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ESSEN/ Aalto-Theater: PIQUE DAME. Premiere

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ESSEN/ Aalto-Theater: PIQUE DAME am 12.10.2019

Doomsday in Russland

Achtung: Diese Inszenierung könnte ihr bisher freudvolles Dasein und ihr ausgeglichenes Seelenheil beschädigen

Es gibt Wahrnehmungen, da möchte man als Kritiker schon beim – viel zu frühen! – Aufgehen des Vorhangs das Opernhaus sofort wieder verlassen. Es sind diese Situationen, die man schon hundertmal durchlitten hat und die mitverantwortlich sind, daß man dann im Alter sein Haar von einst schillernder Lockenpracht in schlohweiße Dürre gewechselt hat.

Dazu zählt ein Inszenierungskonzept der längst vergangenen 80er, als man öfter, egal ob Schauspiel oder Oper, sofort alle Personen auf der Bühne drapierte – gleich ob sie jetzt schon auftreten oder erst später. Diese Nichtagierenden sitzen dann meist gelangweilt bis belanglos am Rand herum und zählen imaginäre Fliegen an der Decke oder – was sich in dieser Produktion (Müllplatz hinter der Tschernobyl-Ruine) eher anbieten würde – imaginäre Riesen-Kakalaken auf dem Boden….


Copyright: Monika und Karl Forstner

https://www.deropernfreund.de/essen-aalto-oper.html

 

Peter Bilsing/ www.deropernfreund.de


WIEN/Staatsoper : Giacomo Puccini MADAMA BUTTERFLY

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Alt aber klassisch: Tsugouharu Foujitas Bühnenbild des ersten Aktes Foto: Wr.Staatsoper

WIEN / Staatsoper
Giacomo Puccini  MADAMA BUTTERFLY
Kurzbericht

Samstag 12. Oktober 2019

Zum 389. Mal legte im letzten Bild dieser Inszenierung die U.S.S. Abraham Lincoln in Nagasakis Hafen an, um den von Ivan Magri als Pinkerton schmierig dargestellten Angestellten der Marine an Land zu lassen, so schmierig, wie er auch tatsächlich in die Story passt und der in dieser zusammengestückelt ausgestatteten Uniform eher ein Angestellter des Zwischendecks oder des Küchenpersonals zu sein scheint. Hat er sich doch für den Uniformrock wohl irrtümlich verschiedene und wahrscheinlich geklaute Rangabzeichen, für die Ärmel und die Achselspangen jeweils ein anderes, einmal mit zwei und einmal mit drei Streifen, angenäht! Aber einer japanischen Geisha fällt das genauso wenig auf wie der theatereigenen Garderobenschneiderei oder gar dem amerikanischen Konsul.

Und Librettogerecht schnappt nach der Besteigung der Anhöhe der pensionsreife Beamte des Konsulats, Paolo Rumetz nach Luft, „Uff“, um darauf für den Rest des Abends seine schauspielerischen Bedürfnisse zu den Akten zu legen.

Und so wie der auffällig gewordene Mädchentäuscher und wohl falsche Leutnant Pinkerton weniger belkanteske Kultur für sein durchaus kräftiges, aber nicht gerade zu dem schönsten und verführerischsten zählenden Organ bereithält – erst in seiner vom Komponisten so larmoyant konzipierten Arie des letzten Bildes bietet er als Sizilianer abstammungsmäßig einigermaßen Italianitá – so legte gesanglich der beamtete amerikanische Diplomat Rumetz auch nicht gerade übermäßiges Temperament vor. Zwei Rollendebüts also, die von Ehrgeiz wenig überzeugten.

Bleibt wie immer die Hauptarbeit bei den Damen: Vor allem bei Kristine Opolais, derzeit tatsächlich auch weltweit gefragt und erfolgreich in veristischen Leidensrollen, vor allem bei Puccini. Ihr an die chinesischen Bräuche orientiertes Darstellungsvokabular wirkt für die zerbrechliche Madama Pinkerton echt und emphatisch, ebenso beherrscht sie die Szene mit ihrem ausdrucksstarken Sopran in ihrer Liebe, Enttäuschung und Todesbereitschaft. Ein Selbstläufer ist diese Partie jedenfalls nicht, wie manche Opernfreunde meinen. Und ihre Dienerin ist in all den schrecklichen Lebenslagen aber auch schön gesungenen Duetten untadelig Monika Bohinec.

Für das Männertrio Goro, Yamadori und Onkel Bonzo gilt offenbar, dass in Japan immer schon die alten Männer hoch angesehen waren. Sie genießen ihren gesicherten Stand, auch wenn keine sonderlichen stimmlichen Signale mehr möglich sind. Herwig Pecoraro – als Goro mit diesmal wenig eindringlicher Stimme, Hans Peter Kammerer – unauffällig – und Alexandru Moisiuc – der schon einmal mehr zum fürchten klang – sind in ihren Stammrollen angesetzt.

Der Brite Jonathan Darlington, renommierter Aufsteiger im internationalem Dirigiergeschäft, schafft es, mit dem Staatsopernorchester und differenzierter Lautstärke die Sängerschar zu begleiten. Jedenfalls passte hörbar die Dynamik und das Tempo und ein stimmungsvolles Zwischenspiel war auch zu hören. Ein Gewinn für das Haus!

Vielleicht kam auch ein mir überlassener Abo-Sitz auf dem Balkon, 1. Reihe, für die Hörbarkeit der Sänger zusätzlich entgegen. Auf den normalen Merker-Sitzen auf der seitlichen Galerie schallt uns alles was fiedelt und bläst – vor allem letzteres – voll in die Ohren auf Kosten der Sängerverständlichkeit! Aber kein Vorteil ohne Nachteil: Meiden Sie nach Möglichkeit diese erste Reihe auf dem Balkon. Wenn Sie da in dieser Reihe bequem auf ihrem Platz sitzen wollen, verhindert die Brüstung die Sicht auf den unteren Teil des Bühnenbildes! Da müssen Sie schon angespannt und steif und nach vorne geneigt dasitzen wenn Sie ein vollständige Sicht haben wollen, und das zum Höchstpreis auf diesem Geschoß! Oder bin ich schon so klein?

Peter Skorepa
OnlineMerker

 

 

ICH WAR NOCH NIEMALS IN NEW YORK

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Filmstart: 17. Oktober 2019
ICH WAR NOCH NIEMALS IN NEW YORK
Deutschland / 2019
Regie: Philipp Stölzl
Mit: Heike Makatsch, Moritz Bleibtreu, Katharina Thalbach,
Uwe Ochsenknecht, Michael Ostrowski u.a.

So bonbonfarben, so gewaltsam lustig, so knüppeldicke sentimental – hoppla, das hat man ja gewusst. Man geht ja nicht mit cineastischen Ansprüchen in ein Udo-Jürgens-Musical. Schließlich weiß man aus eigener Live-Erfahrung, was einem bevorsteht. Damals, 2010, sah man im Raimundtheater, was 2007 in Hamburg kreiert worden war: Gabriel Barylli hatte für „Ich war noch niemals in New York“ als Autor eine Menge Songs von Udo Jürgens, der damals noch ein unerschütterlich aktiver Spät-Siebziger war, so zusammen gestoppelt, dass man sie in eine „Traumschiff“-artige Handlung pressen konnte und alle paar Minuten Musik und Tanz ausbrachen. Das hatte auf der Bühne einen eigenartigen Nostalgie-Reiz.

Dass es außerhalb des Fernsehens dafür noch ein Publikum geben könnte, hätte man bezweifelt. Aber vielleicht haben deutsche Produzenten die Erfolgsgeschichte von „Mamma Mia“ ins Auge gefasst und gedacht: Das können wir auch. Und da fiel ihnen verspätet der Udo-Hit ein. Zumindest haben sie von den Amerikanern ein Erfolgsrezept übernommen: Eine Starbesetzung muss es schon sein. Und tatsächlich – das hilft.

Wenn man sich richtig erinnert, lief die Musical-Handlung etwas anders, aber Autor Barylli ist beim Film ausgebootet. Man hat zwar die Grundstruktur behalten, doch eine Menge geändert – nicht, dass das nicht völlig egal wäre. Die „Heldin“ Lisa, die zickige Fernsehdiva, ist geblieben, ihr Zukünftiger Axel ist jetzt eine Art von „Wahrscheinlichkeitsrechner“ (gibt es das überhaupt?) mit Kind, das ein wenig zurückgedrängt wurde, um nicht alle Pointen zu klauen wie auf der Bühne.

Lisas 66jährige Mama Maria bringt diesmal ihren Freund nicht mit auf das Schiff nach New York – sie findet ihn dort, und damit die Handlung noch dicker wird, ist er der Vater ihrer Tochter. Vorher muss es noch Missverständnisse aller Art geben, wenn der Eintänzer Otto sich als reicher Immobilienmakler ausgibt, der er nicht ist…

Ja, und da ist noch Lisas Makeup-Artist Fred, der als ihr treuer Freund mit auf das Schiff zur abdampfenden Mutter rast (sie müssen dann alle drei als blinde Passagiere ihre Überfahrt abarbeiten) – und dafür die große Liebe findet, einen Zauberkünstler namens Costa, Grieche natürlich, schon wegen des „Griechischen Weins“… Wie gesagt, 20 Udo-Schlager, die meisten ziemlich bekannt, sind durch die Handlung verstreut und machen die Show zum Musical.

Wo alles so unecht ist wie möglich. Dass Regisseur Philipp Stölzl sich auf so etwas einließ – man versteht es nicht ganz, aber wenn er mit Hilfe von Ausstattung und Choreographie die Künstlichkeit dieser Art von „Unterhaltung“ erzeugt, braucht er nur eine Handvoll erstklassiger Schauspieler, die sich schwungvoll auf diesen Unsinn einlassen. Das funktioniert zwei Stunden lang, manchmal ein bisschen holprig, teilweise amüsant. Alle Beteiligen – Mitwirkende wie Publikum – wussten bzw. wissen, worauf sie sich einlassen.

Heike Makatsch wirft ihre blonden Locken und zickt nach allen Regeln der Kunst, um dann zum kuschelweich liebenden Weibchen zu werden (in den Szenen, wo sie sich im Fernsehstudio schlecht benimmt, taucht in einer Nebenrolle, peinlich überzeichnet, Cornelius Obonya auf). Moritz Bleibtreu ist amüsant als verkrampfter Wissenschaftler, wenn sein Handlungsstrang (mit der toten Gattin und ihrer Asche in der Blechbüchse) auch bis zur Unerträglichkeit sentimental ausgewalzt wird. Katharina Thalbach als unternehmungslose alte Mutti ist einfach schamlos im Ausspielen von Forschheit hier, Zuckrigkeit da; das ist schauspielerisches Handwerk auf die Spitze getrieben. Als ihr Erwählter kann man Uwe Ochsenknecht unter weißer Stirnlocke fast nicht erkennen – und er schmalzt vor sich hin. (Mat Schuh ist sein skurriler Arbeitskollege, der alte Damen mit öligem Charme glücklich machen soll.)

Ganz auf der weichen Welle des liebevollen Zeitgeistes schwimmt die Handlung zwischen dem schwulen Maskenbildner, den Michael Ostrowski keinesfalls überzeichnet, und dem griechischen Zauberer (Pasquale Aleardi) – da kann man ja nur die Daumen halten, dass auch dieses Happyend klappt. Keine Angst, es funktioniert schon – am Ende sieht es tatsächlich so aus, als sei man in New York, wo dann alle in einander hineinlaufen, nachdem es ein paar nicht ernst gemeinte Schwierigkeiten gegeben hat. Sie finden sich ja doch, hurra, die Liebe siegt, und Udo hat die Musik dazu gemacht.

Renate Wagner

BERLIN / Komische Oper: DIE BASSARIDEN. Premiere  

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Günther Papendell, Sean Pannikar. Foto: Monika Rittershaus

BERLIN / Komische Oper: DIE BASSARIDEN – 13.10.2019, Premiere

 

Revidierte und reduzierte Fassung 1992 mit Intermezzo in englischer Originalfassung

 

Das nach Schoenbergs „Moses und Aaron“ gut aufeinander eingespielte Duo Regisseur Barrie Kosky und Dirigent Vladimir Jurowski kann nun wohl einen weiteren Erfolg auf seine Fahnen heften. Diesmal hält eine antike Tragödie lautvoll und statisch monumental Einzug in die Komische Oper. Barrie Kosky inszeniert ganz klassisch und streng formalistisch Henzes oratorienhaftes Musikdrama in einem Akt und vier Sätzen „Die Bassariden“ nach Hugh Audens und Chester Kallmans Libretto auf die Tragödie „Die Bakchen“ von Euripides. Synchronisiertes Bewegungstheater als Geometrie der vernichtenden Leidenschaften. Nur im Intermezzo (in der Version von 1992 eigentlich gestrichen) darf es in einer langen percussionbrüllenden, schweißtriefenden Tanzsequenz auch ein wenig nach Klamauk und Slapstick aussehen, selbst wenn das in Anbetracht des düsteren Sujets und der trotz Mandolinenklängen wenig sarkastischen Musik kaum zündet. Shostakovich‘ Genie hatte Henze definitiv nicht.

 

Die während der gesamten pausenlos aufgeführten Oper hell erleuchtete Szene im Sinne von „There is no way to hide“ (Bühnenbild Katrin Lea Tag) besteht aus einer dreigeteilten Treppe mit unterschiedlicher Stufenhöhe in hell nordischen Rohholzlook. Links und rechts sitzt das erweiterte Orchester, in der Mitte tummeln sich meist die hervorragend und präzise singenden Chormassen der Komische Oper Berlin erweitert um das Vocalconsort Berlin. Vor dem hoch gelegten Orchester ist noch ein breiter Steg als weitere szenische Ebene für Solisten und das Tanzensemble gelegt. Die Idee des griechischen Amphitheaters ist hiermit optisch gut getroffen.

 

Wir haben es in Henzes Stück mit einer doppelte Familientragödie zu tun: Eine Elektra-Umkehrung in der Herrscherfamilie Thebens, wo die Mutter Agave (in glühender Mezzopracht Tanja-Ariane Baumgartner) und ihre Schwester Autonoe (koloraturgewandt und stratosphärensicher Vera-Lotte Boecker) ihren Sohn und Neffen Pentheus (Hausbariton Günter Papendell endlich wieder in einer für ihn wie maßgeschneiderten Rolle), König von Theben, zu Brei zerhacken trifft auf das Drama des Gottes Dionysos, dessen Verzweiflung über den Tod seiner Mutter Semele ihn in einen Racherausch sondergleichen verfallen lässt. 

