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WIEN / Theater an der Wien: LA VESTALE

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Fotos: Theater an der Wien / Werner Kmetitsch

WIEN / Theater an der Wien:
LA VESTALE von Gaspare Spontini
Premiere: 16. November 2019

Jeder echte Opernfreund liebt Raritäten, und diesbezüglich hat das Theater an der Wien in dieser Spielzeit einiges zu bieten. Zumal Gaspare Spontini ist in den letzten Jahrzehnten ein absolut weißer Fleck in der Wiener Musiklandschaft. Dabei weiß man von dem Erfolg der „Vestalin“ aus dem Jahr 1807 (für Paris geschrieben, ein Werk für die Welt Napoleons), man weiß von Richard Wagners Bewunderung für den um knapp 40 Jahre älteren Kollegen. Folglich: Grundsätzlicher Dank an das Haus für die Spielplangestaltung.

Nun stand also (in YouTube gibt es eine Pariser Aufführung von 2013 unter Jeremie Rhorer, allerdings die italienische Fassung) die Live-Überprüfung an. Wobei wieder einmal die Geschichte einer verbotenen Liebe im römischen Gewand erzählt wird – eine Vestalin darf sich keinem Mann hingeben, auch wenn sie ihren Feldherren noch so liebt. Auf der zweiten Ebene die herrschenden Priester, dazu der Chor der Vestalinnen und Volk. Das soll nun – natürlich – eine heutige Form finden.

Dies unternahm die Inszenierung von Johannes Erath, dem man in Wien bisher nur in der Neuen Oper Wien begegnet ist, mit Inszenierungen, die weder begeisterten noch besonders erregten. Was die „Vestalin“ betrifft, so griff er allerdings ganz tief in die Kiste der Regietheater-Ideen, derer man inzwischen so müde ist, dass man gar nicht mehr überlegen will, was da auf der Bühne gemeint sei – warum etwa ein Bock aus dem Turnsaal dasteht oder warum die Grande Vestale am Ende den Souverain Pontife umbringt (was doch mit Sicherheit nicht vorgesehen ist) und tausend haarsträubende Details mehr.

Lustlos liest man sich durch die Interviews mit dem Regisseur (die dann auch seltsame historische Behauptungen ergeben, etwa, dass sich Napoleon „nach antikem Vorbild“ selbst krönte – als ob es im alten Rom so etwas wie Kaiserkrönungen gegeben hätte!), man folgt krausen, auch angeberischen Gedankengängen, von denen man auf der Bühne nichts wiederfindet, und hat ohnedies längst resigniert.

Das angebotene Chaos, von Katrin Connan / Jorge Jara unerklärlich seltsam ausgestattet ( dazu noch gänzlich sinnfreien Videos von Bibi Abel), erzählt bestimmt nicht die „Vestalin“, aber auch der unermüdlichste Opernfreund streckt einmal die Waffen: Es ist eigentlich egal, was sich da oben abspielt:  So lange Intendanten die Spielwiese anbieten, werden Regisseure sich dort vergnügen. Ob sie dem Publikum etwas zu sagen haben oder nicht.

Spontinis viel bewunderte Musik, eine so genannte Tragédie lyrique, lässt deutlich ein Werk an der Kippe hören – der Barock war vorbei, aber noch herrschten musikalische Gesetze von einst, die Leute wie Gluck und Spontini belebten, die aber erst Mozart genial durchbracht. Viel Schönes, manches auch länglich. Im Theater an der Wien von den Wiener Symphonikern unter Bertrand de Billy so schroff realisiert, dass man es bei geschlossenen Augen für den Concentus unter Harnoncourt hätte halten können. In Richtung Wiener Klassik hätte es sich vielleicht schöner angehört – aber das, was Bellini ein knappes Vierteljahrhundert später mit einer anderen Priesterin und einem anderen römischen Feldherrn gelungen ist („Norma“), diese mitreißende Wirkung erreicht die „Vestalin“ wohl auf keinen Fall.


Elza van den Heever, Michael Spyres 

Kein allzu glückliches Händchen hatte das Besetzungsbüro, obwohl man eindrucksvolle Namen geholt hatte. Aber, ehrlich: nicht eine echte Qualitätsstimme darunter, nicht eine, und keine Gesangsleistung, die beglückt aufhorchen ließ. Also reicht es zu erwähnen, dass Elza van den Heever und Michael Spyres als das tragisch liebende Paar eingesetzt waren. Claudia Mahnke, die unserer Kulturstadträtin ähnlich sieht, durfte sich vielfach verkleiden, vom Wiener Wäscherweib zur strengen Herrin in schwarzem Reitdreß mit Reitpeitsche und anderes mehr (vom Abendkleid mit Glitzerbrille bis zur Hausfrauenlangeweile). Franz-Josef Selig als Pontifex wirkte ohnedies immer wie aus „Hoffmanns Erzählungen“, ob er ein heutiger Dirty Old Man war oder man ihn zwischendurch in ein Priestergewand steckte (und die „böse Göttin“ stand als Madonna auf der Bühne…). Cinna (Sébastien Guèze) war ursprünglich auch als römischer Feldherr gemeint, ist hier aber meist in Unterwäsche anzutreffen. Wie gesagt, man will nicht über das reden, was sie alle an gesanglicher Schönheit und Reinheit schuldig blieben. Übrigens klang sogar der Arnold Schoenberg Chor diesmal nicht auf der Höhe seiner Fähigkeiten.

Als am Ende heftiger Beifall aufbrandete (!), musste man diesen Fetzenkarneval für eine legitime Inszenierung für unsere Zeit und den Abend für einen großen Erfolg halten. Immerhin erntete das Leading Team ein paar heftige Buh-Rufe. Gibt es also doch noch Zuschauer, die von dergleichen Produktionen die Nase voll haben…

Renate Wagner


WIEN /Musikverein:  Dieter SCHNEBEL: SINFONIE X  (ÖEA im Rahmen von Wien Modern)

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Dieter Schnebel. Copyright: Carolin Naujocks

WIEN /Musikverein:  Dieter SCHNEBEL: SINFONIE X  (ÖEA im Rahmen von Wien Modern)

Ein Weltenstück und Opus Magnum

16.11. 2019 (Karl Masek)

Das ORF Radio-Symphonieorchester ist für Wien Modern längst eine unverzichtbare Konstante. Auch im Jubiläumsjahr (der Klangkörper wurde 1969 gegründet) widmet man sich mit großem Engagement zeitgenössischer Avantgarde und versucht alljährlich im Claudio Abbado Konzert,  dessen visionären Musikbegriff immer wieder weiter zu entwickeln, ohne ein „Traditions(ge)denken“, vielmehr durch ein „Weitertragen des Feuers“ und nicht eine „Anbetung der Asche“.

Für den deutschen Komponisten, Philosophen, Musikwissenschaftler, Theologen, evangelischen Pfarrer, Lehrer, Universitätsprofessor für Experimentelle Musik in Berlin,…, Dieter Schnebel (1930 – 2018) bedeutete der Titel seines Opus Magnum für großes Orchester, Altstimme, Live-Elektronik und Tonband  (1987 – 1992/2004)  seine Xte Symphonie, mithin eine Symphonie über ein X, also eine Variable wie in der Mathematik. Aber auch  „10. Symphonie“, die Beethoven, Bruckner und Mahler versucht bzw. sogar begonnen haben, deren Nichterreichen den abergläubischen Arnold Schönberg zutiefst verstörte.

Schnebel revolutionierte die Kompositionstechnik, wendete sich nach streng seriellen Stücken  (und nach Kennenlernen von John Cage) bald  von der Dogmatik der „Darmstädter“ Boulez und Stockhausen ab und erarbeitete Konzepte für das experimentelle Komponieren, setzte sich dabei als Theologe auch intensiv mit spirituellen Themen auseinander. Im Mittelpunkt seines Schaffens standen immer Freiräume. Und der Drang, dabei musikalisch „eine Welt aufzubauen“. In dieser Hinsicht war wohl Gustav Mahler eines seiner großen Vorbilder. Schnebels Sinfonie X  dauert gut zweieinhalb Stunden und „meint die ganze Welt“.  Also tönen Klänge und Geräusche des Alltags  mit herein. Rituale des Ankommens des Publikums vor dem Konzert sind außer Kraft gesetzt. Vom Tonband kommt Verkehrslärm und Wind (am Tag des Konzerts ein Föhnsturm), Trompetensignale. Alles ist anders – oder doch nicht ganz: Das Stimmen des Orchesters und der Dirigentenauftritt sind dann ganz konventionell.

Ein sechssätziges Werk hebt an. Teils mit ganz traditioneller Verwendung der Orchesterinstrumente (in hypertropher Riesenbesetzung, das vielgestaltige Schlagzeug ist z.B. in den Parterre-Seitenlogen bis fast hin zum Stehparterre platziert). Was einen Raumklang hervorbringt, den  bereits Hector Berlioz in seinen Monumentalwerken wie dem Requiem angestrebt hat.

Musik wie aus einem Setzbaukasten der Musikgeschichte wird hier buchstabiert, so ab der Spätest-Romantik, immer wieder tonale Inseln, mitunter geradezu schüchtern harmonisch. Angereichert durch eine Geräuschpartitur. Ein ausuferndes Paukensolo wie eine Etüde , der Paukist tobt sich aus. Kleinteilig die Zusammensetzung. Für Momente meint man, mit einer Art „Misterioso“ ginge es los wie im ersten Satz von Bruckners „Neunter“. Dann wieder typische Avantgarde-Glissandi, Klagelaute, Vogelgezwitscher (Olivier Messiaen lugt um die Ecke!), die Windmaschine wird angeworfen. Steigerungswellen wie orchestrale Tsunamis. In Generalpausen holt der Komponist sozusagen Luft für die nächste Idee. Ideen im Übermaß für jeden Einzelnen im Orchester. Ostinato-Klänge entwickeln einen suggestiven, eindringlichen Sog. Maschinenartiges Hämmern – auch ein bissl  „Sacre du Printemps“-Anklänge. Alle kommen dran – im Tutti und solistisch hervortretend. Dankbare Aufgaben für alle Musiker/innen. Alles bleibt im 45-minütigen „Con moto“-Teil in Bewegung. Allerdings: Musikalische Architektur, zwingende Folgerichtigkeit, vermisst man.  Ein vergleichsweise kurzes „Scherzo“. Ein „Adagio“-Format, ein Posaunensolo, das genauso in Mahlers „Dritter“ vorkommen könnte, wird bedeutsam angestimmt. Und dann stehen die Musiker auf, zitieren den Beginn des 2. Satzes aus der „Unvollendeten“ von Franz Schubert –  und gehen spielend hinaus. Das Signal für die Pause …

Danach wird es dichter, dringlicher, geschärfter und nicht so geschmäcklerisch beliebig. Sehr spät tritt die menschliche Stimme dazu. Vom Schrei („Kundry“ lässt grüßen?) in Richtung gleißender Vokalmelismen und schließlich in tiefen Sprechgesang (ohne Worte!) mündend. Ein „Finale alla Marcia“ beschließt das insgesamt etwas verrätselte Weltenstück.

Dirigent Baldur Brönnimann war der Souverän am Pult. Einer der versiertesten Vertreter für die Interpretation neuer und neuester Musik ist der in Basel Geborene. Er hielt die Klangmassen perfekt zusammen, imponierte mit klarer, Sicherheit gebender Gestik. Auf das ORF Radio-Symphonieorchester konnte er sich in jedem Moment verlassen. Wie z.B. die Stimmführer zwischen ihm und den Musikerkollegen höchst konzentriert kommunizierten, das nötigte größten Respekt ab.  Die Mezzosopranistin Anna Clare Hauf gestaltete ihren Part mit all ihrer Erfahrung und großer Ausdruckspalette. Perfekt  die Klangregie und Live-Elektronik (Florian Bogner) sowie die Tontechnik (Martin Laumann)!

Die Geräusche des Verkehrs nach Ende des Konzerts, so um 22:15 Uhr: Kurioserweise eine Oase der Stille war das in der Bösendorferstraße!

KREFELD/ Theater: RIGOLETTO. Premiere

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Verdis „Rigoletto“ als „Blöd Runner“. Premiere am 16.11.2019

Was heute noch wie ein Märchen klingt, kann morgen Wirklichkeit sein. Hier ist ein Märchen von übermorgen… (Raumpatrouille – die fantastischen Abenteuer des Raumschiffs Orion, 1968)

Träumen Androiden von elektrischen Schafen?


Foto: Matthias Stutte

 

Zum Bericht von Peter Bilsing/ Der Opernfreund. https://www.deropernfreund.de/krefeld-12.html

Fazit: Es gibt einen überragenden Film, der heißt Blade Runner, und sogar eine hervorragende Fortsetzung, die 35 Jahre später spielt. Sehr empfehlenswert!

Mehr denn als Rigoletto in Krefeld!

WIEN/ Theater an der Wien: LA VESTALE von Gaspare Spontini. Premiere

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Wien/ Theater an der Wien: LA VESTALE von Spontini. Premiere
Ein unerquicklicher Premierenabend
16.11. “La vestale”

…Spontini hat mit dieser Oper u. a. Rossini, Bellini, Wagner und die Entwicklung der „grand opéra“ beeinflusst und musikalisch die Brücke vom Klassizismus zur Romantik gespannt. Die Handlung von „La vestale“ dreht sich um die Liebe zwischen der jungen Vestalin Julia und dem römischen Feldherrn Licinius. Julia muss als Vestapriesterin keusch bleiben, aber die Liebe hält sich nicht an solche Gebote. Als sie aus Strafe eingemauert werden soll, wird sie durch ein göttliches Zeichen gerettet – individuelle Liebe hat über das staatliche Gesetz gesiegt.

So einfach die Handlung, so undurchschaubar die szenische Umsetzung im Theater an der Wien….


