innsbrucker Festwochen der Alten Musik mit weiterer Opernrarität: „Ottone“ von Georg Friedrich Händel

(Premiere: 18. August 2019)

Mit einer weiteren Opernrarität warteten die diesjährigen Innsbrucker Festwochen der Alten Musik auf: „Ottone“ von Georg Friedrich Händel (1685 – 1759). Die Uraufführung dieser Barockoper, die als eine der erfolgreichsten Kompositionen Händels galt, aber später eher selten gespielt wurde, fand 1723 in London statt. Im Jahr 2011 wurde sie bei den Händel-Festspielen in Halle an der Saale aufgeführt – der Online-Merker berichtete damals –, nun wurde sie im Innenhof der Theologischen Fakultät Innsbruck als Koproduktion mit den Händel-Festspielen Halle 2020 und Göttingen 2020 gespielt.

Die Handlung der Oper, dessen Libretto von Nicola Francesco Haym nach Stefano Benedetto Pallavicino stammt, kurz zusammengefasst: Otto, König der Germanen und Herrscher über Italien, will durch eine Verbindung mit der byzantinischen Königstochter Teofane seine Machtansprüche innerhalb des Römischen Reiches stabilisieren, wobei die Vermählung in Rom stattfinden soll. Doch dort wird die Braut bereits von Adelberto erwartet, dem Sohn des entthronten Königs Berengar, der von seiner Mutter Gismonda aufgehetzt wurde, sich selbst als Otto auszugeben, um damit dessen Heiratspläne zu unterlaufen. Rechtzeitig kehrt Otto nach Rom zurück und nimmt Adelberto gefangen. Mit Hilfe des geheimnisvollen Piraten Emireno gelingt es Adelberto zu fliehen und Teofane zu entführen. Emireno enthüllt Teofane seine wahre Identität – er ist ihr totgeglaubter Bruder Basilius – und bringt sie zu Otto zurück. Auf Bitten seiner Verlobten Matilda wird Adelberto begnadigt, es steht also einem Happyend nichts mehr im Wege.

Regie führte die in Berlin geborene Anna Magdalena Fitzi. Sie hatte es im Innenhof der Theologischen Fakultät nicht leicht, da heuer die Sitzreihen des Publikums quer im Hof aufgebaut waren und sich davor keine Bühne im üblichen Sinn befand. Als Zuschauer bekam man bald das Gefühl, dass keine Personenführung stattfand, da die Sängerinnen und Sänger oft überhaupt nicht zu sehen waren. Allzuoft lagen sie am Boden und waren dadurch für die meisten Zuseher unsichtbar.

Für Bühnenbild und Kostüme zeichnete Bettina Munzer verantwortlich. Einige Sitzmöbel standen herum, auf denen sich manchmal Sänger „vergruben“, ein Bild wurde auf einer Säule angebracht, ein paar färbige Vorhänge ergaben ein „Bühnenbild“. Kostümiert waren die Sängerinnen in weißen Gewändern, die Sänger trugen heutige Kleidung.


Die Titelrolle des Ottone sang die Mezzosopranistin Marie Seidler (Foto: Rupert Larl)

Das Sängerensemble wurde aus Preisträgern und Teilnehmern des Cesti-Wettbewerbs aus dem Jahr 2018 gebildet. Da die Händel-Oper mehrere attraktive Partien für die jungen Sängerinnen und Sänger bot, kam diese Idee der Festwochen-Intendanz auch beim Publikum gut an. Die Titelrolle als deutscher Kaiser Ottone war mit der deutschen Mezzosopranistin Marie Seidler besetzt, die international als Lied- und Konzertsängerin gefragt ist. Sie konnte sowohl stimmlich wie darstellerisch überzeugen.

Gut auch die französische Sopranistin Mariamielle Lamagat als Teofane, Tochter des oströmischen Kaisers Romano und Verlobte Ottones. Sie gefiel vor allem durch ihre ausdrucksstarke Mimik. Ihren Bruder Emireno spielte der in Hamburg geborene Bariton Yannick Debus mit angenehm dunkel gefärbter Stimme.

Stimmlich und darstellerisch eindrucksvoll agierte die junge bolivianische Mezzosopranistin Angelica Monje Torrez in der Rolle der Matilda, Ottones Cousine. Sehr gut füllte die aus Karlsruhe stammende Mezzosopranistin Valentina Stadler ihre Mutterrolle als Gismonda aus. Ihren Sohn Adelberto gab der junge spanische Countertenor Alberto Miguélez Rouco mit wohlklingender Stimme und beherztem Spiel.

Dem Orchester Accademia La Chimera gelang es unter der Leitung von Fabrizio Ventura, die Leidenschaften und Emotionen der Musik des Komponisten in allen Nuancen wiederzugeben, wobei man als Zuhörer des Öfteren das Gefühl bekam, als würde der Dirigent die Händelsche Musik richtiggehend zelebrieren. Möglicherweise lag das auch an den vielen Wiederholungen.

Das Publikum, das der Vorstellung fast andächtig folgte – kein einziger Szenenapplaus nach einer Arie(!) –, belohnte am Schluss alle Mitwirkenden, auch das Regieteam, mit starkem Applaus und vielen Bravorufen.

Udo Pacolt

 

SALZBURG/ Festspiele: MÉDÉE von Luigi Cherubini- letzte Vorstellung

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Elena Stikhina, Pavel Cernoch. Foto: Salzburger Festspiele/ Thomas Aurin

SALZBURGER FESTSPIELE – MÉDÉE am 19.8. 2019 (letzte Vorstellung)

(Heinrich Schramm-Schiessl)

Im Rahmen des heurigen „Antike“-Schwerpunktes im Opernprogramm setzte man zum zweiten Mal in der Festspielgeschichte – zuletzt 2000 in einer halbszenischen Aufführung unter Sir Charles Mackerass – Luigi Cherubinis „Médée“ auf den Spielplan. Die Handlung schildert den Verrat des Argonauten Jason an Médée, die ihm half das Goldene Vlies zu rauben und ihm auch zwei Kinder gebar.

Das Werk entstand zwischen Mozart und den grossen italienischen Belcantoopern von Rossini, Donizetti und Bellini. Das Libretto basiert auf der Tragöie „Medea“ des Euripides sowie dem Drama „Médée“ des Pierre Corneille und stammt von Francoise-Benoit Hoffman.

Griechische Tragödien sind in der Regel von einer gewissen Größe geprägt und diese Größe verlangt auch Cherubini in seiner Musik. Bereits die ersten Takte der Ouvertüre weisen darauf hin. Womit wir bereits beim Hauptproblem dieser Produktion wären. Regisseur Simon Stone verkleinert die Handlung auf eine Beziehungskiste in der heutigen Schicki-Micki-Szene und erzählt somit seine eigene Geschichte. Schon die Segnung des Hochzeitspaares, bei Cherubini als grosses Tableau vorgesehen, spielt in der Lobby eines Hotels und Créon wünscht seiner Tochter auf einer Bank sitzend den Segen der Götter, während Jason gelangweilt entweder mit Händen in der Hosentasche an der Wand lehnt oder Champagner in sich hineinschüttet. In dem Moment als Médée als unbekannte, verschleierte Frau auftreten soll, bricht die Szene aprupt ab und wird in einem Bordell fortgesetzt, wo Créon von Auftauchen Médées per Handy informiert wird. Médée selbst ist offenbar noch außer Landes – in der ersten Szene des zweiten Aktes will man ihr am Flughafen die Einreise verwehren – und führt die Auseinandersetzung mit Jason am Ende des ersten Aktes per Telefon. Diese Szene hat mich am meisten verärgert, denn dieses Duett, das für mich die Schlüsselszene des Werkes und der Angelpunkt für den weiteren Konflikt bis zur abschliessenden Kathastrophe ist, müssen die beiden Aug in Aug singen. Und so geht es den ganzen Abend über weiter, bis zu jener so oft erwähnten Schlusszene an der Tankstelle, wo Médée sich und ihre Kinder im Auto verbrennt. Dabei ist Stone durchaus in der Lage. die Personen intelligent zu führen, weshalb ich mich frage, warum er das nicht auch zusammenbrächte, würde er die vorgegebene Handlung realisieren. Die Bühnenbilder von Bob Cousins sind hübsch bis stimmungsvoll, nur halt im falschen Stück. Das gleiche gilt für die Kostüme von Mel Page. Nervig wie so oft, die heute offenbar unvermeidlichen Videoeinspielungen.

Besser kommt die musikalische Seite weg, wobei ich mit Thomas Hengelbrock am Pult der sehr konzentriert spielenden Wr. Philharmoniker nicht ganz glücklich wurde. Da klang vieles viel zu deutsch-zackig. Von Italianitá, die zweifelsohne damals schon erahnbar war, war kaum etwas zu bemerken. Elena Stikhina, die anstelle der ursprünglich vorgesehenen aber schwanger gewordenen Sonya Yoncheva die Titelrolle übernommen hat, bot eine sehr gute Leistung. Sie bewältigte die enormen Klippen der Partie ohne grössere Probleme und lässt die Stimme schön strömen. Was ihr fehlt, ist die grosse Attacke, die für diese Rolle unerlässlich ist. Darstellerisch konnte sie mich nicht restlos überzeugen und wirkte stellenweise etwas zu hascherlhaft. Die beste Leistung des Abends boten für mich einerseits Alisa Kolosova als Néris, die ihre Arie wunderschön sang und Vitalij Kowaljow als stimmschöner Créon. Rosa Feola hat für die Dircé eine schon zu schwere Stimme und fällt durch sehr scharfe Höhen auf. Pavel Cernoch als Jason konnte seine Stimme kaum wirklich zum klingen bringen und war besonders in der Höhe sehr eng. Der Staatsopernchor in der Einstudierung von Ernst Raffelsberger entledigte sich seiner Aufgabe zufriedenstellen.

Am Schluss jubelte das Publikum, wobei mir nicht ganz klar war, worüber – Cherubinis „Médée“ kann es nicht gewesen sein.

Heinrich Schramm-Schiessl

 

 

 

 

 


BAYREUTH/ Festspiele: PARSIFAL

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Andreas Schager (Parsifal), Elena Pankratova (Kundry) und Günther Groissböck (Gurnemanz). Foto: Enrico Nawrath/ Bayreuther Festspiele

Bayreuth/ Festspiele: PARSIFAL am  19.8.2019

Dieser Parsifal in der Regie von Uwe Eric Laufenberg ist nun auch in die Jahre gekommen, hat aber von seiner ‚Frische‘ des Ansatzes  nichts verloren, hat seit dem Dirigat Semyon Bychkovs eher noch dazugewonnen. Bychkov drängt sich, auch was die Tempi betrifft, überhaupt nicht auf, sondern dirigiert das  Bühnenweihfestspiel eher nach Angaben in der Partitur. Das mag heute vielleicht altmodisch erscheinen, ist aber in einer Zeit, wo es gilt, so originell wie möglich zu sein und immer seinen eigenen künstlerischen Stempel aufzudrücken, zumindest anders und hat etwas  von neuer Frische. Und harmoniert auch irgendwie gut mir der Erzählweise Laufenbergs, bei dem Flüchtlinge im Gralstempel auftreten und im Gegenzug die schwerst bewaffneten Soldaten des (Assad)regimes. Später kommt das Aufeinanderprallen der Weltregionen zum Politischen hinzu, wenn Klingsor als muslimischer Apostat gezeichnet wird. Am Ende spielen Religionen gar keine Rolle mehr. Es mutet wie eine Utopie an, wenn die Natur immer mehr Besitz von dem Kloster ergreift und das Zurück zur Natur auch in der Nacktheit zum Ausdruck kommt. Der Gral am Ende ist, wenn die Zivilisten ihre Devotionalien in den Sarg Titurels ablegen.

Die Herrenchöre (Damen weitgehend in ‚Höhenchören‘) haben ihre großen Auftritte und machen ihre Sache sehr klangstark. Bei den Solisten hat sich heuer gar nichts geändert, was nahezu einer Sensation mit Blick auf die anderen Festspiel-Werke  gleichkommt. Die Altstimme und die Zaubermädchen geben wieder mal einen Beweis für Bayreuths Belcanto-Qualitäten ab. Simone Schröder ist die Altstimme „durch Mitleid wissend“, cremig und dabei voluminös. Die solistischen ‚Blumen‘ sind K.Konradi, Ji Yoon, Mareike Morr, Alexandra Steiner (diese beiden auch Knappen), B.Kumberger und M.H.Reinhold. Die stimmgewaltigen Gralsritter geben Martin Homrich und Timo Rihonen, die Knappen komplettieren P.Kaufmann  und S. Heibach  zu einem versilen Quartett.


Ryan McKinny (Amfortas) mit Martin Homrich und Timo Rihonen. Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

Ihr Gurnemanz ist der vielgerühmte Günther Groissböck, der nächstes Jahr zurecht der neue Wotan sein wird. Sein angenehm weiches bis kerniges Timbre ist in jeder Phrase abrufbar, und auch in tiefster Tiefe bleibt die Stimme immer konsistent, obwohl man bei ihm ja eher an einen Heldenbariton denkt, wie es der Wotan sein sollte.  Derek Welton ist ein etwas brachialer aber auch gewitzter, aber undämonischer Klingsor. Bei seinem Scheitern knallen jetzt alle seine Kreuzreliquien aus der Kammer im Obergeschoß auf den Boden herunter. Den Titurel gibt Wilhelm Schwinghammer a capella mysthisch aus dem Off. Eine gute Wahl ist auch Ryan McKinny, ein eher klein gedrängt wirkender Typ, der seine Phrasen verhalten, aber unschlagbar in der Artikulation, aufbaut und dabei mit mysthisch verhangenen bis sehrendem Volumen stimmlich aufwartet. Für Elena Pankratova scheint die Kundry die ideale Rolle zu sein, ihre Metamorphosen lebt sie völlig in sich gekehrt aus, schwarz vollverschleiert und in der erotischen Verführpose. Bei der Verführung Parsifals kann sich ihr einnehmendes Timbre auch in neuartigen Gestalten dramatisch verfärben, und ihre Gesangsattacken läßt sie dabei gigantisch hochfahren. Andreas Schager scheint nie stimmliche Probleme zu haben, alles kommt quasi wie aus dem Ärmel geschüttelt. Mit Klingsors Zaubermädchen tummelt er sich im mit blauem Mosaik verkleideten Pool . Seine Gesangsphrasen gipfeln wie in marmornen Strahlen, seitdem er bei der Verinnerlichung von Amfortas‘ Leiden hellsichtig geworden ist.                                                                       

Friedeon Rosén                                                  

 

SALZBURG/ Festspiele/ Haus für Mozart: ORPHÉE AUX ENFERS“

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Joel Prieto, Kathryn Lewek, Max Hopp. Foto: Salzburger Festspiele/ Monika Rittershaus

ORPHÉE AUX ENFERS“ Haus für Mozart (17.8.2019)

Spannung und Entspannung: eine entfesselte Offenbachiade auf dem Olymp und im Orkus

Zwar ist die vielerorts kolportierte Nachricht, diese Produktion sei die erste „Bouffonerie“ Jacques Offenbachs bei den Salzburger Festspielen, ein fake: Herbert Wernicke hat nämlich bereits 2000 im Rahmen des Schwerpunkts zum Trojanischen Krieg (Gluck „Iphigénie en Tauride“,Mozart  „Idomeneo“ Berlioz „Les Troyens“) auf der Perner-Insel „La belle Hélène“ inszeniert. Aber sei’s drum: Denn die heurige Produktion im Herzen der Stadt stellt nach (erfülltem) Anspruch, dramaturgischem Konzept, musikalischer Verve und ‚packendem‘ szenischen Zugriff tatsächlich ein Novum, ein Ereignis, ein Gesamtkunstwerk dar, situiert zwischen furiosem Happening und exakter, punktgenauer Planung. Bekanntlich muss ja gerade Spontaneität wohlüberlegt sein.