 

Dieser Dionysos (sensationell der amerikanische Tenor Sean Panikkar in seiner musikalischen und charismatisch darstellerischen Urgewalt), Vater des antiken Theaters samt Musik, Narration, Chören, rituellen Bewegungen, Tanz, ist aber ein gar dämonischer  Verführer: Politischer Demagogie und Bezirzer des Volkes zugleich, Heils- und Erlösungsversprecher obendrein. Seine Bewunderer, die Bassariden oder Bakchen oder Mänaden folgen ihrem Gott blindlings in Exzessivität, Lust und Kontrollverlust. 

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Günther Papendell und Ensemble. Foto: Monika Rittershaus

 Dass die Oper nicht gut ausgehen kann, liegt auf der Hand. Entgrenzung und Exzess brauchen Bodenhaftung und Vernunft, um nicht tödlich zu enden. Mit scheinbarer Ratio übertreibt es aber auch Pentheus, der mit Keuschheit und mönchischen Gebaren ein guter Herrscher sein will und in diese panikbesessenen Realitätseinengung scheitern muss. Mit Gewalt will er die Bassariden bezwingen, sie einsperren und foltern. Dabei fällt der König selbst auf die Verführung herein, wird in seiner ontologischen Verunsicherung Opfer des Gottes und seiner grausamen Truppe. 

 

Natürlich ist die Metapher des Stücks der Mensch an sich, in seiner umfassenden Bedingtheit, der triebhaft und rational zugleich ist, verführbar und reuevoll, exzessiv und dann wieder auf „Diät“. Vor sich selbst wegrennen gibts nicht, daher muss jede/r tief in sich reinschauen und seine persönliche „Zusammensetzung“ oft leidvoll erfahren. Und das oftmals schwierige Sohn-Mutter Verhältnis ist ebenfalls um eine wesentliche Deutung reicher. Das ganze Sammelsurium an Botschaften und philosophischer Konstruktion will sich allerdings nicht so recht zu einem stringenten Drama fügen.

 

Die Musik Henzes ist ein Kaleidoskop vornehmlich der Musik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Wagner-Reminiszenzen, sprich Walkürenzitate inklusive. Henze kennt seinen Richard Strauss, Alban Berg, Orff, die Neoklassik eines Stravinsky oder Britten. Dennoch gelingt ihm eine eigenständige musikalische Sprache, von karg und sperrig bis spätromantisch unendlich überfrachtet. Vladimir Jurowski macht das sinfonische Geschehen zum Kampfplatz der Psychologie des Stücks. Wie schon bei der „Frau ohne Schatten“ in der Berliner Philharmonie Anfang September legt Jurowksi größten Wert auf Struktur und Rhythmus; Sanglichkeit und Sinnlichkeit des Klangs interessieren ihn weniger. Daher ermüdet das Fortissimo den Hörer bzw. lässt ihn nach 2h20 Minuten pausenloser Megabeschallung betäubt zurück. Das Orchester der Komischen Oper legt eine technisch tadellose Leistung hin, wenngleich bei gegenüber der Originalfassung schon kleineren Besetzung gelten sollte, weniger ist mehr. 

 

Am Schluss sitzt die wie völlig zugedröhnte Mutter Agave im weißen blutverschmierten Kleidchen mit einem kleinen Plastiksackerl auf dem Boden und entnimmt ihm Haarteile, Sehnen, Knochen und Fleischklumpen. Ihr Vater Cadmus (mit zunehmend brüchiger werdendem Bass Jens Larsen) öffnet ihr die Augen – es ist ein Erwachen im „lauten Licht“ – , als er ihr zeigt, dass die „Schlachtabfälle“ kein erlegter Löwe, sondern die spärlichen Überreste ihres Sohnes Pentheus sind. Dionysos lässt den Palast niederbrennen, die Familie verbannen und erteilt den Befehl, seine noch im Hades sitzende Mutter Semele zu verehren. Denn wisset: „Die Erde bebt, wenn die Götter lachen.“

 

Die Aufführung packt einen letztlich doch. Dank der seziermesserscharfen Qualität der szenischen Umsetzung, der immensen musikalischen und darstellerischen Leistungen von Sean Panikkar und Günter Papendell (preisverdächtig), der Wucht der Chöre und vor allem der Virtuosität und athletischen Kraft des 10-köpfigen Tanzensembles (Choreographie Otto Pichler) ist von einem beeindruckenden, wenngleich nicht lückenlos begeisternden Theaterabend zu berichten.

 

In weitern Rollen sind Ivan Turšić als alter blinder Seher Tiresias in roter Perücke und  in bodenlangem Kleid, Tom Erik Lie als Hauptmann der königlichen Wache und Margarita Nekrasova als Beroe, Amme der Semele und des Pentheus, zu hören. 

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Foto: Monika Rittershaus


Am Ende kurzer heftiger Applaus des mitgenommenen bis erschöpften Publikums. Irgendwo habe ich ein einzelnes Buh gehört…

 

Weitere Aufführungen: 17. und 20. Oktober, 2., 5.und 10. November 2019 und 26. Juni 2020

 

Dr. Ingobert Waltenberger

MÜNCHEN/ Gärtnerplatztheater: DER MESSIAS von G.F.Händel – szenisch

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Sandra Cervik als Maria und David Valencia als ihr Sohn in Händels „Der Messias“. Foto: Marie-Laure Briane

Georg Friedrich Händel: „Der Messias“ – Gärtnerplatztheater München, 13.10.2019

 

Die Premierenkritiken dieser Produktion waren durchwegs – vorsichtig ausgedrückt – durchwachsen. Eine einzige der von mir gelesenen Rezensionen war durchgängig positiv, alle anderen gingen insbesondere mit der szenischen Umsetzung hart ins Gericht. Den zweiten Abend der Neuproduktion unvoreingenommen zu besuchen, war also einigermaßen schwer. Und die keineswegs hochgesteckten Erwartungen des in Wien beheimateten Besuchers wurden noch unterboten.

Torsten Fischer hat für das Gärtnerplatztheater eine über die Grenzen Münchens gerühmte „Aida“ inszeniert und in einem der Ausweichquartiere, dem Reitstall, „King Arthur“. Jetzt also hat er sich Georg Friedrich Händels 1742 in Dublin uraufgeführtem Oratorium „Messiah“ angenommen und in einer ballettlastigen szenischen Form auf die Bühne gestellt. Nun spricht ja grundsätzlich nichts gegen eine szenische Interpretation geistlicher Werke – bei der Mozartwoche in Salzburg gab das Requiem des Namensgebers die (nicht unumstrittene) Basis für ein Pferdeballett, die auf Oratorien basierenden Ballette von John Neumeier (unter anderem auch „Messias“) haben Maßstäbe gesetzt, im Theater an der Wien hat Klaus Guth vor ein paar Jahren den „Messias“ szenisch umgesetzt. Nicht nur daran müssen sich Torsten Fischer und der Choreograph des Abends, Karl Alfred Schreiner, messen. Und der Vergleich fällt nicht zu Gunsten des Leadingteams aus.

Das liegt keinesfalls am sehr guten Ballett des Staatstheaters am Gärtnerplatz, nicht an den Solisten und auch nur sehr bedingt am Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz unter der Leitung seines Chefdirigenten Anthony Bramall. Es ist das Regiekonzept, das mehr Fragen offen lässt als gültige Lösungen bietet. Wie so viele vom Theater kommende Regisseure misstraut auch Fischer ganz offensichtlich der Musik. Er kürzt das Werk teils dramatisch (warum hat Bramall das zugelassen ?) und unterbricht den Musikfluss immer wieder durch eingeschobene Texte aus Colm Tóbins „Marias Testament“ (ich wiederhole meine Frage: warum hat Bramall das zugelassen ?). Und ein drittes Mal stelle ich die Frage, warum hat Bramall das zugelassen: die Partien von Sopran und Mezzo werden auf jeweils zwei Personen aufgeteilt.

Händeringen und zuckend herumkugeln dominieren die Tanzszenen, Anklänge an den Nahostkonflikt dürfen heute in einem biblischen Werk wohl nicht fehlen. Auch kommt eine aktuelle Inszenierung ohne Videoproduktionen (Aktienkurse !) nicht mehr aus. Dass es im Hallelujah-Chor Banknoten vom Schnürboden regnet, wäre in einer Schulaufführung vor ein paar Jahrzehnten sicher gut angekommen. Die Tänzerinnen und Tänzer, mit zeitgenössischem Tanz durchaus vertraut, meistern anerkennenswert ihren Part; David Valencia als tänzerisch überzeugender Jesus und der junge Jorge Armbruster werden auf dem Besetzungszettel gesondert genannt. Dass dem diesmal nicht wirklich stilsicher singenden Chor aber auch choreographische Aufgaben zugemutet werden, hilft der szenischen Umsetzung auch nicht weiter.

Sandra Cervik, das Programm nennt sie „Maria, eine Mutter“, spricht die  eingefügten Texte Tóbins wortdeutlich mit theatergeeicht deklamatorischem Duktus. 

Dass die Solis der Frauen auf jeweils zwei Personen aufgeteilt werden, ließe sich argumentieren, wäre ein Solist für die Rezitative und der/die andere für die Arien vorgesehen. Aber nein, mitten in den Arien wechseln die Sänger; der tiefere Sinn dieser Maßnahme erschließt sich mir nicht. Aus den nunmehr sechs statt vier Solisten ragt der stilsicher singende Countertenor Dimitry Egorov heraus, der sich die Noten mit der zum Ensemble gehörigen Anna-Katharina Tonauer teilen muss. Jennifer O´Loughlin ist die führende Solistin einer CD-Gesamtaufnahme des „Messias“ aus Baltimore, muss sich hier die Sopran-Partie aber mit Maria Celeng teilen. Jede/r dieser vier Sänger/innen könnte die komplette Partie ausgezeichnet interpretieren und kann wegen der Teilung seine/ihre Qualität nicht voll zeigen. Das ist insbesondere bei O´Loughlin und Egorov mehr als bedauerlich. Timos Sirlantzis ist ein schön aber nicht unbedingt stilsischer singender Bassbariton; Alexandros Tsilogiannis (Tenor) wurde nach der Pause als indisponiert angesagt (die Premiere hatte er krankheitsbedingt abgesagt) und entzieht sich also jeder Bewertung.

Anthony Bramall ist mit der britischen Tradition der Händel-Pflege aufgewachsen, die dem Stil eines Karl Richter näher ist als dem heute geübten Originalklang. Das ist ein durchaus diskussionswürdiger Ansatz, vor allem dann, wenn kein ausgewiesenes Barockorchester mit den entsprechenden Instrumenten zur Verfügung steht (Cembalo und Truhenorgel nennt der Besetzungszettel daher auch gesondert). Seine, ich nenne sie einmal unorthodox, Tempowahl ist wohl dieser Tradition geschuldet.

Der Beifall des Publikums war durchaus differenziert. Dass nach der Pause einige Plätze leer blieben, soll aber nicht verschwiegen werden. Wer in München den „Messias“ komplett erleben möchte, muss auf eines der Konzerte in der Vorweihnachtszeit warten.

Michael Koling 

WIEN / Staatsoper: A MIDSUMMER NIGHT’S DREAM von Benjamin Britten

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Théo Touvet (Puck) und Lawrence Zazzo (Oberon). Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: A MIDSUMMER NIGHT‘ S DREAM von Benjamin Britten

4. Aufführung in dieser Inszenierung

13. Oktober 2019

Von Manfred A. Schmid

Nicht nur die blutigen Dramen Shakespeares haben die Opernkomponisten von Rossini über Verdi bis Gounod und Thomas zu Werken inspiriert, auch seine leichtfüßigen Komödien wurden dankbar aufgegriffen, wie etwa Verdis Falstaff und Otto Nicolais Die lustigen Weiber von Windsor und nicht zuletzt auch die Vertonungen von A Midsummer Night’s Dream durch Henry Purcel, Ambroise Thomas und Carl Maria von Weber belegen.

Während deren Librettisten mit Shakespeares Werken meist sehr frei umgingen, schlug Benjamin Britten, der gemeinsam mit seinem Partner Peter Pears den Text für seine 1960 in Aldeburgh uraufgeführte Oper A Midsummer Night’s Dream einrichtete, einen ganz anderen Weg ein. Er blieb der Vorlage textlich Wort für Wort treu, nur der Umfang wurde von fünf auf drei Akte gekürzt. Musikalisch stattete er seinen Sommernachtstraum mit vielen – z.T. parodistisch verwendeten Elementen aus der Musikgeschichte aus – von Purcel über Händel bis hin zur italienischen Musikkomödie, doch Britten baut diese Elemente amalgamierend in seinen Personalstil ein. So erzielt er einen subtilen Orchesterklang, der mit seiner wunderbar transparenten, geheimnisvollen Mixtur eigentümlich schwebend wirkt und der Handlung – die Begegnung des Alltäglichen mit der Feenwelt – den ihr entsprechenden Zauber verleiht. Mit Celesta, Vibrafon, Glockenspiel, Harfen und den Streichern mit ihren Glissandi spinnt Britten das Publikum in eine faszinierende Traumwelt ein. Simone Young am Pult des Staatsopernorchesters gelingt es vorzüglich, diesen Qualitäten der kammermusikalisch fein gesponnenen Partitur gerecht zu werden. Stark das immer wieder akzentuierend eingesetzte Schlagwerk und die Blechbläser, auch die Instrumentalsoli sind von bestechendem Reiz.