Foto: Werner Kmetitsch/ Theater an der Wien

http://www.operinwien.at/werkverz/spontini/avesta.htm

GRAZ / Oper: DON CARLO von Giuseppe Verdi

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Timo Riihonen (Philipp II.) und Chor. Foto: OPer Graz / Werner Kmetitsch

GRAZ / Oper: DON CARLO von Giuseppe Verdi

16. November 2019

Von Manfred A. Schmid

Mit der Premiere von Verdis Don Carlo am 29. September konnte die Oper Graz bei Presse und Publikum einen beachtlichen Erfolg verbuchen. Ein Besuch der Aufführung vom 6. November bestätigt den guten Ruf, den sich die Neuinszenierung erworben hat. Das Regiekonzept von Jetske Mijussen geht voll auf. Die Holländerin nimmt das Libretto beim Wort und versucht erst gar nicht, die Handlung in eine andere Zeitepoche anzusiedeln oder sonst wie zu „aktualisieren“. Denn die Handlung ist geprägt vom strengen Hofzeremoniell, das am Habsburgerhof herrscht, aber auch von der Gängelung durch die Macht der Kirche, die durch den allmächtigen, zu Recht von allen – inklusive des Königs – gefürchteten Großinquisitor personifiziert wird. Vor diesem Hintergrund, an dem sich jeder anpassen muss, vollzieht sich die Tragödie zwischen dem kühlen Vater Philipp II. und seinem heißblütigen Sohn, dem Infanten Don Carlo, dem sein Vater nicht zutraut, ein fähiger Herrscher über das Weltreich Spanien zu werden, und der noch dazu das Pech hat, dass sein Vater die ihm zugedachte Braut geheiratet hat. Der Bühnenbildner Gideon Davey hat als Schauplatz eine Guckkastenbühne mit verstellbaren Wänden geschaffen. Immer wieder rücken in den verschiedensten persönlichen Konstellationen und Konflikten die Wände bedrohlich zusammen, bedrängen die Personen, kerkern sie förmlich ein und vermitteln so einen starken Eindruck von der Enge und dem Zwängen, denen alle Akteure ausgeliefert sind. Wenn der mutige Marquis de Posa vom Herrscher verlangt, „Sire, geben Sie Gedankenfreiheit,“ dann betrifft das eigentlich jeden Einzelnen von ihnen. Denn auch der mächtige König entschuldigt sich beim Großinquisitor für einige ungebührlichen Äußerungen, die ihm während ihrer heftigen Unterredung herausgerutscht sind, und ersucht ihn, diese zu vergessen. „Vielleicht,“ ist dessen Antwort, und man weiß, er wird das Gehörte, wann immer erforderlich, als Druckmittel gegenüber dem Monarchen verwenden. Dieuweke van Reij geht es bei den Kostümen nicht um historische Genauigkeit, durch die schlichte, grau-schwarze Gestaltung sind sie aber eine gute Annäherung an die überlieferten Trachten, wie man sie von den zeitgenössischen Gemälden kennt.

Manches, was man an diesem Opernabend zu sehen bekommt, wirkt vollkommen neu und oft zunächst höchst ungewohnt, hängt aber damit zusammen, dass die Regisseurin sich sehr gründlich eingelesen hat. Letztlich ist für jede ihrer getroffenen Entscheidungen ausreichende Begründung im Libretto zu finden. So erlebt man König Philipp II. im Dritten Akt, wenn er sein Schicksal beklagt („Ella giammai m’amò“) nicht wie üblich allein, sondern in Anwesenheit der Prinzessin Eboli. Erst sitzt sie auf seinem Schoß, dann ruht sie vor seinen Füßen, später liegt sie, wie ein Frühstückskipferl, auf dem Tisch: Er hat die Nacht mit ihr verbracht, was sie später insofern bestätigt, als sie ihrer Herrin voll Reue gegenüber bekennt, dass sie Ehebruch begangen hat. Als der Großinquisitor eintrifft, zieht sie sich allmählich aus Philipps Gemach zurück. Man darf annehmen, dass der blinde Kirchenfürst ihre Anwesenheit dennoch wahrgenommen hat, was Philipp, der eben erst die Untreue seiner Frau behauptet hat, als Heuchler entlarvt und seine Verhandlungsposition sicher nicht stärkt. Philipps Persönlichkeit wird von Regisseurin Mijussen als zutiefst zerrissen, geradezu neurotisch dargestellt. In einem unkontrollierten Anfall von Eifersucht wird er von Trugbildern und albtraumhaften Fantasien heimgesucht. Da sieht er seine Frau mit seinem Sohn tanzen. Vor dem versammelten Hofstaat windet er sich, dem Wahnsinn nahe, hilflos auf dem Boden. Er, der sonst so kühl und selbstherrlich wirkt, zeigt sich verletzlich und sucht Geborgenheit bei dem Marquis de Posa. Ihm gegenüber ist er ungemein anhänglich, küsst seine Hände und schmiegt sich ihm an. Diese plötzliche Zuneigung offenbart geradezu homoerotische Züge.

Abweichend von der üblichen Darstellung ist auch der Ausgang der Tragödie gestaltet. Am Schluss entziehen sich nämlich sowohl Don Carlo wie auch Elisabetta dem Arm der Ungerechtigkeit durch Selbstmord. Elisabetta nimmt Gift, Don Carlo schneidet sich die Adern auf. Das ist recht schlüssig, denn in ihren Aussagen, die sie vorher getätigt haben, ist diese Möglichkeit latent immer schon vorhanden. Das ist wie in Schuberts Winterreise. Von Selbstmord ist da nie explizit die Rede, aber alles läuft darauf hinaus. Gerade Don Carlo hat zudem schon mehrmals in verzweifelten Situationen gefährlich mit dem Messer hantiert. Nicht sei daran erinnert, dass das unversöhnlich-versöhnliche Ende der Oper mit dem Eingreifen des Mönchs (Kaiser Karl V.) nur als Konzession an den Zeitgeschmack zu erklären ist. Warum also nicht auf diese Art einen trefflichen, wirkungsvollen Schlussstrich ziehen? Ein weiterer gelungener Einfall ist die szenische Lösung der Autodafe-Szene, mit der der Zweiten Akt endet. Wie auf einem Fließband in einer Schlachterei werden die blutigen Körper der Verurteilten, unter ihnen auch die Abgesandten aus Flandern, an der gaffenden Menschenmenge, dem Hofstaat, vorbeigezogen. Das geht auf´s Gemüt!

Worauf es bei einer Oper immer in erster Linie ankommt, ist die musikalische Seite. Glücklicherweise ist auch in dieser Hinsicht ein erfreulich hohes Niveau vorhanden. Vor allem die tieferen Stimmen können punkten. Timo Riihonnen verleiht der Figur des Königs mit seinem Bass die Aura des misstrauischen Machtmenschen, legt in seiner Darstellung aber auch die Brüche in seiner Persönlichkeit offen dar. Die unglücklich verliebte Prinzessin Eboli wird von der ausgezeichneten Mezzosopranistin Oksana Volkova verkörpert. Sehr kantabel klingt ihre exotisierende Auftrittsarie „Nei giardin del bello“, im weiteren Verlauf besingt sie hochdramatisch ihre Enttäuschung und beschwört die daraus resultierende Rachelust, bis sie voll unendlicher Trauer und Schmerz ihren folgenschweren Verrat beklagt: „O don fatale!“

Eine starke Leistung als Rodrigo (Marquis de Posa) liefert Neven Crnic. Kraftvoll und entschlossen ist er breit sich für Don Carlo und die gemeinsam vertretenen Ideale von Freiheit und Gerechtigkeit zu opfern. Der ausdrucksstarke Bariton ist eine Hausbesetzung, die keine Wünsche offenlässt. Aus dem Grazer Ensemble stammt auch der Bassist Dmitrii Lebamba. Sein dominanter Großinquisitor kann einen tatsächlich das Fürchten lehren.

Nicht ganz so überzeugend ist Myhailo Malafii in der Titelpartie. Sein Tenor hat einen metallischen Kern und bringt alle hohen Töne, klingt in der Höhe aber doch stets forciert und etwas eng. Zudem sind, vor allem anfangs, einige Unsauberkeiten in der Intonierung festzustellen. Das wird im Lauf des Abends zwar zunehmend besser, aber ganz zufriedenstellend ist seine Performance wohl nicht. Das gilt auch für die Elisabetta von Aurelia Florian., wenn auch stimmlagenmäßig gerade umgekehrt. In den hohen Regionen ist ihr heller Sopran – besonders in den lyrisch-melancholischen Passagen – sehr berührend und klar. In der Tiefe aber – und davon gibt es hier viele Anlässe – fehlt es ihrer Stimme an Substanz. Darstellerisch ist sie große Klasse, wie sie stirbt: schlicht ergreifend.

Der Chor (einstudiert von Bernhard Schneider) und die vielen Nebenrollen, u.a. von Tebaldo (Antonia Cosmina Stancu) über Graf Lerma (Albert Memeti) bis zur Stimme von oben (Eva-Maria Schmid), machen ihre Sache gut. Die Grazer Philharmoniker zeigen, dass sie exzellente Blechbläser in ihren Reihen haben, auch die Fagotte machen auf sich aufmerksam. Oksana Lyniv am Dirigentenpult lässt es ordentlich krachen, wenn etwa Rodrigo dem König vorwirft, eine „Freiheit des Grabes“ zu vertreten. Ich kann mich nicht erinnern, diese kühne Anklage je so nachdrücklich untermalt gehört zu haben. Doch wenn Rodrigo bald darauf seinem Freund das Messer, das er gegen seinen Vater erhoben hat, entreißt und Don Carlo – ob dieses vermeintlichen Verrats – total entgeistert dasteht, dann klingt das Motiv ihres Treuepakt-Duetts so zart und beklommen aus dem Orchestergraben herauf, wie ich es ebenfalls höchst selten erst vernommen habe.

Fazit: Dieser Don Carlo ist eine Reise nach Graz wert. Am 6. Dezember gibt es noch Gelegenheit dazu. Im neuen Jahr Vorstellungen erst wieder im Juni.

MÜNCHEN/ Gärtnerplatztheater: TOSCA. Neuinszenierung

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MÜNCHEN/ Gärtnerplatztheater: Tosca am 16. Nov. 2019 von Giacomo Puccini

Tosca – großartig, beeindruckend, klischeefrei – beglückende Faszination

Einlassungen von Tim Theo Tinn


Ausschnitt 3. Bild. Foto: Christian POGO Zach

Der Gradmesser für den persönlichen Eindruck des Rezensenten nach einer Aufführung ist das Gefühl danach. Selten erlebt man tiefe wohlige Gefühle als Reaktion auf feine Berührungen, hier im übertragenen Sinn.

Dieses wohlige Gefühl stellte sich nach dem Te Deum, Ende 1. Akt ein und blieb.

  1. Trailer Tosca Gärtnerplatz

https://www.youtube.com/watch?v=Bb7UP6uNypI

Akustisch nah am Original, da nur noch besser.

Inhalt, Einführung, Sonstiges

https://www.gaertnerplatztheater.de/de/produktionen/tosca.html

Tausende Vorstellungen in ca. 40 Jahren ließen diese Gnade nur selten zu.

Meine Tosca – Vergangenheit bewegt sich zwischen Spielleitungen der Götz Friedrich -Inszenierung mit z. B. Behrends, Domingo, Cappuccilli etc. und Rezension der letztjährigen Salzburger Osterfestspiel – Tosca, die jetzt wiederbelebt werden soll.

https://klassik-begeistert.de/giacomo-puccini-tosca-salzburger-osterfestspiele/

Ketzerisches:

Salzburgs Anspruch ist behaupteter Kulturgenuss auf höchstem Niveau, „das Höchste nach Max Reinhardt.

Szenisch ist die hier rezensierte Tosca erheblich tiefenwirksamer, Dirigat und Orchester sind durchaus gleichwertig, die Protagonisten bewegen sich auf hohem Niveau, Utilité’s (Nebenpartien) sind deutlich besser.

Die Gärtnerplatz Tosca ist aus einem Guss, Szene und Musik durchdringen einander atmosphärisch.

Wenn in den Hierarchien also das höchste Niveau durch Salzburg schon besetzt ist, wo steht dann die Gärtnerplatz Tosca, die in Summe publikumswirksamer, tiefgründiger, anspruchsvoller und richtiger ist?

Ketzerei zu Ende!

Richtig klingt zunächst trivial, bedeutet aber gültig, wahr, wirklich, fehlerlos, naturgemäß u.a. Damit ist eine klare Abgrenzung zu Inszenierungen im szenischen Absurdistan gegeben, die derzeit ja noch von vielen unheilvollen Allianzen beschworen werden. Siehe bald TTT Catbelling Nr. 4 und z. B.

https://onlinemerker.com/tim-theos-stachel-gebell-lieber-nicht/

und gilt vollumfänglich auch musikalisch.

Dem Rezensenten, durch laue Kritiken beeinflusst, öffnete sich Düsteres – Bühne, Menschen – alles schwarz – aber doch genial ausgeleuchtet, nichts wurde vom Dunkel verschluckt – das kann Stefano Poda also (Inszenierung, Bühne, Kostüme, Licht in Personalunion).

Das erweicht meine negative Meinung zu Schwarzem, also Phantasma in schwarz gefällt.

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1. Bild TE Deum – Oksana Sekerina (Floria Tosca), Holger Ohlmann (Sciarrone), Chor des Staatstheaters am Gärtnerplatz. Foto: Christian POGO Zach

Szenischer abstrahierter Surrealismus gefällt auch besonders, beinhaltet alle nötige Verortung in optischen Zitaten und bleibt beim Libretto, es wurde eine optische Theatersprache gefunden, die singulär nur hier möglich sein kann.

Stefano Poda erscheint als Rätsel, mir bisher unbekannt, findet man auch im Netz keinerlei Info zu Ausbildung, Kernkompetenz usw. Somit versuche ich Kompetenzen im Ergebnis abzuleiten. N. m. E. kommt es aus der bildenden Kunst, hier finden die Angelpunkte seiner Inszenierung statt, die ich als sehr gute Einbindung in die darstellende Kunst betrachte. Personenführung im 1. Akt war unentschieden: mehr Bewegungskonzept, statt inszenierter Durchdringung der Charaktere mit viel Bodenakrobatik, manches wirkte anfangs nach “Zeigefinger – Dramaturgie“, das steigerte sich aber von Szene zu Szene – es wurde spannend.

Der ständige Einsatz der Drehbühne irritierte auch, erschien aber immer schlüssiger.

Ein handwerklicher Fehler blieb. Artem Golubev als Cavaradossi ist relative kurz gewachsen, Oksana Sekerina  (Tosca) groß. Warum trägt der Cavaradossi dann flache Schuhe und die Tosca „High Heels“. Da steht dann ein kleiner Mann bei einer großen Frau – wirkt ungünstig.

Nach dem Ende 1. Akt (Te Deum) war ich jenseits weiterer kritischer Blicke, es wurde auch immer besser.