Barrie Kosky hat in den letzten Jahren zwischen den Bayreuther Festspielen und der Komischen Oper in Berlin beispielhafte, sogar beispiellose Erfolge gelandet: Bei Wagner mit den exemplarisch inszenierten „Meistersingern von Nürnberg“, in seinem Stammhaus mit Revue-Operetten wie Nico Dostals „Eine Frau, die weiß, was sie will“ oder Paul Abrahams „Ball im Savoy“, aber auch mit einem unvergleichlich poetischen und einfühlsamen „Eugen Onegin“. Diesem universalen Bühnenmenschen zuzuhören, als Prinzipal bei einer Premierenfeier, als klugem und temperamentvollen Exegeten beim Pressegespräch oder als begeisternd-begeistertem Animateur bei Probenausschnitten ist stets ein Vergnügen. Wissen und Enthusiasmus ziehen bei dieser Persönlichkeit am selben Strang und in die gleiche Richtung.

Die Realisierung von Offenbachs Parodie, Travestie bzw. Persiflage auf die griechische Mythologie in Verbindung mit französischer Zeitgeschichte greift in dieser Produktion auf eine Mischfassung zwischen der originalen Partitur von 1858 und der um einige Nummern erweiterten Version von 1874 zurück. Ohne das Bestreben nach (tagespolitischer) Aktualisierung, aber auch abseits von historischer Belehrung erlebt man mit weitgeöffneten Augen und wachen Ohren eine szenische Wanderung von der thebanischen Behausung des Geigenlehrers Orphée und seiner gelangweilten Gattin Eurydice, die den Komplimenten des ‚Imkers‘ alias Herrn der Unterwelt nur allzu gern erliegt, über einen Olymp, auf dem Jupiter seine Sippschaft nur mühsam bei der Stange hält, bis hin zur Hölle, in der es infernalisch heiß zugeht. Umwerfend wie die Götter den Aufstand gegen ihren Chef proben, um sich später unbändig auf das Gastspiel im Orkus zu freuen: endlich einmal Chili con Carne und Champagner anstatt von Nektar und Ambrosia, dem sattsam bekannten Alltagsmenü. Und umwerfend endlich die ‚Apotheose‘ der Eurydice, die Bacchantin wird und den drei rivalisierenden Männern Orphée, Jupiter und Pluton einen sauberen Korb gibt: Die beiden siegesgewissen göttlichen Eroberer werden zu erbärmlichen Losern. Eurydice ist also, wie viele andere weibliche Protagonistinnen in Offenbachs Stücken – Hélène, Boulotte, La Périchole, die Großherzogin von Gerolstein – die erfolgreich aktive Figur, die gewitzte Siegerin und ein Frauenzimmer, das den Mannsbildern gehörig auf der Nase herumtanzt, sie düpiert, blamiert und abserviert. Das Platzangebot verbietet es, auf die zahlreichen, nein: zahllosen szenischen Einfälle, darstellerischen Facetten und mimischen Eskapaden detailliert einzugehen: man muss es einfach gesehen (und gehört) haben!

Der Regisseur hat in seinem Team (Rufus Didwiszus: Bühne, Victoria Behr: Kostüme, Franck Evin: Licht, Otto Pichler: Choreografie, Susanna Goldberg: Dramaturgie) treffliche, solidarische und wohl auch inspirierende Partner zur Seite. Das aus mehreren Nationen zusammengestellte Ensemble der Sänger und Schauspieler erfreute ohne Einschränkungen, wobei einige Künstler dank ihrer Rolle, aber auch durch die persönliche Leistung besonders herausragten. Kathryn Lewek als Eurydice brillierte mit ihrem exzellenten Koloratursopran, aber auch durch ein herrliches Talent zur Selbstpersiflage. Ihr handlungsbedingt etwas zurückgesetzter Gespons war bei dem kultivierten ‚Tenore di grazia‘ Joel Prieto, einem weltweit bekannten Mozart- und Rossini-Interpreten, bestens aufgehoben. Anne Sofie von Otter verkörperte die Öffentliche Meinung als eine Götter wie Menschen dominierende Autorität mit vokalem Raffinement und augenzwinkernder Ironie. Der bewährte Charakterbariton Martin Winkler, erklärter Liebling des Publikums der Wiener Volksoper, überzeugte als Jupiter durch Stimmvolumen und pointierten Vortrag. Dasselbe gilt für Frances Pappas als seine Göttergattin: die große Künstlerin, am Salzburger Landestheater als Marie in „Wozzeck“ und Mrs Begbick in „Mahagonny“ in bester Erinnerung, hat sich ihr neues komisch-verschmitztes Fach völlig erobert. Erfreulich Marcel Beekman als hellstimmiger Herr der Unterwelt, Vasilisa Berzhanskaya, als aparte Diana (mit einem Schuss Menthol!), Lea Desandre als attraktive Venus und Nadine Weissmann als ihr übermütiger Adlatus Cupido. Auch Peter Renz (Mercure) und Rafał Pawnuk (Mars) stellten köstliche, stimmlich ‚saftige‘ Gestalten auf die musikalische Bühne. Trickster, Magister ludi, Moderator des Geschehens und zugleich larmoyanter Interpret des John Styx ist in dieser Produktion Max Hopp. Mit allen Tugenden eines Vollblutkünstlers begabt, setzte er die Königsidee der Regie, sämtliche Dialoge zu den synchronen Mundbewegungen der jeweiligen Person auf Deutsch zu sprechen, aber auch alle Geräusche vom Trippeln bis zum Küssen akustisch erlebbar zu machen, kongenial um. Die Wiener Philharmoniker unter der so kundigen wie enthusiasmierten Stabführung von Enrique Mazzola nützten die Gelegenheit, einmal so richtig drauf los geigen, flöten, trompeten, posaunen, trommeln und pauken zu dürfen,  mit hörbarem Vergnügen. Die Leistungen des Vocalconsort Berlin (David Cavelius: Choreinstudierung) sowie der zwölf Tänzerinnen und Tänzer – solistisch wie als Corps de Ballet – angemessen zu würdigen, bedürfte eines eigenen Artikels.

Das Publikum der von mir besuchten zweiten Vorstellung bedankte den so virtuosen wie vergnüglichen Nachmittag „mit Beifall und Händeklatschen“, wie es in den Parlamentsprotokollen so schön heißt, nicht zu knapp und mit bemerkenswerter Ausdauer.                                  

Oswald Panagl

 

Oswald Panagl

Ein Dauergast der musikalischen Bühne

Der Mythos von Orpheus und Eurydike

 

  1. Konstanten und Variablen

                Der Verfasser dieses Beitrags durfte vor genau zehn Jahren ein Symposion über Antiker Mythos im Musiktheater des 20. Jahrhunderts einleiten und hat sein Eröffnungsreferat unter einen plakativ-griffigen Titel gestellt: Iphigenie geht – Ödipus kommt – Orpheus bleibt. Hinter dieser kontrastiven Formulierung steht eine Tendenz, die sich qualitativ am Hervortreten und Hinschwinden mythologischer Sujets und quantitativ an Vertonungszahlen wie Aufführungsfrequenzen im europäischen Musiktheater ablesen lässt. Die Manifestationen edler Menschlichkeit, aber auch die bukolischen Themen und idyllischen Motive aus dem griechischen Sagenschatz haben im Opernschaffen des 17. Jahrhunderts Konjunktur, erreichen ihren Höhepunkt im folgenden Saeculum und werden an der Wende zur Moderne vor neuen Erfahrungsschichten und Erlebnishorizonten als Stoffe obsolet.

                Dagegen wird der Mythos von König Ödipus mit seiner existentiellen Aussage, seiner irrationalen Betroffenheit vor der conditio humana erst in unserem Jahrhundert wirklich als Projekt des Musiktheaters entdeckt: von Ruggero Leoncavallo, Igor Strawinsky, George Enescu, Carl Orff und Wolfgang Rihm, um nur einige besonders markante Stationen aufzulisten. Dass diese Geschichte auch von so typischen geisteshistorischen Vertretern der Neuzeit wie Sigmund Freud und Claude Lévi-Strauss als Paradigma herangezogen und zur Chiffre auserwählt wird, passt lückenlos in dieses Szenario.

                Doch kommen wir nunmehr zum „Orpheus“-Mythos: Er steht am Anfang des operndramatischen Schaffens („Euridice“ von Jacopo Peri und Giulio Caccini, 1600) und hat seitdem die Bühne nicht mehr verlassen: Ob es sich um die Fortschreibung einer Tradition handelt (Haydn), ob das antike Milieu den Schauplatz und die Requisiten für eine Karikatur der Zeitgeschichte liefert (Offenbach), ob moderne Komponisten eine frühe Ausformung des Stoffes neu gestalten, zeitgenössisch wiederbeleben wollen (Monteverdi – Orff) oder ob ein Komponist der Zwischenkriegszeit eine Neufassung des Sujets in der Tonsprache seiner Tage beispielhaft umsetzt (Kokoschka – Krenek).

  1. Per aspera ad astra

                Claudio Monteverdi hat den „Orfeo“, seine erste „Favola in musica“, für den Karneval des Fürstenhofes zu Mantua komponiert. Die Uraufführung am 22. Februar 1607 gestaltete sich zu einem überwältigenden Triumph für den Autor und zu einem folgenschweren Ereignis für die weitere Geschichte der Gattung Oper. Die allegorische Gestalt der Musik verkündet zu Beginn persönlich das Thema: es geht um den göttlichen Sänger Orpheus. Dieser und die ihm eben vermählte Euridice preisen im Verein mit Nymphen und Hirten als dem ländlichen Ambiente ihr junges Liebesglück. Orpheus ist voll von Begeisterung und Dankesgefühlen für die Götter und erhofft sich dauerhafte Erfüllung. Als der Sänger später in der Mittagsglut wieder an Euridice denkt und sich an die schmachtenden Klagelieder seiner noch unerfüllten Liebe erinnert, berichtet eine Botin den Tod der Gattin: Eine Schlange hat sie gebissen, als sie gerade Blumen pflückte, und der Name „Orpheus/Orfeo“ war ihr letztes Wort. Der Verlassene beschließt den Gang in die Unterwelt: Kann er Pluto nicht erweichen, so will er selbst mit Euridice bei den Toten bleiben. Er dringt bis zu den Pforten des Schattenreichs vor, das sich mit dem Wort aus Dantes „Divina commedia“ erklärt: „Lasst, die ihr eingeht, alle Hoffnung fahren!“ Orpheus kann die Gemahlin des Totenherrschers, Proserpina, mit seinen Klagen erweichen. Sie erinnert Pluto an ihr eigenes Liebesglück und bittet Euridice frei. Doch Orpheus – und das ist ja das Leitmotiv aller Gestaltungen – darf sich nicht nach ihr umsehen, ehe sie wieder das Licht der irdischen Welt erreicht haben. Als er sich und Euridice von Furien bedroht glaubt, durchbricht er das Verbot und verliert die Geliebte endgültig. Dem Leben zurückgegeben, verzweifelt Orpheus über sein Geschick und gelobt der Verstorbenen ewige Treue. Apollo, der Vater des Sängers (eine neuere Variante des antiken „deus ex machina“), tröstet den Sohn mit der Verheißung ewigen Künstlerruhms und der Überwindung persönlichen Schmerzes. In einer jenseitigen Welt der Gestirne, in die Orpheus dem Gotte folgt, werde er auch Euridices Licht begegnen. Die Hirten feiern als treue Begleiter die Verklärung des göttlichen Sängers. Diese Schlussapotheose hat Monteverdi freilich erst für die veröffentlichte Fassung geschaffen. In der Erstaufführung des Werkes 1607 bildete die Flucht des Sängers vor den Bacchantinnen das dramaturgisch offene Ende.

 

                Als der Librettist Ranieri de Calzabigi 1761 in Wien für seinen Operntext „Orfeo“ einen geeigneten Komponisten suchte, wurde er auf Christoph Willibald Gluck aufmerksam, dessen Ideen zu einer Reform der Oper hier auf ein besonders taugliches Sujet stießen. Die 1762 am Wiener Hofburgtheater uraufgeführte italienische Fassung machte wohl Eindruck, konnte sich aber gegen den Druck anspruchsloserer Konkurrenz nicht auf Dauer behaupten. So entschloss sich Gluck ein Jahrzehnt später zu einer Umarbeitung und Erweiterung, die als Pariser Fassung mit dem Titel „Orphée et Euridice“ in französischer Sprache und mit obligatem Ballett 1774 einen anhaltenden Erfolg erzielt hat.