Die vierte Vorstellung – Premiere war am 2. Oktober – bestätigt weitgehend die positive Aufnahme, die dieser Neuproduktion bei Publikum und Kritik ausgelöst hat. Das gilt vor allem auch für die Regie von Irina Brook, die sich bei ihrer Arbeit vom Vorbild ihres berühmten Vaters, dessen umstrittene Inszenierung des Bühnenwerks (nicht der Oper!) 1970 in Stratford Aufsehen und Kontroversen ausgelöst hatte, weitgehend unbeeinflusst zeigt. Während Peter Brook die Unterschiede zwischen den zentralen Figurengruppen – der Feenwelt, der höfischen Welt und der Handwerker – aufhob und sich auf die herrschaftliche Gewaltausübung von Oberon und Theseus (die er noch dazu – wie auch Hippolyta und Tytania – in einer Person zusammenfasste) konzentrierte, stellt Irina Brook wieder die Feenwelt auf der einen Seite und die Welt der Liebenden und der Handwerker auf der anderen Seite in den Mittelpunkt. Natürlich kommt es im Verlauf der Handlung – vor allem auf Grund der Zaubereien des Elfenkönigs und deren chaotischer Umsetzung durch Puck – zu Interferenzen zwischen beiden Sphären, aber am Schluss ist die Ordnung, und damit die Trennung der Sphären, wiederhergestellt. So gelingt es der Regie, trotz der für eine Komödie unentbehrlichen Verwirrungen und Verwechslungen, die Handlung überschaubar zu halten. Dazu trägt auch die von Noelle Ginefri-Corbel geschaffene, übersichtliche Einheitsbühne bei: Der von der Natur allmählich rückeroberter Schlosshof eines verfallenden Palasts mitten im Wald als Ort höchst ungewöhnlicher Begegnungen.

Die Feenwelt wird vom amerikanischen Countertenor Lawrence Zazzo (Oberon) und Erin Morley (Tytania) angeführt. Zazzo ist von starker Bühnenpräsenz, ihm zu Diensten steht ein quicklebendiges Feenvolk, imponierend verkörpert und gesungen vom Kinderchor der Opernschule sowie von den jugendlichen Gesangssolisten Emil Lang, Niklas Rudner, Mihail Savenkov und Fabio Ringer. Den stärksten, geradezu überwältigenden Eindruck des Abends liefert aber Théo Touvet als allgegenwärtiger, durch die Gegend huschender, ja segelnder Unruhestifter Puck. Ein Allroundkünstler – Musiker, Tänzer. Akrobat und Zirkuskünstler in einem –, der allen die Schau stiehlt. In dieser multiplen Eigenart einfach unersetzlich. Man will sich kaum vorstellen, wie sich in Hinkunft eine Vorstellung ausnehmen wird, sollte es nicht gelingen, diesen Star wieder zu verpflichten. Am 17. und 21. Oktober gibt es jedenfalls noch die Möglichkeit, diesen einzigartigen Puck auf der Bühne zu erleben!

Die beiden Liebespaare Lysander und Hermia (Josh Lovell und Rachel Frenkel) und Demetrius und Helena (Rafael Fingerlos und Valentina Nafornita) repräsentieren  – gekleidet in typisch englischen Schuluniformen – die höfische Welt und sehen sich – Dank Puck –  mit ziemlich krassen Gefühlsumschwüngen konfrontiert, die sie aber tadellos bewältigen  Als ihre Chefitäten treten Peter Kellner als Theseus und Szilvia Vörös als Hippolyta nur am Ende und relativ kurz in Erscheinung.

Komödiantisch, wie von Shakespeare und Britten verlangt, präsentiert sich die von Peter Rose als Bottom angeführte Gruppe der Handwerker, die es sich vorgenommen hat, zum Anlass der Trauung des Fürstenpaares Theseus und Hippolyta eine komische Tragödie – Pyramus und Thisbe – aufzuführen. Ihre Verabredung dazu, die Probe und die Aufführung sind tatsächlich von zwerchfellerschütternder Komik, weil sich dabei sämtliche Beteiligte mit Leib und Seele und viel Humor ins Zeug legen: Wolfgang Bankl als Quince, Benjamin Hulett als Flute, Thomas Ebenstein als Snout, William Thomas als Snug und Clemens Unterreiner als Starveling. Und Rose – in Wien auch als Ochs geschätzt – ist zuvor schon als verliebter Mann mit Eselskopf im tet á tet mit der Elfenkönigin eine Klasse für sich. Zum Wiehern, pardon: Ia-hen komisch.

Begeisterter Applaus

WUPPERTAL /Opernhaus: „HOCHZEIT DES FIGARO“

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Wuppertal /Opernhaus: „HOCHZEIT DES FIGARO“ 13.10.2019

Nachdem unter der Intendanz von Berthold Schneider die Opernszene des Wuppertaler Opernhauses mit einigen, in dieser Region ungewöhnlichen, innovativen Produktionen und durchaus streitbaren Regisseuren aufgemischt wurde, freut sich nun das Publikum aller Altersklassen – wie das gut gefüllte Opernhaus zeigte– über eine der Mozart-Opern, die ganz oben auf der Beliebtheitsskala stehen, „Die Hochzeit des Figaro“von Wolfgang Amadeus Mozartin italienischer Sprache (mit deutschen Übertiteln) in einer Koproduktion mit der English National Opera, London (Pr.: 4.4.2019).

Das vonJoe Hill-Gibbins entwickelte Regiekonzept sieht zwei, entsprechend der Handlung angehobene oder abgesenkte Ebenen vor, was Bewegung in das Bühnengeschehen bringt. Er kommt darin ganz ohne Requisiten aus und führt die Personen zum Teil marionettenartig und stark abstrahiert, bis zur Momentaufnahme, die wie in einem plötzlich angehaltenen Film stehenbleibt. Es beginnt mit einem schmalen Gang an der Rampe mit vier Türen, vor, hinter und zwischen denen sich so einiges abspielt. Sie werden unentwegt geöffnet und geschlossen, die Akteure der Handlung, einschließlich Chor gehen, eilen, quellen heraus. Dahinter sind schlaglichtartig Neugierige, erotische Szenen usw. zu sehen, bis sich ein auch in die räumliche Tiefe gehendes Bühnenbild in besagten zwei Ebene entwickelt (Bühnenbild: Johannes Schütz).

Darüber kann man geteilter Meinung sein, denn das ist alles nicht wirklich neu. Schon seit Jahrzehnten gibt es diesen schmalen Gang mit oder ohne Türen, die abstrahierte Personenführung, die Momentaufnahmen und dergleichen. Die ganz in hellen Tönen gehaltene Bühne kann alle Farben aufnehmen. Da kommt es darauf an, welche optischen Effekte die Kostüme bringen, die hier allerdings nicht gerade originell wirken, kaum dem Charakter der betreffenden Operngestalt entsprechen und die Akteurinnen oft nicht gerade vorteilhaft erscheinen lassen (Kostüme: Astrid Klein). Sie sind wenig attraktiv und kein „Hingucker“, ausgenommen die Brautkleider. Dass aber auch noch der Chor als viele kleine, mitunter recht nett anzusehende Bräute (und auch einige „vollschlanke“) ausstaffiert wurde, ließ kaum einen Bezug zur Handlung erkennen, außer, dass vielleicht in allen Köpfen die Hochzeit herumspukt.

Die Gräfin ist so gekleidet, dass man verstehen konnte, warum sich der Graf, der schlichter gekleidet ist als sein Diener Figaro (nun ja, der hat ja auch Hochzeit), um eine andere bemüht, die auch nicht wie eine schmucke kleine Zofe ausstaffieret ist. Unverständlich erscheint auch, warum Cherubino ausgerechnet als Pimpf erscheinen muss – in einer Zeit, in der die Problematik dieser Oper wohl kaum noch eine Rolle gespielt hat. Etwas Aktualisierung? – warum nicht, aber es sollte doch Sinn machen und nicht alles, was gerade modern ist, in eine Operninszenierung hineingepackt werden.

Musikalisch wurde die Oper wieder vom Kopf auf die Füße gestellt und Mozarts Meisterwerk seine Bedeutung zurückgegeben. Johannes Pell verstand es, das Orchester zur Höchstform zu führen und die Sängerinnen und Sänger zu inspirieren. Jessica Muirhead rührte als Gräfin mit ihrer perfekt gesungenen Arie „Dove sono“die Herzen der Besucher, wenn ihre Stimme auch in der Höhe etwas hart klang, aber mit guter Technik konnte sie durchaus überzeugen. RalitsaRalinova hatte als Susanna nach ihrer ebenfalls perfekt und mit klangschöner Stimme gesungenen Arie „Giunsealfinilmomentio“, mit der sie ihre liebevollen Gefühle für Figaro zum Ausdruck brachte, erst recht die Sympathien des Publikums auf ihrer Seite.

Sebastian Campione zeigte seinerseits als Figaro jedoch wenig musikalisches Gespür (Rhythmus?) und auch wenig Profil. Simon Stricker verstand es, mit schauspielerischem Geschick, manche Klippe seiner nicht leichten Partie des Grafen Almaviva ohne Aufsehen zu „umschiffen“. Etwas  blass erschienen hingegen Iris Marie Sojer als Cherubino und Wendy Krikken als Barbarina.

Das Intriganten- und spätere zweite Brautpaar Marzelline (Joslyn Rechter) und Dr. Bartolo (Matthias Henneberg) überzeugte auf seine Art. Mit charaktervoller, ansprechender Stimme gestaltete Timothy Edlin in Personalunion die Rolle des Basilio und Dr. Curzio. Marcel van Dieren war ein sehr junger Gärtner Antonio. Die Damen und Herren des Opernchores der Wuppertaler Bühnen waren szenisch stark integriert und erfüllten ihre Aufgaben auch gesanglich gut. Vor allem musikalisch war es eine sehr ansprechende Aufführung, bei der die wichtigsten Impulse aus dem Orchestergraben kamen.

Ingrid Gerk

 

ZÜRICH/ Opernhaus: NABUCCO – Galavorstellung mit Placido Domingo

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Giuseppe Verdi: Nabucco, Opernhaus Zürich, Gala-Vorstellung: 13.10.2019

 (5. Vorstellung seit der Wiederaufnahme am 24.09.2019)

Er kam, sang und begeisterte das Publikum

Für die letzte Aufführung der aktuellen Nabucco-Serie am Opernhaus Zürich ist die Sänger-Legende Placido Domingo als Nabucco verpflichtet worden. Domingo scheint den Auftritt nach all den wenig positiven Vorkommnissen schlicht zu geniessen und integriert sich, so war zu hören nach einem Vorstellungsbesuch und einer Probe, bestens in die Inszenierung. Hier schlägt eindeutig die lange Erfahrung seiner einmaligen Karriere durch. Stimmlich vermag er das Versprechen «Gala» leider nicht einzulösen. Die von Anfang an schwache Stimme wird im Verlauf des Abends immer brüchiger, die Diktion immer undeutlicher. Die physischen Reserven lassen ihn eindeutig im Stich. Das «Deh, perdona» ist kaum mehr zu erkennen, die Souffleuse ergänzt das Duett zum Terzett. Bei »O prodi miei» stellt sich dann die Frage, welchen Krieger das motivieren soll. Wenn der Zwischenapplaus fehlt… Schade, eine Legende so erleben zu müssen. Das Publikum war (am Schluss) begeistert, der Kritiker nicht.

Nabuccos Gegenspieler ist mit Vitalij Kowaljow besetzt und er vermag rundum zu überzeugen. Mit grosser, aber nie dröhnender Stimme, füllt er das Haus bis in den letzten Winkel und mit seinem Stilbewusstsein macht er seine Auftritte zu den Perlen des Abends.

Oksana Dyka als Abigaille kann sich mit der Akustik des Hauses offenbar auch in der vierten Vorstellung nicht anfreunden. Mit in der Höhe und im Forte grell-scharfer Stimme vermag sie nicht zu überzeugen.

Veronica Simeoni, verlässliche Kraft für Mezzo-Partien im italienischen Fach, kann mit den grossen Stimmen ihrer Partner akustisch mithalten, bleibt in der Darstellung aber blass.

Die Überraschung des Abends ist Otar Jorjikia als Ismaele. Er lässt einen stilistisch und technisch hervorragend geschulten Tenor hören, den man sich in dieser Fassung durchaus in passenden Hauptrollen vorstellen könnte.

Das Ensemble ergänzen verlässlich Stanislav Vorobyov als Der Oberpriester des Baal, Leonardo Sánchez als Abdallo und Ania Jeruc als Anna.

An diesem Abend grandios spielt die Philharmonia Zürich unter Leitung von Fabio Luisi. Stilistisch hart an der Grenze zum Knalligen, bleiben sonst keine Wünsche offen.

Die Chöre (Chor der Oper Zürich, Chorzuzüger und Zusatzchor des Opernhauses Zürich) hat Janko Kastelic bestens präpariert.

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Foto: Monika Rittershaus

Die Inszenierung von Andreas Homoki, letzte Neuproduktion der vergangenen Saison funktioniert immer noch im Sinne ihres Schöpfers. Homoki sieht die Oper als die Geschichte der Familie Nabuccos, die am Ablösungsprozess des Alten („polytheistisches System der Babylonier“) durch das Neue („monotheistische Weltanschauung der Hebräer“) zerbricht. Zusammen mit dem Bühnen- und Kostümbildner Wolfgang Gussmann entschied er die Inszenierung in der Entstehungszeit der Oper anzusiedeln und auf der Bühne den Konflikt zwischen restaurierender Aristokratie und fortschrittlichem Bürgertum Parabel über den Fortschritt zu zeigen. Ob das auch im Sinne des Werkes ist, sei dahingestellt.

Er kam, sang und begeisterte das Publikum.

Keine weiteren Aufführungen.

13.10.2019, Jan Krobot/Zürich


LINZ/ Landestheater/ Black Box: PÉPITO – Operette von Jaques Offenbach (Reihe „Oper am Klavier“)

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Martin Achrainer als „Vertigo“. Foto: Landestheater Linz

Oper am Klavier am Musiktheater Linz: „Pépito“ – Operette von Jacques Offenbach (Vorstellung: 13. 10. 2019)

Mit einer Operetten-Rarität begann am Musiktheater Linz die diesjährige Reihe „Oper am Klavier“: „Pépito“ von Jacques Offenbach, womit man auch des 200. Geburtstags des bedeutenden französischen Komponisten gedachte. Diese Opéra-Comique in einem Akt, deren Text von Léon Battu und Jules Moinaux stammt, erlebte ihre Uraufführung im Jahr 1853 am Théâtre des Variétés in Paris und geht auf ein Vaudeville des Librettisten Eugène Scribe aus dem Jahr 1825 zurück, wie Christoph Blitt in seiner – wie stets sehr ausführlich gehaltenen – Moderation erläuterte.

Das Werk wurde danach in verschiedenen deutschen Städten, aber auch in London, Budapest und in Wien gespielt, wo es im Carltheater unter dem Namen „Das Mädchen von Elizondo“ aufgeführt wurde. In letzter Zeit geriet die Offenbach-Operette, die in Linz in der deutschen Übersetzung von Johann Christoph Grünbaum gezeigt wurde, jedoch in Vergessenheit.

