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MASSY/ Opera: DON GIOVANNI . Premiere

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MASSY/ Opera: DON GIOVANNI am 28.Februar 2020

Das Publikum in Massy erlebte an der Opera de Massy am Freitagabend unter der musikalischen Leitung von Constantin Rouits in der Regie von Matteo Peirone und Gualtiero Ristori Mozarts Don Giovanni. 

Thomas Weinhappel sang die Titelpartie emotional, reich an stimmlichen Nuancen, subtil und mit sicherer Technik; er war ein glaubwürdiger, echter Don Giovanni, der überzeugte. Der Österreicher bot dem Pariser Publikum eine Mozart-Interpretation wie aus dem Bilderbuch. Wolfgang Amadeus hätte seine Freude daran gehabt!

Weinhappels große Bühnenpräsenz ließ den Zuschauer vergessen, dass das schmucklose Bühnenbild von Alfredo Troisi wenig zum Verständnis der Oper beitrug. Unterstützung seiner brillanten Giovanni-Charakterisierung erhielt Thomas Weinhappel vom Orchester der Opera de Massy  unter Constantin Rouits und der Kostümbildnerin Sartoria Arrigo.

Das übrige Ensemble konnte mit diesem Farbenreichtum nicht mithalten: Nicola Ziccardi als Leoporello und David Cervera als Commendatore, Héloïse Koempgen als Donna Elvira und Haruo Kawakami als Don Ottavio bleiben hinter den Erwartungen zurück. Yeonjoo Park hatte ihre Donna Anna technisch sauber studiert, vermochte aber kaum Emotionen zu zeigen. Nur das Bauernpaar Francesca Bruni als Zerlina und Gianluca Failla als Masetto konnten mit Don Giovanni mithalten. 

Marcel Dupont, Paris, © Photo von der Fb-Seite von Weinhappel

Befindet sich in: Cinémassy
Adresse: 1 Place de France, 91300 Massy, Frankreich
 
Eröffnet: 9. Oktober 1993

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Original im Französischen:

Le public de l’opéra de Massy a pu assister vendredi soir à la première de Don Giovanni de Mozart sous la direction a musicale de Constantin Rouits  dans une mise en scène de Matteo Peirone et Gualtiero Ristori
Thomas Weinhappel  a interprété le rôle titre avec émotion, subtilité, riche en nuances et une technique assurée; un VÉRITABLE Don Giovanni qui est convaincant. L’Autrichien a proposé au public parisien une interprétation mozartienne exemplaire. Wolfgang Amadeus Mozart aurait été enchanté.

La présence scénique de Thomas Weinhappel a fait oublier le pauvre décor de Alfredo Troisi qui a contribué peu à la compréhension de l’œuvre. Le brillant Giovanni de Weinhappel a été en soutenu par l’orchestre de l’opéra de Massy sous la direction de Constantin Rouits et les costumes de Sartoria Arrigo.

L’ensemble des chanteurs comme Nicola Ziccardi (Leoporello), David Cervera (Commendatore), Héloïse Koempgen (Donna Elvira) et Haruo Kawakami (Don Ottavio) restaient en retrait par rapport à l’interprétation de Weinhappel. Yeonjoo Park a proprement chanté sans laisser apparaître des émotions. Seulement le couple de Zerlina et Masetto (Francesca BruniGianluca Failla) ont été à la hauteur du Don Giovanni.

