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LEIPZIG/ Gewandhaus: GEWANDHAUSORCHESTER , HERBERT BLOMSTEDT (Brahms)

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Konzert im Gewandhaus am 04. Oktober 2019

Johannes Brahms – Tragische Ouvertüre op. 81
Johannes Brahms – Akademische Festouvertüre op. 8
Johannes Brahms – Sinfonie No. 2 D-Dur op. 73

Gewandhausorchester Leipzig
Dirigent: Herbert Blomstedt

Brahms, Blomstedt und das Gewandhausorchester Leipzig – So und nicht anders!

Beethoven, Bruckner und Brahms, das sind die Hauptkomponisten, die Dirigent Herbert Blomstedt sein ganzes Musikerleben mit der ihm eigenen Hingabe musiziert hat. Bei seinem Gastspiel im Leipziger Gewandhaus entschied sich Blomstedt für ein Programm ganz im Zeichen von Johannes Brahms. Und wie immer lagen die Taschenpartituren geschlossen auf dem Notenpult. Auswendig dirigierend spürte der meisterliche Dirigent jeder Note mit Herz und Seele nach.

„Die eine lacht, die andere weint“, so sinnierte Brahms über seine beiden Konzertouvertüren. Und düster, schroff ist die „Tragische Ouvertüre“, ein sehr deutlicher Kontrast zum lichten Dur der danach gegebenen Festouvertüre. Deutlich in ihrer Form gleicht diese Ouvertüre eher einem symphonischen Satz. Dies kommt nicht von ungefähr, denn Brahms verstand diese Komposition zunächst als symphonische Skizze. Interessant sind dabei die unterschiedlichen Wechsel im Tempo, so dass diese Komposition fast wie eine Kurz-Sinfonie wirkt. Herbert Blomstedt traf absolut sicher die vielfältigen Anforderungen dieses kontrastreichen Stückes. Bereits der energische Auftakt wirkte dramatisch und zupackend. Deutlich arbeitete er die Akzente heraus, um dann wieder der Melodielinie den Vortritt zu überantworten. Besonders eindrücklich wirkten Posaunen und Tuba, die dieser Komposition eine besondere Aura angedeihen ließen. Blomstedt und das Gewandhausorchester zeigten sich hier, wie überhaupt im gesamten Abend, als harmonische, perfekte Symbiose.

Danach stand seine „Akademische Festouvertüre“, die Brahms im Jahr 1880 in Bad Ischl schrieb, zeitgleich mit seiner „Tragischen Ouvertüre“. Das Werk entstand anlässlich der Ehrendoktorwürde, die Brahms im Jahr zuvor in Breslau erhielt.

Seine Festouvertüre ist ein Meisterstreich der Kontrapunktik und verarbeitet thematisch vier bekannte Studentenlieder. Und natürlich zeigte das großartig eingestimmte Gewandhausorchester unter Leitung von Herbert Blomstedt seine Meisterschaft an allen Pulten. Wunderbar warm der Streicherklang, dazu vorbildlich intonationssichere Bläser und das rhythmisch prägnante Schlagzeug. Letzteres hatte vor allem im beschließenden Maestoso-Teil seinen großen Auftritt. Die tiefe Verbundenheit des Klangkörpers mit dem bescheidenen, hellwachen Maestro, der von 1998 – 2005 Gewandhauskapellmeister war, war jederzeit spürbar. Dieser gestaltete die Komposition mit einer Begeisterung und Neugierde für Details, als würde er sie erstmals dirigieren. Dabei vermied er jegliche Plakativität, sondern suchte vielmehr den großen Bogen in der Phrasierung. Gleichzeitig tönte der Orchesterklang immer licht und aufgefächert.

Nach der Pause dann stand mit der D-Dur Symphonie No. 2 von Johannes Brahms eines seiner erfolgreichsten Werke auf dem Programm. Die 1877 uraufgeführte Symphonie war von Anfang an ein großer Erfolg beim Publikum. Ihr Überschwang und das Heitere waren von jeher stets Quell größter Beliebtheit. Die große Natürlichkeit und das Pastorale sind von besonderer Wirkung. Und doch ist das so dominante D-Dur keinesfalls so ungetrübt, wie es klingt. Dunkle Bläserakkorde und Paukeneinsätze geben dieser Symphonie einen besonderen Subtext, was durchaus dem Charakter des Komponisten entsprach, der zu Lebzeiten nicht mit Ironie und Sarkasmus geizte.

Herbert Blomstedt war auch hier in seinem Element. Sein überragendes Können, sein untrüglicher Sinn für Proportionen und die dynamische Ausgewogenheit wirkten beispielhaft. Seine ganze Energie gab er unermüdlich in das Orchester und achtete dabei darauf, der Symphonie eine auf Transparenz abzielende Gestalt angedeihen zu lassen. Auch im hohen Alter hat Blomstedt nichts von seiner Vitalität eingebüßt. Sein Empfinden der Musik geht beständig mit dem Puls nach vorne.

Getragen, dabei schlank im Tonfall begann die Einleitung des ersten Satzes, um dann durch harmonisch entwickelte Accelerandi hinreißend belebt zu werden. Dazu gab es manchen besonders markanten, ja scharfen Bläsereinwurf. Im einleitenden ersten Satz war es eine Wonne zu erleben, wie sauber und präzise die Hörner agierten. Ein echtes Miteinander zeigte dann die große Gruppe der Streicher, die geradezu schwerelos in leichten Wellenbewegungen das Hauptthema vorgaben. Die Celli und Kontrabässe des Gewandhausorchesters sorgten mit ihrem überaus warmen Klang für eine passende Grundierung. Die Pauke sekundierte pointiert mit harten Holzschlägeln den Rhythmus.

Wie deutlich Herbert Blomstedt der melodischen Linie verpflichtet ist, zeigte er besonders im zweiten Satz. Kantabel formulierte er die Themen in deren Verlauf aus. Die Melancholie blieb auch hier eher leicht und wirkte niemals bleiern. Auch hier war wieder der aufgefächerte, lichte Orchesterklang bestechend, der es zudem ermöglichte die chromatischen Farben klar zu vernehmen. Dann jedoch wieder die deutlichen Kontraste, etwa in der Solo-Posaune oder in den elegisch gefärbten Holzbläsern.

Reizend und unwiderstehlich in seiner Leichtigkeit dann der dritte Satz. Hier waren vornehmlich die Holzbläser stark gefordert, vor allem die Oboe. Ob solistisch oder im Zusammenspiel, es war eine Freude, der hohen Spielkultur des Gewandhausorchesters zu folgen.

Furios dann das beschließende „Allegro con spirito“, das Herbert Blomstedt sehr wörtlich nahm und somit das Orchester stets nach vorne trieb. Und vor allem die Blechbläser konnten in der mitreißenden Schlusscoda begeistern. In schmetternden Oktaven mobilisierte das Gewandhausorchester alle Reserven und so gab es eine überragende, brillante Schlusswirkung der sich keiner entziehen konnte.

Herbert Blomstedt wirkte in seiner menschlichen Güte und Klarheit so zeit- und alterslos. Wie herrlich, diesen großen Musiker in seiner unermüdlichen Begeisterungskraft zu erleben. Unter seiner Leitung atmete die Musik des großen Hanseaten Brahms eine unwiderstehliche Frische und Natürlichkeit. Wunderbar! Und das Gewandhausorchester Leipzig spielte mitreißend im harmonischen Miteinander in den Stimmgruppen. Großartige Soli durch Flöte, Oboe und vor allem im viel geforderten Solo-Horn. Dieses wunderbare Orchester ist in seinem einzigartigen Klang ein besonderes Erlebnis.

Die vielen Konzertbesucher im Gewandhaus waren sich dieses so besonderen Ereignisses bewusst und feierten einen glücklich wirkenden Herbert Blomstedt lange mit stehenden Ovationen.

Viele freudige Gesichter im sehr gut besuchten Gewandhaus.

Dirk Schauß

 


BLINDENMARKT/ Herbsttage: DIE FLEDERMAUS. Premiere

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Bildergebnis für blindenmarkt die fledermaus
Foto: Mark Glassner/ Herbsttage Blindenmarkt

Turbulente “Fledermaus” beim Jubiläum des Wunders Blindenmarkt
Sensationelle Sänger-Debüts auch dank Kurt Dlouhys Dirigat

Länger als dreieinhalb Stunden weilte man am Freitag anlässlich der Jubiläumsvorstellung “30 Jahre Blindenmarkter Herbsttage” im Festspielhaus Ybbsfeldhalle. Es begann mit einer freudvollen Begrüßung durch den Gründer-Intendanten Michael Garschall, auch erfolgreicher Chef der Operklosterneuburg und der Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, die die Kulturarbeit des Landes Niederösterreich diesmal durch das Lob an Blindenmarkt krönte, wobei KR Hilde Umdasch als Präsidentin des Vereines der Freunde der Herbsttage nicht vergessen wurde. Seit 1990 besteht also nun jenes Unternehmen, das bereits vor vielen Jahren von Rezensenten als wahres Theaterwunder eingestuft wurde. Nun zeigte Johann Strauss´ “Fledermaus” aus dem Jahre 1874, die in Blindenmarkt zuletzt 1994 zu erleben war, dass sie in neuem Kleide einer keineswegs traditionellen, sondern mutig turbulenten Inszenierung dank der Stärke der Musik und des humorvollen Librettos von Karl Haffner und Richard Genée den Publikumsgeschmack voll erfüllt. Folgendes ist Besuchern der Inszenierung anzuraten: Vergessen sie die in Wien auf den Spielplänen der Staatsoper bzw. Volksoper erfolgreichen Traditionsaufführungen von Otto Schenk, Robert Herzl und Heinz Zednik. In Blindenmarkt befinden sie sich in einer anderen Welt, in einer mehr oder weniger zeitlosen Epoche des Musiktheaters.

Der in der Volksoper stark unterbelichtete Musical- und Operettenstar Gernot Kranner hat das Libretto von Haffner und Genée im Einvernehmen mit dem in eigenen Bühnenbildern inszenierenden Marcus Ganser für ein Art “Gesamtkunstwerk” bearbeitet, das in keiner bestimmten Zeit spielt. Ganz sicher nicht in jener der Urfassung. Das große Verdienst Kranners: er beließ die Traditionskalauer, vor allem jene des unverwüstlichen Froschs; die zusätzlichen Pointen nützen den Zeitgeist so, dass er weder die Musik, noch den Handlungsablauf stört. Optisch sieht das Ergebnis so aus: Gansers Bühnenbild hat im Einvernehmen mit Kostümbildnerin Andrea Hölzl alle Ingredienzien der Abwechslung. In die Villa Eisenstein, die zu Beginn von Ballett-Fledermäusen gestürmt wird, muss der liebestrunkene Alfred per Seil zu Rosalinde gelangen. Die Villa von Orlofsky ist gleichsam als Hort des Reichtums eine einzige Spielhölle, und schließlich überwiegt im Gefängnis die Mentalität österreichischer Bürokratie. Alle Sänger-Darsteller müssen Kunststücke vollbringen, um auf überwiegend schiefen Ebenen von oben nach unten und umgekehrt zu gelangen, wobei sie mit Utensilien verschiedenster Arten versorgt sind. Zum Schauen gibt es als (fast zu) viel.

Wir befinden uns demnach in einer Epoche, wo Tempo und Rasanz anstatt intellektueller Probleme vorherrschen. Für die Heutigkeit der Produktion spricht nur ein kleines Indiz: Adele wird von Falke per SMS zum Fest Orlofskys geladen. Alles andere ist wie Johann Strauss´herrlichen Musik tatsächlich zeitlos.

Das Wichtige ist freilich der musikalische Teil der Jubiläums-Produktion. Hier gilt es vor allem, vier sensationelle Blindenmarkt-Debütanten zu loben. Zunächst imponiert die aus Kopenhagen an die Ybbs engagierte Sopranistin Signe Heiberg als persönlichkeitsstarke Rosalinde. Ihre Stimme ist gleichsam ohne Grenzen einsetzbar, man ist, sobald man sie in ihren verschiedenen Lagen hört, versucht, sofort an Oper zu denken. Wie nahe ist eigentlich Johann Strauss etwa Wagner oder Puccini? Bei dieser Stimme sehr, sehr nahe. Der “Csárdás” etwa ist stark genug, ebenso die finale Auseinandersetzung mit Eisenstein in der Verkleidung als Dr. Blind.

Die Ungarin Brigitte Simon ist wesentlich auffälliger kostümiert als ihre Chefin, die nie und nimmer am Ball in jenem Kostüm auftreten würde, das sich Stubenmädchen Adele von ihr “geliehen” hat. Auch hier gilt: ein Idealdebüt, das sich bei voller Beherrschung der sprachlichen Nuancen noch um einige Prozent verbessern wird. Als dritte Dame gefiel trotz einer kaum merklichen Indisposition die blutjunge Niederösterreicherin Patricia Nolz als Prinz Orlofsky. Darstellerisch perfekt zwischen Dominanz und Jovialität pendelnd, erklang ein sehr weicher Mezzo, der offensichtlich noch im Wachsen begriffen ist. Wie Frau Nolz imponierte auch der männliche Debütant Stefan Zenkl mit weichem Timbre: Naturgemäß verlieh er als Bariton dem Intriganten Dr. Falke alle Facetten dieser Drahtzieher-Figur.
Zwei Tenöre der Extraklasse wetteifern nicht nur Rosalinde, sondern auch um stimmliche Bravour und Komödiantik vom Feinsten. Alexander Kaimbacher ist der mehrfach hineingelegte Eisenstein, er mimt Naivität ebenso glaubhaft wie Verliebtheit und Ärger. Dies alles mit einer Stimmfarbe, die jener von Clemens Kerschbaumer als Alfred ähnlich ist. Man könnte sich durchaus vorstellen, dass die beiden Sing-Schauspieler die Rollen wechseln. Horst Lamnek ist als Gefängnisdirektor Frank traditionell eine Art Gegenpol zum turbulenten Gehabe.

Die kleineren Partien sind ebenso gut besetzt. Da ist vor allem Gabriele Schuchter zu nennen. Als Ida ist sie eigentlich zu alt für diese Partie, ist sie doch im Leben bereits zweifache Großmutter. Aber was sagt das schon? Kranner und Ganser besorgten ihr ein wenig Auffrischung. Und nimmt man dann noch blondes (oder ist es gar weißes?) Haar, dann ist Publikumsliebling Gabi auch dank ihrer mühelos aufs Parkett gewirbelten legendären Radschläge so jung wie nie. Bravo, Gernot Kranner ist der optimale Blind, eine undankbare, jedoch kompakte Rolle. Robert Kolar hat als Iwan kaum Möglichkeiten, sich zu profilieren. Christiana Bruckner und Heinz Müller gehören in Blindenmarkt zum lebendigen, persönlichkeitsstarken künstlerischen Grundstock. Aus einem Nichts an Rolle gestalten sie profilierte Typen.

Bleibt der dritte heimische Publikumsliebling zu erwähnen: Willi Narowetz ist von einer ihn jahrelang hemmenden Erkrankung genesen und schleudert, auf schiefen Flächen hinauf- und hinunterturnend seine Pointen wie aus der Pistole geschossen effektvoll ab. Komödiantik in Reinkultur!

Erwähnen wollen wir noch das von Monica Ivona Rusu-Radmann choreographisch betreute Ballett der Herbsttage, wobei man die zusätzlichen akrobatischen Einlagen bewundern darf.

Nun sind wir beim Dirigenten des Abends: Kurt Dlouhy ist wie Michael Garschall seit Anbeginn dabei. Das Kammerorchester Ybbsfeld mit Konzertmeister Martin Reining an der Spitze vereint junge Musiker der Region mit Spitzen-Instrumentalisten von renommierte Linzer und Wiener Orchestern. Was Dlouhy nebst der Orchesterführung und der Chorleitung auszeichnet: Er vermag es, auch Debütanten und (oder) Operetten-Neulingen auf der Bühne den musikalischen Rückhalt durch die Art der Aufbereitung der Melodien, diesmal von Johann Strauss, zu vermitteln, die ihnen für jetzt und die Zukunft die Operetten-Karriere erleichtern. Für Dlouhy wird am 13. Oktober um elf Uhr eine Festmatinee anlässlich seines 70. Geburtstages stattfinden.

Die Ovationen für alle Mitwirkenden, auch jene, die ansonsten hinter den Kulissen zum Erfolg beitragen, waren hymnisch und andauernd. So muss man sich auch aufgrund des sensationellen Kartenverkaufes um die nächsten drei Jahrzehnte der “Blindenmarkter Herbsttage” keine Sorgen machen, zumal zu der Regel 2500 Einwohner der Marktgemeinde Blindenmarkt alljährlich rund 15.000 Operettenfreunde in die Ybbsfeldhalle locken.

Ingo Rickl.

ZÜRICH/ Theater im Seefeld: IL VENTAGLIO (Pietro Raimondi 1786 – 1853)

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Zu der vergnüglichen Strand-Geschichte auch das dazugehörende Strandfoto mit dem ganzen «Ventaglio»-Ensemble. © FREE OPERA COMPANY– Ingo Höhn

Free Opera Company Zürich: IL VENTAGLIO (Pietro Raimondi 1786 – 1853) -Theater im Seefeld, Zürich   

Premiere 27.9.2019, besuchte Aufführung 4.10.2019  

Witzige Verwechslungskomödie      

Auch für ihre diesjährige Produktion hat Bruno Rauch, Intendant der Free Opera Company Zürich, etwas ganz Besonderes ausgesucht: „Il Ventaglio“, eine Musik-Komödie in der besten Opera Buffa-Manier. Der 1786 in Rom in ärmliche Verhältnisse hinein geborene Pietro Raimondi sollte es zu einem guten Renommée in der Opernszene seiner Epoche bringen. An die fünfzig Opern hat er geschrieben, viel geistliche Musik und er verstand sich auch auf kammermusikalische Finessen. Leider ist viel von ihm vergessen, aber die Oper „Il Ventaglio“ hat sich irgendwie halten können. Dazu trug mal die literarische Vorlage von Carlo Goldoni bei, die der viel beschäftigte Librettist Domenico Gilardoni zu einem funktionstüchtigen Vehikel für die zahlreichen und höchst witzigen Ensemble-Sätze umgeformt hat. Die Dialoge wurden – die Premiere fand 1831 in Neapel statt – in teils neapolitanischem Dialekt, teils in italienischer Schriftsprache gesetzt – dies je nachdem, welcher Gesellschaftsschicht die Person, die gerade spricht, angehört. Erst für die Mailänder Aufführung wurden dann mit dem Cembalo begleitete Secco-Rezitative von fremder Hand hinzugefügt.

Die Free Opera Company stützt sich für ihre Produktion auf die Urfassung. Angepasst an die hiesigen Verhältnisse werden die Dialoge deutsch gesprochen, die Musik italienisch gesungen. Auch wird nicht eine historisierende Rokoko-Atmosphäre beschworen, sondern die Handlung wurde an den Strand eines Sommerbades der Jetzt-Zeit verlegt. Eine gute Idee, zumal die jungen Sängerinnen und Sänger des „Ventaglio“-Ensembles in Badeanzügen durchwegs sehr ansehnlich waren. Das zauberhafte Bühnenbild mit den Umkleide-Kabinen, dem kleinen Kiosk und dem ins Publikum vorragenden Strandsteg bot eine hervorragende Spielfläche für die bewegungsreichen Interaktionen der Darsteller. Bruno Rauch ist nicht nur ein höchst einfallsreicher und intelligenter Regisseur, sondern hat gleich noch das Bühnenbild entworfen; für die Kostüme und die Ausstattung sorgte professionell Natalie Péclard. Sehr gut auch die Lichtführung von Martin Brun: Da passte das heisse Sonnenlicht am Strand ebenso wie das blass-blaue Mondlicht für die nächtliche Verwechslungskomödie. Dabei hat  der Fächer im Titel der Oper nur die Funktion, die Verwechslungen und Intrigen in Gang zu bringen, die sich zum Schluss alle in eine ansteckende Heiterkeit auflösen.   

In diesem Setting war es eine Freude, dem ausgewogenen besetzten Ensemble von den Solisten bis zu den Chorsolisten zuzuschauen und vor allem zuzuhören. Da ist auch mal ein grosses Lob für das Casting fällig – auch an Bruno Rauch -, diese zehn Solorollen und sieben Chorsolisten alle mit guten Stimmen und Darstellern besetzt zu haben.