Das Stück, das in einem baskischen Dorf spielt, wurde in der gut besuchten  Blackbox-Lounge des Musiktheaters Linz in Kostümen konzertant aufgeführt, wobei das dreiköpfige Ensemble nicht nur gesanglich brillierte, sondern auch schauspielerisch glänzte. Inhaltlich geht es um eine spanische Gastwirtin, deren Geliebter Pépito in der Ferne beim Militär weilt, was den Gastwirt Vertigo vom gegenüberliegenden Lokal „Zum Krokodil“ dazu verleitet, um sie zu werben. Als der Soldat Miguel ins Dorf kommt und in der Gastwirtin Manuelita seine Jugendfreundin erkennt, wird er für Vertigo zum Rivalen. Doch Manuelita hält ihrem Pépito die Treue und gewinnt dadurch auch die Achtung Miguels. Vertigo erkennt, dass sein Werben um Manuelita erfolglos bleibt. Schließlich bringt ein von Vertigo unterschlagener Brief Pépitos, in dem er mitteilt, seine Liebe gefunden zu haben und geheiratet hat, die Lösung. Der Weg zum Happyend zwischen Manuelita und Miguel ist frei – und Vertigo spielt bei der Hochzeitsfeier in der Kirche das Fagott.

Eine schauspielerische Glanzleistung bot der Bariton Martin Achrainer als Gastwirt Vertigo, der sich bei seinem Werben um Manuelita als eitler Typ gibt. „Ich muss ihr gefallen, wo ich mir selbst schon so gut gefalle“, ist seine Quintessenz der Eitelkeit. Exzellent sang er die Parodie auf die bekannte Figaro-Arie von Rossini. Sein Rivale um die Gunst von Manuelita, der Soldat Miguel, wurde vom lyrischen Tenor Matthäus Schmidlechner gleichfalls stimmlich wie darstellerisch ausgezeichnet gegeben.


Annina Wachter.Foto: Landestheater Linz.

Manuelita, die Wirtin des Lokals „Neue Hoffnung“, wurde von der jungen und attraktiven Sopranistin Annina Wachter – erst kürzlich preisgekrönt beim Operettenwettbewerb 2019 der Anton Bruckner-Privatuniversität – mit köstlichem Mienenspiel und wohlklingender Stimme dargestellt. Schon mit ihrer Auftrittsarie „Im Dorfe vor drei Jahren“ begeisterte sie das beifallsfreudige Publikum.

Die musikalische Leitung vom Klavier aus hatte die südkoreanische Pianistin Jinie Ka inne, die sehr gestenreich die Einsätze gab und die köstliche Partitur des Komponisten, die eine folkloristische Färbung hatte, bestmöglich wiedergab. Für die Kostümberatung zeichnete Jan Bammes verantwortlich.

Minutenlanger Applaus des Publikums belohnte am Schluss alle Mitwirkenden dieser weiteren Rarität der Reihe „Oper am Klavier“.

Udo Pacolt  

LUZERN/ Theater/ Black-Box: LIEDER VON KRIEG UND LIEBE – Szenische Madrigale für Solisten und Chor von Claudio Monteverdi

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Solisten „Lieder von Krieg und Liebe“ ©Ingo-Hoehn.

 

LUZERN/ Theater/ Black-Box: LIEDER VON KRIEG UND LIEBE Szenische Madrigale für Solisten und Chor von Claudio Monteverdi.

Der Geist von Monteverdi erfüllt die Box des Luzerner Theaters.

Am 13.10.2019

 Mit Madrigali guerreri et amorosi, dem Titel dieses Madrigalvermächtnisses, setzte Claudio Monteverdi Neues in der Musikgeschichte. Neu hieran war nicht die „verliebte“, sondern die „kriegerische“ Art zu singen, deren Erfindung er im Vorwort für sich berühmte. Die Schmerzen der Herzen in klagenden Klängen zu besingen, waren bekannt. Die Farben des Krieges aber, das Blutrot von Angriff und Zorn, das Grün hoffnungsfroher Gegenwehr, das Grau der Ermattung und das Schwarz der einsamen Nächte in Töne zu fassen, war neu.

Die kriegerische Art, die Claudio Monteverdi in diesen Madrigalen einsetzte, gestattete dem Experten für Gesang und Stimme eine Individualisierung der Solostimmen im vielstimmigen Madrigal wie nie zuvor in der Geschichte. Im 8. Buch singen mal drei, mal vier, mal sechs Stimmen in scheinbar traditioneller Madrigalmanier, jedoch schon getragen vom Basso continuo und eingebettet in die Aura des modernen Klangs der Violinen. Plötzlich lösen sich Paare von Stimmen aus dem Ensemble, suchen den Dialog untereinander und mit anderen Paaren. Ein Bass singt Solo, eine Sopranistin klagt vor dem Hintergrund eines Terzetts von Männerstimmen.


Pluto im Dialog-mit Venus, Amor im Hntergrund. Copyright: Ingo Höhn

Die Lieder von Krieg und Liebe hatten am Sonntag in der Box des Luzerner Theaters ihre Premiere. Wer die Box kennt –eine übergroße Holzkiste und demzufolge sehr trocken- weiß, dass es eigentlich an eine Unmöglichkeit grenzt, Musik im trockenen Raum überzeugend zu präsentieren. Doch der in Luzern noch gut bekannte, ehemalige Musikdirektor Howard Arman traut sich an das Werk und setzt sich hierzu noch weitere Hürden, indem er selbst Cembalo und Orgel spielt.

Doch vom ersten Ton an, zeigt er klar, deutlich und transparent, dass er die wunderbare Musik und das Geschehen ganz im Griff hat. Keine Note scheint gleich und Arman unterwirft sie mit großem musikalischem Feingefühl.  Mit „Les Passions de l’Ame“  den Spezialisten für Alte Musik aus Bern hat er Musiker an der Seite, die die Musik von Monteverdi verinnerlicht haben, wie man es kaum für möglich hält. Arman der Stimmenflüsterer verführt die Sänger zu Höchstleistung und Feingefühl, ohne am Pult zu stehen. Es reichen kleinste Geste und Einsätze, um seine Musiker und Sänger zu erreichen. Es entwickelt sich ein Spiel, dass die Sänger scheinbar mit den ersten Silben die Einsätze geben und so ist ein großes Zwiegespräch zwischen Arman und Monteverdi nur zu bewundern. Brillanter geht es nicht!

Wenn ich hier vom Stimmflüsterer spreche, ist dies nicht übertrieben. Arman lässt musikalisch den Sängern den Raum, den sie brauchen, um ihre Stimme frei zu entfalten. Nicht nur den Solisten sondern auch dem Chor verlangt er alles ab und ich habe den Chor noch nie im Luzern so brillant gehört, wie an diesem Abend. Mark Daver hat große Vorarbeit geleistet.

Bei so viel Freude über die Musik, könnte man denken, dass die Lieder von Krieg und Liebe konzertant aufgeführt wurden. Verdient hätte sie es. Monteverdi reicherte die reine Hörkunst mit einer Szene und auch Tanz an. Aber wie will eine szenische Umsetzung auf so kleinen Raum gelingen? Geht es wirklich? Die Antwort gibt uns der ebenfalls in Luzern besten bekannte ehemalige Intendant Dominique Mentha. Als Dramaturgin ist Rebekka Meyer an seiner Seite.


Tancredi duelliert sich mit Clorinda. Copyright: Ingo Höhn

Menhta setzt die Szene nicht in den mittelalterlichen Kreuzkriege oder in eine Szenerie des dreißigjährigen Krieges, also in der Zeit in der Monteverdi das Werk geschrieben hatte. Vielmehr stellt er die Gedanken Monteverdis in den Mittelpunkt. „Es sind die gegensätzlichen Affekte, die unsere Seele heftig rühren“ und es ist auch die Faszination der Gewalt, die Mentha in die Gegenwart transponiert. Überzeugend und metapherhaft führt er uns durch die Aufführung. So sehen wir ein Floß auf der Reus, den Fluss des Lebens oder dem Meer, das die Bühne der Musiker ist. Fast dunkel ist es noch und ein Kind läuft durch die Box, um ein Rolltor zu öffnen, mit weiteren Kindern holt es ein Schlauchboot in die Box und die Sänger folgen ihm in uniformhaften grünen Kostümen und in Gummistiefel und nehmen im abgestellten Schlauchboot Platz. Für die eindrucksvolle und sehr reduzierte Ausstattung zeichnet Hartmut Schörghofer die Verantwortung und er setzt die Szene damit gefühlsvoll in Bilder um.

Die Kinder entschwinden und wir sehen Bilder von Flüchtlingen im Mittelmeer. Direkter und emotionaler kann man die Fragen nach dem Leben heute nicht stellen.

Zunächst sitzend und dann stehend beginnen die Sänger ihren Dialog und den Dialog mit dem Orchester. Sie singen über Liebe, Zankereien und dem ersehnten Frieden. Timotheus Maas als Pluto löst sich aus der Gruppe und gibt mit seinem Bass ein erstes Solo. Überbordend seiner Emotionen bringt er das Schlauchboot fast zum Kentern. Nur schwer lässt er sich beruhigen und den Frieden im Boot wieder herstellen. Die Kraft seiner Emotionen nimmt man ihm ab und er überzeugt hiermit.

Die Fahrt geht weiter auf dem Fluss des Lebens. Das Rolltor öffnet sich und die Kinder tragen weitere Schlauchboote in die Box gefolgt von den Chorsängern. Auch sie sind uniformiert in grau mit angedeuteten Schwimmwesten. Sie nehmen ebenfalls Platz in den Booten und beherrschen  die Szene. Zum ersten Mal flammt der Kampf zwischen den Geschlechtern auf. Die Frauen treiben die Männer aus der Box.

Das ruft Amor (Olivia Doutney) auf dem Plan. Verärgert und besorgt über das Verhalten der Frauen, Gemeinsam mit seiner Mutter Venus (Diana Schnürpel), begibt er sich in die Unterwelt. Venus zieht sich schwarze Lackschuhe an und balanciert über die Boote. Pluto erscheint und es wird Tee serviert von Amor. Venus klagt über den Verlust der Kraft von Amors Liebespfeilen. Pluto wendet sich zu Amor und Venus: „Kehrt doch zur hellen Welt zurück“  und enteilt.

Aus der Unterwelt betreten die Undankbaren Seelen, szenisch  vom Chor faszinierend als Blinde dargestellt, die ihren Weg in die Boote sich ertasten. Entsetzt entziehen sich Amor und Venus. Pluto vertreibt die Undankbaren Seelen und lässt seinem mittelpunktstreben freien Raum. In der Enge der Box ist das Publikum so nahe am Geschehen, dass die Suggestion des „Mittendrinn“ seine volle Kraft der Verschmelzung entfaltet. Nachdem er sich ausgiebig verwöhnen ließ, entschwindet er wieder.

Die Damen des Chores besteigen die Boote und putzen diese zum Gesang über Klagen des Lebens. Nach einem kurzen Zwischenspiel erscheinen Tancredi (Alexandre Beuchat), der seine Geliebte Clorinda (Diana Schnürpel) für einen Mann hält und beide duellieren sich. In ihrem Rücken setzt sich auch  Testo (Emanuel Heitz) in ein Boot und kommentiert zunächst in der Manier eines Minnesängers den sich entbrennenden Kampf. Mit zunehmender Intensität des Kampfes wird Testo zum frenetischen Sportkommentator des Geschehens.

Clorinda singt: „Krieg und Tod sollst du von mir haben“. Das Publikum bekommt es nun auch. Durch die Nähe in der Box erleben sie wie an einem Boxring die Heftigkeit des Kampfes, wie man es wohl nicht erwarten durfte. Mit ganzer Inbrunst und großer Leidenschaft geben sich beide Kämpfer wirklich alles. Mehr Faszination kann das Publikum nicht erwarten und man sieht den Schweiß aus den Gesichtern rinnen. Schwerer Atem und die Qualen des Kampfes sind die Tribute ihrer Leidenschaft. Tancredi ersticht Clorinda und erkennt er danach völlig entsetzt, dass er über seine Geliebte gesiegt hat.


Testo besingt das Sterben vob Clorinda. Copyright: Ingo Höhn

Kommen wir zum Stimmenflüsterer Arman zurück, selbst  in dieser überragend dargestellte Szene verdanken wir ihn, dass die Sänger ebenso brillant singen wie spielen.

Das Stück endet beklommen und nachdenklich mit den Ausruf des letzten Atemzugs von Clorinda, der sich in die Ewigkeit hinzuziehen scheint: „Der Himmel tut sich auf, ich geh‘ in Frieden.“

Das Licht entzieht sich der Bühne und die Dunkelheit entlässt das Publikum mit der Überzeugung von Mentha:  „Diese Musik ist nicht sentimental – sie tröstet uns.“

Nach kurzen Innehalten und völliger Stille bedankt sich das Premierenpublikum mit langanhaltendem, starkem Applaus für die geschlossene fulminante Leistung der Protagonisten und mit vielen Bravos für die Solisten.

Olaf Schnürpel, 14. Oktober 2019

 

WIEN / KHM: CARAVAGGIO & BERNINI

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Fotos: Wesemann

WIEN / Kunsthistorisches Museum:
CARAVAGGIO & BERNINI
ENTDECKUNG DER GEFÜHLE
Vom 15. Oktober 2019 bis zum 19. Jänner 2020

Die unter die Haut gehen

Ob sie in sich versinken oder laut aufschreien. Ob sie den Betrachter anstrahlen oder ihr oft tödliches Schicksal erleiden: Die Figuren, die Caravaggio auf die Leinwand bannte, gehen unter die Haut. Dafür ist er auch berühmt geworden – zu Lebzeiten und nun, nach Epochen der Vergessenheit, wieder für die Nachwelt. Derzeit ist er sogar ein Superstar der Ausstellungsszene. Das Kunsthistorische Museum in Wien kombiniert seine Gemälde mit den Skulpturen von Gian Lorenzo Bernini und nimmt dabei gleich die „Entdeckung der Gefühle“ (so der Untertitel der Ausstellung) mit. Kurz, der „wilde Barock“ war entdeckt, ein neues Menschenbild, ein neues Zeitgefühl. Es sei nicht so weit von uns entfernt, meinte Sabine Haag, die Noch-Direktorin und, falls die Entscheidungsträger Verstand haben, auch künftige Direktorin des KHM.