Marcel Dupont, Paris, © Photo de Fb-Page de Weinhappel


MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: LA TRAVIATA – Standing Ovations für Ermonela Jaho

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Ermonela Jaho, Simon Keenlyside. Foto: Wilfried Hösl

München: Bayerische Staatsoper: „LA TRAVIATA“ – Standing Ovations für Ermonela Jaho, 28.02.2020

Am 28.02.2020 stand an der Bayerischen Staatsoper die letzte Vorstellung der aktuellen Aufführungsserie von Verdis „La traviata“ (Inszenierung aus dem Jahr 1993: Günter Krämer, Bühne: Andreas Reinhardt) auf dem Spielplan. Nachdem Ermonela Jaho die vorherige Vorstellung drei Tage zuvor leider krankheitsbedingt hatte absagen müssen, war sie an diesem Abend der alles überstrahlende, glanzvolle Mittelpunkt. Vom ersten Moment an zog sie in der Rolle der Violetta Valéry das Publikum mit ihrer enormen Bühnenpräsenz und Ausstrahlung in ihren Bann und rührte es mit der ihr eigenen höchst emotionalen, tief empfundenen Rollengestaltung ganz unmittelbar und intensiv an. Dabei führte sie ihren über eine satte Mittellage und blühende Höhen verfügenden, dunkel timbrierten Sopran ohne jegliche Schärfen. Besondere Hervorhebung verdienen ihre unvergleichlichen Piani, mit denen sie das Publikum ganz besonders verzauberte. Die großartige Sängerdarstellerin wurde für ihre herausragenden Leistungen bereits nach dem ersten Akt vom Publikum mit großem Jubel gefeiert und am Ende sogar mit Standing Ovations bedacht.

Eine ebenfalls packende und berührende Interpretation gelang Simon Keenlyside als Giorgio Germont. Sowohl darstellerisch als auch gesanglich mit seinem elegant und kraftvoll geführten, kernigen Bariton schuf er einen komplexen Charakter mit einer vielschichtigen Gefühlslage: ein nicht nur autoritärer, harter und gefühlskalter Mann, dem die Durchsetzung seiner Interessen über alles geht, sondern zugleich ein von der Sorge um das Wohlergehen seiner Tochter getriebener Mann, den das – durch seine Forderung verursachte – Leiden Violettas und seines Sohnes durchaus berührt; ein Mann, der auch Mitgefühl und Verständnis für die beiden empfindet, das von Violetta erbrachte Opfer würdigen kann und am Ende voller tiefer, ehrlicher Reue ist. Als Alfredo Germont komplettierte Liparit Avetisyan mit seiner hellen, angenehm timbrierten Tenorstimme das Trio der Hauptfiguren. Der im Jahr 1990 geborene armenische Tenor feierte in dieser Aufführungsserie sein gelungenes Hausdebüt an der Bayerischen Staatsoper. Auch die weiteren Rollen waren mit Daria Proszek (Flora Bervoix), Corinna Scheurle (Annina), Dean Power (Gaston), Christian Rieger (Baron Douphol), Boris Prýgl (Marquis d’Obigny), Martin Snell (Doktor Grenvil), George Vîrban (Giuseppe) und Christian Valle (ein Diener Floras sowie ein Gärtner) allesamt gut besetzt.

Giampaolo Bisanti trug mit dem Bayerischen Staatsorchester die Sänger geradezu auf Händen und brachte auch orchestral die in der Musik enthaltene tiefe Emotionalität zum Ausdruck. Nicht zuletzt trug ferner der Chor der Bayerischen Staatsoper stimmgewaltig zum Gelingen des Abends bei.

Am Ende erklatschte sich das begeisterte Publikum noch zahlreiche „Extra-Vorhänge“, wobei die Begeisterung unverkennbar – völlig zurecht – vor allem Ermonela Jaho galt.

Martina Bogner

NEW YORK – WIEN / Die Met im Kino: AGRIPPINA

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Fotos: Metopera

NEW YORK – WIEN / Die Met im Kino:
AGRIPPINA von Georg Friedrich Händel
29.
Februar 2020

Händels Frühwerk „Agrippina“, von dem 24jährigen noch für Venedig geschrieben, zählt wohl zu seinen amüsantesten Opern. Obwohl Agrippina, ihr Gatte Claudius, ihr Sohn Nero, außerdem Poppea und Ottone historische Figuren sind und das Werk seriös als „Dramma per musica“ bezeichnet wird, handelt es sich nicht um einen „Römerschinken“ – man höre nur der „lockeren“ Musik zu.

