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WIEN/ Staatsoper: ARIADNE AUF NAXOS

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Adrianne Pieczonka. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: ARIADNE AUF NAXOS von Richard Strauss

  1. Aufführung in dieser Inszenierung 8.10.2019

Auf der Bühne starke Gefühle – im Orchestergraben unterkühlte Stimmung

Von Manfred A. Schmid

In einer Opernkritik die Sprechrolle an den Anfang zu setzen, mag verwundern. Peter Matic aber hat der Figur des Haushofmeisters ein so unverwechselbares Profil verliehen, dass man einfach nicht umhinkommt, darauf einzugehen.

Im elegant-schrägen Jugendstil-Palast des eigenwilligen Kunstmäzens, der eine Oper und eine Harlekinade gleichzeitig aufgeführt haben will, schaltet und waltet nun – berichtet wird von der zweiten Vorstellung der derzeit laufenden Aufführungsserie – Hans Peter Kammerer als Sprachrohr seines Herrn. Der Herr Kammersänger als Chef aller Kammerdiener tat gut daran, seine Rolle völlig neu anzulegen. Während der Haushofmeister des unvergessenen Burgschauspielers Peter Matic von oben herab die unbequemen Bedingungen trocken und emotionslos diktierte und in seiner arroganten, unendliche Gelassenheit ausstrahlenden Pose nur einen Anflug von Zynismus durchscheinen ließ, ist Kammerer die unverhohlen zur Schau gestellte (Schaden-)Freude angesichts der wachsenden Verwirrung der Künstlerschar, auch wenn er sich um unnahbare Autorität bemüht, schon vom Gesicht abzulesen. Da lacht sich einer insgeheim ins Fäustchen und ist gespannt darauf, wie man mit den schier unerfüllbaren Auflagen umgehen wird. Doch da hat sich einer zu früh gefreut. Denn man wird, nach anfänglichen Protesten und Irritationen; die Herausforderungen letztlich grandios meistern. Wie das der Librettist Hugo von Hofmannsthal und sein kongenialer Komponist in ihrem „Zwei Opern in einer Oper“-Projekt auflösen, ist einzigartig. Aber auch Sven-Eric Bechtolfs fein durchdachte Regie trägt dazu bei, dieses veritable Wunder auf der Bühne plausibel zu machen, indem er den Komponisten und den Tanzlehrer auch in dem auf das Vorspiel folgenden Akt einsetzt. Natürlich spielt in diesem Prozess der Annäherung auch die allmählich sich entfachende und erwiderte erotische Zuneigung des Komponisten zur Sängerin/Tänzerin Zerbinetta aus der Gauklergruppe eine nicht zu unterschätzende Rolle. Aber auch dabei, dies zu verdeutlichen, ist die Regie Bechtolfs wesentlich beteiligt. Überhaupt dreht sich hier alles um Liebe und erotische Annäherung: Sogar der Haushofmeister Kammerer zeigt gegenüber Zerbinetta Gefühle. Letztlich ist das, was hier auf der Bühne so abenteuerlich passiert, doch nur eine bis zum Äußersten getriebene Konsequenz der ewig geltenden Theatermaxime: The show must go on.

Kate Lindsey ist ein starker, emotionsgeladener Komponist, der, auf die Vorherrschaft der E-Musik beharrend, sein Auftragswerk voll Leidenschaft verteidigt, letztendlich aber nachgibt und versöhnt wirkt. Lindsey, die schon anlässlich der Festvorstellung 2014 zum 150. Geburtstag von Richard Strauss in Wien dabei war, setzt ihren auffallend hellen, angenehm timbrierten Mezzosopran effektvoll ein und wirkt in ihrer Hosenrolle auch darstellerisch erfreulich engagiert. Unterstützung erhält sie von ihrem Mentor, dem Musiklehrer. Jochen Schmeckenbechers ist mit seinem energischen Bariton um Kalmierung im Hin und Her der Gefühle bemüht.

Die Truppe der Komödianten wird vom Tanzlehrer angeführt. Thomas Ebenstein stattet ihn mit allen schwulen Klischees aus. Da auch seine Mitstreiter – Harlekin, Scaramuccio, Truffaldin und Brighella – aus der Tradition der commedia dell‘ arte kommen – geht diese buffoneske Überzeichnung durchaus in Ordnung und sorgt für Heiterkeit. Darstellerisch haben sie viel zu tun und radeln mit Tretrollern übermütig und mit sichtlicher Lust umher. Gesanglich sind die Spaßmacher aber nicht gerade heterogen zusammengestellt. Positiv fallen Peter Kellner (Truffaldin) und Samuel Hasselhorn (Harlekin) auf. Dass alle vier pauschal beim Schlussapplaus mit, wenn auch spärlichen Buhrufen begrüßt werden, scheint etwas überzogen. Die weibliche Attraktion in ihrer Mitte ist freilich die quirlige, sich köstlich in Szene setzende Zerbinetta. Gesanglich nimmt sich Hila Fahimas zwitschernder Sopran allerdings etwas zu soubrettenhaft aus. Den tadellos intonierten Koloraturläufen fehlt es da und dort an Glanz und Nachhaltigkeit.

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Svetlina Stoyanova, Ileana Tonca, Adranne Pieczonka und Maria Nazarowa. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Fehlen noch die Hauptakteure des Abends. Adrianne Pieczonka ist eine fabelhafte Primadonna/Ariadne. Elegisch nuancenreich und expressiv besingt sie, von mitfühlender Obsorge ihrer Gefährtinnen bedacht (exzellent aufeinander abgestimmt Maria Nazarova, Svetlina Stoyanova und Ileana Tonca) ihr tragisches Geschick, bis sie von Bacchus in das Leben zurückgeholt wird und umfangen von Liebeschwüren wieder Mut fasst. Stephen Gould muss als Bacchus seinen bewährten Heldentenor in die Höhe schrauben, was ihm immer noch bewundernswert – und ohne zum Forcieren gezwungen zu sein – gelingt. Eine imposante Gestaltung.

Michael Boder, ob seines unermüdlichen Einsatzes für zeitgenössisches Musikdrama hochgeschätzt, bringt als musikalischer Leiter des Abends einen ziemlich trocken klingenden, wenn auch perfekt koordinierten Strauss zu Gehör. Das Orchester der Wiener Staatsoper, seit über 100 Jahren gewissermaßen geeicht auf den Großmeister aus Garmisch, kann das weit farbenprächtiger und berauschender. Mag sein, dass es der etwas unterkühlten Stimmung mit anzulasten ist, dass der Applaus zwar herzlich, aber doch nur von ziemlich kurzer Dauer ist und Rahmen der üblichen fünf Minuten bei Repertoirevorstellungen nicht überschreitet.

Manfred A. Schmid


WIEN/MuTh – Konzertsaal der Wiener Sängerknaben: „SCHWANENGESANG“ (Franz Schubert und Max Bruch)

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Matthias und Franz Bartolomey. Foto: Moritz Schell

WIEN/MuTh – Konzertsaal der Wiener Sängerknaben: „Schwanengesang“ (Franz Schubert und Max Bruch)

8.10. 2019 – Karl Masek

Im „MuTh“ am Augartenspitz gibt es höchst spannende Konzert-Zyklen. Intelligent programmiert und nicht als „Gemischtwarenladen“ ohne Relevanz zusammengewürfelt.

„Bartolomeys in the Muth“: Nach „Schorny“ ( Bericht vom 1.10.!) eine weitere Präsentation eines themenzentrierten Abends mit personellen Schwerpunkten. Die Bartolomeys (Vater Franz, der langjährige Solocellist der Wiener Philharmoniker und Sohn Matthias, ebenfalls am Cello) bestreiten im Konzertsaal der Wiener Sängerknaben seit der Saison 2014/15 in abwechslungsreichen Besetzungen sehr erfolgreich Programme auf Champions-League-Niveau. Und sie haben dafür eine beträchtliche Fan-Gemeinde, der Saal war wiederum sehr gut besucht. Kein Wunder, da musizierten diesmal nicht nur 5 bis 8 großartige Profis miteinander. Sie sind sichtlich und hörbar auch gute Freunde. Und wie meist bei den Abenden im „MuTh“, sind auch blutjunge Musiker/innen am Beginn der Karriere oder sogar noch Studierende ins Geschehen integriert. Die tragen die musikalischen „Staffelhölzer“ weiter …

Das Streichquintett C-Dur, D 956  von Franz Schubert  ist 1828, zwei Monate vor seinem Tod entstanden und erst 1850 in Wien durch das damalige Hellmesberger-Ensemble uraufgeführt worden. Man kann es getrost als (s)ein „Opus summum“  bezeichnen. Eine epochale Komposition, auch weil die Besetzung einzigartig und von unvergleichlicher Klangwirkung ist: 2 Violinen, 1 Viola und 2 Violoncelli. Kein Kontrabass!

Hört man dieses geheimnisvolle und rätselhafte Werk mit seiner unbegreiflichen Genialität, so kann man einen angeblichen Ausspruch des Oskar Werner nachvollziehen: „Mozart und Beethoven reichen bis zum Himmel – Schubert kommt von dort!“

Allein der 20-minütige Stirnsatz: Eine grandiose Verdichtung des musikalischen Materials! „Himmlische Längen“ in den Melodiebögen, alles ergibt sich wie selbstverständlich aus dem Vorangegangenen. Stimmungswechsel, Modulationen, das traumwandlerische Durchmessen des Quintenzirkels: Man kann sich auch nach oftmaliger Begegnung gar nicht satthören, findet immer „Neues“ und „Un-erhörtes“ in den Entwicklungssträngen. Dieses „Allegro ma non troppo“ ist aber auch höchst heikel, geht es doch um absolut unfehlbare Intonation. Da musste der „Konzertmeister“ des Abends, Benjamin Schmid, erst „tastend“ in den Abend  hineinfinden, so schien es. Alles wurde klar, als er vor dem „Adagio“ ziemlich lang das Instrument nachjustierend „stimmte“ …

Spätestens ab dann eine Aufführung, die einem vollendeten Meisterwerk mehr als gerecht wurde. Schwebende Pianissimi, perfekte Klangbalance, menschlicher Puls in den Pizzicato-Einwürfen. Es entstand eine entrückte, fast unwirkliche Atmosphäre mit berührenden Dialogen zwischen Violine und Cello.  Der (Über)lebenskampf im dramatisch zugespitzten Mittelteil, bohrende, schmerzliche  Intensität in den tiefen „Gegenstimmen“ – um im abschließenden Variationenteil zu einer Gelöstheit zu finden, die alle Erdenschwere hinter sich lässt. „Die Fünf“ (Benjamin Schmid, Dalina Ugarte (Violine), Veronika Hagen (Viola), Franz Bartolomey und Matthias Bartolomey (Violoncello) ließen den Atem anhalten.

Weiteres Wunder, dass es nach diesem „morendo“ mit einem vitalen, stellenweise geradezu wilden Scherzo weitergeht. Den Trioteil leitet dann Veronika Hagen an der Bratsche gleichsam zu musikalischer Ordnung rufend, als „ruhige Mitte“, ein. Doch es schien plötzlich, als würde Schubert Anton Bruckner „vorwegnehmen“. Man spürte förmlich, da setzt sich magischer Weise jemand zum Komponisten und „animiert“ ihn zu Klangrückungen, Modulationen, wie sie sich  erst Jahrzehnte später Platz verschaffen sollten. Schließlich der helle Schluss-Satz, mit wienerischer, rubatoseliger Lust und tänzerischem Schwung vom Meisterquintett serviert!

Eine Wiedergabe, wie man sie selten zu hören bekommt, wurde schon zur Pause mit großem Jubel bedankt.

Im 2. Teil dann noch ein „Schwanengesang“: Das Oktett B-Dur, op. posth. (1920), auch dieses ist in einem Todesjahr entstanden. Der Komponist: Max Bruch (1838-1920). Eine starke Rückbesinnung des viel zu selten gespielten Komponisten zu einer hochromantischen Tonsprache findet hier statt. Das Manuskript war übrigens lange Zeit verschollen, bis es ein Wiener Sammler bei einer Auktion erwerben konnte und es der Österreichischen.Nationalbibliothek vermachte. Auch hier gab es die Uraufführung erst Jahrzehnte später.

 Bruchs Streichoktett, von dem man sonst fast nur das Violinkonzert (mit „Wunschkonzert-Faktor“!)  kennt,  ist hoch inspiriert und von Vitalität und Lebensbejahung geprägt.  Bruch erweist sich als eminenter Melodiker, der 8 Musikern dankbare Aufgaben überträgt, die zu süffigem, saftigem Spiel motivieren. Die Begegnung mit dieser Rarität ließ das Publikum abermals in Jubel ausbrechen. Neben den bereits oben Genannten sorgten die jungen Geiger Sophie Druml und Florian Moser, Lily Francis (an der Viola) sowie Roberto di Ronza (am Kontrabass) für ein bereicherndes Konzerterlebnis. Wobei Matthias Bartolomey durch samtweiche Tongebung auf seinem Cello herausragte. Hat er gar auf dem berühmten „Löwenkopf“- Cello seines Vaters gespielt?

 Nach dieser Abschluss-Frage gilt es auch, Dank auszusprechen. Das Konzert war gefährdet, hatte sich der „junge Bartolomey“ doch zwei Tage zuvor beim Fußballspielen eine Wirbelverletzung zugezogen. Er entschloss sich dennoch, das Konzert zu spielen. Dass das wohl nicht ohne  Schmerzen abging, merkte man an den betont vorsichtigen Bewegungen bei den Auf- und Abgängen (Gute Besserung!).

Karl Masek

 

 

WIEN / Theater der Jugend: PRINZ UND BETTELKNABE

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Fotos: Theater der Jugend / Rita Newman

WIEN / Theater der Jugend im Renaissancetheater:
PRINZ UND BETTELKNABE von Jethro Compton nach Mark Twain
Premiere: 8. Oktober 2019

Wer „Mark Twain“ sagt, denkt sofort an Tom Sawyer und Huck Finn, aber wer ihn deshalb für einen Kinderbuchautor hält, könnte falscher nicht liegen. Die „Kinderbuch“-Fassungen mussten gewaltig entschärft werden, und dass Twain immer ein politischer, ein sozialpolitischer Schriftsteller war, zeigte auch ein Roman wie „Prinz und Bettelknabe“, der ebenfalls wie eine Kindergeschichte klingt und doch eine soziale Parabel erster Ordnung ist.