                Bei Gluck und Calzabigi zeigt schon der Beginn der Oper den verlassenen und verzweifelten Orpheus, der über dem Tod der Gattin seine Kunst vergessen hat, dem die Leier nicht mehr tönt – eine tiefe Symbolik! Er will sich eben aufraffen, der Unterwelt die Tote zu entreißen, als ihm der Liebesgott Amor/Eros den Entschluss der Götter verkündet, Euridice dem Gatten freiwillig zurückzugeben. Doch muss er sie selbst aus dem Totenreich wieder auf die Erde führen und darf sie auf diesem Wege nicht anblicken. Orpheus, dem die künstlerische Schaffenskraft zurückgekehrt ist, besänftigt mit seinem Gesang die unterirdischen Schreckensgestalten und entlockt den seligen Geistern den Schatten seiner Gattin. Doch diese kann sein seltsames Betragen, die Abwendung seines Blickes, nicht verstehen. Sie muss an seiner Liebe zweifeln, ihr vernehmlicher Todeswunsch lässt Orpheus seinen Auftrag vergessen. Durch ihren neuerlichen Tod in den Wurzeln seiner Existenz getroffen und tief verwundet, sucht der Sänger nur noch das Ende. Da erscheint abermals der Liebesgott als Bote des Himmels. Seine treue Liebe habe die Götter gerührt, die ihm seinen Ungehorsam verzeihen und Euridice wieder zuführen. Inmitten der Hirten preisen die Liebenden vereint die Macht des Eros.

                Als Joseph Haydn schon in reifem Lebensalter am Neujahrstag 1791 von Calais nach Dover übersetzte, um die nächsten anderthalb Jahre in England zu leben, hatte er neben seiner symphonischen Arbeit auch einem musikdramatischen Kompositionsauftrag zu genügen. Der Operndirektor Gallini bot ihm 300 Pfund für die Vertonung eines Textes von Carlo Francesco Badini, der unter dem Titel „L’anima del filòsofo“ den Mythos von Orpheus und Eurydike behandelte. Im Gegensatz zu den meisten Fassungen des 18. Jahrhunderts, vor allem aber zu Calzabigi und Gluck, deren gemeinsame Schöpfung damals bereits weithin bekannt und gefeiert war, endet dieses Libretto tragisch. Eurydike darf nicht ins Leben zurück, und Orpheus trinkt einen Todestrank, den ihm Bacchantinnen, die ja in der antiken Erzählung von Orpheus‘ Tod eine verhängnisvolle Rolle spielen, kredenzen. Sie entführen ihn danach auf einem Schiff, das in einem heftigen Sturm zerschellt.

                Dieser Gegenentwurf zu Gluck enthält viele Chöre, das ariose Element erscheint stark zurückgedrängt. Das Werk, dessen Aufführung durch einen erbarmungslosen Konkurrenzkampf zwischen dem King’s-Theatre und der italienischen Oper im Pantheon zu London verhindert worden war, ist 1806/7 in verkürzter Fassung (11 Musiknummern) und unter dem eindeutigen Titel „Orfeo ed Euridice“ im Druck erschienen, wobei der Verlag Breitkopf & Härtel offenbar eher an eine konzertante Aufführung gedacht hat. Ob die vereitelte Premiere in London daran schuld war, dass diese Partitur Haydns letztes Bühnenwerk geblieben ist?

Nach Vermutungen des Haydn-Experten Georg Feder ist ja auch der abrupte Schluss nicht künstlerisch gewollt, sondern durch das Scheitern der Bühnenaufführung verursacht.

                III. Im Zerrspiegel der Travestie

                „Orpheus in der Unterwelt“ („Orphée aux enfers“) von Jacques Offenbach nach dem Libretto der Autoren Hector Crévieux und Ludovic Halévy, 1858 in den Bouffes-Parisiens uraufgeführt, ist als Fallstudie der Mythenrezeption in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich. Dass die antike Gewandung zeitgenössische Gesellschaftskritik und Politikschelte transportiert, hat man längst bis ins Detail analysiert: Das Leben im Olymp mit dem popanzhaften Jupiter, seiner aufmüpfigen Großfamilie und dem allgemeinen Überdruss an Nektar und Ambrosia, sprich: den Privilegien und Attitüden der Nobilität, parodiert den Hof Napoleon III. im sogenannten Zweiten Kaiserreich (‚Seconde Empire`). Dass sich alle Akteure, selbst die Herren des Himmels und der Unterwelt, der personifizierten öffentlichen Meinung beugen müssen und vor ihren Ansprüchen zu jedem Opfer bereit sind, ist ein nur allzu deutlicher Seitenhieb auf die Macht des wuchernden Journalismus. Und wenn Orpheus, der bürgerliche Virtuose und Geigenlehrer am Konservatorium von Theben, der längst aus seiner verhassten Ehe ausgebrochen ist, vor den Göttern mit dem Zitat von Glucks Klagearie seelischen Schmerz simuliert, so wird auch die musikalische Repertoirekenntnis und Hörerfahrung in den Dienst der Travestie gestellt. Zwei subtile Beobachtungen von Volker Klotz seien zur Charakterisierung dieses Archetyps der ätzend-aufmüpfigen Operette noch angeführt. Die durchgängige Triebkraft der Personen und zugleich das Movens der Dramaturgie ist die Konkurrenz: ob in der Kunstübung, in erotischen Belangen oder in der Machthierarchie, immer ist der Wettbewerb, ist der Positionskampf angesagt. Der zweite Hinweis des genannten Interpreten ist vielleicht noch gewichtiger: Dieses Bühnenwerk ist auch ein Stück emanzipatorischer Literatur. Denn Eurydice ist die einzige Figur der Handlung, der es wesentlich um das Lieben und Geliebtwerden, nicht aber um maskierte Besitzansprüche geht. Aus allen drei Duetten mit den Männern (Orpheus, Aristeus-Pluto, Jupiter als Fliege) geht sie innerlich enttäuscht, aber als emotionale Siegerin hervor. Und wenn sie am oberflächlich fröhlichen Ende des Geschehens als Bacchantin in den Reigen des Gottes der Ekstase – Bacchus – eingeht, so kann sie endlich ihre seelische Disposition, ihre Vorliebe für ein Dasein  ohne Zwänge und Rücksichten ausleben.

 

  1. Persönliche Trauerarbeit am Mythos

                Oskar Kokoschka hat sein Drama „Orpheus und Eurydike“ 1915 im Ersten Weltkrieg gedichtet, um es dann 1917 gründlich umzuarbeiten. Das Kriegserleben, eine schwere Verwundung und die Bewältigung einer krisenhaften Liebesbeziehung zu Alma Mahler-Werfel spiegeln sich allenthalben in dieser Dichtung, sind Motiv und prägende Kraft der Neudeutung des überkommenen Stoffes. In einem späteren Brief bekennt Kokoschka, er habe diesen Text nach seiner schweren Kriegsverletzung „gesprochen, geflüstert in Ekstase, im Delirium, geweint, gefleht, geheult in Angst und Fieber der Todesnähe“. Und im Rückblick formuliert der betagte Künstler 1956: „Ich schrieb in dieser Zeit ein Bühnenstück, `Orpheus‘, das ich im russischen Militärlazarett ausdachte in Erinnerung an jene Frau, der ich Blumen täglich nach Nizza gesandt habe. Nur noch die bunte Glasschnur roter Perlen band mich an die Frau. An diesem Abend glimmte die Schnur am Hals einer anderen im dunklen Zuschauerraume. Was sie jemals zu mir heimlich gesagt und was ich sie gefragt habe, Orpheus und Eurydike sollen es, auf der Bühne, aller Welt verraten.“ Ein Drama seelischer Konflikte, emotionaler Befreiung und aktueller Zeiterfahrung also hat da Ernst Krenek nach einer Begegnung mit Oskar Kokoschka vertont und die Komposition 1923 vollendet.

                Der heimkehrende Orpheus und Eurydike versichern einander ihre bedingungslose Liebe. Doch die Furien als Abgesandte der Unterwelt erwirken bei der dienenden Psyche (mit Doppelsinn des Namens!) Eingang zum Schlafgemach. Eurydike soll für sieben Jahre zu Hades – als Person und Bereich verstanden – hinabsteigen. Als sie Orpheus ihre Liebe ausspricht („Selbst in tausend Toden lieb ich noch mehr dich“), entfällt ihrer Hand bedeutungsschwer der Ring. – Nach fünf Jahren dringt Orpheus in die Unterwelt ein und erbittet Eurydikes Rückkehr „für einen kurzen Sommer“. Auf einer abenteuerlichen Meerfahrt fischen Matrosen einen Totenkopf; diesem entrollt ein Ring, dessen Inschrift nur noch eine zweideutige Aussage erkennen lässt: Allos makar, „Glück ist anders“ oder „der andere glücklich“. Eurydike bekennt, die Geliebte des Hades geworden zu sein, und verlässt das Schiff, in das nun ein Blitz einschlägt. – Nach zwei weiteren Jahren findet Orpheus im Schutt seines Hauses die zerbrochene Leier und verflucht, indem er wieder auf ihr zu spielen versucht, „Sonne und Mond, alte Zeiten, Wollust und Wahnsinn, selbst das Bild Eurydikes“. Er wird das Opfer seiner empörten Umgebung und im Ruinenfeld aufgehängt, das sich nunmehr in ein Niemandsland zwischen Leben und Tod verwandelt. Orpheus ist unfähig, die Untreue seiner Gattin im Jenseits zu vergeben, er versucht sie dennoch wieder an sich zu binden („Triumph! Ich lass‘ dich nicht sterben … Hinter der Liebe bis in den Tod steckt Hass!“) Doch sie reißt sich endgültig von ihm los und entschwindet im Geisterreigen („So im letzten Kampf umarmend, voll Entsetzen, für letzten Kuß, aus des Orpheus erstarrten Kiefern lös‘ ich mich endlich ledig …“). Erst das Nachspiel, in dem ein Chor hoffender Seelen dem Nachen der Psyche folgt, bringt einen Hoffnungsschimmer in dieses Drama einer verquälten Passion, einer mythisch-metaphysisch unterlegten Zweierbeziehung.

                Kreneks Oper, die erst 1926 in Kassel uraufgeführt worden ist, entzieht sich einer eindeutig klassifizierenden Zuordnung. Debussys Harmonik, Wagners Leitmotivik, Mahler-Reminiszenzen, die Erweckung alter Formen wie der Passacaglia und atonale Passagen ergeben einen gemischten Personalstil, den der Komponist in seiner „Selbstdarstellung“ so beschreibt: „Wiederum schrieb ich die Musik in fieberhaftem Tempo, wie in einem Traum. Ab und zu erfaßte ich die tiefere Bedeutung des Textes in plötzlicher Erleuchtung, dann tappte ich wieder im Dunkel, mehr meinem schöpferischen Instinkt vertrauend als meinem Intellekt.“

                Der Orpheus-Mythos vereinigt nach Art eines Brennspiegels verschiedenartige Motive und Handlungsfacetten: den Zauber und die verwandelnde Kraft der Musik, die Spannung zwischen endlichem Leben und unendlicher Sehnsucht, den Verlust eines geliebten Partners, den Zwiespalt zwischen Auftrag und spontanem Gefühl, die Ausgesetztheit des Menschen. Die jeweilige Mischung, die veränderte Perspektive, die subjektive Gewichtung erlauben ein schier unendliches Spiel der Variation, das sich auch im modernen Drama (Cocteau, Anouilh, Tennessee Williams) oder im Film (Orfeu Negro) reizvoll verfolgen ließe. Ein Ende der Herausforderung durch diesen Stoff ist nicht abzusehen.

 

MORITZBURG bei Dresden/Schloss, Kirche und weitere Spielstätten: 27. MORITZBURG FESTIVAL

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Moritzburg bei Dresden/Schloss, Kirche und weitere Spielstätten: 27. MORITZBURG FESTIVAL 4. ‑ 18.8.2019

Der relativ kleine Ort Moritzburg bei Dresden hat Großes zu bieten und ist für ein Festival der edelsten Musikgattung, der Kammermusik, wie geschaffen. Schon wegen seiner idyllischen Lage inmitten einer Seenlandschaft von 24, nur vom Regenwasser gespeisten, Seen (die trotz langanhaltender Hitze und Trockenheit noch Wasser führen), und erst recht wegen der attraktiven Bauwerke des Sächsischen Hofes, wie dem, auf einem Felssporn im größten See gelegenen, Barockschloss mit Sichtachsen zur neobarocken Kirche und zum kleinen, verspielten „Fasanenschlösschen“ aus dem Rokoko mit Minihafen und „Leuchtturm“ ist der Ort eine touristische Attraktion und gehört zum „Pflichtprogramm“ jedes Dresden-Besuchers. Käthe Kollwitz verbrachte hier ihre letzten Lebensjahre, die „Brücke“-Maler (Fritz Bleyl, Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff) schufen hier ihre epochalen Bilder, und in kurfürstlicher Tradition ist ein renommiertes Landgestüt für edle Rassepferde hier beheimatet.


Foto: Moritzburg-Festival

Alljährlich im August erfährt der Ort durch das Moritzburg Festival eine weitere Bereicherung. Dann sieht man überall junge Leute und gefeierte Solisten der internationalen Musikszene aus aller Welt mit ihren Instrumenten durch den Ort eilen, um am Abend gemeinsam in attraktiven Räumlichkeiten zu musizieren und die zahlreichen, aufmerksam lauschenden Besucher mit ihrer großen Leidenschaft, der Kammermusik, zu „infizieren“. Der Ort wird dann zum Zentrum kulturellen und künstlerischen Lebens und Austauschs, ein Ort der Emotionen und der gemeinsamen kulturellen und musikalischen Erlebnisse für Künstler und Publikum gleichermaßen, an dem sehr unterschiedliche Kulturen zusammentreffen und sich bei der Erarbeitung und Aufführung von Kammermusikwerken in dynamischen Besetzungen austauschen und gegenseitig bereichern.

Das 1993 in Anlehnung an das berühmte „Marlboro Festival“ (USA) von Jan Vogler, seinem Bruder, dem Geiger Kai Vogler und seinem Freund, dem Cellisten Peter Bruns, damals drei junge enthusiastische Mitglieder der Sächsischen Staatskapelle Dresden von den ersten Pulten, gegründete, Festival ist in kürzester Zeit im Musikleben Dresdens und seiner Umgebung zu einer festen Größe und weltweit zu einem der renommiertesten Kammermusikfestivals mit Kultstatus geworden. Um auch außerhalb des Sommers in der internationalen Musikszene präsent zu sein, begibt sich das Moritzburg Festival mit seinen Künstlern seit 2001 regelmäßig „on Tour“ und gastierte bereits erfolgreich in Musikmetropolen wie Rom, Mailand, Brüssel, Berlin, Hamburg, Wien, New York und Seoul.