Sara-Bigna Janett (Marinella) mit Fabio Antoniello (Evaristo). © FREE OPERA COMPANY– Ingo Höhn

Allen voran ist Sara-Bigna Janett als Marinella zu nennen, die hier eine temperamentvolle Goldoni-Frauenfigur, voll Selbstbewusstsein und Witz, auf die Bühne stellt. Ihre Marinella wirkt in allem sehr professionell; sie konnte ihre Stimme, je nach Situation, einfärben, ob sie nun witzig, launisch, liebenswert oder wie auch immer sein sollte: eine schöne Leistung! Ihr zur Seite waren Anna Gitschthaler als Susanna und Anna Miklashevich als Barbara höchst respektabel, wobei vor allem die Sängerin der Barbara, wenn sie sich weiter so entwickelt, zu berechtigten Hoffnungen Anlass gibt. Ihrer Höhe, die gut sitzt und expansiv ist, dürfte sie noch Einiges an Rundung angedeihen lassen. Susanne Andres war die schrullige Madame Clotilde, für die man eine schöne Donizetti-Arie eingeschoben hatte. Überhaupt hatten alle Solisten eine „Aria di baule“, eine sogenannte Koffer-Arie (die seinerzeit die Sängerinnen und Sänger im Gepäck mitführten, um sie bei Gastspielen in eine fremde Oper einzusetzen, um damit zu brillieren) zugeteilt erhalten. Da konnte man sich bei deren Darbietungen über die erstaunliche stimmliche Reife der jungen Sängerinnen und Sänger „informieren“. Die „drei Helden“ der Oper waren typenmässig treffend besetzt: mit dem wendigen, charmanten Fabio Antoniello als Evaristo, mit Germain Bardot, der über einen angenehm timbrierten lyrischen Tenor verfügt, und mit Martin  Roth, der mit witzig übertriebenem Pathos den Herrn Professor Roccamonte mit vollstimmigem und zeitweise vibratoreichem Bariton sang. Die weiteren Herren des Abends waren gut besetzt: Manfred Plomer als der Gastwirt Valentino, Livio Schmid als der Schumacher Crespino und Gergely Kereszturi als Moracchio, der Bademeister und eifersüchtige Bruder von Marinella.

Die Chorsolisten waren den Solisten durchaus ebenbürtig: Maria Diaz Coca, Alicia Martinez, Leila Scharwath, Ahmed Abdelghafar, Valérien Bitschnau und Maxime Thély, als Kellner Tonino wirkte Yves Ehrsam.

Das aus zehn hervorragenden Instrumentalisten zusammengesetzte Orchester – gekleidet in blaue Strandanzüge – begleitete unter Leitung von Massimiliano Matesic absolut professionell. Er atmete mit den Sängerinnen und Sängern, die sich auf ihren musikalischen  Leiter blind verlassen konnten. Da hörte man in der Partitur von Pietro Raimondi manche musikalische Verwandtschaft mit Rossini, auch mit Cimarosa, manchmal sogar mit Mozart. Kurzum, man konnte sich während des ganzen Abends an dieser hübschen, qualitätvollen Musik delektieren. Schön, dass es eine Free Opera Company unter Bruno Rauch gibt!

John H. Mueller

Weitere Aufführungen: So, 06. Okt. 2019, 17 Uhr, Fr, 11. Okt. 2019, 19 Uhr, So, 13. Okt. 2019, 17 Uhr, Fr, 18. Okt. 2019, 19 Uhr und So, 20. Okt. 2019, 17 Uhr;

Einführungen jeweils 1 Stunde vor Vorstellungsbeginn.

Karten: eventfrog.ch/ventaglio oder eicherkultur@bluewin.ch / 0041 *44 422 73 9

 

 

WIEN / Kasino: THEBLONDPROJECT

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THEBLONDPROJECT
Gesine Danckwart und Caroline Peters
Uraufführung am 05.10.2019, Kasino / Burgtheater
EINE PRODUKTION VON CHEZ COMPANY UND BURGTHEATER, GEFÖRDERT IM FONDS DOPPELPASS DER KULTURSTIFTUNG DES BUNDES (DEUTSCHLAND) (c) Marcella Ruiz Cruz / Burgtheater

WIEN / Kasino des Burgtheaters:
THEBLONDPROJECT von Gesine Danckwart / Caroline Peters
Uraufführung
Premiere: 5. Oktober 2019  

Das war wohl nichts, und das ist doppelt schade. Erstens thematisch, denn man könnte sich zu einer Produktion, die sich „Theblondproject“ nennt, vorstellen, dass es vielleicht mehr Denkanstöße geben könnte als die allzu klischierten (der Sex der Monroe und die Dummheit der Blondinen). Und zweitens, weil sich Caroline Peters hier eingebracht hat und eine der wenigen Schauspieler/innen in Wien ist, um derentwillen man ins Theater geht. (Und auch bei den schauspielerwütigen Wienern gibt es nicht mehr gar zu viele, die einen außer Haus locken.)

Blondinen bevorzugt? Wer fragt? Eine Dame namens Gesine Danckwart, die sich mit „interaktivem“ Theater einen Namen gemacht hat. Beteiligt ist auch die „Chez Company“, die sich im Internet vollmundig vorstellt: „Die Formation Chez Company, entstanden um Projekte von Gesine Danckwart, sucht den Kratzer in der Oberfläche, die Show im Flow, die Rehumanisierung im Digitalen. Wir sind keine digitalen Nerds, sondern spielen mit allen technischen Mitteln, die wir uns nur aneignen.“ So, jetzt wissen wir’s theoretisch. Was ist es praktisch?

Praktisch wird man ins Kasino des Burgtheaters gebeten, darf sich aber nicht wie üblich auf den Bänken niederlassen. Stehend erlebt man die initiale Doppelconference von Gesine Danckwart und Caroline Peters, die uns erzählen, dass erstere von Anfang an Feministin war, während die andere es nie nötig hatte, weil sich ihr offenbar kein Mann je in den Weg ihrer Selbstverwirklichung gestellt hat. Das Projekt „Blond“ haben sie gemeinsam erarbeitet – und nun soll doch das Publikum bitte gut eine Viertelstunde in den Räumen des Kasinos flanieren. Wozu? Zu keinem ersichtlichen Grund, es sei denn, die Zeit zuzubringen, weil ja schließlich ein ganzer Theaterabend versprochen ist – aber die Substanz dafür hat man nicht.

Die junge Dame, die mit einer Kamera am Kopf herumläuft und zum Avatar des Publikums erklärt wird, hat übrigens keine wirkliche Funktion, aber ohne das Digitale geht es ja nicht, ob es nun Sinn macht oder nicht.

Eine halbe Stunde nach Beginn darf man sich offiziell niederlassen, und jetzt kommt der wiederum halbstündige Monolog von Caroline Peters, den die beiden Damen wohl selbst geschrieben haben. Seltsam, dass er ausgerechnet mit Rita Hayworth beginnt, die bekanntlich eine „Strawberry Blonde“, sprich: rothaarig, war, aber so wirklich geht es ja gar nicht um das Thema „Blond“. Weit eher kommt Caroline Peters in freier Assoziation vom Hundertsten ins Tausendste, Gilda, die Atombombe, Michael Jackson, der Vibrator. Von Tippi (Hedren), weil „Die Vögel“, zu Siegfried und Roy (weil Tiger), war Siegfried blond? Von der Monroe zu Virginia Woolf, eher ein holpriger Weg, Angela Merkel kommt auch vor – du liebe Güte, wo führt das hin? Caroline Peters sagt es ehrlich selbst, nämlich ein „Baden in Narzissmus“, bevor sie per Salto durch das „O“ von „Blond“ fällt, Bühne auf der Bühne, Riesenbuchstaben, das Innere aus Papier…

Das Ganze macht intellektuell wenig Sinn, die Darstellerin ist virtuos, wie sie es nur sein kann (also: sehr!), und man wünschte ihr für ihr Solo einen viel besseren Text. Wenn allerdings dann Gesine Danckwart ihren kürzeren und ebenfalls nicht sehr sinnhaften Text nicht sehr gut abliest, dann hält man sich besser an den Videozusammenschnitt, der dahinter läuft: Marilyn und die Bardot, blonde Zeichentrickgirls, das Bekenntnis zur schlanken Barbie-Puppe (statt zur realistischen). Das führt wohl zum Feminismus-Bekenntnis des Anfangs zurück… Zusammen gefasst: Die Dürftigkeit des Gebotenen ist bemerkenswert. Über das Thema „Blond“ scheint hier niemand wirklich nachgedacht noch reflektiert zu haben. Beim Schulaufsatz hätte es lapidar geheißen: Thema verfehlt.

Ja, und dann darf man als Publikum heimgehen, eineinviertel Stunden nach dem Beginn, man könnte aber auch noch bleiben und durch das Kasino flanieren. Falls man nichts Besseres zu tun hat. Nun, man hat sich eine halbe Stunde an der Virtuosität von Caroline Peters ergötzt. Ob das ausreicht, einen ganzen Abend zu opfern… das sei dahin gestellt.

Renate Wagner

WIEN/Staatsoper: „A MIDSUMMER NIGHT’S DREAM“. Erste Reprise

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Peter Rose. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

WIEN/Staatsoper: „A MIDSUMMER NIGHT’S DREAM“

Benjamin Britten, der Klangmagier, Shakespeares Verwirrspiel, und ein bisschen Harry-Potter-Look …

5.10. 2019 (erste Reprise) – Karl Masek

Schon nach der Generalprobe gab es spontanen Jubel und viele zufriedene, ja glückliche Gesichter im Publikum. Das kann ich bezeugen. Geschuldet war dieser Umstand einer besonders stimmigen Opernproduktion, die Irina Brook da vorgelegt hat. Stimmig deshalb, weil die Geschichte 1:1 erzählt wird. Poetisch, traumverloren, witzig.  Magie und Zauber der Feenwelt, die Spielarten, Freuden und Leiden der Liebe  samt aller Eifersucht, samt allen Irrtümern, Konflikten und Missverständnissen, werden theaterwirksam,  zugleich dezent,  über die Rampe gebracht. Dem Publikum wird Raum für eigene Gedanken, Assoziationen und Träume gelassen. Was kein Fehler ist …

Leichtfüßig, mit feiner Ironie, angereichert von gelungener Situationskomik in den Handwerker- und Rüpelszenen bis hin zur Parodie im Schlussakt bei der Hochzeit von Theseus und Hippolyta ist diese Regiearbeit.  Alles das wird publikumsfreundlich (ja, und?), „very british“ bis zu den  Kostümen, z.B. der Liebespaare (ein Hauch von Harry-Potter-Zauberschule und britischer Schuluniform: Magalli Castellan) in Szene gesetzt von einer Regisseurin, die das Stück besonders genau kennt. Schließlich wuchs sie als Tochter der Regie-Legende Peter Brook mit Shakespeare auf.

Auch das Bühnenbild – ein verfallenes Schloss, von der Natur längst überwuchert – ist von gelungener, wohlig-modriger Farbe und Ästhetik.  (Noëlle Ginefri-Corbel)  Es gibt dem Theater, was des Theaters ist. Der Schauplatz bietet  eine ideale, atmosphärische Spielfläche für all die „Verirrungen, Verwirrungen und Intrigen, irrationalen Verliebtheiten, und dem Esel in uns …“.  Fein abschattiert die Lichtregie (Jean Kalman).

1962, nur 2 Jahre nach der Uraufführung am 11.6. 1960 in der Jubilee Hall in Aldeburgh, brachte die Wiener Staatsoper den Britten’schen „Sommernachtstraum“ als Österreichische Erstaufführung in deutscher Übersetzung heraus. In diesem Fall war das Haus am Ring schneller, wie der scharfzüngige, damals 25-jährige Jungkritiker Franz Endler mit spöttischer Ironie feststellte („Eine zeitgenössische Oper, vor nicht einmal drei Jahren geschrieben und bisher weder in Linz noch in Graz auf dem Spielplan…“).  Obwohl damals vom Publikum durchaus wohlwollend aufgenommen, verschwand das Werk dennoch nach 15 Aufführungen (die letzte am 21.12. 1964 in den Anfängen der Direktion des Egon Hilbert) vom Spielplan. Erst Jahrzehnte später tauchte es in der Volksoper auf. Eine tolle Produktion mit Jochen Kowalski als Oberon und Karl Markovics als Puck. Und im Theater an der Wien in einer Inszenierung von Damiano Michelietto, die dem Stück eigene Handlungsstränge in einem anderen Ambiente –  „heutig“ –  überstülpte. Schulsituation mit Puck als „verhaltensoriginellem“ Jugendlichen,  die Mitschüler/innen in allerlei pubertären Liebesnöten. Alles spielte sich in einem Turnsaal ab. „Zauberwald“ aus Neonstäben – allerdings, wie immer bei  Michelietto,  mit penibler psychologischer Durchdringung und gekonnter Personenführung. Spannend und interessant war’s allemal…


Lawrence Zazzo, Erin Morley. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Irina Brook führt in zeitloser Manier zu Shakespeare zurück. Linear und werkgetreu, eng am Stück entlang. Tiefgründig, aber nicht abgründig. Nicht in provokativer „Bilderstürmer“- Manier alles auf den Kopf stellend. Im Sinne einer Meinungs- und Deutungsvielfalt hat sicher auch diese moderate Lesart ihre Berechtigung!

Laut eigener Aussage erschloss sich Brittens Musiksprache ihr nicht auf Anhieb. Allerdings: Schon nach ein paar Tagen war ich völlig begeistert. Wenn ich von der Probe heimkomme, singe ich diese Melodien in der Nacht…“, so Brook in einem Interview.  Etwas, was ihr nicht einmal bei Donizetti passiert war …

Womit wir uns der Musik zuwenden. Benjamin Britten gelang hier ein besonderer Wurf. Allein der 1. Akt ist ein klangmagisches Kleinod. Ein Füllhorn überbordender Phantasie, grandioser Instrumentationskunst – und einer Empathie den Figuren gegenüber, die in der Operngeschichte beinahe einzigartig ist.

Das Orchester setzt sogleich ein mit geheimnisvoll dunkel raunenden Streicher-Glissandi („slow and misterious“), übereinandergeschichteten Dur-Dreiklängen, die im gesamten Werk immer dann wiederkehren, wenn es um Metamorphosen von Traum und Wirklichkeit geht. Schlangenlinienförmige Melismen prägen das Geschehen und erfahren „optische Verdoppelung“ durch eine Schlange (die man in „Zauberflöte“-Inszenierungen  gar nicht mehr so gerne vorkommen lässt, selbst wenn im Schikaneder-Text von ihr die Rede ist).  

Für die unterschiedlichen Figurengruppen setzt Britten unterschiedliche Klangfarben auf das Subtilste ein. Die Elfen z.B. bekommen stratosphärisch anmutende Celesta-Girlanden, die beiden Harfen in oberster Lage und Cembaloklänge künden von unwirklicher klirrender Kühle. Die weit entfernten Tonarten C-Dur und Fis-Dur evozieren dabei Erdferne. Xylophon, Vibraphon im vielgestaltigen Schlagzeug bekommen besonders vielfältige Aufgaben!  Die philharmonischen Schlagzeuger waren da in ihrem Element! Aber auch bezaubernd Keckes, eine Art unschuldiger Frechheit, ist  den kindlichen Elfen vorbehalten. Großes Lob dem Kinderchor aus der Opernschule der Wiener Staatsoper! Die hatten auch darstellerisch ganz schön viel zu tun – und taten dies mit begeistertem Eifer. Auch sängerisch mit lustbetonter Souveränität.  Die vier Knaben-Solisten verdienen namentliche Erwähnung (Emil Lang, Niklas Rudner, Mihail Savenkov und Fabio Ringer). Die Kids, die hatten Spaß (hervorragend einstudiert von Johannes Mertl – Chapeau!).

Das Orchester der Wiener Staatsoper erfreute an diesem Abend mit delikater, detailverliebter, schillernder Klangzauberei, von wohlig-weich bis spitz-klirrend. Dirigentin Simone Young, so kommt  es mir vor, hat mit dieser Vorzeige-Produktion ihre bisher beste dirigentische Visitenkarte in Wien abgegeben (auch die Premieren von  „Der Spieler“ und „La Juive“ waren schon sehr, sehr gut!), seit sie in den 90er Jahren mit „Rigoletto“ als erste „Maestra“ im Haus am Ring debütiert hat. Britten steht  ihr  musikmentalitätsmäßig offensichtlich besonders nahe, so der erfreuliche Eindruck. Sie passt sich auch den Dimensionen des Hauses geschickt an. Britten hat ein Besetzungs-Minimum  für einen kleinen Orchestergraben  (wie es wohl für Aldeburgh mit rund 360 Zuschauern der Fall war) angegeben. Aber kein Besetzungsmaximum des Orchesters. Das heißt, die Orchesterbesetzung hier in Wien ist größer als bei  der Uraufführung. Aber man legte Bedacht darauf, nicht viel über die Orchestergröße von „ Ariadne“ zu gehen. „Also 8 Erste Violinen, entsprechend angepasst die anderen Streicher, z.B. 3 Kontrabässe. So werden die Solobläser nicht übertönt, aber es gibt genug Substanz für den großen Saal der Wiener Staatsoper. Wäre das Orchester größer, bekäme man womöglich Probleme mit den Kinderstimmen…“, so Young im Programmheft.

Klug gehandelt, möchte man der versierten Kapellmeisterin zurufen. Ich habe die Generalprobe auf einem Balkon-Seitensitz, die besprochene Vorstellung  vom Merker-Sitz auf der Galerie gehört. Und da waren schon auffallende dynamische Unterschiede festzustellen.

Der amerikanische Countertenor Lawrence Zazzo war mit angenehmen, pastellenen Countertenorfarben ein nobler, geschmeidig singender Oberon und mit Sicherheit ein kongenialer Nachfolger des legendären Alfred Deller, dem Britten für die Uraufführung die Rolle perfekt in die Kehle geschrieben hatte. Ein gelungenes Hausdebüt!

Die amerikanische Sopranistin Erin Morley sang nach der Gilda ihre 2. Premiere an der Wiener Staatsoper. Blitzsaubere Silbertöne bis in höchste Höhen, gekonnte Agilitá zeigte ihr jugendlicher Koloratursopran. Aber auch feine Lyrismen standen ihr zu Gebote.

Einen großen persönlichen Erfolg konnte der französische Musiker, Tänzer, Akrobat & Zirkuskünstler Théo Touvet für sich verbuchen. Er war „Hansdampf“ im athenisch-britischen „Zauberwald“, schlug Salti am laufenden Band, drehte sich virtous in einem Reifen, bewies sagenhafte Körperbeherrschung bis hin zu perfektem „Breakdance“ – und war in jeder Faser ein liebenswerter Kobold, dem man auch seine Irrtümer und das Liebeschaos, das er damit anrichtete, verzieh. Wesentlich mehr als ein „Pu(mu)ck(l)“ von Shakespeares Gnaden, konnte er den lautesten Jubel des Publikums einheimsen.

Die Liebespaare im Harry-Potter-Look: alle vier Ensemblemitglieder mit gediegenen Leistungen und  großem Engagement : Josh Lovell (Lysander), Rafael Fingerlos (Demetrious), Rachel Frenkel (Hermia) und Valentina Naforniță (Helena).

Ein Kabinettstück „ernster“ Komik kam von den 6 Handwerkern. Wobei Peter Rose einen fulminanten Blossom abgab. Profunder Basso cantante, Esel-Falsett, Buffoqualitäten allererster Güte! Wolfgang Bankl: als Quince einmal in keiner Unsympath-Rolle, ein rührend geschäftiger „Regisseur“, ein bisschen  wie Oliver Hardy in den Uraltfilmen. Benjamin Hulett sang den Flute (das war die Peter-Pears-Rolle bei der Uraufführung!), als „Thisby“ in der Opernparodie urkomisch. Bei der Bellini- bzw. Donizetti-Verulkung blieb kein Auge trocken. Tomas Ebenstein (Snout: als lakonische „Mauer“ leiert er zwerchfellerschütternd eine Art Zwölftonreihe abwärts. Auch Schönberg kann man köstlich parodieren, bewies der musikalische Alleskönner Britten. Der blutjunge neue Bass William Thomas  (Snug) führte sich als „Löwe“ bestens ein. Clemens Unterreiner (Starveling) bewies als stoischer „Grabstein“ höchste Ensemble-Disziplin. Eine besonders unterhaltsame Sequenz die getanzte „Bergamasque bei  der Hochzeit von Theseus & Hippolyta (Peter Kellner mit sonorem Bass-Bariton und Szilvia Sörös mit pastosem Mezzosopran – beide klopfen für größere Rollen unüberhörbar an).

