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Film: DOCTOR SLEEPS ERWACHEN

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Filmstart: 22. November 2019
DOCTOR SLEEPS ERWACHEN
Doctor Sleep / USA / 2019
Drehbuch (nach Stephen King) und Regie: Mike Flanagan
Mit: Ewan McGregor, Rebecca Ferguson, Kyliegh Curran u.a.

Wer bei diesem Film an den Vorgänger „Shining“ denkt, soll das lieber lassen: Was 1980 Stanley Kubrick mit der Verfilmung des gleichnamigen Romans von Stephen King erreicht hat, ist in der Fortsetzung, die der Autor 2013 verfasste und die Mike Flanagan nun als Drehbuchautor, Regisseur und Produzent herausgebracht hat, von entschieden harmloserem Zuschnitt.

Die Hauptperson ist zwar der erwachsen gewordene Dan Torrance (in Gestalt von Ewan McGregor), dem man im Vorgängerfilm, wo sein „Vater“ Jack Nicholson herumgrinste und herumtobte, als Kind kennen lernte. Aber dieser Dan versucht, seine paranormalen Fähigkeiten durch Alkohol zu betäuben, und er möchte jedenfalls – nachdem er einigermaßen versucht hat, das Trauma seiner Kindheit zu überwinden, als Sterbebegleiter etwas Gutes tun. Die Szenen, die er im Hospiz mit einem alten Mann am Krankenbett verbringt, über die letzten Dinge grübelnd, sind übrigens höchst beklemmend. (Vor allem die panische Angst des Alten, dass nachher – gar nichts sein könnte.)

Aber es kann der Beste nicht in Frieden leben, wenn es Bösewichter gibt, die dies verhindern wollen… Seltsame Menschen begegnen uns auf der Leinwand, etwa ein kleines Mädchen wie Abra Stone (die 12jährige farbige Newcomerin Kyliegh Curran mit besonderer Präsenz), der ein Mann, der dies offenbar erkennen kann, sagt: „Nobody shines like you.“ Da ist es wieder, das Shining, die große übersinnliche Gabe.

Und diese bedeutet für gewisse Geschöpfe ein höchst begehrenswertes Gut – etwa für eine undefinierbare Dame, diese Violet Rose, die mit einem Zauberhut herumschlendert und unwiderstehlich die Aufmerksamkeit auf sich zieht: Ja, Rebecca Ferguson ist eindeutig der Clou des Films, viel interessanter als der lange Zeit „brave“ Dan mit dem freundlichen Gesicht von Ewan McGregor, der doch meist eher defensiv wirkt…

Regisseur und Drehbuchautor Mike Flanagan hat nun in zweieinhalb Stunden (gefühlsmäßig sind Stephen King-Verfilmungen immer überlang) die alte Geschichte vom Kampf der guten und bösen Mächte inszeniert, mit optischen Zitaten aus dem ersten Film (die langen Hotel-Korridore!) und mit einer gewaltigen Portion sowohl von Esoterik wie Übersinnlichem: Violet Rose ist auf der Suche nach den „Auserwählten“ wie jenes Mädchen Abra, das sie und ihre Sekte „The True Knot“ nur zu gerne auf den Opfertisch legen würden, um ihre magischen Kräfte zu melken und vielleicht sogar Unsterblichkeit zu erreichen. (Neben der Haupthandlung flutschen noch viele Nebenfiguren hinein, nicht alle hätte man gebraucht.)

Da muss Doctor Sleep zu seinem früheren Selbst erwachen, er holt sich alle Kräfte zurück, die er einst hatte, und nimmt zusammen mit Abra den Kampf auf. Da gibt es Zauber und Gegenzauber, und am Ende geht es wild zu (auch die aus „Shining“ bekannte Hacke wird wieder hervor geholt), und die Frage lautet dann nur, wer erwürgt und erschlägt wen…

Das ist eine ganz gelungene Mischung zwischen Figuren, an denen man Anteil nimmt und die interessieren, zwischen dem Glauben an Magie – und natürlich Horror, denn das ist es ja, wofür Stephen King steht.

Renate Wagner


Film: OFFICIAL SECRETS

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Filmstarts: 22. November 2019
OFFICIAL SECRETS
GB / 2019
Regie: Gavin Hood
Mit: Keira Knightley, Ralph Fiennes, Matthew Goode, Matt Smith, Rhys Ifans u.a.
Manche Whistleblower werden berühmt, von den Medien zu Helden hoch stilisiert, von den Ländern, die sie – nach deren Verständnis – verraten haben, gnadenlos verfolgt. Und es gibt andere, von denen man kaum etwas erfährt und die dennoch überaus mutige Aktionen der Zivilcourage gesetzt haben. Eines ist allen gemeinsam: Sie zahlen einen hohen Preis.

So wie Katherine Gun, deren Schicksal hier erzählt wird. Doch die – historisch überprüfbare – Wendung am Ende ist überaus bemerkenswert: Nachdem man ihr die längste Zeit die Hölle heiß gemacht hatte, beendete die Staatsanwaltschaft den Prozeß, bevor dieser noch richtig begonnen hatte, weil man Schwierigkeiten sah, ein Verbrechen nachzuweisen…

Katherine Gunn hat als Übersetzerin für den britischen Geheimdienst gearbeitet und tiefere Einblicke über die „unterirdische“ Polit-Arbeit gewonnen als der Durchschnittsbürger. (Zu ihrem Berufseid gehörte natürlich auch, mit niemandem darüber zu sprechen, was sie erfuhr.) 2003 waren die USA und auch die Briten fest entschlossen, im Irak einzumarschieren, wofür man die Behauptung von den angeblichen Atomwaffen von Saddam Hussein erfand. Mehr noch – die NSA (der Auslandsgeheimdienst der USA) war entschlossen, Mitlieder im UNO-Sicherheitsrat um ihre Zustimmung zu den Krieg zu erpressen…

Es wäre ein Krimi, wie diese Katherine Gunn (eine Meisterleistung der sich optisch hier so unspektakulär gebenden Keira Knightley, die keine Heldin, sondern ein Schicksal spielt) die Dokumente kopiert und aus der Behörde schafft, was zwar schwierig, aber nicht unmöglich war. Und wie sie entschlossen ist, das Unrecht öffentlich zu machen und den Krieg zu verhindern. Wofür sie Mitstreiter braucht, die diese scheinbar ungeheuerlichen Behauptungen verbreiteten. Wie die Presse (in diesem Fall der „Observer“) ihrerseits unendliche Zivilcourage benötigte, dies zu veröffentlichen (Matt Smith). Wie Katherine bei den Untersuchungen gegen alle Angestellten wohl hätte durchkommen können, weil es keine Beweise gegen sie gab, sie aber freiwillig gestand, um ihre Freunde und Mitarbeiter im Büro aus der schrecklich-drückenden Verdachtssituation zu befreien. Wie die Behörden nicht nur sie, sondern auch ihren türkischen Immigranten-Gatten (Adam Bakri) verfolgten (wie sie ihn in letzter Minute von der Abschiebung bewahren kann, kommt nicht ganz logisch herüber), wie Menschenrechts-Institutionen (mit Ralph Fiennes an der Spitze) sich für sie einsetzen, und wie schließlich alles für sie „happy endete“ – ein Krimi? Eigentlich nicht, dazu wird die Geschichte zu wenig reißerisch, zu nüchtern erzählt.

Im Grunde ist dieser Film von Regisseur Gavin Hood durch und durch politisch, handelt von der damaligen Situation, von den unglaublichen Risiken dieser Art von „Hochverrats“, von den Kämpfen in der Zeitungsredaktion, von den wie immer rücksichtslosen Medien und den Gerichten, die ja wohl wussten, dass Katherine Gunn schweres politisches Fehlverhalten aufgedeckt hatte… ein Film zum Mitdenken. In erster Linie das.

Spannend vor allem wegen der grundlegenden Frage: Wie viel Zivilcourage kann man von Menschen verlangen? Von den meisten gar keine, die Unrecht sehen, Achsel zucken oder wegschauen. Darum verdienen diejenigen, die sich aus reinen Motiven zum Handeln entschließen, die Bewunderung, die Katherine Gunn mit diesem Film zuteil wird.

Renate Wagner

Film: MARRIAGE STORY

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Filmstart: 22. November 2019
MARRIAGE STORY
USA (Neftlix) / 2019
Drehbuch und Regie: Noah Baumbach
Mit: Scarlett Johansson, Adam Driver, Laura Dern, Ray Liotta, Alan Alda, Julie Hagerty u.a.

Nein, eine Ehegeschichte ist es nicht, die man hier sieht, weit eher eine Scheidungsgeschichte. Und viel mehr als „nur“ ein Fernsehfilm. Netflix steckt so viel Geld und große Besetzungen in viele seiner Produktionen, dass die Idee ziemlich nahe lag, damit auf Festivals und schließlich ins Kino zu gehen. Nicht jeder will ein Fernseh-Abo, aber einzelne Produktionen haben Leuchtkraft genug, um im Kino zu reüssieren: Martin Scorseses „Irishman“ (mit Robert De Niro) oder „Marriage Story“ von Noah Baumbach mit Scarlett Johansson. Wobei die US-Presse vermutete, dem Regisseur (auch Drehbuchautor und Produzent) sei die herz- und auch nervenzerreißende Geschichte einer Trennung so überzeugend gelungen, weil er sie im wirklichen Leben am eigenen Leib empfunden hat…

Nicole und Charlie sind Künstler, sie Schauspielerin, er Regisseur, der in New York Off Broadway seine eigene Truppe hat, mit der er experimentelle Produktionen auf die Beine stellt (was sehr viel Geld verschluckt). Nicole, die einst die reelle Chance hatte, ein großer Fernsehstar zu werden, hat sich entschlossen, lieber in Charles’ Theaterproduktionen dabei zu sein. Sie haben auch einen kleinen Sohn.