Inzwischen leitet „Energiebündel“ Jan Vogler, bei dem auch weiterhin seine weltweiten Soloauftritte als Cellist im Vordergrund stehen, das Festival, das sich als „experimentelles Labor und Exzellenzstätte“ versteht, allein – „neben“ seiner Tätigkeit als Leiter der Dresdner Musikfestspiele! Ab diesem Jahr gibt es einige „Neuerungen“. Zu den bisherigen Spielstätten Schloss Moritzburg und Schloss Proschwitz, Kirche Moritzburg und Kirche Steinbach sowie Elbe Flugzeugswerk Dresden und König-Albert-Theater in Bad Elster kamen zwei weitere hinzu, das Käthe-Kollwitz-Haus in Moritzburg und der Kulturpalast in Dresden.

Die sich sehr für die Nachwuchsförderung engagierende Anne-Sophie Mutter hat jetzt die Schirmherrschaft übernommen. Die, von der Geigerin Mira Wang geleitete, Moritzburg Festival Akademie zur Förderung talentierter junger Musiker fand erstmals parallel zum Kammermusikfestival mit seinen 21 Veranstaltungen unterschiedlichster Prägung von Orchesterwerkstatt bis Schlosskonzert statt, um den Zeitraum zu verkürzen und vor allem die Förderung der jungen Musiker, die dadurch Gelegenheit hatten, auch die Konzerte mitzuerleben, zu intensivieren. Darüber hinaus gibt es jetzt eine Zusammenarbeit mit der renommierten Kronberg Academy, die acht aufstrebende junge Künstler für Kammermusikkonzerte nach Moritzburg entsendet.

In Kooperation mit CLARA19, dem Leipziger Festjahr anlässlich des 200. Geburtstages von Clara Schumann fanden mehrere Konzerte mit Werken von Komponistinnen und der Jubilarin sowie ein „LESEKONZERT“ im Käte-Kollwitz-Haus, wo Schauspielerin Christine Hoppe aus Briefen von Clara und Robert Schumann, den Geschwistern Mendelssohn und Johannes Brahms las, statt und bereicherten das Leipziger Konzertangebot. Damit wurde auch eine Brücke zwischen Leipzig, wo das Ehepaar Schumann 25 Jahre wohnte, nach Dresden, seinem nächsten Wohnort, geschlagen.

Josep Caballé Domenech, der schon in den vergangenen vier Jahren das Moritzburg Festival Orchester aus den 37 hochtalentierten jungen Musikern der Festival Akademie, die aus 500 Bewerbern ausgewählt wurden, beim Eröffnungskonzert leitete, wurde in diesem Jahr zum Chefdirigent des Festivals ernannt und leitete wieder das sehr gefragte Eröffnungskonzert“ (4.8.) mit der „Ouvertüre“ zur Oper „Die Zauberflöte“ von W. A. Mozart (Fassung für Streichquartett), „La Création du Monde“ (Fassung für Kammerensemble mit Saxophon) von D. Milhaud und dem „Streichquintett F‑Dur“ von A. Bruckner im Schloss Moritzburg, dem ehemaligen Jagdschlosses Augusts des Starken. Wer keine Eintrittskarte mehr erhalten konnte, hatte Gelegenheit, das Konzert als Public Viewing (kostenfrei) auf der Schlossterrasse mitzuerleben.

Man hat auch an die vielen Musikfreunde gedacht, die nicht unmittelbar teilnehmen konnten, da bei zahlreichen Konzerten, räumlich bedingt, oft nur ein kleinerer Besucherkreis live teilhaben kann. Das Orchesterkonzert „MORTBZURG FÜR ALLE“ (10.8.), das einen Tag zuvor auch im König-Albert-Theater in Bad Elster stattfand, bot im Dresdner Kulturpalast sehr vielen Konzertbesuchern (zu kleinen Eintrittspreisen) die Möglichkeit, bekannte und beliebte Solisten gemeinsam mit dem Moritzburg Festival Orchester unter Josep Caballé-Domenech zu erleben. Andere Konzerte wurden u. a. auch im Rundfunk gesendet.

Man trifft bei den Künstlern immer wieder gute, „alte“ Bekannte und neue junge Musiker mit überraschenden Qualitäten. Von den zahlreichen Konzerten und Veranstaltungen in einem Spektrum von feierlichen Konzerten in Schloss und Kirche über Musiker- und Komponistenporträts bis zu öffentlichen Proben mit Blick „hinter die Kulissen“ können im weiteren hier nur einige stellvertretend stehen.

Die traditionelle Open-Air-Matinee PROSCHWITZER MUSIK PICKNICK“ (11.8.) nach dem Vorbild des Gyndbourne Festivals, bei der die Teilnehmer der Moritzburg Festival Akademie ihr Könnern und die während ihres Aufenthaltes erarbeiteten Werke präsentieren und das Publikum in ungezwungener Atmosphäre (ohne Konzertbestuhlung) auf der weitläufigen Wiese im Park von Schloss Proschwitz, umgeben von Weinhängen, „Platz nimmt“, stand ganz im Zeichen von „Frauenpower“ mit Kammermusik von der Klassik bis zur Moderne.

Fünf Komponisten (George Bizet, Ernst Sachse (1810-1849), Béla Bartók, August Klughardt (1847-1902) und Luigi Boccherini standen acht Komponistinnen gegenüber, bekannte wie Fanny Hensel, die Schwester Felix Mendelssohn-Bartholdys, und Anna Amalie von Preußen (1723-1787), aber auch unbekannte wie Maddalena Laura Lombardini Sirmen (1745-1818), Louise Adolphine Le Beau (1850-1927), Grazyna Bacewicz (1909-1969), Emilie Mayer (1812-1883), Ethel Smyth und Carolin Shaw (*1982), deren wieder entdeckte und „ausgegrabene“ Kompositionen vielleicht nur einmal oder auch einige Male gespielt werden und wieder verschwinden. Interessant ist so etwas aber immer.

Bei „Kaiserwetter“ und sehr hohen Temperaturen waren noch mehr Besucher als im vergangenen Jahr gekommen. Die Stimmung war großartig. Fast die Hälfte der Nachwuchstalente kam aus Europa und jeweils ca. 20 % aus Asien und Nordamerika und einige aus Südamerika. erstmals auch aus Indonesien und Island. Sie überraschten mit beachtlichen Leistungen und schon fast professioneller Reife. Obwohl nur Einzelkünstler anreisen (keine eingespielten Ensembles), fiel in den unterschiedlichsten Besetzungen – von Trompetenduos und Duos für Violine und Kontrabass über Bläserquintett, Streichquintett und Streichquartett in klassischer Besetzung und auch einmal mit nur vier Violinen bis zu ungewohnter Bläserbesetzung – immer wieder die interessante Klangwirkung und das kongeniale Zusammenspiele auf. Sie brachten auch sehr unterschiedliche Instrumente mit – eine kleine praktische „Instrumentenkunde“ so ganz nebenbei.

Da standen Violoncelli unterschiedlichster Bauart und Stilepochen oder ein barocker fünfsaitiger Kontrabass mit schön geschwungener und gewölbter Deckplatte (und ohne Stachel) neben einem nüchternen modernen Instrument mit den üblichen vier Saiten (und Stachel). Einige der jungen Musiker spielten mit Barockbogen, andere mit modernem Bogen – aber es passte irgendwie immer und nichts störte die Harmonie, höchstens gelegentlich ein leichter Windstoß, der mit den Notenblättern spielte und für eine kleine Unterbrechung sorgte. Alle jungen Musikerinnen und Musiker gaben ihr Bestes und musizierten sehr engagiert, eine Primaria (Amelia Dietrich, USA) mit sehr schönem, singendem Ton und Führungsqualitäten, andere Streicher/innen etwas zurückhaltender, aber die Bläser/innen allgemein sehr sauber und „locker“, wobei vor allem die beiden Trompeter Alvaro Garcia Martin und Josep Goméz Alemany aus Spanien auffielen, deren Namen man sich wahrscheinlich merken sollte.

In einem, der manchen Konzerten vorangestellten, „PORTRÄTKONZERTE“, in denen sich ausgewählte Interpreten (oder Komponisten) in Gesprächen und/oder (nur) musikalisch vorstellen, gab die aus Hongkong gebürtige, mehrfach mit Preisen und Stipendien ausgezeichnete, Pianistin Tiffany Poon Proben ihres Könnens mit Kompositionen des Ehepaares Schumann. Im historischen Speise-, jetzt Konzertsaal des Schlosses (14.8.) begann sie mit „Scherzo Nr. 2 c‑Moll (op. 14) und „Nocturne Nr. 2“ aus den „Soirées musicales“ (op. 6) von Clara Schumann, zwei Stücke, die wohl kaum jemand im Saal vorher kannte, echte Entdeckungen, die schon wegen ihrer kompositorischen Perfektion ein neues Licht auf das kompositorische Schaffen dieser Frau, die in ihrem Leben so viel als Pianistin, Komponistin, Lehrerein, Ehefrau und Mutter geleistet hat, werfen und es aus seinem bisherigen „Schattendasein“ befreien können.

Tiffany Poon spielte beide Stücke der jungen, verliebten Clara, die wie alles in Claras Leben von aufrichtigen, wenn auch aufgewühlten, aber doch auch immer sanften Gefühlen bestimmt sind, mit allen pianistischen Raffinessen, reichlich Pedal und oft auch Kraft im starken Kontrast zu sanfteren Passagen, womit sie nicht ganz den feinsinnigen Charakter und die sensible Gefühlstiefe Claras traf, die ganz der Zeit der Romantik entsprach. Bei den „Kinderszenen“ (op. 15) des ebenfalls noch jungen Robert Schumann traf sie dann den Nerv des Komponisten und seiner Komposition, die mit dem „ewigen Kind“, dem Sehnsuchtsort der Romantiker nach innerer Heimat und Geborgensein „spielt“, auch „sacht und zart und glücklich wie unsere Zukunft“ wie Robert an Clara schrieb, erschien, aber eben aus männlicher Sicht, herzhafter und mit „Bodenhaftung“.

Das anschließende „KONZERT IM SCHLOSS“ (14.8.) begann mit W.  A. Mozarts Adagio und Fuge für Streicher c-Moll“ (KV 546), ein Wagnis, das die Ausführenden, Esther Hoppe, die das Quintett mit energischem Strich ihrer Violine anführte, Kevin Zhu, Violine, Sindy Mohamed, Viola, Hayoung Choi, Violoncello und Alexander Edelmann, Kontrabass, „gestandene“ Musiker, technisch versiert wiedergaben. Die Struktur war gut zu erkennen, die einzelnen Stimmen klar zu verfolgen. Man vermisste lediglich Klang und Leichtigkeit, die man bei Mozart nun einmal gewohnt ist, aber das Werk ist nicht leicht zu bewältigten und führt bei anderen Interpreten nicht selten zu kaum verständlichem „Chaos“.

Nachdem Mozart die Fugen der Bachsöhne studiert hatte, versuchte er es ebenfalls mit Fugen. Ihm schien nichts unmöglich, er wollte sich ausprobieren, aber für diese Gattung war die Zeit vorüber, die musikalischen Empfindungen waren andere geworden. Während die Fugen der Familie Bach auch gut klingen, gelang Mozart (wie später auch Beethoven) das Fugenschreiben mehr theoretisch als praktisch, so dass solche „klassischen“ Fugen nicht leicht zu komponieren waren und noch schwerer zu interpretieren sind, so dass sich die Ausführenden verständlicherweise vorrangig auf die technische Seite konzentrierten.

Anders war es bei Richard Strauss‘ einzigem Klavierquartett. dem „Klavierquartett c‑Moll (op. 13). Hier waren der sehr einfühlsam am Klavier musizierende und zusammen mit Alexander Sitkowetzky, Violine, den guten Ton angebende Boris Giltburg sowie Ziyu Shen, Viola und Huy Johnston, Violoncello ganz in ihrem Element. Die Stimmen und Klänge verschmolzen in perfektem Zusammenspiel der Streicher mit dem klangvollen Klavier zu großen schwelgerischen Gesten. In kraftvollen, wuchtigen Passagen verliehen die Musiker den aufregenden Erlebnissen des jungen Strauss eines Winters in der Großstadt Berlin mit eleganten Frauen, aufregendem Nachtleben und wichtigen Persönlichkeiten, die den Neunzehnjährigen wie „elektrisierten“, Ausdruck, professionell, überlegen  und mit schöner Klarheit.

Alexander Borodin, der neben seinem Beruf als Chemiker eigentlich nur „Hobbykomponist“ war, aber dennoch als einer der berühmten Komponisten des 19. Jahrhunderts gilt, obwohl er hauptsächlich durch seine (unvollendete) Oper „Fürst Igor“ und da wiederum vor allem durch die „Polowetzer Tänze“ bekannt geworden ist, schrieb nur ein einziges Streichquartett, das „Streichquintett f‑Moll“, das Mira Wang, Violine, Ulrich Eichenauer, Viola, Christian Poltéra, Violoncello und Maciej Kułakowski, Violoncello in vollendeter Form zu Gehör brachten. Es gab Applaus nach jedem Satz. War es wirklich Begeisterung oder nur Unkenntnis, da dieses Quartett kaum bekannt ist, aber umso überraschender in seiner fließenden Eleganz, bei der genialer musikalischer Einfall auf Einfall folgt und jeder Satz in sich abgeschlossen erscheint und keine Fortsetzung mehr erwartet wurde? Es war verständlich, dass jemand offenbar (schon) während des gesamten Spiels das „Bavo“ auf den Lippen hatte, das mit dem letzten Ton herausbrach, aber man hätte das meisterhaft interpretierte Quartett gern ausklingen lassen, schön aber, wenn Kammermusik auch in unseren Tagen solch euphorische Begeisterung auslösen kann.

Bezüglich eines musikalischen „Nachtlebens“ konnten sich die Festival-Besucher für eine „WIENER NACHT“ mit Schubert, Beethoven, Mozart, Lanner und Johann Strauss und renommierten Künstlern auf Schloss Proschwitz (16.8.) entscheiden oder für die „LANGE NACHT DER KAMMERMUSIK“ (15.8.) in der Moritzburger Kirche mit den Teilnehmern der Festival Akademie und der Verleihung des „Akademiepreises 2019″, der zwar vom Publikum, aber einem musikliebenden, sachverständigen, vergeben wird. Lassen wir die Jugend zu Wort kommen. Da stand noch mehr „Frauenpower“ auf dem Programm, 10 Komponistinnen standen 4 Komponisten gegenüber. In kammermusikalischen Besetzungen “ konnte man hier zum Teil auch noch einmal einige der Werke erleben, die schon beim „Proschwitzer Musik Picknick“ gespielt wurden, aber jetzt noch reifer, noch ausgefeilter.