Nicht zu vergessen: Das Bühnenorchester der Wiener Staatsoper (Leitung: Witolf Werner) und das Wiener Staatsballett (Choreographie: Martin Buczko) als Pucks Gefährten & Assistenten.

Ein großer Premierenerfolg! Nach der bereits sehr erfolgreich verlaufenen Generalprobe und dem Premierenjubel schienen in dieser 2. Aufführung alle zusätzlich beflügelt zu sein! 

Karl Masek

 

WIESBADEN/ Staatstheater: GRÄFIN MARIZA. Premiere

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Foto: Karl und Monika Forster

Wiesbaden, Staatstheater: Kalman   Gräfin Mariza, Premiere am 5.Oktober 2019

Um es vorwegzunehmen, die Mehrheit des Publikums und der Rezensent sind sich diesmal nicht einig.

Der Leiter des Operettenfestivals  Bad Ischl THOMAS ENZINGER  hat inszeniert. Dass heißt, man müsste im besten Fall sagen: arrangiert. Ranzig und bieder quält sich meist im Dialog- Schneckentempo ( Zsupan´-s Szenen ausgenommen) die Handlung kommentarlos voran. Die Geschichte der Gräfin Mariza, die sich einen Verlobten erfindet, weil sie eigentlich alleine bleiben möchte, und die sich schließlich in ihren ihr untergebenen Verwalter, den Grafen – inkognito – Tassilo, verliebt, wirkt nie motiviert. Eine betuliche Rahmenhandlung mit Kind und Greis nimmt zusätzlich den Schwung und die Ausstattung von TOTO könnte ohne Zusatzkosten aus einem Operettenfundus der 70er Jahre entstammen: so mottig und in seinem Pastellwahn eintönig dreht sich schleppend der Abend, der im Schlussakt in seinem immer seniler werdenden Witz den Wiesbadener Opernabend fast zu einem Seniorennachmittag im Altenheim werden lässt. Immerhin EVAMARIA MEYERs Tänzer bemühen sich um etwas Esprit, wenngleich sich die Choreographien von Charleston  und Czardas dann auch verdächtig ähnlich sind in der Anlage. Dass eine Dramaturgin mit von der Partie war, möchte man besser verschweigen.

Und so passiert zwischen dem Heldenpaar: nichts. Sie interessieren sich nur mühsam füreinander, haben erotisch gar keine Ambitionen und fast ist man froh für beide, wenn die Handlung auch so nichtssagend wieder auseinandergehen würde. Der sonst so bühnensichere THOMAS BLONDELLE spielt den Tassilo unentschlossen, manchmal hilflos, in Selbstmitleid zerfließend und dadurch ohne darstellerische Virilität. Stimmlich gibt er sich der Rolle leidenschaftlich mit seinem eigentimbrierten Tenor hin. Mit gewisser Sorge möchte man dem so begabtem Sänger eine bessere Fokussierung seiner Kräfte wünschen; nicht, dass ein großes Talent zu früh verglühen möge.

Seine Angebetete Mariza hat mit ihrer Figur mental gar nichts vor. SABINA CVILAK fehlt bei guter Stimme jeder Charme und jede emotionale Flexibilität für dieses Genre. Fast kratzbürstig und unnahbar verliert sie sich im Bühnengeschehen; auch sie kennt man von anderen Partien weit überzeugender.

Der Star des Abends ist zweifellos ERIK BIEGEL als Graf Koloman Zupan. Zwar wie alle mit mäßig-klingender Verstärkung ausgestattet, tobt er wie ein Orkan über die Bühnenbretter und wirkt mit seiner gelungenen Überzeichnung wie eine Figur aus einer anderen Inszenierung. Da ist Energie und körperliche Raffinesse gepaart mit direktem operettentauglichen Ungarn-Klischee und man freut sich, wenn dieser Aktivposten wieder die Bühne betritt. Seine Soubrettenpartnerin Lisa wird von SHIRA PATSCHORNIK adäquat gesungen.

Die weiteren Partien bleiben flach. Der Gastauftritt von DESIREE NICK als Fürstin Bozena etwa mag zwar mondän sein, aber sie verzettelt sich in unterschiedlichen Akzenten und der Text ihres Couplets hat den Biss eines Nikolausfeiergedichtes. Der windige Fürst Populesku alias BJÖRN BRECKHEIMER bietet keinen starken Gegenpart zu den Liebenden, der Diener Penizek wird senil von KLAUS KRÜCKEMEYER gesabbert und dem monoton Flaschen und Gläser servierenden Faktotum Tschekko (GOTTFRIED HERBE)  möchte man verdiente Altersruhe gönnen. Mit klarem Dialog und präziser Gestik fällt THOMAS JANSEN als Karl Liebenberg wohltuend auf.

Der Primas auf der Bühne IGOR MISHURISMAN spielt souveräner als sein um Intonation bemühter Solokollege aus dem Graben. Leider ist der sonst meist sichere Chor des Staatstheaters (Leitung: ALBERT HORNE) diesmal verwaschen und textlich sehr unverständlich. CHRISTOPH STILLER treibt als Dirigent passioniert nach vorne, doch das Orchester spielt pauschal und  -weil dick orchestriert – meist zu laut. Man verlässt sich auf die Tonanlage, anstatt die Balance im Feinen auszuloten.

Das Staatstheater Wiesbaden hat sich in den letzten Jahren unter Uwe Erik Laufenberg ein anderes, weit profilierteres  Profil ( mit vielen exemplarischen Produktionen)  erarbeitet als man an diesem Abend zu Gesicht bekommt.

Geschrieben werden muss aber auch, dass das Publikum die Vorstellung begeistert feiert und die kommenden Aufführungen sicher erfolgreich angenommen werden.  Geschmäcker sind verschieden, und so verläßt der Kritiker das Theater mit dem seltsamen Gefühl, an einem Mehrheitsgeschmack so gar nicht teilhaben zu können – oder auch zu wollen.

Christian Konz

STUTTGART/ Staatsoper: VERLEIHUNG DER HUGO WOLF-MEDAILLE AN GUNDULA JANOWITZ

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Verleihung der Hugo-Wolf-Medaille an Gundula Janowitz in der Staatsoper Stuttgart (6.10.2019)

„DU HOLDE KUNST, ICH DANKE DIR“

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Die Hugo Wolf-Medaille

Verleihung der Hugo-Wolf-Medaille an Gundula Janowitz am 6.10.2019 in der Staatsoper/STUTTGART Juliane Banse (Sopran) und Benjamin Appl (Bariton) gestalteten zusammen mit Wolfram Rieger (Klavier) in eindrucksvoller Weise den musikalischen Teil dieser Matinee. Juliane Banse verlieh den Liedern „Ständchen“, „Die Mainacht“ und „Unbewegte laue Luft“ von Johannes Brahms mit einer reichen dynamischen Klangfarbenskala ungeahnte Lebendigkeit. Die leidenschaftliche Emphase dieser Musik kam dann auch im Duett „Vergebliches Ständchen“ mit Benjamin Appl in überzeugender Weise zu Gehör. Lyrisch-intime Charakterzüge und expansive Gestaltungsweise wechselten sich hier facettenreich ab. Benjamin Appl interpretierte dann Robert Schumanns „Frühlingsfahrt“, „Meine Rose“ und „Belsazar“ mit nie nachlassender gesanglicher Strahlkraft. Intime romantische Seelengründe blitzten hier immer wieder in geheimnisvoller Weise auf, wobei sich die tönenden Arabesken und Girlanden in ein reizvolles Melos verwandelten. Chromatische Fortschreitungen, Vorhaltwirkungen mit raschem Moll-Dur-Wechsel oder kontrapunktierende Linien zeigten sich bei dieser ausdrucksvollen Wiedergabe in beglückender Weise. Das Duett „Unterm Fenster“ zeigte Juliane Banse und Benjamin Appl zusammen mit dem einfühlsam begleitenden Pianisten Wolfram Rieger als ein überaus versiertes Künstlerduo, das den Klängen sensibel nachlauschte. Pathos und chromatische Ausdruckssteigerung lebten auch bei der subtilen Interpretation von Hugo Wolfs „Italienischem Liederbuch“ mit Juliane Banse, Benjamin Appl und Wolfram Rieger auf, die sich bei den einzelnen Liedern sehr gut ergänzten. Der Ausdruck differenzierter subjektiver Empfindungen bestätigte sich bei „Ein Ständchen Euch zu bringen“, „Heut Nacht erhob ich mich“, „Gesegnet sei, durch den die Welt entstund“ oder „Ihr seid die Allerschönste weit und breit“ – Lieder, die Benjamin Appl mit innigem Ausdruck und weichem Timbre vortrug. Auch Juliane Banse interpretierte die Lieder „Mein Liebster singt am Haus im Mondenscheine“, „O wär dein Haus durchsichtig wie ein Glas“, „Gesegnet sei das Grün und wer es trägt“ oder „Du denkst, mit einem Fädchen mich zu fangen“ voller gesanglicher Reinheit und Klarheit, wobei auch hier die feinen dynamischen Abstufungen positiv ins Gewicht fielen. Rhythmische Präzision und kantable Passagen vereinigten sich zudem bei Juliane Banses Wiedergabe von „Verschling‘ der Abgrund meines Liebsten Hütte“, „Du sagst mir, dass ich keine Fürstin sei“, „Nun lass uns Frieden schließen“ und „Ich hab in Penna einen Liebsten wohnen“. Benjamin Appl gestaltete die weiteren Nummern „Geselle, woll’n wir uns in Kutten hüllen“, „Hoffärtig seid Ihr, schönes Kind“, „Sterb‘ ich, so hüllt in Blumen meine Glieder“ und „Wir haben beide lange Zeit geschwiegen“ mit leidenschaftlicher Erregung und reizvollen Modulationen.

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Gundula Janowitz. Foto: Katharina Janowitz

Der Vorstandsvorsitzende der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie Prof. Dr. Hansjörg Bäzner betonte, dass die Preisverleihung bereits zum achten Mal stattfinden würde. Die Interpretationen von Gundula Janowitz seien oft mit einem „Gesang der Engel“ verglichen worden. Darauf ging auch der Wiener Musikkritiker Dr. Wilhelm Sinkovicz in seiner Laudatio ein, der daran erinnerte, dass Hugo Wolf auch ein scharfzüngiger Musikkritiker gewesen sei. Er selbst habe eine Gundula-Janowitz-Biografie schreiben wollen, die diese beim Mittagessen jedoch in einem Halbsatz abgelehnt habe. Sinkovicz stellte die besonderen menschlichen Qualitäten von Gundula Janowitz bei seiner Rede in den Vordergrund. Sie sei eine in Berlin geborene Grazerin. In der Schule habe sie im Singen nur die Note „befriedigend“ erhalten, was aber ihren Ehrgeiz nur angestachelt habe. So habe sie dann unter Hans Knappertsbusch bei den Bayreuther Festspielen gesungen – und  Herbert von Karajan habe ihr Talent an der Wiener Staatsoper entdeckt und gefördert. Sie sei eine berühmte Kaiserin in Richard Strauss‘ „Frau ohne Schatten“ gewesen – und die „Vier letzten Lieder“ von Richard Strauss würden zu ihren besten Interpretationen zählen.

Gundula Janowitz selbst bedankte sich beim Publikum mit dem berührenden Satz: „Du holde Kunst, ich danke dir“.    

Alexander Walther

ERFURT/Theater: DAS MÄRCHEN VOM ZAREN SALTAN von Nikolai Rimski-Korsakow. Premiere

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Theater Erfurt/ Oper „Das Märchen vom Zaren Saltan“ von Rimski-Korsakow/

Premiere am 05.10.2019

 Man will sich doch verzaubern lassen

„Das Märchen vom Zaren Saltan“ gehört wohl zu den sonnigsten Werken der Opernliteratur. Die Musik beleuchtet die Geschichte mit wolkenloser Freude und sanftem Humor. Sie fließt leicht und natürlich. Rimski-Korsakows zauberhafte und farbenprächtige Oper „Das Märchen vom Zaren Saltan“ wurde 1900 in Moskau uraufgeführt und bildet den Anfang einer Reihe weiterer Märchenopern im späten Schaffen des Komponisten. Die Musik der Oper erlangt durch ihre erzählerische Komposition und die Schlichtheit in der Melodieführung eine traumhafte Atmosphäre und bildet schließlich eine Einheit mit Puschkins Erzählung.


Copyright: Lutz Edelhoff

Die Handlung:

Die Handlung ist schnell erzählt: Zar Saltan heiratet Militrissa und zieht in den Krieg, noch bevor ihr gemeinsamer Sohn Gwidon geboren wird. Die hinterhältige Babaricha und der böse Zauberer vertauschen die Botschaft an den Zaren gegen die Lüge, die Zarin habe kein Kind, sondern ein Ungeheuer zur Welt gebracht. Mutter und Sohn werden in ein Fass gesperrt und ins Meer geworfen. Beide aber bleiben am Leben. Gwidon tötet den bösen Zauberer und befreit die versunkene Stadt aus dessen Gewalt. Der im Kampf gerettete Schwan verwandelt sich in die schöne Prinzessin Schwanhilde und beide heiraten und auch der Zar gewinnt seine Frau zurück. Sogar den bösen Schwestern wird vergeben.

 Die Musik: Die Motivik der Oper „Das Märchen vom Zaren Saltan“ entstammt der charakteristischen folkloristischen Tradition der russischen „skazka“ mit ihrer immer wiederkehrenden Thematik von den Gefahren der Kindheit, der boshaften Erwachsenenwelt und dem Prozess des Erwachsenwerdens.

Diese Tradition kommt zum Ausdruck durch die stark ritualisierten Handlungsformen und das erzählerische Grundprinzip der Verdreifachung, das im Märchen durch die drei Schwestern mit ihren drei Wünschen, den drei Wundern sowie den drei fliegenden Insekten und den drei Insektenstichen ihre erzählerische Wirkung entfaltet. (Originalfassung)

Auf der Bühne stellt die Oper die naive Einfachheit und Frische der Volkskunst wieder her. Die Musik ist voll von melodischen Wendungen und komplizierten Rhythmen, von Volksliedern und Tänzen. Eine bedeutende Rolle in der Oper spielen symphonische Episoden, in denen die Leitmotivik schrittweise angewendet wird.

Während der gesamten Oper wiederholt sich ein festlicher Fanfarenruf. Er erscheint am Anfang jedes Bildes als ein Aufruf: „Hören Sie zu! Schau es dir an! Die Vorstellung beginnt!“ Diese Einführung in die Oper ersetzt auch die Ouvertüre. Das Lied der älteren und mittleren Schwester, getragen vom Volksgeist, strömt gelassen dahin. In dem folgenden Gespräch werden Babarichas mürrische Äußerungen und der fraktionierte Zungenbrecher der Schwestern von Militrissas breiter lyrischer Melodie beantwortet. Ein pompöser Marsch und entscheidende Vokalphrasen zeigen das Auftreten eines eigensinnigen Königs.

Die musikalische Handlung entwickelt sich weiter mit einem ruhigen Wiegenlied, das auf einer echten Volksmelodie basiert; während des Aktes wiederholt es sich mehrmals und durchläuft einen gemächlichen Verlauf. Humorvolle Volkswitze durchdringen den Abschluss-Dialog. Das Erscheinen des Zarewitschs wird von einer Melodie des Kinderliedes „Laduschki“ begleitet. Der Begrüßungschor des Volkes beendet die erste Hälfte des Aktes. Die zweite Hälfte ist eine freie Abwechslung von Solo- und Chor-Episoden, unter denen das traurige Arioso von Militrissa hervorsticht. Der Akt endet mit der traurigen Klage des Chores.

Die orchestrale Einleitung zum zweiten Akt, die ein Bild vom Meer zeichnet, vermittelt den Inhalt des Gedichtepigraphs:

Sterne leuchten im blauen Himmel
Im blauen Meer peitschen Wellen;
Eine Wolke am Himmel
Ein Fass treibt über das Meer.

In der Szene, die den zweiten Akt eröffnet, werden die traurigen Klagen von Militrissa durch die lebhaften Äußerungen des Prinzen ausgelöst. Das Arioso des Schwans „Sei gegrüßt mein Fürst…“ kombiniert eine lyrisch charmante Melodie mit flexiblen und beweglichen Wendungen. Die zweite Hälfte des Aktes ist eine entwickelte Szene voller freudiger Aufregung. Eine kurze orchestrale Einführung in den dritten Akt zeigt eine Seelandschaft. In der Mitte des ersten Bildes befindet sich das Duo mit Gwidon und dem Schwan, das mit der symphonischen Folge des „Hummelfluges“ endet.

Im zweiten Bild gibt es viel Bewegung mit Ensemble-Episoden, die Musik ist durchdrungen von lebhaften Melodien und Rhythmen. Die letzte Szene des Aufruhrs, in der die Worte: „Alle Hummeln dürfen ab jetzt nicht mehr an den Hof des Zaren“, erklingt als militante Melodie und danach marschiert Saltan zu einer Melodie mit echter Komik.

Im ersten Bild des vierten Aktes ist ein Duett zu hören, in dem Gwidons aufgeregte, leidenschaftliche Reden von den ruhigen, liebevollen Redewendungen der Schwäne beantwortet werden. Begleitet wird diese Übergangsszene von einem kurzen orchestralen Intermezzo, in dem die Melodie der Schwanenprinzessin jubelnd triumphiert. Dieselbe Melodie liegt auch dem Liebesduett von Gwidon und der Schwanenprinzessin zugrunde.

Dem letzten Bild der Oper geht eine große symphonische Einleitung voraus. Die symphonische Einleitung wird dann ersetzt durch festliche Fanfaren: das Glockenthema der Stadt. Zu der elegant orchestrierten Melodie des Volksliedes „Im Garten“ tritt das Goldnüsse knackende Eichhörnchen auf. Danach folgt ein energischer Marsch, der die Seeritter und die bezaubernden Melodien der Prinzessin zusammenfasst. Beide sind in ein zauberhaft funkelndes Klangmuster verwoben. Die Intro-Musik ist erfüllt von Energie, Leichtigkeit und ungezügelter Freude, die das letzte Bild der Oper dominieren.

Ein freudiger Willkommenschor erklingt. Das Liebesduett von Militrissa, der verstoßenen Gattin und dem Zaren Saltan, vermittelt ein Gefühl der Fülle des Glücks. Der chorische Abschluss des Bildes ist durchdrungen von schnellen Rhythmen und lebhaften Refrains. Den jubelnden Chor übertönt wieder am Ende die Melodie der Fanfare.

Diese Oper hat viele musikalische Facetten, unter denen sich der „Flug der Hummel“ ganz besonders hervorhebt, ein brillantes Scherzo wie ein Perpetuum Mobile, das sich ganz natürlich mit dem Ablauf der dramatischen Handlung verbindet.

Die Regie:

Alexei Stepanyuk, der Regisseur, studierte am Leningrader Staatskonservatorium „Rimski-Korsakow“ und war sieben Jahre lang Direktor des Akademischen Glinka-Theaters für Oper und Ballett im russischen Tscheljabinsk. Seit 1993 arbeitet er als Regisseur am Mariinski-Theater in Sankt Petersburg. Sein dortiges Debut gab er mit einer Inszenierung der Oper Sadko von Nikolai Rimski-Korsakow, die seither ungebrochene Erfolge feiert und an mehreren Opernhäusern gastierte. Seine Inszenierung von Rimski-Korsakows Oper Die Legende der Stadt Kitesch sorgte 1994 in Russland und international für Aufsehen. Am Mariinski-Theater folgten unter anderem Alexander Borodins Fürst Igor, Giuseppe Verdis La Traviata, eine Neuproduktion von Kitesch, Georges Bizets Carmen und Peter Tschaikowskys Eugene Onegin. Gastaufträge führten Alexei Stepanyuk nach Jekaterinburg, Kasan, Tscheljabinsk und Saratow. In Nowosibirsk wirkte er drei Jahre lang als Erster Regisseur. In Moskau inszenierte er 2004 Tschaikowskys Pique Dame und 2005 Richard Wagners Tristan und Isolde. Internationale Aufträge führten Alexei Stepanyuk in die USA, nach Litauen, Lettland und die Ukraine.(Quelle:Theater Erfurt) Leider erkrankte Alexei Stepanyuk unmittelbar vor der Erfurter Premiere schwer, so dass er seinen großen Erfurter Publikumserfolg nicht persönlich genießen konnte. Allerdings hatte er schon sehr professionell geprobt. Zu keinem Zeitpunkt stand die Inszenierung in Frage.