Das ist eine komponierte Polit-Satire, und diese in unsere Zeit zu versetzen, ist öfter versucht worden und gelungen (u.a. von Robert Carsen 2016 im Theater an der Wien). Regisseur David McVicar (mit dem wir an der Wiener Staatsoper wirklich keine schlechten Erfahrungen gemacht haben) hat die „Agrippina“ schon vor 20 Jahren in Brüssel „heutig“ gezeigt. Die Version, die er nun für die Metrpolitan Opera erarbeitet hat, geht zwar grundsätzlich denselben Weg (und hat mehr oder minder dasselbe Bühnenbild), unterscheidet sich aber doch ziemlich von der damaligen Aufführung (man kann es auf YouTube überprüfen) – sie ist den Sängern der Met und vor allem Titelheldin Joyce DiDonato mit hinreißendem Effekt auf den Leib gearbeitet.

Eine riesige goldene Treppe (Ausstattung: John Macfarlane),  meist im Bild, führt zu einem großen goldenen Thron: ein Spiel der Macht, aber, weil in heutige Gewänder gekleidete, hat man auch von einem „House of Cards“ gesprochen. Die Rücksichtslosigkeit scheint sich seit dem Alten Rom tatsächlich nicht verändert zu haben. McVicar spürt den einzelnen Figuren mit infernalischem Witz und gewaltigem satirischem Potential nach (sie müssen schon was leisten, um da nicht etwa „umzukippen“).

Außerdem kennt er – er ist auch ein Händel-Spezialist – die Gefahr dieser Opern. Es ist nichts daran zu ändern, dass sich, von rezitativischen Szenen unterbrochen, einfach eine Arie an die andere reiht. In schlechten Inszenierungen bleibt das Geschehen dann quasi stehen, der Sänger liefert ab, dann geht es irgendwie weiter. Nicht bei McVicar. Nie unterbricht er die Handlung, er lässt sich für so gut wie jede Arie eine Begleithandlung einfallen – vieles davon ist unirdisch komisch, etwa wenn Poppea in einer Bar den Barmann mit ihren Problemen ansingt (eine Situation, die sich – ohne Singen notabene – in mancher Bar finden mag).

Aber McVicar fordert seine Sänger auch als Darsteller extrem – wenn Nerone sich in einem wahren Kokainbad in eine Hysterie hineinsingen muss, hat er es vergleichsweise leicht: Wenn hingegen Mama Agrippina in einer riesigen Arie (“Pensieri, voi mi tormentate”) immer wieder drehen und wenden muss, dass ihre Gedanken sie quälen – ja, dann braucht man schon Joyce DiDonato, um jeder neuen Wendung desselben Textes eine neue Nuance zu geben und dabei gleichzeitig wieder einmal den Charakter der Dame zu entblättern…

Es ist der Abend der Joyce DiDonato, sie genießt das Über-Biest, sie ist eine Meisterin der darstellerischen und gesanglichen Nuance (wobei für die Darstellung McVicar jede Menge pointierter Details eingefallen sind). Die Stimme ist schlank (mit vergleichweise wenig Resonanz), für einen Mezzo sehr hell, absolut brillant im Meistern von Koloraturen und sonstigen Schwierigkeiten, und durchhaltefähig in erstaunlichem Ausmaß (keine wacklige Stelle an einem Vier-Stunden-Abend). Sie hat Spaß daran, sich durchs Leben zu intrigieren, Menschen zu manipulieren, das Spiel der Macht zu spielen – aber gefährlich ist sie auch. Die DiDonato hat die Agrippina kürzlich auch auf CD aufgenommen, wohl als Lust an der Rolle. Aber das reicht nicht – man muss sie auch sehen.