Von Heiner Wesemann

Caravaggio      Michelangelo Merisi, geboren 1571 in Mailand, sein Vater stammte aus dem Ort Caravaggio (bei Bergamo), erlebte in seiner frühen Kindheit die Schrecken der Pest und verlor einen Großteil seiner Familie. Nach Studien in Mailand, ließ er seine Anfänge hinter sich und ging nach Rom, wo er sich mit seinen Aufsehen erregenden, „abweichenden“ Bildern bald einen außerordentlichen Namen schuf – und Anstoß erregte. Weil man religiöse Malerei nicht so „profan“ sehen wollte – und weil Caravaggio offenbar keinem Streit aus dem Weg ging. Als er bei einer Rauferei einen Mann tödlich verletzte, begann für ihn ein Leben auf der Flucht. Es führte ihn nach Neapel, nach Malta, nach Sizilien, bevor er 1610 in Porto Ercole (in der Nähe von Rom), verstarb. Er war nur 38 Jahre alt geworden und war schon zu Lebzeiten eine geheimnisumwitterte Legende. Obwohl immer wieder „neue Caravaggios“ aufzutauchen scheinen, gelten jedenfalls 67 Werke aus seiner Hand gesichert. Er wurde schon zu Lebzeiten viel kopiert, und es gab eine ganze Schule von Künstlern, die in seiner Manier und mit seiner Weltanschauung malten – die „Caravaggisti“.

Die Wiener Bestände   Die hier gebotenen  insgesamt 10 original Caravaggios sind geschickt auf die fünf Ausstellungsräume verteilt, wobei das Kunsthistorische Museum selbst drei bedeutende Gemälde besitzt. Die „Rosenkranzmadonna“ ist als riesiges Altarbild gedacht gewesen und wird auch als solches präsentiert. Die „Dornenkrönung Christi“ zählt zu den zahlreichen religiösen Sujets, die die „Göttlichkeit“ abgestreift haben und „Menschen“ zeigen. Und da ist noch das „David mit dem Haupt des Goliath“-Motiv, das Caravaggio zweimal gemalt hat. Die Wiener Fassung mit dem jungen, unheldenhaften, aber doch selbstbewusst da stehenden David, der ein fast resigniert wirkendes abgeschlagenes Haupt hält, ist die wirkungsvollere, zieht sofort in den Bann (und wurde auch als Plakatmotiv gewählt).

Die schönen jungen Männer     Sollte es ein Markenzeichen Caravaggios geben, sind es die schönen jungen Männer, quasi „mit Weinlaub im Haar“, die als Bacchus, mit Laute, mit Blumen, mit Früchten dem Betrachter unverwechselbar entgegen blicken. So erotisch, wie Caravaggio Frauen nie gemalt hat. Dieser Typus Mann wird in dieser Ausstellung nicht berücksichtigt, maskuline Aspekte gibt es hier eher verborgen – der junge David; ein vergnügter junger Mann, den man schon um seiner Nacktheit willen nicht als Johannes den Täufer sehen würde (den zutiefst melancholischen Johannes seiner Spätzeit konnte man dem Bild leider nicht gegenüber stellen); und ein Narziß, der in gespanntester Haltung am Rande eines Wassers kauert und begierig das eigene Bild sucht. Man weiß aber auch, dass Caravaggio imstande war, sich selbst grüngesichtig als kranken Bacchus darzustellen (nicht in der Ausstellung), und ebenso variiert er männliche Attraktivität, wenn ein Jüngling, von einer Eidechse in den Finger gebissen, plötzlich seine Züge erschrocken verzerrt. Es sind, auch wenn sie sich religiös oder mythologisch verklären, „private“ Bilder, die er hier gemalt hat.

Religion     Meist von Kirchenfürsten beauftragt, überwiegt die religiöse Thematik bei Caravaggio: Altes Testament (seine berühmte „Judith“ kam leider nicht nach Wien), Neues Testament mit brutalen Szenen der Leiden Christi, Heiligenlegenden (zweimal der Heilige Franziskus, einmal in Ekstase in den Armen eines Engels, einmal komplett in sich zusammen gesunken in der Meditation). Aber Caravaggio malte auch Porträts von Kirchenfürsten, ebenso das Bildnis eines Malteser Ritters.

Gian Lorenzo Bernini   Geboren 1598 in Neapel (also knapp zwei Jahrzehnte und damit fast eine Generation jünger als Caravaggio), zeigte Bernini, Sproß einer Bildhauer-Familie, von Jugend an besonderes Talent. Noch als Kind kam er mit dem Vater nach Rom und stand hier bis zu seinem Tod im Dienst von nicht weniger als acht Päpsten. Er brillierte als Architekt (u.a. mit der Gestaltung des Petersplatzes), er schuf monumentale Großwerke (den Vier-Ströme-Brunnen auf der Piazza Navona) und war ein Meister der Skulptur. Er konnte dem Stein den Anschein nie gekannter Weichheit geben. Zudem sind die Bewegtheit und Ausdruckskraft seiner Figuren legendär. Dass Bernini auch gemalt und gezeichnet hat (vielfach Entwurfszeichnungen), wird angesichts seiner anderen Großleistungen meist vergessen (die Wiener Ausstellung zeigt ein Selbstporträt). Mit Ausnahme einer Reise nach Paris (wo seine für Ludwig XIV. geplante Neugestaltung des Louvre nicht ausgeführt wurde), hat Bernini Rom nicht verlassen.

Medusa, Porträt, Elefant, „Scherz“…     Berninis Werke sind durch die Ausstellungsräume verteilt, wobei gleich eine „Medusa“ zentral im ersten Saal zeigt, wie unglaublich differenziert man mit Stein umgehen kann. Dass eine Steinbüste gleiches zu leisten vermag wie ein gemaltes Porträt, beweisen etwa die ungemein markanten Büsten von Kardinal Richelieu oder des englischen Höflings Thomas Baker. Dass der Mann, der den Elefanten mit Obelisk auf die Piazza della Minerva gestellt hat, dies auch „in klein“ formen kann, bekommt man ebenso gezeigt wie jene köstlichen kleinen Groteskköpfe, die Bernini zum Schmuck seiner eigenen Kutsche geschaffen hat…

Durch das ganze Gefühlsspektrum     Dennoch ist das keine Ausstellung über Caravaggio & Bernini allein, sie stellen keinesfalls den Hauptanteil der 84 im Katalog angeführten Werke. Gudrun Swoboda und Stefan Weppelmann haben als Gestalter vielmehr thematische Schwerpunkte in Bezug auf die „Emotionalität“ der Bilder und Skulpturen gesetzt – das heißt, dass es dabei um „Wunderbares & Staunen, Entsetzen & Schrecklichkeit, Liebe, Vision, Leid & Mitleid, Lebhaftigkeit, Bewegung & Aktion und Scherz“ geht. Natürlich sind die beiden Titelhelden Bezugspunkte zu den anderen Bildern, sie geben die Themen vor – eine „Maria Magdalena in Ekstase“ von Artemisia Gentileschi, wie sie erstmals aus einer Privatsammlung geholt werden konnte, gleicht jener Caravaggios (hier in einer Kopie von Louis Finson gezeigt) in der Haltung erstaunlich. Und wenn Spadarino ein Gemälde „Christus zeigt seine Wunden vor“ malt, dann greift dieser so realistisch in das geöffnete Fleisch, wie es der „Ungläubige Thomas“ bei Caravaggio tut (nicht in der Ausstellung). Da Emotionen das eigentliche Thema dieser Schau sind, die nach der Wiener Laufzeit ins Rijks Museum in Amsterdam weiter reist, verdienen auch die anderen Maler Aufmerksamkeit. Die „Titelhelden“ lassen sich ihren Rang ohnedies nicht rauben.

Kunsthistorisches Museum Wien
Caravaggio & Bernini
Entdeckung der Gefühle 
15.Oktober 2019 bis 19. Jänner 2020
Mo, Di, Mi, Fr, 9–18 Uhr, Do, Sa, So, 9–21 Uhr

WIEN/ Staatsoper: DIE FRAU OHNE SCHATTEN – 2. Vorstellung (diesmal mit Schager)

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Mihoko Fujimura (Amme). Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

WIEN/Staatsoper: „DIE FRAU OHNE SCHATTEN“

Der Abend des wahrhaft „Philharmonischen“ Staatsopernorchesters

14.10. 2019 – Karl Masek

Als „Work in progress“: So werden in Bayreuth die Wagner-Opern über mehrere Saisonen gespielt. Da wird auch nach den Premierensommern weiter gefeilt, nachjustiert, verbessert. Vincent Huguet nahm sich da ein Beispiel und kam für die zweite Serie seiner Inszenierung (mit Premiere am 25.5.) wieder nach Wien – und entsprach damit wohl auch einem Wunsch von Christian Thielemann.

Über die gefällige, allerdings eher belanglose Bebilderung der Richard-Strauss-Hugo-von-Homannsthalschen „Prüfungsoper, die an uns besondere Fragen, die ans Zentrum des Mensch-Seins rühren, stellt…“ gingen die Meinungen auseinander. All jene Opernfreunde, die der Sichtweise des Robert Carsen in der Vorgänger-Inszenierung  von 1999, das sei ein Märchen, eine Erzählung mit psychoanalytischem Hintergrund, viel abgewinnen konnten, äußerten sich kritisch über eine „nichtssagende“, eine „entbehrliche Neuinszenierung“. Huguet gehört aber offensichtlich nicht zu jenen Regisseuren, die eine Inszenierung abliefern, um dann auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. Es wurde also geprobt, nachjustiert – und im Detail gab’s wohl die eine oder andere Verbesserung. An der Substanz dieser Arbeit hat das aber wohl nicht viel geändert. Repertoire-tauglich ist sie allemal. Und schließlich kann man es als Operngeher, der gerne eigene Gedanken und Assoziationen „einbringt“, wenn man will, im speziellen Fall mit Bruno Bettelheim halten: „Wie bei jedem großen Kunstwerk ist auch der tiefste Sinn des Märchens für jeden Menschen und für den gleichen Menschen zu verschiedenen Zeiten seines Lebens anders. Je nach den augenblicklichen Interessen und Bedürfnissen entnimmt man dem gleichen Märchen unterschiedlichen Sinn…“, zu lesen im Programmheft auf Seite 140. Also weinen wir nicht der vergangenen Inszenierung nach…

Premierendirigent Christian Thielemann kam also nochmal für 3 „FroSch“-Vorstellungen. Die erste Aufführung dieser Miniserie am 10.10. fiel genau auf den 100. Jahrestag der Wiener Uraufführung. Runde Jubiläen feiert man natürlich gerne.

Und die „7. Aufführung in dieser Inszenierung“ war der Abend des Christian Thielemann und der Abend des wahrlich philharmonischen Orchesters der Wiener Staatsoper! In allererster Besetzung angetreten, angeführt von Rainer Honeck und Volkhard Steude, gab es eine Weltklasseleistung zu bejubeln. Die Damen & Herren (großteils) Philharmoniker spielten sozusagen auf der Sesselkante, lasen dem Maestro alle Wünsche von den Augen ab und lieferten ein Meisterstück an Beherrschung der „großen Form“ eines exemplarischen und besonderen Werkes, an Klangsensualität, des aufeinender-Hörens. Eine Wiedergabe aus einem Guss. Vom Pult gab es gestalterische Impulse vom Feinsten, eine außerordentliche Bandbreite des Ausdrucks und der Dynamik (mit ätherischen, schier unwirklichen Pianissimo-Stellen: „zum Niederknien“!). Und es wurde Rücksicht auf die Sänger genommen (Bei den orchestralen Zwischenspielen wurde naturgemäß mächtig aufgedreht).

Die hatten es an diesem Tag nötig, denn hier gab es einige Abstriche zu machen. Schade, der Abend hätte sonst durchaus Sternstunden-Charakter haben können. Dies gilt ausdrücklich NICHT für Camilla Nylund. Sie war in sensationeller Abendverfassung. Sie meisterte bravourös den „Spagat“, als Kaiserin sowohl die instrumentale, kristallklare Seite ihres schlank geführten, höhensicheren Soprans als auch den Wandel von der geisterhaft anmutenden Frau zum empathischen, mitfühlenden Menschen zu zeigen, was sich an der Stimmfärbung sehr schön zeigte.  Gute Mittellage, kraftvolle dramatische Höhen, ganz ohne Schärfen.

Sonst war es nicht zum Allerbesten bestellt. Der Sopran von Nina Stimme klang als Färberin von allem Anfang an strapaziert, in den Höhen unfrei. Im 2. Akt wurde es mit der Zunahme an tumultöser Dramatik prekär. Höhen wurden nur mehr geschrien, schließlich nur mehr mit höchster Anstrengung ruckartig hervorgestoßen. Nach der 2. Pause eine Ansage von Direktor Meyer höchstpersönlich: Indisposition. Nina Stemme brachte den Schlussakt mit dem ihr eigenen Aplomb doch noch über die Runden. Also, der „Richardl“ hat auch seinen Sopranistinnen Mörderisches abverlangt!  Die Färberin ist im 2. und 3. Akt fast wie „Brünnhilde“ und „Elektra“ zusammen!

Die andere „Mörderpartie“ ist die Amme. Mihoko Fujimura war in den Jahren 2000 bis 2009 im Haus am Ring eine sehr respektable Fricka, Brangäne, Kundry, Waltraute. Nun, im Herbst der Karriere, singt sie die Amme, ohne den nötigen Stimmumfang und die Kraft dafür zu haben. Als hoher Mezzo kann sie zwar mit sicheren Höhen aufwarten, die tiefe brustige Altlage steht ihr aber nicht zu Gebote – und da muss Thielemann die Regler schon fast auf Minimum zurückschalten, damit man die Sängerin noch hört. Als Figur bleibt sie eindimensional und verbreitetkaum dämonische Aura.

Auch der Kaiser, der hat es in sich. Andreas Schager hatte die erste Aufführung der Serie wegen einer Kehlkopfentzündung abgesagt. Im 1. Akt bei seinem Welt-Rollendebüt begann er noch etwas vorsichtig. Die Falknerszene gelang dann schon in fast gewohnter Weise, wie es die Art des „offenen“ Singens des Österreichers ist. Aber mit wirklich gesundem Kehlkopf und ausgeruhten Stimmbändern wird er die „sauschwere“ Rolle sicher mit dem ihm eigenen Draufgängertum meistern – als Alternative zu Stephen Gould.