 Die Erfurter Aufführung:

Schon die ersten Töne des Vorspiels und die Märchenkulisse der Bühne zogen die Premierenbesucher in die Zauberwelt des russischen Märchenzarentums hinein. Das lag vor allem am Bühnenbild und den Kostümen von Elena Orlova. Sie hat diese zauberhafte Märchenwelt geschaffen. Über ihre Entwürfe sagte sie selbst: “Ich wollte verschiedene Traditionen von Kostümen zusammenbringen.“ Die farbenfrohen Bilder, die sie damit geschaffen hat, verführen und verzaubern die Erfurter Zuschauer sofort. Sie werden in diese naiv schöne Welt hineingezogen. Das Bühnenbild erinnert ein wenig an die russische Bilderbuchästhetik der 70ziger Jahre. Aquarell- und Pastellfarben dominieren den Bühnenraum. Wunderbar bildnerisch ist auch die Bühne zu den Zwischenmusiken gestaltet. Besonders als die Zarin mit ihrem Sohn in einem Fass über das Meer schwimmt, werden sie von großen und kleinen Fischen begleitet. Ein anmutiges Spektakel bietet sich da für die Zuschauer, liebevoll und schön gestaltet. Elena Orlova hat mit höchster Professionalität diese Zauberwelt entwickelt und hat sich dabei einen ganz kindlichen Blick auf märchenhaftes Geschehen bis ins kleinste Detail bewahrt. Diese Mischung lässt die Zuschauer nicht los. Vom Beginn bis zum Ende kann man sich nicht satt sehen, an dieser prächtigen Fülle der Kostüme und Bilder, die so perfekt zu jeder Szene passen.

So detailreich und espritgeladen ist auch die Regie von Alexei Stepanyuk. Er versteht es seine Helden und deren Gegner in Szene zu setzen. Dabei sind alle Darsteller immer aktiv und beweglich. Damit schafft Alexei Stepanyuk ständig eine lebenspulsierende Optik. Die neidischen Schwestern, die, angeleitet von der missgünstigen Babaricha, immer neue Geschichten erfinden oder die Kinderdarsteller, die ihnen als Hummelchen oder nüsseknackendes Eichhörnchen entgegentreten, all diese herrlichen Regieeinfälle nehmen die Zuschauer gefangen und erwärmen ihr Herz. Darum gibt es immer wieder anhaltenden Szenenapplaus und für die Kinderszenen viel Lachen und Schmunzeln. Natürlich ist Alexei Stepanyuk auch die Verbildlichung des berühmten musikalischen Hummelfluges besonders anrührend gelungen. Seine Regieleistung verschmilzt mit dem Bühnenbild und den Kostümen von Elena Orlova zu einem Ganzen, das sich tief in das Bewusstsein der Zuschauer eingräbt. Auch Generalintendant Guy Montavon meinte in der Pause: „So etwas hatten wir in Erfurt noch nicht.“ Dabei ist diese Inszenierung nicht einfach vom Himmel gefallen. Viele haben im Vorfeld daran mitgewirkt, dass es zur Premiere so schön werden konnte. Vor allem Dari Dimova und Alex Grigorev von der Künstleragentur TACT aus Berlin haben den Kontakt zum Theater in Jekaterinburg hergestellt und schon vor drei angefangen zu planen und den Regisseur und die Ausstatterin nach Erfurt zu holen. Demnächst wird die Erfurter Inszenierung auch dort zu sehen sein, dann in russischer Sprache und Originallänge. In Erfurt hatte sich die Dramaturgie für die gekürzte deutsche Fassung von Harry Kupfer entschieden, um besonders familienfreundlich zu sein.

 Die Darsteller:


Kakhaber Shavidze und Margrethe Fredheim. Copyright: Lutz Edelhoff

Stars des Abends waren zweifellos Kakhaber Shavidze als Zar Saltan und Margrethe Fredheim als Militrissa. Kakhaber Shavidze spielte einen Zaren, der sich, wie im russischen Märchen, zunächst stark und befehlsgebend und dann immer trottliger verhält. Als Zuschauer muss man ihn einfach mögen. Mit seinem Bass füllt er den Theaterraum und mit seinem Spiel gewinnt er die Zuschauer. Margrethe Fredheim als Militrissa singt mit einem warmen und glockenhellen Sopran die Mutter des Zarewitschs. Dabei spielt sie detailreich und glänzend eine russische Frau und Mutter. Alle Gesten sind so typisch russisch, dass der Zuschauer wirklich in diese Welt hineinversetzt wird. Auch in ihrer Mütterlichkeit wirkt sie ausgesprochen echt. Ihr Rollensohn ist Brett Sprague als Gwidon, auch der ist eine gute Wahl, obwohl sein Tenor in den oberen Lagen manchmal etwas metallisch klingt. In seinem Spiel als mutiger Kämpfer für das Gute und Schöne wirkt er auf die Zuschauer allerdings sehr überzeugend. Sehr plastisch und damit beeindruckend sind auch die neidischen Weiber: Anastasiia Doroshenko als mittlere Schwester und Jessica Eccleston als ältere Schwester sind ein intrigantes Paar und werden dabei nur noch von der listigen Babaricha übertroffen, gespielt wird sie von Katja Bildt. Alle drei Frauen singen brillant und sind in ihren Darstellungskünsten pointiert und perfekt. Daniela Gerstenmeyer als Prinzessin Schwanhilde kommt nicht nur mit einem glitzernden Kostüm daher, sondern auch mit glänzender Stimme. Mit anmutiger Schönheit setzt sie den Kontrapunkt zu den neidischen Weibern. Ganz wie es das Märchen und die Inszenierung Alexei Stepanyuks will.

Die kleineren Rollen der Boten, Schiffer und Schreiber sind bestens besetzt mit: Gregor Loebel, der mit seinem Pferderitt immer wieder Szenenapplaus erntet

und Ks. Jörg Rathmann, der als „Alter Mann“ vor allem die Zwischenszenen theatralisch und gesanglich bereichert. Auch Manuel Meyer als Schreiber macht in allen Lagen eine überzeugende Figur. Caleb Yoo erfreut als Hofnarr und Petruschka-Figur nicht nur den Zarenhof, sondern auch die Zuschauer. Natürlich sind die Kinderdarsteller der Hummel und des Eichhörnchens viel bejubelte Akteure. Mit ihren Kostümen und ihrem Spiel geben sie dem Stück den letzten Pfiff.

 Die musikalische Umsetzung:

Auch der Chor in der Einstudierung von Andreas Ketelhut trägt wesentlich zum Gelingen der Premiere bei. Die Regie hat viel Bewegung vorgesehen und die setzt der Chor auch exzellent um. Stimmlich ist der Opernchor sehr präsent und facettenreich und erzeugt so auch eine russische Klangatmosphäre.

Die musikalische Leitung hat GMD Myron Michailidis. Ihm liegt die Musik von Rimski-Korsakow besonders gut. Melodisch und rhythmisch führt er das Philharmonische Orchester Erfurt und die Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach durch die Partitur. Dabei begleitet er die Sänger präzis und unterstützend.

Insgesamt überzeugt Michailidis und das von ihm geführte Orchester mit satter Klangfülle und pointierter Sängerbegleitung. Bei den Zwischenspielen werden Bühnenbild und dramatische Musik zu einer Sinneseinheit. So wie es auf der Bühne blinkt, so glitzert und quirlt es lebendig aus dem Orchestergraben. Myron Michailidis hat sich in die Musik konzeptionell hineingedacht und emotional hineingelebt. Dadurch erzielt er einen Klang, der das, was man „russische Seele“ nennt, hörbar macht. Auch dafür gibt es vom Erfurter Publikum viel Beifall.

Nach der Premieren-Vorstellung meinte eine Zuschauerin: „Man will sich doch verzaubern lassen und das ist heute gelungen!“

Dem lässt sich nur noch hinzufügen: Großeltern nehmt eure Enkelkinder, Eltern eure Familie und Tanten eure Nichten und Neffen und seht euch dieses herrliche russische Märchen an, in dem auch noch alles so gut endet und lasst Euch verzaubern!

Larissa Gawritschenko und Thomas Janda


OPER LEIPZIG: TRISTAN UND ISOLDE – Premiere

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OPER LEIPZIG: TRISTAN UND ISOLDE – Premiere am 5.10.2019

Tristan und Isolde
Besuchte Vorstellung, Premiere am 05. Oktober 2019
Oper Leipzig

Brangäne und Marke…

so hätte der Titel des Werkes lauten müssen, wenn es nach den besten Sängerleistungen dieser Neuproduktion zu urteilen gälte!

Im Zuge seiner Pflege der Werke Richard Wagners präsentierte die Oper Leipzig eine Neuproduktion des Musikdramas „Tristan und Isolde“. Eine sehenswerte Produktion, die vor allem durch ein spektakuläres Bühnenbild und eine der Musik folgende Inszenierung zu überzeugen weiß.

Regisseur Enrico Lübbe erzählt, gemeinsam mit seinem Co-Regisseur Torsten Buß die Handlung, ohne große Verfremdung oder Aktualisierung. Lübbe gelingen immer wieder überzeugende Bildwirkungen, weil er der Musik vertraut und somit werden auch die Vorspiele nicht inszeniert. Welch ein Glück! Die konkrete Handlung spielt auf einer Drehbühne mit diversen Schiffsüberresten. Das Bühnenportal wird von einem Lichtrahmen eingerahmt. Durch diesen schreiten Tristan und Isolde in ihre imaginäre Welt. Manche Ideen geraten dabei manchmal zu dekorativ, etwa wenn im zweiten Aufzug ständig ein Gazeschleier hoch- und runterfährt, um beide Spielflächen von einander abzugrenzen. Es gab auch lange Leerläufe, wie etwa im stark gekürzten Liebesduett im zweiten Aufzug. Hier standen Tristan und Isolde mit unbeweglicher Miene am Portal und sangen schlicht nach vorne und damit aneinander vorbei. Plötzlich wirkte dieser Teil wie ein Auszug aus einer konzertanten Aufführung. Auch die diversen Verdopplungen von Tristan und Isolde wirkten entbehrlich. Allein sieben Isolde Doubles werden aufgewendet, um Tristans Vision von Isolde im 3. Aufzug zu beglaubigen. Tristan stirbt dann auch nicht, sondern wird von Isolde zum Leben wiedererweckt und wartet dann vor dem Lichtrahmen auf Isolde, die ihm nach dem Liebestod einen langen Kuss gibt. Dann schreiten die Liebenden auf ein goldenes Licht zu. Tristan und Isolde sind in einer besseren Welt. Ein starkes Bild! Zuvor darf die Solistin des Englischhorn-Solos (wunderbar musiziert von Gundel Jannemann-Fischer) die Musik verkörpern, was zu poetischen Momenten zwischen Tristan und der Instrumentalistin führt.

Der einheitliche Bühnenraum von Étienne Plus zeigt auf einer Drehbühne einen Schiffsfriedhof. Diese Konstruktion wirkt als Labyrinth ebenso überzeugend wie als Schauplatz, welcher leicht verändert werden kann und somit immer wieder neue Einblicke ermöglichte. Der Tod ist gegenwärtig, Gestrandete also, ein Bild des Stillstandes. Fabelhafte Bildeindrücke, die Olaf Freese ausgezeichnet beleuchtet hat.

Dezent und stimmungsvoll die Videoeinspielungen von fettfilm, die den Bühnenraum z.T. unendlich weiten oder surreal erscheinen lassen.

Linda Redlin hatte kleidsame Kostüme für die Protagonisten entworfen.

Bleibt also eine Inszenierung, die durch ihre ästhetischen Bildwirkungen für sich einnehmen kann und in der Personenführung eher dezent und meistens schlüssig bleibt. Enrico Lübbe ist besonders für sein Bemühen zu loben, die Geschichte des Werkes zu erzählen. Eine große Seltenheit heutzutage, da Regisseure zu häufig sich auf Kosten eines Werkes selbst inszenieren!

Natürlich stehen bei einer solchen Produktion die musikalischen Akteure im Mittelpunkt des Interesses. Intendant Ulf Schirmer entschied sich für lyrische Stimmen für die Titelpartien. Um diese zu schonen, verwendete er leider den großen sog. „Tag-Strich“ im zweiten Aufzug und zahlreiche Retuschen an der Partitur. Somit trug der musikalische Teil des Abends zu dominant das Signum der Grenzwertigkeit in der musikalischen Gestaltung. Keiner der Protagonisten sollte zu Schaden kommen, was durchaus löblich ist. Allerdings fehlte so dieser Tristan Interpretation jedwede musikalische Überwältigung und die akustische Übervorsicht nahm der Musik dann doch zu viel an Wirkung.

Oper Leipzig: Tristan und Isolde, Foto: Tom Schulze
Meagan Miller (Isolde). Foto: Tom Schulze/ Oper Leipzig

Erstmals als Isolde präsentierte sich Meagan Miller in ihrem Rollendebüt. Eine solche gewaltige Rolle ist und bleibt eine Lebensaufgabe. Zu groß, zu umfangreich und zu komplex sind die Anforderungen. Miller ist eine eher lyrische Isolde, die dann auch vor allem in den weniger dramatischen Abschnitten deutlich überzeugen konnte. Sobald Dramatik gefordert war, wie etwa beim Löschen der Fackel oder bei der Totenklage geriet die Stimme noch an Grenzen, da die Stimme eher schlank als üppig strömte. Sie erreichte gut alle Töne und sang auch mühelos bis zum hohen C hinauf. Was ihr derzeit vor allem noch fehlt, ist ein gestalteter Charakter. Der Text wirkte zuweilen buchstabiert und noch zu wenig erlebt. Ein anrührender Liebestod und so manch eigene Textbetonung offenbarten ihr Entwicklungspotential. Darstellerisch wirkte sie beteiligt und engagiert, mit der Rolle innerlich verbunden. Nur sollte sie derzeit diese Partie nicht zu oft singen. Es ist eine jugendlich dramatische Stimme, die eher bei einer Tannhäuser Elisabeth zu Hause ist als bei Isolde.

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Daniel Kirch (Tristan). Foto: Tom Schulze/ Oper Leipzig

Als Tristan zeigte Daniel Kirch eine problematische Leistung. Auch er ist kein dramatischer Sänger oder Heldentenor. Sein Stimmvolumen ist sehr begrenzt und lässt eher an eine Tenorstimme für die mittleren Partien Wagners denken, wie z.B. Erik oder der Max in Webers Freischütz. Seine zuweilen verquollene, dumpfe Tongebung beraubte seiner Stimme die Tragfähigkeit. Sein Vortrag wirkte eintönig, dynamisch unzureichend und im Text kaum gestaltet. Erstaunlich oft diffus in der Artikulation wirkten seine verwaschenen Konsonanten. Nahezu alles klang gleich, ohne Unterschied in der Dynamik oder im Text. Lediglich zwei bis drei Versuche, die Stimme unterhalb eines Forte zu bewegen genügen nicht, um einen Rollencharakter klanglich zu realisieren. Somit klang der todkranke Tristan genauso „gesund“, wie bei seinem ersten Auftritt im ersten Aufzug. Zunehmende Schwierigkeiten mit der korrekten Intonation zeigten, wie deutlich diese Partie über seine Möglichkeiten geht. Von ihm ging zudem als Rollencharakter keine Faszination aus. Er sollte sich einmal große Kollegen anhören, um zu begreifen, welche Farben in dieser vielschichtigen Partie stecken und wie diese in eine sinngebende, bannende Textgestaltung umgesetzt wurden. Somit fehlte dem Abend leider ein starker Gestalter.

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Matthias Hausmann (Kurwenal), Meagan Miller (Isolde), Daniel Kirch (Tristan) und Barbara Kozelj (Brangäne). Foto: Tom Schulze/ Oper Leipzig

 

Als Brangäne begeisterte hingegen Barbara Kozelj mit klangstarkem, sauber intoniertem Mezzosopran. Engagiert im Spiel war sie ein deutlicher Aktivposten. Selten ist die Anteilnahme, die szenische Interaktion in dieser Rolle derart glaubhaft und gekonnt zu erleben. Sauber in der Intonation erklangen die „Wacht“-Gesänge. Dazu erlebte sie den Text deutlich und intensiv, dass es eine Freude war. Eine ausgezeichnete Leistung!

Solide agierte der bewährte Kurwenal in der Gestalt von Jukka Rasilainen, der für den unpässlichen Mathias Hausmann eingesprungen war. Kernig in der Stimme und weithin sicher, wirkte seine Textverständlichkeit zuweilen verwaschen.

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Barbara Kozelj (Brangäne), Daniel Kirch (Tristan) und Meagan Miller (Isolde). Foto: Tom Schulze/ Oper Leipzig

Dem König Marke gab Sebastian Pilgrim seine ganze Autorität und die Wucht seines voluminösen Basses. Stimmlich blieb er seiner Partie nichts schuldig und begeisterte durch große Autorität in Stimme und Spiel. Vorbildlich seine dynamische Bandbreite und seine Textgestaltung. Pilgrim zeigte äußerst eindrucksvoll, wie stark diese Komposition wirken kann, wenn passende Stimmgröße und gestalterische Intelligenz aufeinander treffen. Mit jeder Silbe seines wissenden Gesangs veränderte sich die Atmosphäre der Vorstellung. Plötzlich war ein gestaltender Mittelpunkt erlebbar. Ein großartig gesungenes und gestaltetes Rollenportrait!

Matthias Stier war ein eiskalter Melot, der gefährlich wirkte und seinen Auftritt pointiert nutzte, um sich stimmlich gut in Szene zu setzen. Ansprechende Leistungen zeigten auch die beiden Tenöre Martin Petzhold als Hirte und Alvaro Zambrano als junger Seemann. Kernig der kurze Einwurf des Steuermanns von Franz Xaver Schlecht.

Thomas Eitler-de Lint hatte den Herrenchor der Oper Leipzig stimmsicher und kompakt im Klang einstudiert. Sehr bedauerlich nur, dass die fabelhaften Sänger beim Auftritt König Markes hinter der Bühne singen mussten!

Seine musikalische Kompetenz als Wagner-Dirigent demonstrierte GMD/Intendant Ulf Schirmer. Seine Interpretation geriet dabei nicht aufwühlend oder aufschäumend. Schirmer suchte vor allem die lyrischen Momente der Partitur und nahm so das Orchester in seiner Dynamik weit zurück, so dass die Sänger auch in der Lage waren, so weit gegeben, Pianofärbungen in ihrem Gesang zu ermöglichen. Schirmer übernahm in seiner Einstudierung die Retuschen des Dirigenten der Ur-Aufführung, Hans von Bülow, eine ambivalente Entscheidung. Die Sänger mussten zwar nie forcieren, allerdings fehlte dadurch diesem Tristan-Dirigat eine ganze Dimension. Das Orchester musste mit angezogener Handbremse musizieren. Somit fehlte das Überwältigende, Narkotisierende der Musik, weil Schirmer allzu viel Vorsicht walten ließ.

Sehr gut hingegen die Entscheidung, dass die komplette Bühnenmusik live gespielt wurde, was heute keine Selbstverständlichkeit ist.

Eines lässt sich bereits jetzt sagen: diese „Tristan“-Produktion wird entscheidend  durch das überragende Orchesterspiel des Gewandhausorchesters geprägt. Die stilistische Bandbreite dieses so wunderbaren Orchesters erscheint grenzenlos, ist es doch in der Oper ebenso zu Hause wie im symphonischen Repertoire. Konzentriert und ausdauernd zeigte das Orchester hohe Klangkultur. Wunderbare Soli, wie z.B. im langen elegischen Englischhorn-Solo des dritten Aufzuges, standen kompakte Tutti-Wirkungen gegenüber.

Das Publikum war hörbar angetan von der Produktion und feierte alle Mitwirkenden ausgiebig, lediglich schüchterne Ablehnungsversuche beim Team der Inszenierung.