Als er acht Jahre alt ist, zerbricht die Ehe. Woran? Auch an einem Seitensprung seinerseits, vielleicht. Vor allem aber daran, dass der Mann das gemeinsame Leben bestimmt und gar nicht auf die Idee kommt zu fragen, ob das der Gattin auch recht ist. Nicht, dass er ein übler Kerl wäre, überhaupt nicht. Und sie schwenkt auch keine Selbstverwirklichungs-Feministenfahne, als sie mit Söhnchen Harry zurück zu Mutter (Julie Hagerty als schreckliche Kalifornien-Pflanze) nach Los Angeles zieht, denn die Fernsehrolle, die sie da spielt, bringt zwar viel Geld, scheint aber kläglich…

Immerhin, es ist nicht so, dass die beiden sich nicht mehr mögen. Einen großen Teil des (ehrlicherweise muss man es sagen: mit zweieinviertel Stunden zu langen) Films dürfen Scarlett Johansson (mit chicer Kurzhaarfrisur, weit entfernt von der schönen Blonden ihrer Jugend) und Adam Driver in langen Gesprächen ihre Gefühle ausloten. Lang, ja, zu lang, aber doch von ihnen meisterhaft getragen. Aber das ist nur ein Teil der Geschichte.

Dort, wo man sich wünschte, Woody Allen würde satirisch dazwischen fahren, wird Noah Baumbach zu schwer (vermutlich angesichts eigener Leiden in solchem Fall): Da mögen zwei Menschen noch so sehr beschließen, eine Trennung friedlich miteinander auszumachen, die Umwelt wird sie den Anwälten in die Arme treiben – und damit beginnt eine wahre Hölle, nicht nur jene der unverschämt exorbitanten Honorare. Jede Kleinigkeit, die nichts bedeutet, wird ausgewalzt und hoch geputscht, ein Glas Wein, ein nebenbei gefallener Satz, auf einmal herrscht ein Höchstmaß an Druck und Feindseligkeit, dem der europäische Besucher (der dergleichen noch nicht selbst erleben musste) geradezu fassungslos gegenüber steht. Dazu kommt, dass man aus zwei Wohnorten – Los Angeles und New York – Kampfzonen und Kriegsgebiete dieser Scheidungsschlacht machen kann.

Das alles wird so aufgeheizt und so bitter, und hätte doch das Potential einer Screwball-Comedy gehabt: Einzig und allein Laura Dern als routinierte Anwältin, die für ihre Klientinnen das Optimum herauspresst, lässt schlaksig etwas von der schaurigen Komik ahnen, die da drinnen wohnt – Alan Alda als eher ratloser und Ray Liotta als gnadenloser Anwalt scheinen aus einem bitteren Leben gegriffen.

Und dazwischen, das erschüttert tatsächlich an diesem Film, steht der achtjährige Junge (Azhy Robertson). Er liebt beide Eltern (und sie ihn), ist jetzt tatsächlich zwischen ihnen hin- und hergerissen (obwohl beide sich bemühen, sich nicht unanständig zu benehmen), ein Kind, das nicht weiß, was geschieht und was es soll. Er wird zweifellos die Sünden dieser Scheidung lebenslang als Unsicherheitsfaktor in sich tragen.

Und trotz der starken, ehrlichen Elemente – ein etwas lockerer Zugriff hätte dem Ganzen gut getan.
Renate Wagner

WIEN/ Staatsoper: “ WINTERREISE“ mit Simon Keenlyside/ Thomas Adès

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Simon Keenlyside. Foto: Wiener Statsoper/Michael Pöhn

Wiener Staatsoper:  „Winterreise“; Simon Keenlyside, Thomas Adès,  19. November 2019

Am Todestag Schuberts, dem 19. November  kam es an der Wiener Staatsoper zur Aufführung der Winterreise, an der der Meister seine Freude gehabt hätte.


Simon Keenlyside, Thomas Adès. Foto: Wiener Statsoper/Michael Pöhn

Simon Keenlyside gestaltete das Werk tief empfunden, in perfektem Deutsch, vollkommen natürlich und ungekünstelt. Die Idealinterpretation, die nicht hoch genug gelobt werden kann, wurde von dem großen Musiker Thomas Adès  am Klavier mitgeformt.

Endloser Applaus, es war ein großes, ergreifendes Erlebnis.

Christoph Karner

FRANKFURT/ Alte Oper: Orchestre Philharmonique de Strasbourg (Bizet, Gershwin, Ravel)

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Georges Bizet
Suite Nr. 1 aus der Oper „Carmen“

George Gershwin
„Rhapsody in Blue“

Maurice Ravel
Suite Nr. 2 aus dem Ballett „Daphnis et Chloé“ ·
„Pavane pour une infante défunte“
„Boléro“

Orchestre Philharmonique de Strasbourg

Francesco Tristano Klavier

Marko Letonja Leitung

Ein attraktives Programm mit sehr bekannten Repertoire-Stücken vorwiegend französischer Komponisten präsentierte das Orchestre Philharmonique de Strasbourg bei seinem jüngsten Gastspiel in der Alten Oper Frankfurt. Chefdirigent Marko Letonja begann mit der 1. Carmen-Suite aus der berühmten Oper von Georges Bizet. Ein praller spanischer Farbenbogen, der sogleich die hohe Spielkunst des gastierenden Orchesters demonstrierte. Bereits hier zeigte sich die außerordentliche Qualität bei den Solisten des Orchesters, wie z.B. Flöte und Harfe. Die Dynamik war hervorragend ausbalanciert und die Transparenz des Orchesterspiels bestechend.

Ein großer Kontrast dann mit dem bekanntesten Werk von George Gershwin, seiner unwiderstehlichen „Rhapsody in Blue“. Das zwischen Jazz und Sinfonik angesiedelte Werk bleibt eines der großen Welterfolge Gershwins, der es selbst im Jahr 1924 uraufführte.

Als Solist gastierte der vielseitig begabte Francesco Tristano am Klavier. Als Komponist, Produzent und Pianist verfügt er über eine beeindruckende Schaffensbilanz, die ihn bereits schon in viele Konzertsäle führte.

Seine Interpretation von Gershwins Klassiker stellte das Jazzige schön in den Vordergrund. Ob Elemente des Blues oder des Ragtimes, Tristano konnte alle Finessen des Werkes überragend ausmusizieren. Flink in den Fingern, z.T. rasante Tempi, dann auch wieder ein maximales Innehalten und dazu ein freier agogischer Umgang. Herrlich lässig fühlte er sich in die faszinierenden Rhythmen ein. Hinzu kam seine verblüffende Virtuosität, die im Verein mit dem wach mitziehenden Orchester, das Werk in neuer Frische erleben ließ. Das Orchester verwöhnte einerseits mit großartigem Breitwandsound und konnte auch hier wieder mit superben Soli überzeugen. So erzeugte das berühmte Glissando der Klarinette am Beginn die notwendige Aufmerksamkeit. Letonja gab seinem Orchester viel Raum zur Entfaltung und ließ vor allem die Bläser swingen, das es eine reine Freude war. Der Orchesterklang wirkte sehr transparent, aber auch kompakt und knackig. Klar in den Marschrythmen und überaus hingebungsvoll in den kantablen Streicherpassagen.

Großer Jubel bei den Zuhörern, die mit einer besonderen Zugabe bedacht wurden. Francesco Tristano bedankte sich mit einer hinreißend dargebotenen sehr jazzigen Version von Gershwins Evergreen “s’Wonderful”, zur Überraschung aller, sekundiert von Mitgliedern des Orchesters am Saxophon und am Kontrabass. Das Publikum konnte sich wie einem Jazz-Club fühlen und tobte am Ende vor Begeisterung für dieses kostbare Juwel in außerordentlicher Darbietung.

Der zweite Teil war ganz Maurice Ravel gewidmet. Am Beginn stand seine 2. Suite aus seinem 1912 uraufgeführten Ballett „Daphnis et Chloé“. Hier zeigt sich der große französische Komponist auf der Höhe seiner Instrumentationskunst. Selten kann in der Spätromantik so viel Farbreichtum und Schillern in den einzelnen Orchesterstimmen bewundert werden. Der berühmte Sonnenaufgang hat in seiner überwältigenden Klangwirkung Musikgeschichte geschrieben. Das Orchestre Philharmonique de Strasbourg ist mit dieser Musik hörbar äußerst eng verwachsen. Beglückende Solibeiträge, etwa in den Holzbläsern und höchste Transparenz auch in den Tutti-Entladungen sorgten für große Erlebnismomente. Marco Letonja dirigierte äußerlich zurückhaltend mit großer Souveränität und drang mit seiner tief empfundenen Interpretation sehr weit zum Kern des Werkes vor.

1899 schrieb Ravel eines seiner bekannten Frühwerke für Klavier, eine Pavane für eine tote Prinzessin. Was zunächst wie ein Trauerstück anmutet, war von Ravel ganz anders beabsichtigt. In seiner Vorstellung ging es darum, wie eine kleine Prinzessin am spanischen Hof einen solchen Tanz getanzt haben mag. Erst 1910 gelangte die Orchesterfassung zur Aufführung. Ungemein weich intonierten die Hörner diese zarte impressionistische Komposition. Herrlich auch hier die Transparenz in den Streicherklängen. Saubere Soli, etwa die hingebungsvolle Oboe, gaben der Ausführung eine besondere Note. Marko Letonja ließ die Musik in Ruhe verinnerlicht atmen. Die Zeit stand still. Welche Kostbarkeit in exquisiter musizierter Darbietung!

Last but not least stand am Ende mit dem unverwüstlichen „Bolero“ das bekannteste Werk von Maurice Ravel auf dem Programm. Das 1928 entstandene Stück ist bis heute eines der meist gespielten Konzertstücke geblieben. Ravel zog in der Selbstbetrachtung freilich eine bittere Bilanz:“Ich habe nur ein Meisterwerk geschrieben, den Bolero und dieser enthält keine Musik!“ Der gefühlt endlos verlaufende ostinate Grundrhythmus der Trommel bietet jedem Orchester reichlich Gelegenheit, alle Orchestergruppen in den Mittelpunkt der Zuhörer zu stellen. Eine große Herausforderung in der Konzentration gilt es für den Trommler zu bewältigen. An die 170 Mal muss er die wiederkehrende Rhythmusfigur spielen.