2. Bild , Noel Bouley (Baron Scarpia), Juan Carlos Falcón (Spoletta), Artem Golubev (Mario Cavaradossi), Oksana Sekerina (Floria Tosca)

Die beängstigende Szene mit der Gewalt gegen Tosca und deren Mord an Scarpia, vom gepeinigten Cavaradossi im Keller unter dem Machtzentrum des Scarpias wird erdrückend vorgeführt. Meistens wird Cavaradossi unsichtbar im Nebenraum gequält und bleibt nur akustisch wahrnehmbar.                                                                      


3. Bild – Martin Hausberg (Gefängniswärter), Artem Golubev (Mario Cavaradossi)

Musikalische Leitung Anthony Bramall und Orchester: ein TVK- A Orchester in schon beschriebener Qualität begeistert. Da fließt Puccini mit allen sinfonischen Aufschwüngen, dramatischen Verdichtungen, leitmotivischen Charakteristiken – und wird mit äußerstem Feingefühl, mit Kompetenz und Umsicht ganz selbstverständlich in einer Qualität geboten, die einem sehr hohen Anspruch, auch meinem hohen Schallplatten-Anspruch genügt (ca. 12 verschiedene Tosca -Aufnahmen). Sorgsames Dirigat beweist sich in Dezibel, Dynamik und Feinzeichnung in der Synthese mit Szene und Sängern – und das war besonders richtig und gut.

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Floria Tosca – Oksana Sekerina: eine sehr schön durchgeformte Stimme, die mehr zur Dramatik tendiert, so bleiben lyrische Momente in der Partie zurückgenommen. Diese Stimme perlt mit aller Klangfülle schwerelos durch alle Register. Allerdings bleibt der Eindruck, dass der Aufschwung ins oberste Register zu exponierten Spitzentönen dann schon immer als Turandot – Empfehlung betrieben wird (Pianokultur?). Meine Erinnerung führt dann zu Gena Dimitrowa, mit der ich mit Ponnelle zusammenarbeitete. Eine attraktive Bühnenerscheinung und gute Darstellerin.

Mario Cavaradossi – Artem Golubev: Body-Building gestählt, erinnert auch sein Gesang an dieses Körpertraining. Er singt ausgezeichnet, völlig ausgeformte Stimme im mühelosen Fluss durch alle Register, es perlt und ist schön timbriert. Aber auch hier verändert sich was, beim Übergang ins oberste Forte-Register. Nach meinem Eindruck verengt sich die horizontale Stimmführung in der nasalen Maske und damit verliert die Stimme an Volumen, wird leiser und etwas flach.  

 Baron Scarpia  – Noel Bouley: die ungewohnte Stimme irritierte zunächst, dann fand ich ihn großartig, nachdem er alle Register vorgeführt und gezogen hatte. Seine Stimme scheint nicht nur auf die vorderen Kopf-Resonanzräume trainiert, sondern auch über den Rachen gesteuert zu werden, wirkt somit guttural, wie oft bei osteuropäischer Technik zu finden ist. Mein erster und völlig ungerechter Eindruck war: frisst der seine Stimme? Nein, er beherrscht diese Stimme phänomenal. Völlig neu erlebte ich einen Bariton, der auch in hohen Lagen eine regelrechte Bass-Schwärze beherrscht. Somit war das Abgründige seines Scarpias noch weit dämonischer als ich je gehört hatte. Dieser Stimmfarbe korrespondierte hervorragend mit seiner Darstellung.

 Cesare Angelotti  – Timos Sirlantzis: der junge Bariton ist eines der großen Gärtnerplatz – Talente. Diesmal konnte er mich nicht in Gänze begeistern. Irgendetwas hat gefehlt. War es die Partie, die Lage oder einfach ein Entwicklungsstadium in einer kleinen Partie. Toi, Toi, Toi,, dass mein Eindruck nicht trifft.

 Der Mesner – Christoph Seidl:  der Bass gefällt immer mehr. Fundament, Kern, Durchlässigkeit einer schönen Stimme lässt für den jungen Mann eine große Karriere erwarten.

Alles weiteren Protagonisten, Chor, Kinderchor waren richtig (im weiten Sinn) und wohlfühlgut.

Der Rezensent empfiehlt eine „Wohlfühl-Tosca“ mit Gänsehaut und „kaltem Schauer- Erleben“!

Alle Fotos © Christian POGO Zach

Dirigat Anthony Bramall

Regie Stefano Poda

Bühne und Kostüme Stefano Poda

Licht Stefano Poda

Mitarbeit Regie Paolo Giani Cei

Choreinstudierung Pietro Numico

Dramaturgie Michael Alexander Rinz

 

Floria Tosca Oksana Sekerina

Mario Cavaradossi Artem Golubev

Baron Scarpia Noel Bouley

Cesare Angelotti Timos Sirlantzis

Der Mesner Christoph Seidl

Spoletta Juan Carlos Falcón

Sciarrone Holger Ohlmann

Ein Gefängniswärter Martin Hausberg

Hirtenknabe Nestor Erofeev

Chor und Kinderchor des Staatstheaters am Gärtnerplatz
Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz

  1. Nov. 2019    Tim Theo Tinn

TTT‘s Musiktheaterverständnis ist subjektiv davon geprägt, keine Reduktion auf heutige Konsens- Realitäten, Yellow-Press Wirklichkeiten in Auflösung aller konkreten Umstände in Ort, Zeit und Handlung zu haben. Es geht um Parallelwelten, die einen neuen Blick auf unserer Welt werfen, um visionäre Utopien, die über der alltäglichen Wirklichkeit stehen – also surreal (sur la réalité) sind.

Profil: 1,5 Jahrzehnte Festengagement Regie, Dramaturgie, Gesang, Schauspiel, auch international. Dann wirtsch./jurist. Tätigkeit, nun freiberuflich: Publizist, Inszenierung/Regie, Dramaturgie etc. Kernkompetenz: Eingrenzung feinstofflicher Elemente aus Archaischem, Metaphysik, Quantentheorie u. Fraktalem (Diskurs Natur/Kultur= Gegebenes/Gemachtes) für theatrale Arbeit. (Metaphysik befragt sinnlich Erfahrbares als philosophische Grundlage schlüssiger Gedanken. Quantenphysik öffnet Fakten zur Funktion des Universums, auch zu bisher Unfassbarem aus feinstofflichem Raum. Glaube, Liebe, Hoffnung könnten definiert werden). TTT lässt sich gern engagieren – publizistisch oder im Theater für weitere Aufgaben.

 

HILDESHEIM/ Theater für Niedersachsen: TRISTAN UND ISOLDE. Premiere

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Julia Borchert, Neele Kramer. Foto: Theater für Hildesheim/ Quelle: T.Behind-Photographics

HILDESHEIM: Tristan und Isolde

Theater für Niedersachsen, Hildesheim, 16. November 2019 (Premiere)

Das Wagnis Wagner

Ein großes Wagnis ist das Theater für Niedersachsen zu seiner Wiedereröfnung eingegangen – und hat gewonnen. Den Sommer über ist der Zuschauerraum von der Bestuhlung über die Belüftung bis zum Brandschutz runderneuert worden. Als erste Premiere im neu gestalteten Haus sollte es etwas besonderes sein, und auch etwas, das „in einigen Parametern eigentlich die Kapazitäten übersteigt“, wie es Operndirektor und GMD Florian Ziemen im Programmheft beschreibt. Dieses die Kapazitäten herausfordernde Projekt war die Hildesheimer Erstaufführung von Tristan und Isolde. Ein Stück, das zwar viel weiten Raum zum Klingen braucht, aber dadurch, dass es sich überwiegend zwischen zwei bis drei Personen abspielt, durchaus eine Bühne verträgt, die das Geschehen zum Kammerspiel macht.

Regisseur Florian Heyder und sein Ausstatter Pascal Seibicke lassen den ersten Akt in einer Art Schiffskabine spielen, den zweiten in einer Kneipe, in der neben den Protagonisten auch allerhand Seefahrerpersonal verkehrt, den dritten schließlich an einem nicht näher zu bestimmenden Ort, an dem einige Requisiten lediglich Verwüstung und Zerstörung, entsprechend Tristans Verfassung, andeuten. Die Inszenierung lässt, gerade etwa an die Präsenz einiger Statisten im zweiten Aufzug, zwar auch Fragen zurück; insgesamt jedoch gelingt es Tobias Heyder sehr überzeugend, durch starke Konzentration auf die Protagonisten deren Beziehungen klar und nachvollziehbar zu machen und den Zuschauer gut in die Atmosphäre des Stücks hineinzuholen. Dunkle, warme Farben auf der Bühne, wenige herausstechende Farbtupfer – Isoldes gelbes Kostüm etwa – und sehr stimmungsvolle Lichteinstellungen unterstreichen seine durhweg dezente Regie. Die Größe der Bühne kommt dieser Konzentration auf die Figuren und das, was sich zwischen ihnen abspielt, sehr entgegen.


Hugo Mallet, Julia Borchert, Neele Kramer. Foto- Quelle: T.Behind-Photographics/Theater für Hildesheim

Florian Ziemen hatte die nicht leichte Aufgabe zu bewältigen, sein festes Orchester um fast noch einmal genauso viele Aushilfen zu ergänzen und zu einem Gesamten zusammenzuführen. Es wäre überkritisch, an dieser Stelle einige kleine Ungenauigkeiten zu erwähnen, die andernorts zumal genauso zu hören sind; denn Ziemen ist mit seinen Musikern eine sehr klare und transparente Wiedergabe der Partitur gelungen, die durch das phasenweise wunderbar kammermusikalische Spiel Details der Motivik und Instrumentation hervorbrachte, die oft im Rausch des üppigen Klanges untergehen. Der Orchestergraben ist teilweise zugedeckt, und das bekommt der Akustik, insbesondere der Balance zwischen Bühne und Graben, sehr gut. Es gibt einfach einige zu üppig instrumentierte Stellen, die kaum zu bändigen sind; abgsehen davon gelang es Florian Ziemen sehr gut, sein Ensemble zu begleiten und allen ihren Raum zu lassen.

Auf der Bühne standen ausschließlich Rollendebütanten. Julia Borchert ist eine phantastische erste Isolde gelungen. Mit ihrem lyrischen, aber tragfähigen Sopran mit klarem Kern sang sie die Partie mit bemerkenswerter Leichtigkeit, ohne Anstengung und Druck. Sie vermochte mit durchdringenden, dramatischen Passagen genauso zu überzeugen wie mit ganz im Piano gesungenen Phrasen, bis hin zu einem sehr innigen Liebestod. Julia Borchert klang so jugendlich, wie die Figur eigentlich sein soll, und konnte auch als Darstellerin vollkommen überzeugen. An ihrer Seite war Hugo Mallet Tristan. Seine der Rolle angemessen timbrierte Stimme klang mitunter nicht ganz frei, die physischen Anstrengungen sind freilich enorm. Vor allem im dritten Akt, der forderndste, gelang ihm ein starkes Rollenportät, das neugierig machte, wie er sich in dieser Partie weiter entwickeln wird. Am Ende blieb von Julia Borchert und Hugo Mallet vor allem im Ohr, dass es dem Hildesheimer Haus gelungen ist, ein starkes Protagonistenpaar zu finden, das alle Möglichkeiten hat, in seine Partien noch tiefer hineinzuwachsen. Dabei einige Striche vorzunehmen, um beiden etwas entgegenzukommen, ist völlig legitim.

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Julia Borchert, Hugo Mallet. Foto- Quelle: T.Behind-Photographics/Theater für Hildesheim

In den übrigen Partien waren zwar ebenso durchweg Rollendebütanten zu hören, die aber alle aus dem Hildesheimer Ensemble kommen. Neele Kramer gab mit warm leuchtendem Mezzo, vor allem im zweiten Akt, eine überzeugende, jugendliche Brangäne. Bariton Uwe Tobias Hieronimi ist seit Jahren eine Stütze des Hauses, in jüngster Zeit mehrfach auch in Basspartien eingesetzt. Die tiefe Wärme, die König Marke bräuchte, kann er nicht ganz erreichen, der baritonale Klang seiner Stimme bleibt. Gleichwohl ist ihm aber ein klares Porträt des tief verletzten väterlichen Freundes gelungen. Levente György war mit seinem kernigen Bassbariton und sehr klarer Diktion ein treusorgender Kurwenal. Die übrigen Partien waren mit Roman Tsotsalas als Melot, Julian Rohde als Hirt, Chun Ding als junger Seemann und Jesper Mikkelsen als Steurmann sehr solide besetzt, die beiden letztgenannten sind Mitglieder des Herrenchores, der seine kurzen Auftritte sicher bestritt.

Begeisterter Beifall und viele Bravos für die Solisten, Florian Ziemen und das Orchester. Dem Theater für Niedersachsen ist ein mehr als achtbares Wagnis Wagner gelungen, das sich hören und sehen lassen kann. 

Christian Schütte

MANNHEIM/ Nationaltheater: DIE FRAU OHNE SCHATTEN

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Catherine Foster (Färberin), Miriam Clark (Kaiserin), Julia Faylenbogen (Amme). Foto: Hans-Jörg Michel.

Richard Strauss: DIE FRAU OHNE SCHATTEN

Nationaltheater Mannheim, besuchte Vorstellung am 17. November 2019

Szenische Bauchlandung

In der aktuellen Wiederaufname der „Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss demonstriert einmal mehr das Nationaltheater Mannheim seine Leistungsfähigkeit als großes Ensemble-Theater in der Opernwelt.

Die Inszenierung von Gregor Horres stammt aus dem Jahr 2007 und ist wieder einmal ein betrübliches Beispiel für eine weitgehend sinnbefreite szenische Arbeit. Dazu entschied sich Horres für Bilder und Bühnenwirkungen, die die beiden Handlungswelten vom Kaiser- und Färber-Paar viel zu wenig von einander absetzten. Bühnenraum und -effekte hatten so gar nichts mit den von Strauss geforderten Bildwelten zu tun hatten. Da fährt die Drehbühne reichlich Karussel, Bühnenhubpodien fahren hoch und runter oder stellen sich schräg. Ja, ja, auf die Technik des Mannheimer Nationaltheaters ist Verlass! Nur, mit der „Frau ohne Schatten“ hat das Gesehene sehr wenig zu tun. Ebenso wenig Erhellung bringt es, wenn handelnde Personen durch Statisten multipliziert werden. So dürfen am Ende des 1. Aktes gleich zahlreiche Doubles den „Buchhalter“ Barak ergänzen.  Oder durch die Bühnendecke, ein gewaltiges, innen offenes Rechteck, kommen gelegentlich eine Hand oder auch ein riesiger Füller. Warum?