Wenn der englische Theatermacher Jethro Compton sich für das Theater der Jugend dieses Buches annahm, waren leise Zweifel berechtigt – hat er doch schon „Oliver Twist“ in die Gegenwart versetzt und zu einem Sandler in U-Bahn-Schluchten gemacht. Glücklicherweise ging er mit der Geschichte des Prinzen und seines Doppelgängers (der Prinz soll der Sohn des berüchtigten Heinrichs VIII. gewesen sein) viel sanfter und historisierender um. Und siehe da – was der Autor sagen wollte, kam voll zum Tragen (und dass der Bearbeiter sich gegenüber dem Original jegliche Freiheit nahm, nimmt man nicht übel, weil er letztlich in dessen Sinn verfuhr.)

Da ist also ein Prinz im Schloß, ein ziemlich unleidlicher Junge, knapp vor seinem 10. Geburtstag, auf dessen Herrschaft man sich eher nicht freuen würde. Und da ist der gleichaltrige Waisenjunge, der sich durchs Leben stiehlt und bettelt, aber in einem Priester immerhin einen Beschützer hat, der ihm lesen und schreiben und Latein beibringt und ein paar rebellische Gedanken auch. Dass es nämlich nicht gerecht ist, dass die einen alles haben und die anderen gar nichts…

Wenn sich die beiden Jungen, die sich ähneln wie ein Ei dem anderen (ohne dass aus der Doppelgängergeschichte nun die klassische Zwillingsgeschichte würde), im Palast begegnen und die Kleider tauschen, für einen Tag, wie sie glauben – ja, da perpetuiert sich das Abenteuer, denn Kleider machen Leute, der zerlumpte Junge kann noch so sehr behaupten, er sei ein Prinz, man wird ihn auslachen; und der Junge im Prinzengewand, wenn er so intelligent ist, wird als solcher genommen – auch wenn er ein viel besseres Menschenkind ist…

Das Schöne an Twains Geschichte besteht darin, dass nun beide etwas in ihren neuen Welten lernen: der echte Prinz, der im Proletariat landet, etwas über soziale Abgründe, von denen er nichts geahnt hat, und der Betteljunge als Prinz von Zwängen, die er sich nie vorgestellt hätte…

Wichtig ist, dass jeder einen Vertrauten findet, der neue Prinz den „Prügelknaben“, der zum treuen Gefährten und Berater wird, wenn er sich nicht mehr dauernd für die Verfehlungen der Hoheit schlagen lassen muss, und der echte Prinz eine Handvoll edler Rebellen… Ja, es ist ein Märchen, rein erfunden, schon gar, wenn der echte Prinz, als er dann doch König wird, gleich abdankt, um die Demokratie einzuführen. Er hat schließlich am eigenen Leib erfahren, wie sich Unterdrückung anfühlt…

Jethro Compton bringt diese Geschichte für Kinder ab 6 Jahren mit ultimativer Geschicklichkeit auf die Bühne, ja, er beschwört sogar ein wenig die Atmosphäre historischer Mantel- und Degen-Filme aus dem Hollywood der fünfziger Jahre, wenn hier nicht nur die Kostüme in die Vergangenheit weisen, sondern man auch richtig flotte Fechtszenen erlebt und sich eine Menge „Dramatik“ rund um die Aussage rankt, die glockenklar herüber kommt.

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Zwei junge Schauspielerinnen spielen zwei kindliche Prinzen – Maria Astl als Eduard, der Schnösel, der seine Lektion lernt, und Julenka Werkmeister als Bettelknabe Thomas, der nur einmal kurz Gefahr läuft, sich von Macht und Stellung verderben zu lassen…

Da gibt Caroline Frank eine skrupellose, manipulative Intrigantin am Hof, Stefan Rosenthal unendlich liebenswert den klugen „Prügelknaben“, Michael Schusser einen noblen Rebellen, Uwe Achilles einen kämpferischen Pater, und auch der Rest des Ensembles bietet Erstklassiges.

Ein historisches Märchen als Lehrstück, in Theatervergnügen verpackt. Man könnte es kaum besser machen.

Renate Wagner

WIEN/ Staatsoper: A MIDSUMMER NIGHT’S DREAM – aus gesundheitlichen Gründen nur die Eindrücke bis zur Pause

Liebe Leser: Leider musste ich schon zur Pause gehen, da ich gesundheitlich leider etwas angeschlagen bin und die Vorstellung nicht „zerhusten“ wollte. Daher nur die Eindrücke bis zur Pause –

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Rachel Frenkel, Rafael Fingerlos. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

A MIDSUMMER NIGHT’S DREAM

Wiener Staatsoper, 9.10.2019

 Obwohl ich aus gesundheitlichen Gründen nur bis zur Pause anwesende war kann ich trotz allem sagen, dass diese Produktion eine der schönsten und besten der letzten 10 Jahre ist – Irina Brook die für die Bühne verantwortliche Noelle Ginefri-Corbel haben es geschafft, die Geschichte in der Gegenwart spielen zu lassen (ersichtlich an den Kostümen von Magali Castellan). Dadurch, dass die Bewohner der Elfenwelt aber „klassisch“ angezogen waren (ja, ein König mit Krone, Tytania so, wie es sich ein Fantasy-Fan vorstellt) ergab alles einen Sinn und war wunderbar anzusehen. Auch das Einheitsbühnenbild gefiel und durch klug inszenierte „Ortswechsel“ wurde der „Flow“ der Geschichte aufrecht erhalten. Eine wichitige Rolle dabei spielte die (im Libretto nicht vorgesehene) Schlange, die von zwei in schwarz gekleideten Gestalten (das erinnerte mich an die japanische Bühnenästhetik, die ja auch schon im aktuellen „Tristan“ gezeigt wird) getragen und bewegt wird.

Für den Kinderchor der Wiener Staatsoper unter der Leitung von Johannes Mertl ist diese Produktion sicherlich eine große Aufgabe, die auch die Solisten (Emil Lang, Niklas Rudner, Mihaili Savenkov, Fabio Ringer) und das Blockflötenensemble (Zhang Kann, Linus Kölpl, Laurenz Zoglauer, Anna Barnas, Fabian Lucas Holzer, Florian Brosch) gut bewältigen.

In den Berichten über die Premiere war zu lesen, dass Théo Touvet in der Rolle des Puck den größten Publikumszuspruch erhielt – es würde mich nicht wundern, wenn es auch an diesem Abend nicht anders gewesen ist. Touvet, der gemeinsam mit Martin Buczko für die Choreographie verantwortlich zeichnet, zeigte unglaubliche Körperbeherrschung und konnte Akrobatik mit kleinen, sehr ausdrucksvollen Gesten kombinieren. Dass sein Englisch nicht das Beste ist war auch schon anderswo zu lesen – obwohl man ihm das als Robin Goodfellow durchaus nachsehen kann. Diese Figur ist nun einmal nicht so „edel“ wie Oberon und die anderen Elfen, sondern auf seine Art und Weise ein Außenseiter, der mehr „bellt“ als spricht. Ob er in weiteren Serien (die hoffentlich kommen werden) zu ersetzen ist wage ich zu bezweifeln – zu sehr ist in einer Neuinszenierung  eine Rolle wieder auf eine einzige Person zugeschnitten, was dann später nicht mehr funktioniert wenn andere Personen später übernehmen (als Beispiel kommt mir da die Mielitz-Inszenierung von Parsifal mit Thomas Quasthoff als Amfortas spontan in den Sinn).

Nun zum Musikalischen – Simone Young und das Staatsopernorchester bringen die Partitur fast kammermusikalisch, jedes Instrument bekommt genügend Platz, um sich entfalten zu können. Teilweise erinnerte mich das alles an die Subtilität, die man in Capriccio vorfindet. Wäre auf der Bühne nicht so viel zu sehen könnte man geneigt sein, sich einfach zurückzulehnen, die Augen zu schließen und in die Klangwelt Brittens gänzlich einzutauchen.

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Josh Lovell, Rachel Frenkel. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

 Mit Lawrence Zazzo begegnet man einem Countertenor, der seiner Biographie zu Folge als Oberon schon einige Erfahrung hat. Er hat kein Problem das Haus mit seiner Stimmer zu füllen, doch hätte ich mir ein virileres Timbre (ja, das gibt es auch bei Countertenören) gewünscht. Erin Morley als Tytania hinterließ bis zur Pause keinen besonderen Eindruck. Die beiden Liebespaare spielten sehr gut (die Helena war vielleicht eine Spur zu exaltiert) und taten das ihre, den ersten Teil der Oper zu einem Erfolg werden zu lassen. Josh Lovell (Lysander), Rafael Fingerlos (Demetrius), Rachel Frenkel (die als Hermia den besten Eindruck von allen hinterließ) und Valentina Nafornita (Helena) wurden den Ansprüchen, die Britten an die Sänger stellt, überaus gerecht.

Peter Rose (Bottom) zeigte wieder einmal seine komödiantischen und vokalen Fähigkeiten und war neben Touvet sicherlich die spielbestimmendste Figur bis zur Pause (um einen Ausdruck aus dem Fußball zu verwenden), kräftig unterstützt von Wolfgang Bankl (Quince), Benjamin Hulet (Flute), Thomas Ebenstein (Snout), William Thomas (Snug) und Clemens Unterreiner (Starveling).

Es war ein vergnüglicher, aber ebenso auch nachdenklicher und poetischer Abend, dem hoffentlich viele in dieser Produktion nachfolgen werden.

Kurt Vlach

DRESDEN/ Semperoper: DAWSONS MODERNE BALLETT-VERSIONS „GISELLE“ mit Maria Kochetkova

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Maria Kochetkova, Jón Vallejo. Copyright: Ian Whalen

Dresden / Semperoper: „DAWSONS MODERNE BALLETT-VERSION  „GISELLE“ MIT MARIA KOCHETKOVA – 8.10.2019

In der Reihe der „Giselle„-Aufführungen zu Beginn der Ballettsaison 2019/20 an der Semperoper gab die mehrfach preisgekrönte, russische Ballettkoryphäe Maria Kochetkova ihr Haus- und Rollendebüt an der Semperoper. In zwei Aufführungen (2. und 8.10.) tanzte sie die Titelrolle in Adolphe Adams abendfüllendem Ballett, das in einer „etwas anderen“ Lesart von David Dawson (Choreografie und Inszenierung), mit dem die Tänzerin eine zehnjährige Zusammenarbeit verbindet, eine andere Sicht auf dieses romantische Ballett zeigt. Die sehr moderne, in die Jetztzeit transponierte Version hat durch das abstrakte, aber sehr ansprechende, ganz in Beige-Varianten gehaltene Bühnenbild von Arne Walther und die Kostüme von Yumiko Takeshima in pastelligen Tönen für die aufrichtige Dorfbevölkerung und schwarz für die Adelsgesellschaft, die hier zum „schwarzen Clan“ mutiert, seit der Premiere 2008 nichts von ihrem Reiz verloren. Die Semperoper war bis auf die letzten, sichtbehinderten Plätze gefüllt.

Die zierliche, sehr grazile, mit höchsten Preisen ausgezeichnete Kochetkova war schlechthin eine Idealbesetzung für die Rolle der jungen unverbildeten Giselle, die zum ersten Mal Freud und Leid der Liebe erlebt, schwer enttäuscht aus übergroßem Kummer stirbt und selbst als Wili, eine der Bräute, die vor der Hochzeit sterben, keine Rachegefühle hegt. Ihre geschmeidigen, grazilen Bewegungen, ihre schönen weiten Sprüngen und das scheinbar mühelose Hinaufschweben bei den Hebefiguren brachten eindrucksvoll den Charakter dieses unschuldigen jungen Mädchens zum Ausdruck.

Als kongenialer Partner stand ihr Jón Vallejo zur Seite, der in der vorangegangenen Vorstellung (2.10.), sein Rollendebüt als Albrecht hatte. Mit tänzerischem Können ging er auf seine Partnerin und ihre sensible Rollengestaltung ein, so dass beide ein harmonisches Paar bildeten, dessen tänzerische Ambitionen sich gegenseitig ergänzten.

Die Vertreter der anderen Rollen und die Companie tanzten ebenfalls mit besonderer Elastizität, Zierlichkeit und Grazie. Es gab nur gute, überzeugende Leistungen. Mit besonderer Leichtigkeit schwebte Svetlana Gileva als Bathilde graziös und leicht wie eine Feder bei den Hebefiguren von Partner zu Partner. Ausdrucksvoll gestaltete Julian Amir Lacey seine Rolle als Hilarion, und Sangeun Lee deutete als Myrtha, Königin der Wilis, mit wenigen ausdrucksstarken Gesten Rache an. Der Hochzeits-Pas de Cinq von Alice Mariani (Braut) Václav Lamparter (Bräutigam), Francesco Pio Ricci (Trauzeuge), Kanako Fujimoto und Gina Scott (Brautjungfern) bestach durch eine perfekt koordinierte Ausführung, bei der alles im Fluss war.

Die Aufführung war vor allem von ungewöhnlichen Feinheiten geprägt, die insbesondere von der Sächsischen Staatskapelle Dresden ausgingen. Nach einem vehementen Auftakt spielten die Musiker unter der Leitung von Benjamin Pope hinreißend schön, mit sehr ansprechendem Violin-Solo (Jörg Faßmann) und einem, den Pas de deux begleitenden Bratschen-Solo (Florian Richter) sowie einschmeichelnden Harfenklängen, womit die Kapelle wesentlichen Anteil an dem sehr ansprechenden, emotionalen Gesamteindruck dieses Abends hatte und einmal mehr ihren Ruf als auch ein besonders feinfühliges Orchester unterstrich.