Sehr zurückhaltend, aber äußerst exakt realisierte der Schlagzeuger seine Aufgabe bestens. Das Orchestre Philharmonique de Strasbourg nutzte nachdrücklich die Gunst, sich bestens zu präsentieren. Mit nicht nachlassender Konzentration zeigte es einmal mehr seine Klangschönheit. Dirigent Marko Letonja gab seinem Orchester hier besonders freies Spiel, so dass manche Phrasierung eine ganz eigene Farbe bekam. Überlegen sein Timing für die dynamische Entwicklung des Werkes. Die große Steigerung erzeugte beim Publikum einen verzückten Aufschrei der Begeisterung und stehende Ovationen!

Dirk Schauß

 

WIEN/ Theater an der Wien: LA FINTA GIARDINIERA – auf in Mozarts Gartenlaube!

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William Christie © Jean-Baptiste Millot
William Christie. Foto: Theater an der Wien

Theater an der Wien: „La finta giardiniera“, 19.11.2019: – Auf in Mozarts Gartenlaube!

Auf in die Gartenlaube! Mozart verführt auf delikateste Art. Alte Musik-Maestro William Christie ist mit seinem Pariser Ensemble Les Arts Florissants für einen Abend in das Theater an der Wien gekommen um „La finta giardiniera“ (Die Gärtnerin aus Liebe) mit den jungen Sängern des Jardin des Voix konzertant zu präsentieren. Konzertant? Weit besser als eine der grässlichen Opern-Inszenierungen. Und munter gespielt und gemimt wird trotzdem, heiter und sehr charmant, vor strahlendem wie nächtlichen Himmel und zwischen einigen Bäumchen und Blümchen. Die Illusion ist gegeben, und die Stimmung im Haus blüht für alle Mozart-Fans perfekt auf.

Blitzblank herausgeputzt hat Christie diese Opera buffa des 19jährigen Mozart. Nun ja, die melodisch phantasievoll gestalteten Arien sind schon sehr ausgedehnt und die wechselnden Spielchen zwischen Liebesglück und kleinen Tragödien werden noch so ganz in Rokoko-Manier vorgeführt. Die sieben SängerInnen, drei verliebt-zerstrittene Paare und der leer ausgehende Podestà dieser gepflegten Gartenparty sind Absolventen von Jardin des Voix, einer Talenteschmiede für junge Opernsänger, und auch dieser Stimmengarten scheint von Christie mit großer Sorgfalt betreut zu werden. Einziger Sänger mit Bezug zur heimischen Musikszene: Bassbariton Sreten Manojlovic aus Serbien hat an der Wiener Musikuniversität studiert. Mit harmonischem Stilgefühl haben sie all Mozarts Edelmusik zu vermitteln verstanden.           

Meinhard Rüdenauer

Wien/ Theater an der Wien: LA FINTA GIARDINIERA von W.A.Mozart – szenisch eingerichtet

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Wien/ Theater an der Wien: LA FINTA GIARDINIERA von W.A.Mozart – szenisch eingerichtet. 19. 11.2019

„Schwereloses Musizieren“
19.11. „La finta giardiniera“
Das Orchester „Les Arts Florissants“ und die Sängerakademie„Jardin de Voix“ unter William Christie gastierten im Rahmen einer Konzerttournee im Theater an der Wien. Auf dem Programm stand Mozarts „La finta giardiniera“ in einer stark gekürzten Fassung, aber szenisch eingerichtet.

http://www.operinwien.at/werkverz/mozart/agiard4.htm

Dominik Troger/ www.operinwien.at

STUTTGART/ Kammertheater: SCHÄFCHEN IM TROCKENEN von Anke Stelling

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Therese Dörr, Sylvana Krappatsch, Katharina Hauter. Foto: Björn Klein

STUTTGART/ Kammertheater: „Schäfchen im Trockenen“ von Anke Stelling am 20.11.2019

Das Milieu Scheidet

Seine Schäfchen ins Trockene zu bringen, heißt nicht, mit dem Schäferhund befreundet zu sein. Sondern den Stall und das Land zu besitzen.“ Die Verschärfung der Unterschiede zwischen den Bevölkerungsschichten ist zentrales Thema des Stückes „Schäfchen im Trockenen“ in der recht temperamentvollen Inszenierung von Sabine auf der Heyde (Kostüme: Teresa Heiß; Musik: Jacob Suske). Die Mitte der Gesellschaft wird hier gnadenlos bloßgestellt – Mittvierziger, die aus Westdeutschland nach Berlin aufbrachen und nun luxuriöse Eigentumswohnungen besitzen.

Leider bleibt Resi in dieser Gesellschaft außen vor, denn sie ist eine nur mäßig erfolgreiche Schriftstellerin. Die vier suggestiven Darsteller Therese Dörr, Katharina Hauter, Sylvana Krappatsch und Sebastian Röhrle machen diese ungewöhnliche Situation plastisch deutlich. Man versteht, wie viel vom Wohnen abhängt. Chancengleichheit bleibt ein bloßer Wunschtraum, wenn es ums Eingemachte geht. Ein hungriges Herz bleibt immer zurück. Resi lebt mit ihren vier Kindern im neuen Kreativ-Prekariat. Die Wohnung entpuppt sich als Hort der Neurosen, weil Resi sie wegen Kündigung verlassen muss. Man erfährt beispielsweise auch, dass Marianne von ihrem Vater verprügelt wird. Jetzt muss Resi die Schönheit der Welt wohl anderswo suchen. Neoliberalismus und Marktglaube haben bis jetzt nicht die erhoffte Lösung gebracht. Der hässliche Fußboden muss immer wieder geschrubbt werden. „Es ist notwendig, Menschen zu verletzen“, heißt es an einer Stelle des Stücks, das aber doch noch eine ganz entscheidende Wende bringt. Denn Resi wird mit einem neuen Buch plötzlich erfolgreich und vom Publikum anerkannt: „Ich soll einen Preis bekommen!“


Sebastian Röhrle, Katharina Hauter, Sylvana Krappatsch, Therese Dörr. Foto: Björn Klein

Diesen aufregenden Verwandlungsprozess lassen die Darsteller allesamt in ansprechender Weise Revue passieren. Resi hat Angst, sich zu irren, sie fürchtet, dass ihr Zorn sich auf das Falsche richten könnte. Sie geht zuletzt sehr selbstbewusst aus diesem Dilemma hervor. Und sie findet Diogenes als antikes Vorbild – Resi erledigt nun vor aller Augen ihre wichtige Aufgabe. Das hungrige Herz klaut sie sich von Bruce Springsteen, dem Boss. Dessen Song handelt von einem Mann, der Frau und Kinder in Baltimore hat und zu einem Motorradausflug aufbricht, von dem er nie mehr zurückkehrt. Geklagt wird hier auch immer wieder über die „brotlosen Künstler“, die aufgrund mieser Bezahlung so sehr am Hungertuch nagen. Resi, die ihre Altbauwohnung verlassen muss, schreibt eine verzweifelte Wutrede an ihre Tochter Bea. Da wird die Tochter dann auf eine grausame Welt vorbereitet, in der es sehr wohl wichtig ist, aus welchem Milieu man stammt. Beim Thema „Erben“ spielt die soziale Herkunft in jedem Fall eine große Rolle. Dies ist auch die zentrale Aussage dieser Inszenierung. Und gegen Rüstungsproduzenten und Nazis wird heftig gewettert. Zu Lothringer Speckkuchen wird Resi nach der rüden Wohnungskündigung aber eine riesige Summe für ein neues Bauprojekt angeboten: „Ich will kein Opfer sein, ich bin stark!“ Da werden dann plötzlich ganz neue Weichen gestellt.

Bei Anke Stelling soll sich Margaret Thatchers Devise „There is no society“ nicht vollkommen durchsetzen. Manchmal vermisst man bei dieser durchaus konsequenten Inszenierung die hintersinnigen und nachdenklichen Momente. Und dennoch werden die einzelnen Figuren in der recht kargen Ausstattung plastisch deutlich. Fazit: Je tiefer die Kluft zwischen Arm und Reich ist, desto unzufriedener sind die Bürger mit der Demokratie. Und die Zahl der Wütenden und Frustrierten wird steigen, wenn das Aufstiegsversprechen unglaubwürdig geworden ist.

Alexander Walther        


WIEN/ Staatsoper: OREST von Manfred Trojahn

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Georg Nigl, Daniel Johansson. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

WIEN/ Staatsoper: OREST – „Musiktheater in sechs Szenen“ von Manfred Trojahn

Wr. Staatsoper, 20.11.2019

Der November bringt in der Staatsoper nicht nur die Wiederaufnahme von „Die Weiden“ und „Ariodante“, sondern auch die zweite Serie von „Orest“, einer von Manfred Trojahn komponierten und auch getexteten Oper, die im Gegensatz zum vorher genannten Stück schon auf mehrere Inszenierungen zurückblicken kann. Wobei der Begriff „Oper“ nicht ganz richtig ist – Trojahn nennt das Stück selbst ein „Musiktheater in sechs Szenen“ – die allerdings durchgängig sind. Es ist ein kurz(weilig)er Abend, der nur 80 Minuten dauert und das Geschehen kompakt und geradlinig erzählt wird.

Die Handlung setzt dort ein, wo „Elektra“ endet – nach dem Mord des Orest an seiner Mutter Klytämnestra und erzählt das Geschehen der nächsten Tage. Um es kurz zu machen – Elektras Rachedurst ist noch nicht gestillt und sie stiftet ihren Bruder dazu an auch Helene, die aus Troja zurückgekehrt ist, zu töten. Menelaos hält sich aus machtpolitischen Gründen aus allem raus, der Gott Apollo (der sich auch als Dionysos ausgibt) möchte auch weiterhin den Orest als Werkzeug der Rache benutzen, ohne aber selbst Verantwortung zu tragen. Schlussendlich gelingt es Hermione, der Tochter Helenas, mittels eines Blicks in die Augen Orests, der sie eigentlich auch töten sollte, von dieser Tat abzuhalten. Sie, die als einzige keine Schuld auf sich geladen hat, vermag es den Orest zu erleuchten, indem er den Göttern abschwört und für die Zukunft sein Schicksal selbst in die Hand nimmt und zu seiner Schuld steht. Beide gehen ab – Ende des Stücks.