Und es ist schon reichlich entlarvend, wenn der Text etwas aussagt, was die Bühnengestaltung total verweigert. Bühnen- und Kostümbildnerin Sandra Meurer hat Horres dazu bunte, knallige Farben geliefert. Barak und die Färberin sind hier keine Handwerksleute, sondern Bürgerliche, sie in einem Pseudo-Abendkleid, während Barak ein Bürokrat, ein Schreibtischtäter ist. All das Ärmliche und Schmutzige, was zuvor die Amme bildreich in ihren Worten in der Welt der Menschen beschreibt, bleibt visuell ausgespart. Noch schlimmer als dieses Sammelsurium unkluger Ideen ist die Beziehungslosigkeit der Rollencharaktere, die mehr oder weniger für sich alleine spielen müssen. Wem also die komplizierte Handlung noch zu wenig Rätsel aufgibt, der wird mit dieser überflüssigen Inszenierung  reichlich neue Denkaufgaben erhalten.

Mannheim kann mit einer gediegenen Besetzung aufwarten.

So ist als Kaiserin die vielseitige Miriam Clark mit einer souveränen Gesangsleistung zu erleben. Bereits die schweren Interverallsprünge bei ihrem ersten Auftritt gerieten mustergültig. Sehr gut vermochte sie ihre Stimme mädchenhaft einzufärben, um dann in den großen Ausbrüchen zu beeindrucken. Ihr Rollencharakter wirkte empfunden und erlebt. Die Stimme vereinte Schmelz und Wohlklang. Auch ihre Textverständlichkeit war tadellos.

An ihrer Seite gab Andreas Hermann einen ungestümen Kaiser, der mit der vetrackten Tessitura seiner schweren Partie als eher lyrischer Tenor keinerlei Probleme hatte. Auf dieser Basis konnte er mit leichten Höhen punkten. Allerdings fehlte ihm in Stimme und Darstellung die notwendige Autorität, um dieser Partie einen maßgeblichen Charakter zu verleihen.

Als mephistophelische Amme überzeugte Julia Faylenbogen durch die sängerische Souveränität. In ihrem auffälligen schwarz-gelben Kleid war sie eine bühnenbeherrschende Gestalt. Auf der Strecke blieb hingegen ihre zu undeutliche Textverständlichkeit und die kaum vorhandene Textgestaltung.

Als dramatische Färberin gefiel Catherine Foster. Mit Wohlklang und Leichtigkeit gestaltete sie diese horrend schwere Partie. Sie schonte sich in keinem Moment und gab auch ihrer Partie, wo nötig, die notwendige stimmliche Schärfe.

Gutmütig und wohltönend gestaltete an ihrer Seite Thomas Jesatko den Barak. Vorbildlich seine herausragende Textgestaltung und -durchdringung. Jede Silbe erhielt so eine besondere Aussage. Dazu konnte er mit seinem warmen Stimmtimbre für sich einnehmen.

Die beste Gesangsleistung des Abends erbrachte der überragende Joachim Goltz, der seinem Geisterboten höchste stimmliche Autorität verlieh. Ausdruck und Stimmbeherrschung waren wieder einmal vorbildlich zu erleben.

Wenig markant hingegen die drei Brüder in der Gestaltung von Ilya Lapich (Einäugiger), Marcel Brunner (Einarmiger) und Raphael Wittmer (Buckliger).

Mit schönem Tenor überzeugte als Jüngling Juray Holly.

Dani Juris hatte seinen Chor wieder gut auf seine Aufgabe vorbereitet, so dass dieser durch seinen kultivierten Gesang überzeugte.

Große Begeisterung gab es zurecht für GMD Alexander Soddy, der es sich nehmen ließ, für diese Wiederaufnahme zahlreiche Striche zu öffnen, so dass es gut mehr als 20 Minuten zusätzliche Musik gab. Das großartige Orchester des Nationaltheaters Mannheim und Soddy sind eine hervorragende Kombination. Begeisternd in den Soli-Passagen, etwa in Violine oder dem elegischen Cello-Solo und dann auch gewaltig in den explosiven Tutti-Wirkungen. Hier mobilisierte Soddy alle Reserven und ließ das Orchester in einem unendlichen Farbreichtum ausmusizieren. Und das Orchester nutzte diese Gelegenheit, um seine hervorragende Spielkultur beeindruckend zu demonstrieren. Ein Dirigat und eine Orchesterleistung, die alles realisierten, was sich die begeisterten Zuhörer nur wünschen konnten.

Entsprechend groß war die Begeisterung für ihn und sein Orchester im gut besuchten Mannheimer Nationaltheater.

Dirk Schauß

 


KARLSRUHE/Staatstheater: TRISTAN UND ISOLDE. Wiederaufnahme

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Annemarie Kremer a. G. (Isolde) & Stefan Vinke a. G. (Tristan)  - Foto: Arno Kohlem
Stefan Vinke, Annemarie Kremer. Foto: Arno Kohlem/ Staatstheater

Karlsruhe: Tristan & Isolde   17.11.2019  Wiederaufnahme

In Karlsruhe wird Tristan & Isolde wieder aufgenommen, und zwar in der bemerkenswerten Inszenierung  von März 2016 (wir berichteten). Regie führte Christopher Alden (Einstudierung: Anja Kühnhold), das Einheitsbild einer modernen weißen Lounge stammt von Paul Steinberg, die gediegen modernen Kostüme von Sue Willmington.

Die musikalische Leitung hatte wieder Justin Brown inne, und er ließ einen aufgewühlten 1.Akt entstehen, indem er die Staatskapelle immer wieder zu schnellen Tempi anfeuerte. Der 2.Akt verlief insgesamt wesentlich getragener und konnte nicht so sehr überzeugen wie die Außenakte. Im letzten wurden die Monologe immer wieder dramatisch bis zum Zerreißen zugespitzt. In Karlsruhe besteht ja eine große und lange Wagner-Tradition, wo Tristan unter Felix Mottl noch vor der Bayreuther Erstaufführung gespielt wurde.  Die Soli des Englischhorns wurden von Wolfram Lauel sehr nuanciert und traurig gespielt, die Holztrompete (Annette Kiesewetter) kam dagegen geradezu auftrumpfend und wagemutig herüber.

Der auf der Bühne auftretende Herrenchor singt sehr präsent und ins Geschehen involviert. Den Hirten und den jungen Seemann gibt Cameron Becker ebenfalls bühnenpräsent und läßt dabei einen wohldeklamierten klangvollen Tenor vernehmen. Die kurzen Worte des Steuermanns steuert James Homann als Gast aus Heidelberg bei. Den Melot singt tenoral(!) aus der Obergalerie der Lounge Matthias Wohlbrecht fast zynisch. Als Marke kommt Renatus Meszar diesmal nicht so stark stark herüber, es kommt bei ihm keine Schwarzbaßdichte auf, er scheint die Rolle auch etwas unernst (regiebedingt?) anzulegen. Der Kurwenal Seung-Gi Jung kommt besonders im Monolog-Akt mit einem leuchtenden dabei voluminösen Bariton sehr gut zur Geltung. Eine exzellente Brangäne kann auch Katharine Tier stellen. Ihr teils etwas herb timbrierter Mezzosopran baut sich im Zwiegesang mit Isolde und bei den Wachtgesängen sehr schön dramatisch auf. Dabei ist sie recht spielfreudig und wirkt mit ihrer Rundbrille manchmal agil schnippisch.

Den Tristan hat jetzt Stefan Vinke in seinem 25jährigen Bühnenjubiläum an seiner ersten Wirkungsstätte Karlsruhe mit Bravour gegeben. Im 3.Akt, in dem er sich völlig freigesungen hat, legt er in den gewaltigen Ausbrüchen immer noch zu, scheint keine Grenzen zu kennen. Hervorzuheben auch seine gut verständliche Artikulation und Diktion. Dunkel baritonal timbriert verbeißt er sich in sein durch seine traumatische Herkunft bestimmtes Phlegma und in all das, was er sich dann noch Negatives geschaffen hat; erst die Wiederkunft Isoldes befreit ihn von diesen Qualen.

Die Niederländerin und inzwischen international singende Annemarie Kremer hat die Isolde übernommen. Und mit ihrem ersten Ton ist sie voll da. Die wilden Aufschwünge auf dem ‚Schiff‘ meistert sie einzigartig. Auch im Kantilenenmodus des 2.Akt kann sie glänzen. Bei ihrer Wiederkunft in ‚Careol‘ gibt sie noch einmal alles bis zum ‚Liebestod‘. Ihr silbern metallisches helles kraftvolles Timbre läßt aufhorchen. Auch im Piano ist ihr Sopran gut geführt, und sie kann in allen  Lagen, besonders natürlich der prägnanten Höhe, mühelos übers Orchester kommen. Dabei gibt sie in klassisch dunkelfarbigen Gewändern und mit gestylter Lockenpracht eine schlanke Figur ab.

Friedeon Rosén

KARLSRUHE/ Badisches Staatstheater: TRISTAN UND ISOLDE. Wiederaufnahme

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Annemarie Kremer a. G. (Isolde) & Stefan Vinke a. G. (Tristan)  - Foto: Arno Kohlem
Annemarie Kremer, Stefan Vinke. Foto: Arno Kohlem/ Staatstheater Karlsruhe

Richard Wagners „Tristan und Isolde“ am 17. November 2019 im Badischen Staatstheater/KARLSRUHE

Verwandlungen im selben Raum

 Die emotionale Kraft von Wagners „Tristan“ kommt in der „modernen“ Inszenierung von Christopher Alden durchaus zum Vorschein. Die mittelalterliche Handlung spielt hier um 1940, Alden wollte das Stück nicht in der Gegenwart spielen lassen, weil er sich nicht zu weit von der Epoche entfernen wollte, in der die Oper entstanden ist. Die gesellschaftlichen Zwänge der damaligen Zeit werden in diesem Wohnzimmer psychologisch eindringlich thematisiert. Die existentiellen Nöte des zweiten Weltkriegs werden in diesem Beziehungsgeflecht zwischen Tristan, Isolde und König Marke verarbeitet.

Die drei Aufzüge finden hier im selben Raum statt, der sich zwischen vielen Sesseln und einem großen Vorhang immer wieder neu verwandelt. Psychologische Vorgänge und tiefliegende Gefühlsschichten beleben den hellen Innenraum. Dies ist insbesondere im dritten Aufzug der Fall, wo der schwer verwundete Tristan im Bett wie auf einer Totenbahre liegt und auf Isolde wartet. Im zweiten Akt fehlen die metaphysischen und sphärenhaften Momente allerdings völlig, wenn das Liebespaar Tristan und Isolde schließlich von König Marke entdeckt wird. Der erste Akt wirkt wie der Innenraum eines Kreuzfahrtschiffs mit Ballsaal oder Empfangshalle. Runde Fassaden mit Bullaugen-Fenster werden angedeutet. Bühne und Kostüme von Paul Steinberg und Sue Willmington weisen auf diese Sichtweise hin.

Eine starke Atmosphäre hat Christopher Alden mit den Sängern hier in subtiler Weise erarbeitet. Die realistische Außenebene jedes Aktes steht grell im Zentrum. Ein starker Augenblick ergibt sich aus jener Szene, als Marke und seine Mannen das Liebespaar aus seiner tiefen Versenkung reißen. Für Christopher Alden ist Wagners „Tristan und Isolde“ allerdings kein autobiografisches Werk. Das Liebespaar befindet sich in einer anderen Sphäre. Und für Brangäne ist die Liebe so etwas wie realistische Romantik. Gleichzeitig spürt man bei dieser Inszenierung sehr stark, dass die Liebe von Tristan und Isolde als etwas Revolutionäres angesehen wird. So legt das Liebespaar im zweiten Aufzug in König Markes Residenz Feuer. Feuer und Liebestraum erlöschen allerdings, als König Marke auftritt. Im dritten Akt mit dem sterbenden Tristan ist Isolde auf der oberen Empore schon vorher präsent, wirft Blumen herab. Tristan und Isolde sind in Christopher Aldens Inzenierung eindeutig gegen das Establishment eingestellt. Und die einzige Lösung, die sie wirklich anstreben, ist der gemeinsame Tod. Isolde ist hier eher eine Frau, die sich für ein Ideal opfert, aber nicht sterben will. Der offene Schluss von Christopher Aldens Inszenierung lässt Isolde einfach weiterleben. Sie setzt schon im ersten Akt die entscheidenden Impulse. Ihre Worte, die sie an den verstorbenen Tristan im dritten Akt richtet, sind durchaus vorwurfsvoll. Zusammen mit Tristan stürzt sie das System um König Marke in eine tiefe Krise, es kommt zur Katastrophe. Dies sind starke Momente in Aldens Inszenierung, die aber auch szenische Schwächen besitzt.

Ensemble  - Foto: Falk von Traubenberg
Foto: Falk von Traubenberg

Die Tragik dieser Liebe wird immer größer, da Tristan zuletzt verletzt ist und Isolde unter Schock steht. Im ersten Akt kommt es sogar zu einer kurzen ironischen Wendung, wenn König Marke statt Isolde Brangäne Blumen überreichen will. Die Badische Staatskapelle musiziert unter der kompetenten und zuweilen geradezu fieberhaften Leitung von Justin Brown wie aus einem Guss. Die Produktion wird ohne Striche gespielt, was auch schon Cosima Wagner untersagt hatte. Justin Brown hat sich ebenfalls gegen Striche ausgesprochen. Er möchte von diesem „großartigen Werk“ nichts verlieren. Es gelingt Justin Brown vor allem, den romantischen Unendlichkeitsdrang und die Ekstatik der Tonsprache auf die hervorragenden Sängerinnen und Sänger zu übertragen. Dies gilt vor allem für Stefan Vinke als  strahlkräftig-voluminöser Tristan und Annemarie Kremer als gesanglich nicht minder überwältigende Isolde. Man spürt gerade auch bei den Szenen um den von Renatus Meszar mit profiliertem und sonorem Bass gesungenen König Marke, wie gut es Wagner hier gelungen ist, die bisherigen harmonischen Gesetzmäßigkeiten zu brechen. Der erhitzten Chromatik der übersteigerten Tristan-Harmonik lauscht Brown dabei akribisch nach. Auch Katharine Tier bietet als Brangäne ein durchaus eindringliches Charakterporträt dieser Figur.