Das inspirierte offenbar die Tänzerinnen und Tänzer und führte auch im sogenannten „Weißen Bild“, das zu jedem großen romantischen Ballett gehört(e) und hier, vielleicht nur in Albrechts Fantasie außerhalb der Welt (Erde) angesiedelt ist, zu einer außergewöhnlichen Harmonie zwischen Bühne und Orchestergraben. Im Anblick eines überdimensionalen Himmelskörpers (Mond?) tanzten die Wilis, weiß verschleiert, unter reichlich künstlichem Nebel ihren geheimnisvoll anmutigen Tanz im wahrsten Sinne des Wortes „ganz auf Spitze“, mit dem sie die nachts vorbeikommenden Männer verwirren und zu Tode tanzen. Obwohl Giselle auf Rache verzichtet, endet Albrecht unter fallendem Schnee – symbolisch für ein friedvolles Ende oder innere Kälte?

Ingrid Gerk

WIEN / Kunstforum: PIERRE BONNARD

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Fotos: Wesemann

WIEN / Bank Austria Kunstforum:
PIERRE BONNARD
DIE FARBE DER ERINNERUNG
Vom 10. Oktober 2019 bis zum 12. Jänner 2019

Der Wohlfühl-Künstler?

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Auf den ersten Blick meint man, man habe seit langem keine Ausstellungsräume so hell, freundlich und farbig erlebt. Das Kunstforum Bank Austria präsentiert eine Großausstellung über Pierre Bonnard (1867–1947), die von der Londoner Tate Gallery, wo sie in der ersten Hälfte des Jahres zu sehen war, nun nach Wien gekommen ist – als erste große Retrospektive Bonnards hierzulande. Damit stellt man einen Künstler zur Diskussion, der sich bei genauer Betrachtung aus der Schar seiner berühmten Zeitgenossen deutlich heraushebt.

Von Heiner Wesemann

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Pierre Bonnard     Geboren am 3. Oktober 1867 in der Nähe von Paris, Sohn aus einer Beamtenfamilie, schloß er sich schon während seines Kunststudiums der Künstlergruppe „Les Nabis“ und machte die wichtige Bekanntschaft mit einem er führenden Kunsthändler seiner Zeit, Ambroise Vollard. Seine künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten umfassten das Spektrum von Malerei, Graphik und Illustration. Er entwarf Plakate (war auf diesem Gebiet bedeutend), stattete Theaterstücke aus, schuf Möbel. Er reiste viel, beteiligte sich an Ausstelllungen. Nach der Jahrhundertwende „entdeckte“ er Südfrankreich für sich, was für seine Kunst und ihre spezifische Behandlung der Farbe als starkes, zentrales Element entscheidend wurde. Anders als etwa sein Bekannter Toulouse-Lautrec, der die schrille Welt der Pariser Unterhaltung zum Thema machte, bliebt Bonnard lebenslang der „stillen“ Motivik von Landschaft, Meer und weiblichen Akten treu. Als „Post-Impressionist“ eingestuft, starb er hoch geschätzt am 23. Januar 1947 in seinem 80. Lebensjahr der Nähe von Cannes.

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Er war anders    Er war ein Zeitgenosse der Großen, die der französischen Kunst ihrer Zeit den Stempel aufgedrückt haben. Und gerade im Vergleich zeigt sich, wie „anders“ Pierre Bonnard ist. Er malte nackte Frauen, wobei meist die eigene Geliebte, spätere Gattin Marthe sein Modell war, aber er stellte sie erotisch nicht aus, verweigert üppige sinnliche Nacktheit, ließ sie nicht herausfordernd paradieren, sondern wirkt wie im vertrauten Gespräch mit ihr, quasi wie „privat“. Selbst wenn er eine nackte Frau und einen nackten Mann, sie im Bett, er daneben stehend, zum Thema macht, verschmäht er das erotische Element. Er malt Landschaften, aber er ist bei allem unikatem Einsatz der Farbe auch hier nie vordergründig spektakulär. Das Land und das Meer werden ebenso meditativ betrachtet wie Genreszenen aus dem Alltag, die oft inhaltlich so banal erscheinen, dass man sich fragt, was einen Maler daran interessiert. Aber wahrscheinlich geht es gerade um die Alltäglichkeit. Man begegnet einem Künstler, der weder Schönheit noch Malkunst zelebriert, sondern schlicht und einfach hinstellt.

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Der individuelle Blick     Bonnard ist kein Realist, nie malt er genau ab, was er gesehen hat, sondern gestaltet die Dinge aus der Erinnerung nach seinen eigenen Wünschen. Oft muss man die Bilder genauer betrachten, um etwa räumliche Zusammenhänge zu erblicken. Er wählt Blickwinkel, die fast befremden (etwa dort, wo die nackte Frau in der Badewanne liegt – ein wiederkehrendes, in Variationen gestaltetes Motiv). Oft scheinen sich die Menschen in seinen Bildern zu verstecken, man entdeckt sie, wie in Vexierspielen, plötzlich hinten auf einem Balkon oder hinter einem Blumenstrauß. Nie ist gewinnende Ästhetik sein Ziel, immer nur seine ureigenste Betrachtungsweise. Womit sich am Ende, beim genauen Hinsehen zeigt, dass seine Welt doch nicht so harmonisch ist, wie es den äußeren Anschein hat.

WIEN / Bank Austria Kunstforum,
1010 Wien, Freyung 8:
PIERRE BONNARD
DIE FARBE DER ERINNERUNG
Bis zum 12. Jänner 2019,
täglich 10 bis 19 Uhr, Freitag bis 21 Uhr

WIEN / Josefstadt: EINEN JUX WILL ER SICH MACHEN

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Alle Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Theater in der Josefstadt:
EINEN JUX WILL ER SICH MACHEN von Johann Nestroy
Premiere: 10. Oktober 2019

Man kann sich die Situation gut vorstellen. Da sitzt ein junger Regisseur (oder ein gar nicht mehr so junger, der es sich nicht leisten kann, einen Job abzulehnen) vor der Aufgabe, Nestroys „Einen Jux will er sich machen“ zu inszenieren. Den alten Hadern, der ohnedies niemanden mehr interessiert! Und noch dazu in Wien, wo nur die Weißhaarigen nach Meinrad / Konradi schluchzen (während die anderen diese Namen überhaupt noch nie gehört haben).

Was tun, damit das Unternehmen so sperrig wird, dass erstens niemand lacht, man sich zweitens am besten unbehaglich fühlt (denn war dieser Nestroy nicht ein kritischer Dichter?), und dass drittens das Feuilleton lang und breit über die „Interpretation“ nachsinnt. Positiv natürlich, denn sie ist ja so „anders“, und das muss ja nun heutzutage wirklich sein.

Also? In einer Theaterwelt, wo es immer noch genug Menschen gibt, die eine Inszenierung mit dem Bühnenbild verwechseln, ist es die halbe Miete, dieses so befremdlich und unschön darzustellen wie möglich. Das schafft Sophie Lux auf Anhieb mit Bühnenbild Nr. 1. Die „Gemischte Warenhandlung“ des Herrn Zangler ist eine – Wand. Mit verschiedenen, meist kleinen Öffnungen, aus der sich die Menschen hervorquetschen. Wie hoch symbolisch: die Eingeschlossenen! Wobei dieses Motiv durchaus in Nestroys Stück enthalten ist – nur nicht so primitiv deutlich.

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Wenn Weinberl und Christopherl, das normalerweise im G’wölb eingesperrte „Personal“, sich einen Jux machen, sprich, einmal etwas erleben will, kommen sie „in die Stadt“ in den Modesalon von Madame Knorr: Um die Talmi-Oberflächlichkeit dieser Welt zu zeigen, gibt es überall geraffte Vorhänge – auch bei den Kleidern der Damen: Sie können diese, huch, wie lustig (Kostüme: Birgit Hutter), per Schnürl hochziehen wie einen besagten Vorhang.

Für ein Wirtshaus fiel der Ausstatterin nichts ein als Wirtshaustische, dafür ist die Regie hier besonders schlampig, nicht nur – wie den ganzen Abend lang – in der Ausarbeitung der Komik, sondern auch bei der Darstellerung der faktischen Ereignisse: Wie Weinberl und Christopherl, die die Rechnung nicht zahlen können, da abpaschen, merkt man kaum…

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Ja, und nach der Pause wird es bei Fräulein Blumenblatt vor allem giftgrün, ein Zimmer, fast zum Loch verkleinert (ist ja auch logisch, wenn man von der Handlung her so viele Personen hineinstopfen muss), wobei sich die abgesteppten Möbelstoffe auf die Wand und in die Gewänder verirrt haben. Nach dem Warum darf man nicht fragen, nach dem Geschmack (oder der Geschmacklosigkeit) auch nicht, Hauptsache, es ist anders.

Nestroys Stück bewegt sich in seiner Ironie selbstverständlich eine Handbreit über dem Boden, aber die Menschen sind in ihrer Substanz echt, und die Situationen, in die sie geraten, durchaus beängstigend, zumindest für die beiden Hauptfiguren. Aber auf die psychologische Ebene des Stücks lässt sich Regisseur Stephan Müller (derselbe, der in der Josefstadt mit dem „Besuch der alten Dame“ so intelligent umgegangen ist!) überhaupt nicht ein. Er macht Kasperltheater, Kindertheater, bestenfalls Slapstick, schlechtestenfalls Albernheiten. Er hat nicht das geringste Gefühl für die Sprache, die an diesem Abend auf der Strecke bleibt, versteht nichts vom Witz, hat nur grimassierende Zappelei zu bieten.

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Wien hat (auch abseits von Meinrad und Konradi) eine darstellerische Nestroy-Tradition, die an diesem Abend nicht annähernd erreicht wurde. Johannes Krisch, dessen Abgang vom Burgtheater in vielen Interviews geschildert wurde, ist für den Weinberl – na, sagen wir, ein bisserl alt. Aber damit könnte man leben, wenn er nicht so spürbar angestrengt und atemlos wirkte. An seiner Seite in einer Rolle, in der Frauen oft köstliche Ergebnisse erzielten, ein junger Mann: Julian Valerio Rehrl macht einzig akustisch darauf aufmerksam, dass seine Theatersprache der Verbesserung bedarf.

Man könnte Madame Knorr und Madame Fischer als kluge Frauen sehen, die sich in einer Männerwelt zu helfen wissen. Hier müssen Martina Stilp und Alexandra Krismer strahlend blöde Funzen spielen, was höchstens dem Mündel Marie (Anna Laimanee) legitim zuzuordnen wäre. Als ihr Bräutigam zappelt Tobias Reinthaller zumindest mit Präzision. Robert Joseph Bartl bietet als Zangler vor allem törichten Gesichtsausdruck.

Im übrigen haben die meisten Darsteller mehrere Rollen, Elfriede Schüsseleder überzeugt als Hausfaktotum mehr denn als Fräulein Blumenblatt, die lächerliche Preziöse. Therese Lohner als Hausmeisterin und Stubenmädchen, Oliver Huether, Paul Matic, Alexander Strömer verkleiden sich nach Bedarf.

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Wie sehr eine Inszenierung wie diese „klassische“ Rollen zerstört, zeigt die Figur des Melchior, der normalerweise unfehlbar Pointen verstreut und Lacher kassiert und noch eine köstliche Studie wienerischer Wichtigmacherei bieten könnte: Martin Zauner gibt sich alle Mühe, aber man käme an diesem Abend nicht darauf, warum das eine so berühmte Rolle ist.

Darf man wenigstens froh darüber sein, dass Matthias Jakisic (E-Geige) und Thomas Hojsa (Akkordeon) sich diskret im Hintergrund halten (denn man hat an Musikbeiträgen schon Schlimmes erlebt) und dass Thomas Arzt für die Zusatzstrophen nichts eingefallen ist, wo man auch nur einmal aufgehorcht hätte. Aber das war’s auch schon an Erleichterung an diesem ärgerlich beschwerlichen, sinnlosen Abend.

Fazit: dieser „Jux“ ist ein Krampf. Wenn man Nestroy so spielt, soll man ihn besser gar nicht spielen.

Renate Wagner

WIEN/ Staatsoper: DIE FRAU OHNE SCHATTEN

 

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Camilla Nylund (Kaiserin). Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

DIE FRAU OHNE SCHATTEN – Staatsoper, 10.10.2019 – ANLÄSSLICH DES 100. JAHRESTAGES DER URAUFFÜHRUNG

(Heinrich Schramm-Schiessl)

Auf den Tag genau vor 100 Jahren wurde dieses großartige Werk im Haus am Ring uraufgeführt. Es war dies, sieht man von der 2. Fassung der „Ariadne“ ab, das einzige Werk von Richard Strauss, das in Wien erstmals erklang. Diese Produktion hatte bekanntlich im Mai dieses Jahres anlässlich des 150-Jahrjubiläums des Hauses Premiere und wurde nun mit teils geänderter Besetzung wieder aufgenommen. Dieses Jubiläum würdigte auch Direktor Meyer in einer kurzen Ansprache vor dem Vorhang.

Leider musste Andreas Schager, der nunmehr den Kaiser singen sollte, krankheitsbedingt absagen, es sprang für ihn der Premierensänger Stephen Gould ein. Er bot auch an diesem Abend eine ähnlich gute Leistung wie in der Premiere und erweckte wieder den Einsdruck, dass die ziemlich schwere Tessitura für ihn keinerlei Probleme bedeutet. Lediglich im dritten Akt gelangen einige Spitzentöne nicht wie gewohnt. Ein grosser Datsteller ist er halt nicht. Camilla Nylund war wieder sehr gut als Kaiserin, sang wunderbar auf Linie und hatte kaum Probleme. Auch darstellerisch konnte sie gefallen. Nicht angenehm muss es für sie gewesen sein, dass sich gerade während ihrer grossen Szene im dritten Akt zwei Zwischenvorhänge ineinander verhakten und einer mehrmals krachend auf den Bühnenboden fiel. Besser als im Mai gefiel mir diesmal Nina Stemme als Färberin, denn ihr gelangen diesmal die extremen Höhen wesentlich besser. Ansonsten sang und spielte sie engagiert wie immer. Die drei Debutanten des Abends in den Hauptrollen konnte nicht gefallen. Am besten war noch Tomasz Konieczny als Barak. Er versuchte wirklich auf Linie zu singen, aber es gelang ihm kaum und sein Timbre ist für diese Rolle nicht wirklich geeignet. Die Stimme klingt nicht wirklich und – was noch problematischer ist – sie berührt nicht. Besonders schmerzhaft fällt das am Ende des ersten und am Beginn des dritten Aktes auf. Darstellerisch blieb er blass. Mihoko Fujimura wiederum fehlt für die Amme die notwendige breite Mittellage, sodass sie stellenweise praktisch nicht zu hören ist. Außerdem hat man den ganzen Abend das Gefühl, dass sie jede der drei Lagen mit einer „ánderen“ Stimme singt. Darstellerisch fehlt ihr jede Dämonie. Keinen guten Tag hatte Clemens Unterreiner als Geisterbote. Er hatte sowohl in der Höhe als auch in der Tiefe Probleme und war ebenfalls stellenweise kaum hörbar.
Die kleineren Rollen waren durchaus sorgfältig besetzt. Gut auch der von Thomas Lang einstudierte Chor.