Wo immer sie kann – und es gibt schon solche Passagen – übernimmt Brenda Rae (bei ihrem Met-Debut) als Poppea das Ruder. Sie ist nun nicht so schön, wie man es von der jungen Rivalin der Kaiserin erwartet, aber sie ist erstens als Komikerin ein As und zweitens als Koloratursopran (als sie 2012 in der Staatsoper für die Damrau als Lucia einsprang, war man noch nicht so begeistert von ihr).

Und dann noch die dritte Dame, die keine sein muss (im Theater an der Wien hatte man einen Counter für den Nerone): Hier ist es Kate Lindsey (unser Staatsopern-„Orlando“), die ein Meisterstück liefert, vor allem darstellerisch – ihr heller Mezzo hat nicht so viel zu tun wie die anderen. Aber wie sie da einen schlaksigen, unsicheren, dabei spürbar schwer neurotischen und bei aller Komik beängstigenden jungen Mann spielt … wie gesagt, das könnte in die Lächerlichkeit umkippen, macht aber wirklich sprachlos.

Da ist noch Kaiser Claudius, der anfangs für tot gehalten wird (was Agrippinas hektische Aktivitäten in Gang setzt, ihren Sohn auf den Thron zu bringen), der aber dann auftaucht: In Gestalt von Matthew Rose, der stimmlich nicht den besten Abend hatte, aber überzeugend ein rechtes Weichei auf die Bühne stellte (zerrieben zwischen Agrippina und Poppea – was soll der arme Mann tun?).

Liebling des Publikums war der Countertenor Iestyn Davies, der als Ottone so viel erleiden muss (es ist, Komik hin oder her, einfach tragisch, wenn er von allen verlassen und allein stehen gelassen wird, weil dafür gesorgt wurde, dass er in Ungnade fällt) und das sehr schön traurig besingt. Mit einem Counter, der eher weiche als scharfe Qualitäten hat, was schätzenswert ist.

Und dann gibt es noch drei Intriganten, Naricisso, auch ein Counter (Andrey Nemzer), Pallante, ein Bariton (Duncan Rock) und schließlich Lesbo, Baß (Christian Zaremba) – und wie sie um Agrppina herumwieseln, wie sie sie benützt und fallen lässt, zeigt dass McVicar dieses „Spiel der Mächtigen“ doch nicht ausschließlich komisch genommen hat. Auch wenn beispielsweise immer wieder köstliche Tanznummern mit heutigem Hüftschwung (Choreographie: Andrew George) zeigen, wie locker man Händel nehmen kann…

Bestens hatte Harry Bicket, der auch selbst das Cembalo bediente, den Abend in der Hand. Am Ende durfte man nach vier Stunden (dreieinhalb Stunden Spielzeit plus Pause) heimgehen – und stellte fest, dass dem Regisseur nicht für eine Minute die Ideen ausgegangen sind…. Händel heute. Ein Opern-Theater-Vergnügen.

Renate Wagner

LINZ/Musiktheater des Landestheaters: CINDERELLA. Premiere

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Foto: Sakher Almonem

Linz: „CINDERELLA“ – Premiere am Musiktheater des Landestheaters, Großer Saal, 29.02.2020

Tanzabend in drei Akten von Mei Hong Lin, Musik von Sergej Prokofjew

Sergej Sergejewitsch Prokofjew begann die Arbeit an seinem opus 87 im Sommer 1940, zusammen mit dem Librettisten Nikolai Wolkow, auf Basis der Pubertäts- und Emanzipationsgeschichte aus der Sammlung von Charles Perrault, im deutschen Sprachraum als „Aschenputtel“ von den Gebrüdern Grimm populär gemacht. Der russische Titel ist Золушка (Soluschka). Vorgesehen war eine Uraufführung am Leningrader Kirow-Theater, was aber durch den deutschen Überfall auf die Sowjetunion und die jahrelange Belagerung der Stadt an der Ostsee verhindert wurde. Schließlich ging das Ballett am 21. November 1945 am Moskauer Bolschoi-Theater erstmals über die Bühne; die Choreographie stammte von Rostislaw Sacharow, es dirigierte Juri Fajer. Im Gegensatz zu Prokofjews heute populäreren „Romeo und Julia“ gab es keine musikalisch-rhythmischen Differenzen mit der Ballettcompagnie und von Anfang an uneingeschränkten Erfolg. Zudem ließ sich die Cendrillon-Geschichte auch gut mit der Staatsideologie vereinbaren.