Das Stück ist sowohl für die Sänger als auch für das Orchester sehr schwierig, wie man allenthalben hört. Derjenige, der alles zusammenhält, ist Michael Boder, dessen Ruf als Spezialist für zeitgenössische Musik zu Recht besteht. Das Staatsopernorchester musizierte ungemein konzentriert (besonders hervorzuheben was an diesem Tag der Mann an den Pauken!) und erzeugte eine sehr düstere Stimmung, die dem Geschehen auf der Bühne entsprach. Ungefähr 100 Jahre nach der Straussschen Elektra fand Trojahn eine Tonsprache, die durchaus als eine Weiterentwicklung des Garmischer Meisters angesehen werden kann. Es wäre sehr spannend, an EINEM Abend beide Werke nacheinander zu hören – gemeinsam sind sie drei Stunden lang, eine Pause dazwischen – bei gutem Willen geht sich das aus!!!

Was allerdings bei zeitgenössischen Werken auffällt ist die Tendenz der Komponisten oft sehr extreme Höhen zu benutzen, die Sängerinnen und Sänger an die Grenzen ihrer Fähigkeiten bringen – mir ist noch nicht klargeworden, was damit bezweckt wird. Wie schon beim „Tempest“ hat Audrey Luna (Hermione) damit keine Probleme und ist, wie das gesamte Ensemble, ungemein wortdeutlich dabei. Obwohl vier der sechs Hauptprotagonisten „deutsch“ nicht als Muttersprache haben, konnte man überhaupt keinen Akzent hören! Ich hoffe, Audrey Luna einmal in einer Rolle zu hören, die aus dem „Standardrepertoire“ kommt…

Laura Aikin  als Helena spielte und sang überzeugend, Ruxandra Donose (Elektra) war manchmal gegen die Orchesterklänge nur zweite Siegerin. Michael Laurenz in der Rolle des Menelaos gab eine Talentprobe ab – da entwickelt sich ein vielversprechender Charaktertenor. Ähnlich wie Luna hatte Daniel Johansson (Apollo/Dionysos) einen sehr schwierigen Part zu singen, den er allerdings ähnlich bravourös meisterte.

Ein Sonderlob muss man dem Sänger der Titelpartie, Georg Nigl, aussprechen. Extrem Wortdeutlich (was bei einigen Stellen, wo man eher von Sprechgesang schreiben muss, sehr wichtig war), mit vollem Einsatz als Schauspieler und mit volltönendem Bariton konnte er den Orest überzeugend darstellen – eine ganz tolle Leistung, die mit vielen Bravo-Rufen beim Schlussvorhang belohnt wurde.

Der Haus- und Hofregisseur der Holender-Ära, Marco Arturo Marelli, der auf für Bühne und Licht zuständig ist, schuf (wie meistens) ein Einheitsbühnenbild. Die Kostüme sind modern (bis auf Apollo und sein Gefolge), die Bühne ist leer – somit kann man sich auf die ausgezeichnete Personenführung konzentrieren.

„Orest“ ist ein Stück, das durchaus das Potential hat, länger in einem Repertoirehaus wie der Staatsoper zu überleben (wie gesagt – eine Kombination mit Elektra bietet sich an). Die Vorstellung war zwar ausverkauft, allerdings (besonders am Balkon) haben es viele Abonnenten vorgezogen, nicht zu erscheinen. Sie haben einen interessanten Abend versäumt.

Kurt Vlach

HANNOVER/ Staatsoper: SALOME

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Eine blutverschmierte Frau mit einem abgetrennten Kopf in der Hand.
Copyright: Thomas M.Jauk/ Staatsoper Hannover

SALOME/  Staatsoper Hannover, 20. November 2019

Wiederaufnahme am 02.November

Nach den ersten Premieren der Saison, beim Publikum überwiegend sehr erfolgreich angekommen, muss sich es an der Staatsoper Hannover unter der neuen Intendantin Laura Berman auch auch der Repertoirebetrieb mit Wiederaufnahmen bestehender Produktionen beweisen. Wieder zu erleben ist die Inszenierung von Strauss‘ Salome, die im November 2017 Premiere hatte. Die sehr auf die Personen und den Text konzentrierte Regie von Ingo Kerkhof in der Ausstattung von Anne Neuser und Inge Medert kann auch zwei Jahre nach der Premiere noch überzeugen, und das in vielen Partien neu besetzte Ensemble vermag das ebenso.

Allen voran Rachel Nicholls, die mit der Salome nicht nur ihr Haus-, sondern auch ihr Rollendebüt in Hannover gibt. Die wagnererfahrere Sängerin geht die anspruchsvolle Partie mit großem stimmlichen Selbstvertrauen an und wirkt entschlossener, erwachsener als einige ihrer Rollenkolleginnen; ihr tragfähiger, kerniger Sopran, mit sicheren, klar platzierten Höhen, behauptete sich an diesem Abend sehr gut gegen die ausladenden Klangwogen, bis hin zu einem mühelos gesungenen Schluss. Rachel Nicholls wirkte als Darstellerin auf der Bühne sehr überlegt, manchmal introvertiert, was der Figur einige überdenkenswerte neue Nuancen abgewann. Ein interessantes und gelungenes stimmliches wie charakterliches Rollenporträt, das neugierig macht auf mehr aus dem Reigen der psychologisch komplexen Strauss-Partien.

Kostas Smoriginas war an ihrer Seite ein imposanter Jochanaan, der seinen voluminösen,   metallisch gefärbten Bariton technisch souverän führte und mit überwiegend klarer Diktion überzeugen konnte. Aus der Premierenbesetzung noch dabei war zum einen Robert Künzli, dessen schneidender Charaktertenor wie geschaffen ist für den Herodes; kurzfristig kam Khatuna Mikaberidze noch einmal als Herodias nach Hannover und gab die wenigen Stichworte ihrer Partie mit dramatischem Nachdruck. Aus dem übrigen Ensemble blieben vor allem Rupert Charlesworth als leidender Narraboth und Daniel Eggert als ausgesprochen präsenter Erster Nazarener im Ohr.

Stephan Zilias, auch er ein Debütant in Hannover, nahm sich Strauss‘ farben- und facettenreicher Partitur am Pult des Niedersächsischen Staatsorchesters an; die so üppig orchestrierte Musik stets unter Kontrolle zu behalten ist kein Leichtes und so wäre an einigen Stellen etwas weniger Phonstärke mehr gewesen; insgesamt aber animierte er das Orchester zu konzentriertem, farbigem und klangberauschtem Spiel, betonte durchaus die Modernität der Musik, die auch fast 115 Jahre nach der Uraufführung ungebrochen in Bann zieht.

Christian Schütte

 

WIEN / Kammerspiele: MORD IM ORIENTEXPRESS

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Alle Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Kammerspiele der Josefstadt:
MORD IM ORIENTEXPRESS von Ken Ludwig nach Agatha Christie
Deutschsprachige Erstaufführung
Premiere: 21. November 2019

„Mord im Orientexpress“ ist jener Agatha-Christie-Krimi mit dem (neben „Tod auf dem Nil“) vielleicht höchsten Filmruhm. Immerhin wurde Richard Widmark 1974 von Ingrid Bergman, Sean Connery, Vanessa Redgrave, Lauren Bacall, Jacqueline Bisset, Anthony Perkins, John Gielgud, Wendy Hiller und noch ein paar schauspielerischen Schwergewichten erstochen – das vergisst man nie. Da war man nur mit der Besetzung des Hercule Poirot mit Albert Finney (auch wenn er noch so ein Klasseschauspieler war) nicht ganz zufrieden. Die ideale Besetzung der Rolle für die große Leinwand fand man erst ab 1978 in Peter Ustinov… Nach weniger gelungenen Versionen versuchte es Kenneth Branagh 2017 erneut. Er hatte (trotz Michelle Pfeiffer, Judi Dench, Johnny Depp oder Derek Jacobi) weniger Besetzungsluxus, war aber seinerseits ein Poirot der besonderen Art.


Siegfried Walther als Poirot

Was soll der Filmexkurs? Zweierlei: Man kann voraussetzen, dass viele Leute die Geschichte kennen. Und: Man muss sie ganz besonders besetzen. Wenn man sie aufs Theater bringt, muss man sie außerdem straff bearbeiten und kinomäßig inszenieren (das ist schließlich Unterhaltung par excellence und nichts anderes). Was soll man sagen? Ziemlich gut gelungen in den Josefstädter Kammerspielen.

Das dankt man zuerst Ken Ludwig, der sein feines Händchen für Theaterspaß mit „Othello darf nicht platzen“ und anderen gelungenen Stücken über das Theater bewiesen hat. Er schmolz das Personal auf ein Minimum ein, behielt aber die besten Rollen (Lady Agatha ist ja, wie man weiß, gerne ausgeufert). Er setzt Poirot zu Beginn und Ende quasi als Erzähler ein, konzentriert aber die Handlung – nach einem kurzen Beginn in Istanbul – auf den Orientexpress: Vor dem Zug, im Salonwagen und in drei Luxusabteilen. Einzige Schwäche: Man hat nicht so viel Zeit wie im Kino, an den Charakteren zu feilen. Bis auf die raumgreifende Mrs. Hubbard bleiben sie alle eher flach. Aber da müssen dann Besetzung und Regie einschreiten.