Ausgezeichnet wieder das Orchester unter der grossartigen Leitung von Christian Thielemann. Da stimmt alles vom Anfang bis zum Ende, der Aufbau dieser schwierigen Partitur wird völlig klar und – trotz der Orchesterfluten – durchsichtig realisiert und es gibt diesen unerlässlichen Bogen über den gesamten Abend. Man sollte den Verantwortlichen der Salzburger Osterfestspiele die dringende Empfehlung geben, sich diese Aufführung anzuhören. Vielleicht dämmert ihnen dann, was sie mit ihrer kulturpolitisch opportunistischen Entscheidung angerichtet haben. Das Orchester spielte wie immer, wenn es von einem Dirigenten gefordert wird, „auf der Sesselkante“ und bewies einmal mehr, dass es das beste Opernorchester der Weltb ist.

Am Ende gab es viel Jubel und es bleibt nur zu hoffen, dass diese Produktion auch bei der neuen Direktion am Spielplan bleibt.

Heinrich Schramm-Schiessl

 


WIESBADEN/ Hessisches Staatstheater: CARMEN. Neuinszenierung

Georges Bizet: Carmen, Hessisches Staatstheater Wiesbaden, Vorstellung: 10.10.2019

 (5. Vorstellung seit der Premiere am 14.09.2019)

TOROS SI, CORRIDAS NO SI

Das grosse Lob gleich zu Beginn: Das Staatstheater in Wiesbaden zeigt die Originalfassung der Carmen, also jene mit den gesprochenen Dialogen.

Das Hessische Staatsorchester Wiesbaden unter Leitung von GMD Patrick Lange setzt die Fassung sehr gut um. Ein paar Wackler des Blechs vermögen den Gesamteindruck nicht zu beeinträchtigen: ein satter, leidenschaftlicher Klang prägt den Abend und ist Grundlage, dass die Solisten überzeugen können.

Mit grossem Engagement und überraschender Textverständlichkeit sind Chor & Extrachor des Hessischen Staatstheater Wiesbaden (einstudiert von Albert Horne) und die Jugendkantorei der Evangelischen Singakademie Wiesbaden (einstudiert von Jörg Endrbrock) am Werk.

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Foto: Monika und Karl Forster

Lena Belkina bewältigt die Partie der Carmen technisch tadellos. Mehr aber auch nicht, denn was fehlt, ist Bühnenpräsenz und Ausstrahlung. Es bleibt nicht nachvollziehbar, wie sie den Männern den Kopf verdrehen soll. Ihre Freundinnen Frasquita (arg vulgär als Kindfrau: Stella An) und Mercédès (Silvia Hauer) gelingt das wesentlich besser. Aaron Cawley überzeugt als Don José mit metallischem, hellen Tenor voll und ganz (vielleicht doch nicht ganz «ganz»: etwas weniger Träne wäre mehr). Die Micaëla von Sumi Hwang steht in der Gunst des Publikums an erster Stelle. Eine grosse Stimme mit wunderbaren Farben und enormer Bühnenpräsenz. Christopher Bolduc singt den Escamillo technisch einwandfrei. Allerdings sitzt die Stimme an diesem Abend im Hals und will nicht strömen. Zudem fehlt Bolducs Stimme der für den Escamillo notwendige Umfang und die Grossspurigkeit. Ralf Rachbauer (Remendado), Philipp Mayer (Zuniga), Julian Habermann (Dancaïro), Daniel Carison (Moralès), Thomas Braun (Lilas Pastia)und Anna-Lena Owen (Manuela) ergänzen das Ensemble auf erfreulich hohem Niveau.

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Lena Belkina (Carmen). Foto: Monika und Karl Forster

Intendant und Regisseur Uwe Eric Laufenberg siedelt seine Inszenierung in der Gegenwart an. Gisbert Jäkel hast ihm dazu eine leere Stierkampfarena auf die Bühne gestellt. Antje Sternberg hat für die Beteiligten Gegenwartsbekleidung als Kostüme entworfen und Louise Buffetrille hat die Entwürfe umgesetzt. Andreas Frank sorgt für das richtige Licht.

Laufenberg erzählt die Geschichte stringent und eng am Libretto, ohne Mätzchen und führt die Protagonisten hervorragend. Wieso das Thema «Stierkampf» während der Ouvertüre provokant mit einem Film (Gérard Naziri) einer Corrida (bis und mit Tod des Stieres) angesprochen, dann aber nicht weiter ausgeführt wird, bleibt des Regisseurs Geheimnis. Das permanent sichtbareGrafitti «TOROS SI, CORRIDAS NO SI» trägt auch nicht zum Verständnis bei.

Weitere Aufführungen: Sa, 12.10.2019, 19:30 – 22:45; So, 20.10.2019, 19:30 – 22:35; Sa, 26.10.2019, 19:30 – 22:45; Mi, 13.11.2019, 19:30 – 22:45; Mi, 04.12.2019, 19:30 – 22:45; Fr, 06.12.2019, 19:30 – 22:45; Fr, 22.05.2020, 19:30 – 22:45.

11.10.2019, Jan Krobot/Zürich

FRANKFURT/ Alte Oper: EIN DEUTSCHES REQUIEM – HR-Sinfonieorchester/ Zinman

Frankfurt / Alte Oper: „EIN DEUTSCHES REQUIEM“ – 10.10. 2019

Mit Leidenschaft und höchst effizienter musikalischer Spielkultur präsentierte das hr-sinfonieorchester unter der Stabführung des Gastdirigenten David Zinman das interessante Chorwerk „Ein deutsches Requiem“ von Johannes Brahms in der Alten Oper.

Von dessen Struktur Johannes Brahms anfangs selbst nicht so recht wusste wohin sich sein Projekt entwickeln würde. Requiem? Damit verbindet man in der Musikgeschichte die Dies irae-Wuchten wie bei Mozart und Verdi. Doch Brahms dachte anders, er wollte nicht die Vorstellung eines Weltgerichts musikalisch demonstrieren, nicht die Schrecken des Todes, nicht existential ein Leben nach dem Tode besingen, sondern sah seine Komposition mehr oder weniger als Tor zur Ruhe zur Heimkehr.

Mit dem Zitat aus der Bergpredigt Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden – die mit Tränen säen werden mit Freuden ernten eröffnete die Chorpassage das Grundthema des Werkes. In architektonisch anmutender Chronik des vokalen Klangs glänzte der MDR-Rundfunkchor (Nicolas Fink) in organisch stimmiger Phrasierung. Der tänzerisch anmutende Dreierrhythmus im 2. Satz Denn alles Fleisch es ist wie Gras erklang nicht als unerbittliches Schlachtfeld der Elemente, sondern eher als extrem getragenes endloses Meer an Traurigkeit und erinnerte an den klagenden Auftritt der Gralsritter im 3. Parsifal-Akt. Chor und Orchester verschmolzen in großer dynamischer Bandbreite, in sorgsam facettenreicher Harmonie der vortrefflichen Klangbalance dieser qualitativen Chorgemeinschaft. Natürlich gilt das besondere Lob den Damen und Herren hatten sie schließlich das größte Vokal-Pensum des Abends zu bewältigen und in der Tat mit Bravour.

Weg vom typisch Brahms-Bleiernen unterstrich David Zinman mit dem prächtig aufspielenden hr-sinfonieorchester diese Wesenszüge und rückte die Partitur in lichte Gefilde, beleuchtete die dissonanten Schärfen des einleitenden Akkord-Knäule transparenter, weniger dominant und gab ebenso den Streichern eine weiche versöhnliche Note. Im  vortrefflichen Mischideal artikulierten sich stets die Fortissimo-Akzente der Blechbläser und formierten sich in sinnfälliger Balance zum wohldosierten orchestralen Gesamtklang.

Wunderbar artikulierten die beiden Solisten ihre Parts: die Sopranistin Christiane Karg bezauberte mit ihrem kurzen, aber gerade deshalb so heiklen Auftritt zum Satz Ihr habt nun Traurigkeit mit ihrem herrlich weich strömenden Legato, im natürlich schwebenden betörenden Edel-Timbre.

Gestalterische Schattierungen schenkte Michael Nagy dem Soli Herr, lehre doch mich, eindringlich kultiviert erklang dank seiner noblen, wundervoll dahinfließenden dunklen Bariton-Stimme Denn wir haben hier keine bleibende Statt und vorzüglich harmonierte das weitausschwingende Legato im Dialog mit dem Chor.

Ein kleiner Moment der Stille, sodann entlud das Publikum seine Begeisterung und feierte ganz besonders die Wiederbegegnung mit seinen „einstigen“ Frankfurter Lieblingen Karg und Nagy.

Gerhard Hoffmann

WIEN / Staatsoper: DIE FRAU OHNE SCHATTEN – 100 Jahre nach der Wiener Uraufführung

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Tomasz Konieczny, Nina Stemme. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: DIE FRAU OHNE SCHATTEN – 100 Jahre nach der Wiener Uraufführung

  1. Aufführung in dieser Inszenierung am 10. Oktober 2019

Von Manfred A. Schmid

In den auf denTag genau 100 Jahren seit der Uraufführung an der Wiener Staatsoper hat es Die Frau ohne Schatten von Richard Strauss an diesem Haus auf insgesamt 150 Vorstellungen gebracht. Grund genug für Direktor Meyer, in seiner Würdigung vor Beginn der Vorstellung auch auf dieses runde Jubiläum einzugehen. Wenn man allerdings bedenkt, dass es seineSalome in 47 Jahren- und das nur bezogen auf die derzeit im Repertoire befindlichen Inszenierung aus dem Jahr 1972 – auf nicht weniger als 239 Abende gebracht hat, dann ist das vergleichsweise wenig. Neben dem Ruf der Oper, sinnüberfrachtet und zu bedeutungsschwanger zu sein, liegt diese gewiss in erster Linie an der besetzungsmäßigen Herausforderung: Fünf stimmlich herausragende Kaliber in den Hauptrollen, dazu acht weitere, nicht zu unterschätzende Gesangspartien, einige kleinere Ensembles und natürlich große Chöre.

Wenn es da zu einem Ausfall kommt, wie im vorliegenden Fall durch die Erkrankung von Andreas Schager, steht das Besetzungsbüro vor keiner geringen Aufgabe. Da trifft es sich gut, dass der bewährte und schon in der Premiere im Mai als Kaiser zum Einsatz gekommene Stephen Gould eben in Wien weilt, weil er den Bacchus in der derzeitigen Aufführungsserie der Ariadne auf Naxos singt. Seine Leistung ist erneut bewundernswert stimmig. Ein strahlender Heldentenor mit dem nötigen Format, souverän in der Höhe, wenn auch dort durchgängigeher auf einem forte-level, und stark im Ausdruck. Seinen Gipfelerreicht er im Zweiten Akt, in der Szene „Falke, Falke, du wiedergefundener“. Feinstes Legato mit zarter Stimmgebung (Spitzentöne sind hier kaum gefragt), wunderbar nachvollziehbar die allmähliche Eintrübung der Freude durch die Sorgen um seine Frau und seiner belasteten Beziehung zu ihr. An der bezwingenden Gestaltung dieser in kantabler Hinsicht perfekt gestalteten Szene hat auch der Cello-Solist Tamas Varga großen Anteil. Und natürlich der musikalische Leiter des Abends, Christian Thielemann und sein blendenddisponiertes Staatsopernorchester. Hinreißendes Klanggewoge, fein ausbalanciert.Mächtig, wo es darauf ankommt, und von zartester, transparenter Qualität, wie in der eben genannten Falken-Szene, die nachgerade kammermusikalisch angelegt ist, und in der die sehnsuchtsvoll geflöteten Schreie des Falken Gänsehaut hervorrufen. Da verwundert es nicht, dass Richard Strauss nicht umhin konnte, 1946, drei Jahre vor seinem Tod und 27 Jahre nach der Uraufführung, die vielen Zwischenspiele in einer Orchesterfantasie zusammenzufassen. Der differenzierte, alle Klangnuancen auslotende Umgang Thielmanns und des Staatsopernorchesters mit der komplexen, farbenreichen Partitur legt nahe, warum das so sein musste.

Als Barak hat Tomasz Konieczny sein Rollendebüt in Wien. Wer das unverkennbare Timbre seines gaumigen Baritons , die eigene Färbung der Vokale mag und ihn als Alberich und Wotan schätzt (der Rezensent tut es), wird an seinem bodenständigen, gutmütigen Färber, der gerne volkstümliche Melodien pfeift – pardon: singt – und lange braucht, bis er angesichts des rätselhaften Gehabe seiner Frau an den Rand der Verzweiflung gerät, Gefallen haben.

Ebenfalls ein Rollendebüt hat Clemens Unterreiner. Als Geisterbote ist er allerdings eher blass, wirkt stimmlich überfordert. Jörg Schneider hin wiederum hat bei seinem ersten Einsatz als Stimme des Jünglings damit zu kämpfen, dass er offenkundig sehr unvorteilhaft positioniert ist, so dass sein feiner Tenor nicht sehr durchdringt und verdeckt klingt.

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Camilla Nylund. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Mihoko Fujimura erstmalige Amme im Haus am Ring ist keine Offenbarung. Sie kann mit ihrer in der Mittellage hohl tönenden Mezzostimme, die sie mit viel Vibrato zu unterfüttern sucht, weder mit der überragend singenden Camillla Nylund, noch mit der stark und markant in Erscheinung tretenden Nina Stemme mithalten. Letztere hat sich als Färberin gegenüber ihrer Leistung bei der Premiere noch gesteigert. Störrisch, resolut und widerspenstig im Gebärstreik, was auch durch Ecken und Kanten in ihrer gesanglichen Gestaltung der Rolle zum Ausdruck kommt, schließlich aber versöhnungsbereit und bereit für einen Neubeginn.