Foto: Sakher Almonem

Kann modernes Tanztheater die Zielsetzung des Komponisten erfüllen? „Das, was ich vor allem in Musik setzen wollte, ist die romantische Liebe Aschenbrödels und des Prinzen in der Tradition des alten klassischen Balletts, mit Pas de deux, Gavotte, Walzern, Bourrée, Mazurka und Galopp.“ Nun, Mei Hong Lin hat mit ihrer Inszenierung und Choreografie zwar an der Geschichte einiges herumgeschraubt, aber nicht darauf vergessen, daß es sich auch um ein Märchen handelt (Dramaturgie: Thorsten Teubl). Nur ist dieses in die Welt des klassischen Balletts verlegt, Immerhin sehen wir so zum ersten Mal seit mindestens 20 Jahren Pause am Linzer Landestheater wieder Spitzentanz!!!

Aschenputtel ist hier die Tochter eines Tänzerehepaares, schon von klein auf vom Beruf ihrer Eltern fasziniert. Die Mutter stirbt plötzlich, eine Stiefmutter mit zwei fies-steampunkigen Töchtern tritt auf. Wobei diese weniger ihre neue Schwester piesacken als sich selbst, durch alle Jahreszeiten, in den Vordergrund spielen wollen (was freilich auch an Schuhen scheitert). Allerdings wird Aschenputtel auch von einer guten Fee, die ihrer verstorbenen Mutter ähnelt, und von zwei Schutzengeln geleitet und beschützt. Cinderellas Tanzbegeisterung wird überwältigend, als eine Ballettcompagnie in ihrer Heimatstadt zu Gast ist, die … Prokofjews „Soluschka“ aufführt! Nach der Vorstellung, als schon die Sterne funkeln, schleicht sich unsere Hauptfigur auf die Bühne und beginnt zu tanzen. Der „Startänzer“ der Compagnie kommt zurück auf die Bühne und wiederholt mit ihr – fast – genau den pas de deux, den er (vor der Pause) mit seiner Bühnenkollegin aufgeführt hat. Einige Jahre später kommt die Ballettruppe wieder in die Stadt, und Cinderella erneut auf die Bühne – jetzt aber, um zu bleiben, und den Tänzer zu heiraten. Zuletzt sehen wir beider Tochter, die, wie einst ihre Mutter, schon in der Jugend vom Tanz begeistert ist.

Dirk Hofacker hat dafür eine einfache schwarze Kastenbühne mit vielen – variablen – schlauen Details gebaut; z. B. gibt er der Stiefmutter einen großen Spiegel für einen pas de deux mit sich selbst, und Engel sowie die Fee tauchen aus dem Himmel auf. Zwischendurch ist auch ein Arkadengang auf der Straße zu sehen, markiert mit Bögen aus Licht; immer wieder vervollständigen auch sparsame, jedoch wirkungsvolle bunte LED-Akzente den Raumeindruck (Johann Hofbauer); aber es gibt auch einen prachtvollen Sternenhimmel! Natürlich nicht zu vergessen die Logentürme und der prächtige rote Vorhang, die das Theater im 2. Akt markieren.