Dirk Schauß

WIEN / Vestibül: THOMAS UND TRYGGVE

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WIEN / Vestibül des Burgtheaters:
THOMAS UND TRYGGVE von Tove Appelgren
Premiere: 6. Oktober 2019

Das Burgtheater des Martin Kusej hat für das „Kindertheater“ ein ganz dickes Bündel geschnürt. Nicht weniger als sieben Premieren gibt es in der ersten Saison in diesem von Anja Sczilinski geleiteten „Burgtheaterstudio“, einige davon reisen auch durch Wiens Schulen. Wie die Produktion von „Thomas und Tryggve“ der finnisch-schwedischen Autorin Tove Appelgren. Anja Sczilinski hat das Stück für zwei junge Schauspieler schon am Münchner Residenztheater inszeniert, nun findet es in Wien in anderer Besetzung entweder den Weg ins Vestibül oder in die Schulklassen. Mögen die Kinder dort ebenso lebhaft Anteil nehmen, wie es bei der Premiere an einem Sonntagnachmittag der Fall war.

Man braucht wenig für dieses Stück (Bühnenbild: Bärbel Kober / Kostüme: Eva Bienert): eine Schulbank und ein paar Bretter, unter denen man abtauchen und nötigenfalls „verkleidet“ wieder auftauchen kann, ein paar Wäscheleinen, von denen man das eine oder andere Accessoire „pflückt“. Denn die beiden Darsteller der Titelhelden, zwei Schuljungen, bekommen noch einiges sonst zu spielen: den betrunkenen, proletarischen Vater von Thomas; die überfürsorgliche Mutter von Tryggve; Maki, die Art von aggressivem Rüpel, den es offenbar in jeder Schule gibt; Frieda, das Mädchen, in das Thomas sich so sehr verguckt; und Lehrer sind auch noch dabei. Und das muss mit minimalsten Mitteln bewältigt werden.

Neben diesem Theater-Kunststück geht es eigentlich ganz ernsthaft ums Kindsein: in die Schule gehen, Auseinandersetzung mit den Eltern, die Frage, wie man sich den Alltagsproblemen, die keinem erspart werden, stellt. Und wenn Tryggve, weil seine Mutter so sorglich ist, Strumpfhosen tragen muss und von allen dafür verlacht wird – dann muss sich Thomas entscheiden, ob er den Freund feige verleugnet oder zu ihm steht? Kurz, die Autorin, bekannt für ihre Kinderbücher, bietet den jugendlichen Zuschauern erkennbare Situationen.

 

Das Burgtheater hat aus dem Pool des begabten Nachwuchses, der in unseren Schauspielschulen in den Startlöchern steht, besonders erfolgreich gefischt: Enrico Riethmüller ist Thomas, der so gern stark sein will, aber es eigentlich nicht ist (und unter seinen Nebenrollen am amüsantesten als besorgte Mutter), Anton Widauer (der schon im Volkstheater als junger Werther auf sich aufmerksam gemacht hat) muss sich als zart besaiteter Tryggve mobben lassen, legt als der Vater von Thomas Wiener Jargon aus der untersten Lade an und braucht nur eine Haarspange, um die sympathische Frieda zu sein…

Die Kinder im Vestibül waren mit Feuereifer bei der Sache, spielten auch mit, wenn sie es gar nicht sollten, und haben in einer ungemein gut gemachten, lebendigen Dreiviertelstunde Theater zweifellos viel von sich selbst gefunden.

Renate Wagner

PRAG/ Ständetheater: LOLITA von Rodion Shchedrin. Premiere

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Rodion Shchedrin: „Lolita“ (Premieren am 3 & 5.10.2019 im Prager Ständetheater)

Rodion Shchedrins Oper „Lolita“ erlebte erst wenige Produktionen. 1992 als Auftragswerk des weltberühmten Cellisten und Dirigenten Mstisilav Rostropovich komponiert, ließ sich die Uraufführung an der Pariser Bastille-Oper nicht realisieren, so dass das Werk 1994 an der Königlichen Oper in Stockholm (in schwedischer Sprache, unter Rostropovich) erstmalig zu sehen war. Zu hören war es dann in konzertanter Form 2008 beim Rostropovich-Festival in Samara und am Mariinsky-Theater, beide Male unter Leitung Valery Gergievs, bevor es erst 2011 die nächste szenische Produktion in Wiesbaden gab (in deutscher Sprache). Erstaunlicherweise unterschlägt der deutsche Verleger des Komponisten, dass es zwei weitere Inszenierungen gab: 2003 in Perm und 2004 an der Novaya Opera, Moskau. Somit ist die Prager Produktion außerhalb Russlands erst die dritte und die erste in russischer Sprache.

In einem Interview erzählte Rodion Shchedrin, dass für die Stockholmer Premiere die Bewerberinnen für die Titelrolle ihm und dem Dirigenten im Badeanzug vorsingen mussten. Verständlich, dass man für Lolita, die in Vladimir Nabokovs Romanvorlage zu Beginn der Handlung 12 Jahre alt ist, keine Sängerin mit der Figur einer Wagner-Heroine haben wollte. Diesbezüglich brauchte man bei der Prager Lolita keine Bedenken zu haben.


Pelageya Kurennaya (Lolita) und Piotr Sokolov (Humbert). Foto: Petr Hornik

PELAGEYA KURENNAYA, die am St. Petersburger Mariinsky-Theater so etwas wie eine Shchedrin-Spezialistin ist, ist ein wahrer Glücksfall für diese Produktion. Von Figur und jugendlicher Ausstrahlung her nimmt man ihr völlig die Kindfrau ab, der der ältere Literaturprofessor Humbert Humbert verfällt, so dass sie Lolita nicht zu spielen braucht – sie ist Lolita! Eine eindringliche, ausdrucksstarke, faszinierende stimmschauspielerische Leistung, die den Zuschauer mit auf die Reise nimmt von der Verführten / Verführenden des Beginns bis hin zur an der Geburt ihres Kindes Sterbenden des Endes der Oper.

Stimmlich war Pelageya Kurennayas Leistung gleichfalls makellos. Die Vorstellungen des Komponisten erfüllend, war sie ein junger lyrischer Sopran mit Koloratur mit einem ganz aparten Timbre von hohem Wiedererkennungswert. Gewohnt, sich in ihren anderen Shchedrin-Rollen (Zamarashka in „Christmas Tale“, Floh in „The Lefthander“) in Pianissmo-Höhensphären zu bewegen, schien sie es zu genießen, dass der Komponist ihre Rolle in einer „normaleren“ Tessitura geschrieben hatte. Mit ihrem rollengemäß fragil geführten Sopran (viele Höhen-Pianissimi), der aber tragfähig genug war, um klar über das Orchester zu kommen, war sie von Stimme wie Ausstrahlung eine ideale Lolita.            


Piotr Sokolov (Humbert) und Pelageya Kurennaya (Lolita). Foto: Petr Hornik

Es machte den Rang dieser Aufführungen aus, dass es dem Prager Nationaltheater gelungen war, ein ausgesprochen homogenes Stückensemble für diese Neuinszenierung zu verpflichten. Humbert Humbert war mit dem Russen PETR SOKOLOV besetzt, zu dessen aktuellem Repertoire solche Kavaliersbaritonpartien wie Posa, Yeletsky oder Barbiere-Figaro gehören. Mit seinem angenehmen, wohlklingenden Material fand ich ihn mehr vokal als darstellerisch überzeugend. Anfangs zu zurückhaltend, zu steif, gewann er als Schauspieler erst im zweiten Teil mehr an Profil, in dem er nach dem Unfalltod von Lolitas Mutter mit seiner Stieftochter durch die USA reist, um sie letztendlich zu verlieren. Beide Protagonisten hatten die Aufgabe übernommen, ihre umfangreichen, vokal wie emotional belastenden Rollen mit nur einem Tag Pause an beiden Premierenabenden singen zu müssen. Kompliment, dass es ihnen gelang, ihre Leistung ohne Abstriche zu wiederholen, sie sogar (Kurennaya) noch zu steigern.

Die anderen beiden Protagonisten, Lolitas Mutter Charlotte und der Filmproduzent Clare Quilty, waren alternativ mit russischen (3.10.) und tschechischen (5.10.) Interpreten besetzt. Beide Charlotte-Sängerinnen, DARIA ROSTISKAYA wie VERONIKA HAJNOVÁ, besaßen dieselbe attraktive Ausstrahlung der Frau, die von Humbert als die „schlechteste Version von Marlene Dietrich“ bezeichnet wurde, während die russische Mezzosopranistin noch ein gewisses Plus dadurch hatte, dass sich diese Sinnlichkeit auch im Timbre widerspiegelte.


Der Komponist mit seinen beiden Protagonisten. Foto: Archiv Sune Manninen

Mit Clare Quilty, dem mehr an Jungen als an Mädchen interessierten, dazu impotenten Filmproduzenten, der Lolita in Pornofilmen spielen lässt, hatte man zwei Sänger betraut, die sich ihrer Partie von total gegensätzlichen Polen näherten: mit dem russischen Charaktertenor ALEXANDER KRAVETS und dem tschechischen Tenor ALE BRISCEIN, der ein weit gefächertes Repertoire von Mozart bis hin zum Lohengrin singt. Beide meisterten auf ihre Art die vertrackt hoch notierte Tessitura ihrer Rolle gleichermaßen hervorragend. Von der Regie in der Darstellung grotesk überzeichnet, wurde zumindest mir nicht klar, warum Lolita von Quilty (in den englischen Obertiteln) singt: „Quilty broke my heart, Humbert broke my life“. Eine frühreife Nymphe, die ihren Stiefvater geradezu zum ersten Sex mit ihm provoziert, sollte sich ihr Herz von diesem Monster Clare Quilty brechen lassen?

Die diversen Episodenrollen waren mit tschechischen Künstlern besetzt, von denen besonders die Damen mit klangvollen Stimmen auffielen.

Der Erfolg dieser Neuinszenierung hatte an beiden Abenden viele „Väter“. Natürlich abgesehen von der Komposition des beide Male anwesenden Komponisten und dem gut abgestimmten Solistenquartett war es die musikalische Leitung der Aufführung, die begeisterte. Shchedrins Komposition bedeutet harte Arbeit für alle, auch für die Zuhörer. Seine erste Oper („Not Love Alone“) und seine letzte („A Christmas Tale“) sind mit Sicherheit vergleichsweise eingängiger, einfacher wiederzugeben, aber auch einfacher zu „verdauen“. Es war faszinierend mitzuerleben, wie der junge Dirigent SERGEY NELLER, 2016 Gewinner des 2. Preises beim Gustav-Mahler-Dirigierwettbewerb, Bühne und Graben schlagtechnisch perfekt zusammenhielt, jeden Sänger mit exakten Einsätzen bedenkend und die ebenso komplexe wie kompakte Partitur so auffächerte, dass sie nie das Bühnengeschehen dominierte. Ich bin sicher, dass dieser Dirigent, der auch Pianist und Komponist ist (u.a. von zwei Opern) am Anfang einer großen Karriere steht. Es wird interessant sein, seinen Weg zu verfolgen.


Dirigent Sergey Neller, Lolita Pelageya Kurennaya und Regisseurin Sláva Daubnerová. Foto: Archiv Sune Manninen

Wie in Wiesbaden 2011 war die szenische Umsetzung auch in Prag einer Frau anvertraut, der Regisseurin SLÁVA DAUBNEROVÁ. Shchedrins Oper ist nicht nur musikalisch, sondern auch szenisch schwierig zu realisieren, die Erzählebene ständig wechselnd, zwischen der Retrospektive (das Stück beginnt bei Shchedrin mit der Gerichtsverhandlung, in der Humbert Humbert zum Tode verurteilt wird) und der Gegenwart der Handlung. Viele kurze, kleinformatige Szenen erfordern eine Bühnenbildlösung, die raschen Szenenwechsel zulässt. Dies ist dem Team um Sláva Daubnerová maßstäblich gelungen: BORIS KUDLIĈKA (Bühnenbild), NATALIA KITAMIKADO (Kostüme) und den für die Videoart verantwortlichen DOMINIK ŽIŽKA und JAKUB GULYÁS. Durch den Kunstgriff der Videoprojektionen konnte Frau Daubnerová meisterhaft, die verschiedenen Ebenen zu verklammern. Sie formte aus jeder Rolle in der Personenführung klar umrissene Charaktere, und wenn das Buch wie auch die Oper von Sex handeln, so gibt es im ganzen Stück im Grunde nur zwei „Sexszenen“, die von dieser Regisseurin wohltuend dezent, äußerst geschmackvoll, nicht voyeuristisch umgesetzt wurden, wenn Lolitas „Footjob“ bei Humbert eine Ejakulation verursacht bzw. wenn Lolita ihren Stiefvater so lange reizt, bis dieser nicht an sich halten kann und sie vergewaltigt.

Das Stück sowie seine musikalische wie auch szenische Umsetzung übten eine ungeheure Faszination aus, bewegten mich tief und machten es mir schwer, mit in den Jubel einzustimmen, der mir am zweiten Abend die heimischen Künstler patriotisch etwas bevorzugend vorkam. In der ersten Premiere blieben nach der Pause diverse Plätze leer, bei der zweiten schon von Anbeginn. Trotzdem: diese beiden Aufführungen hinterließen bei mir einen unauslöschlichen Eindruck, ebenso hörens- wie sehenswert.  Der Komponist kann hoch zufrieden sein, solch ideale Interpreten für SEINE Lolita gefunden zu haben. Bravi tutti!

Sune Manninen

DORTMUND/ Konzerthaus: MIRGA GRAŽINYTE-TYLA und das CITY OF BIRMINGHAM SYMPHONY ORCHESTRA mit Michael Tippetts A CHILD OF OUR TIME

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Copyright: Pascal Amos

DORTMUND / KONZERTHAUS: MIRGA GRAŽINYTE-TYLA und das CITY OF BIRMINGHAM SYMPHONY ORCHESTRA mit Michael Tippetts A CHILD OF OUR TIME
5.10.2019 (Werner Häußner)

Am Konzerthaus Dortmund ist eine neue Exklusivkünstlerin angetreten: Die aus Litauen stammende, erst 32jährige Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla begann diese drei Jahre währende Partnerschaft mit einem erfreulich ungewöhnlichen Programm: Mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra und Chor stellte die seit 2016 amtierende Chefin des renommierten britischen Klangkörpers zwei Werke vor, die Leiden an dem Terror, der vor 80 Jahren Europa und wenig später die Welt überzog, mit den Mitteln der Kunst formulieren: Benjamin Brittens Sinfonia da Requiem op. 20 und Michael Tippetts „A child of our time“, beide in den ersten Jahren des Zweiten Weltkriegs entstanden.

Obwohl ihr Name komplizierter zu schreiben als auszusprechen ist, wird Gražinytė-Tyla ein wenig anbiedernd als „Maestra Mirga“ vorgestellt und ein Nähe zum Publikum suggeriert, die sie – anders als ihr mit „Andris“ beworbene Vorgänger beim Birmingham Orchestra und jetzige Gewandhauskapellmeister Nelsons – in Dortmund mit Charme und in einwandfreiem Deutsch einlöst: In Michael Tippetts Oratorium sind fünf Spirituals eingearbeitet; bei zweien war das Publikum zum Mitsingen eingeladen und „Mirga“ dirigierte mit dem Rücken zum Orchester mit sichtlichem Vergnügen das durchaus animierte Publikum in „Steal away“ und „Deep river“.

Das war’s mit dem – in diesem Fall recht sympathischen – Populismus. Denn weder Brittens kurioserweise zum 2600. Jubiläum des japanischen Kaiserhauses in Auftrag gegebene Trauermusik noch Tippetts zwischen Zeitbezügen, Jung’schen Archetypen und christlicher Erlösungshoffnung changierendes Oratorium finden sich häufig auf Konzertprogrammen. Eine willkommene Begegnung mit zwei eher den Eingeweihten – wenigstens dem Namen nach – bekannten Werken.

In der direkten Konfrontation wird deutlich, warum Benjamin Britten allen anderen britischen Komponisten des 20. Jahrhunderts den Rang abläuft: Er schreibt die individuellere, ingeniösere Musik mit dem gewissen Etwas, das unschwer zu hören, aber unendlich schwer zu beschreiben ist. In seinem rein instrumentalen Requiem ist das an der Klangfarbendramaturgie der großen „Lacrymosa“-Steigerung zu erleben, an der emotionalen Wirkung des hartnäckig wiederholten, gedämpften Trompetensignals, an der überwältigenden Wirkung des Klangs des Saxophons, an den die Form abrundenden Paukenschlägen, die den schweren Gang eines Trauerkondukts vorgeben. Schließlich auch an den rhythmisch atemlosen Streichern, am Absterben jeder Melodik im „Dies irae“-Satz und an der leuchtenden Transparenz des kammermusikalisch verfeinerten „Requiem aeternam“-Epilogs. Mirga Gražinytė-Tyla und das Orchester verstehen sich glänzend, gestützt durch die nicht gerade sparsame, aber stets auf den Punkt zielende Zeichengebung der Litauerin. Nein, die Dirigenten-Show zieht die Maestra wirklich nicht ab.

Nun gibt es aber neben diesem komponierenden Jupiter noch andere Sterne am britischen Musikhimmel. Dass sie in seinem Glanz gefährdet sind, dass sie beim ersten Blick als blass erscheinen, ist ein ungnädiges, unverdientes Schicksal. Tippett teilt es mit Zeitgenossen wie William Walton, aber auch mit der Generation vor ihm, zu der etwa Arnold Bax mit seinen farbenschillernden Orchesterpoems oder der gerne als allzu distinguiert eingeschätzte Ralph Vaughan Williams gehören, den allein seine Fantasie auf ein Thema von Thomas Tallis und seine „Greensleeves“-Bearbeitung einen dauerhaften Platz im Repertoire sichern.

„A child of our time“ ist nach einer Aufführungswelle in den neunziger Jahren heute wieder eine Rarität. Tippett stellt sich mit der dreiteiligen Form und mit der Funktion von Soli und Chören bewusst in die Oratorientradition von Bach und Händel, reizt die Tonalität aus, ohne sie in fernere Gefilde zu überreizen, bleibt im Chorklang dem treu, was etwa Edward Elgar vorgeformt hatte. Die „Turba“-Chöre Bachs sind vernehmbar, nicht aber dessen Choräle: Auf der Suche nach einer zeitgemäßen Form gemeindlichen Bekenntnisses stieß Tippett durch – wie er selbst berichtet – Zufall im Rundfunk auf ein Spiritual und entschied sich, die afro-amerikanische Form religiöser Musik, eine Musik ausgebeuteter und geschundener Sklaven, in sein Oratorium einzubauen.

Tippett behandelt die traditionellen Melodien dabei nicht wie folkloristische Einschübe. Er verknüpft sie höchst kunstvoll mit seiner originären Musik, gibt ihnen eine je eigene Farbe: „Steal away“ als breit angelegten Chorsatz, „Nobody knows the trouble I see“ beschleunigt und rhythmisch geschärft, „Go down, Moses“ mit breitem Pathos, „Oh, by and by“ in der Form des „call and response“ in schwarzen Gemeinden mit der idiomatisch versierten Sopranistin Talise Trevigne, und als kompositorisch ausgefeilten Finalchor dann „Deep river“ – ein Gesang der Hoffnung, ein Hinweis auf das „gelobte Land“ jenseits des Jordans.

Reizvoll zu beobachten, wie sich bei Tippett musikalische Gestaltungselemente finden, die uns ein paar Jahre später etwa auch in Brittens „Peter Grimes“ wieder begegnen, etwa das feine Flirren der Geigen, wenn Joshua Stewart mit kraftvollem, sensibel abfärbendem Tenor von seinen an der grauenvollen Wirklichkeit zerbrochenen Träumen singt. Oder der ostinate Paukenrhythmus zum weit gespannten Quartett der Solisten, zu denen noch Felicity Palmer mit vibratoreichem, gesättigtem Alt und Brindley Sherratt mit klar fokussiertem Bass gehören.

Die Sympathien des politisch engagierten Komponisten gehörten den Menschen auf der dunklen Seite des Lebens, den Verfolgten, Ausgebeuteten, Chancenlosen. Ödön von Horváths Roman „Ein Kind unserer Zeit“ gibt dem Werk den Titel, die tödlichen Schüsse des 17jährigen Herschel Grynszpan auf einem deutschen Diplomaten in Paris – für die Nazis willkommener Anlass zu den Pogromen der „Reichskristallnacht“ – stoßen die Reflektion über die gesellschaftliche Repression an, die einen verzweifelten Jungen zum Mörder werden lassen: das „child of our time“.