Tomasz Konieczny war der neue Barak – der einzige bei Hofmannsthal-Strauss, der im Stück auch einen Namen hat! Er hat die Rolle hörbar noch nicht wirklich in der Kehle. Weder stimmlich noch sprachlich. Ihm geht für diesen gutherzigen, so lange geduldigen Sympathieträger jede warmgetönte Stimmfärbung ab. Und die lästigen gaumigen Vokal- und Zwielautverfärbungen kriegt er nicht und nicht weg!„Mir anvertraaaaut“ klingt genauso, wie wenn er im Rheingold als Wotan singt: „Folge mir, Fraaaau, in Wallhall wohne mit mir!“ Da müsste doch endlich etwas zu verändern sein. Wir wissen, der hochintelligente und sympathische Sänger spricht perfekt Deutsch!

Clemens Unterreiner folgte Sebastian Holecek nach – der Geisterbote, der ihm wohl zu tief liegt, wird nicht eine seiner Leib- und Magenrollen werden. Jörg Schneider war mitlyrischem Schmelz die Stimme des Jünglings,Maria Nazarova tönte aus dem Off als Stimme des Falken und Hüter der Schwelle. Rafael Fingerlos (Der Einäugige), Marcus Pelz (Der Einarmige) sowie Michael Laurenz (Der Bucklige) waren als Baraks Brüder mit Engagement bei der Sache. Tadellos die Stimme von oben und all die Stimmen der Ungeborenen und Solostimmen (von Monika Bohinec  bis zu Ileana Tonca, Valeria Sevinskaia, Szilvia Vörös, Stephanie Houtzeel, Bongiwe Nakani).

Viel Jubel, lautstarke  Anerkennung des Publikums für sängerische Schwerstarbeit. Die Phonzahl war besonders hoch für Thielemann, das Orchester und Camilla Nylund.

Karl Masek

 

FRANKFURT/ Alte Oper: KONZERT MIT DEM FRANKFURTER OPERN- UND MUSEUMSORCHESTER (Schönberg, Mahler)

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FRANKFURT/ Alte Oper: Konzert mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester

Dirigent: Sebastian Weigle
Alte Oper, 14. Oktober 2019

Arnold Schönberg
Verklärte Nacht op. 4

Gustav Mahler
Das Lied von der Erde

Katharina Magiera, Alt
Nikolai Schukoff, Tenor

Glorioser Schönberg und Mahlers „Lied von der Erde“ als Orchesterereignis

Ein spannendes Programm präsentierte das Frankfurter Opern- und Museumsorchester seinen Konzertbesuchern. Arnold Schönberg spätromantische Musik in Kontrast zu Gustav Mahlers Musik des Lebens und Endens.

In seiner tonalen Frühphase komponierte Arnold Schönberg das 1899 uraufgeführte Streichsextett „Verklärte Nacht“, welches er 1917 für Streichorchester revidierte. Spannend, dass auch Schönberg einen musikalischen Beitrag zur Programmmusik komponierte. Das gleichnamige Gedicht von Richard Dehmel bildet den inhaltlichen Kern. Im Mittelpunkt des Gedichtes steht ein Liebespaar. Im Mondenschein gesteht die Frau ihrem Liebhaber, dass sie das Kind eines anderen Mannes erwartet. Dieser Fremdgang zerstört nicht das Liebesbündnis. Der Liebhaber beschließt das Kind als eigenes anzunehmen.

Schönberg zaubert frappierende Farben mit der Gruppe der Streichinstrumente. Manche melodische Idee lässt dabei an Richard Wagner denken. Gerade zu diesem Komponisten hat Sebastian Weigle eine besondere Nähe. Und so erklang dieses Werk von Schönberg geradezu süffig, spätromantisch. Der Beginn kam mystisch, wie aus dem Nichts. Und dann spannte Weigle einen endlos anmutenden, nie abreißenden Spannungsbogen. Die Musik wirkte dabei geradezu theatralisch und vom Orchester erkennbar erlebt. Die Streicher erfreuten durch vollen, üppigen Klang. Auch in den diversen Soli konnte das Orchester für sich einnehmen. Wunderbar das Zusammenspiel und die aktive Interaktion. So wurde der Dialog der Liebenden sehr deutlich erlebbar. Die Intensität des Orchesterklanges hatte zeitweilig etwas Narkotisierendes. Herrlich, wie Weigle die lichtvollen Arpeggien am Ende des Stückes leuchten ließ. Ein Beginn voller emotionaler Intensität, formidabel umgesetzt und deutlich vom Publikum gewürdigt. Der vorweg genommene Höhepunkt des Konzertabends.

Gustav Mahler schrieb in den Jahren 1907/1908 seinen sinfonischen Liederzyklus „Das Lied von der Erde“. Inhaltlicher Auslöser war seine Beschäftigung mit altchinesischer Lyrik, die Hans Bethge in seiner Sammlung „Die chinesische Flöte“ zusammengefasst hatte. Stilistisch ist dieses neunte Orchesterwerk Mahlers eine Art Zwitter, d.h. sowohl Sinfonie als auch Liederzyklus. Mahler schrieb dieses Werk in seiner letzten Schaffensperiode. Auch hier ist das Endliche thematisiert. Der Komponist befand sich in jener Zeit in einer großen Krise. Gesundheitlich schwer angeschlagen durch seine Herzerkrankung und innerlich stark leidend. Seine geliebte Tochter Maria-Anna, gerade einmal vier Jahre jung, fiel der Diphtherie zum Opfer. Und auch beruflich ging es ihm schlecht. Eine antisemitische Hetzkampagne führte zu seinem Rücktritt als Direktor der Wiener Hofoper. Unter diesen schwersten Umständen ist das kompositorische Resultat geradezu wundersam zu nennen. Mahler selbst erachtete sein „Lied von der Erde“ als eines seiner besten Werke. In kaum einem seiner anderen symphonischen Werke gibt es derart viele Instrumentalsoli. Oftmals kommt es zum Dialog zwischen Sing- und Instrumentalstimme. Und doch bleibt es das Orchester, welches hier die ganze Pracht an Farben dem Zuhörer entgegenbringt.

Mahler fordert von seinen beiden Gesangssolisten größte Anstrengungen, vor allem von dem Tenor. Es war eine herbe Enttäuschung, wieder einmal mit einer Absage von Peter Seiffert konfrontiert zu werden, der ursprünglich dieses Konzert hätte singen sollen. Sehr bedauerlich, dass dieser großartige Sänger in den letzten Jahren derart viele Veranstaltungen absagte.  Sein Ersatz, Nikolai Schukoff, ist ein ganz anderer Sänger-Charakter. Basierend auf einer baritonalen Mittellage konnte er seiner Tenorstimme nicht die notwendige Durchschlagskraft abringen, die notwendig ist, um vor allem im „Trinklied vom Jammer der Erde“ souverän, machtvoll durchzudringen. Hier musste Schukoff zuweilen forcieren, um sich Gehör zu verschaffen. So manche Höhe, auch etwa beim „Trunkenen im Frühling“ war doch hörbar erkämpft oder geriet zu knapp.

Erfreulich hingegen sein deutliches Bemühen, den Textgehalt zu erfassen und dessen Bedeutung zu gestalten. Von daher überzeugte Schukoff vor allem durch sein gestalterisches Potential, das er aber zu sehr in szenische Gesten übertrug und zu wenig in eine durchdachte Textreflexion. Wenn im ersten Lied mehrere Male „Dunkel ist das Leben“ immer identisch im Forte, ohne variierte Nuancierung gesungen wird, dann bleibt der Ausdruck oberflächlich und nichtssagend.  Schärfer und deutlicher hätte seine Artikulation sein können. Die Konsonanten gerieten recht verwaschen. Auch dynamisch bewegte er sich zumeist monochrom im Bereich des Forte.

Katharina Magiera agierte in ihren Liedbeiträgen vorwiegend musikalisch. Brav gesungen und dynamisch kontrolliert gelang es ihr, die Momente des Innehaltens zu transportieren. Der Textverlauf wirkte bei ihr hingegen zu oft eindimensional und vordergründig. So erklangen „Der Einsame im Herbst“ und „Von der Schönheit“ arg beiläufig. Auch die Textverständlichkeit war zu wenig ausgeprägt. Zu oft wirkte ihr Vortrag nicht von innen erlebt, sondern lediglich als tonale Reproduktion des Notentextes. Aussagen, wie z.B. „Mein Herz ist müde“ oder „Ich weine viel“ wirkten nahezu unbeteiligt. Darunter litt leider dann auch das umfangreiche Schlusslied „Abschied“, dem so die Ewigkeitsnähe völlig abging. Insgesamt wirkte Magieras Gesang reichlich diesseitig. Ihrer Stimme fehlte die positive Dominanz, den Zuhörer in eine tiefe Welt der Erkenntnis zu führen. So huschten die Notenwerte zu beiläufig gestaltet und nett klingend vorbei. Das war zu wenig, um der Bedeutung dieses Werkes gerecht zu werden.

Klarer und stimmiger als dieses inhomogene Solisten-Duo zeigte sich das gut vorbereitete Frankfurter Opern- und Museumsorchester. Aber Sebastian Weigle scheute hier eher die drastischen Farbgebungen oder dynamischen Extreme. Bereits die einleitende Quarte in den Hörnern erklang sehr zurückgenommen und wirkte zu deutlich gebremst. Er achtete auf die Sänger und half so gut er konnte, diese zur Entfaltung zu bringen. Dies ist löblich, jedoch blieb das Aufschäumende der Musik dabei in Teilen auf der Strecke. Natürlich zeigte er aber auch hier, wie gut er deutlich innehalten und tief in die Musik hineinhören konnte. Großartig, dass er sich für den „Abschied“ viel Zeit nahm, die Musik ausatmen ließ. Über seiner Interpretation schwebte jedoch zu sehr der Wille der Sicherheit, alles geordnet und wohl proportioniert zu realisieren.

Einmal mehr gilt es die Leistung des Frankfurter Opern- und Museumsorchester zu würdigen. Auf hohem Niveau zeigte es seine stilistische Kompetenz und wiederholt seine große Nähe zur Musik Gustav Mahlers. Alle Stimmgruppen reagierten gut aufeinander und musizierten mit äußerstem Engagement. Das Orchester musste einfach gestalten, kommentieren und die notwendigen Subtexte transportieren, was die Gesangssolisten zu sehr schuldig blieben und beim Orchester bestens gelang. Darüber hinaus gab es eine Fülle geglückter Instrumentalsoli, wie z.B. von Flöte, vor allem Oboe und Englischhorn, Bass-Klarinette und Solo-Violine. Eine tadellose Gesamtleistung dieses besonderen Klangkörpers.

Das Publikum brauchte einige Zeit aus diesem so besonderen, einzigartigen musikalischen Kosmos dieses Werkes zurückzufinden. Mäßige Begeisterung.

Dirk Schauß, 15. Oktober 2019

FRANKFURT/ Alte Oper: DAS LIED VON DER ERDE

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Frankfurt / Alte Oper: „ DAS LIED VON DER ERDE“ – 14.10.2019

Dem 2. Abo-Konzert des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters erteilte Peter Seiffert krankheitsbedingt eine Absage und somit übernahm Nikolai Schukoff den Tenor-Part in „Das Lied von der Erde“ (Gustav Mahler) im Mozartsaal der Alten Oper.

Mit ins Transzendente zielenden Worten: Still ist mein Herz und harret seiner Stunde! Die liebe Erde allüberall, blüht auf im Lenz und grünt- aufs neu! Allüberall und ewig blauen Licht die Fernen! Ewig…ewig. Endet das Werk, welches im spätromantischen Repertoire eine schwer zu deutende Mittelstellung zwischen Vokalsymphonie und Orchesterzyklus einnimmt.

Somit bleibe ich auch gleich bei der Solistin Katharina Magiera der jungen Mezzosopranistin der Oper Frankfurt welche auf beeindruckende Weise die immense Scala ihrer wohlklingenden Stimme demonstrierte. Den abgründigen Tiefen der tragfähigen Mittellage  folgten reine, die Orchesterfluten überstrahlende Höhen-Sphären. Wunderbar interpretierte die Künstlerin mit resignierendem Unterton  Der Einsame im Herbst. Ausgezeichnet in vokaler Variation Von der Schönheit und schließlich wie entrückt in schwebender Schönheit die bereits oben zitierten Worte beim finalen Abschied.

Nikolai Schukoff setzte bereits beim eröffnenden Trinklied vom Jammer der Erde mit seinem höhensicheren Tenor gestalterische Akzente voller Komplexität. Lyrisch ohne heroischen Operngesang verströmte der Sänger sein ausdrucksstarkes Material in nuancierten Varianten. Pathetisch, vortrefflich variiert erklang Von der Jugend und Schukoff schenkte dem Refrain bewegende Tiefenwirkung mit seinem wunderbar timbrierten Tenorstimme. Beste  Textverständlichkeit korrespondierte mit punktgenau differenzierter Feinfühligkeit bei Der Trunkene im Frühling krönend mit tenoralen Finessen der finalen Textzeile Was geht mich der Frühling an? Lasst mich trunken sein. Mit Freude im Herzen, zuweilen den Schalk im Nacken  schenkten die beiden sympathischen Solisten den Texten besondere exorbitante Prägnanz.

Vorzüglich erfüllte Sebastian Weigle am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsrochesters die Strophen und Nachklänge mit symphonischer Dichte. Jubelnde Hornfanfaren zu Beginn, melancholische Zauberklänge, dem behaglichen Scherzo sowie berauschende Schönheit des Finales verstand es das prächtig aufspielende Orchester zur Inspiration seines GMDs gleichwohl vortrefflich umzusetzen. Eine tiefbewegende Interpretation ausgezeichnet dargeboten  wurde nach kleinen Besinnungsmomenten lautstark vom Publikum gefeiert.