Rollendeckend treten Rafael Fingerlos, Marcus Pelz und Michael Laurenz als verhaltensoriginelle Brüder Baraks auf. Ileana Tonca, Valeriia Savinskaia, Szilvia Vöros, Stephanie Houtzeel, Szilvia Vöros, Bongiwe Nakani sowie Monika Bohinec und Maria Nazarova bewähren sich in verschiedenen Formationen als Dienerinnen, Stimmen der Ungeborenen und als Solostimmen. Der Chor und die Opernschule Wiener Staatsoper runden die gewaltige Besetzung dieser Produktion ab.

Begeisterter Applaus, in den sich, als sich überraschenderweise auch der Regisseur Vincent Huguet und der Dramaturg Louis Geisler dazugesellen, ob des allgemeinen Jubels nicht sehr vernehmbare Missfallensbekundungen mischen. Zu Recht. Die Inszenierung und ihre mangelnde Auslotung der Handlung und vor allem der zentralen Personen bleibt der Schwachpunkt dieser Produktion. Trotzdem wäre es wünschenswert, dieses Werk in Hinkunft, d.h. auch in der neuen Direktion, öfter auf dem Spielplan zu sehen. Was die Wiener Aufführungszahl dieser Strauss-Oper betrifft, gibt es da ja wirklich noch ausreichend Luft nach oben.

Manfred A. Schmid

 

 

WIEN/ Staatsoper: DIE FRAU OHNE SCHATTEN –»Famos! Ganz famos!«

WIEN/ Staatsoper: DIE FRAU OHNE SCHATTEN am 10.10.2019

Ja … wenn man das so spielt! Dann begegnen einander auch die Wiener Opernfreunde in den Korridoren mit einem berlinerischen Kapellmeistergruß: »Famos! Ganz famos!«

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»Die Frau ohne Schatten«, 2. Akt: Rafael Fingerlos (Der Einäugige), Der Bucklige (Michael Laurenz), Marcus Pelz (Der Einarmige), Tomasz Konieczny (Barak), Nina Stemme (Die Färberin), dahinter, teilweise verdeckt, Mihoko Fujimura (Die Amme), Camilla Nylund (Die Kaiserin) sowie die Opernschule der Wiener Staatsoper © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Die Frau ohne Schatten«, 2. Akt: Rafael Fingerlos (Der Einäugige), Der Bucklige (Michael Laurenz), Marcus Pelz (Der Einarmige), Tomasz Konieczny (Barak), Nina Stemme (Die Färberin), dahinter, teilweise verdeckt, Mihoko Fujimura (Die Amme), Camilla Nylund (Die Kaiserin) sowie die Opernschule der Wiener Staatsoper. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

 

http://www.dermerker.com/index.cfm?objectid=09DEEC50-EC3F-11E9-A933005056A64872

Thomas Prochazka/ www.dermerker.com

LINZ/Landestheater: DER BETTELSTUDENT. Premiere

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Matthias Frey, Hans Schöpflin. Foto: Linzer Landestheater/ Sakher Almonem

Linz:„DER BETTELSTUDENT“– Premiere am Musiktheater des Landestheaters, Großer Saal, 11. 10.2019

Operette in drei Akten nach denVorlagen„Les Noces de Fernande“ vonVictorien Sardou und „The Lady of Lyons“ von Edward Bulwer-Lytton; Libretto von F. Zell und Richard Genée, Musik von Carl Millöcker

Daß mitten in Dresden, der Hauptstadt des Mutterlandes der Reformation, eine katholische Hofkirche steht, kommt daher, daß der Herrscher desKurfürstentums Sachsen als Konvertit das nach dem Tode von Jan III. Sobieski „herrenlose“katholische Polen einheimsen konnte – und eine stark verbesserte Ausgangsposition für einen Wettiner als römischer Kaiser erhoffte sich der „starke August“ damit wohl auch…Besagte Kirche, die mehr Grundfläche als die evangelische Frauenkirche einnimmt, erbaute allerdings erst sein Sohn und Ämternachfolger.

Die sächsische Herrschaft wurde jedenfalls in Polen trotz des religiösen Spagates des neuen Königs nicht mit Begeisterung aufgenommen. Um die daraus resultierenden Konflikte, gewürzt mit Liebe und Rache, dreht es sich in dieser Operette, die 1704 in Krakau spielt. Am 6. Dezember 1882 fand im Theater an der Wien ihre Uraufführung statt; in Linz war das Werk bereits am 24. Februar 1883 erstmals zu hören. Seit 1945 ging es 171 mal über die Bühne an der Promenade; heute Abend, das 172. Mal, erstmals im Musiktheater am Volksgarten.

Karl Absenger hat nun die vierte Operetteninszenierung in diesem Haus geleitet – und leider muß man sagen, daß der heutige Abend bei weitem nicht so gelungen ist wie die letzten drei; speziell Zellers „Vogelhändler“ im Vorjahr hatte in so gut wie allen Facetten quasi seine Ware abgeschossen… Es mag dieser ungünstig ausgehende Vergleich freilich auch etwas an der weniger emotionell eingängigen Musik Millöckers liegen, der doch recht in Märsche verliebt gewesen sein dürfte und dessen musikalische Lyrik vergleichsweise etwas konstruiert und trocken wirkt. Die Personenführung funktioniert zum größten Teil, wird oft aber durch die Bühne konterkariert.

Die gebotene Szenerie ist nämlich auch wenig animierend zum Mit-Fühlen mit den Charakteren: zu karg,technisch-kalt wirkt diese Bühne (Thomas Pekny, Licht Johann Hofbauer), vorwiegend in hellem Holz und grauen Stahlstäben, was im Eröffnungsbild (Gefängnishof) angeht, aber dann als Anmutung oder Sinnbild (Abbild muß ja nicht sein!) des Rynek Główny bzw. der Tuchhallen versagt. Und als Saal im gräflichen Schlosse (mit wiederum technisch-karg anmutender Treppe) ist dieser Stil ebensowenig glaubwürdig wie als der finale Schloßgarten. Zudem bergen die großen, glatten Flächen beachtliches Reflexionspotential für die Stimmen, was mitunter zu stereophonischer Verwirrung führt.

Die Kostüme (Götz Lanzelot Fischer) animieren da schon eher zum Versenken in eine Theaterwelt – in vielen Fällen in barocker Pracht gehalten, allerdings auch manchmal, ohne szenisch einzuleuchten, in die Entstehungszeit des Werkes abschweifend oder in die Jetztzeit. Ein geradezu schmerzender Fremdkörper sind die aalglatt-silbernen Bikinis der cheerleaders, die die auftretende Blaskapelle begleiten – da hätte z. B. eine, quasi surreale, Kreuzung mit barockem Stilohne wesentlich größeren Aufwand zumindest einen witzigen Effekt gebracht. Der einzige plausible Verweis auf andere Zeiten als die von August dem Starken findet sich im Video, das die Ouverture begleitet: als neben dem „Zauber der Montur“ verschiedener Bürgerwehren auch der Wochenschau-Ausschnitt vom 1. September 1939 gezeigt wird, in dem Wehrmachtssoldaten den polnischen Grenzschranken zur Seite drehen; da hat sich doch einmal die Geschichte ausnahmsweise nicht als Farce wiederholt, sondern als wohl unvergleichlich blutigere Neuauflage…

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Gotho Griesmeier und Ensemble. Foto: Linzer Landestheater/ Sakher Almonem

Auch sängerisch läuft nicht alles perfekt. Was allerdings sicher nicht für das protagonistische Damentrio (Gräfin Nowalska mit ihren Töchtern Laura und Bronislawa) gilt: Christa Ratzenböck, Fenja Lukas und Theresa Grabner machen einfach Freude mit ihren hervorragenden Stimmen (Frau Lukas und Frau Grabner als perfekte, leichtfüßige Soubretten) und ihrem „durchtriebenen“ Spiel. Diese drei glänzen auch durch die beste Diktion aller Bühnenpersonen, sowohl in den Sprech- als auch den Gesangsabschnitten.

Oberst Ollendorf ist Michael Wagner. Auch er ein zuverlässiger Komödiant und klangvoller Baßbariton – jedoch das „nur“ beim Schulterkuß (C) liegt ihm zu tief, was seine Auftrittsarie, den bekanntesten hit dieser Operette, etwas in der Luft hängen läßt. Und seine aktuellen „schwammüberwischten“ Anmerkungen (Dramaturgie Anna Maria Jurisch) sind, trotz des überwältigenden Pointenangebotes der aktuellen Politik, nicht extrem profund geraten.

Des Oberstsadelige Entourage (Wangenheim, Henrici, Schweinitz) sind die zuverlässigen Chorsolisten Csaba Grünfelder, Markus Schulz und Markus Raab; Kornettvon Richthofen wird von Gotho Griesmeier fürwitziges Profil gegeben.Bei den Dialogstellen erhält diese Gruppe (soweit erkennbar nicht Frau Griesmeier) Mikrophonverstärkung, die nicht unbedingt zur Sprachdeutlichkeit beiträgt.

Die beiden Tenorrollen Jan Janicki und Titelfigur Symon Rymanowicz werden vom stimmlich nicht sehr gewichtigen, aber eleganten Mathias Frey und von Hans Schöpflin dargeboten – letzterer leider mit deutlicher Enge (und im dritten Akt auch Ansatzproblemen) in den höchsten Registern, die zusammen mit dem heute ebenfalls wenig präsenten tenoralen Schmelz nun einmal für ein effektvolles „Ich knüpfte manche zarte Bande“ unerläßlich wären.

KerkermeisterEnterich, wurde von Alfred Rauch bärbeißig, profund korrupt und mit solider Singstimme verkörpert.

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Militärmusik. Foto: Linzer Landestheater/ Sakher Almonem

Einstudierung und Dirigat von Marc Reibel sind die Klammern, die den Abend wenigstens musikalisch vorzüglich zusammenhalten, denn Schwung und musikantische Leichtigkeit, die aus dem Graben kommen (Bruckner Orchester in mittlerer Besetzung, wie damals im Theater an der Wien), sind ebenso untadelig wie – mit einer winzigen Ausnahme im ersten Akt – die Koordination mit der Bühne. Dazu kommt noch eine besondere Hürde in diesem Werk: das Theaterorchester muß mit einem Blasorchester auf der Bühne synchronisiert werden – hier in Gestalt der Militärmusik Oberösterreich unter OStv Gerhard Dopler; das funktioniert bei beiden Auftritten (im 2. Akt, der nach dieser effektvollen Szene durch die Pause unterbrochen wird, und im Finale) hervorragend.

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Theresa Grabner, Matthias Frey. Foto: Linzer Landestheater/ Sakher Almonem

Der Chor des Landestheaters unter der Leitung von Elena Pierini ist erneut stimmlich und – zusammen mit der Statisterie – schauspielerischbis hin zu choreographierter Beweglichkeit (Wei-Ken Liao) eine der Stärken der Produktion.

Der Applaus fällt nicht rasend animiert aus, wobei die drei Damen, Herr Wagner, Dirigent(en) sowie Chor und (die) Orchester deutlich am besten abschnitten; einige Buhs für das Produktionsteam.

Petra und Helmut Huber

GELSENKIRCHEN/ Musiktheater im Revier: FRAU LUNA von Paul Lincke

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Copyright: Björn Hickmann

GELSENKIRCHEN: FRAU LUNA von Paul Lincke
11.10.2019 (Werner Häußner)

Paul Linckes „Frau Luna“ ist im Theaterkosmos Nordrhein-Westfalens eigentlich durch: Krefeld-Mönchengladbach startete den „Mondballon“ bereits, in Dortmund und Hagen sind Pannecke und Pusebach bereits gelandet, und auch in Münster haben der Mechanikus Fritz Steppke und seine kleine Marie schlussendlich zu einem „kleinen bisschen Liebe“ gefunden.

Jetzt setzt Gelsenkirchen noch einmal nach mit der gründerzeitlichen Reise zum Mond – so als gäbe es nicht Dutzende anderer aufführungswürdiger Operetten. Aber die Repertoirebreite von einst ist längst vergessen. Ob angehende Dramaturgen im Studium je etwas von der Operette hören, ist fraglich (auch wenn es inzwischen eine erstaunlich breite Forschung zu der lange verschmähten Gattung gibt), und ob sie sich in der Praxis mit Volker Klotz‘ Handbuch gerüstet gegen die Praxis durchsetzen können, dürfte zweifelhaft sein, schaut man sich die Spielpläne an.

Generalintendant Michael Schulz wollte diese lunare Erscheinungsform der Operette an seinem Haus haben, und so geschah es eben. Sein Joker: Er lässt eine Neufassung von Matthias Grimminger und Henning Hagedorn spielen. Das ist jenes Duo, das für den WDR und für Barrie Koskys Komische Oper in Berlin die funkelnden Strasssteine Paul Abrahams aufpoliert hat. Das Ergebnis katapultiert das Publikum regelmäßig in höhere Sphären der Unterhaltungskunst, so in den letzten Spielzeiten u. a. in Dortmund mit „Blume von Hawaii“ und „Roxy und ihr Wunderteam“ – und demnächst in Berlin mit der in Deutschland noch nie gespielten Abraham-Operette „Dschainah, das Mädchen aus dem Tanzhaus“.