In weiteren Rollen überzeugen Seung-Gi Jung als Kurwenal, Matthias Wohlbrecht als Melot und James Homan als Steuermann sowie Cameron Becker als Hirt und Stimme eines jungen Seemanns. Insbesondere Annemarie Kremer gelingt es ausgezeichnet, das spirituelle innere Empfinden beim berühmten „Liebestod“ glaubhaft zu verdeutlichen. Auch der kunstvoll-suggestiven Motiv-Verwebung wird der Dirigent Justin Brown bei seinem überaus konzentrierten Dirigat gerecht. Die von Ulrich Wagner souverän einstudierten Herren des Badischen Staatsopernchores beeindrucken das Publikum mit einer beachtlichen Leistung. Schon bei der Einleitung werden die Phasen der weltentrückten, nach Befreiung von allen Erdenfesseln schmachtenden Liebe von der mit viel Herzblut musizierenden Badischen Staatskapelle betont. Auch der geheimnisvolle Gesang der Matrosen verdeutlicht das schwermütige Sehnen, das die gesamte Oper durchzieht. Das wird auch bei Christopher Aldens Inszenierung trotz einiger Abstriche deutlich. Die tiefe Lage des Zaubertrank-Motivs sticht ebenfalls hervor. Und die triebkräftige Verdichtung der Musik kommt hier nirgends zu kurz. Selbst die glühende Emphase des Tantris-Motivs zeigt immer neue Nuancen und Facetten. Die Verwandlungen im selben Raum übertragen sich so auch subtil auf die Musik. Beim Tausch der Liebesblicke lauscht Brown den harmonischen  Bewegungen im Orchester in suggestiver Weise nach. Wechselnde Akkorde sind bei dieser Interpretation deutlich als Zeichen mächtiger Gefühlswallungen zu deuten. Auch bei der Erzählung Kurwenals mit Seung-Gi Jung kommt es zu einem unruhevollen Harmoniengewoge. Die beiden Motive der Schmerzen und der Sehnsuchtsklage zu Beginn des dritten Aufzuges erklingen sehr präzise, was auch für die abwärtsschreitenden Tonstufen des Tristan-Motivs gilt. Und die dynamischen Steigerungen des Todessehnsuchtsmotivs werden von Stefan Vinke in gewaltiger Weise umgesetzt.

Ovationen.

Alexander Walther

 

MÜNCHEN/ Prinzregententheater: ZUM GROSS-ADMIRAL von Albert Lortzing

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Albert Lortzing. Foto: Youtube

Opernrarität in München: „Zum Groß-Admiral“ von Albert Lortzing (17. 11. 2019)

Seit vielen Jahren bringt der Bayerische Rundfunk in seinen Sonntagskonzerten eine Opernrarität im Münchner Prinzregententheater konzertant zur Aufführung. Am 17. November wurde die Oper „Zum Groß-Admiral“ von Albert Lortzing vom Münchner Rundfunkorchester gespielt, die ihre Uraufführung im Jahr 1847 in Leipzig hatte.

Der deutsche Komponist Albert Lortzing (1801 – 1851), der bereits als Fünfjähriger in der Laienspielgruppe seiner Eltern auftrat, erhielt sehr früh Klavier-, Violin- und Cellounterricht. Bereits im Jahr 1812 komponierte er eine Schauspielmusik zu Schillers Bürgschaft, seine erste Oper Ali Pascha von Janina kam 1828 in Münster zur Aufführung. Nachdem er eine Reihe von Singspielen – darunter Andreas Hofer und Szenen aus Mozarts Leben – komponiert hatte, machte er 1833 in Leipzig die Bekanntschaft von Heinrich Marschner, die für ihn wegweisend wurde. 1837 entstand seine erste komische Oper Die beiden Schützen und noch im selben Jahr sein wohl erfolgreichstes Werk Zar und Zimmermann.

Nach seiner Kündigung des Leipziger Engagements wurde Lortzing nach Wien berufen, wo er Kapellmeister am Theater an der Wien wurde und dort 1846 seine Oper Der Waffenschmid zur Uraufführung brachte. Dennoch gab er seine nächste Oper Zum Groß-Admiral erneut nach Leipzig. Da Albert Lortzing im Revolutionsjahr 1848 Lieder für die damals in Wien revoltierenden Studenten schrieb, verlor er seine Stellung am Theater an der Wien. Seine damals entstandene Oper Regina wurde dadurch erst nach seinem Tod in Berlin im Jahr 1899 uraufgeführt. Seine Hoffnung auf eine Anstellung in Leipzig oder Berlin zerschlug sich, sodass er sein Auskommen als reisender Schauspieler zu finden versuchte. Er erkrankte und konnte die Uraufführung seines letzten Werks Die Opernprobe am 20. Jänner 1851 in Frankfurt nicht mehr besuchen. Am Tag darauf starb er in Berlin.

Der Inhalt der Oper Zum Groß-Admiral, deren Libretto Albert Lortzing nach der Komödie La jeunesse de Henri V. von Duval (alias Alexandre-Vincent Pineu) selbst schrieb, in Kurzfassung: Der englische Thronerbe Heinrich entflieht gerne seinen Pflichten und vergnügt sich lieber bei nächtlichen Abenteuern, wie beispielswese als Matrose verkleidet in der Schenke „Zum Groß-Admiral“, wo er in den  Verdacht eines Diebstahls gerät. Seine Gemahlin Catharina und Graf von Rochester haben ihm in der Kneipe eine Falle gestellt. In einer Nebenhandlung verliebt sich sein Page Eduard in Betty, der Nichte des Seebären Copp.

Am Schluss beschließt Heinrich, ein Leben als Herrscher anzustreben und damit seinen Pflichten nachzukommen. – Betty und Eduard finden zueinander und Catharina verzeiht ihrem Gatten. Das Fürstenpaar wird bejubelt.

Ulf Schirmer. © Kirsten Nijhof
Ulf Schirmer. Foto: Kirsten Nijhof

Wie stets wartete auch dieses Mal der Bayerische Rundfunk mit einer erstklassigen Besetzung auf. Dem Münchner Rundfunkorchester unter der äußerst temperamentvollen Leitung von Ulf Schirmer gelang es, die romantische Partitur des Großmeisters der deutschen Spieloper, der die einzelnen Figuren des Werks trefflich zu charakterisieren vermochte, ebenso trefflich wiederzugeben.

In der Hauptrolle als Heinrich V. konnte sich der für Julian Prégardien eingesprungene Tenor Bernhard Berchtold durch seine lyrische Stimme auszeichnen, auch wenn er manchmal ein wenig zurückhaltend wirkte. Stimmlich exzellent war die junge deutsche Sopranistin Anett Fritsch als seine Gemahlin Catharina. Sie bot auch mimisch eine beeindruckende Leistung, ihre Gefühle spiegelten sich wunderbar in ihrem Antlitz wider. Schon nach ihrer ersten Arie erhielt sie aus dem Publikum „Brava“-Rufe.

Die aus Göttingen gebürtige Sopranistin Lavinia Dames, die in Wien an der Universität für Musik und darstellende Kunst studierte und Bühnenerfahrung beim Richard Wagner-Festival Wels sowie am Schlosstheater Schönbrunn sammelte, sang die Rolle der Betty, der Nichte des Seebären Copp, nicht minder ausdrucksstark. Ihr gelang es besonders gut, mit Mimik und Gestik ihre Gefühle für ihren Harfenlehrer Guido auszudrücken, hinter dem sich in Wahrheit Eduard, der Page von Rochester, verbirgt. Er wurde von der Sopranistin Julia Sophie Wagner gesungen, die in ihrer „Hosenrolle“ sowohl stimmlich wie auch schauspielerisch gleichfalls eine beeindruckende Leistung bot.  

Rollengerecht agierte auch der schlanke Bariton Jonathan Michie als Richard, Graf von Rochester. Mit seiner kräftigen Stimme und seiner prägnanten, ausdrucksstarken Gestik erntete er immer wieder Szenenapplaus. Als Copp Movbrai setzte der Basssänger Martin Blasius seine volltönende Stimme mit großer Routine ein.

Aus dem Chor des Bayerischen Rundfunks (Einstudierung: Stellario Fagone), der besonders in der Schluss-Szene seinen stärksten Auftritt hatte, müssen noch zwei Chorsolisten genannt werden: der Tenor Andreas Hirtreiter, der als Kammerdiener John Snakefield zwei Kurzauftritte hatte, und der Bass Matthias Ettmayr, der drei kleinere Rollen (Zeremonienmeister, William, Page) verkörperte. 

Am Schluss der konzertanten Aufführung gab es für das Sängerensemble, den Chor und das Orchester sowie für den Dirigenten vom Publikum minutenlang Applaus, in den sich auch viele „Bravi“-Rufe mischten. Wie beliebt diese Sonntagskonzerte des Bayerischen Rundfunks sind, zeigt sich auch daran, dass die Vorstellungen im Münchner  Prinzregententheater stets restlos ausverkauft sind.

Udo Pacolt

 PS: Im nächsten Sonntagskonzert des Bayerischen Rundfunks am 26. 1. 2020 wird die Oper „L’île du rève“ von Reynaldo Hahn gespielt.

 

WIEN/ Staatsoper: OREST von Manfred Trojahn mit Georg Nigl in der Titelrolle

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Georg Nigl, Daniel Johansson. Foto: Wiener Staatsoper/ MichaelPöhn

WIEN/Staatsoper: Manfred Trojahns „OREST“ mit Georg Nigl in der Titelrolle

Spezialist für Opernfiguren  am Rand des Abgrunds

17.11. 2019  (Karl Masek)

Georg Nigl: Wiener des Geburtsjahrgangs 1972, Solist bei den Wiener Sängerknaben mit etlichen Auftritten als einer der Knaben in der „Zauberflöte“ an der Wiener Staatsoper. Schüler der legendären Hilde Zadek, der er alles verdankt, was er sängerisch ist, wie er bei vielen Gelegenheiten betont. Kein Vertreter des puren Schöngesangs, kein Samt- oder „Rotweintimbre“, wie er in einem Interview vor seinem „Orest“-Rollendebüt in Zürich zitiert wird. Aber einer, der als Spezialist für radikale Grenzgänger-Figuren, immer am Rand des Abgrunds, gilt.

Zwischen Monteverdi und Wolfgang Rihms „Jakob Lenz“, zwischen Bachs Kantaten  und Alban Bergs „Wozzeck“, zwischen Schubert-Liedern und Luigi Dallapiccolas „Gefangenem“,  bewegt er sich. Gebrochene, verrückte Charaktere zumeist, aber auch groteske, wie der Teufel, „der sich an der Welt erkältet“. Den hat er vor knapp einem Jahrzehnt in Peter Eötvös‘ „Die Tragödie des Teufels“ an der Bayerischen Staatsoper verkörpert  (Der Schreiber dieser Zeilen war damals dabei). Oder die Spielmacher auf der Bühne wie den „Papageno“, mit spätem Staatsopern- Rollendebüt, am 23.12. 2016. Dafür spielt und singt er sich die Seele aus dem Leib.

Und jetzt der „Orest“ des Manfred Trojahn. Dieses Wiener Rollendebüt war geradezu zwingend logisch. Schließlich ist ihm auch diese „Extremistenrolle“ nicht neu. Der Spross einer blutrünstigen Familie, dem quasi von seinem Über-Ich, dem Gott Apollo, vorgeschrieben wird, was er zu tun hat. Schwester Elektra, der vermeintliches Recht, vermeintliche Gerechtigkeit, über alles geht, zwingt ihn nach dem Muttermord an Klytämnestra auch noch zur Hinmetzelung der „Schönen Helena“. Er hat die Figur bereits 2017 im Opernhaus Zürich in der Inszenierung des Hans Neuenfels verkörpert. Das war dort eine Sensation.

Aber auch die Erstaufführung an der Wiener Staatsoper war ein Triumph des künstlerischen Tandems Marco Arturo Marelli (Inszenierung) und Michael Boder (Musikalische Leitung). Was die Wiederaufnahme (wir halten bei der „7. Aufführung des Werkes in dieser Inszenierung“) wieder nachdrücklich bewies.

Nigl empfindet den Orest als Menschen, den Macht, Mord und Tod überfordern. Er will sich nicht mehr den Göttern fügen und dem Schicksal ausliefern. Der von Elektra ebenfalls befohlene Mord an Hermione, der  Tochter des Menelaos und der Helena, findet nicht mehr statt. Er spielt ihn als tausendfach Traumatisierten mit einer irre vielschichtigen Ausdruckspalette, von eindringlicher Körpersprachlichkeit. Seine Stimme malträtiert er bis zum Exzess. Bis dato hält sie das problemlos aus.

Zwei weitere Neue: Michael Laurenz folgt der Premierenbesetzung Thomas Ebenstein auf Augenhöhe nach. Einen widerlichen Feigling und geschmeidigen Opportunisten und Wendehals mimt er bis in die Haarspitzen. Groß dimensioniert bis in heldische Bereiche hinein ist sein greller Charaktertenor. Ruxandra Donose (auch sie bereits die  Zürcher „Elektra“ in Neuenfels‘ Lesart) hatte die schwierige Aufgabe, der bühnenbeherrschenden, dämonischen Evelyn Herlitzius in dieser Rolle nachzufolgen. Ihre Stimme ist dunkler, wohl auch weniger hart als das Organ der Herlitzius. Aber sie hielt sich sehr gut, die gerundete, auch Höhenattacken respektabel meisternde Stimme zeigte keine Spuren von Überforderung. Eine gute Besetzungsvariante.

Von der Premierenbesetzung blieb der Apollo/Dionysos. Der Schwede  Daniel Johansson gab die Doppelrolle mit gleißendem Tenor, der sich allerdings in den gefährlichen Höhen deutlich verengte. Doch der technisch versierte Sänger hat sein Organ perfekt im Griff – da gibt es kein Kippen oder Ausweichen in rettendes Falsett.

Laura Aikin wiederholte ihre „Schöne Helena“ als eine Art Marylin-Monroe-Doublette, trug ihr Glitzerkostüm mit Geschmack und Anstand, spielte die Heimkehrerin, die nirgendwo Einlasstüren vorfindet, mit toller Bühnenidentifikation, war auch stimmlich purer Luxus.

Audrey Luna war stimmlich ganz ihre Bühnentochter. Beide tönen zum Verwechseln ähnlich. Rollengerecht klingt „Hermione“  eine Generation jünger. Jeder Zoll eine Lichtgestalt.

Die bildgewaltige Inszenierung ist voll intakt. Bühne und Lichtdesign sind nach wie vor bestechend. Die Kampfchoreografie gerät perfekt.