Vor der Pause erklang „Verklärte Nacht“ jenes übersinnliche erkenntnisbedingte symphonische Poem von Arnold Schönberg. Die Auseinandersetzung mit dessen Werken und Schreibweisen sorgte und wird immer wieder Diskussionen hervorrufen, jedoch ganz besonders bezüglich des jeweiligen Hörergeschmacks. Mich persönlich begeisterte jener Musizierstil, der herrlich breitgefächerte Streicherklang des Frankfurter Orchesters in seiner satten Farbigkeit, im elegischen musikalischen Dahinfließen dieser „verklärten“ Komposition. Zur orchestralen Formation von Sebastian Weigle entwickelte sich das zart filigrane, symphonische Aufstreben zum schwerblütigen Diskant der dimensionierten Grundstimmung um sodann instrumental elegisch zu entschweben. Ein genialer harmonisierender Auftakt zur Mahlers elitärer Tonsprache. Bravos und langanhaltender Beifall für die bemerkenswerte Interpretation.

Gerhard Hoffmann

MALEFICENT – MÄCHTE DER FINSTERNIS

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Filmstart: 17. Oktober 2019
MALEFICENT – MÄCHTE DER FINSTERNIS
Maleficent: Mistress of Evil / USA / 2019
Regie: Joachim Rønning
Mit: Angelina Jolie, Michelle Pfeiffer, Elle Fanning, Sam Riley, Harris Dickinson u.a.

Vor fünf Jahren hat der Disney-Konzern eine in vielen Details „neue“ Version der alten Dornröschen-Geschichte herausgebracht. „Maleficent – Die dunkle Fee“ stellte jene Dame in den Mittelpunkt, die sonst nur eine Nebenrolle (gewissermaßen im „Vorspiel“) inne hat: Sie ist es, die Baby Dornröschen zu ihrem langen Schlaf verdonnert. Warum? Aus Rache. Aber das war nur der Ansatz, von dem aus man die Geschichte anders erzählte und gewichtete.

Der erste Film malte aus, wie aus einem von den Menschen und Männern enttäuschten Geschöpf eine böse Fee mit riesigen schwarzen Erzengel-Flügeln wird: Damals schon verkörperte Angelina Jolie die Rolle, und sie tat es mit derselben Unbeweglichkeit, die sie nun auch in der Reprise zeigt.

Anders geht es zu, weil Prinzessin Aurora gerettet wurde (beschützt u.a. von drei unsäglich albernen Feen, die auch im zweiten Teil wieder auftauchen), nun ihr Königreich regiert und in Maleficent ihre Mutter, ihre gute Mutter sieht. Mit dem originalen Märchen hatte das Ganze nichts mehr zu tun, und die nun nach fünf Jahren nachgeschobene Fortsetzung auch nicht.

Da musste man sich allerdings etwas einfallen lassen. Kurz, das Prinzesschen, das ihr Waldkönigtum hegt und pflegt (Umweltschutz ist unser Thema), will heiraten, nicht gerade zur Freude ihrer Ersatzmutter, aber dieser Prinz Philipp aus dem Nachbarland ist ein zu netter Kerl. Immerhin kann man nicht geradewegs zum Happyend eilen, man muss schließlich gut eineinhalb Kinostunden füllen – und darum hat man der „schwarzen Fee“ eine „weiße Königin“ gegenüber gestellt. Aber, dass man sich nicht irrt – diese Queen Ingrith ist nämlich die wahre Böse.

Michelle Pfeiffer spielt sie (sie sieht noch immer erstaunlich gut aus) und steckt ihre Konkurrentin und alle anderen als Persönlichkeit in die Tasche. Wobei sie ohnedies nur das Märchenklischee der Intrigantin abziehen darf – sie lächelt, und als Zuschauer weiß man genau, dass man ihr nicht trauen kann…

Diese Königin ist die Mutter des Bräutigams, sie hasst das Volk von Prinzessin Aurora und tut alles, um diese Hochzeit zu verhindert. Dafür brächte sie doch glatt den eigenen Gatten um (wenn es ihr denn gelänge). Immerhin macht sie Sohn und Schwiegertochter in spe das Leben einige Zeit zur Höll (was zu allerlei dramatischem Wirbel auf der Leinwand führt) – und Maleficent? Also, viel unternimmt die nicht. Angelina Jolie hat bei der Lektüre des Drehbuchs nicht aufgepasst, sonst hätte sie sich die Führungsrolle in diesem Film nicht so total abnehmen lassen…

Der neue Regisseur, der Norweger Joachim Rønning, hat schon ein Portofolio, das sich sehen lassen kann. Bisher hat er am meisten mit seinem „Kon Tiki“-Film beeindruckt, durfte aber mit dem fünften Teil der „Piraten der Karibik“ auch ein Hollywood-Abenteuer-Spektakel realisieren, dessen Mittel mit dieser Märchen-Fantasy-Show zu vergleichen sind. Technisch perfekt fliegen Drachen aus dem Computer, vielmehr über die Leinwand, ebenso überzeugend flattern und schnattern die dummen kleinen Mini-Feen (Imelda Staunton als Knotgrass, Juno Temple als Thistlewit und Lesley Manville als Flittle) herum, die Natur ist schön, das Schloß prächtig, die Ingredienzien stimmen.

Und schließlich sorgt auch wieder, wie im ersten Film, Sam Riley als Rabe, der auch in Menschengestalt viel zu vermelden hat, für Humor. Und am Ende flirtet die an sich so unzugängliche Maleficent doch glatt mit Borra, diesem ganz auf Krieg eingestellten geflügelten Bösewicht (Ed Skrein), den sie bezaubern kann, ihr zu helfen…

Ideologisch wichtig ist, dass die beiden jungen Menschen bezaubernd sind, nicht nur optisch. Elle Fanning als Prinzessin und Harris Dickinson als Prinz verkörpern alles, was an der Jugend gut und positiv zukunftsgewandt ist, sie strahlen geradezu. Die beiden wollen ihre so verschiedenen Reiche (hier magische Geschöpfe, dort Menschen) friedlich vereinigen, und zeigen, dass sich eine wunderbare Jugend von den bösen Alten nicht verbiegen und verderben lässt. Wenn ihnen am Ende glücklicherweise die Versöhnung ihrer gegensätzlichen Völker gelingt (man will nicht verraten, welche Strafe die böse Queen Ingrith trifft, aber man hat herzlich darüber gelacht), möchte man am liebsten Israeli und Palästinenser gemeinsam ins Kino schicken und ihnen zeigen: Schaut her, es geht doch! Auch Gegensätze können sich finden und lieb miteinander sein. Zumindest im Kino… Aber wenn es bei einem solchen Film auch darum geht, dass ein jugendliches Publikum hier die richtigen Botschaften mitbekommt, dann liegt Disney goldrichtig.

Renate Wagner


WIEN / Theater im Zentrum: ALLES GUTE

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Claudia Waldherr, Shirina Granmayeh     (Alle Fotos: Rita Newman) 

WIEN / Theater der Jugend im Theater im Zentrum:  
ALLES GUTE von Lutz Hübner
Premiere: 15. Oktober 2019

Kein Theater kommt ohne „Gebrauchsdramatik“ aus, Stücke, die entweder Schauspielern auf den Leib geschrieben werden oder auf Wunsch spezifische Themen behandeln. Stücke für Jugendliche sind besonders begehrt und gar nicht so leicht zu „stricken“: Der Deutsche Lutz Hübner kann das und tut es seit Jahrzehnten. Interessant, dass „Alles Gute“ von 1998 in den mehr als zwei Jahrzehnten, seit es im Berliner Grips-Theater uraufgeführt wurde, noch immer eine aktuelle Geschichte erzählt.

Zumindest ansatzweise und am Beginn, wenn die vaterlose Prekariatsfamilie, in der die 14jährige Schülerin Alina lebt, auch ein bisschen überzeichnet wird. Eine überlastete, laut schimpfende Mutter; ein halb krimineller Bruder; und um einen leicht geistig behinderten Jungen in der Nachbarschaft kümmert sie sich auch noch. Kein leichtes Leben, aber keines, das man in der Schule zugibt – wie stünde man solcherart da? Und wenn dann die superreiche Nadine in die Schule kommt, muss man deren Angeberei  (das hat sie von Mama gelernt) etwas entgegensetzen. Prahlen, lügen, hochstapeln, wenn auch mit einem sehr unguten Gefühl im Bauch…

Daran hat sich wahrscheinlich nichts geändert: Wer Markenartikel trägt und benützt, wer etwas „hat“, der „ist“ auch etwas, weil unsere Gesellschaft diese oberflächliche „Wertestruktur“, die mit wahren Werten nichts zu tun hat, mitgibt. Dass die Jugendlichen sich daraus nicht befreien können – man weiß es.

Freilich lässt sich Alina von einer egozentrisch-angeberischen Nadine dann in eine „Geburtstagsfeier“ hinein hetzen, für die sie nichts mitbringen kann – und das Stück auch nicht. Nach der Pause wird die Geschichte in Turbulenz (und zunehmender unrealistischer G’spaßigkeit) ertränkt und wirft alles weg, was sie an (ernsthafter) Thematik zumindest angedeutet hat. Dann werden in einer nicht wirklich überraschenden Wendung die Reichen arm (aber nicht so überzeugend wie bei Nestroy), und sie finden sich mit erstaunlicher Gelassenheit darein. Am Ende Jubel, Trubel, Heiterkeit, die jugendlichen Zuschauer reagieren nur noch auf den Jux. Und das ist halt zu wenig.

Sicher, Regisseur Werner Sobotka kann nicht nur Musical, er kann auch Unterhaltungstheater, wenn er vieles (etwa die Figur des naiven Jungen Benny, Lukas Spitzenberg) eindeutig zu billig gibt und ihn nur als puren Pointenschleuderer einsetzt. Aber Claudia Waldherr als das einfache Mädchen, das sich dazu verleiten lässt, den Boden unter den Füßen zu verlieren, hat einen herrlichen Natürlichkeitston „aus der unteren Lade“, und Shirina Granmayeh als reiche Nadine ist die hektische Ego-Zicke, wie jeder sie im wahren Leben kennt – ich, ich, ich! Und da sind noch der Bruder Tobias (Sebastian von Malfèr), Elisa Seydel sowie in jeweils zwei Rollen Karoline-Anni Reingraber und Lars Wellings.

Die zuckrige Zubereitung verdeckt in kürzester Zeit die Fragen, die hier drinnen stecken. Schade.

Renate Wagner      

BERN/ Konzert/Theater: IL BARBIERE DI SIVIGLIA

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Gioacchino Rossini: Il Barbiere di Siviglia, Konzert Theater Bern , Vorstellung: 15.10.2019

 (2. Vorstellung seit der Wiederaufnahme am 13.10.2019)

Sternstunde im Berner Stadttheater

Konzert Theater Bern beginnt, nach der Wiederaufnahme der erfolgreichen «Carmen», die Musiktheater-Saison mit einer Neuproduktion des Barbiers aus Sevilla.

Bildergebnis für bern il barbiere di siviglia
Foto: Annette Boutellier

Cordula Däuper ist dabei eine hochpoetische Inszenierung gelungen, die das Schattenspiel (Licht:Christian Aufderstroth) mit den Figuren der Commediadell’arte kombiniert. Grundlage für die Schattenrisse und Schattenspiele ist ein annähernd bühnenfüllender, multifunktionaler Kubus (Bühne: Mareile  Krettek). Die Wände dienen als Projektionsflächen, eine Wand kann aufgeklappt werden und gibt den Blick in Bartolos Behausung frei. Das Dach kann hochgeklappt werden, damit Rosinas Billett auch schön fallen kann. Die Kostüme von Pascal Seibicketransportieren frisch und farbenfroh die klassischen Attribute der Commediadell’arte-Figuren ins hier und jetzt.

Die Ouvertüre ist als lebendiger Besetzungszettel inszeniert: Figaro stellt mit einem weissen, kleinen, jeweils entsprechend beschrifteten Würfel Fiorello, Berta, Ambrogio und sich selbst vor dem Vorhang vor, dann öffnet sich der Vorhang und die übrigen Figuren präsentieren sich in Schattenrissen selbst. Die Figuren haben nicht nur ihre Attribute behalten: jeder Figur ist auch klar und deutlich eine Farbe zugeordnet, die sie für ein hoffentlich noch zahlreich erscheinendes, junges Publikum einfach erkennbar machen. Wenn sich die Musiker für das Ständchen vor Bartolos Haus einfinden, sind Instrumente als Schattenrisse zu sehen. Beginnt das Ständchen, nehmen die im Frack aufgetretenen Musiker die Instrumente von der Wand und spielen auf den Karton-Attrappen. Zu AlmavivasCavatina «Ecco, ridente in cielo» ist ein Sternenhimmel zu sehen. Währendem Almaviva darum kämpft die Musiker loszuwerden, sammelt Berta die Instrumente im Wäschekorb ein.Als Almaviva auch den letzten Musiker, der sich penetrant mit Küssen bedankt hat, losgeworden ist, stöhnt er auf: «Genteindiscreta!».An vielen weiteren Details, am virtuosen Umgang mit dem Stück, das sie eng am Libretto inszeniert, zeigt sich, wie hervorragend Däuper ihr Handwerk versteht.

Unter dem 1. Kapellmeister und musikalischen Leiter des Musiktheaters ad interim MatthewToogood gibt das Symphonieorchester Bern einen Rossini zu Besten, der sofort klarwerden lässt, wie es zu Rossinis Zeiten zum berühmten Rossini-Fieber kommen konnte. An diesem Abend gelingt einfach alles: Traumhaft. Der auf dem Besetzungszettel leider unerwähnt gebliebene Spieler des Hammerklaviers begleitet stellenweise sehr frei, aber immer passend. Der von Zsolt Czetener vorbereitete Herrenchor Konzert Theater Bern lässt ebenfalls keine Wünsche offen.

Bildergebnis für bern il barbiere di siviglia
Foto: Annette Boutellier

Und auch die Solisten überzeugen an diesem Abend ausnahmslos. Bis das Spiel am imaginären Klavier der Musikstunde im zweiten Akt so federleicht und selbstverständlich, nie aufgesetzt oder outriert wirkt, ist eine Menge Arbeit nötig. Mit TheodoreBrownesingt ein junger Tenore di graziaden Conte Almaviva mit perfekter Technik, sauberen, mühelosen Höhen und optimaler Bühnenpräsenz. Rainer Zaun gibt einen Bartolo alter Schule und überzeugt mit der Flexibilität sich der frischen, modernen Inszenierung anzupassen. Oriane Pons brilliert als Rosina: welche Farben, welch Mezzo-Tiefen, welche Höhen!Todd Boyce singt nicht nur den Figaro, er verkörpert ihn mit Leib und Seele und prächtigem Bariton.Young Kwon ist ein tadelloser, stimmgewaltiger Basilio. SarahMehnert als Berta, Salvador Pérez als Fiorello, Atanas Ouroumow als Ufficiale und zwei Mitglieder von der Statisterie Konzert Theater Bern als Ambrogio und Notarergänzen das hervorragende Ensemble.