Foto: Sakher Almonem

Herr Hofacker hat auch eine Fülle von treffenden Kostümen entworfen, von einem grauen Kittel fürs Aschenputtel, aus dem eine Art Tütü-Bürzel ragt (die in keiner Lebenslage zu unterdrückenden Liebe zum Tanz), über die bunten Gestalten aus der Feenwelt bis zu fantastisch aufgedonnerten „Stiefdamen“, vielleicht an Cruella deVil in Disneys Dalmatinerfilm von 1961 orientiert.Als Cinderella (Kind und Teenager) berührt und begeistert Lara Bonnel Almonem mit wunderbar tanztheatralisch dargestellten Gefühlen. Später, als junge Frau, kann Kayla May Corbin der Figur auch klassisches Ballettkönnen verleihen. Núria Giménez Villarroya wirbelt als Fee in verschiedenen Erscheinungsformen über die Bühne, immer auf ihr Kind bedacht, das sie als jung verstorbene Mutter alleine lassen mußte. Ihr Gatte ist Vincenzo Rosario Minervini in einer kleineren, nichtsdestotrotz engagiert getanzten Rolle.

Stiefmutter Mireia González Fernández ist eine köstlich schräge Schreckschraube mit Wudupüppchen im Haar, und ihre leiblichen Töchter (Rie Akiyama und Julie Endo) lassen keinen Zweifel daran, von wem sie abstammen.
 

(„Soluschka“-Prinz) Shang-Jen Yuan packt die klassische Ballettkunst aus, mit bezaubernden pas de deux, mit der klassischen Primaballerina Cristina Uta (die die Emotionalität des Spitzentanzes wunderbar demonstriert) wie mit Frau Corbin. Die beiden gelb-blau flatterhaften Schutzengel (Pavel Povrazník und Lorenzo Ruta) haben offensichtlich ebenso viel Spaß und Freude damit, Aschenputtel zu leiten wie das Publikum zu unterhalten.
Das weitere, präzise, akrobatische, expressive Ensemble: Melissa Panetta, Alessia Rizzi, Filip Löbl, Pedro Tayette, Safira Santana Sacramento, Evi van Wieren, Valerio Iurato, Nimrod Poles und Andrea Schuler; außerdem etliche der vorgenannten Solistinnen und Solisten in Zweitrollen.

Das Bruckner Orchester unter der souveränen Leitung von Marc Reibel erfüllt die bunte und fantasievolle Partitur Prokofjews mit blühendem Leben – von perkussiver Präzision bis zu schwelgerischer Pracht, von zarter Lyrik bis zu eleganten Walzern … und unter letzteren findet sich, als das „Theater im Theater“ aufgebaut wird, ein Stück Musik, das sehr an den weltberühmten Walzer Nr. 2 (Kubrick’s „Eyes Wide Shut“!) aus der „Suite für Varieté-Orchester“ von Dimitri Schostakowitsch erinnert – die wurde aber doch, wie neuerdings erhoben wurde, erst nach 1950 geschrieben?! Aufgrund der dramaturgischen Umgestaltung wurde auch einiges umgestellt bzw. gestrichen, etwa das Marsch-Zitat aus den „Drei Orangen“; das ändert aber nichts daran, daß der Abend auch musikalisch balanciert, aus einem Guß, gerät.

Schließlich: Uneingeschränkte Begeisterung für Bühnenpersonal, Musik und Produktionsteam. Ein Abend für alle, und nebenbei ein wunderbares Beispiel dafür, daß Musik des 20. Jahrhunderts überaus eingängig sein kann, ohne banal zu werden…

Petra und Helmut Huber


Premierenfeier: Foto: Petra und Helmut Huber

WIEN/ Volksoper: DER ZIGEUNERBARON. Premiere

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Bildergebnis für volksoper der zigeunerbaron
Copyright: Wiener Volksoper

DER ZIGEUNERBARON – Premiere Volksoper, 29.2.2020

(Heinrich Schramm-Schiessl)