Noch einer hatte an diesem Abend ein “Händchen”: Regisseur Werner Sobotka: Mit Hilfe von Walter Vogelweider und Elisabeth Gressel als geschmackssicheren Ausstattern (nostalgische Eleganz im Salonwagen, chice Zwischenkriegszeit in den charakterisierenden Kostümen), hat er mit dem nötigen Augenzwinkern den Abend so kinomäßig gestaltet wie möglich, mit Eisenbahndampf, Schneegestöber und vorbeiziehender Landschaft, wenn der Zug fährt.

 

 

Es ist ein Abend der (verbliebenen) Damen: Ulli Maier als scheinbare vielfach verheiratete, vollmundige Amerikanerin reißt das Steuer an sich und gibt es nicht mehr ab. Da muss selbst Marianne Nentwich in die zweite Reihe weichen, die ihre Prinzessin Dragomiroff weniger als alten Drachen als vielmehr dauerbesorgt um ihre lästige Begleiterin gestaltet: Therese Lohner spielt, wie es geht, um das unvergeßliche Vorbild von Ingrid Bergman herum und ist auf ihre Art sehr komisch. Michaela Klamminger, die schon in “Der Vorname” auf Anhieb stark auffiel, wiederholt ein Beispiel starker Bühenpräsenz in der Rolle der Gräfin Andrenyi, wenn sie auch nicht ganz so geheimnisvoll ist, wie sie sein könnte (wie gut ihr Ungarisch ist, mögen jene beurteilen, die es können). Da ist für Alexandra Krismer dann nicht mehr ganz so viel Platz in Gefüge geblieben.

Die Herren haben es weniger einfach, sie können leicht in Bedeutungslosigkeit versinken, selbst Johannes Seilern als (an der Mordsache unbeteiligter) Chef des Zuges und Markus Kofler als Schaffner, sicher Martin Niedermair als gänzlich unauffälliger Sekretär des Ermordeten. Diesen stellt Paul Matic (solange er noch lebt…) als überzeugendes Ekelpaket dar. Warum er noch einen Obersten spielen muss, ist wirklich nicht einzusehen: Hat die Josefstadt so wenige Schauspieler? (Dass der Schaffner davor in Istanbul noch kurz der Kellner war, kann man durchgehen lassen.)

Ja, und Hercule Poirot, die “Seele” des Ganzen? Ustinov, aber auch der hinreißende David Suchet in den vielen Fernseh-Abenteuern haben unsere Vorstellung des eitlen, peniblen, klugen und bezaubernden Detektivs – Belgier, bitte! – geprägt, aber diese Figur muss jeder selbst finden. Dass er seinen eigenen Weg geht, beweist Siegfried Walther schon damit, dass er auf abgezirkelte schwarze Haar- und Barttracht verzichtet und eigentlich, bis auf den französisierenden Akzent, ganz er selbst bleibt. Nett, sympathisch, liebenswert. Kein Poirot, den man ins goldene Buch seiner Interpreten einschreiben wird. Aber gut für die Kammerspiele, die nicht zuletzt dank der Inszenierung einen amüsanten Abend zu bieten haben. Das Publikum hat das wohl gerochen – viele Vorstellungen waren schon lange vor der Premiere ausverkauft.

Renate Wagner

WIEN / Staatsoper: EUGEN ONEGIN von Peter Iljitsch Tschaikowski

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Marina Rebeka (Tatjana) und Ferruccio Furlanetto (Gemin). Foto: Wiener Staatsoper /MIchael Pöhn

WIEN / Staatsoper: EUGEN ONEGIN von Peter Iljitsch Tschaikowski

51. Aufführung in dieser Inszenierung

21. November 2019

Von Manfred A. Schmid

In Wien schneit es derzeit noch nicht, immerhin aber auf der Bühne im Haus am Ring ist des Schneefalls schon jetzt kein Ende. Opernkenner werden es wissen: Der bindungsscheue Charmeur Eugen Onegin, der zu spät erkennt, dass er seine wahre Liebe vor Jahren leichtfertig aufs Spiel gesetzt und so für immer verloren hat, ist wieder in der Stadt. Die unterkühlte Inszenierung von Falk Richter aus 2009, im frostigen Ambiente des Bühnenbilds von Karin Hoffmann, ist auch in diesem Durchgang offenbar einzig und allein daraufhin angelegt, jeden Ausbruch von Leidenschaftlichkeit auf der Stelle einzufrieren. Damit das auch ja gelingt, sind die Sitzgelegenheiten inklusive Bettstatt von Tatjana aus Eisblöcken gezimmert, und rund ein Dutzend regungslose, schockgefrostete Liebespaare sind im Hintergrund postiert, offenbar in Erwartung des Tauwetters, das nicht und nicht kommen will.

Zum Glück ist Tschaikowkis Musik der Gefühlsüberschwang nicht auszutreiben. Der noch recht junge Dirigent Michael Güttler, der heuer im Frühjahr bei den Osterfestspielen in Erl für den aus dem Verkehr gezogenen Gustav Kuhn im Parsifal eingesprungen ist, zeigt keine Scheu vor den emotionsgeladenen, pastos aufrauschenden Passagen der Partitur, verleiht mit dem Orchester der Wiener Staatsoper aber auch den Ballszenen mit ihren exquisiten Walzern die ihnen eigene Note von Eleganz. Vor allem aus dem Orchestergraben kommt also an diesem Abend die Wärme, die man auf der Bühne so sehr vermisst.

Die mit Spannung erwarteten, in einschlägigen Medien groß angekündigten Rollendebüts von Boris Pinkhasovich in der Titelpartie und von Marina Rebeka als Tatjana sind nur zur Hälfte gelungen. Der russische Bariton verfügt über eine wohlklingende, angenehm timbrierte, hell getönte Stimme und macht als früh zum Melancholiker gewordener junger Mann, der nichts auf der Welt ernstnimmt, gute Figur. Auch in der Wiederbegegnung mit der inzwischen längst verheirateten Tatjana weiß Pinkhasovich zu überzeugen.

Boris Pinkhasovich bei seinem Rollendebüt als Eugen Onegin. Foto: Wiener Staatzsoper / Michael Pöhn

Marina Rebeka als Tatjana ist eine herbe Enttäuschung. Vom Glanz ihres Soprans ist wenig geblieben. Die von widersprechenden Gefühlen geprägte Briefszene gelingt ihr zwar noch einigermaßen, ohne wirklich zu berühren. Spätestens im letzten Akt aber, bei ihrem Auftritt als Gemahlin von Fürst Gremin, wirkt sie kraftlos und stellenweise kaum vernehmb. Ihr stimmliches Manko lässt die gesangliche Leistung von Margarita Gritskova umso mehr erstrahlen. Gritskovas Olga ist ein erfrischend junges Mädchen, unbekümmert in ihrer Lebenslust und Entdeckungsfreude. Monika Bohinec, assistiert von Aura Twarowska als Flipjewna, ist eine verlässliche, fürsorgliche Larina, die die auch am Lande allmählich hereinbrechenden gesellschaftlichen Veränderungen ängstlich und  besorgt zur Kenntnis nimmt.

Als schwärmerischer Dichter Lenski kommt Pavol Breslik zum Einsatz. Mit seiner wehmütig-sehnsuchtsvoll dargebotenen Arie „Wohin, wohin seid ihr entschwunden“ gelingt dem lyrischen Tenor die erwartete Glanznummer, aber auch schon zuvor im ersten Akt tritt gesanglich und darstellerisch markant Erscheinung.  Pavel Kolgatin hat als Triquet – ähnlich wie dessen Tenorkollege im Rosenkavalier von Richard Strauss – nur einen einzigen Auftritt. Er absolviert ihn mit Bravour und mit dem für diesen parodistischen Akt – aus unverständlichen Gründen ist er als Doppelgänger von Karl Lagerfeld geschminkt und kostümiert – angebrachten Augenzwinkern: Ist er doch der extra aufgebotene Überraschungsgast aus Frankreich, der bei Tatjanas Namenstagsfeier ein Ständchen beizusteuern hat.

Auch der Fürst Gremin tritt nur einmal – im dritten Akt – in Erscheinung. Aber seine weit ausholende, voll innerer Dankbarkeit vorgetragene Arie „Ein jeder kennt die Lieb auf Erden“ ist von anderem Kaliber und spielentscheidend. Dafür ist auch als Sänger ein anderes Kaliber erforderlich. Eine bessere Besetzung als Ferruccio Furlanetto kann man sich derzeit nicht wünschen. Der erfahrene Sängerdarsteller liefert mit seiner feinen, warmen Bassstimme und seiner einnehmenden Bühnenpräsenz den Höhepunkt eines begeistert beklatschten Opernabends.

22. September 2019

FRANKFURT/ Alte Oper: „IVETA APKALNA-HR SINFONIEORCHESTER-ANDRÈS OROZCO-ESTRADA“ 

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Frankfurt / Alte Oper: „IVETA APKALNA-HR SINFONIEORCHESTER-ANDRÈS OROZCO-ESTRADA“  –  21.11.2019

Musikalisches Federvieh stand im Mittelpunkt des 4.Doppel-Konzerts des hr-Sinfonieorchesters in der Alten Oper, doch zunächst möchte ich die Gastsolistin und „Artist in Residence“ Iveta Apkalna würdigen.

Eine Königin der Interpretation hielt Hof am königlichsten aller Instrumente der Orgel. Schon mehrmals hatte ich das Vergnügen die meisterhafte Organistin zu erleben und heute bezauberte Iveta Apkalna mit dem „Orgelkonzert“ von Francis Poulenc.

Konzipiert wurde das Konzert vom Komponisten für Orgel, Streicher und Pauke welches eine Vielzahl gänzlich unterschiedlicher Musikstile und Typen assoziiert ohne, dass sich der Eindruck eines beliebigen Sammelsuriums einstellte. Im Jahre 1936 komponierte Poulenc das Werk fand erst nach einem Jahr den rechten Zugang zu seiner Komposition und somit erlebte es seine UA 16. Dezember 1938 im Palais Singer-Poliniac in Paris.