Michael Boder war wie immer der ruhige, umsichtige musikalische Lenker des blutigen Geschehens. Er hat es nicht nötig, mit großer Geste Intensität vorzutäuschen. Bei ihm braucht es nur ein kleines Zucken der Taktstockspitze – und musikalische Tsunamis brechen los. Atemberaubend wieder die musikalische Schockstarre, nachdem Helena mit dem Beil erschlagen wurde!

Das Orchester der Wiener Staatsoper schätzt Michael Boder offenkundig besonders und legte sich daher wieder mit Verve ins Zeug. Man legte ein überzeugendes Plädoyer ab für ein starkes, bühnenwirksames  Musiktheaterstück eines Zeitgenossen.

Es sollte weiterhin das Repertoire im Haus am Ring bereichern. Nach Aribert Reimanns „Medea“ wäre der „Orest“ ebenfalls ein  Ausrufezeichen einer  Oper des 21. Jhts.!  Und keinesfalls bloß „Kunsthandwerk“, wie das in blasierter und  herablassender Weise von Feuilletonisten eben wieder geschrieben wurde. Da scheinen immer noch sakrosankte Vorgaben längst veralteter „Serieller 10 Gebote“ zu gelten.  So hat man allerdings  Opernhäuser leergespielt! Eine zeitnahe Kombination mit Richard Strauss‘ Elektra böte sich an. Vielleicht sogar an einem Abend? Ob das bühnentechnisch machbar wäre (mit der Kupfer-Inszenierung, die dem Vernehmen nach wiederkommen soll), kann ich nicht beurteilen.

Guter Besuch und starke Akklamation  bei dieser Repertoirevorstellung! Auch die Abonnent/innen der Gruppe 21 dürften ziemlich vollzählig erschienen sein.

Karl Masek

attitude Ballet-Blog: Nov 18 A short Talk with Gabor Oberegger (Vienna State Ballet)

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attitude Ballet-Blog: Nov 18

A short Talk with Gabor Oberegger (Vienna State Ballet): September 17th, 2019
From the inside

It has been quite „a few years“ since I first started following Mr Oberegger’s career. A very steady dancer with the Vienna State Ballet. Naturally, through all those years, we have seen each other quite frequently in events, Première Parties etc. But strangely we never had a chance to talk, to exchange ideas… What I want to say is that this interview was long due and it was high time to sit down with Mr Oberegger and have a good talk.

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Gabor Oberegger, Ricardo Leitner

https://www.attitude-devant.com/blog/2019/11/18/a-short-talk-with-gabor-oberegger-vienna-state-ballet

Ricardo Leitner

 

Wien/ OFF-Theater: Leonie Wahl: „THIS IS WHAT HAPPENED IN THE TELEPHONE BOOTH“

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Wien/ OFF-Theater: Leonie Wahl: „THIS IS WHAT HAPPENED IN THE TELEPHONE BOOTH“

Was ihre Mutter tatsächlich in jener Telefonzelle erlebte, wird wohl ein ewiges Geheimnis bleiben. Für die in der Schweiz geborene Tänzerin und Choreografin Leonie Wahl, die ihre Kindheit mit Mutter und Schwester als Hippie-Aussteiger in der Toscana verlebte, war die als Zehnjährige erfahrene völlige Veränderung ihrer Mutter nach einem Telefonat ein einschneidendes Erlebnis, das sie in ihrem hier uraufgeführten Tanz-Theater-Stück künstlerisch be- und sicher auch verarbeitet.


off telephone, Ensemble. Copyright Barbara Palffy

In der Regie von Ernst-Kurt Weigel verwischen zwei Tänzerinnen (Leonie Wahl und Hannah Timbrell) und drei Schauspieler des Bernhard Ensembles (Gerald Walsberger, Kajetan Dick und Michael Welz) die Grenzen zwischen den Genres Tanz und Theater. Dieses auf mehreren Ebenen autobiografische, bewegte Spiel, ausgehend von den gut 30 Jahre zurückliegenden Ereignissen in dieser Telefonzelle, fantasiert von möglichen Hergängen, inszeniert die Dissoziation einer Persönlichkeit in (nicht nur zwei) einander fremde Teile und erzählt von Strategien der Bewältigung.

Leonie Wahl, tief verstört und entwurzelt, setzt mit signal-gelb leuchtendem Haar den Hilfeschrei einer zerrissenen, rebellisch Andersartigen in die Welt. Hannah Timbrell nähert sich, wenigstens äußerlich, dem idealtypischen Frauenbild am weitesten, Gerald Walsberger gibt den verunsicherten, hin- und hergerissenen Zweifler, der äußeren wie inneren Idealen bis zur Erschöpfung nachjagt, der sich sozialem Druck und der eigenen Gier besinnungslos ergibt. Auch durch seine Zwiegeschlechtlichkeit (ein Mann in Kittelschürzen-Kleid) verkörpert er die wohl komplexeste Figur des Stückes. Ein Höhepunkt ist ein Tanz der drei. Weitgehend synchron angelegt erleben wir die Wiedervereinigung der drei aufgespaltenen Persönlichkeitsanteile im Tanz und durch Kunst. Und wie der wieder einmal brillierende Schauspieler Gerald Walsberger mit den zwei ausgebildeten Tänzerinnen mithält, ist wahrlich beeindruckend. Der Zweifler aber bricht die harmonische Dreieinigkeit auf. Denn der Weg ist das Ziel.


off-telephone. Walsberger, Welz. Copyright Barbara Palffy

Die Telefonzelle wird zu einem Ort, der alle magisch anzieht. So, als wünschten sie Verwandlung.
Die größte Widerstandskraft gegen den Zauber, die transformierende Kraft der Zelle besitzt Hannah Timbrell. Sie ist die sich selbst noch am Nächsten Seiende. Und sie überrascht mit ihrem schauspielerischen und insbesondere komödiantischen Talent. Die Vokals der Tamara Stern geben im Zusammenspiel mit dem elektronischen Sound von ASFAST (aka Leon Leder) das akustische Gerüst für die bedrohlichen, verworrenen, mystischen, verunsichernden, aber auch skurrilen Begebnisse. Hinreißend!

Die psychische Instanz des seit langem von seiner Familie getrennt lebenden Vaters ist omnipräsent, seine Liebe zum Handstand repräsentiert das unbewusste Fortwirken seiner Prinzipien. Und was da an Möglichkeiten der Geschehnisse, an potentiellen Ursachen für den Wahn der Mutter durchgespielt wird! Die zwischen Banalität und Absurdität angelegten Variablen reichen von „Ich habe das Grauen gesehen!“ bis zu „Das ist die Liebe!“.


off-theater – telephone, Ensemble. Copyright Barbara Palffy

Gespaltene Persönlichkeiten, Dissoziation als Überlebens-Strategie, sind weder ein neues noch ein außergewöhnliches Phänomen. Leonie Wahls Ansatz, diese Aufspaltung durch Kunst zu überwinden, transzendiert die traumatische Erfahrung der Mutter und die der Tochter. Und welchen Lebensmut die Frau und die (nicht mehr ganz junge) Tänzerin Leonie Wahl braucht und hat, zeigt sie mit der Schluss-Sequenz. Wow!

Die bei aller Derbheit tiefgründige, feine und sensible Darstellung im Tanz wie im Schauspiel überzeugen, mit viel Witz und Humor als würzenden Zutaten. Nach ihrem ebenfalls sehr persönlichen Solo-Stück „Void“ geht Leonie Wahl mit „THIS IS WHAT HAPPENED IN THE TELEPHONE BOOTH“ einen Schritt weiter. Kraftvoll, ehrlich, authentisch: Heilung durch Kunst. Wunderbar!

Rando Hannemann

OFF-Theater Wien: Leonie Wahl: „THIS IS WHAT HAPPENED IN THE TELEPHONE BOOTH“. Weitere Vorstellungen: 21.,22.,23.,28.,29.,30. Nov. 2019, 20:00.

MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: WOZZECK

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München: “Wozzeck”–Bayerische Staatsoper 17.11.2019 – Grelles Bilderbuch derArmut

Bildergebnis für bayerische staatsoper wozzeck
Wozzeck (Christian Gerhaher) und der Doktor (Jens Larsen) beim Menschenversuch
© Wilfried Hösl

Ziemlich genau elf Jahre ist es her, dass Andreas Kriegenburgs Inszenierung von Alban Bergs Wozzeck im November 2018 in München Premiere hatte. Es war nach Macbeth diezweite Premiere des neuen Intendanten Nikolaus Bachler und sie wurde damals zu Recht gefeiert. Kriegenburg zeigt diese Oper als grelles Bilderbuch der Armut, Wozzecks „wir arme Leut“ ist ja auch das sowohl im Text als auch in der Musik immer wiederkehrende Leitmotiv. Das Bühnenbild von Harald B. Thor sorgt für suggestive Bilder: ein großes, vor dunklem Hintergrund schwebendes Zimmer ist die ärmliche Stube Maries, aber auch das Zimmer des Hauptmanns und die Studierstube des Doktors. Überall tropft Wasser, auch der Bühnenboden ist knöcheltief mit Wasser bedeckt, ein Bild für die Unausweichlichkeit, mit der Wozzeck in sein Schicksal treibt. In diesem Wasser lebt es auch: Menschen in schwarzen Anzügen balgen sich um hingeworfenes Brot, suchen Arbeit – und reichen Wozzeck am Ende immer wieder das Messer, das er doch gerade weggeworfen hat. Grotesk überzeichnet – weißgeschminkte Gesichter mit tiefliegenden Augen und deformierende Kostüme (Andrea Schraad) – sind alle Personen in dieser Inszenierung, alle außer Wozzeck, Maire und ihr Kind.

Dass diese Aufführungsserie jetzt mit Spannung erwartet wurde lag zum einen an der langen Zeitspanne, die seit der letzten Wiederaufnahme vergangen war – das war im Oktober 2013 – zum andern aber auch am Münchner Rollendebüt von Christian Gerhaher in der Titelrolle.Gerhaher, der den Wozzeck schon 2015 in Zürich gesungen hat, ist ein Glücksfall für diese Rolle. Mit der ihm üblichen Akribie formt er jedes Wort, jeden Ton dieser enorm schwer zu singenden Rolle, die einen enormen Tonumfang und aberwitzige Intervalle verlangt. Wenn er am Anfang beim Hauptmann über die „armen Leut‘ “ philosophiert, richtet er sich auf und lässt seine Stimme dröhnen, doch meist steht er und mit schiefgehaltenem Kopf auf der Bühne und singe nach innen gewandt. Das Psychogramm eines von seinen Ängsten, aber auch von der Welt gequälten Menschen, der von Anfang an keine Hoffnung auf etwas Glück hat.


Marie (Gun-Brit Barkmin) und der Chor der Bayerischen Staatsoperbeim Tanz im Wasser
© Wilfried Hösl

Gun-Brit Barkmin ist eine expressive Marie; auch sie ist eine Singschauspielerin im besten Sinne des Wortes. Ihre schöne Mittellage kommt im Wiegenlied besonders zur Geltung, die Spitzentöne geraten manchmal etwas schrill.

John Daszak als eitler Tambourmajor und Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als Hauptmann boten ebenfalls sehr gute sängerische und schauspielerische Leistung. Kevin Conners als Andres falsettierte etwas zu viel, der Doktor von Jens Larsen blieb etwas blass. Heike Grötzingers Alt klang etwas ausgeschlagen, die Ensemblemitglieder Peter Lobert, Boris Prygl und Ulrich Reß lieferten in ihren kleinen Rolles mehr als ordentliche Leistung ab.

Nicht so ordentlich klang das, was aus dem Graben kam. Hartmut Haenchen am Pult des Bayerischen Staatorchesters vermochte es nicht, diese hochexpressive Musik zum Leuchten zu bringen. Das klang alles ziemlich pauschal, die durchaus vorhandenen impressionistischen Passagen gingen im Einheitsklang unter, es herrschte der Eindruck des Lauten, Schrillen vor. Aber es gibt ja noch drei Vorstellungen, da kann manches noch nachjustiert und feingeschliffen werden.

Die Vorstellung 23. November wird auf Staatsoper.TV übertragen.

 Susanne Kittel-May

 


WIEN / Neue Oper Wien: DER REIGEN

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„der reigen“
bregenzer Festspiele / Neue Oper Wien
©anja koehler | andereart.de

WIEN / Neue Oper Wien im MuseumsQuartier:
DER REIGEN von Bernhard Lang
Libretto von Michael Sturminger nach dem Theaterstück von Arthur Schnitzler
Österreichische Erstaufführung der Neuen Oper Wien in Koproduktion mit den Bregenzer Festspielen
Premiere in Wien: 12. November 2019,
besucht wurde die letzte Vorstellung am 18. November 2019

Die Frage, ob sich Arthur Schnitzlers einst skandalträchtiges Theaterstück „Reigen“ (immerhin wurde damals erstmals der Geschlechtsakt auf die Bühne gebracht, und das nicht verschämt nebenbei, sondern im Zentrum von neun der zehn Szenen) für ein Libretto eignet, wird nicht jeder so positiv beantworten wie der österreichische Komponist Bernhard Lang (geboren 1957 in Linz) und sein Librettist, der in so vielen Funktionen rege Michael Sturminger (geboren 1963 in Wien).

Allem voran ist der „Reigen“ ein sprachliches Meisterwerk, das den sozialen Kosmos der späten Habsburger-Monarchie durchschritt, Militär, Dienstpersonal, Großbürgertum, Künstler, Adel. Jeder mit seiner eigenen Sprache, Typ und Individualität zugleich, zehn kostbare Figuren, die sich in „verbotenen“ Situationen der Lust finden und zum nächsten Partner weitergehen, dieser dann wieder zum nächsten, bis der „Reigen“ sich schließt. Die Rituale, wie man sich auf die – in jedem Fall erstrebte – sexuelle Vereinigung zu bewegt, sind je nach sozialem Stand ganz verschieden, die Lügen beim „Davor“ und „Danach“, Begierde und Ernüchterung, mit besonderer Meisterschaft dargestellt. Kein gesungener Text kann das bieten. Aber was ist der „Reigen“ sonst als ein psychologisches Meisterwerk?

Michael Sturminger hat das Schnitzler’sche, das Besondere und auch das sprachlich Gestrige total aus dem Text gestrichen (man kann ja, da die Copyright-Frist abgelaufen ist, nach Belieben damit herumwerken). Als über die Maßen oft eingesetztes Prinzip hatte er zu einer nicht nur Verdoppelung, sondern gleich die Verdreifachung von Satzelementen gegriffen, was einzelnen Stellen besonderen Nachdruck verleiht. Dennoch – so sehr sich der Komponist auch um eine gewisse Schlankheit der Orchesterführung bemüht hat, akustisch wirklich verstehen wird man den „Reigen“ als Oper auf der Bühne nur, wenn man den Text gut kennt.