Mag es daran gelegen haben, dass im Raum manche Feinheit besser zur Geltung kommt als bei open air, vor allem aber hatten die jungen Musiker noch einige Tage Zeit, um noch weiter zu probieren, sich noch besser aufeinander einzustellen und an ihrer Interpretation zu feilen – schon wegen des Akademiepreises in drei Kategorien. In zwei Kategorien ging er an zwei Ensembles, die von Amelia Dietrich (USA) geleitet wurden, die schon beim „Musik Picknick“ positiv auffiel. Vielleicht wächst hier eine neue, vielversprechende Konzertmeisterin heran. Einen ähnlichen Fall gab es schon einmal, als ein unbekannter Teilnehmer in Moritzburg sozusagen seine Karriere begann und jetzt 1. Konzertmeister der Berliner Philharmoniker ist. In der dritten Kategorie ging der Preis an ein Streichquartett, das sich mit Vehemenz und Können für Carolin Shaw, eine Komponistin des 20./21. Jahrhunderts einsetzte.

Das Programm wird von Mira Wang, der Leiterin der Akademie, ausgesucht. Die jungen Musiker aus den verschiedensten Ländern und mit unterschiedlicher Ausbildung finden sich “ad hoc“ zu einem Kammermusikensemble zusammen. Da sitzt ein junger Mann aus Indonesien neben einer jungen Frau aus den USA und eine Musikerin aus China neben einem Musiker aus Finnland oder Kroatien. Das sind echte, unverfälschte Wettbewerbsbedingungen und nicht hoch genug zu schätzende Leistungen, wenn die jungen Musiker schon nach wenigen Tagen zusammen auftreten und so gut miteinander harmonieren, wobei auch der am Klavier mitwirkende Daiki Kato mit seiner besonderen Einfühlsamkeit bei den unterschiedlichsten Kompositionen auffiel.

„KÜNSTLER GANZ NAH“ waren in der alten, anheimelnden, schön restaurierten Dorfkirche Steinbach nahe Moritzburg zu erleben (16.8.). In einem sehr geschickt aufgebauten Programm, chronologisch vom 20. zum 18. Jahrhundert und instrumental vom hohen Streichinstrument zu den tieferen, boten „gestandene“ Künstler neben jungen, hoffnungsvollen ein Feuerwerk an Virtuosität und Esprit, wobei die ursprünglich in logischer Folge für den Abschluss vorgesehene „Suite für Violoncello solo Nr. 6“ von J. S. Bach, technisch versiert dargeboten von Guy Johnston, vom Ende an den Anfang rückte.

Mit der „Allemande“ aus der „Sonate für Violine solo Nr. 4 e‑Moll“ von Eugéne Ysaýe und „Rezitativo und Scherzo-Caprice“ von Fritz Kreisler präsentierte der 19jährige Nathan Meltzer mit zauberhaften Klängen auf „seiner“, einst Roman Totenberg von einem seiner Schüler gestohlenen und erst 2015 wieder entdeckten, „Ames“- Stradivari, auf der er zu spielen versteht, wahre „Hexenkünste“ an atemberaubender Virtuosität mit klangvollen Doppelgriffen in ungeahnter Perfektion, voller Temperament und Verve, und Glanzpunkte an interpretatorischer Reife.

Esther Hoppe und Kai Vogler boten eine Auswahl von den „44 Duos“, die Béla Bartók für zwei Violinen schrieb, und Sindy Mohamed und Guy Johnston das „Duo Es‑Dur“ von L. v. Beethoven. Den grandiosen Abschluss bildete die „Sonate Nr. 10 G‑Dur für zwei Violoncelli von J.-Baptiste Barrière (1707-1747), in vollendeter Wiedergabe von Hayoung Choi und Maciej Kułakowski. Als „kleine Überraschung“ bot Kai Vogler mit seiner, noch studierenden, Tochter Margarethe in sehr ansprechender Weise und völliger klanglicher Übereinstimmung „Variationen für Violine und Violoncello von G. F. Händel“ des Norwegers Johan Halvorsen.

Die beiden Cello-Virtuosen Hayoung Choi und Maciej Kułakowski waren noch einmal in einem anderen “PORTÄTKONZERT (17.8.) in der Moritzburger Kirche zu erleben, bei dem u. a. noch einmal „ihre“ „Sonate Nr. 10 G‑Dur für zwei Violoncelli“ von Jean-Baptiste Barrière zu hören war, die sie in der Steinbacher Kirche gespielt hatten. Der unterschiedliche Raum und die andere Atmosphäre ließen das Werk wieder neu und ein wenig anders erscheinen, aber sehr ansprechend und nuancenreich beeindruckte die Sonate auch hier. Bei einem „Duett für zwei Violoncelli D‑Dur (Hob.X:11) von Joseph Haydn, bei dem er, von ihr einfühlsam begleitet, mit singendem Cello die Führung übernahm, ließen sie auch den liebenswürdigen Humor Haydns zur Geltung kommen, der auch gegenwärtig immer noch anspricht, wenn er so wiedergegeben wird.

An virtuoser Überlegenheit aber stellten die „Variationen über ein Thema von Rossini“ von Niccolò Paganini alles in den Schatten. Bei Chois völlig konformer „Begleitung“ und Mitgestaltung „wie ein Herz und eine Seele“ konnte Kułakowski meist die Führung übernehmen und den effektvollen „Kunststücken“ wie dem perfekt auf einer Saite tänzelnden „Glissando“ und anderen Raffinessen widmen, denen sie in anderer Weise nicht nachstand. Sie hauchten beide der immer wieder neu und anders variierten, von Paganini ganz auf äußerliche Effekte bedachten, volksliedhaften Melodie mit überlegenem Humor und „nahtloser“ Harmonie Leben ein – wie aus einem „Guss“ und bedankten sich beim Publikum für den begeisterten Applaus als Zugabe mit ebensolcher Virtuosität in atemberaubender Schnelligkeit.

 Das darauffolgende „KONZERT“ brachte zunächst eine Begegnung mit Hanns Eisler wie man den Österreicher und Weggefährte Bertold Brechts, dem der Nimbus der politischen Lieder anhaftet, nicht unbedingt kennt. „Präludium und Fuge über B-A-C-H für Streichorchester“, eines der kürzeren, streng konstruierten Stücke, die er zu Lehrzwecken verfasste, um mit steigendem Schwierigkeitsgrad die Zwölftontechnik umzusetzen, wurden von den versierten Musikern Alexander Sitkowetsky, Violine, Ziyu Shen, Viola und Macej Kułakowski, Violoncello, der sich nach seinem Höhenflug mit Paganini auch wieder kongenial in das Trio einfügte, klangvoll dargeboten.

Mit zum Teil „himmlisch schönen“ Klangwirkungen in gutem Zusammenspiel gestalteten Boris Giltburg, Klavier, Kai Vogler, Violine, Ulrich Eichenauer, Viola und Christian Poltéra, Violoncello, die schon zu den „Alten Hasen“ des Moritzburg Festival gehören, das “Klavierquartett Nr. 1 D‑Dur“ (op. 23) von Antonín Dvorak, bei dem weniger die „slawische Seele“ als vielmehr die geniale Virtuosität im Vordergrund stand.

Mit sehr ausdrucksvoller Streicherkunst und Hingabe, mit der der geniale junge Nathan Meltzer, Violine das Quartett mit Ester Hoppe, Violine, Ulrich Eichenauer, Viola und Guy Johnston, Violoncello, anführte, wurden „Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“ (Fassung für Streichquartett Hob. XX 18) von Joseph Haydn zum eindrucksvollen, emotionalen Klangerlebnis, ein ungewöhnliches Werk mit, für die Karfreitagsliturgie zwingenden, sechs Sätzen in sehr ruhigem Tempo (Largo, Grave e Cantabile, Grave, Adagio, Lento, Largo), bei denen es Haydn verstand, in immer wieder neuer, anderer Gestaltung die Aufmerksamkeit zu erhalten, und dem letzten, furiosen Satz (Presto).

Mit dem ABSCHLUSSKONZERT (18.8.) klang das 27. Moritzburg Festival in der Kirche stimmungsvoll aus. Noch einmal brachte es eine Begegnung mit einem kaum bekannten Werk, dem „Streichoktett C‑Dur“ (op. 7) des Rumänen und Kosmopoliten George Enescu, „hitzig, hochemotional und mit nicht zu bremsender Energie“, das die Herren Sitkovetsky, Meltzer, Kevin Zhu, Kai Vogler, Joshua Cai, Eichenauer, Poltéra und Johnston in ebensolcher Weise zu Gehör brachten, klar und klangvoll, volltönend und temperamentvoll, melodiös und melodienreich, im 2. Satz, dem Stück entsprechend, aufgeregt, aber immer klanglich ausgewogen. Wie alle Kammermusikensembles des Festivals musizierten Vertreter aller Herren Länder und Ethnien gemeinsam und bestachen durch klare Führung der Stimmen und musikalischen Linien, Klarheit und Homogenität.

Mit ganz anderem Charakter wurden Kevin Zhu, Esther Hoppe, Nathan Meltzer, Kai Vogler, Ulrich Eichenauer, Ziyu Shen, Jan Vogler und Hayoung Choi dem „Streichoktett Es-Dur“ (op. 20) von Felix Mendelssohn-Bartholdy zwischen leicht und luftig und kraftvoll und selbst im letzten Satz mit atemberaubendem Presto gerecht, immer konform mit viel Temperament und Begeisterung. Das war Kammermusik vom Besten und Feinsten und ein Abschluss, der Lust auf mehr machte.

Das 28. Moritzburg Festival wird in der Zeit vom 11. – 26. August 2018 stattfinden. Zur „Überbrückung“ finden 5 Konzerte mit erlesenen Musikern, die u. a. auch beim 27. Moritzburg Festival dabei waren, auf Schloss Albrechtsberg in Dresden mit Jan Vogler, Ismo Eskelinen, Daniel Müller-Schott, und Boris Giltburg u. a. statt.

 

Ingrid Gerk

 

BAYREUTH/ Festspiele: TRISTAN UND ISOLDE

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Georg Zeppenfeld, Petra Lang und Christa Mayer. Foto: Enrico Nawrath/ Bayreuther Festspiele

Bayreuth: Tristan & Isolde  20.8.2019

In ihrem letzten Jahr ist die Inszenierung Katharina Wagners für Tristan & Isolde angekommen. An einigen Stellen hat sie noch Verbesserungen, Verklarungen vorgenommen. Aber sie wird wohl nicht in die Annalen  großer Interpretationen  dieser Wagner-Oper mit musikalischem Ausnahmecharakter eingehen. Am verrätseltsten wirkt vielleicht noch der erste Akt mit den querständigen z.T ins nichts führenden Treppenabsätzen und Geschossen, ein Labyrinth der Liebe und Seelen, aber modern designet von Frank Philipp Schlößmann und Matthias Lippert, in dem sich die Darsteller in Aufzügen bewegen, immer die richtigen Treppen finden, nie abstürzen. Vielleicht hätte man sie als Einheitsbühne für die gesamte Oper, wie heute so oft in modernen Regien, belassen sollen. Denn was dann kommt hat wesentlich weniger Qualität. Im 2.Akt ein hoher Raum, in dem Tristan & Isolde eingekerkert sind, und der von oben auf einer umschließenden Brüstung von Wärtern eingesehen werden kann. Die Fahrradständer-artigen Stahlgebilde, an denen sich das Paar im Verlauf auch abarbeitet, könnten später der Bayreuther Region als Fahrradständer weiter dienen. Im 3.Akt gibt es dann im Grunde gar kein Bühnenbild mehr.

Im 1.Akt kam es Katharina W. also darauf an, wieder neue Wege für das Personal in dem Labyrinth zu finden. Jedenfalls sind die Personen jetzt deutlicher erkennbar, und die musikalische Wiedergabe unter Christian Thielemann erscheint auch strukturierter. Man kennt sich besser aus, was im oberen bzw. unterem Teil der hypertrophen Anlage passiert, bis das Paar, das vorher auch den Hochzeitsschleier Isoldes in kleine Fahnen zerrissen hat, den lange in Händen gehaltenen Liebestrank in kleinem  Döschen endlich gemeinsam auf den Boden schütten.

Auch im 2.Akt rollt das Orchester in unendlich scheinenden Wellen an und trägt die Gesänge zuerst wieder mit Isolde und Brangäne. Letztere leitet mit ihren  Wachtgesängen auch das Orchester in ruhigere Fahrwässer. Da hat Thielemann wie im ersten Akt schon das richtige Gespür, die Wogen in die richtige Bahnen zu lenken. Nach den Reflexionen des Vergangenen verlassen Isolde und Tristan ihr Zelt links und schreiten gemeinsam mittig in den Hintergrund und singen da ihren ihr ‚Sink hernieder‘ nach hinten, was laut Thielemann der Verschmelzung der Stimmen und der Orchesterbegleitung optimal entgegenkommt. Dabei werden die Beiden am hinteren Bühnenrand gespiegelt, aber sehr verkleinert und in bläuliches Licht getaucht. Über die diametral andere Interpretation K.Wagners des Dramas als der ihres Urgroßvaters ist eigentlich schon alles gesagt; die gelb eingekleidete Hofgesellschaft Markes spielt dem Paar übel mit, Melot stößt Tristan ein Messer in den Rücken. Und Isolde läßt sich auch am Ende des 3.Aktes fast ohne Widerstand von Marke wegführen. Wo bleibt denn da das Magische am Liebestod? Er verflüchtigt sich vollständig.