Die lettische Künstlerin erwies sich wiederum als Tituralorganistin von Format und zog alle Register ihres Instruments in allen Variationen und faszinierte mit ihrem exzellenten Spiel. Ob nun im transparent elegischem Bereich oder im fundamentalen Fortissimo verstand es Apkalna strahlend, gleißend, rhythmisch in überschäumender Komplexität die choralartige Thematik aufzubauen und zu vermitteln. Es ist einfach faszinierend zu erleben welch brillante Klänge sie ihrem Instrument entlockt und das Auditorium mit expressivem Spiel verzaubert.

Großartig u.a. die finalen Passagen des Orgel-Konzerts mit elegischen Momenten, der kurzen Kadenz und dem ausufernden Finale.

Höchst effektvoll verstand es Andrés Orozco-Estrada mit seinem reduzierten hr-Sinfonieorchester die Solistin zu begleiten und auf vortreffliche Weise die Tonkaskaden nuanciert und farbenreich zu offerieren.

Die begeisterte Zustimmung wurde von Apkalna mit einer hinreißend interpretierten „Etüde“ zum Tanz der außer Rand und Band geratenen Orgelpfeifen bedankt.

Umrahmt wurde dieses ungewöhnliche Konzert von musikalischem Gefieder: zum Auftakt erklang die „Symphonie Nr. 83 La poule“ von Joseph Haydn. Nun in dieser einer seiner sechs Pariser Symphonien glaubten die Besucher der UA, bedingt durch die wiederkehrende Oboen-Figur das „Gackern eines Huhnes“ zu erkennen. Gefällig, straff im leicht ironisierenden Musizierstil erklang das Allegro,  ihm schloss sich das wunderschöne Andante an und Orozco-Estrada verstand es mit seinem bestens disponierten hr-S.O. diesem Satz eine betörende Aussage im weichen Orchester-Sound zu vermitteln. Anmutig, beschwingt kam das   Menuett daher und zu ländlichen Stimmungen in schier melancholischer Grundstimmung das Finale-Vivace.

Ein mehr oder weniger exotischer Vogel bildete den krönenden Abschluss und zwar „L´oiseau de feu“ (Igor Stravinsky). Der Komponist verband in seinem Ballett in zwei Bildern romantische Empfindsamkeit mit der typischen slawischen Rhythmik, vortrefflich instrumentiert in impressionistischen Couleurs. Andrés Orozco-Estrade verstand auf vorzügliche Weise dank seines brillant aufspielenden hessischen Elite-Orchesters jene musikalischen Feinheiten auf wirkungsvolle Weise detailliert, dynamisch in differenzierter Prägnanz umzusetzen. Drei Harfen waren aufgeboten, zwei Glocken jede Menge Schlagwerk, Trompeten von der hinteren sowie Seitenempore zauberten Klang-Raffinessen der besonderen Art. Der Orchesterapparat schien sinnbetörend zu flirren, glitzern, funkeln in üppiger orientalischer Farbenpracht präsentierte der temperamentvolle Klangmagier diese Musik voll poetischer Ausdruckskraft, mystisch, elektrisierend in betörender Melodik, unglaublicher Spannung und schien seine sichtbare Spielfreude auf das prächtig disponierte Orchester zu übertragen. Grandios dimensioniert fieberte das Instrumentarium der überwältigenden Finalapotheose entgegen und löste einen Sturm der Begeisterung aus.

Wow – was für ein Abend! Abwesende können sich von diesem Ereignis zur Rundfunk-Übertragung bzw. beim hr-Live-Stream überzeugen.

Gerhard Hoffmann

 

DRESDEN/ Hellerau/Festspielhaus: „GESPRÄCHSKONZERT“ MIT ARIBERT REIMANN

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Dresden-Hellerau / Festspielhaus: „GESPRÄCHSKONZERT“ MIT ARIBERT REIMANN – 19.11.2019

Die Verbindungen der Sächsischen Staatskapelle Dresden zum Festspielhaus Hellerau, das 1911 nach den Visionen des Wegbereiters der modernen Architektur, Heinrich Tessenow und des Musikpädagogen Émile Jaques-Dalcroze als „Bildungsanstalt für Rhythmik“ (moderner Tanz) erbaut wurde und nach sehr langer Fremdnutzung wieder zu einem der wichtigsten interdisziplinären Zentren zeitgenössischer Künste avancierte, reichen weit zurück. Fritz Busch leitete hier u. a. Konzerte. Jetzt finden hier die „Gesprächskonzerte“ der Sächsischen Staatskapelle im Rahmen der 1854 gegründeten Orchester eigenen Kammermusik, bei der die Orchestermitglieder ehrenamtlich auftreten, statt. Eines davon war jüngst dem derzeitigen Capell-Compositeur Aribert Reimann gewidmet.

Die Kammermusikvereinigung Kapelle21 aus jungen Musikern der Staatskapelle führte in einem, von ihnen eigens dafür zusammen gestellten, Programm Werke von Reimann, in denen er sich kammermusikalisch mit drei Komponisten des 19. Jahrhunderts auseinandersetzt, auf und dazu passend, Kammermusik der jeweiligen Komponisten, die ihn zu seinen Kompositionen inspirierten. Die Besetzung der Kapelle21 formiert sich, entsprechend den aufzuführenden Werken immer neu – an diesem Abend vom Solo über Duo und klassisches Streichquartett bis zum kleineren Kammerorchester aus 10 Musikern. Trotzdem gab es sehr schöne, und vor allem konforme Klangwirkungen. Die Musiker hören aufeinander, sind aufeinander eingestellt, kennen sich genau und stimmen sich aufeinander ein.

Das sehr umfangreiche und vielseitige Programm enthielt in drei Abschnitten jeweils eine Komposition von Aribert Reimann für ein Solo-Instrument, ein Werk des ihn inspirierenden Komponisten sowie dessen Bearbeitung oder das von ihm inspirierte und komponierte Werk.

Im 1. Teil erklangen Reimanns „Solo für Viola“ (1996) mit dem versierten Stellv. Solobratscher und Kammermusiker Stephan Pätzold, „… oder soll es Tod bedeuten?“ – Acht Lieder und ein Fragment von Felix Mendelssohn Bartholdy nach Gedichten von Heinrich Heine für Sopran und Streichquartett bearbeitet und verbunden mit sechs Intermezzi  (1996), einfühlsam gesungen von Carolina Ullrich, sowie Mendelssohns „Streichquartett“e‑Moll (op. 44/2). Die menschliche Stimme stellt für Reimann, der schon mit zehn Jahren erste Klavierlieder komponierte, als Liedbegleiter und Korrepetitor tätig war, eine Professur an der Hamburger Musikhochschule mit Schwerpunkt Zeitgenössisches Lied innehatte und 1983 in gleicher Funktion an die Berliner Hochschule der Künste berufen wurde, einen starken Impuls dar. Für ihn sind Musiktheater und Lied die Keimzellen, aus denen sich sein künstlerisches Schaffen maßgeblich entwickelte. Mit seinen Opern „Lear”, “Medea” und “L’Invisible” gehört er zu den führenden Opernkomponisten weltweit.

Im 2. Teil brachte Norbert Anger, Konzertmeister Violoncelli der Staatskapelle, das „Solo“ für Violoncello (1981) mit warmem, geschmeidigem Ton zu Gehör, dem die „Fantasiestücke“ für Klarinette, Flöte, Harfe und zwei Bratschen von Robert Schumann, bearbeitet von Aribert Reimann (2007), folgten, sowie dessen „Adagio“ – zum Gedenken an Robert Schumann – für Streichquartett (2006).

 Im Gespräch mit einem Vertreter des Hauses gab Reimann Einblicke in sein Schaffen und die speziellen Anlässe für die Kompositionen der aufgeführten Stücke, z. B. dass er „zu den Werken Schumanns … schon immer eine starke Neigung hatte“ und auch über die Musik hinaus eine enge Verbindung besteht. Durch verschlungene Verwandtschaftsbeziehungen kam er in den Besitz des Tagebuchs, das ein Verwandter von ihm, der Arzt, der Robert Schumann in Endenich betreut hat, verfasste.

Als die Musikwelt 2006 Schumanns 150. Todestages gedachte und er seinen 70. Geburtstag feierte, entschied sich Reimann entgegen einer früheren Bestimmung, dass das Tagebuch nie veröffentlicht werden sollte, dennoch für eine Veröffentlichung, schon um Clara Schumann von dem Vorwurf, sie habe ihren Mann in der Nervenheilanstalt erst kurz vor seinem Tod besucht, zu entlasten, und das Dokument aus Sicherheitsgründen im Archiv der Akademie der Künste, Berlin zu deponieren. Die Hintergründe von Schumanns letzten Lebensjahren waren demnach ganz andere als bisher oft gemutmaßt, aber „das ist ein weites Feld“.

 Den 3. Teil eröffnete Celine Moinet, die immer wieder faszinierende Solooboistin der Kapelle, in einer hervorragenden Wiedergabe des „Solo“ für Oboe (2001) von Reimann, gefolgt von seinen „Nocturnos“ für Violoncello und Harfe (1965) mit Johanna Schellenberger und Norbert Anger, dem „Streichquartett“ von Franz Schubert und Reimanns „Metamorphosen“ über ein Menuett von Franz Schubert (D 600) für zehn Instrumente (1997).

Es war ein langer, aber abwechslungsreicher, instruktiver Abend mit viel, sehr gut ausgeführter Musik – sowohl aus dem umfangreichem Schaffen von Aribert Reimann, als auch von kammermusikalischen Kompositionen Mendelssohns, Schumanns und Schuberts.