Dass Tippett kein Doku-Oratorium schreibt, ist ein Vorteil: Die Thematik des Sündenbocks, die gewalttätigen Reaktionen der Masse, auch die christlichen Assoziationen öffnen das Stück für die Gegenwart. Mirga Gražinytė-Tyla dirigiert mit flammendem Engagement, führt den Chor, der sich durch einen klaren Klang fern jeden „romantischen“ Murmelns auszeichnet, mit deutlichen, großen Bewegungen. Das Orchester, das 2005 unter Tippetts Leitung eine Einspielung aufnahm, demonstriert tadellose Qualität. Ein Einstand, der gespannt auf die nächsten Konzerte blicken lässt.

Werner Häußner

Film: JOKER

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Filmstart: 11. Oktober 2019
JOKER
USA / 2019
Regie: Todd Phillips
Mit: Joaquin Phoenix, Robert De Niro u.a.
Wenn er in hektische Lachattacken ausbricht, tut er es nicht, weil er bösartig, zynisch oder gemein ist: Es ist eine Krankheit, vergleichbar dem Tourette-Syndrom, nur dass es sich „Pseudobulbar Affect“ nennt. Kurz, der lachende „Joker“ ist in seiner jüngsten Leinwand-Verkörperung nicht dämonisch-abgründig (wie man ihn von Jack Nicholson im „Batman“-Film in Erinnerung hat). Tatsächlich bietet Regisseur Todd Phillips weit weniger eine Super-Bösewicht-Oper oder eine weitere Hochglanz-Verfilmung aus dem Comic-Kosmos als vielmehr – eine Krankengeschichte. Man könnte Arthur Fleck, der eigentlich nur ein mäßiger Unterhaltungskünstler mit Clown-Schminke ist, fast bedauern und tut es eine zeitlang auch, bis die Verbrechen, die er begeht, allzu schaurig werden…

Dennoch – das Besondere, das durch gezielte Werbung vermittelt wurde, ist der Film nicht, auch wenn das Publikum in den USA es glaubte: Rund 85 Millionen Euro am Startwochenende eingespielt, das ist stark. Was ist sonst noch stark an diesem Film, als dessen Vorbilder immer wieder Scorseses „Taxi Driver“ und „King of Comedy“ genannt werden, was man besser nicht tun sollte? Immerhin hat der Regisseur (der für die schrecklich dummen „Hangover“-Filme verantwortlich zeichnete und bisher offenbar nur Unsinn im Kopf gehabt hat) gegen das Klischee der Comic-Filme gearbeitet. Mit dem Ergebnis, dass Sozialdrama und „Psychiatrie aus dem Lehrbuch“ des Mannes, dessen Geschichte man (von der Überlieferung her)  nicht kannte und dessen Hintergrund  hier folglich freu erfunden werden konnte, so aufregend nicht sind.

Man begegnet Arthur Fleck als klassischem Underdog in einer ziemlich scheußlichen Welt. Dabei sieht Gotham City in den 80er Jahren – von Müll und Rattenpest zerfressen – gar nicht so fremd aus, heruntergekommene Viertel in amerikanischen Städten heute bieten denselben Look. Und ein Mann wie Fleck ist vielfach Produkt dieser Welt. Zwar kümmert sich anfangs noch eine Therapeutin / Sozialarbeiterin um den ehemaligen Psychiatrie-Insassen, lässt ihn seine Gedanken in ein Heft schreiben, gibt ihm Medikamente, aber dafür ist bald kein Geld mehr da. Daheim hat er eine alte Mutter, um die er sich rührend kümmert, um später zu erfahren, dass er adoptiert ist, von ihr missbraucht wurde und viele seiner Komplexe auf sie zurückgehen (da ist er dann schon so weit, sie dafür zu ermorden). Beruflich arbeitet er gern als Clown, noch lieber im Krankenhaus bei Kindern als auf der Straße, aber so richtig geschätzt wird er in dem Job nicht. Der Außenseiter, der mit sich selbst spricht, vor sich hin tanzt, immer irgendwo zwischen Realität, Erinnerung, Phantasie. Im harten Leben abgewiesen, gedemütigt, verachtet – alles, was das Sozialdrama zu bieten hat, Arthur Fleck bekommt es reichlich.

Und man weiß ja, was rauskommen kann, wenn solch eine arme Haut eine Waffe in die Hand bekommt – er wird sie auch benützen, zuerst in der U-Bahn, wo drei mutwillige Wallstreet-Yuppies ihn höhnen und dafür niedergeschossen werden. Und von da an geht es bekanntlich ganz leicht, seiner Aggression freien Lauf zu lassen… das ist Alltagsrealität, zumal in den USA.

Und da ist noch ein Handlungsstrang, den Robert De Niro verwaltet, allerdings der größte Schauspieler von allen total unterfordert: Er spielt den prominenten Moderator einer Talk-Show, bei der sich Fleck aus dem Publikum meldet, nur um dann als lächerlich vorgeführt zu werden. Wenn Fleck später diese Show benützt, um sich seiner Mordtaten zu rühmen, dann wird die Geschichte tatsächlich unheimlich. Sie ist es auch noch, als er im Polizeiauto mitten in den Aufstand gerät, den er in Gotham City verursacht, so dass alles noch kaputter erscheint als zuvor, Feuer, Chaos, marodierende Menschenmassen, die sich Clowns-Masken überziehen, um die Reichen zu attackieren (darunter jener Mr. Wayne, dessen Sohn einmal Batman sein wird – aber das weiß man aus Kinogeher-Erfahrung, erzählt wird es nicht) … die politische Aussage wird als Tüpfelchen auf dem „i“ noch geliefert.

Da hätte es einige gute Gelegenheiten gegeben, den rund zweistündigen Film zu beenden. Aber der Regisseur zerrt und zerrt die Story sinnlos weiter, bis unser tragischer Held im Irrenhaus in eine Art Licht eingeht, das mystisch wird – und mit dem Irrationalen hat man es ja nicht eben gehalten?

Nun zu Joaquin Phoenix, der weniger der Joker ist als – natürlich –  das Trumpf-As des Films: Zwar sind Borderline-Persönlichkeiten nicht allzu schwer zu spielen, weil sie keine direkte psychologische Entwicklung durchlaufen müssen, sondern eben schockhaft mal so, mal anders ausbrechen dürfen und im Alltag eigentlich nur ein bisschen „irrlichtern“ müssen (was bald ein Schauspieler schafft). Dass Joaquin Phoenix mit seiner hier hageren Struktur (26 Kilo für einen Film abzunehmen, ist auch eine Leistung), grimassierend, hektisch lachend und gelegentlich auf Mitleid spekulierend, hier den Seiltanz zwischen bemitleidenswert und bedrohlich schafft, so dass man als Zuschauer zwar nie weiß, was man von ihm zu halten hat, ihn aber auch nicht gleich zu den „Bösen“ verwirft – das bekommt er tadellos hin. Man soll ihm dafür bloß nicht den „Oscar“ in die Hand drücken, so toll ist es dann auch wieder nicht.

Im Endeffekt ist das Beste an „Joker“ das, was die Presseabteilung in Hollywood hier geleistet hat: Ein Publikum so neugierig zu machen, dass es Millionen und Abermillionen Dollars in die Kinokassen fließen lässt, ist schon eine Leistung. Und das, indem man verschweigt, was der Film ist: nämlich keine glitzernde, dämonische Bösewicht-Story, sondern eine traurige, alltägliche Krankengeschichte ohne Happyend. Ein Film, der übrigens so zwiespältig ist, dass die Kritiker-Reaktionen von Begeisterung bis zu „Enttäuschung des Jahres“ reichten.

Renate Wagner

FRANKFURT/ Oper: MANON LESCAUT . Premiere

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Foto: Barbara Aumüller

Frankfurt: Manon Lescaut 6.10.2019  Premiere

Dass Regisseur Alex Ollé von der katalanischen Gruppe Fura dels Baus ‚Manon Lescaut‘, erstes Hauptwerk Puccinis, in die heutige Zeit versetzen würde, davon war auszugehen. Daß er das langfristige Scheitern einer Liebe par excellance so fulminant mit aktuell-brisanten politischen Vorgängen verquickt auf die Bühne hievt, verlangt Respekt. Nach Puccini, dem Librettisten Illica und dem zugrundeliegenden Roman von Abbe Prevost soll das Mädchen Manon in ein Kloster verbracht werden, was früher ja häufig vorkam, heute aber nicht mehr. Als Konsequenz wurde in der Neuinszenierung der Grund für die Flucht zweier junger Verliebter in dem Status der Geschwister als Flüchtlinge gesehen, und Manon, die jüngere, von ihrer Mutter in einem Brief dringend zur Rückkehr aus familiären Gründen aufgefordert. Das wird im Vorspann eines Videos (Emmanuel Carlier) geschildert, in dem auch Bilder vom Arbeitsplatz von Mutter und Tochter in einer Textilfabrik und von einem nächtlichen Fußmarsch der Flüchtlinge, bei der sie Zäune überqueren müssen, eingeblendet werden. Der Wirt in dem Gasthof, wo sie im Original landen, ist hier der ‚Registrator‘ der die ankommenden Flüchtlinge an einer Kasse registriert und ihr Gepäck in Verwahrung nimmt. Dann mischen sie sich in einem Boulevardcafé unter die Leute, und da passiert es, daß sich Manon in den Studenten Des Grieux verliebt. Ihr Bruder, der sich gleich daran gemacht hat, ihre Rückführung in die Wege zu leiten, und der Nachtclubbessitzer Geronte, der die Schöne mithilfe des Studenten Edmondo nach Paris lotsen will, werden beide getäuscht und überrumpelt durch die Flucht Des Grieux‘ mit Manon. Diese hält es aber mit dem armen Studenten nicht lange aus, es kommt doch noch Geronte mit seinem Nachtclub zum Zug, in dem Manon eine gefragte Tänzerin wird.Der Rest der Geschichte spielt sich dann mehr oder weniger wie im Original ab, wobei der 3.Akt, wo Manon im Gefängnis sitzt, aber in der Spannung nachläßt. Die Gitterkäfige ermöglichen wenig Einblick, so daß man die Prostituierten kaum sieht, vorne wird nur der scheiternde Befreiungsversuch von des Grieux und Lescaut in Szene gesetzt. Die Einschiffung bzw. Ausweisung per Flugzeug der Mädchen, sowie der hämisch kommentierende gute Chor, der aus dem Off singt, werden nicht gezeigt. Der 4.Akt spielt dann auf der leeren aber brisant ausgeleuchteten Bühne (Licht: Joachim Klein), und Manon placiert sich, während Grieux Wasser sucht, auf dem E von LOVE, dessen turmhohe Buchstaben auf der Drehbühne auch in den vorhergehenden Akten das Bühnenbild von Alfons Flores prägten.  Die Kostüme sind natürlich authentisch heutig, wie sie auch die Flüchtlinge tragen, im 2.vertauscht Manon Jogginghose mit goldenen Samttops und Minis, während die tutti-Stangentänzerinnen aber in schwarzen Bikinis im gnädigem Dunkel auftreten (Kostüme: Lluc Castells). 

Bei diesem frühen Puccini-Reißer kann man/frau musikalisch eigentlich nicht viel falsch machen. So zeigt sich  das Opernorchester in bester Form und reizt die immer wieder kehrenden Klangeffekte fast wolllüstig aus. Der junge Dirigent Lorenzo Viotti hat alles hervorragend im Griff und antizipiert und ordnet z,B. das grundtraurige Vorspiel 3.Akt im orchestralen Stimmengewühl.

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Foto: Barbara Aumüller

Für die Titelrolle wurde eine ausgezeichnete Sängerin besetzt. Die junge Lettin Asmik Grigorian, schon mit Preisen überhäuft, scheint für die Inszenierung wie geschaffen, da sie wie ein heutiges blondes It-Girl auftritt und die Hin- und Hergerissenheit zwischen Luxusleben und wahrer Liebe verkörpert. Dazu bringt sie eine große Sopranstimme mit enormem Umfang ein, die sie ganz ‚veristisch‘ auch hart und grob einsetzen kann. Auch dann schimmert aber das einnehmend mädchenhafte Timbre noch durch. Ihr Chevalier Renato ist der amerikanische Tenor Joshua Guerrero bei seinem Deutschlan-Debut. Gleich bei seiner Werbearie „Donna non vidi mai“ kann er mit schönstem Tenorschmelz und markant kräftiger Stimmgebung auch in den Höhen auftrumpfen und wirkt mit schwarzen Schmalzlocken wie ein Latin lover. Nach einem starken Auftritt im Etablissement gelingt es ihm, Manon zurückzugewinnen. Sein Einsatz  beim Befreiungsversuch und  seine darauffolgende Bitte, als ‚mozzo‘ (unterster Stewart) Manon begleiten zu dürfen, gerät herzzerreißend.

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Joshua Guerrero, Asmik Grigorian. Foto: Barbara Aumüller

Ähnlich charmant und vital kommt das Ensemblemitglied Iurii Samoilov in seiner ersten großen Rolle am Haus als Lescaut herüber. Dabei steht ihm ein wohllautender Spielbariton zu Verfügung, der sich in 3 Akten als ungemein tragfähig erweist. Der Geronte, gegeelt mit Sonnenbrille aber ohne Trenchcoat, wird von Donato Di Stefano als Baß der eher schleimigen Sorte gegeben. Der Edmondo des Michael Porter ist ein frischer aufstrebender Tenor. Den ‚Register-Wirt‘ gibt mit seinem knorrigen Charakterbaß und präzisem Spiel Magnus Baldvinsson. Der Musiker wird von Mezzosopran Bianca Andrew gegeben, und Tanzmeister/’Laternenanzünder‘ von Jaeil Kim/Santiago Sanchez tenoral. Die ‚autoritären‘ Sergeant und Kapitän zeichnen Bozidar Smiljanic und Pilgoo Kang als Bässe.                 

 Friedeon Rosén

 

MINDEN/ Stadttheater: DER RING DES NIBELUNGEN – jetzt das gesamte Bühnenfestspiel

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Minden Stadttheater  Der Ring des Nibelungen  –  jetzt das gesamte Bühnenfestspiel

 zweiter und letzter Zyklus  26. September bis 6. Oktober 2019

 Wenig vergleichbare Erlebnisse kann Theater bieten, als wenn innerhalb kurzer Frist hintereinander aufgeführt wird das Bühnenfestspiel  „Der Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner mit seinem Vorabend Das Rheingold und den drei Tagen Die Walküre, Siegfried und Götterdämmerung.

Dies wurde jetzt wieder nachvollziehbar sogar im kleinen Stadttheater Minden (Intendantin Andrea Krauledat). Als das Riesenprojekt dort vor vier Jahren mit der Aufführung des Rheingold begann, waren doch leise Zweifel zu hören, ob es bis zur Götterdämmerung weitergeführt werden könne. Nicht nur gelang dies grandios, sondern als gewaltiger  krönender Abschluß konnte in diesem Jahr zweimal das gesamte Werk zyklisch aufgeführt werden.

Mehr als bei Aufführung der einzelnen Teile wurde deutlich, daß die stimmige Inszenierung von Gerd Heinz  eben nicht nur für den jeweiligen Abend, sondern von Beginn an auf die gesamte Handlung konzipiert war. Der das Bühnenbild von Frank Philipp Schlössmann beherrschende jeweils in verschiedenen Farben leuchtende Ring  im grossen Viereck  (Licht Michael Kohlhagen)  paßte als Rahmen für alle vier Abende, ergänzt durch zahlreiche, den szenischen Erfordernissen und der verhältnismässig kleinen Spielfläche angepaßte Einbauten, über Treppen zu erreichende Anbauten und Unterbauten. Den größten Teil der Bühne nahm wie bei allen bisherigen Wagner-Aufführungen das hinter einem Gazevorhang sichtbare Orchester ein.


„Das Rheingold“. Copyright: Friedrich Luchterhandt

Der zeitlich kurze Abstand zwischen den Aufführungen machte auch die Entwicklung der Kostüme parallel zu geschichtlichen Epochen  noch sinnfälliger (auch Frank Philipp Schlössmann) , nämlich vom vorzeitlichen Einheitsgrau im Rheingold, über das teils vornehme Mittelalter in der Walküre, über Techniker und Jäger in zerstörter Natur im Siegfried bis hin zu schwarzer Kleidung und moderner Nachrichtentechnik wie Laptops für die Nornen in der Götterdämmerung. Als am meisten Leidtragende und Hauptakteurin behielt einzig Brünnhilde ihr leuchtend – rotes Kleid bei allen ihren Auftritten  bei bis auf  ein weisses Hochzeitsgewand für die kurze Zeit als Gunthers Braut. Auch die über der Bühne auf dem Gazevorhang  gezeigten Videos von Matthias Lippert zeigten eine ähnliche Entwicklung. Die  zeigten ausser dem bis zum Schluß immer wieder aufleuchtenden  Ring  erklärende Motive wie Stacheldraht, Spinnen, Hunde und Pferde, fallende Felsbrocken  oder Regenbogen  bis zu  Algorithmen (vielleicht auch Runen?) zu Beginn der Götterdämmerung.

Durch die Nähe der Spielfläche  konnte der  Regisseur in ausgefeilter Personenführung durch  kleine Gesten die Emotionen der Mitwirkenden dem Zuschauer viel direkter vermitteln, als wenn diese ein grosser Orchestergraben trennt. Dabei gelang es, neben den ja auch  manchmal etwas  heiteren alltäglichen  Verhaltensweisen darzustellen, daß es um den monumentalen  Kampf zwischen verderblicher Macht des Goldes und menschlicher Zuneigung ging und nicht nur um ein auf Pump gekauftes Haus.

Bei Besprechung aller Teile und jetzt natürlich vor allem beim gesamten Ring wurde zu Recht immer gepriesen die Leistung der aus Herford stammenden Nordwestdeutschen Philharmonie.

Einstudiert und geleitet von Frank Beermann wurde sie im Laufe der Aufführungen in Minden sich immer steigernd  zu einem hervorragenden Wagner-Orchester, das durch die Platzierung sichtbar hinten auf der Bühne  dem Besucher das musikalische Geschehen zusätzlich optisch verstärkte. Dies galt in ganz besonderem Masse für die Zwischenspiele, insbesondere natürlich im Siegfried und der Götterdämmerung.  Besonders erwähnt sei der Beginn des Rheingold  mit den hier sichtbaren Kontrabässen, der typische düstere Klang der Bläser etwa in den Vorspielen des Siegfried , immer wieder Einsätze der Klarinetten und Baßklarinetten oder das kantable Spiel der Violinen etwa im dritten Akt Siegfried oder der Celli beim Morgengrauen der Götterdämmerung. Auch gelobt seien Soli einzelner Instrumente  stellvertretend für viele das Solo des Cello in der Walküre, die immer makellos gespielten Hornrufe Siegfrieds oder die eigens angefertigten drei Stierhörner in der Götterdämmerung. Die Tempi differenzierte der Dirigent je nach Handlung zwischen ziemlich rascher Bewegung und Ruhepunkten, etwa der Fast-Stillstand zum Ende des Vorspiels der Götterdämmerung, in der dann später symphonische und polyphone Strukturen deutlich wurden. Ein Höhepunkt dieser Art war die vom hier sichtbaren Orchester gespielte Trauermusik zum Tode Siegfrieds.

Erfreulich war, daß für fast alle Rollen von Beginn bis zum Schluß dieselben Sänger verfügbar waren. Davon waren zwei insofern Stars des ganzen Rings, da sie in allen vier Teilen auftraten. Das galt vor allem für Thomas Mohr in den Rollen von Loge, Siegmund und der beiden Siegfriede.   Da gelangen schnelles Parlando im Rheingold , Legato-p-Kantilenen etwa in der Walküre und im dritten Aufzug Siegfried. Als Gunther verkleidet   konnte er  in der Götterdämmerung wenige Takte in seinem früheren Stimmfach  Bariton singen. Für Wälse-Rufe und beide Siegfriede verfügte er über  scheinbar unerschöpfliche heldentenorale Stimmreserven.


„Die Walküre“. Copyright. Friedrich Luchterhandt

Über diese  aber als Bariton verfügte auch Renatus Mészár als kraftvoll-überheblicher dann immer verzweifelter werdender Wotan,  als etwas humorvoller, zum Schluß dramatischer Wanderer und in der Götterdämmerung als eitler  Schwächling  Gunther. Perfekt paßte er das Timbre seiner Stimme der jeweiligen Situation an.