Eine Sternstunde im Berner Stadttheater.

Weitere Aufführungen:Di, 15. Oktober 2019, 19:30 – 22:30; So, 20. Oktober 2019, 18:00 – 21:00; So, 03. November 2019, 18:00 – 21:00; Do, 14. November 2019, 19:30 – 22:30; Sa, 16. November 2019, 19:30 – 22:30; So, 08. Dezember 2019, 18:00 – 21:00; Di, 10. Dezember 2019, 19:30 – 22:30; Sa, 14. Dezember 2019, 19:30 – 22:30; Sa, 21. Dezember 2019, 19:30 – 22:30; So, 29. Dezember 2019, 16:00 – 19:00; Di, 31. Dezember 2019, 19:00 – 22:00; Fr, 03. Januar 2020, 19:30 – 22:30; So, 02. Februar 2020, 18:00 – 21:00; Mi, 19. Februar 2020, 19:30 – 22:30; So, 15. März 2020, 18:00 – 21:00.

 

15.10.2019, Jan Krobot/Zürich

WIEN/ Bank Austria Salon im Alten Rathaus: KAMMERMUSIKALISCHE DELIKATESSEN (Mendelssohn, Beethoven, Bortnjanskij, Rüdenauer)

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Bank Austria Salon im Wiener Alten Rathaus (14. & 15.10.) – kammermusikalische Delikatessen

Eine Reihe an kammermusikalischen Feinheiten bietet der Bank Austria Salon im historischen Alten Rathaus von Wien. Junge, jüngere Ensembles oder Solisten treten im geschichtsträchtigen Barocksaal an, der eine durchaus nötige Ergänzung zu den beiden traditionellen Konzertsälen der Stadt erlaubt und als erwünschte Bereicherung für das Wiener Konzertleben anzusehen ist.

WISE (‚Wiener Internationales Solisten Ensemble‘) betreut hier einen programmatisch abwechslungsreichen Zyklus mit zahlreichen Novitäten wie Gustostückerln. Etwa im Programm ‘Panta rhei‘, alles fließt: Nobel strömen in Felix Mendelssohn Bartholdys d-Moll Klaviertrio Nr. 1 dessen weit gespannten und sich edel wiegenden Melodien empfindungsvoll nur so dahin. Und in Dmitri Schostakowitschs 2. Klaviertrio drängen schon sehr geniale Einfälle von tiefer meditativer Innenschau bis zu rhythmisch grotesken spielerischen Girlanden. Ein dynamisches Damentrio unter Führung von Geigerin Andrea Nicolic trumpfte hier sehr eindrucksvoll mit nervigen Wiedergaben auf.

Pianistin Natasa Veljkovic erlaubt sich im Barocksaal ‚Fünf Jahrezeiten‘ zu feiern: Fünf Abende mit jeweils einem der fünf Klavierkonzerte von Ludwig van Beethoven und einigen interessanten Raritäten dazu. Die poesievolle Nummer vier, das G-Dur Konzert, war nun an der Reihe. Und wurde von den Wiener Polyphonikern in Kammermusik-Besetzung unter Alexander Znamenskiy ganz dem temperamentvollen Musizieren der Pianistin und ihrer impulsiven Aussage folgend in einer perfekten Interpretation wiedergegeben. Hingebungsvoll, gewaltig stürmend doch ohne Gewalt vermag Veljkovic das Publikum in einen üppigen Beethoven-Rausch miteinzubeziehen.

Dazu ließ Veljkovic mit frischer Sprache ein kurzes Konzert des russischen Beethoven-Zeitgenossen Dmitrij Stepanowitsch Bortnjanskij (1751 – 1825) aufflackern. Nun, am Klavier plastisch konturiert serviert, weist Bortnjanskijs noch leicht dem Rokoko verhaftete Klangphantasie auf die Blickrichtung der St. Petersburger herrschenden Elite zur europäischen Musikwelt hin. Bortnjanskij in Bezug zu Beeethoven: Fürst Andrej Kirillowitsch Rasumofsky, Diplomat beim Wiener Kongress im Dienste des Zaren, später in Wien verstorbener Kunstsammler und Mäzen, ist für beide Komponisten ein nobler Förderer gewesen.

Meinhard Rüdenauer

WIEN/ Konzerthaus: JONAS KAUFMANN – eine tenorale Liebeserklärung an Wien

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Wien/ Konzerthaus: EINE  TENORALE  LIEBESERKLÄRUNG AN „WIEN“: JONAS KAUFMANN (14.10.2019)

Es kommt nicht oft vor, dass der führende Otello, Alvaro, Stolzing oder Bacchus Lied-Titel auswählt, die man zumeist in der Fassung mit Peter Alexander  oder Hans Moser kennt. Aber der deutsche Startenor Jonas Kaufmann brachte soeben bei SONY eine CD unter dem schlichten Titel „Wien“ heraus  – mit den Wiener Philharmonikern unter Adam Fischer und startete  ein  gleichnamigesTournee-Projekt im Wiener Konzerthaus. Als Orchester wurden die „Prague Philharmonia“ unter  Jochen Rieger verpflichtet. Als Partnerin gab es die vielversprechende US-Sopranistin Rachel Willis-Sorensen. Und außerdem gab es noch eine klare Struktur – Vorgabe: vor der Pause Johann Strauss, der Sohn und erst im 2.Teil Robert Stolz, Emmerich Kalman und Franz Lehar.  Den ganz großen Jubel lösten  in Wahrheit erst die Zugaben aus. Jedenfalls begann es eher konventionell und nicht in Wien- zum Auftakt also „Die Nacht in Venedig“-mit dem Lied des Herzogs, dann zum „Aufwärmen“ des Orchesters „Rosen aus dem Süden“. Danach ein erster Höhepunkt: das Duett zwischen Eisenstein und Rosalinde aus der „Fledermaus“ „Dieser Anstand so manierlich“…Siedehitze beim Applaus erzielt Jonas Kaufmann mit dem Evergreen „Draußen in Sievering blüht schon der Flieder“ – die dunkle Mittellage und glanzvolle Spitzentöne begeistern auch hier.. Frenetischer Jubel für das Duett Graf//Gräfin aus „Wiener Blut“. Nach der Pause also die silberne Operetten-Ära. Und einem Titel aus „Zirkusprinzessin“ von Emmerich Kalman „Zwei Märchenaugen“. Ganz in die Nähe der Hit-Parade befindet sich der „Wien“_Abend mit den zwei Robert Stolz-Liedern „Im Prater blühn wieder die Bäume“ sowie „Wien wird schön erst bei Nacht“. In der Folge wieder eine Annäherung an die Oper: Franz Lehars „Lustige Witwe“ bringt Jonas Kaufmann zum Schwelgen und die attraktive Sopranistin begeistert mit einem „hinaufgesungene“ Vilja-Lied. Der offizielle Schluss-Punkt ist das „Wien, Wien nur Du allein!“ von Rudolf  Sieczynski. Jonas Kaufmann erinnert an die 3 Tenöre, die dieses Titel ja auch als Höhepunkt wählten. Jedenfalls explodierte das Publikum endgültig: es gab Jubel, Trubel, Heiterkeit. Es flogen Blumen, das Publikum klatschte mit und die Zugaben waren der Hit:“In einem kleinen Cafe in Hernals“, „Schenkt man sich Rosen in Tirol“ und der Joseph-Schmidt-Schlager„Heut ist der schönste Tag in meinem Leben“- der Höhepunkt war freilich der Peter Kreuder-Song „Sag zum Abschied leise Servus“-.

Der Bürgermeister Michael Ludwig überreichte daraufhin dem Tenor-Superstar den „Goldenen Rathausmann“ – und die Fans waren glücklich…

Peter Dusek

WIEN / Staatsoper: MADAMA BUTTERFLY

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Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Pöhn

WIEN / Staatsoper:
MADAMA BUTTERFLY von Giacomo Puccini
390.
Aufführung in dieser Inszenierung  
16.
Oktober 2019  

Vor der zweiten und letzten Vorstellung dieser kurzen „Madama Butterfly“-Serie der Staatsoper trat Andreas Lang vor den Vorhang und entschuldigte Titelrollenträgerin Kristīne Opolais, die von einer herannahenden Verkühlung beeinträchtigt sei. Das hat offenbar gänzlich den Druck von ihr genommen und den Weg zu einer hervorragenden Butterfly geebnet, wenn man auch eingesteht, dass die Stimme bereits Verschleißerscheinungen aufweist, manchmal in der Mittellage bröckelt, nicht jede Höhe gleich rein erwischt (und das im Alter von knapp 40 Jahren – aber das Puccini-Fach, das sie neben der Rusalka so gut wie ausschließlich singt, ist ja nun auch ein Hammer für die Stimme). Dennoch „hat“ sie die zahllosen enormen Ausbrüche, die ihr die Rolle abverlangt, mit mitreißender Kraft, und vieles gelingt auch schön.
Vor allem aber ist die Butterfly „ihre“ Rolle, die sie mit sagenhaftem Aplomb verkörpert, die großen, demonstrativen Gesten des japanischen Theaters nicht scheuend, sondern wohl auch bewusst zitierend. Das ist keine zerbrechliche 15jährige, sondern eine starke Frau, die sich diese Liebe zu Pinkerton als Schicksal erwählt hat und mit Entschlossenheit darum kämpft. Auch ihr Tod ist keine Resignation, sondern die Entscheidung, ihrem Sohn ein Schicksal in Amerika zu schenken und nicht als emotionale Altlast zurück zu bleiben – das ist so kraftvoll, so großartig, so überzeugend, dass das Publikum in Begeisterung ausbrach. Zu Recht.

Ivan Magrì erstaunte den Zuhörer zu Beginn, und das nicht positiv, als er stimmlich mit dem kraftvollen Goro des Herwig Pecoraro kaum mithalten konnte, und Kraft war den ganzen Abend lang nicht seine Stärke. Auch wenn der Pinkerton, der wirklich eine benachteiligte Rolle ist, im dritten Akt endlich zu seiner Arie kommt, prunkte Magri nicht. Aber was er spielte, war bemerkenswert: Während sich manche Sänger bemühen (Alagna ist das schön gelungen), aus diesem Amerikaner keinen Widerling, sondern zumindest einen ungestümen, fast naiven jungen Mann zu machen, der sich in dieses japanische Mädchen echt verliebt hat, spielt der Sizilianer Magri wirklich den überheblichen Schnösel, der sich da eine Frau, nein, eine Puppe gekauft hat, die ganzen Rituale um die scheinbare Hochzeit mit kaum verhohlenem Lachen und Kopfschütteln mitmacht und wahrlich ein zynischer „Täter“ ist, dem man dann auch im dritten Akt die scheinbare Reue nicht glaubt. Mit Percoraro als dem Kuppler, der hier regelrecht als Frauenhändler auftritt, bekommt die uralte Gielen-Inszenierung (sie stammt aus dem Jahre 1957 und steuert ihre 400. Vorstellung an, die ihr die nächste Direktion hoffentlich noch gönnen wird) regelrechte soziale Schärfe und macht den Missbrauch völlig klar.

Hier kommt dann auch Paolo Rumetz sehr stark ins Spiel. Der Sharpless gilt als undankbare Rolle und ist es auch, wenn der Nebenrollen-Bariton (der zugegeben nicht viel zu singen und keine Arie hat, weshalb kein Star sich dafür hergibt und immer nur die braven Ensemblemitglieder hier eingeserzt werden) einfach nur gelangweilt herumsteht. Aber dieser amerikanische Konsul hat in allen drei Akten eine genaue dramaturgische Funktion, und Rumetz spielt alles. Unter der Fassade des sehr eleganten Herren kann er im 1. Akt den Abscheu über Pinktertons Leichtfertigkeit kaum verbergen und geht mit aller Höflichkeit mit Cio-cio-san um. Im 2. Akt muss er ihr klar machen, dass der Geliebte nicht wiederkommt, und man spürt, wie sehr ihn ihr Schicksal schmerzt, wie sehr er sich auch dafür schämt, was hier geschehen ist – gerade, weil er nichts daran ändern kann. Und im 3. Akt muss wieder er dastehen und die Unheilsmeldung bringen, weil Pinkterton sich vor jeder Auseinandersetzung mit der Frau, die er benützt und weggeworfen hat, drückt… Man muss Rumetz nur zusehen, wie ihn dieses Butterfly-Schicksal, zu dem er mehr als nur Beobachter, nämlich ein Mitfühlender ist, unter die Haut geht. So elegant er auch Haltung bewahren muss.

Im Grunde hat „Madama Butterfly“ außer der Titelheldin überhaupt keine dankbare Rolle, denn auch die Dienerin Suzuki ist keine solche. Zwei Akte lang darf sie ihren Mezzo überhaupt nur zwecks zusätzlicher Klangschönheit unter den Sopran der Butterfly legen. Zu Beginn des dritten Akts rückt sie ganz kurz mit ihrem Leid am Schicksal der Herrin in den Vordergrund, aber eine wahre Aufgabe ist das nicht. Monika Bohinec mag sich trösten, dass die Staatsoper auch andere, bessere Rollen für sie hat.

Lassen wir die Nebenrollen beiseite und wenden wir uns Jonathan Darlington zu, der im vollsten Wortsinn „hörbar“ ein großer Gewinn des Abends war. Da kam vieles zusammen – die Genauigkeit, mit der er Puccinis sprudelnde, in den einzelnen Instrumenten immer wieder brillant blitzende Orchestersprache realisieren ließ; die Elastizität der Sängerbegleitung; das starke Gefühl für die „seelischen“ Stimmungswerte der Musik; und wenn er auch nie den so oft gehörten Puccini-Brei erzeugt, so wogt er doch geradezu schwungvoll in den dramatischen Orchesterfluten, die dann im Gegensatz zur ziselierten Feinarbeit stehen. Da war Jubel angebracht, der Dirigent bekam ihn, die Hauptdarstellerin auch, und alle anderen mit dazu.

Renate Wagner

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