Ingrid Gerk

STUTTGART/ Musikhochschule: Preisträgerkonzert: Mikhail TIMOSHENKO (Bassbariton) und Elitsa Desseva (Klavier)

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Preisträgerkonzert: Mikhail Timoshenko (Bassbariton) und Elitsa Desseva (Klavier) am 21. November 2019 in der Musikhochschule/STUTTGART

MIT STÜRMISCHEM PATHOS

 2018 erhielt dieses Liedduo den ersten Preis beim Liedwettbewerb der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie. Eine Hommage an die Geschichte Don Quichottes stand im Mittelpunkt des ereignisreichen Programms. Von Jacques Ibert erklangen zunächst „Chansons de Don Quichotte“, wo Mikhail Timoshenko das voluminöse Ausdrucksvolumen stark betonte. Der Werdegang des Helden wird dabei mit impressionistischem Feinschliff illustriert. Auch die feine Ironie dieser Musik betonte Timoshenko ausdrucksvoll. Aus Hugo Wolfs „Italienischem Liederbuch“ interpretierten Mikhail Timoshenko und Elitsa Desseva Lieder wie „Was für ein Lied soll dir gesungen werden“, „Nicht länger kann ich singen“ oder „Ich ließ mir sagen und mir ward erzählt“. Die Thematik der unerreichbaren Dulcinea von Toboso erreichte bei dieser intensiven Wiedergabe eine ungewöhnliche Intensität. Chromatische Verästelungen und das Pathos des Intimen verbanden und verzweigten sich in facettenreicher Weise. Seelische Erregungszustände und dynamische Steigerungswellen gingen bei dieser suggestiven Interpretation nahtlos ineinander über. Bei Samuel Barbers „Three Songs“ demonstrierte Mikhail Timoshenko eindringlich, wie ein liebender Mensch dem Wahnsinn verfällt. Die Liebe scheitert hier an unerfüllbaren Wunschvorstellungen, wobei die zahlreichen dynamischen Kontraste und rhythmischen Finessen in grandioser Weise offengelegt wurden. Der neuromantische Stil dieser Komposition wurde eindrucksvoll herausgearbeitet. Hervorragend war auch die subtile Wiedergabe von Modest Mussorgskys „Ständchen“ und „Trepak“ aus „Lieder und Tänze des Todes“. Eine bizarre Auffassung der Melodie und des Rhythmus‘ setzte sich bei Mikhail Timoshenkos Interpretation rasch durch. Elementare Leidenschaftsausbrüche und schroffe Klangballungen arbeitete auch Elitsa Desseva nuancenreich heraus. Man spürte, wie sich hier Elemente der russischen Folklore mit dramatischer Geschlossenheit paarten. Die beiden Lieder „Verborgenheit“ und „Der Jäger“ von Hugo Wolf entführten die Zuhörer nochmals in sphärenhaft-mystische Regionen und dunkle harmonische Gefilde. Mikhail Timoshenko und Elitsa Desseva brillierten jedoch auch bei Aaron Coplands „The Boatmen’s Dance“ aus „Old American Songs“, wo die gesanglichen Steigerungen in besonderer Weise imponierten. Benjamin Brittens „The Ash Grove“ aus „Folk Songs“ beeindruckten ebenso, wobei Timoshenkos Bassbaritonstimme immer mehr an Intensität gewann. Die Grenze der Dur-Moll-Harmonik blieb hier stets gegenwärtig.

Zum Abschluss faszinierte noch „Don Quichotte a Dulcinee“ von Maurice Ravel. Die gefühlsgeprägte Intention dieser Musik wurde von beiden Künstlern einfühlsam herausgestellt. Und die für Ravel typische charakteristische Mischung aus Tonalität und Modalität leuchtete immer wieder strahlkräftig hervor. Arabesken und Kaskaden des Klaviers umspielten hier facettenreich Mikhail Timoshenkos Bassbaritonstimme, die diese raffinierte Harmonik und bitonalen Klangbereiche bereicherten. Begeisterter Schlussapplaus für diese Veranstaltung der Hugo-Wolf-Akademie. 

Alexander Walther


WIEN/ Staatsoper: EUGEN ONEGIN

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WIEN/ Staatsoper: EUGEN ONEGIN am 21.11.2019


Boris Pinkhasovich als „Onegin“. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Überfälliges Geständnis: Ich bin des instrumentalen und vokalen Säuselns in unseren Opernhäusern überdrüssig; der falsch verstandenen Rücksichtnahme auf stimmlich Inadäquates. Und daher froh über diesen Abend.
(Im Lauf der Begebenheiten wird das alles klar werden.)…

…Michael Güttler dirigierte nach 2011 wieder Eugen Onegin im Haus am Ring. Und wie! (Dies für mich die erste Überraschung des Abends.)…

http://dermerker.com/index.cfm?objectid=48D7CBC0-0D78-11EA-B7BF005056A64872

Thomas Prochazka (www.dermerker.com)

WIEN/ Staatsoper: EUGEN ONEGIN – Wiederaufnahme

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PjotrI Iljitsch Tschaikowski: Wiener Staatsoper, Wiederaufnahme: 21.11.2019

 Statt des Glücks gab Gott uns die Gewöhnung ans Regietheater

Regisseur Falk Richter sieht in Tschaikowskys Meisterwerk die Gefühle der Protagonisten unter einem dicken Eispanzer verborgen. Bricht jemand diesen Eispanzer auf, das heisst, lässt er, so wie Tatjana im Stück Gefühle zu, kommt es zur Katastrophe. Das Bild, das der Regisseur mit dieser Gefühlskälte verbindet und mit dem er sie dem Zuschauer verdeutlichen möchte, ist der Schneefall. Die Kollektive teilt er jeweils in Zweiergrüppchen, die sich in der Kälte des Schneefalls umarmen. Sie stehen für die menschliche Wärme, die die Protagonisten (und letztlich der Komponist) suchen und nicht finden. So konnte Kathrin Hoffmann die Bühne schlicht halten: mehr als ein paar Eisblöcke und Gitterwände und für Tatjanas Briefszene die Einblendung ihres Briefes waren nicht gefordert. Die Kostüme von Martin Kraemer sind an Alltäglichkeit und Banalität schwer zu überbieten. Was bleibt also von Richters Inszenierung? In Russland ist es immer kalt und schneit. Seien wir froh, dass wir von Birken und Wodka verschont wurden.

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Copyright: Wiener Staatsoper GmbH / Michael Pöhn

In diesem Ambiente haben es die Sänger entsprechend schwer. Die Krone des Abends gebührt Monika Bohinec und Aura Twarowska als Larina und Filipjewna. Sie stellen die beiden Alten, die Rückschau auf ihr Leben halten, überzeugend dar. Marina Rebeka kann bei ihrem Rollendebut am Haus leider nicht überzeugen. Je länger der Abend dauert, desto mehr muss sie darum kämpfen sich zu behaupten. Eine Bühnenpräsenz, eine irgendwie geartete Ausstrahlung will sich nicht einstellen. Margarita Gritskova gestaltet eine routinierte Olga. Der Onegin von Boris Pinkhasovich, auch er debütiert in der Rolle am Haus, bleibt komplett farblos. Es wird in keinem Moment klar, wieso Tatjana ihn lieben könnte oder, dass er dann Tatjana begehrt. Stimmlich wäre alles da, aber darstellerisch… Pavol Breslik gab, immerhin ohne das bei ihm so häufige Vibrato, einen leicht ramponierten Lenski. Ferruccio Furlanetto singt einen eindrucksvollen Gremin, dem aber doch anhört, dass seine besten Tage vorbei sind. Igor Onishchenko, Pavel Kolgatin und Thomas Köber ergänzen als Hauptmann/Saretzki, Triquet und Vorsänger das Ensemble. Der von Martin Schebesta vorbereitete Chor der Wiener Staatsoper agierte tadellos.

Einen Tschaikowski, wie er besser nicht sein kann, spielte das Orchester der Wiener Staatsoper unter Michael Güttler.

Statt Glück gab Gott uns die Gewöhnung an das Regietheater.

Weitere Aufführungen: 24.11.2019 und 26.11.2019

24.11.2019, Jan Krobot/Zürich

MANNHEIM/ Nationaltheater: PETER GRIMES. Neuinszenierung

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Copyright: Nationaltheater Mannheim/ Hans-Jörg Michel
 
MANNHEIM/Nationaltheater: PETER GRIMES –  22.11.2019 – Neuinszenierung
 

An sich will Peter Grimes nur einen Lehrling haben, der ihm beim Fischfang hilft, und er beteuert auch immer wieder, seine Einsamkeit beenden zu wollen und mit seiner Freundin, der verwitweten Ellen, die sich als Lehrerin auch um den neuen Lehrjungen John kümmert, eine Familie zu gründen, sobald es seine wirtschaftliche Situation erlaubt. Der Tod der beiden Lehrlinge verändert die Situation für Grimes, der in seinem Ort schon immer als verschrobener Einzelgänger galt, nochmals dramatisch. Sie sehen ihn als einen Mörder an, nachdem er nach dem ersten Vorfall vom Richter noch freigelassen wurde. Eine Hobbydetektivin möchte Beweise gefunden haben. Zum Schluß scheint die Menge auch zu Lynchjustiz bereit. Aber die eigentlich dahinter sich verbergende brisante Frage ist: Ist Peter Grimes ein Päderast? Aber sie wird in der Handlung nicht gestellt und wäre sicherlich für Britten auch zu brisant gewesen. Und auch in der Regie von Markus Dietz kommt sie eigentlich nicht vor. Grimes schlägt zwar seinen Lehrjungen, läßt aber sonst die Finger von ihm. Daß die Frage aber doch im Raum steht, zeigen in Zwischenspielen bühnengroße Fotos von im Wasser schwebenden, regungslosen Jungenkörpern, die auch eine gewisse ästhetische Faszination auszuüben vermögen. Einmal werden auch hintereinander verschiedene Knaben mit „hold“ animierten Lächeln hintereinander gezeigt, dazu aber auch ein kleines ‚Alibi‘-Mädchen mit ausgefallenen Milchzähnen. Die Fotografin/der Fotograf bzw die VideokünstlerIn wird aber nicht namentlich genannt.