Der Junge Seemann Tansel Akzeybek verbleibt in seinem a capella Gesang für mich wieder völlig indiskutabel. Es soll ja kein zartes Huldigungsliedchen für Isolde sein, sondern ein ätzender ironischer Spottgesang auf die ‚gefangene‘ Prinzessin. Raimnd Nolte gibt wieder einen adäquaten, im Gesang etwas blassen Melot. Neu ist in der Produktion Greer Grimsley, und macht mit ausdrucksvoll pointiertem baritonalem Gesang seine Sache eigentlich gut, nur hat er obwohl eher jugendlich manchmal einen Hang zu extensivem Vibrato. Christa Mayer schlägt sich wieder toll als Brangäne, wirkt jetzt im grünen Kostüm mindestens ebenso dramatisch wie Petra Lang/Isolde.  Dabei hat sie aber ein „geraderes“ Timbre, es fehlen ihr manchmal die farbigeren Stimmvalleurs. Georg Zeppenfeld, hier mit seinem 2.König nach Lohengrin, gestaltet den Marke wunderbar aus, kommt auch an die tiefengeschärfte Zeichnung illustrer Vorgänger wie Matti Salminen heran. Besonders in den auch im Orchester brodelnden Stellen seines Monologs dreht er mächtig auf. Als Steurmann ergänzt Kay Stiefermann.

Stefan Vinke teilt sich dies Jahr den Tristan mit Stephen Gould. Wie schon bei seinen Siegfrieden vor 2 Jahren singt er in der Mittellage als Ausdrucksmittel manchmal leicht bellend. Es gelingen ihm im Verlauf bis 2.Akt schöne Legatobögen, und er kann die wohl vier Monologe im dritten besonders stark gestalten und ausformen. Sein dunkel grundiertes Timbre verleiht auch der Höhe ansprechendes und sehr konsistentes Flair. Seine Isolde Petra Lang besitzt einen wie soghaften auch tieftimbrierten Sopran, der ihrem Gesang öfter fast magische verzückte Anklänge verleihen. Öfters erscheint ihre Höhe aber nur suboptimal gefestigt. Im 1.Akt ist sie aber sicher stimmstärker, auch textverständlicher geworden. Man ist auf ihre Walküren-Brünnhilde nächstes Jahr gespannt.                                               

Friedeon Rosén

 

 

STUTTGART/ Johanneskirche: QUNST-QUINTETT – ( Danzi, Ligeti, Arnold, Nielsen) mit wilder Lebendigkeit

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Das „qunst.quintett“ in der evangelischen Johanneskirche/STUTTGART am 21.8.2019

MIT WILDER LEBENDIGKEIT

Das „qunst.quintett“ mit Julia Obergfell (Oboe), Martin Fuchs (Klarinette), Johannes Hund (Fagott), Alexander Koval (Querflöte) und Raphael Manno (Horn) musizierte zunächst mit viel Spielwitz und Esprit das reizvolle Quintett g-Moll op. 56/2 von Franz Danzi, wo insbesondere die thematischen Querverbindungen gut herausgearbeitet wurden. Bei den sechs Bagatellen für Bläserquintett von György Ligeti betonten die gut aufeinander abgestimmten jungen Musiker die dynamischen Kontraste und starken Akzentsetzungen sehr überzeugend. Das Klanggewebe löste sich hier in immere bewegtere Linien auf. Die Instrumente spielten höchst virtuos mit Intervallen. Schnellste Tonrepetitionen belebten dabei facettenreich das Netzgewebe. Eine gewagte Anblas- und Geläufigkeitstechnik war hier ebenso bezeichnend, wobei die Musiker sich ganz mit der ausgefeilten Harmonik identifizierten. Aura, Kantabilität und Farbkontraste zeigten hier viele Nuancen. Läufe und groteske Sprünge wechselten sich immer wieder ab.

Eher melodisch kamen dann „Three Shanties“ für Bläserquintett op. 4 von Malcolm Arnold daher, der vor allem als Filmkomponist („Die Brücke am Kwai“) berühmt wurde. Anklänge an Hector Berlioz und Jean Sibelius waren dabei nicht zu überhören. Einflüsse von Beethoven, Cesar Franck und Brahms zeigten sich zuletzt beim eher harmonischen und dreiklanggesättigten Quintett op. 43 von Carl Nielsen. Polytonalität und kontrapunktische Durchdringung der Satzstrukturen feierten bei dieser höchst konzentrierten Interpretation Triumphe. Die Musik wurde auch in ihrer ganzen Tiefe durchdacht. Geistreich stilisierte Sätze beeindruckten bei dieser ausgezeichneten Interpretation die Zuhörer.

Direkt nach seiner Gründung gewann dieses bemerkenswerte Ensemble 2011 beim Wettbewerb „Jugend musiziert“ einen ersten Preis auf Bundesebene. In diesem Jahr wird es auch beim Carl-Nielsen-Wettbewerb in Dänemark teilnehmen.

Alexander Walther

WIESBADEN/ Kurhaus: GEWANDHAUSORCHESTER LEIPZIG – ANDRIS NELSONS mit Bruckners „Achter“

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Wiesbaden / Kurhaus: „GEWANDHAUS ORCHESTER LEIPZIG – ANDRIS NELSONS“  –  22.08.2019

Eines der traditionsreichsten deutschen Orchester das Gewandhaus Orchester Leipzig unter der Stabführung seines Chefdirigenten Andris Nelsons gastierte im herrlichen Kurhaus-Jugendstil-Konzertsaal und bescherte dem „Rheingau-Musik-Festival 2019“ einen weiteren Konzert-Höhepunkt.

Da gab es kein Leipziger Allerlei, weit gefehlt, der ehrwürdige Klangkörper servierte lukullische Hörgenüsse quasi auf dem Silbertablett Anton Bruckners „Achte Symphonie“.

Andris Nelsons seit 2018 im Amt des 21. Gewandhaus-Kapellmeisters des legendären Gewandhaus Orchesters Leipzig brachte Bruckners Alterswerk auf elitäre Weise zu Gehör, dass es einem schier den Atem verschlug. Es erklang die 1. Fassung aus den Entstehungs-Jahren 1884-87.

Im dunklen Schatten des Violinen-Tremolos, den dumpf tönenden Hörnern erhob sich das  Allegro moderato, drohend regten sich die tiefen Streicher, in finsterer Wucht erklang der klagende Quinten-Ruf der Klarinette zum Hauptmotiv zu den Schluchzern der Holzbläser vereint im Fortissimo der Trompeten kündete sich die Unentrinnbarkeit des Schicksals an.

Andris Nelsons verband mit dem hervorragend aufspielenden Gewandhaus-Orchester strömende Gesänge aus dem zweiteiligen Anhang-Rhythmus mit den übrigen Instrumenten zu sekundärer Gestaltung des angstvoll-unheilvollen Bebens dieses großartigen sinfonischen Aufbaus Bruckners. Spannungsvoll verband der versierte Dirigent verklingende brechende Crescendi in weichem Wechsel zu tönenden Skulpturen der prächtigen Orchester-Tutti. Nun muss ich gestehen, dass mir derartige Tongebungen in der „Achten“ etwas befremdlich erschienen, mich jedoch zunehmend in ihren Bann zogen ja regelrecht begeisterten.

Konträr zum übermächtigen Schicksalsmotiv des ersten Satzes antwortet Bruckner im Scherzo schier mit Querköpfigkeit und Träumerei – der Komponist nannte diesen zweiten Satz gar selbst: Der deutsche Michel. In aufreizender Einfalt ertönten in Instrumenten Verlockungen, es polterte, rieselte, flötete und zirpte, aus dem Michel wurde Michael der Erzengel zu choralartigen Weisen. Zarte Geigen, schmelzende Hornweisen, wiegende Klarinetten und die glitzernde Harfe „entführten“ den Michel aufs Land zu instrumentalem Trio, doch unheilvoll eigensinnig klopfend meldete sich in dunklen Bässen das Schicksal erneut zurück.

In schwebenden Synkopen der Streicher wurde das Adagio eingeleitet, man glaubte ein Seraph war vom Himmel herab gestiegen, dem man sich in verklärter Weise im weiteren Verlauf dieses wundervollen Satzes immer näher wähnte. Dieses herrliche Adagio gehört mit Sicherheit zu den schönsten Melodien welche der große Meister hervorbrachte und zu den eindrucksvollsten der gesamten Musikliteratur gehört. Kein anderes Bruckner-Thema demonstriert derart klar und betörend die Aufbauphase musikalischer Gedanken, in bezwingender Konstruktion der sich immer mehr in Verzückung steigernder Instrumente, gipfelnd im rauschhaften Fanfarenton der Blechbläser. Virtuos verknüpfte Nelsons in zwei Segmenten den Orchesterklang mittels diaphaner Register Bratschen und Celli mit Solo-Passagen der Holzbläser zu leichtgewichtigen Girlanden individueller Klang-Dimensionen. Ein Adagio von knapp 30 Minuten? In derartig einmalig akustischer Perspektive hätte es aus meiner Sicht eine Stunde dauern können.

Gleich einer Krönung des Werkes, als überragender Gipfel der instrumentalen Gebirgskette erklang das Finale der vierte Satz vom majestätischen akkuraten Choral der brillanten Blechbläser eröffnet. Ahnte der Tondichter, dass es sein letztes sein würde? Mit donnernden Cambiata-Quarts rückten die Streicher heran, ein Sturmwind des Schicksals forderte Entscheidung, Ergebung und Abwehr zugleich, Hörner, Tuben, Posaunen bliesen zum Choral- Schlachtgesang unwiderstehlich, selbstvertrauend. Andris Nelsons bündelte gleich einem Kosmos des Lebens, in einer Art Reprise alle Kräfte des gesamten Orchester-Apparates zum Kondensat aller Themen, Motive, Rhythmen in machtvollen Gebärden zu gewaltig beschwörender Coda. Der sensible Dirigent punktete nicht nur mit luxuriös nuancierter Konsonanz, nein seine Bruckner-Interpretation schlug vom ersten Takt an durch sein unwiderstehliches Tempo, seine intellektuelle Fokussierung und die sorgfältige musikalische Profilierung in seinen Bann.

Teile eines undisziplinierten Publikums schienen von Inhalt und Größe des grandiosen Werkes mental überfordert, doch dessen Großteil würdigte die Sternstunde eines unvergesslichen Konzertabends und bedachte die Leipziger Gäste und Nelsons mit frenetischer Begeisterung.

Ich werde mir das erneute Gastspiel in derselben Formation im Festspielhaus Baden-Baden am 03. Juli 2020 keinesfalls entgehen lassen.

Gerhard Hoffmann

WIESBADEN/ Kurhaus: GEWANDHAUSORCHESTER LEIPZIG, ANDRIS NESONS. (Bruckners „Achte“)

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Konzert mit dem Gewandhausorchester Leipzig im Friedrich-von-Thiersch-Saal, Kurhaus Wiesbaden, 22. August 2019

 

Anton Bruckner Sinfonie Nr. 8 c-moll WAB 108
Andris Nelsons
Leitung

 Beseelte Feierlichkeit

Nach dem spektakulären Konzert mit dem London Symphony Orchestra unter Sir Simon Rattle, welches eine Woche zuvor an gleicher Stelle statt fand, nun ein weiterer symphonischer Gipfelabend im Rahmen des diesjährigen Rheingau-Musikfestivals.

Eingeladen war das traditionsreiche Gewandhausorchester Leipzig mit seinem lettischen Chefdirigenten Andris Nelsons. Auf dem Programm des Abends stand mit der achten Sinfonie von Anton Bruckner dessen umfangreichste Sinfonie zur Aufführung.

Der Komponist arbeitete insgesamt fünf Jahre an seiner Sinfonie und wie so oft, folgten von ihm diverse Überarbeitungen, z.B. von Leopold Nowak, die auch Nelsons bei seinem Konzert wählte. Dirigent Hans Richter leitete schließlich die Uraufführung in der finalen Fassung im Jahr 1892.

Andris Nelsons beschäftigt sich aktuell mit einer Gesamteinspielung aller Bruckner Sinfonien mit dem Gewandhausorchester. Seine genaue Kenntnis des Werkes war jederzeit bezwingend spürbar.

Bereits im einleitenden Allegro moderato des ersten Satzes traf Nelsons hervorragend den mystischen Grundton. Schon der Auftakt machte deutlich, hier ereignet sich ein besonderer musikalischer Moment! Dann immer wieder harmonische Schärfungen und geballte klangliche Entladungen in einem großen Spannungsbogen, zuweilen in größter Vehemenz ausmusiziert. Die dynamische Bandbreite war hier bereits im Eingangssatz außergewöhnlich groß, so dass gerade dann das besonders leise Verklingen des Satzes eindrücklich geriet. Die kantabel intonierenden Holzbläser sorgten immer wieder für wohlige Ruhemomente.

Ungewöhnlich und erstmals in einer Sinfonie von Anton Bruckner, das Scherzo als zweiter Satz. Nelsons arbeitete sprübar markant die rhythmischen Akzente heraus, so z.B. sehr pointiert die Solo-Pauke am Beginn des Satzes. Auch hier waren die fabelhaften Blechbläser des Gewandhausorchesters perfekt eingestellt und im Zusammenspiel äußerst präzise. Immer wieder eine Insel der Tröstung das As-Dur Trio in der Mitte des Satzes.

Von größter Eindringlichkeit und Höhepunkt des Konzertabends war das ausladende Adagio, in welchem Bruckner u.a. die Harfen exponiert zum Einsatz brachte. Die große Verehrung Richard Wagners klingt gerade hier immer wieder überdeutlich an, sogar ein Motiv aus dessen „Siegfried“ ist zu hören. Tuben und Schlagzeug geben diesem längsten Satz aller Bruckner Sinfonien eine besondere Feierlichkeit. Und Andris Nelsons war hier ganz bei sich, hörte, fühlte und grub sich geradezu tief in die Musik hinein. Für diesen Satz nahm sich Nelsons viel Zeit, ja fast wollte die Zeit still stehen, während die Musik weiterfloss, ohne zu stocken. Sein Staunen und sein lebhafter gestischer Ausdruck wurde von dem hingebungsvoll musizierenden Gewandhausorchester geradezu symbiotisch aufgesogen. Mit größter Sensibilität und Wachsamkeit eröffneten die famosen Streicher einen filigranen, weichen und zugleich nobel tönenden Klangteppich, so dass sich dem Zuhörer ein weiter, unendlicher Klangkosmos eröffnete.