Die Bearbeitung kommt mit vierzehn Instrumenten aus und nähert Linckes gemütliche Marsch- und Walzerrhythmen der frivolen Berliner Operette der zwanziger Jahre an. Da schmachtet das Saxophon, swingt das Banjo und pfeffert das Schlagzeug dazwischen. Die Geigen dagegen können nicht mehr forsch aufspielen oder süßes Sentiment vergießen; sie huschen abgemagert durch die Partitur und lassen den Kolleginnen und Kollegen von der Luft-Fraktion den Vortritt. Naja, Berliner Luft eben …

Der Schlager zum Mitklatschen muss natürlich sein, aber das Gelsenkirchener Publikum traut sich erst am Schluss. Dazwischen gibt Dirigent Bernhard Stengel dem „bisschen Liebe“ eine Prise Süßstoff mit, lässt das Glühwürmchen-Idyll, von Lina Hoffmann mit stahlschimmerndem Samt gesungen, glimmern und schimmern, nährt die Klage der Frau Pusebach um ihre entschwundene Liebe Theophil mit treuherziger Ironie. Doch man spürt, dass Paul Linckes Musik in einer anderen Welt zu Hause ist als in Shimmy und Foxtrott. Und wenn das Tempo nicht zündet, Töne zu brav und zu breit geformt sind und die Phrasierung keinen Schmiss hat, sehnt man sich nach dem preußischen Geschmetter zurück, für das der zackige Möchtegern-Militärkapellmeister Lincke berühmt geworden ist.

Ein eins zu null für Gelsenkirchen gibt es, weil die Darsteller auf der Bühne des Kleinen Hauses etwas können, was für die Pointen der Operette unerlässlich ist: Sprechen. Wenn sie dann auch noch deutlich artikulieren, wird’s lustig, weil Regisseur Thomas Weber-Schallauer den Text erfrischend agil bearbeitet hat. Er hat zudem nicht den abgekühlten Sprachwitz Heinz Bolten-Baeckers‘ durch neue lauwarme Sprüchlein ersetzt, sondern die Geschichte konsequent zwischen Berliner Schnodder und elaboriertem Science-Fiction-Slang gefasst. Da gibt es beim Durchbrechen „emotio-fraktaler Schutzschilder“ dann schon mal einen „hetero-aktiven Systemabsturz“. Und Dongmin Lee spricht als Stella mit sphärischem Hall wie eine Roboterstimme aus einem frühen Kino-Weltraumabenteuer. Weber-Schallauer findet genau die richtige Dosis in seinem Neusprech und ironisiert damit gekonnt das Gequatsche aus diversen Gamer-, Netz- und Technik-Blasen.

Seine Inszenierung stützt sich auf die üppigen Weltraum-Bilder, die Christiane Rolland über die breite Bühne projiziert – und man denkt sich aus, welchen Effekt das wohl im Großen Haus gemacht hätte! Da dreht sich der blaue Planet weg wie in der „Odyssee im Weltraum“. Da strahlen die Galaxien wie auf den Titelbildern von Perry-Rhodan-Heften. Aber die Auflösung ist so schlecht, dass die Sternhaufen aussehen, als hätte eine Berliner Göre beim Heimweg vom Milchladen die ganze Chose verdröppelt. Naja, Milchstraßen eben …

Weber-Schallauer lässt die drei Kumpels Steppke, Pannecke und Lämmermeier unter den offenen Dachsparren des Pusebach’schen Hauses auftreten. Der dosengefüllte Kühlschrank neben dem Sofa und die 3-D-Brillen über den Augen signalisieren einen chilligen Tag. Die so resolute wie liebeshungrige Logierwirtin (in grell-komischem Berliner Diseusenton: Christa Platzer) stört den Ausflug in virtuelle Sphären, kann ihn aber nicht verhindern und gerät unfreiwillig in die Welt auf dem Monde: Dort meint sie unter den silbrigen Gestalten in grotesken Krinolinen (Kostüm-Einfälle von Yvonne Forster) ihre verflossene Affäre Theophil zu entdecken – und liegt richtig: Der Herr Haushofmeister Frau Lunas hatte einst eine Mondfinsternis genutzt, um auf Erden seinen Gelüsten nachzugehen.

Die Verwicklungen, die sich nun daraus ergeben, stürzen die ganze Mondgesellschaft inklusive diverser Gast-Planeten (Mars: Vivien Lacomme, Venus: Alfia Kamalova) in gewisse Bredouillen. Doch der gewiefte Theophil, eine Paraderolle für Joachim G. Maaß, findet durch einen irdischen Damen-Import (Ava Gesell als in jeder Hinsicht entzückend agierende Marie) eine Lösung selbst für die amouröse Verwicklung, die seine Chefin (Anke Sieloff als gereifte Göttin) an den biederen Mechanikus Steppke (dünn an Gestalt und Stimme: Sebastian Schiller) statt an den heldentenoral überziehenden Prinz Sternschnuppe (Martin Homrich) fesselt. Der Rücksturz ins heimatliche Berlin klappt nicht so ganz: Es gibt eine gewaltige Explosion, und in der wiedergewonnenen „Berliner Luft“ tanzt das Mondpersonal fröhlich mit. Naja, die virtuelle Welt lässt uns nicht mehr los.

Werner Häußner

BERLIN/Staatsoper: DIE LUSTIGEN WEIBER VON WINDSOR

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Rene Pape (Falstaff. Copyright: Staatsoper Berlin

Berlin Staatsoper: Nicolai: Die Lustigen Weiber von Windsor.  Vorstellung am 11. Oktober 2019

In unseren Tagen wird eine Verrohung der Sprache beklagt, ein respektloser Umgang miteinander.

Im Theater, dem Spiegel unserer Gesellschaft, ist in letzter Zeit diese Tendenz auch in den Inszenierungen spürbar.

Otto Nicolai´s Oper, die als Neuproduktion an der Staatsoper n Berlin jetzt zu erleben ist, behandelt in bester Spieloperntradition des 19 Jahrhunderts den Falstaff-Stoff. Regisseur DAVID BÖSCH zieht das Geschehen in eine Parade der Geschmacklosigkeit und auf soutterranes Niveau. Alle Akteure sind Knallchargen, keine Figur hat Würde. Falstaff ist ein fett- ausstaffierter Altrocker, der im Müll zuhause ist. Die Familien Reich und Fluth wohnen in Reihenbungalows, benehmen sich aber ebenfalls wie schlimmste Proleten und das junge Paar entflieht mit Drogen als fade Karikatur linksautonomer Jugendlicher. Wenn das deutscher Humor ist, dann wissen wir zurecht, warum man uns in der Welt diesen gerne abspricht. Es fehlt die Fallhöhe: etwa, wenn sich Herr Fluth eine zweite Identität gibt, um sich an Sir John heranzumachen. Den angeblich reichen Fluth gibt es vormals gar nicht, und so gibt es auch nur eine dämliche Perückenverwandlung. Der Stoff ist selbst in der biedermeierlichen Sicht des Librettisten Mosenthal schillernd und delikat.

Nichts davon hier: die Bühne von PATRICK BANNWART und schwankt von ödem Eins-zu-eins Realismus bishin in abstraktere Räume, immer darauf bedacht, möglichst geschmacksverdorben zu sein. Desillusionierende Kostüme (FALKO HEROLD) erklären die Charaktere, ohne dass sie noch irgendetwas spielen müßten und verdammen sie zu outrierenden Stereotypen.

Ein bisschen Grönemeyer,-  Dialoge in verschiedenen, nicht von allen sonderlich beherrschten Dialekten.Unzählige Requisiten werden knapp angespielt, um sie gleich mit einem nächsten auszutauschen; die Situationen unter den Personen bleiben ungenau: nichts hat Bedeutung, schon gar nichts Größe.

Und so bekommt man schnell ein schales Gefühl inhaltlicher Leere und ist eher genervt als erheitert bei zunehmend fortschreitender und dadurch monoton wirkender Handlung.

Aber es git noch die Staatskapelle und DANIEL BARENBOIM. Und besonders in der Ouvertüre zeigten sich die Musiker von ihrer erlesensten Seite. Subtil schwingt die Melodik und auch die Sommernachtstraum-ähnlichen flirrenden Holzbläser- und Streicherfiguren geraten filigran. Später, auch durch das wuchtige Agieren oben auf der Bühne, gerät manches zu massig und zu laut. Das bravouröse Violinsolo, wunderbar gespielt von LOTHAR STRAUß, darf nicht unerwähnt bleiben.

Die Sängerbesetzung kann sich hier hören lassen.

Besonders ANNA PROHASKA gelingt ein – als Gothik- Girlie Anna- berückendes vokales Porträt mit warmem, edel- phrasierenden Sopran.  PAVOL BRESLIK als ihr Liebhaber Fenton hat den passenden tenoralen Schmelz für die heikle Lerchenarie und spielt einen wenig selbstsicheren Jungspund. Dem Ritter John leiht RENE PAPE seinen unverwechselbar, schönen Baß. Auch ihm hört man jede Sekunde gerne zu, so sinnfällig gewichtet sind bei ihm Klang und Wort. Als Herr Fluth dauer- poltert MICHAEL VOLLE raumgreifend und wuchtig-überzogen deklamierend. Sein Nachbar Reich wird von WILHELM SCHWINGHAMMER etwas vornehmer und zurückhaltender mit warmem Baß gesungen. Die Damen Fluth und Reich können dieses vokale Niveau nicht halten. MANDY FRIEDRICH´s leichter Sopran hat zu wenig Farbe und Nuance, um die zentrale Rolle der Hauptangebeteten interessant zu gestalten und MICHAELA SCHUSTER´s Alt ist (inzwischen) zu unausgeglichen und nicht immer klangschön. Angemessen, wenn auch nicht Aufhorchen lassend, integrieren sich LINARD VRIELINK als Spärlich und DAVID OSTREK als Cajus in die Gruppe. Der Chor der Staatsoper singt und spielt überzeugend.

Solisten und Chor outrieren ihre Rollen teils schamlos und manche haben sicher aus Spaß dabei.

Je tröger ein Kalauer hingerotzt wird, desto mehr amüsiert sich das adrett- bürgerliche Publikum im Saal und spendet kräftig Beifall. 

Und das ist bezeichnend, um zum Ausgang zurück zu kommen, für den Zustand unserer Gesellschaft. Anstatt wirkliche Fragen oder gar im Humor versteckte Gesellschaftskritik, die in diesem großartigen Stoff enthalten wäre, auf die Bühne zu bringen, begnügt sich die Regie mit seichter, ja niveauloser Unterhaltung und es wird goutiert.

„Die lustigen Weiber“ hätten eine szenisch weit kostbarere Behandlung verdient. Musikalisch erfüllt der Abend die Erwartungen.

Christian Konz

 


FRANKFURT/ Opernhaus: KRENEK-EINAKTER „DER DIKTATOR/SCHWERGEWICHT ODER DIE EHRE DER NATION/ DAS GEHEIME KÖNIGREICH“. Wiederaufnahme

Ernst Křenek: Der Diktator / Schwergewicht oder die Ehre der Nation / Das geheime Königreich, Oper Frankfurt, Wiederaufnahme: 11.10.2019

 Der Tag der Aussenseiter

Der Spielplan der Oper Frankfurt überzeugt immer wieder mit Raritäten und so wurden jetzt die Einakter «Der Diktator», «Schwergewicht oder die Ehre der Nation» und «Das geheime Königreich» von Ernst Křenek, die Produktion, die bei den International Opera Awards 2018 als «Wiederentdeckung des Jahres» ausgezeichnet wurde, wieder in den Spielplan aufgenommen. Die Einakter entstanden alle direkt im Anschluss an Křeneks Erfolgswerk «Jonny spielt auf» auf Libretti des Komponisten und wurden im Rahmen der Maifestspiele 1928 in Wiesbaden uraufgeführt. «So wenig die Stücke einen äusseren Zusammenhang haben, so sehr wird der Gedanke eines inneren Zusammenhangs bei ihrer Betrachtung nahegelegt – mir selbst wurde er erst nach der Vollendung der Stücke evident» schrieb Křenek zehn Jahre nach der Uraufführung.

Das Leading Team der Produktion, Regisseur David Hermann und Dirigent Lothar Zagrosek, hat sich seinen eigenen Zugang zu den drei Werken geschaffen und erzählt die Geschichte vom Aufstieg und Fall eines Herrschers. In «Der Diktator» befindet sich der Herrscher (es ist anzunehmen, dass auf Grund der Entstehungszeit Mussolini gemeint sein muss) auf der Höhe seiner Macht und erklärt, so das Libretto, zum wiederholten Male, einem kleinen Staat den Krieg. Rasch verguckt sich der Herrscher, er befindet sich mit seiner Gattin in einem Nobelhotel am Genfer See, in die junge, hübsche Maria, Gattin eines im Krieg bei einem Giftgasangriff erblindeten Offiziers. Jo Schramm (Bühnenbild) hat dazu eine zeitgenössisch schlichte Architektur geschaffen. Vier Stühle und ein Tisch genügen als Mobiliar. Einerseits erliegt Maria den Verführungskünsten des Diktators, andererseits hat sie geschworen den, der ihrem Mann das Leid angetan hat, umzubringen. In der folgenden Auseinandersetzung erschiesst Charlotte, die Frau des Diktators, Maria. Der Offizier erscheint: «Maria, hast Du es getan?»

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<em>(Der Diktator)</em> Juanita Lascarro (Maria), Davide Damiani (Der Diktator), Angela Vallone (Charlotte)

Der Diktator; Foto: Barbara Aumüller.

Gleich daran anschliessend besucht der Diktator mit seiner Frau eine Vorstellung im Theater: «Schwergewicht oder Die Ehre der Nation», eine Farce um den Boxer Adam Ochsenschwanz. Hier greift Křenek die Sportbegeisterung und sich entwickelnden Medien seiner Zeit auf. Im Theater wird ein Anschlag auf den Diktator verübt.

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Schwergewicht oder Die Ehre der Nation; Foto: Barbara Aumüller.

Offenbar hat der Diktator den Anschlag überlebt. Nur physisch, den psychisch zeigt «Das geheime Königreich» einen schwer angeschlagenen sich auf der Flucht befindlichen König. Hierfür hat Schramm das eindrücklichste Bühnenbild geschaffen: der Innenraum der Ruine eines zweistöckigen Gebäudes, vielleicht des Theaters, mit einem gewaltigen Bombenloch in der Decke. Im Untergeschoss haust der ramponierte Diktator mit Anhang auf Etagenbetten, während es sich oben der Narr mit Austern und Champagner gutgehen lässt. Für den letzten Teil kommt eine wunderbare realistische Waldlandschaft auf die Bühne.

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Das geheime Königreich; Foto: Barbara Aumüller.

Das Regiekonzept funktioniert bestens und ermöglicht einen szenisch uneingeschränkten Genuss der Einakter Křeneks.

Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester brilliert unter Leitung von Lothar Zagrosek und lässt Křeneks Musik farbig und kontrastreich erklingen. Sie zeigen exemplarisch, was Glenn Gould gemeint haben mag,  wenn er Křenek als Ein-Mann-Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts bezeichnete.

Davide Damiani ist als Diktator / König dauernd präsent und kann das Regiekonzept perfekt umsetzen. Stimmgewaltig mit grosser Bühnenpräsenz Juanita Lascarro als Maria, während Angela Vallone mit unangenehm schrillen, spitzen Tönen des Diktators Eheprobleme verstehen lässt. Vincent Wolfsteiner gibt den Offizier.

Keine Wünsche offen lässt das Ensemble des Schwergewichts: Barnaby Rea als Adam Ochsenschwanz, Barbara Zechmeister als seine Frau Evelyne, Jonathan Abernethy als Tanzmeister Gaston, Danylo Matviienko als Professor Himmelhuber, Judita Nagyová als dessen Tochter und Michael McCown als Journalist/Regierungsrat.

Das geheime Königreich bringt den grossen Auftritt von Sebastian Geyer als Narr. Er wird hier zum grossen Gegenspieler des Königs und kann ohne Probleme bestehen. Mit scheppernd-dröhnenden Höhen gibt Ambur Braid die Königin. Die Überraschung des Abends ist Peter Marsh mit schier endlosem Atem als Rebell. Florina Illie, Julia Moormann und Judita Nagyová sind die drei Singenden Damen, Jonathan Abernethy und Pilgoo Kang die Zwei Revolutionäre.

Ein lohnende Begegnung!

Weitere Aufführungen: 19.10.2019, 26.10.2019, 01.11.2019.

11.10.2019, Jan Krobot/Zürich

MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: LES CONTES D’HOFFMANN

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Copyright: Bayerische Staatsoper

München: Bayerische Staatsoper: „LES CONTES D‘HOFFMANN“, 11.10.2019:

Richard Jones‘ phantasievolle und unterhaltsame Inszenierung von Jacques Offenbachs „Les Contes d’Hoffmann“ ist seit ihrer Premiere 2011 zu einem festen Bestandteil des Repertoires der Bayerischen Staatsoper geworden.

Das Münchner Publikum hatte schon Gelegenheit, viele hervorragende Sänger in den Hauptpartien zu erleben. Auch in der Vorstellung am 11.10. gab es viel Interessantes zu sehen und zu hören. Michael Spyres gestaltete die Hauptpartie und nahm die Zuschauer vor allem durch seinen klangvollen, warmen, kräftigen und leicht baritonal gefärbten Tenor für sich ein. Bis zum Schluss der anspruchsvollen Partie zeigte seine Stimme keinerlei Ermüdungserscheinungen, so dass vor allem auch seine Arie im vierten Akt zu einem mitreißenden Höhepunkt des Abends wurde. Lediglich bei manchen Spitzentönen verliert das Timbre etwas an Glanz und wird etwas matt. Dies trübte den positiven Gesamteindruck jedoch nur minimal, zumal Michael Spyres auch eine sehr sympathische Bühnenfigur kreierte, mit der man die drei Liebesgeschichten gerne durchlebte. Hoffmanns Gegenspieler in der Gestalt von Lindorf, Coppélius, Doktor Miracle und Dapertutto war Alex Esposito, der insbesondere darstellerisch eine hervorragende Leistung brachte. Er zeigte dem Publikum vier völlig unterschiedliche Persönlichkeiten, den überheblichen, in die Jahre gekommenen Gentleman, den windigen, spleenigen Puppenmacher, den dämonischen, todbringenden Arzt und den eleganten, skrupellosen Bordellbesitzer. Auch musikalisch konnte Alex Esposito mit seinem kernigen, frei strömenden Bassbariton voll überzeugen. Die weiblichen Protagonistinnen sangen auf hohem, wenn vielleicht auch nicht herausragendem Niveau. Nina Minasyan gestaltete die virtuose Arie der Olympia souverän. Ihre leicht metallische Stimme passte sehr gut zur mechanischen Puppe, die sie verkörperte. Den lyrischen, gefühlvollen Part der Antonia meisterte Sarah-Jane Brandon mit großer Emphase und viel Sensibilität. Simona Mihai war eine attraktive, selbstbewusste Giulietta mit klangvoller, aber ein wenig unpersönlicher Stimme. Michèle Losier gestaltete die Partie des Nicklausse mit warmem, frei strömendem Mezzosopran und engagiertem frischem und charmanten Spiel. Für ihre lebhafte Interpretation erhielt sie neben Michael Spyres den meisten Beifall des Abends.

Constantin Trinks dirigierte das Bayerische Staatsorchester sehr zupackend, was vor allem die großen Ensembleszenen sehr eindrucksvoll machte. Im Antonia-Akt wählte er ziemlich langsame Tempi, dennoch bestand vor allem wegen der faszinierenden Bühnenfigur von Alex Esposito nie die Gefahr der Langeweile. Die Sänger der vielen kleinen Partien wie Ulrich Reß als Spelanzani, Kevin Conners als Cochenille, Pitichinaccio und Franz sowie Martin Snell als Luther und Crespel hatten ebenfalls ihren Anteil am großen Unterhaltungswert der Vorstellung. Am Ende freundlicher Applaus eines angetanen Abopublikums.

Gisela Schmöger  

WIEN / Volkstheater: DER GUTE MENSCH VON SEZUAN

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Foto: lupispuma_com_Volkstheater

WIEN / Volkstheater:
DER GUTE MENSCH VON SEZUAN von Bertolt Brecht
Mitarbeit Ruth Berlau, Margarete Steffin
Premiere: 12. Oktober 2019

Ob „Der gute Mensch von Sezuan“ das Stück der Stunde ist? Bert Brecht war jedenfalls zu intelligent und auch viel zu zynisch, um der Welt eine kuschelweiche Gutmenschen-Parabel zu liefern. Im Gegenteil – kein Kickl könnte kälter über die Menschheit urteilen, als er es in dieser märchenhaften und dabei so fest am Boden der Realität stehenden Geschichte tut, die er nicht wirklich in ein fiktives China gestellt hat (so wenig, wie der „Kaukasische Kreidekreis“ im Kaukasus spielt…).

Wenn hier eine Prostituierte namens Shen Te schlicht und einfach ein Herz für ihre Mitmenschen hat, stellt sie – damals, als Brecht das Stück während des Zweiten Weltkriegs schrieb, gab es den Begriff „Gutmensch“ noch nicht – den wirklich raren Fall eines guten Menschen da. Sie ist und bleibt die einzige weit und breit, und als sie zu ein wenig Geld kommt, wird sie von ihrer gierigen Umwelt mit unverschämten Forderungen fast in Stücke gerissen.

Nicht, dass man irgendetwas, das Brecht da zeigt, psychologisch bezweifeln würde. Auch nicht, dass der Mann, dessen sie sich annimmt und in den sie sich verliebt, sie einfach nur als Quelle betrachtet, aus der sich Geld pressen lässt. Das ist zwar nicht direkt Kapitalismus-Kritik (die kommt in ihrer reinen Form erst etwas später im 2. Teil, wen Shen Te in Verkleidung zum Fabriksbetreiber wird), aber letztlich geht es um die alte Weisheit, dass es immer ums Geld geht. Abgesehen davon, dass erst das Fressen kommt und dann die Moral, aber das hat Brecht anderswo sehr schön formuliert…

Das Stück zeigt nun auf (wiederum wäre ein Kickl der zufriedenste Zuschauer), dass man den gnadenlosen Killerinstinkten der Armen (und der Reichen wohl auch…) nur durch eine eiserne Hand entgegen tritt. Dafür erfindet die seelisch so zarte Shen Te ihren „Vetter“ Shiu Ta, der nun (außerdem ist er ein Mann!) so agiert, dass alle es verstehen und alle kuschen. Begreifen lernen, dass man nichts geschenkt bekommt, sondern schwer dafür arbeiten muss. Dass man keinerlei Gnade und Freundlichkeit erwarten kann, weil sie ja auch selbst keine geben. Das und nichts anderes erzählt die Parabel. Kann das gut gehen, wenn es so ist? In unserer Welt funktioniert es zumindest.

So lässt Brecht – der ja Ideologien nie ernst genommen hat, auch nicht den Kommunismus, von dem er sich nach dem Krieg so üppig füttern ließ – am Ende sagen (und vielleicht erkennt mancher erst jetzt, woher Marcel Reich-Ranicki seine stete Schlussformel für das „Literarische Quartett“ nahm, so sehen wir „betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen“ – und der Dichter fordert das Publikum auf, die soziale Frage zu lösen, zu der ihm natürlich auch nichts einfällt. Außer dem flehentlichen Wunsch, es müsse doch den „guten Menschen“ geben… Vielleicht haben die an dem Stück mitdichtenden Damen da die Milch der frommen Denkungsart hinzu gefügt.

Brecht hat auch noch, um das ganze Geschehen weiter aus faktischer Realität zu holen, drei „Götter“ auf die Welt geschickt, die offenbar den Auftrag haben, den „guten Menschen“ zu suchen (ein klassisches Märchenmotiv). Nun, seit Menschengedenken hat kein Regisseur diese Figuren als „Götter“ gezeichnet. Auch Robert Gerloff nicht, der im Volkstheater eine sehr passable Inszenierung liefert, die nur etwas zu lang ist und im zweiten Teil aus dem Ruder läuft.

Mit dieser Parabel kann man umgehen, wie man will, wenn einem etwas einfällt. Gabriela Neubauer hat ein turmartiges Gebäude auf die Mitte der Bühne gebaut, das zwar nicht wirklich mitspielt, aber den Vorteil hat, dass man Brechts Gesicht riesig darauf projizieren kann. Mit „echter“ Riesenzigarre, die auch gelegentlich raucht – Lehrstück mit Ironie, der Meister schaut sich das Spektakel quasi an.

Hoffentlich wird er dabei nicht schwindlig: Nur weil Ulrich Rasche den Wienern jetzt im Burgtheater („Die Bakchen“) zeigt, dass sich der Bühnenboden ununterbrochen bewegt und die Darsteller folglich dauernd am Laufen sind, müsste man das hier nicht auch tun – aber tatsächlich ist die Drehbühne einen großen Teil des Abends unermüdlich am Werk, und das wirkt in kürzester Zeit etwas affektiert…

Wir sind durch die Kostüme von Johanna Hlawica in einer heutigen, aber doch leidlich stilisierten Welt, wenn etwa die Familie, die über Shen Te fordernd herfällt, durch einen Mantel mit verschiedenen Ärmelöffnungen quasi zum Kollektiv gebunden sind. Die drei Götter stecken in undefinierbaren Umhängen, benehmen sich aber definierbar wie zeitgenössische Politiker, die sich die Sache (die mit dem allgemeinen Unrecht nämlich) zwar ansehen, aber um Gottes willen nichts unternehmen wollen. Die Inszenierung verläuft, schon durch die dauernde Bewegung, die die Drehbühne vorgibt, gewissermaßen choreographisch und empfängt geradezu pointierende Kommentare durch drei Musiker am Bühnenrand.

Allerdings ufert alles im zweiten, schwächeren Teil gewaltig aus, da wird plötzlich ein Musical „mit Gesang und Tanz“ aus der Sache, und der ehrenwerte Imre Lichtenberger-Bozoki, der die dreiköpfige „Band“ anführt und auch das bearbeitet hat, was von Dessaus Musik noch da ist, wird dann geradezu penetrant mit seinen immer lauter werdenden Solokünsten auf der Trompete (die sie laut Programmheft ist, aber eigentlich wie eine Posaune aussieht). So eitel muss man dann auch nicht sein, dass man auf Szenenapplaus hinspielt.

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Trotzdem, wenn der Abend auch unausgewogen ist, so liefert er doch letztendlich das Stück – und wie oft ist einem das im Badora-Volkstheater schon passiert? Man denke nur mit Schauder an den so elend gemeuchelten Grillparzer –. Man hat die Shen Te oft als zartes junges Geschöpf gesehen, das kann Claudia Sabitzer nicht bieten, wohl aber viel Gefühl und Anstand, was sie ganz wunderbar ausstrahlt. Die neben ihr stärkste Gestalt ist die Witwe Shin – wohl, weil hier ein besonderer Besetzungscoup gelungen ist: Getrud Roll, die so lange Zeit erst bei Hans Gratzer, dann an diesem Volkstheater eine so wichtige Rolle im Wiener Theaterleben gespielt hat, ist wieder da, trocken nüchtern, aber am Ende doch ein Mensch. So, wie sie die Schlussworte bringt, schwingt sich die Parabel weniger zur Moralpredigt, als zur feierlichen Absichtserklärung auf, Menschen und Menschheit nicht aufzugeben…

Alle anderen spielen mehrere Rollen, am stärksten kommt Steffi Krautz zur Geltung: eine Blanche Dubois war sie wahrlich nicht, eine gierige Vermieterin und intrigante Mutter bringt sie mit aller Schärfe auf die Bühne. Jan Thümer wirkt als Persönlichkeit gebrochen genug, um den schäbigen Liebhaber akkurat nachzuzeichnen. Andreas Patton ist ein nicht minder zwiespältiger Kapitalist, Isabella Knöll, Constanze Winkler, Günther Wiederschwinger, Nils Hohenhövel und Lukas Watzl agieren vielfach, wobei letzterem als Wasserverkäufer der Beginn des Stücks gehört.

Nun, eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, und selbst wenn es bei Anna Badora in ihrer letzten Spielzeit nur noch fabelhafte Inszenierungen gäbe, es wäre zu spät. Wobei man gerade gelesen hat, dass ihr Nachfolger plant, die Bezirkstournee aufzulassen… gleich zum Einstand eine jahrzehntelange Tradition zertrümmern zu wollen, dazu gehört viel Nichtwissen und keine Ahnung dessen, was man Fingerspitzengefühl nennt… Die Freude auf einen Neuanfang schmälert sich solcherart gewaltig.