Als erst übermütig und jugendlich, dann ergreifend und gedemütigt im Spiel und in Bezug auf den  kleinen Theaterraum sehr hochdramatisch aber sehr präzise und mit leuchtender Stimme singend  gestaltete Dara Hobbs die zentrale Partie der Brünnhilde. Das beeindruckte besonders bei der Erweckung im Siegfried,  in den Verzweiflungsausbrüchen im zweiten Aufzug und dem feierlichen Schlußgesang im dritten Aufzug der Götterdämmerung bis zum stimmlich zurückgenommenen lang angehaltenen „Ruhe du Gott“ um dann noch einmal Grane vom hohen b zum tiefen es herunterwiehern zu lassen. Magdalena Anna Hofmann war stimmlich ergreifend als Sieglinde besonders im intensiven hehrsten Wunder. Zusätzlich übernahm sie die undankbare Rolle der Gutrune. Urmutter Erda war Janina Baechle.

Eindringlich sang Heiko Trinsinger im Rheingold als Alberich den unheilbringenden Fluch und übernahm diese Partie jetzt auch im Siegfried und der Götterdämmerung. Mime spielte intensiv und sang dazu passend wie schon vor zehn Jahren in Dortmund Jeff Martin. Mit ganz grosser Bassstimme und wenn nötig ebensolcher Bosheit darin gestaltete Andreas Hörl den Hagen.

Zwei kürzere aber entscheidende und publikumswirksame Rollen übernahm Kathrin Göring als selbstbewußte Fricka und verzweifelte Waltraute. Neben den eckigen  Bewegungen und passenden Koloraturen als Waldvogel trat Julia Bauer auch noch auf als Freia,  eine Walküre, eine Rheintochter  und dritte Norn. Christine Buffle und Tiina Penttinen ergänzten als Rheintöchter und Nornen das grosse Ensemble.

Wieder setzte sich der mächtig und exakt singende Mannenchor in der Götterdämmerung hinter dem Orchester platziert  aus ausgesuchten Laien und professionellen Sängern zusammen, einstudiert unter  der Bezeichnung Wagner Chor 2019 Minden vom Kantor Thomas Wirtz.


„Götterdämmerung/ 3. Aufzug. Copyright. Friedrich Luchterhandt

Der Untergang Walhalls wurde ausreichend  akustisch durch das jetzt in passender Beleuchtung sichtbare  Orchester  dargestellt. Zum  Erlösungsmotiv  betraten dann alle Mitwirkenden unerkannt die Bühne. Nach dem abschliessenden Des-Dur-Akkord erhob sich  nach kurzer Besinnungspause ganz starker Beifall mit vielen Bravos der zum Teil weit, sogar aus Australien und Schottland angereisten Zuschauer.  Dieser galt natürlich vor allem dem Dirigenten, dem Orchester, allen Sängern aber auf ausdrückliche Aufforderung durch alle auch  der Initiatorin  des Wagner-Theaters im kleinen Minden, Frau Dr. Jutta Hering-Winckler, der Vorsitzenden des örtlichen Wagner-Verbandes.   Auch dank ihres persönlichen Einsatzes konnten neben öffentlichen Mitteln wenige grosse und über 200 kleine Spender zur Finanzierung des gewaltigen Vorhabens gewonnen werden. Traurig wäre das, traun, wenn für diesen Aufführungen im Mindener Modell  (kleine Spielfläche vorne nahe am Zuschauer –  grosses Orchester sichtbar dahinter) mit soviel  ehrenamtlichem und privatem Engagement Waltrautes Ankündigung gelten müßte noch einmal zum letzten Mal!

Sigi Brockmann 8. Oktober 2019

 

 

 


MANNHEIM/ Rosengarten: 1. AKADEMIEKONZERT (Beethoven, Bruckner). Alexander Soddy; Christian Tetzlaff

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  1. Akademiekonzert im Mannheimer Rosengarten am 07. Oktober 2019

Ludwig van Beethoven | Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 61
Anton Bruckner | Symphonie No. 9 d-moll WAB 109

Solist: Christian Tetzlaff, Violine

Orchester des Nationaltheaters Mannheim

Besuchtes Konzert am 07. Oktober 2019 im Mannheimer Rosengarten

Beethoven in D-Dur und Bruckner in d-Moll. Zwei große Werke der Konzertliteratur standen im Mittelpunkt, des 1. Akademiekonzertes in Mannheim. Knapp einhundert Jahre liegen zwischen den beiden Werken des Abends.

Zu Beginn erklang das 1806 uraufgeführte Violinkonzert von Ludwig van Beethoven. Zu seiner Zeit war dieses Konzert so völlig anders, sehr umfangreich und mit reichlich musikalischem Subtext. Allein der erste Satz dauert mit knapp 30 Minuten so lange wie manches gesamte Violinkonzert. Pocht hier in den Pauken beständig die Revolution an?

Dieses hoch virtuose Konzert gehört zum Kernrepertoire aller Solo-Geiger. In Mannheim gastierte Christian Tetzlaff. Dieser konnte sich über eine rhythmisch sehr pointierte Einleitung freuen, die GMD Alexander Soddy mit dem konzentriert aufspielenden Orchester des Nationaltheaters realisierte. Dieses agierte hier in kleiner Formation, so dass diese vor allem die Luftigkeit und Transparenz das Klangbild prägten. Soddy sorgte mit deutlichen Akzenten, vor allem auch in den wiederkehrenden vier Paukenschlägen für die notwendige Spannung. Das „Allegro ma non troppo“ nahm Soddy, wie gefordert, nicht zu eilig. So konnte Christian Tetzlaff mit beseelter Kantabilität seine herrlich ausphrasierten Melodiebögen für sich sprechen lassen. Dabei ertönte sein Spiel schnörkellos und natürlich. In der Solokadenz nahm sich Tetzlaff viel Zeit, die ausgebreiteten Themen weiterzudenken und virtuos auszubreiten. Interessant war die gewählte Fassung der Solokadenz, die hier ein Dialog zwischen Solo-Pauke und Solo-Violine war. Christian Tetzlaff transkribierte diese selbst auf Basis der Klavierkadenzen Beethovens. Fortwährender Pulsgeber war der animierende Soddy, der mit seinem feinen Orchester stets den Dialog zum Solisten suchte. Und doch war es der unbedingte Wille von beiden Musikern auszuloten, wie sehr ein inniges Pianissimo gelingen kann. Und die Herausforderung gelang immer wieder atemberaubend. Es waren vor allem die vielen leisen Momente, die diese Interpretation so außergewöhnlich wirken ließ.

Das Larghetto wurde leise und getragen formuliert. Das Orchester agiert hier reduziert, da ein Teil der Bläser und die Pauken in diesem Satz schweigen. Ein intimer Ruhepunkt voller Anmut konnte so entstehen.

Wie groß dann der Kontrast in das beschließende Rondo, das zuweilen an Jagdmusik denken lässt. Voller Überschwang spielte Tetzlaff dann seine überragende Virtuosität aus, wiederum gekrönt durch eine ungemein schwierige Kadenz, die verblüffend selbstverständlich geriet. Das Orchester wurde von Soddy stürmisch vorangetrieben, was dieses Finale mitreißend wirken ließ.

Große Begeisterung für die Künstler. Tetzlaff bedankte sich beim Publikum mit einer feinen, getragenen Zugabe.

Neun Jahre arbeitete Anton Bruckner an seiner 9. Symphonie. Die „an den lieben Gott“ gewidmete Symphonie erlebte ihre dreisätzige Uraufführung im Jahr 1903 im Wiener Musikvereinssaal. Diverse Komponisten haben Versuche unternommen, den vierten Satz, der in einzelnen Skizzen erhalten blieb, zu rekonstruieren. Zumeist wird aber die unvollendete Version aufgeführt, so auch hier in Mannheim.

Groß ist der Orchesterapparat und kühn, neutönend die harmonische Weiterentwicklung in der Musik Bruckners. Soddy begann zunächst breit und feierlich, so dass ein echtes „Misterioso“ entstand. Gewaltig ertönten die klanglichen Ballungen in den choralartigen Bläserakkorden. Die Klangräume glichen gewaltigen Klangkathedralen und doch fand Soddy die notwendige Ruhe, den großen Atem, um Ruhepunkte zum gekonnten Spannungsaufbau zu nutzen. Pompös gesteigert dann die beeindruckende Coda, die alle Themen in eine offen endende Apotheose münden ließ.

Ein deutlicher Farbwechsel dann im folgenden Scherzo, das schatten- und fratzenhaft über den Zuhörer kam. Unerbittlich stampfende Dissonanzen in deutlichen Paukenschlägen, alles mehrmals gipfelnd in kompositorische Trugschlüsse. Sprunghaft und keck im rasanten Tempo dann das eigentümliche Trio, das wie ein flüchtiger Spuk mit teilweise bizarr anmutenden harmonischen Veränderungen eine ganz andere musikalische Landschaft eröffnet. Doch dann sind die stampfenden Dissonanz Akkorde zurück und der Satz endete mit einer brachial gesteigerten Coda. In diesem Satz ließ Soddy sein reaktionsschnelles Orchester geradezu entfesselt aufspielen. Ein befremdlicher Alptraum mit lichten Momenten. Was für eine Komposition!

Und dann öffnete sich das unendlich anmutende, ausladend dargebotene Adagio in seiner ganzen Klangweite. Meisterhaft gearbeitete kontrapunktische Melodiebögen in jenseitig klingenden Farbgebungen. Hier geben die Wagner-Tuben dem Satz eine besondere Erhabenheit und wirken in dem feierlichen Ernst äußerst eindrucksreich. Und doch ist der Gedanke des Endlichen, des Übertritts in eine andere Dimension bezwingend spürbar. Sicherlich hat Bruckner mit diesem Abschiedsgesang an das Leben große Zukunftsmusik geschrieben. In keinem seiner anderen Werke gibt es eine derart drastische Dissonanz, wie hier am Satzende in einem Tredezimakkord, der in seiner Klangballung eine niederschmetternde Wucht entfaltet. Aber es wäre nicht Bruckner, wenn dieser Satz nicht mit einem harmonischen Ausklang beseelt enden würde. So sind es abermals die Wagner-Tuben die das feierlich letzte Wort in dieser Meister-Symphonie haben.

Alexander Soddy zeigte erneut, dass er nicht nur ein sehr guter Operndirigent ist, sondern ebenso im Konzertrepertoire mit eigenen Interpretationsideen für besondere Momente sorgen kann. Erkennbar gut vorbereitet gestaltete er diesen symphonischen Koloss. Die Tempi wirkten angemessen, obwohl Soddy insgesamt eine zügige Gangart bevorzugte. Fein abgestuft nutzte er die ganze dynamische Bandbreite. Er erzielte so einen warmen und von Noblesse geprägten Orchesterklang. Dabei suchte er zudem immer wieder die Transparenz, die vor allem im Scherzo gelang.

Ein großes Lob muss an das hingebungsvoll spielende Orchester des Mannheimer Nationaltheaters adressiert werden. Die stilistische Bandbreite ist enorm und das technische Niveau bezwingend. An allen Pulten gab es herausragende, überzeugende Leistungen, vor allem im überreich geforderten Blech. Ein wunderbarer, warm tönender Klangkörper, der der Musik Anton Bruckners die notwendige Größe zukommen ließ.

Das Publikum wirkte berührt und feierte Alexander Soddy mit seinem Orchester gebührend.

Dirk Schauß,

 

STUTTGART/ Liederhalle: 1. SINFONIEKONZERT DES STAATSORCHESTERS

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C0rnelius Meister. Foto: Marco Borggreve

Erstes Sinfoniekonzert des Staatsorchesters Stuttgart in der Liederhalle/STUTTGART am 7.10.2019

Sphärenhaft und leuchtkräftig

Die unfassbare Leistung des jungen Wolfgang Amadeus Mozart, der im zarten Alter von acht Jahren seine erste Sinfonie in Es-Dur KV 16 schrieb, konnte man gleich zu Beginn dieses Staatsorchesterkonzerts bewundern. Cornelius Meister ließ mit dem Staatsorchester Stuttgart die chromatischen und kontrapunktischen Spitzfindigkeiten dieses frühen Meisterwerks regelrecht aufblühen. Da waren feine Arabesken, Kaskaden und Girlanden zu vernehmen, die schon auf spätere Kompositionen verwiesen. Anschließend sang die hervorragende Sopranistin Simone Schneider Sieben frühe Lieder für hohe Stimme und Orchester von Alban Berg. Bei den einzelnen Nummern „Nacht“, Schilflied“, „Die Nachtigall“, „Traumgekrönt“, „Im Zimmer“, „Liebesode“ und „Sommertage“ betonte Simone Schneider die feinen dynamischen Schattierungen, die sich wie ein harmonischer Baldachin über das Orchesterbett wölbten. Simone Schneider konnte diese Stimmungen mit ihrem voluminösen Gesang in wunderbarer Weise ausfüllen. So entstanden irisierende Visionen zwischen Nebelwolken und dem nächtlichen Tal. Das Übereinandertürmen der verschiedenen Themen wirkte gerade bei dieser Interpretation sehr eindrucksvoll. Rhythmische und klangliche Feinheiten wurden auch von Cornelius Meister mit dem Staatsorchester Stuttgart nicht nur bei den Arpeggien nuancenreich ausgekostet. Breit dahinströmende Steigerungen unterstrich Simone Schneider mit bemerkenswertem Timbre. Panchromatik und thematische Keimzellen ließen die spätere Zwölftontechnik schon erahnen.


Simone Schneider. Copyright: Matthias Baus

 

Sehr schön war auch die Wiedergabe der Sinfonie Nr. 4 G-Dur für großes Orchester und Sopransolo von Gustav Mahler, wo sich Simone Schneider wiederum in besonderer Weise profilieren konnte. Cornelius Meister bot hier zusammen mit dem einfühlsam musizierenden Staatsorchester eine eindringliche Wiedergabe. Das Werk wurde im Jahre 1900 vollendet. Selbstquälerische Problematik sucht man hier vergebens, denn Mahler wandelt in dieser Komposition deutlich auf den Spuren von Haydn und Schubert. Schlichte Innigkeit strahlte bei dieser gelungenen Interpretation deutlich hervor. Ein schwelgerischer Streicherklang machte sich breit, den Cornelius Meister ausgezeichnet auskostete. Simone Schneider besang die „himmlischen Freuden“ im Finale mit jubilierendem Glanz und stählerner Strahlkraft. Eine gute Kombination, die ihrer Wiedergabe besonderes Gewicht verlieh. Die erste Station der Reise zum Himmel wirkte heiter, Vogelruf und Schellengeläut schufen eine ausgelassene Stimmung. Zierlich verschnörkelt rief das Hauptthema den lächelnden Geist Wiens wach. Ein forsches Wanderlied erschien dann umso kräftiger, warm und schwärmerisch breitete sich das zweite Thema in den Bratschen aus. Seitenthemen erschienen plötzlich in reicher Füller, aber Cornelius Meister hatte mit dem Staatsorchester Stuttgart alles im Griff. Auch das Formschema des Sonatensatzes wurde hier nicht verwischt. Ein zart-verklärter Ausklang war vor den keck-fröhlichen Schlusstakten zu vernehmen. Die Solovioline wurde allerdings zur Fiedel des Todes, ihr Klang besaß die fahle Schärfe des Unheimlichen, weil sie einen Ton höher als üblich gestimmt ist. Die friedliche Region des Jenseits zog wie eine ergreifende Vision vorüber. Das ruhevolle Adagio zeichnete dann ein ernstes Bild des „Paradieses“. Die Melodien offenbarten aber auch Leid und Schmerz, was Cornelius Meister mit dem Staatsorchester exzellent unterstrich. Das überwältigende Bild entschwand schließlich wie hinter zarten Nebelschleiern. In blendender Lichtfülle überstrahlte die Verheißung des „Paradieses“ mit dem vorweggenommenen Hauptthema des Schlusssatzes das harmonische Geschehen. „Wir genießen das himmlische Leben“, verkündete Simone Schneider mit überwältigender Klarheit und Leuchtkraft – und in vier Strophen weitete sich das Lied zum wahrhaft himmlischen Konzert. Hier fehlten das Schellengeläut aus dem ersten Satz und der Engelsgesang aus Mahlers dritter Sinfonie nicht. Der Sopran sang von „Caecilia…dass alles für Freuden erwacht“. In stiller Ergriffenheit klang das Werk aus. Meister lauschte den Klängen gleichsam nach, glättete auch geringfügige Intonationsschwankungen der Bläser. Ovationen, Begeisterung.    

Alexander Walther

FRANKFURT/ Oper: MANON LESCAUT. Premiere

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Copyright: Barbara Aumüller

Frankfurt: „MANON LESCAUT“ – 06.10.2019

Nach langer Absenz hatte „Manon Lescaut“ (Giacomo Puccini) an der Oper Frankfurt in einer glanzvollen Aufführung wiederum Premiere und bescherte dem Haus erneut ein Highlight, an dessen Erfolg auch das spanische Produktions-Team beachtlichen Anteil hatte.

Der Regisseur Àlex Ollé verlegte die Handlung in unsere weltumspannende Thematik der Flüchtlingskrisen per Video-Einblendungen.  Emigranten, Manon und Lescaut befinden sich bereits im Airport-Transit. Das junge Paar findet sich, flieht sodann nahm das Verhängnis seinen Lauf. Geronte de Ravoir kein Chevalier eher ein Luis und Inhaber eines Erotic-Etablissements, die Ladies animieren mit Stables-Dance, Manon übt gekonnt und setzt sich äußerst attraktiv in Szene, sodann Verhaftung, Abschiebelager  und Deportation. Großartige Sänger-Darsteller standen Ollé zur Verfügung, allen voran besonders verstand es das unglückliche Liebespaar intensiv natürlich und glaubwürdig zu überzeugen. Die hoffnungslose Verzweiflung, jeglicher Perspektiven beraubt, inmitten der nun vordergründigen Lettern LOVE zu überdimensionierten bedrohlichen Beton-Pylons mutiert  in Zeitlupen-Rotation hauchte die Verdurstende ihr Leben aus, das ging dem Auditorium ringsum vernehmlich, gewaltig an die Nieren.

Alfons Flores entwarf die aufwendigen Bühnenkonstruktionen der vier Bilder zunächst den Transitraum des Terminals, das Interieur, die breite Treppe des Eros-Centers mit riesig prangenden Lettern LOVE. Deprimierend die Gitter-Container des Abschiebelagers und schließlich das bezwingende Finalbild. In großartiger Illumination  lenkte Joachim Klein das Auge des Betrachters auf besonders wichtige Momente der intensiven zwischenmenschlichen Dramaturgie. Die modischen Kostüme-Designs  kreierte Lluc Castells.

Vom lässigen Teenager wandelte sich Asmik Grigorian in unglaublicher Motorik zur agilen Tänzerin und beim Finale zur gereiften, sterbenden Frau. Dazwischen faszinierte die grandiose Sängerin mit mimischen Facetten und Ausdrucksnuancen die unter die Haut gingen, ob nun das junge scheinbar unbeschwerte Mädchen welches plötzlich mit der Wahl zwischen Liebe oder einem Leben im Reichtum konfrontiert wurde,  sich letztlich für den Mann ihrer Wahl entschied. Jedoch nicht nur szenisch verstand es Grigorian zu reüssieren nein die Sängerin bot ebenso vokal eine Glanzleistung. Jungmädchenhaft, klar, leuchtend im schier unendlichen Höhen-Kosmos aufblühend mit sicherem Gespür für fließende Puccini-Kantilenen interpretierte die Sopranistin diese unaufhaltsam Getriebene.  Asmik Grigorian bezauberte mit lyrischer Tongebung, vollendeter Phrasierungs- und Legato-Kunst gleichwohl und verstand es ebenso mit dramatischem Aplomb zu exaltieren. Kein Wunder das Publikum lag ihr zu Füßen und ließ in seiner Begeisterung die Wände erzittern.

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Copyright: Barbara Aumüller

 

Beinahe, jedoch nur beinahe stahl der junge Amerikaner Joshua Guerrero der Diva die Show. Der bereits in nordamerikanischen Opernhäusern gefeierte Tenor gab sein deutsches Debüt und verstand es in Kombination von strahlkräftiger Vokalise, lyrisch feinen Tönen, sinnlich timbriertem Material, herrlichen Phrasierungen und dynamischer Expressivität und last not least mit bestem Aussehen dem verliebten Des Grieux glaubwürdige Darstellung zu schenken und das Publikum zu betören.