Da müsste nun die Musik das Werk rechtfertigen, und das tut sie nicht. Die eindreiviertel Stunden sind sogar recht einförmig, sowohl in der Behandlung der Stimmen wie in jenen orchestralen Passagen, die den Geschlechtsakt begleiten. Ein zündender Funke ist nie auszumachen, die Musik plätschert gekonnt modernistisch dahin, ohne die Langeweile, die sich bald einstellt, je aufhalten zu können. Der eine, weltberühmt gewordene „Reigen“-Walzer, den Oscar Straus für den „Reigen“-Film von Max Ophüls komponiert hat, wird wohl noch gespielt werden, wenn diese Oper längst vergessen ist…

Für den Abend im MuseumsQuartier spricht, dass Regisseurin Alexandra Liedtke sehr ordentlich gearbeitet hat, wenn man davon ausgeht, dass die Geschichte brutal in die Gegenwart versetzt wurde, aus dem Soldaten ein Polizist, aus dem Grafen ein Privatier geworden ist (da hätte man gleich „Pensionist“ sagen können, denn Privatier ist auch ziemlich gestrig, oder?), aus dem Süßen Mädel ein Schulmädchen und aus dem Dichter schlicht ein Autor – ja, heute ist es, und da stimmt ja zusätzlich zwischen Schnitzler / Sturminger / Lang vieles nicht zusammen: Ein Ehepaar, das in der Waschküche so nebenbei bumst, kann kaum das Drahtseil-Gespräch über Betrug glaub- und sinnhaft machen, das bei Schnitzler so brillant und humorvoll die Lügen auf beiden Seiten deutlich enthüllt…

Dennoch – wenn’s denn Heute sein muss, dann haben Falko Herold & Florian Schaaf für die Ausstattung ganz überzeugend gearbeitet, mit Projektionen zwischen Praterbank und Gemeindebau (!), zwischen Hotel Oriental und Karlsplatzpassage, wobei die Regisseurin die Szene Autor / Schulmädchen (um sie so zu nennen) als Telefonsex stattfinden lässt. Der junge Mann und die junge Frau absolvieren ihren Sex übrigens im Stiegenhaus. Kommt es noch darauf an, wo ohnedies alles falsch ist?

Was tun während des Geschlechtsakts? Das ist die zentrale Crux jeder „Reigen“-Inszenierung auch des Theaterstücks. Hier gibt es Videos (Falko Herold zeichnet auch dafür und die Allerwelts-Kostüme verantwortlich), und die sind meist (graue Gestalten bewegen sich in Rhythmischer Gymnastik) eher einfallslos, nur einmal witzig, wenn um den Autor in der Telefonszene beim Orgasmus die Wortfetzen zu kreisen beginnen: Sex als Inspiration.

Wenn vorgesehen ist, dass fünf Darsteller die zehn Rollen verkörpern, dann muss einer das Geschlecht wechseln: Countertenor Thomas Lichtenecker tut es, erst als verklemmter junger Herr, dann als Schauspielerin, die sich in ihrer Garderobe als DragQueen und gender-switchend erweist (so putzt man sich aktuell auf). Barbara Pöltl als vor allem am Ende selbstbewusste Prostituierte und als junge Frau (Sex im Treppenhaus oder auf der Waschmaschine, das Leben ist hart heutzutage), Anita Giovanna Rosati als Hausmädchen und Schulmädchen, Marco Di Sapia als Ehemann und ehemaliger Graf, jetzt Privatier, sowie der die Szene stehlende Alexander Kaimbacher als widerlich proletarischer Polizist und hektisch-fickriger Autor. Sie alle singen neben der Tonalität her und sind von der Regisseurin gut geführt, mit keinerlei darstellerischen Mätzchen belastet, die die Sache noch unklarer gemacht hätte, als sie in ihrer Oberflächlichkeit schon ist.

Natürlich wurden die Darsteller sowie Walter Kobera am Pult des amadeus ensemble-wien mit reichem und für ihre Leistungen auch verdientem Beifall belohnt. Aber wirklich gebraucht hat man diese musikalische Schnitzler-Verballhornung nicht.

Renate Wagner

FRANKFURT / Alte Oper: SERGIO TIEMPO-FRANKFURTER OPERN- UND MUSEUMS ORCHESTER-ALEXANDER PRIOR“

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Frankfurt / Alte Oper: „SERGIO TIEMPO-FRANKFURTER OPERN-UND MUSEUMS ORCHESTER-

                                        ALEXANDER PRIOR“  –  18.11.2019

 

                                              Wenn Sterne singen…

 

Eine interessante Programm-Vielfalt bot das Frankfurter Opern- und Museumsorchester zu seinem 3.Abo-Konzert in der Alten Oper in dessen Mittelpunkt der Pianist Sergio Tiempo stand.

Der 1972 in Caracas / Venezuela geborene Klavier-Virtuose hatte die „Rhapsodie über ein Thema von Paganini“ (Sergej Rachmaninow) im Gepäck. Nach der kurzen Introduktion bei welcher zur Wiederholung des Hauptmotivs sich immer höhere Oktaven systematisch konstruieren und die Variationen einleiteten. Sergio Tiempo verfügte zweifellos über immense kraftvolle Reserven des Auftrumpfens, doch wie mir schien, bevorzugte der Pianist zunächst mehr die weiche Lyrik, die elegischen Grundzüge des Vortrags und pendelte sich allmählich zu formaler Technik ein. Mit einer Palette von Klangfarben  in höchster Virtuosität beeindruckte Tiempo u.a. zur Variation Nr. 6 durch organische und stilsichere Tempo-Modifikationen.

Faszinierend zu erleben in welcher Intensität sich der Tasten-Künstler in die dramatischen Steigerungen zu brillantem Pathos hineinmanövrierte, in prickelnder Brillanz, kantabel-plastischem Spiel wurden die Variationen 11 + 12 serviert um nur wenige zu nennen, welche der temperamentvolle Pianist als nostalgischen Abgesang voll Melancholie aufzufassen schien und ebenso den weniger expressiven Passagen die emotionale Tiefe sowie lyrische Elegien schenkte.

Frisch, voll spürbarer Spielfreude und elektrisierender Intensität begleitete das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter der fachkundigen, spannenden Leitung des Gastdirigenten Alexander Prior, welcher der rhapsodischen orchestralen  Substanz gewisse metallisch-kantige Akzente verlieh.

Das begeisterte Publikum wurde mit einer wunderschön interpretierten Zugabe belohnt.

Quasi als Ouvertüre wurden die Besucher zur „Nacht auf einem kahlen Berge“ (Modest Mussorgsky) geladen. Zur imposanten Orchestrierung des Komponisten-Kollegen Nikolai Rimsky-Korsakow entführte Alexander Prior in die musikalischen Abschnitte: Unterirdischer Lärm von Geisterstimmen – Erscheinen von Geistern in der Finsternis, danach des Satans selbst, vom Komponisten eigens betitelt. Vortrefflich vermittelte das bestens disponierte Orchester die orgiastischen Vorgänge, die erschreckenden Töne der Höllenmesse sowie ebenso die finale Verklärung zum Glöckchen der fernen Dorfkirche, welches den Geistern der Finsternis ihrem dämonischen Treiben ein Ende setzte und zum Tagesanbruch zerstreute.

Nach der Pause erklangen die musikalische Galaxien „Die Planeten“ von Gustav Holst. Wenn Sterne singen, dass Musik eine universelle Sprache sei die direkt aus dem Kosmos auf uns Menschen einwirkt, davon wussten schon die alten Griechen zu berichten. Nun begaben wir uns auf eine musikalische Raumfahrt mit dem FOMO zu diversen Planeten welche allerdings nicht im originalen Ablauf um die Sonne kreisten, sondern lediglich die sieben wichtigsten Lebensphasen der Menschheit widerspiegelten. Schließlich charakterisierte der begeisterte Hobby-Astrologe Holst seine „Planeten“ als eine Folge von musikalischen Stimmungsbildern, einer Synthese spätromantisch-impressionistischer Orchestrierungen.

Nun möchte ich nicht die einzelnen Instrumentalgruppen hervorheben sondern den Klangkörper als kompaktes Ganzes sehen und bewerten. Vortrefflich folgten die Musiker den Intentionen ihres Gastdirigenten welcher es bestens verstand die Farbwirkungen der Partitur besonders dynamisch und klanglich höchst präsent zu offerieren, wenngleich er zuweilen beim Eruptiven über die Stränge schlug zu Lasten der Präzision. Es versteht sich von selbst, dass die konträren teils konstanten oder unregelmäßigen Rhythmen im Mars oder im Neptun ihre hypnotische Wirkung auf den Hörer keineswegs verfehlten. Großartig schwebende Akkorde und lyrische Harfen- und Celesta-Sequenzen unterstrichen zudem die melodischen Konturen,  effizierten auf wunderbare Weise Sphären-Klänge entrückter unendlicher Galaxien. Traumhaft elegisch erklang die friedvolle Stimmung der Solo-Violine zur Introduktion auf der Venus. Hingehaucht, versonnen in unendliche Sphären entschwebend intonierte der Damen der Oper Frankfurt (Tilman Michael) die verklärenden Akkorde des mystischen Neptuns.

Großer langanhaltender Applaus und Bravochöre des Auditoriums als Dank für die spannende musikalische Galaxisreise.

Gerhard Hoffmann

MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: DIE TOTE STADT. Premiere

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MÜNCHEN-Nationaltheater „Die Tote Stadt“ Korngold Premiere vom 18.Nov. 2019

Musikalischer Weltenwurf von Petrenko, Petersen und Kaufmann zu magerer kräftezehrender Szene in Aufführungstradition der 70er Jahre düsterer amerikanischer Sozialdramen

Einlassungen von Tim Theo Tinn

(Kursives für unwichtiges, aber ärgerliches Gewäsch –ggf. überscollen)

 „Marcello“ hat im Merker -Forum die exakten Daten der Entstehung solcher Dramen notiert. Für lexikalisches Wissen:                                  https://onlinemerker.com/forum/onlinemerker/ttt-fragen-ueber-fragen/

Hier finden sich auch erneut unreflektierte Aggressionen zum Rezensenten:

Unerträglich, … völlig unsinniges Zeug, …kapiert offensichtlich gar nichts!

… plustert sich …ungebührlich auf, abwertend …glänzt …durch fehlende Kenntnis            (Lohengrin2)

selbstverliebte Schnurrereien, …kein grandioser Sprachkünstler(Anmerkung: stimmt!)

Der Anspruch eines 27jährigen, der z. B. T. Hampson als ekelig von der Bühne verweist, ist für mich gemein, verletzend und kenntnisfrei.  Da werde ich als „fies“ gebrandmarkt. Offensichtlich stimmt hier jemand der Hampson-Diffamierung zu.                                        (Dalmont + Karl)

Ersatz-Handke des Merker, …verbalinkontinente Duftmarke.                                                (Karl)

Es betrübt, dass die online Anonymität Kinderstuben offenlegt. (für diese Menschen: hier schreibe ich keine launigen Essays)

Es hieße „Eulen nach Athen tragen!“, wenn die vielfach beschriebene Weltgeltung von Petrenko, Petersen und Kaufmann hier noch weit vertieft wird.

Sie haben sich auf ein Musiktheaterabenteuer eingelassen und damit die Weltgeltung der Bayrischen Staatsoper und ihre bekannte Qualität übertroffen.

Nicht zum ersten Mal: eine interpretative musikalische Referenzsichtung mit überirdischer kosmischer Wirkungsmacht – ein Jahrhundertereignis!

Petrenko und das Staatsorchester kreieren idealen wuchtigen Zugang … 

Marlis Petersen: Orchester und Gesang bleiben ohne Dominanz mühelos beieinander, …  großartige Wortdeutlichkeit, …übermächtige Kunst im genialen Können.

Jonas Kaufmann steht im Zenit seiner Möglichkeiten.  Es bleibt erstaunlich, wie er den großartigen mächtigen Gesang über Stunden auch höchstem Niveau hält. Dabei fordert die Szene immer wieder kräftezehrende Aktionen (Leitern und Regale rauf und runter etc.)

Besetzung, Medien, Inhalt etc. https://www.staatsoper.de/stueckinfo/die-tote-stadt.html

Ursprüngliche Handlung ggf. besser hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Die_tote_Stadt

Die Tote Stadt ist musikalisch „Sturm und Drang“, das Korngold (Wunderkind) im Alter von 17 – 22 Jahren komponierte, dabei schuf er in jugendlicher Unbekümmertheit Gesangslinien, die nur wenige Sänger bewältigen. Das Libretto seines Vaters ist relativ simpel strukturiert.

„Glück, das mir verblieb,
rück zu mir, mein treues Lieb.
Abend sinkt im Hag
bist mir Licht und Tag.
Bange pochet Herz an Herz
Hoffnung schwingt sich himmelwärts“.

  Seite 151 aus der komplexen Partitur (Anfang 2. Akt) eines 22jährigen Komponisten!

Im Rahmen der „Catbelling“ – Reihe untersuche ich derzeit die Zukunftsfähigkeit der Musiktheaterlandschaft und komme zur Frage, ob man sich nicht auf singuläre Konzerte, ggf. halbszenisch, beschränken sollte, wenn die Musiktheaterinszenierungen ihre theatrale Identität verlieren und in Konkurrenz zu anderen darstellenden Künsten (Film, TV etc.) treten, bzw. mit dortigen Vorführungen die Bühnenpräsenz in Frage stellen und immer wieder auch kinematografische Lösungen in die Bühnenpräsentation integrieren.

Die hier rezensierte Szene ist durchaus akzeptabel als uninspirierte Umsetzung. Da stimmt grundsätzlich Textbezug und Handlung – aber atmosphärisch?  Es bleibt szenisch „lauwarm“.

Statisterie – Jonas Kaufmann klettert im Regal © Wilfried Hösl

Bildergebnis für münchen die tote stadt

Marlis Petersen, Jonas Kaufmann  © Wilfried Hösl

Bildergebnis für münchen die tote stadt
 Jonas Kaufmann, Marlis Petersen  © Wilfried Hösl


Jonas Kaufmann, Marlis Petersen  © Wilfried Hösl

Statisterie, Jonas Kaufmann © Wilfried Hösl

Bildergebnis für münchen die tote stadt
Jonas Kaufmann, Marlis Petersen  © Wilfried Hösl

 Jonas Kaufmann, Marlis Petersen  © Wilfried Hösl

Das ist z. T. auch unterhaltsam, aber atmet keine musikalische Atmosphäre, ist nicht  artifiziell für das Musiktheater „Die Tote Stadt“, sondern gegenwärtig und Alltag.