‚P.Grimes‘ ist der starke Opernerstling des großen englischen Komponisten des 20.Jahrhunderts. Am Nationaltheater werden besonders Prolog, erster und dritter (letzter) Akt hervorragend unter Alexander Soddy wiedergegeben. In diesen Teilen ist auch die von seiner Heimat Suffolk am Meer inspirierte Handlung nach einem Gedicht von George Crabbe am stärksten komponiert. So viel einfallsreiche Wendungen, wie der 1.Akt aufbietet, hört man selten und immer blitzsauber und kraftvoll dynamisch vom Orchester gespielt/untermalt, angeführt von Mannheims agilem und viel präsentem GMD. Besonders Stellen mit Glocken/Xylofon und Harfen erscheinen wie herausgemeißelt und geben einen überaus starken Impetus vor bei den wahnwitzigen Handlungswendungen auf der Bühne.
 
Da läßt die Bedrängnis Grimes‘ seit der vor dem eisernen Vorhang gespielten chaotischen Gerichtsverhandlung nicht nach, und sie haben sich wieder alle vorn an der Rampe aggressiv aufgestellt mit den Anführern Bob Boles und Jim Hobson. Auch die Schankwirtin Auntie und die leichten Mädchen Niece 1 & 2 heizen die Menge in lasziver Weise auf. Aber die Bühne ändert sich nicht für die Kneipenszene, die aus einer schwankenden Decke mit variablen Neon-Strichleuchten besteht, und die sich bis ganz auf den Boden heruntersenken kann (Bühne: Ines Nadler). Zum Ende Akt I haben die Meereswellen die Bühne erreicht und überschwemmt. Seitdem laufen bis Ende alle in hohen Gummistiefel in der sicher 40 cm Wasserhöhe herum. Dabei ist das Wasser bei der totalen Absenkung der Decke von unten wie geisterhaft beleuchtet. Die Kostüme von Henrike Bromber sind realistisch zeitgemäß bis heutig. Bei Grimes fällt auf, daß er immer in kurzen Arbeitshosen auftritt, der totale Gegensatz zu Ellen in weißseidenem fliegendem Kleid. Die Auntie geht in Panther-Leggins, die beiden Nichten in rot- und gelbkarierten kurzen Röcken.
 
Der Chor und Extrachor sind im Dauereinsatz und singen sich dabei immer wieder in klanggewaltige Rage. Die umfangreiche Einstudierung hat Dani Juris übernommen. Die Titelfigur ist Roy Cornelius Smith, und er hat an seiner Wirkungsstätte wieder eine starke und überzeugende Performance inne. Szenisch wirkt er rollengerecht fahrig und verhuscht. Sein Gesang wirkt sehr angerauht, und sein Tenor ist hart und dunkel timbriert, dabei auch manchmal fast larmoyant winselnd. Die Aufschwünge in hohe Regionen gelingen gefühlsmäßig und überzeugend. Astrid Kessler als Ellen ist ganz feenhaft konnotiert und hat im Gegensatz zu ihm einen becantescen, fast zarten Sopran zu bieten. Am Ende hängt sie verzweifelt wie tot mit dem Kopf nach unten von einem Tisch herab.
 
Kapitän Balstrode führt in diesem Moment Grimes weg zum Meer (es gibt keine Boote). Es ist, weißhaarig in dunkelblauer Uniform,Thomas Berau mit kraftvoll timbriertem Bariton. Die Auntie singt Rita Kapfhammer mit etwas flippigem Mezzo, die beiden ‚Niecen‘ mit hübschen Sopranen Natalija Cantrak und Ji Yoon. Den Methodisten-Fischer gibt tenoral Raphael Wittmer, die Mrs.Sedley mit pointiertem Mezzo Marie-Belle Sandis. Der Richter wird von Sung Ha mit virtuosem wohlklingendem Baß gesungen, der Pfarrer extrovertiert tenoral von Uwe Eikötter. Apotheker ist tenoral Ilya Lapich. Marcel Brunner komplettiert das Ensemble bassal als Jim Hobson. Die stumme Rolle des Dr.Crabbe bekleidet im Tweed Intendant Albrecht Puhlmann.
 
Friedeon Rosén

WIEN/ Theater an der Wien: LA VESTALE von Gaspare Spontini- 4. Vorstellung der Serie

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Gaspare Spontini: La Vestale, Theater an der Wien, Wien, Vorstellung: 23.11.2019

 (4. Vorstellung seit der Premiere am 16.11.2019)

Die Brücke von irgendwo nach nirgendwo

Regisseur Johannes Erath erklärt im Programmheft, die stilistische Brücke des Werks (zwischen der Opera seria Glucks und der Grand Opéra) wichtig zu finden. «In Napoleons Zeiten wurden die Insignien aus dem römischen Reich übernommen, womit man, finde ich, relativ einfach auch eine Brücke ins Heute bauen kann. Schlussendlich funktionieren viele Machtstrukturen noch ähnlich.» Die im Stück durchaus vorhandenen Brücken, oder Parallelen der Zeiten, gehen hoffnungslos im Aktionismus auf der Bühne unter. Die wohl als Verfremdungseffekt eingesetzten Bühnenarbeiter, die immer wieder die Bühne queren oder die Nackte im Bassin tragen wenig zum Verständnis bei. Katrin Connans Bühne ist zudem von einer fragwürdigen Ästhetik geprägt. Als Altar für die hellblaue Madonnenfigur dient ein rosa Schminktisch oder alternativ ein Beauty Case. Sinn und Zweck des fast bühnenfüllenden Wasserbassins erschliessen sich schon nicht, aber das Geräusch des abfliessenden Wassers muss dann nicht auch noch deutlich vernehmbar sein. Jorge Jara hat bei der Kreation des Kostüms des Souverain Pontife, den man ja durchaus als katholischen Würdenträger sehen kann, aus Versehen violett (Bischof) und rot (Kardinal) kombiniert. Das heutzutage wohl, Sinn hin oder her, obligatorische Video stammt von Bibi Abel, die recht aggressive Lichtgestaltung von Bernd Purkrabek. Die Intention der Inszenierung, das Aufzeigen der zeitlichen Parallelen gerade was die Machtstruktur angeht, wird nicht klar: die Brücke führt vom irgendwo ins nirgendwo.

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 Foto: Werner Kmetitsch/ Theater an der Wien

Den Abend mehr als gerettet haben die Wiener Symphoniker unter Bertrand de Billy. Bestens disponiert gelingt es den Charakter als Werk der Zeitenwende herauszuarbeiten und die Partitur in ihrer ganzen Pracht erklingen zu lassen. Besonders gelingen die Ballettmusiken.

Ganz hervorragend agiert der von Erwin Ortner vorbereitete Arnold Schönberg Chor.

Elza van den Heever kann trotz intensivem Spiel als Julia nicht überzeugen. Die spielerische Gestaltung der Rolle lässt den Zuschauer kalt, die Stimme wird, sobald sie den Piano-Bereich verlässt, stechend schrill und scharf. Claudia Mahnke singt eine gute Grande Vestale. Michael Spyres bleibt als Licinius phasenweise arg blass. Sébastien Guèze als Cinna überzeugt mit sauberer Gestaltung. Franz-Josef Selig gibt den Souverain Pontifie mit klangvollem Bass. Dumitru Mădărăşan und Ivan Zinoviev ergänzen das Ensemble als Chef des Aruspices und Consul.

Weitere Aufführungen: 25.11.2019 und 27.11.2019 jeweils 19.00.

24.11.2019, Jan Krobot/Zürich

NEW YORK/ Wien/ „Die Met im Kino“/ Wien Cineplexx: AKHNATEN von Philip Glass

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MET/Kino „Akhnaten“ von Philip Glass (23.11.2019)

Mit leichter Skepsis sah ich einem Opernabenteuer entgegen – Modern, lange Dauer, unbekannte Interpreten – aber bisweilen täuscht die Vorahnung und man wird von einem „Gesamtkunstwerk (Zitat Anthony Ross-Costanzo, Interpret der Titelrolle im Pauseninterview) gleichsam überrumpelt. Philip Glass komponierte diese Oper im Jahr 1983, er schildert in einigen Szenen wichtige Lebensabschnitte des Pharao Echnaton – Krönung, Regentschaft, Religionskampf und Tod. Jede einzelne Szene wird von Glass mit qualitativ hochwertiger Musik unterlegt, überwiegendes Stilmittel ist es, einfache Phrasen oft zu wiederholen, ohne aber den Zuhörer zu langweilen. Sehr passend zu der getragenen Langsamkeit der Handlung, jede Geste wird durch den Einsatz wechselnder, dominanter Instrumente betont. Feierliches Schreiten, pompöse Kostüme (Kevin Pollard) und Ernsthaftigkeit im Spiel werden nicht als veraltete Relikte aus der Vorvergangenheit empfunden.

Regisseur Phelim McDermott ist es bestens gelungen, Klassik in die Gegenwart zu verpflanzen, wobei ihm die Intentionen des Komponisten sehr entgegenkamen. Das Bühnenbild von Tom Pye erfüllt die Erwartungen des zumindest durch „Aida“ geschulten Zusehers weitgehend. Das Orchester spielte dieses ungewöhnliche Opus mit Bravour. Unter der Dirigentin Karen Kamensek, die nie Probleme hatte, Bühne und Orchester zu koordinieren, blieb kein Wunsch offen. Auch der Chor fügte sich ausgezeichnet in diese fabelhafte Produktion ein.

Von den Solisten ist natürlich der Sänger des Pharaos, Anthony Ross-Costanzo, zu nennen. Mit glasklarer und absolut höhensicherer Stimme war er tatsächlicher Mittelpunkt der Aufführung. Aber auch die beiden Damen, J’Nai Bridges als Nofretete mit kräftigem, wohltimbriertem Mezzo und Disella Larusdottir als Königin Teje, ein vielversprechender Sopran aus , waren Stützen des Ensembles. Imposant auch Zachary James in der Sprechrolle des Schreibers Amenhotep, erstaunlich, dass er mit dem hingeschiedenen Akhnaten auf den Armen weiter deklamieren konnte. Ein beeindruckender Abend mit einem Werk, das man eigentlich häufiger im Repertoire der wichtigen Opernhäuser sehen sollte.

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