Pompös und aufrauschend dann der gewaltige Finalsatz mit seinen heftigen Paukenakzenten zu Beginn, die an eine Reiterschar denken lässt. Andris Nelsons wahrte auch hier perfekt die dynamische Balance und begann diesen Satz in einem furios nach vorne stürmenden Tempo. Faszinierend seine musikalische Klarsicht auf die z.T. verästelte musikalische Struktur und die vielen Fugatoeinschübe. Auch in den gewaltigen polyphonen Aufschichtungen gewährleistete Nelsons eine klare Transparenz bis in die Nebenstimmen hinein. Herrlich derb und markant das laute Ostinato der Solo-Pauke, gefolgt von drastisch heraus gemeißelten Dissonanzen in den Blechbläsern. Das Finale am Satzende geriet in seinem ruhigen und sehr klar gegliederten Aufbau überwältigend.

Das Gewandhausorchester Leipzig ist seit jeher intensiv mit der Musik Anton Bruckners vertraut. Es war imponierend zu erleben, wie souverän und warmstimmig alle Instrumentalgruppen miteinander musizierten. Mit höchster Konzentration, großer Ausdauer und bestechender Klangqualität zeigte das Gewandhausorchester seine herausragende Qualität, die sich fortwährend in einem edlen Klangpanorama aufzeigte. Der Klang des Orchesters ist einzigartig, wirkt samtig, golden und doch immer auch zupackend, geradezu körperlich, wenn es gefordert war. Was besonders beeindruckte, war das erlebbare Miteinander des Orchesters, die Musiker hörten aufeinander und reagierten sehr sensibel. Der warme Klang der Streichergruppe, die immer weich intonierenden Holzbläser, das majestätische, ungemein sicher, ausdauernde Blech und die fabelhaften Schlagzeuger verliehen diesem Konzert einen Ausnahmecharakter.

Es war eine Bruckner Interpretation gegen den musikalischen Zeitgeist, nicht weichgespült oder durch willkürliche interpretatorische Mätzchen verflacht. Nein, es war ein musikalisches Bekenntnis, welches Andris Nelsons mit seinem hingebungsvoll agierenden Gewandhausorchester Leipzig formulierte! Sehr subjektiv und dadurch unwiderstehlich in seiner Überzeugungskraft!

Das Publikum im ausverkauften Konzertsaal wusste diesen besonderen Abend zu würdigen und feierte Nelsons sowie das Gewandhausorchester Leipzig mit ausdauernden Intensivhuldigungen.

 

Dirk Schauß

  1. August 2019

SALZBURG/ Festspiele: WIENER PHILHARMONIKER mit Daniel Barenboim (Mahler)

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Schlussapplaus. Foto: Klaus Billand

SALZBURG/Festspiele: Wiener Philharmoniker mit Daniel Barenboim am 22. August 2019

Gestern Abend spielten die Wiener Philharmoniker unter Daniel Barenboim ein reines Gustav Mahler-Programm, und zwar die „Kindertotenlieder“ und die „Symphonie Nr. 5 cis-Moll“. Im vollbesetzten Großen Festspielhaus sang die bekannte Mezzosopranistin Okka von der Damerau den Solopart der Kindertotenlieder. Offenbar hatte sie es auf einenbetont lyrischen Vortrag abgesehen, denn ihre Stimme war nicht so präsent wie ich sie aus Aufführungen des „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner in München und Bayreuth her kenne. Aber so war eine sehr nachdenkliche, ja kontemplative Interpretation der Kindertotenlieder zu erleben, die mit dem ebenfalls zurückgenommenen Dirigat von Barenboim am Pult der Wiener Eindruck machte.

Dieser stellte sich aber in des Begriffes wahrster Bedeutung gleich mit dem Beginn des 1. Satzes, des Trauermarsches, der 5. Symphonie nach der Pause ein. Hier hatte es Barenboim wohl auf Bombastik abgesehen. Er akzentuierte die großen Ausbrüche der Fünften mit enormer Klarheit und Prägnanz im 1. und 2. Satz, wobei die außergewöhnliche Potenz der Blechbläser besonders stark zum Ausdruck kam, die Zwischentöne aber weitgehend auf der Strecke blieben. Das grandios abwärts gehende Motiv der Hörner klingt mir noch heute Morgen im Ohr. Umso stärker wirkte dann die Lyrik und Sublimität des Adagiettos – Momente zum Nachdenken. Das Publikum war begeistert.

Eine Bemerkung, in der Tat am Rande: Placido Domingo erschien, als Barenboim fast schon den Taktstock hob, am linken Rand des Ranges in einer Seitenloge, verfolgte die ganze Fünfte, und verschwand sofort wieder nach ihrem letzten Ton. Kaum jemand bemerkte ihn, eher eine Seltenheit bei PD…

Klaus Billand aus Salzburg

BAYREUTH/ Festspiele: TANNHÄUSER

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Stephen Gould, Elena Zhidkova, Manni Laudenbach. Foto: Enrico Nawrath/ Bayreuther Festspiele

Bayreuth: Tannhäuser  21.8.2019

Bei der Neuinszenierung Tannhäuser hatte Tobias Kratzer eine originelle Idee und rückte damit Wagners frühe Oper, die auch in der Dresdener Fassung 1845 gespielt wird, fast in die Nähe einer Komischen Oper, wie sie sonst nur die ‚Meistersinger‘ sind, zumindest von den Festspiel-würdigen. Das Dirigat übernahm der renommierte Russe Valery Gergiev, der die ersten beiden Akte sehr frisch und flott nimmt, im Dritten aber in eine langsamere Gangart verfällt (besonders in der Romerzählung, die etwas spannungslos gerät), was sich  auch in der Regie niederschlägt, die hier an Spritzigkeit verliert. Während des schon in der Dresdener Fassung langen Vorspiels wird ein Video (Manuel Braun) gezeigt. In einem älteren Citroen- Bus fährt eine vierköpfige Circus- oder Aussteigertruppe durch eine waldige Gegend (etwa Thüringer Wald). Ein geschminkter Clown als Tannhäuser, Venus im Glitzerkleidchen (Bühne & Kost. Rainer Sellmaier), dazu Le Gateau Chocolat, ein schwarzer Transvestit und Musiker sowie Oskar (Matzerath), gespielt von dem kleinwüchsigen Manni Laudenbach. An einer Tankstelle bezahlen sie mit einer gefälschten Kreditkarte, ein Polizist stellt sich ihnen beim Abfahren entgegen, und sie überfahren ihn. Dann geht es weiter bis zu einem Holzhäuschen an einem Märchenwald, jetzt auf der Bühne, wo Tannhäuser sich von Venus trennen will, um seine frühere Freundin Elisabeth aufzusuchen. Mit Rucksack stolpert er davon und trifft beim Festspielhaus auf eine Rad fahrende Festspielangestellte alias junger Hirte. Dann kommt eine Gruppe von Bühnenarbeitern vorbei, die plötzlich ihren „Tannhäuser“ wiedererkennen und ins Festspielhaus reinbringen.

Beim 2.Akt ist die Bühne dann zweigeteilt. Oben läuft ein schwarz-weiß-Film, darunter befindet sich eine Ritter- bzw Sängerhalle der Wartburg, sehr getreu aus dunklem Holz nachgebaut, mit Bänken an den Seiten für die Gäste, und in der Mitte parallel dazu ein nach vorne gezogenes Podest für die Sänger, an der Wand eine alte Harfe. Während hier in Sängermontur Tannhäuser Elisabeth auf Vermittlung Wolframs begrüßen kann und der Landgraf darauf die Gäste empfängt, findet im oberen Video eine beispiellose Kaperung des Festspielhauses statt. Die Truppe, die Tannhäuser gefolgt ist, findet es bei der Aufführung natürlich verschlossen. Venus bemerkt aber, daß die Fenster des oberen Balkons geöffnet sind. Sie finden eine Leiter, steigen ein, Venus bemächtigt sich auf dem WC des Kostüms und der Perücke eines Chormitglieds. Inzwischen wird bei Fortgang der normalen Handlung auf der Bühne im Video backstage (wohl live) gefilmt, wie die Solisten und ChorisInnen am Inspizientenpult vorbei auf die Bühne gehen. Wolfram ‚verpaßt‘ fast seinen Auftritt und benötigt eine Sondereinladung des Inspizienten. Inzwischen hat sich Venus in die erste Chorreihe plaziert und mischt dort die Regie auf. Aber auch Gateau Chocolat in einem bauchbetont flauschigen Kleid und Oskar mit seiner Trommel haben sich hineingeschlichen und mischen sich tanzend unter die Sänger auf dem Podest. Das ist von Katharina W. am Inspizientenpult nicht unbemerkt geblieben, und sie telefoniert die Polizei, die gleich mit einer Soko angefahren kommt und die drei auf der Bühne mit Schußwaffen ins Visier nimmt. Ende des 2.Aktes wird aber nur Tannhäuser von den Beamten abgeführt. Der 3.Akt spielt dann auf einem Parkplatz, auf dem der Kleinbus ziemlich demoliert erscheint. Oskar hat sich etwas im Spirituskocher zubereitet und gibt davon auch Elisabeth ab, die sich hier hin verirrt hat. Später taucht auch Wolfram auf, und die beiden lieben sich kurz in dem Reisebus der Truppe. Die zurück gekommenen ‚Pilger‘ weiden diesen genüßlich aus, dann dreht sich die Bühne, und die Vorderseite eines großen Plakats mit Gateau Chocolat mit Bart und die Werbung für eine Armbanduhr taucht stark angestrahlt auf. Während der Romerzählung beharken sich Wolfram und Heinrich mit einem Buch, vielleicht der Fiebel zur Anleitung des freien Lebens, aus dem letzterer die Seiten herausreißt und in einem Eimer verbrennt. Wolfram versuchte vergeblich, das Buch aus den Plastiksäcken Heinrichs zu entwenden. Als die ‚angepaßte‘ Elisabeth gestorben ist, schafft es Tannhäuser aber nicht mehr, zu Venus zurückzukehren.


Manni Laudenbach, Lise Davidsen. Foto: Enrico Nawrath/ Bayreuther Festspiele

Das Orchester spielt auch die intrikaten virtuosen Stellen, die Wagners Frühwerk geradezu auszeichnen, ganz gekonnt bis schmissig.  Die Pilgerchöre sind kompakt im Klang, beim Sängerkrieg präzise, und die fugierten und figurierten Passagen „Blick hin du schändlicher Verräter“ sind mit filigraner Virtuosität gemeistert, obwohl Gergiev  hier auch eine unerhört flotte Gangart vorgibt. Im 3.Akt kommen die dreimalig aufschäumenden Streicherwallungen gut getimt und der etwas spröde Holzbläsersatz nach Elisabeths Arie ist wie demütig gespielt, auch wenn zum Schluß die Damen fast süßlich Gottes Erbarmen besingen, das kein Spott sei. 

Die Edelknaben im Samtkostüm werden von C.Ragg, L.Graham, A.Gutjahr und Elenea Zhidova (sic!) gesungen und heftig gespielt. Den jungen Hirten singt mit duftig feinem Sopran Katharina Konradi. Die Sänger sind tenoral Daniel Behle, der Bariton Kay Stiefermann, Tenor J. Rodriguez-Norton und der Baß Wilhelm Schwinghammer. Den Wolfram gibt mit einzigartigem baritonalem Timbre Markus Eiche, dessen Liebe von Elisabeth hier erwidert wird. Der Landgraf wird autoritativ und mit fast schwarzem Baß von Stephen Milling gegeben. Die Venus singt mit ganz starkem jugendlich dramatisch leidenschaftlichen Sopran Elena Zhidkova, was man dieser schmächtigen Person gar nicht zutrauen würde. Die Rivalin Elisabeth wird mit berückend angenehm timbriertem lyrischem Sopran der Lise Davidsen, einem shootig star, gestaltet. Auch in diesem auf ‚alt‘ getrimmten Sängerkrieg macht sie mit Krönchen und weißer Robe, derer sie sich danach entledigt, gute Figur. Tannhäuser ist Stephen Gould mit seinem durchschlagkräftigen machtvollen Tenor, den er hier als Clown  wie als ‚Pagliaccio‘, aber auch als in die Wartburggesellschaft Zurückgekehrter wirkmächtig einsetzt und damit begeistert.                 

Friedeon Rosén

PESARO / Rossini Opera Festival: L’EQUIVOCO STRAVAGANTE

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PESARO / Rossini Opera Festival: L’EQUIVOCO STRAVAGANTE
22.8. 2019 (Werner Häußner)

Es ist in der Tat ein äußerst pikantes Missverständnis, das Gioachino Rossinis Oper „L’Equivoco stravagante“ auf die Spitze treibt: Eine hübsche, gebildete junge Frau steht im Verdacht, dem biologischen weiblichen Geschlechte gar nicht anzugehören. Ihre „Materie“, so ihr konsternierter Liebhaber, sei nicht die einer Frau, sondern eines „musico“, sprich, eines Kastraten. Nur: Der einfältige Mensch ist der Intrige eines Bediensteten aufgesessen. Ein vorsätzlich gefälschtes Dokument, „zufällig“ verloren und neugierig geöffnet, bringt das scheinbare Geheimnis ans Tageslicht. Doch das Finale vereint ohne Umschweife das „richtige“ Paar.

Der junge Gioachino Rossini hat in sein 1811 für Bologna geschriebenes dramma giocoso in zwei Akten eine Fülle lebenssprühender Musik gepackt, offenbar glänzend inspiriert von dem heute noch urkomischen Libretto Gaetano Gasbarris: Darin wimmelt es von Wortverdrehungen, skurrilen Missverständnissen, schlüpfrigen Anspielungen, doppeldeutigen Begriffen und offenherzigen sexuellen Umschreibungen. Aber die Sprache charakterisiert auch die Personen: Der nobilitierte Landmann Gamberotto führt die Würde seines erworbenen Adelsrangs im aufgeblasenen Tiefsinn einer Betrachtung vor, in der er die Gleichheit der Stände vor den Attacken stechender Insekten meditiert. Und seine Tochter Ernestina verbirgt ihr halbbewusstes erotisches Temperament hinter so gewitzten wie witzigen philosophischen Betrachtungen und versteigt sich letztendlich dazu, den beiden Bewerbern um ihre Zuneigung die Etiketten von „forma“ und „materia“ anzuheften – ein aristotelisch verbrämter komischer Höhepunkt.