Renate Wagner

P.S. Normalerweise hat sich niemand darum geschert, wie viel Arbeit Brecht von seinem „Harem“, den ihm so ergebenen, so klugen und begabten Frauen, erledigen ließ. Das Volkstheater würdigt die Mitarbeit von Ruth Berlau und Margarete Steffin. Aber die Damen sind halt immer nur kleine Glühwürmchen im Strahlenkranz des Dichters, der sich so geschickt durch alle Ideologien durchgewunden hat…

LINZ/ Landestheater: LE PROPHÈTE von Giacomo Meyerbeer

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Copyright: Reinhard Winkler

Linz/ Landestheater:  LE PROPHÈTE 12.10. 2019 (Premiere am 22.9.2019):

Auf ein gemeinsames Libretto von Eugène Scribe und Émile Deschamps komponierte der deutschstämmige Komponist seine Grand opéra in fünf Akten, deren Uraufführung am 16. April 1849 in der Pariser Oper stattfand. Erzählt wird die Entstehung und der Untergang des protestantischen Täuferreiches 1535 im westfälischen Münster. Der Gastwirt Jan van Leiden, Anführer dieser fundamentalistischen Bewegung, ließ sich im September 1534 zum „König Johannes I.“ krönen. Neben der Person des Propheten ist nur noch Jan Matthys (Mathisen) historisch nachweisbar, der unbewaffnet im April 1534 von Landsknechten zerhackt wurde. Die übrigen Personen der Oper hat Meyerbeer frei erfunden, ebenso das theatralisch effektvolle Ende der Oper mit dem Brand und Einsturz des Schlosses von Münster. Das Täuferreich endete vielmehr in der Nacht vom 24. auf den 25. Juni 1535 als kaiserliche Truppen Karls V. Münster einnahmen und die führenden Täufer am 22. Januar 1536 qualvoll hinrichten ließen… In der Behandlung des zentralen Themas dieser Oper, nämlich der Instrumentalisierung von Religion mit dem Ziel der Errichtung eines „Gottesstaates“ war Meyerbeer seiner Zeit weit voraus und geradezu visionär. Sein düsterer Ausblick sollte sich ja gerade in unserer spannungsgeladenen Zeit bewahrheiten… Der Aufführung in Linz verwendete die kritische Edition der Oper unter Einbeziehung aller gestrichenen Teile, wie sie auch der Aufführung an der Wiener Staatsoper 1998 zu Grunde gelegen war. Ein literarisches Detail am Rande: Heimito von Doderer benutze in seinem Roman „Die Merowinger oder Die totale Familie“ Meyerbeers Krönungsmarsch aus der Oper „Le prophète“ zur musikalischen Begleitung einer grotesken Wuttherapie durch Application von Paukenschlögeln des Psychiaters Dr. Horn. Eine dramatiserte Fassung dieses Romans kann man derzeit am Wiener Volkstheater in der Regie von Intendantin Anna Badera sehen.

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Copyright: Reinhard Winkler

Meyerbeer schuf mit seinen Opern totales Theater, indem er alle Aspekte des Musiktheaters, wie Komposition, Instrumentation, Text und Ausstattung der Darstellung eines übergeordneten Gesamtkonzeptes unterwarf, in „Le prophète“ eben der Instrumentalisierung von Religion und der Errichtung eines Terrorregimes. In Wien sang Plácido Domingo die herausfordernde Rolle des Jean de Leyde. In Linz wagte sich der aus Anderson / Indiana stammende US-amerikanische Tenor Jeffrey Hartman an diese gefürchtete Rolle, deren stimmlichen Herausforderungen er hörbar an vielen Stellen nicht gewachsen war. Resultat: er knödelte und stemmte, dafür war sein Rollenspiel umso überzeugender, womit er einiges an gesanglichen Schwächen wieder einiger Maßen ausgleichen  konnte. Brigitte Geller gefiel als resolute Berthe. Katherine Lerner in der Rolle der Fidès, Mutter des Propheten, führte ihren Mezzosopran zu Höchstleistungen und bot ein ergreifendes Bild einer Mutter, die ihren Sohn verleugnen muss. Dominik Nekel als Zacharie mit gut geführten Bass, Matthäus Schmidlechner als Jonas mit tragfähigem Tenor und der in Seoul geborene Bariton Adam Kim als Mathisen wurden von der Regie sträflich vernachlässigt und konnten sich deshalb in stimmlicher Hinsicht auch nur bedingt behaupten. Die Bassrolle des Comte d‘Oberthal war für Bassbariton Martin Achrainer vielleicht eine Spur zu tief angelegt, aber er hielt sich wacker und konnte sich neben seinen darstellerischen Qualitäten dieser unsympathischen Rolle durch seine Routine auch stimmlich behaupten. In kleineren Rollen wirkten noch  Markus Schulz als ein Bauer, Csaba Grünfelder als ein Soldat, Marius Mocan als ein Bürger, Jonathan Whiteley und Markus Raab als erster und zweiter Wiedertäufer sowie Danuta Moskalik und Yoon Mi Kim-Ernst als zwei Bäuerinnen mit. Der Chor, Extrachor sowie der Kinder- und Jugendchor des Landestheaters Linz wurden von Elena Pierini, Martin Zeller und Ursula Wincor bestens einstudiert. Das Bruckner Orchester brachte unter dem sensiblen Dirigat von Markus Poschner Meyerbeers stilistisch changierende Partitur in klanglicher Virtuosität zu ungeheurem  Funkeln. Schade nur, dass während der Balletteinlage Les Patineurs und zwischen den einzelnen Bildern der Oper Bibelzitate und Aussprüche von Luther, von Meister Heinrich Gresbeck, dessen Name fälschlich mit „Grasbeck“ angeführt wird, sowie ein zeitgenössischer Text über die Vielweiberei der Wiedertäufer auf den eisernen Vorhang projiziert wurden, der szenisch dadurch umgesetzt wurde, dass das Lager plötzlich mit schwangeren und stillenden Müttern bevölkert war. Der Comte d’Ottenthal beliefert diese noch incognito mit abgefüllter Muttermilch und trägt eine Jacke mit der Aufschrift „Au bon lait“ bevor er enttarnt und danach ermordet wird.

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Copyright: Barbara Palffy

Die Inszenierung des 1970 in Bremerhaven geborenen Alexander von Pfeil, mit vollem Namen Alexander Christian Ernst Walter Friedrich Carl Graf von Pfeil und Klein-Ellguth, eines Schülers von Götz Friedrich, versucht in einer Zeitreise jene historischen Ereignisse in die Gegenwart zu holen. Als äußere Merkmale dienen ihn dazu die Bücherverbrennung während der NS-Zeit und, äußerst aktuell aber völlig unnötig, der Einsatz von Mobiltelefonen. Das Einheitsbühnenbild von Piero Vinciguerra erschöpft sich in der düsteren Architektur einer halbrunden mehrstöckigen Halle aus dem Zeitalter der industriellen Revolution. In dieser verlassenen Wüste versammelt sich eine verlassene Gesellschaft auf der Suche nach Erlösung. Ihre Heilserwartung in der Gestalt des prophetischen „Erlösers“  Jean de Leyde löst eine Spirale der Gewalt aus, die in der alttestamentarischen Entscheidung Jeans zwischen seiner Mutter Fidès und seiner Freundin, der Waisen Berthe,  gipfelt. Die historische Mutter von Jean de Leyde hieß jedoch Alit Bockel und starb bereits 1521. Der Fanatismus der Täufer, fälschlicherweise als „Wiedertäufer“ etikettiert, kommt durch Waffen schwingende Schergen nur marginal zum Ausdruck, sie schleppten sich in den Allerweltskostümen von Katharina Gault ziemlich stereotyp und völlig uninspiriert über die Bühne und auch das handelnde Volk, eine weitere Stereotype der Grand Opéra, fungierte in dieser Inszenierung eher wie Statisten.  Weshalb am Ende der Oper der Niedergang der Wiedertäuferbewegung durch Menschen in  grünen Strahlenschutzanzügen beschleunigt wird, bleibt uns der Regisseur schuldig. Die von der Decke der Bühne baumelnden Körper spielen auf das historische Ende nach der Eroberung von Münster an, wo die Leichen der zu Tode gefolterten Anführer Jan van Leiden, Bernd Krechting und Bernd Knipperdolling in eisernen Körben am Turm der Lambertikirche zur Schau gestellt wurden. Am Ende der Oper spendete das Publikum wohlwollenden Applaus, von denen die beiden Damen am stärksten profitierten. Die nicht immer einwandfreien Leistungen des Sängers der Titelrolle, Jeffrey Hartman, wurden vom Publikum großzügig bedankt.

Trotz der szenischen Tristesse würde ich den Besuch dieser Produktion unbedingt empfehlen, hat man sie doch hierzulande seit jener denkwürdigen Inszenierung an der Wiener Staatsoper nicht mehr erleben können. Also auf nach Linz. Bis März 2020 kann man sich der schwelgerischen Musik von Meyerbeers  „Prophète“ noch genussvoll hingeben.                                                               

  Harald Lacina

NEW YORK/Wien/ Die Met im Kino/ Cineplexx Landstraße : TURANDOT

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MET im KINO: „TURANDOT“ – 12.10.2019- Cineplexx Kino Wien Landstraße

 So verrückt  diese Geschichte von der chinesischen Prinzessin, die alle ihre Freier köpfen lässt, die nicht ihre 3 Rätsel lösen können, auch ist – in einer so fesselnden  Inszenierung wie der von Franco Zeffirelli, deren Schauwert allein schon eine Reise an die ferne Spielstätte rechtfertigen würde, wenn wir nicht so glücklich wären, sie im Kino miterleben zu dürfen, erleben wir ein aufregendes Musikdrama! Noch dazu, wenn Dirigent und Sänger von gleichem Format sind.

Dass nach dem 1. Akt eine Umbaupause von 40 Minuten nötig ist und nach dem 2. Akt 25 Minuten, nimmt man gerne hin, schon deshalb, weil man die  jeweiligen Szenenwechsel mit anschauen und die Unzahl an Einzelteilen, die von Dutzenden Bühnenarbeitern bearbeitet werden, bestaunen kann. Aber das ist nun einmal großes Theater und dafür hat Puccini seine große Musik geschrieben.

So wie Yannick Nézet-Seguin das MET Orchester diese geniale Musik spielen lässt, bleibt es nicht bei Äußerlichkeiten, die ja oft in pure Lautstärke ausarten. Wir befinden uns in einem  orientalischen Kaiserreich,  dessen Pracht wohl auch eine würdige Kaiserwahl bedingt. Der Dirigent lässt dieses glänzen und funkeln und die großen Auftritte diverser Würdenträger sowie des Volkes sind einerseits lebendig und als gegenwärtig erfassbar, andererseits repräsentieren sie einen fast schon Angst erregenden Prunk.

In den Solopassagen der Sänger hören wir eine andere Welt – menschliche Gefühle und Befindlichkeiten. Was bei den Soli der Liù ja fast immer passiert, gelang hier auch bei den Auftritten von Turandot und Calaf mittels sensibler Orchesterbegleitung. Und die große Szene von Ping, Pang und Pong im 2. Akt vermittelte neben den parodistischen Klängen auch echtes Gefühl. Dazu trugen die schönen Stimmen von Alexey Lavrov (Bariton), Tony Stevenson und Eduardo Valdes (Tenöre) und eine individuelle Charakterisierung der drei Minister bei.

Die große sängerische Überraschung war Yusif  Eyvazov als Calaf. So gut haben wir ihn noch nie gehört und so fesch und persönlichkeitsstark noch nie gesehen. Wenn auch seine Stimme in der Mittellage kein bezwingendes Timbre aufweist, so besticht seine topsichere, glänzende Höhe allemal. Umso mehr, als er nicht zu forcieren braucht, um zündende Spitzentöne zu offerieren. Sein „Vincero!“ war somit vorgezeichnet.  Das war ein Prinz im selbstbewussten Auftreten, ein Liebender, der offenbar wusste, was ihn an dieser Frau faszinierte, und auch, wie er sie aus ihrer Distanziertheit würde reißen können. Wenn sie ihm im 3. Akt gesteht, dass sie ihn nicht, wie seine geköpften Vorgänger, verachtete, sondern von Anfang an fürchtete, muss sie schon den Wissenden, der sie verstand, geahnt haben. Das macht diese Story sehr viel menschlicher. Christine Goerke sang die stolze Prinzessin mit warmem Ton und sicherer Höhe keineswegs so kalt, wie diese Frauenfigur sich die längste Zeit zeigt. Da schwingt immer schon auch frauliches Gefühl mit. Und ihre Freude über die Erlösung aus der selbst auferlegten physischen Starre ist bewegend. So natürlich auch die Liù von Eleonora Buratto, der Puccini mit den ihr geschenkten Kantilenen ja wohl auch das Leben leichter gemacht hat. Sehr erfreulich fand ich, dass die Künstlerin ihre Partie mit sehr viel vokaler Energie sang und die Rolle auch so spielte. Eine liebenswerte Sklavin mit Autorität!

Für Vater Timur hat man keinen Geringeren als des ehemaligen König Philipp, Jago, Scarpia, Mephisto, Holländer, Wotan und Hans Sachs, James Morris, eingesetzt, der mit immer noch schöner, sonorer Bassstimme einen humanen blinden Vater sang und spielte. Auch der alte Kaiser Altoum, Carlo Bosi, und der Mandarin, Jávier Arrey, hatten klangvolle Stimmen.

Der auf dem Programmzettel ungenannte Chordirektor  sagte im Pausengespräch,  dass  der Chor diese Oper so gut beherrsche, dass vonseiten des Dirigenten wie seinerzeit des Regisseurs in jeder Vorstellung neue Herausforderungen umgesetzt werden können. Lebendiger sind die Chorszenen wohl kaum denkbar.

Die unzähligen Details, die Franco Zeffirelli, der ja auch die Ausstattung entworfen hat, eingefallen sind, kann man gar nicht aufzählen. Die zahlreichen Kostüme, die Anna Anni und Dada Saligeri entworfen haben, sind ein weiteres Faszinosum. Und die Choreographie von Chiang Ching sorgt mit der nötigen Bewegung dafür, dass man aus dem vergnügten Schauen nicht herauskommt.

Die charmante Moderation der Bess-Sängerin Angel Blue machte auch auf die „Porgy and Bess“- Produktion neugierig, die am 1. Februar 2020 in die Kinos übertragen wird.

Sieglinde Pfabigan

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