Mit kernigem Bariton, weichem Timbre, wunderbaren Farbnuancen und bester optischer Präsenz überzeugte und begeisterte zugleich Jurii Samoilov als sehr agiler Lescaut. In stimmlicher Vitalität ließ Donato Di Stefano seinen Bass strömen und schenkte dem  Geronte das unsympathische Outfit, die zwielichtige Verschlagenheit.

Weich strömte der Mezzosporan beim Couplet des Musicus und Bianca Andrew gewann dazu in bildschöner Optik. Mit lyrischem Tenor gestaltete Michael Porter Edmondo, ebenso Jaeil Kim den Tanzmeister. Vortrefflich ergänzten die Stimmen Santiago Sánchez (Laternenanzünder), Magnús Baldvinsson (Wirt), Bozidar Smiljanic (Sergeant) und Pilgoo Kang mit markantem Bass den Kapitän das Ensemble. In bester Vokal-Disposition präsentierte sich der spielfreudige Opern-Chor (Tilman Michael).

Am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters bot Lorenzo Viotti eine dynamisch-rasante Interpretation. Zuweilen impressionistisch beleuchtete der smarte Dirigent die Partitur in feiner Kolorierung, ließ nuanciert aufspielen, zauberte mit dem prächtig disponierten Orchester herrlichen Puccini-Sound ohne eruptive Wogen. Perfekt austariert wirkten die Emotionen der samtweich aufspielenden Streicher im rhythmisch-differenzierten Gesamtklang des Apparats.

Ovationen für die drei Hauptakteure sowie Viotti. Mit weniger Europhorie bedachte man das Produktionsteam für seine moderne Regietheater-Version. Es geht also doch, sind nur die Könner am Werk. Ein absolutes MUSS für Opern- und Puccini-Fans.

Weitere Aufführungen am 10./13./18./25./27.10./02./09./15./23.11.2019

Gerhard Hoffmann

 

 

 

PARIS: „GALA-KONZERT 10 JAHRE PBZ“Théâtre des Champs-Elysées

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Zum Schluss ein Stück Geburtstagstorte für Jeden. Stehend von links nach rechts: Cyrille Dubois, Judith van Wanroij, Emmanuel Ceysson, TassisChristoyannis, Chantal Sanson-Jeffery und Véronique Gens. Hinter ihnen der Dirigent Hervé Niquet mit dem Orchestre de Chambre de Parisund dem Choeur du Concert Spirituel. Copyright: Palazzetto BruZane / Nicola Bertasi

Paris:„GALA-KONZERT 10 JAHRE PBZ“Théâtre des Champs-Elysées – 7 102019

Zum zehnjährigen Jubiläum des PalazzettoBruZane ein Galakonzert und eine erstaunliche CD Box mit zehn Platten voller französischen (Opern)Raritäten.

 Es ist kaum zu glauben, was in zehn Jahren schon alles passiert ist. Als vor zwölf Jahren der Dirigent Hervé Niqueteine der vermögendsten Frauen FrankreichsDr Nicole Bru darauf aufmerksam machte, das es viele Stiftungen gibt, die sich erfolgreich für Barockmusik einsetzen (wie das staatlich unterstützte „CentreMusiqueBaroque de Versailles“), abergar nichts für die romantische Musik, entstand die Idee dieses Forschungszentrums für französische Musik, beginnend mit der Gluckschen Opernreform um1780 und endend mit dem Ausklang der Belle Epoque um 1920. Der logische Platz für eine solche Stiftungwäre eines der vielen leerstehenden Theater oder Opernhäuser in Paris gewesen, doch MmeBru entschied sich für ein Palazzo mit Musiksaal in Venedig, um dem Projekteine internationale Dimension zu geben. Und da das Palazzetto keinen eigenen Theater-Saal besitzt, touren seine Opernproduktionendurch die Welt, inzwischen auch schon durch Deutschland und Österreich, worüber wir oft lobend im Merker berichtet haben. Von den über 100 Publikationen ganz zu schweigen und den Tonnen Musik-Material, dassich inzwischen frei zugänglich auf der Data-Base bruzanemediabase.com befindet und das man sich jeden Tag 24/24 Stunden auf dem Webradio bruzane.com anhören kann.Für diese riesigeArbeit bekam das Palazzetto dieses Jahr den „Opera Award“ in London, von den vielen Plattenpreisen ganz zu schweigen: im letzten Monat noch den „ Gramophoneclassicalmusicaward“in London für die „Reine de Chypre“ von Halévy und den ersten „Oper! Award“ in Berlin für das beste Soloalbum „Offenbach Colorature“ von Jodie Devos.

Der künstlerische Leiter des Palazzetto Alexandre Dratwicki bekam nun die schwierige Aufgabe, soviel Verschiedenes unter einen Hut zu bringen, in einem großen Galakonzert in Paris und in einer CD Box mit zehn dick gefüllten Platten. Für das zweistündige Galakonzert, das live im Radio übertragen wurde, wählte er 16 Sänger, die dem Palazzetto seit Jahren verbunden sind unter Leitung von Hervé Niquet, der mit dem Münchner Rundfunk Orchester und dem BrusselsPhilharmonicviele seltene Opern für das Palazzetto aufgenommen hat. Jetzt trat er an mit dem Orchestre de Chambre de Paris, mit dem er auch gerade den „Preis der deutschen Schallplattenkritik“ für die „Reine de Chypre“ von Halévy bekommen hat.Sie eröffneten den Abend mit der Ouvertüre von Offenbachs „Madame Favart“, im Juni zu seinem 200. Geburtstag zum ersten Mal seit über 100 Jahren wiedergegeben (wir haben darüber berichtet). Es folgte eine große Trauerarie aus der „Phèdre“ (1786) von Jean-Baptiste Lemoyne, womit die französische Musik aus ihrem klassischen Rahmen ausbrach. Wunderbar gesungen durch Judith van Wanroij. Einer der großen Opern des französischen „Wagnérisme“ war „Lancelot“ von Victorin Joncières (1890 komponiert, aber erst 1900 an den Pariser Oper gespielt und seitdem nie wieder aufgenommen). Eine großartige Szene, dramatisch verkörpert durch Véronique Gens und Cyrille Dubois. Weiter gab es noch eine Arie aus der Oper „Charles VI“ (1843) von FromentalHalévy, das dramatische Finale des ersten Aktes der Oper „Adrien“ (1791 und später für Napoleon neu bearbeitet) von Etienne-Nicolas Méhul und das für ein deutsches Publikum besonderes lustige Finale des ersten Aktes der „Mystèresd’Isis“ von Ludwig Wenzel Lachnith. Denn das war die erste und lange Zeit einzige Fassung von Mozarts „Zauberflöte“ in Frankreich, in der man sich nicht scheute umdeutend in die Handlung einzugreifen und die Königin der Nacht ganz vergnüglich mit ihrem drei Damen undMonostatosauch Arien aus den „Nozze di Figaro“ und dem „Don Giovanni“ singt. Der Opern-Höhepunkt des Abends war ein Duo aus der Oper „Dante“ (1890) von Benjamin Godard, mit der den ganzen Abend überall hervorragenden VeroniqueGens und dem ebenso überall hervorragendenlitauischen Tenor EdgarasMontvidas (der im Februar die Titelrolle in der neuen UA „Egmont“ von Christian Jost im Theater an der Wien singen wird).

Musikalischer Höhepunkt war für uns alle ganz überraschend das „Konzertstück“ (1903) für Harfe und Orchester von Gabriel Pierné, ein Stück, das wir noch nie im Konzertsaal gehört haben, weil es ursprünglich für die chromatische Harfe komponiert wurde, als man um 1900 versuchte die beschränkten chromatischen Möglichkeiten des Instrumentes zu erweitern. (Auf eine Harfe wird eine Note mit Pedal in allen Oktaven einen halben Ton tiefer oder höhergestellt, so erfand man eine „Piano-Harfe“ mit einer Klaviertastatur und eine doppelbespannte „chromatische Harfe“mit weißen und schwarzen Seiten wie auf dem Klavier.) Nun werden auch diese Partituren durch das Palazzetto neu erstellt (und umgearbeitet für die Pedal-Harfe, die sich schließlich durchgesetzt hat). Ein wahnsinniges Stück, ganz wunderbar gespielt durch Emmanuel Ceysson, viele Jahre der durch uns öfters gelobte Solo-Harfenist der Pariser Oper und jetzt der „PrincipalHarp“ an der Metropolitan Opera in New York.

Einziger Minuspunkt war, dass man dem Abend auch noch Operetten-Fröhlichkeit undChampagner-Seligkeit geben wollte mit durch Romain Gilbert inszenierten Slapstick-Einlagen zwischen der „ernsten Musik“.Das war noch lustig, wenn im Liedchen „J’viensd’perdremongibus“ („Ich habe meinen Hut verloren“) von Félix Chaudoir (um 1890), große Opern Arien in einem anderen Kontext eingeschoben werden, glitt aber schon nah an die Gürtellinie in dem Lied „Ich habe meine Hosenträger verloren“ in der „Faust“-Parodie von Frédéric Barbier „Faust et Marguerite“ (1869) und entgleiste völlig in die unteren Regionen, in den Travestie-Einlagen des (Opern) Regisseurs Olivier Py, der ein Gedicht von Victor Hugo verballhornte und dabei versuchteden besonders gut aussehenden Harfenisten zu entkleiden. Das war ein erstaunlicher Stil-, Geschmacks- und Taktfehler bei so einem festlichen Anlass, mit solch hochkarätigen Künstlern vor der „haute volée“ der französischen Musikwelt. Doch sobald der Transvestitden Harfenisten in Ruhe ließ und dieser mit dem Bariton TassisChristoyannis die wunderbare „Melodie für Sänger und Orchester“ von Camille Saint-Saëns „Extase“ (1860) ansetzte, konnte man dies auch wieder vergessen. Der Abend endete mit dem Champagner-Finale aus Offenbachs „La Vie Parisienne“ und einer Standing Ovation aller Beteiligten (Künstler und der ganze Saal) für die sichtlich gerührte Madame Nicole Bru.


Cover der Jubliäums CD Box „The French Romantic Experience“ (10 Platten, 70 €). Copyright: Palazzetto BruZane / Nicola Bertasi

Man kann sich dies nun alles im Live-stream und noch viel besser in der dicken CD Box anhören. 10 Platten für 10 Jahre, nicht chronologisch, sondern interessant und vielseitig nach Genre geordnet. Die Oper bekommt den „Löwenanteil“, die beiden ersten Platten. Nach einer wunderschönen Arie aus „La Toisond’or“ von Johann Christoph Vogel (1756-1788), folgen Arien und Szenen aus ebenso wenig bekannten Opern: „Uthal“ von Méhul, „La Mort d’Abel“ von Rodolphe Kreutzer, „Sémiramis“ von Charles-Simon Catel, „Roméo et Juliette“ von Daniel Steibeltund „Lodoïska“ von Luigi Cherubini – der erste Komponist von dem man zumindest schon mal den Namen kennt. Aber wer kennt diese Oper? Diese Frage kann man sich gleich 32 Mal bei den ersten beiden Plattenstellen. Auf Opern folgen Operetten, Kantaten, Geistliche Musik, Orchester Musik, Konzerte (Solo-Instrument + Orchester), Kammermusik, Klavier und Melodie. Es ist natürlich nicht möglich, diese über 100 verschiedenenWerke in wenigen Sätzen zu rezensieren. Die größte Überraschung waren für mich die „Kantaten“. Diese sind nicht vergleichbar mit Bachkantaten, sondern kleine Opernszenen, die meist geschrieben wurden für den „Prix de Rome“ (und danach meist in den Archiven verschwanden). Debussy zeigte sich unerwartet dramatisch in „Le Gladiateur“ und Bizet schoss energisch übers Ziel hinaus in „La Vendetta“, die man zurecht wohl nie auf einer Opernbühne sehen wird. Aber die schöne „Velléda“ von Xavier Boisselot, die „Clytemnestre“ von André Wormseroder „La Réligieuse“ von Théodore Gouvy scheinen absolut bühnentauglich. Die andere große Überraschung sind die Melodien für Sänger und Orchester. Die Partitur der im Jubiläumskonzert gespielten„Extase“ (1860), wurde erst 2016 mit 18 anderen Melodien für Gesang und Orchestervon Camille Saint-Saëns durch das Palazzetto (wieder)entdeckt. Das sind wirkliche Juwelen, die hoffentlich nun bald wieder auf die Konzertbühnen kommen. Saint-Saëns schrieb, dass es eigentlich verboten sein sollte, um Opernarien auf einer Konzertbühne zu spielen und es doch viel intelligenter sei, um direkt Konzert-Arien zu komponieren. Viele Komponisten folgten seinem Beispiel (u.a. Gounod, Massenet undRaynaldo Hahn –dem der diesjährige Schwerpunkt des Palazzettos gewidmet ist), doch in den Konzertsälen begegne ich nur den Melodien von Berlioz und Duparc. Hoffentlich wird diese CD Box nun vieleMusikfreunde aber auch Konzert- und Operndirektoren auf neue unbekannte Werke aufmerksam machen!

Waldemar Kamer

 

LONDON / WIEN / ROH im Kino: DON GIOVANNI

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LONDON / WIEN / Royal Opera House Covent Garden:
Millennium Kinowelt am Handelskai / ROH im Kino:
DON GIOVANNI von W.A.Mozart
8.
Oktober 2019

Bedenkt man, wie voll die Übertragungen aus der New Yorker Metropolitan Opera sind, dann haben Wiens Opernfreunde den Auftakt der Übertragungen aus der Royal Opera in London weitgehend ausgelassen. Das war schade, kann aber erklärt werden. Denn außer Erwin Schrott kennt man die übrige Besetzung des Abends hierzulande bestenfalls vage, aber in den meisten Fällen gar nicht. Und Schrott hat live erst vor kurzer Zeit mit einem semi-szenischen Don Giovanni im Theater an der Wien Triumphe gefeiert und damit seine Fans offenbar ausreichend beglückt.

Das Fähnlein der Aufrechten, die sich im früheren UCI-Kino am Handelskai, das nun Millennium Kinowelt heißt, eingefunden hat, bekam allerdings einen interessanten, spannenden Abend geboten, den Kasper Holten inszeniert hat, als er noch Direktor des Hauses war. Auffallend ist, wie bis ins Detail geprobt diese Wiederaufnahme war – das ist nicht nur nötig, weil sie für die Sänger darstellerisch-technisch kompliziert ist, sondern weil man auch aus der Interaktion der Darsteller wirklich viel Neues zum Thema „Don Giovanni“ erfahren konnte.

Die Ausstattung von Es Devlin hat viel Bewunderung geerntet – die drehbare, einstöckige, an sich leere, nur aus Räumen, Treppen, Türen, Fenstern bestehende Hausdekoration, die mit Projektionen und Videos so viele verschiedene Stimmungen vermitteln kann, mag zwar als sich geschlossene Giovanni-Welt einsichtig sein (wenn auch den Darstellern ein turbulentes Auf und Ab und „Wo bin ich?“ auferlegt wird). Auch ist interessant, dass bei einer so „gestaffelten“ Dekoration Don Giovanni immer wieder auftauchen kann, auch als Beobachter von Szenen, an denen er eigentlich nicht beteiligt ist. Aber die „trockene“ Szene (belebt von den Kostüme von Anja Vang Kragh, die vor allem für die Attraktivität der Damen sorgte) erlaubt kein Fest bei Giovanni, gibt ihm kein nobles letztes Mahl (was soll Leporello servieren , wenn Giovanni gerade einen Pappteller auf der Treppe abstellt?), kurz, es fehlt dann doch an Flair. Und, um gleich zu erwähnen, wo der Regisseur das Werk total gegen den Strich bürstet – es gibt keine Höllenfahrt. Don Giovanni bleibt vor einer leeren Wand stehen, während das Schlußsextett quasi von hinten kommt, ohne dass man die Sänger sieht. Am Ende blickt der Held erstaunt ins Publikum – er hat überlebt. Warum?

Während Kasper Holten alle Männer außer Giovanni brav am Rande belässt, wertet er die Damen ungemein auf. Er macht alle drei zu Täterinnen in diesem Spiel. Sie wollen Don Giovanni, und sie kriegen ihn auch. Donna Anna wehrt sich zu Beginn rein gar nicht, sondern küsst leidenschaftlich – und nach ihrer ersten Arie, wo Don Ottavio ihr versichert, alles für ihren Frieden tun zu wollen, benützt sie die Gelegenheit, dass er mit Singen beschäftig ist, mit Don Giovanni Hand in Hand davon zu huschen. Ähnlich hält es Donna Elvira – wenn Leporello ihr aufzählt, wie viele Damen ihr Erwählter schon beglückt hat, lässt sie das völlig kalt und küsst den heranschleichenden Don Giovanni leidenschaftlich. Und Zerlina? Die ist ein besonderes Rübensüßchen. Auch sie küsst den „Verführer“ mit großer Begeisterung – aber dann fällt ihr ein, dass sie irgendwie ihre Ehe mit Masetto retten muss. Also reißt sie sich zum blanken Erstaunen von Don Giovanni die Bluse auf und schreit gewissermaßen „Vergewaltigung“… Man könnte sich vorstellen, dass es diese Szene bei der Premiere von 2014 vielleicht noch nicht so ausgesehen hat, denn da gab es ja noch kein „#metoo“, das hier ganz offen angepeilt ist…

Ist Don Giovanni hier der unschuldig Verführte? Sicher nicht, schon gar nicht, wenn Erwin Schrott ihn singt und spielt: in einem lockeren, zeitlosen Look im blauen Anzug mit langer Jacke, in einer Attitüde gänzlicher Unbekümmertheit. Immer wieder wandelt er die Rezitative in plauderndes Parlando um, setzt seine Pointen, ist souverän in dem Spiel der Verführung, ohne dass man je das Gefühl bekäme, dass er selbst innerlich besonders beteiligt ist. Ein Routinier des Liebesspiels, dessen Stimme heute ideal in Form ist (er wird im Dezember 47), der Kraft nicht demonstrieren muss, weil er sie von selbst hat, und sich jede stimmliche Nuance mühelos leisten kann. Heute ist er sicher einer der weltbesten Vertreter dieser Rolle.

Die Schwedin Malin Byström gab die Donna Anna mit der Gewalt einer Brünnhilde, die erste Arie hat man selten mit solch dramatischer Attacke vernommen, bei der zweiten nahm sie sich ein wenig zurück. Darstellerisch zeigte sie, wie ihre Kolleginnen, ein Quentchen Ironie – als wollten die Damen fragen, warum man sie denn immer für Opfer hält?

Die Griechin Myrtò Papatanasiu, die wir schon aus der Staatsoper kennen (bei uns sang sie allerdings u.a. die Donna Anna), machte – mit einer Ähnlichkeit zur Callas, als diese am schönsten war – als Donna Elvira gute und gar nicht lächerliche Figur, bloß die Höhenattacken gerieten ihr immer wieder zu schrill.

Die junge Britin Louise Alder hat eine glockenhelle Stimme für die Zerlina, und wenn sie ihren Masetto umgarnte, war dieser einfach chancenlos: Kurz, ein Damentrio, das gewissermaßen den Spieß umgedreht hat. Keine von ihnen ist mehr ein Opfer.

Bei den übrigen Herren beeindruckte Daniel Behle – egal, wie steif er als Don Ottavio herumstand, so technisch perfekt, mit vollem, warmem Tenor, hat man diese beiden Arien selten gehört. Auch bei dem Italiener Roberto Tagliavini, der den Leporello sang (eigentlich kein Dienertyp), kann man die Qualität der Stimme nur bewundern. Sie geht bis in Basses Tiefen und ist warm und voll und besonders schön timbriert. Auch von Leon Kosavic (Masetto) und Petros Magoulas (der als Komtur am Ende wie ein weißes Gespenst herumwanken muss) ist nur Gutes zu sagen.

Von Hartmut Haenchen am Dirigentenpult war allerdings kein lockerer, spritziger Mozart zu erwarten, da ging es oft klanglich eher dick und bombastisch zu. Aber vielleicht lag das richtig an einem Abend, der ungewöhnlich viel „Power“ ausstrahlte.

Renate Wagner

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