Kein Wunder, dass sich – wie im Programmheft sehr informativ nachzulesen – der Mailänder Zensor in einem Brief wundert, wieso ein derart jeder öffentlichen Schicklichkeit widersprechendes Drama überhaupt aufgeführt werden konnte. Das für degoutant gehaltene Stück musste nach nur drei Vorstellungen im Dunkel der Archive verschwinden, aus dem es bis heute trotz einer kritischen Ausgabe der Fondazione Rossini, mehrerer Aufnahmen und verdienstvoller Produktionen seit 1965 in Siena, Wexford, Pesaro und (mittlerweile drei Mal) beim Festival Rossini in Wildbad nicht wirklich ins Repertoire zurückgeholt werden konnte.

Der Witz der Sprache und die zündende, keine Spuren jugendlicher Vorläufigkeit tragende Musik des 19jährigen Komponisten wären eigentlich Grund genug, sich dieser ersten der großen opere buffe Rossinis zuzuwenden, zumal der anzügliche Stoff und das gekonnte Spiel mit Nonsens und grotesker Übertreibung das Werk schon in die Nähe einer Offenbachiade wie „Die Insel Tulipatan“ rücken. Für Regisseure mit Sinn für überdrehten Humor eigentlich ein gefundenes Fressen.

Beim Rossini Opera Festival in Pesaro verlässt sich das Regieteam Moshe Leiser und Patrice Caurier auf die üblichen komödiantischen Versatzstücke, von übergroßen Nasen und ausgestopften Bäuchen und Hintern bis hin zum Flachmann, aus dem der Diener Frontino – der planende Kopf der Intrige – ohne szenische Begründung einen Schluck zieht. Die Mühe, jenseits längst nicht mehr witzig wirkender Konventionen die komischen, aber auch melancholischen Züge der Charaktere mit den Darstellern auszuarbeiten, macht sich die Regie nicht. So rollt auf der großmustrig tapezierten Bühne Christian Fenouillats ein flott-burleskes Spiel von mäßiger Relevanz ab; das Potenzial von Rossinis und Gasbarris Schöpfung bleibt unausgereizt.

Auch Carlo Rizzi am Dirigentenpult schöpft nicht immer aus, was Rossinis Partitur für Möglichkeiten bietet. Das Orchestra sinfonica nazionale della RAI, das zwei Tage zuvor in Rossinis „Semiramide“ seine Brillanz und gestalterische Subtilität gezeigt hatte, animiert Rizzi schon in der Ouvertüre zu schnellem, aber nicht federndem Spiel. Übergänge werden nicht ausgekostet, Finessen in der Instrumentation bleiben beiläufig. Später gelingt das Tempo schlüssiger, auch szenisch-musikalische Momente wie das komisch gebrochene Hörner-Pathos der Begrüßung zwischen Gamberotto und Buralicchio, dem geckenhaften Wunsch-Ehemann für seine Tochter, verfehlen ihre Wirkung nicht.


Foto: Amato Bacciardi

In solchen Momenten sind Paolo Bordogna (Gamberotto) und Davide Luciano (Buralicchio) mit Elan bei der Sache; auch im herrlich aufgedrehten Quartett des ersten Akts pflegen sie solide Ensemblekultur. Pavel Kolgatin schmachtet in der Eröffnungsszene nicht nur nach seiner fernen Geliebten, sondern auch noch ein wenig nach dem Kern seiner Töne; im zweiten Akt erfüllt er die große Arie und die Cavatina des Ermanno dann mit ziseliertem Feingesang, sensiblem Legato und kultivierter Tonbildung.

In einer ausgedehnten Cavatina mit Chor stellt sich die philosophische Tochter des arrivierten Landmanns vor: Ernestina, in eine Mischung aus biedermeierlichem Hochzeits- oder Puppenkleid (Kostüm: Agostino Cavalca) gehüllt, beklagt eine Leere in ihrem Herzen, die sie selbst nicht benennen, der Zuhörer aber unschwer zuordnen kann. Die Szene lebt aus dem köstlich uneindeutigen Spiel von Ironie und der inneren Betroffenheit einer jugendlichen Seele, die sich selbst noch nicht gewiss ist. Teresa Iervolino gestaltet diese Ambiguität treffend, überzeugt in den Ketten präzis perlender Koloraturen aber mehr als in ihrer Tonbildung, die je nach der Richtung der Registerwechsel einmal kernlos abgeflacht, einmal angestrengt fokussiert wirkt. Die Sängerin, die in Mailand, Salzburg und Paris aufgetreten ist und in der nächsten Spielzeit Rosina in Berlin und Cenerentola in München singen wird, bleibt dem Ideal einer ausgeglichenen Formung des Tons noch einiges schuldig.

Das Dienerpaar, das sich mit dem mittellosen, aber letztlich dank der Solidarität des „niederen“ Stands erfolgreichen Ermanno verbündet hat, wird von Claudia Muschio (Rosalia) mit ansprechend leuchtendem Sopran und dem spielfreudigen jungen Tenor Manuel Amati (Frontino) mit noch nicht ganz gesichertem Material gestaltet. Eine Rossini-Rarität, der man den Weg ins Repertoire dringend wünscht, vor allem, wenn eine zupackende Regie verstünde, ihr frivoles Potenzial mit Geschmack und Feinsinn freizulegen.

Werner Häußner

BERLIN/ Philharmonie: KIRILL PETRENKOS UMJUBELTER EINSTAND AM PULT DER BERLINER PHILHARMONIKER

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BERLIN / Philharmonie – Kirill Petrenko dirigiert Alban Berg und Ludwig van Beethoven – Umjubelter Einstand des neuen Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker – Bericht aus dem CineStar am Sonycenter, Potsdamer Platz, Berlin, 23.8.2019

Der offizielle Amtsantritt des schon 2015 zum Nachfolger von Sir Simon Rattle gewählten russischen Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker Kirill Petrenko erfolgte am 23. August mit großer Konzentration des Orchesters, medialem Glanz und Gloria und am Schluss Standing Ovations. Gespielt wurden Alban Bergs „Symphonische Stücke aus der Oper Lulu“ für Sopran und Orchester und die Neunte Symphonie Ludwig van Beethovens. Das offizielle Saison-Eröffnungskonzert in der Philharmonie wurde allein in Berlin in neun Kinos, in Deutschland insgesamt in 109 Säle übertragen. Das Konzert wurde auch auf RBB Kulturradio sowie online in der Digital Concert Hall des Orchesters gebracht.

Vor dem Hintergrund des kommenden Jubiläums 30 Jahre Mauerfall am 9.11.2019 und des 2020 fälligen 250. Geburtstages von Ludwig van Beethoven erfolgte die Programmwahl. Gleichzeitig soll die Neunte Beethoven als eine musikalische Hommage an die vorangegangenen Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker gesehen werden. Angefangen mit Hans von Bülow, der das Werk in einem Konzert gleich zweimal hintereinander darbot, über Arthur Nikisch, Wilhelm Furtwängler und Herbert von Karajan, der die Symphonie u. a. bei der Eröffnung der neuerbauten Philharmonie 1963 dirigierte, bis hin zu Claudio Abbado und Sir Simon Rattle hat jeder der Dirigenten mit eigenen Interpretationen der Neunten Symphonie Spuren hinterlassen.

Wir erinnern uns auch an ein besonderes Ereignis zum Mauerfall: Am 1. Weihnachtstag 1989 hat Leonard Bernstein im Ost-Berliner Schauspielhaus am Gendarmenmarkt (heute Konzerthaus) ebenfalls die 9. Symphonie als „Ode an die Freiheit“ (das Wort Freude wurde auf Wunsch des Maestro kurzerhand durch das Wort Freiheit ersetzt) aufgeführt. Und das symbolträchtig als multinationales Ereignis mit Musikern des Sinfonie-Orchesters des Bayerischen Rundfunks, der Staatskapelle Dresden, des russischen Kirov Theaters, des LSO, des New York Philharmonic und des Orchestre de Paris. Der Chor rekrutierte sich damals aus Mitgliedern des Chors des Bayerischen Rundfunks und Rundfunkchors Berlin (DDR).

Die Bernsteinsche musikalische Weltumarmung (nachzuhören als CD der Deutschen Grammophon) lässt sich natürlich nicht wiederholen. Nichtsdestotrotz gehen der leidenschaftlich alle Tiefen der Musik auslotende, aus Omsk stammende Kirill Petrenko und seine Berliner Philharmoniker ihre Partnerschaft enthusiastisch und hohen Ansprüchen an. 

Bei Alban Berg vor der Pause war noch eine gewisse Nervosität des Orchesters spürbar. Die fünf Symphonischen Stücke aus „Lulu“, ein spätromantisch dekadent-dodekaphon irrlichterndes Werk, bezeugten schon die immense Qualität der Berliner Philharmoniker an diesem besonderen Abend und ihren Willen, alles zu geben. Die vielen instrumentalen Lichter wollten sich jedoch in den ersten drei Teilen noch nicht zu einem Strahl bündeln. Erst beim ‚Adagio‘ mit Lulus zwölftönigem Todesakkord und dem Liebestod der Geschwitz war jene Spannung und innere Entfesselung zu spüren, die die Wiedergabe der Neunten Symphonie von Ludwig von Beethoven zum Ereignis werden ließ.

Kirill Petrenko hat für jeden Satz der Beethoven-Symphonie ein schlüssiges Konzept. Abgesehen von einer unglaublichen orchestralen Perfektion faszinierte Petrenko mit einem apokalyptisch dämonischen ersten Satz. Im Scherzo überuferte das wilde Plappern der Instrumente wie ein ausgelassener Heuschreckenschwarm die große Erzählung vom Umbruch der Zeiten, während im Adagio die Themen wunderbar leicht und luftig ineinander verwoben zu schweben schienen. Beim Finale konnte der charismatische Dirigent mit dem wohl charmantesten und verschmitztesten Lächeln der Welt eine Apotheose beschwören, samt dem Orchester, dem Chor und den Solisten abheben zu jener Utopie und Sehnsucht nach einer gloriosen  Zukunft einer Menschheit des Zusammenhalts und der Solidarität. Gigantisch schön und intim bewegend zugleich.

Das Konzert markierte zudem Marlis Petersens ersten Auftritt als „Artist in Residence“ der Philharmonie 2019/2020. Sie sang das Solo in Beethovens Neunter mit unglaublichem Jubel und leuchtenden Höhen und in Alban Bergs Symphonischen Stücken das Lied der Lulu aus der ersten Szene des zweiten Aktes in gewohnter Intensität. Der Rest des Solistenquartetts war mit Elisabeth Kulman, dem heldischen Benjamin Bruns und dem flackernden Bass Kwangchul Youn zumindest prominent besetzt. Der Rundfunkchor Berlin (Einstudierung Gijs Leenaars) sang prächtig und (Gott sei Dank) ohne aktive Beteiligung des Publikums, wie das beim Konzert des European Union Youth Orchestra unter der Leitung des russischen Chefdirigenten Vasily Petrenko im Rahmen des Young Euro Classic Festivals am 4. August vorexerziert wurde.

Am Ende des Konzerts Jubel und Standing Ovations. Ein überglücklicher Dirigent und Gentleman gibt seinen Blumenstrauss an das Orchester weiter. Der Tagesspiegel hielt dazu schon vorher fest: „Noch omnipräsenter, noch multimedialer und niedrigschwellig zugänglicher ist kein Philharmoniker-Chefdirigent in seine Ära gestartet. Ganz nach dem Motto aus der „Ode an die Freude“: Seid umschlungen, Millionen!“

Hinweis: Am Samstag wird dasselbe Programm vor dem Brandenburger Tor als Gratis-Freiluftkonzert für bis zu 32.000 Zuseher serviert (ab 20h live im RBB Fernsehen zu verfolgen). Am Sonntag, dem 25.8., 20h30 Uhr wird das Konzert im Großen Festspielhaus, Salzburg, wiederholt.

Dr. Ingobert Waltenberger

SALZBURG/ Festspiele/ Felsenreitschule: OEDIPE

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Christopher Maltman. Foto: Salzburger Festspiele/ Monika Rittershaus

24.08.2019 Sbg/Felsenreitschule „Oedipe“

Die Aufführung von George Enescus Oper „Oedipe“ bei den Salzburger Festspielen bot dem Zuseher/Zuhörer – die meisten haben das Werk wohl nie vorher gesehen – Erstaunliches. Ein griechisches Drama (von Sophokles) mit modernen technischen Mitteln und zum Teil packender Musik muss nicht jeden vom Sessel reißen. Aber bei genauem Hinhören entdeckt man, wie treffend Enescu die Handlung mit jeweils passender Musik unterlegt.

Der Werdegang des tragischen Helden von Geburt bis Tod wird ausführlich geschildert und von viel Buntem (Kostüme, Beleuchtung) bebildert. Achim Freyer, in Personalunion wie immer für Regie, Kostüme und Bühne verantwortlich, hat auch hier wieder seine Meisterschaft im Darstellen und Illustrieren komplexer Handlung bewiesen. Wie genau jede Geste, jedes Schreiten bestens organisiert ist, wie man nur zu Beginn (da gab es doch einige Längen auch im musikalischen Bereich) etwas ratlos der Nicht-Aktion der Akteure gegenübersteht, sich dann aber mit diesem speziellen Stil anfreundet, zeigt, welch groartiger Künstler da sehr viel Arbeit und Mühe hineingesteckt hat.

Die Musik wirkt zu Beginn und am Ende etwas leblos-eintönig, hat aber einige dramatische Passagen, vor allem, wenn der Chor am Geschehen beteiligt ist. Von den Sängern ist vor allem der Interpret der Titelrolle, Christopher Maltman zu nennen, der mit kernigem Bariton diesen schwierigen Part bewältigte. Schöngesang ist nicht seine Stärke, der war hier auch nicht gefragt. Auch John Tomlinson konnte als Tiresias gefallen. Mit markantem Bass präsentierte er seine furchbaren Weissagungen. Anaik Morel war eine jugendlich-lebendige Jocaste, Chiara Skerath sang Oedipes Tochter Antigone mit frischem Sopran. Auch die übrigen Comprimarii boten saubere Gesangsleistungen. Überragend das Orchester der Wiener Philharmoniker, das unter dem Spezialisten für Opern des 20. Jahrhunderts, Ingo Metzmacher, wie entfesselt wahre Klangorkane in den Raum stellten. Da gab es keine Schwächen, präzise wie ein Uhrwerk lief die Musik bis zum tragischen Ende ab. Auch der Chor der Salzburger Festspiele der Theater Kinderchor, verstärkt durch die Wiener Staatsoper bot Hervorragendes.

Das beeindruckte Publikum dankte mit viel Applaus.

Johannes Marksteiner

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