Das Bühnenbild ist Film-Kulisse, in der man beliebige Filme drehen könnte.

 Dazu verweise ich auf meine Tosca Besprechung (szenischer abstrahierter Surrealismus … beinhaltet alle nötige Verortung in optischen Zitaten .. optische Theatersprache, die singulär nur hier …)                                                                                                                               https://onlinemerker.com/muenchen-gaertnerplatztheater-tosca-neuinszenierung/

Als uninformierter Zuschauer habe ich einen 70er Jahre Bungalow auf Drehbühne gesehen, in dem ein verwitweter Mann seinen Obsessionen nachgeht, versucht ein Abbild seiner toten Frau in einer ähnlichen Person zu erzwingen. Der Bungalow scheint auch Krebsklinik zu sein, da immer wieder glatzköpfige Frauen in OP-Hemden umherlaufen. Nach diverser Wirrnis erwürgt der Mann sein Substitut. Der Ersatz taucht aber wenige Minuten wieder auf, quicklebendig und fährt mit dem Fahrrad davon. Der Mann trinkt nun Bier aus der Flasche.

Wer die Geschichte also nachvollziehen will, sollte sich vor der Vorstellung informieren.

Tatsächlich ist die Vorlage, der Roman «Das tote Brügge» von Georges Rodenbach, Schlüsselwerk des französischen Symbolismus, davon hätte es mehr gebraucht als den tristen 70er Jahre Realismus.

Mir fehlt die tote Stadt, ein Haus als „Kirche des Gewesenen“ (Libretto), atmosphärisch Visionäres zu „dunklen Kais, schwarze Grachten, huschende Schatten, etc, (Luzi Korngold), Abgeschiedenheit und Weltentfremdung, verschwimmende Parallelwelten in Traum und Wirklichkeit, die spirituelle Erscheinung Pauls toter Frau. Es gibt keine Vision, keine Utopie, kein Traum, nichts Surreales, im besten Fall Andeutungen, wenn die Zimmerbeleuchtungen flimmern.  Warum verweigert man nachvollziehbare szenische Transformation in werkimmanente Traumwelten, Visionen und Alpträume?


Fernand Khnopff  – Une ville abandonnée – 1904

Korngold über die Tote Stadt: Die eigentümliche Brügge-Stimmung, der schwermütige Grundton, die beiden Hauptgestalten mit ihren fesselnden seelischen Konflikten, der Kampf der erotischen Macht der lebenden Frau gegen die nachwirkende seelische Macht der Toten, die tiefere Grundidee des Kampfes zwischen Leben und Tod überhaupt, insbesondere der schöne Gedanke notwendiger Eindämmung der Trauer um teure Tote durch die Rechte des Lebens, dabei überall eine Fülle musikalischer Gestaltungsmöglichkeiten, all das zog mich an.

  1. 2019    Tim Theo Tinn

TTT‘s Musiktheaterverständnis ist subjektiv davon geprägt, keine Reduktion auf heutige Konsens- Realitäten, Yellow-Press Wirklichkeiten in Auflösung aller konkreten Umstände in Ort, Zeit und Handlung zu haben. Es geht um Parallelwelten, die einen neuen Blick auf unserer Welt werfen, um visionäre Utopien, die über der alltäglichen Wirklichkeit stehen – also surreal (sur la réalité) sind.

Profil: 1,5 Jahrzehnte Festengagement Regie, Dramaturgie, Gesang, Schauspiel, auch international. Dann wirtsch./jurist. Tätigkeit, nun freiberuflich: Publizist, Inszenierung/Regie, Dramaturgie etc. Kernkompetenz: Eingrenzung feinstofflicher Elemente aus Archaischem, Metaphysik, Quantentheorie u. Fraktalem (Diskurs Natur/Kultur= Gegebenes/Gemachtes) für theatrale Arbeit. (Metaphysik befragt sinnlich Erfahrbares als philosophische Grundlage schlüssiger Gedanken. Quantenphysik öffnet Fakten zur Funktion des Universums, auch zu bisher Unfassbarem aus feinstofflichem Raum. Glaube, Liebe, Hoffnung könnten definiert werden). TTT lässt sich gern engagieren – publizistisch oder im Theater für weitere Aufgaben.

Tim Theo Tinn

WIEN / Vienna’s English Theatre: THE MOUSETRAP

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Foto: Reinhard Reidinger

WIEN / Vienna’s English Theatre:
THE MOUSETRAP von Agatha Christie
Premiere: 5. November 2019,
besucht wurde die Vorstellung am 19. November 2019

Die Dame, die in Vienna’s English Theatre neben mir sitzt, ist offenbar ein „Mousetrap“-Neuling. Das ist gar nicht so einfach. Erstens ist wohl jeder London-Besucher irgendwann im St. Martin’s Theatre gelandet, um eine Aufführung dieses Stücks der Superlative zu sehen. Es wird schließlich seit 1952 ohne Unterbrechung gespielt (ein unerreichter Rekord). Auch in Wien haben wir es des öfteren, zuletzt 2013 an den Josefstädter Kammerspielen, gesehen. Aber es gibt auch Leute, die das trickreiche Gespinst offenbar doch noch nicht kennen. Die Dame neben mir befragt ihr Smartphone, das höflich genug ist, den Täter nicht zu verraten. Nur: Plötzlich merken die Gäste in dem verschneiten Haus, liest sie ihrer Nachbarin vor, dass sich ein Mörder unter ihnen befindet… „Das wird lustig!“ freut sie sich.

Und genau das wird es auch. Wenn man nämlich ein „Mausefalle“-Veteran ist und  sich nicht mehr um das „Wer ist der Täter?“ bekümmern muss, kann man sich so richtig an der Machart des Stücks vergnügen. Mit wie viel Ironie hat Agatha Christie da die Klischees des Genres (von einsamen Landhaus bis zum „unerwarteten Gast“, von dem man tatsächlich nicht erfährt, was es mit ihm für eine Bewandtnis hat) zusammen gemixt. Mit wie viel Witz stellt sie die typischen englischen Figuren auf die Bühne, vom pensionierten Major über den zappelnden Exzentriker bis zur nörgelnden alten Besserwisserin, die mit ihrer unfreundlichen Meinung nie hinter den Berg hält. Und schließlich die Lösung der Geschichte? Sie ist zwar ausgesprochen unfair (aber das hat sie auch in ihren Romanen immer wieder getan – man erinnere sich, wie in „Alibi“ der Täter selbst die Story erzählt, ohne dass man es weiß) – aber beim ersten Mal war man überrascht. Und es ist schon sehr geschickt zurecht gebogen, wie Detective Sergeant Trotter die Herrschaften nach und nach beschuldigt, so dass man irgendwann jeden für den Täter halten könnte…

Dergleichen will sorgfältig auf Pointen und Übergänge inszeniert werden, und das gelingt Regisseur Philip Dart in dem stimmungsvollen, so „britischen“ Bühnenbild von Judith Croft ganz vorzüglich, nur manchmal könnte er noch mehr Tempo vorlegen.

Grace Stone, die als Mollie Ralson wie eine brave, biedere Hausfrau beginnt, rückt im zweiten Teil des Abends mit Verve ins Zentrum des Geschehens. So viel Temperament darf Cai Brigden als ihr Gatte Giles Ralston nicht zeigen, ihn hat Agatha Christie in der Pension, die er und die Gattin führen, meist zum Kofferträger mit ein paar Anfällen von Eifersucht degradiert.

Unter den Hausgästen muss immer die scharfzüngige Mrs Boyle hervorragen, und Karren Winchester hat absolut keine Schwierigkeit damit. Als bunter Vogel namens Mr. Paravicini nützt Michael Fenner all die Chargeneffekte, die er bekommt, dergleichen der junge Mann, der sich Christopher Wren nennt (Alexander Wolfe mit einem Hauch britischer Schwulheit), der sich seine Pointen sichert. Major Metcalf (Mark Katz) und Miss Casewell (Olivia Chappell) haben gegen Ende der Handlung Überraschungen bezüglich ihrer Identität zu bieten…

Ja, und der Detective Sergeant Trotter, der schneebestöbert durch das Fenster in das abgeschiedene Haus einsteigt (immer eine Pointe für sich), ist ja nun wohl die beste Rolle, so entschlossen, wie er den Mörder sucht – Matthew Biddulph tut es zumal mit nachdrücklichem irischen Akzent, der ihn noch besser verständlich macht als alle seine Kollegen.

Am Ende gibt es natürlich die Bitte an das Publikum, die Pointe nicht zu verraten. Ehrensache!

Renate Wagner

DRESDEN / Kreuzkirche: „GESPRÄCHSKONZERT“ MIT ARIBERT REIMANN

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Dresden / Kreuzkirche: „GESPRÄCHSKONZERT“ MIT ARIBERT REIMANN – 19.11.2019

Die Verbindung der Sächsischen Staatskapelle Dresden mikt dem Festspielhaus in Hellerau, das einst für das moderne Ballett gebaut wurde, hat eine lange Tradition. Fritz Busch und r November mit seinem trüben, kühlen Wetter und ständig zunehmender Dunkelheit stimmt viele Menschen traurig, melancholisch oder sogar depressiv und lenkt die Gedanken auf die Vergänglichkeit. Da gehört es zur jahrzehntelangen Tradition des Dresdner Kreuzchores, am Ewigkeitssonntag “Ein Deutsches Requiem“ von Johannes Brahms aufzuführen, das trotz Trauer und Gedanken an Tod und Vergänglichkeit so viel Trost und Zuversicht spendet und wahrscheinlich auch deshalb zu einem seiner populärsten Werke gehört. Da der Kreuzchor jedoch derzeit international sehr gefragt ist und seine Gastspiele wahrnehmen möchte, wurde der Termin auch in diesem Jahr eine Woche vorverlegt.

Es ist erstaunlich, wie das vor etwa 150 Jahren von Brahms komponierte „Requiem“ noch immer tief berührt. Es ist kein liturgisch gebundenes Werk und nicht im kirchlichen Auftrag komponiert. Brahms widersetzte sich sowohl einer streng religiösen als auch einer kunstreligiösen Erwartungshaltung und verwendete Clara Schumann gegenüber lakonisch den Begriff „Menschenwerk“. Nicht zuletzt auch u. a. durch den Tod seiner Mutter sind die, von Brahms selbst zusammengestellten Bibeltexte zutiefst empfunden und beruhen auf sehr persönlichen Erfahrungen und Empfindungen, die der Zuhörer in der kongenialen Einheit von Text und Musik bewusst oder unbewusst nachempfindet.

In Brahms‘ Vertonung werden die sehr ernsten Texte zu trostspendender Musik und Zuversicht. Kein Wunder, dass sich dieses Werk seit seiner Uraufführung so großer Beliebtheit erfreut und die Menschen vor Dresdens größter Kirche mit über 3000 Plätzen, von denen nur die mit Sichtbehinderung frei blieben, trotz nasskaltem Wetter lange Schlangen bildeten, um die Aufführung zu erleben.

Traditionsgemäß waren der Dresdner Kreuzchor, zur Verstärkung das Dresdner Vocalconcert (schon wegen der Frauenstimmen), die Dresdner Philharmonie und zwei Solisten mit Oratorienerfahrung in der Kirche versammelt, um das Werk zur Aufführung zu bringen. Sie engagierten sich sehr für eine stilgerechte Wiedergabe und brachten ihre Erfahrungen aus vielen vorherigen Aufführungen auf sehr hohem Niveau mit ein. Es gab berückende Momente voller Innigkeit und Klangschönheit im Zusammenwirken von Chor und der, trotz Verjüngung und immer wieder neuen Zusammenstellung sehr zuverlässig und mit ihrem warmen, beeindruckenden Klang und viel musikalischem Einfühlungsvermögen musizierenden Philharmonie, die das sichere Fundament bildete.

Die beiden Chöre beherrschten die Nuancen vom feinsten Pianissimo („Selig sind, die da Leid tragen …“) bis zum Forte („Denn alles Fleisch, es ist wie Gras…“). Was bei dieser Aufführung beeindruckte, war nicht unbedingt die technische Perfektion, sondern die persönliche Anteilnahme von Chor und Orchester, die zu einer guten, aus der Erfahrung resultierenden Diktion und in einer großen inneren Dynamik zu mitreißender Wirkung führte. Da fallen kleine Ungenauigkeiten und eventuelle Unsicherheiten wie nach der Bass-Arie („Der Gerechten Seelen sind in Gottes Hand“) nicht weiter ins Gewicht. Mit „Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth …“ setzte der Chor dann wirklich lieblich und klangschön ein.

Bezüglich der Solisten ist man an dieser Stelle hinsichtlich Stimme, gesangstechnischer Perfektion und Innigkeit des Ausdrucks sehr verwöhnt. Romy Petrick widmete sich bei der Sopranpartie vor allem der gesangstechnischen Seite und konnte so auch überzeugen, auch wenn man an dieser Stelle auf das große Crescendo der wie vom Himmel herabsteigenden, einige Zeit verweilenden und in einem tief bewegenden Decrescendo wieder entschwindenden Frauenstimme, wie es in früheren Zeiten an gleicher Stelle zu erleben war, verzichten musste. Die Basspartie wurde von Christoph Pohl mit der erforderlichen Intensität und richtigen Diktion, Verstand und Gefühl gestaltet. Die Leitung der Aufführung lag in den Händen von Kreuzkantor Roderich Kreile.

Abgesehen von einigen unbedeutenden Intonationstrübungen und Temposchwankungen war es eine bewegende Aufführung, bei der vor allem Engagement und innere Anteilnahme der Ausführenden Brahms‘ Musik zu ihrer Trost spendenden Wirkung verhalfen und in ihren Bann zogen. Jetzt ist man sehr auf technische Perfektion fixiert, betrachtet man aber die früheren Aufnahmen berühmter Interpreten, gab es da auch kleine Unstimmigkeiten, aber die Aussage stimmte und die Gestaltung war mitreißend, was hier auch zutraf. Die Aufführung berührte einfach, auch wenn man das „Brahms-Requiem“ schon, wer weiß, wie oft in den unterschiedlichsten Interpretationen gehört hat.

 Ingrid Gerk

 

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