Die „Political Correctness“ ist eine der wichtigsten Errungenschaften des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Sie ist ein nützliches Regulativ für das Zusammenleben der Menschen in einer immer vielfältiger werdenden Gesellschaft. In einigen Bereichen, und hier speziell in der Kunst stößt sie allerdings an ihre Grenzen. In der Kunst betrifft das jene Werke, die beereits zu einer Zeit geschaffen wurden, in denen es diese Regelungen schlichtweg nicht gab und die durch ihre Anwendung in ihrem Sinn und/oder ihrer Aussage verändert werden. Eines der markantesten Beispiele hiefür ist zweifelsohne „Othello“ – egal ob von Shakespeare oder Verdi. Othello ist ein Schwarzer, der durch hervorragende Leistungen in der Kriegsführung Eingang in eine höhere Gesellschaftschicht gefunden hat, aber gerade wegen seiner Hautfarbe dort nicht oder bestenfalls nur bedingt akzeptiert wird. Wenn jetzt der Darsteller des Othello aus Gründen der Political Correctness nicht schwarz geschminkt werden darf, dann verliert das Stück seinen Sinn. Das manchmal vorgebrachte Argument, der Zuschauer könne sich dies ja vorstellen, ist nur eine künstliche Begründung für etwas, was nicht zu begründen ist. Ähnliches gilt für den „Zigeunerbaron“. Die Zigeuner – und ich verwende hier jetzt bewußt diese politisch unkorrekte Bezeichnung – sind in diesem Stück nämlich die Guten. Bleibt noch die von manchen gefühlte Kriegsbegeisterung in diesem Werk, die vor allen Dingen den dritten Akt dominiert. Kriege waren und sind etwas Schreckliches. Umso verständlicher mag die Erleichterung über das Ende eines Krieges sein, und nichts anderes passiert im dritten Akt. Natürlich in der Form, wie sie zur Zeit der Entstehung des Werkes üblich war. Wir vergessen heute gerne, dass Operette damals ausschliesslich der Unterhaltung diente.

„Man kann dieses Werk heute nicht unreflektiert inszenieren“ sagte der Regisseur Peter Lund in einem Interview und das konnte man durchaus als gefährliche Drohung verstehen. Was man als naiv-romantische, heiter-sentimentale Operette kennt, kam hier als bleischweres Melodram daher. Das beginnt bereits damit, dass die Ouvertüre nach wenigen Takten unterbrochen wird und der Chor die erste Strophe des Zigeunerliedes singt. Für den Rest der Ouvertüre muss man sich einen Schattenspieltrickfilm über die Türkenbelagerung samt der Befreiung Wiens ansehen. Danach stellt man dann fest, dass Peter Lund den auch nicht mehr ganz neuen Trick des „Theaters auf dem Theater“ anwendet, indem der Leiter einer Wandertheatertruppe ankündigt, dass man ein Stück über das Schicksal der Zigeuner aufführen werde – also den „Zigeunerbaron“. Die Handlung nimmt dann ihren Verlauf, wobei einige Änderungen sofort ins Auge springen. Am markantesten ist, dass bei der Wahrsagerszene der Czipra die Prophezeiung für den Conte Carnero fehlt. Dadurch fällt dann auch die Erkennungsszene zwischen ihm und der Erzieherin Mirabella weg, in der sich herausstellt, daß er einen unehelichen Sohn hat – für einen Sittenkommissär natürlich besonders peinlich. Weiters fällt auf, dass Zsupan eigentlich weniger Schweinezüchter denn Fleisch- und Wurstfabrikant ist. Das ganze würde man ja alles irgendwie noch akzeptieren, würde es mit Schwung und Humor auf die Bühne kommen.

Bildergebnis für volksoper der zigeunerbaron
Lucian Krasznec, Kurt Rydl, Boris Eder. Foto: Wiener Volksoper

Aber es gibt praktisch weder eine Personen- noch Chorführung. Die Protagonisten stehen meist an der Rampe und der Chor zappelt wie heute üblich bei seinen Passagen. Unbedingt zu erwähnen ist natürlich der Schluss. Zu Beginn des dritten Akt verkündet der Conférencier, daß mit einer Ausnahme – Zsupan – alle am Ende des zweiten Aktes in den Krieg gezogenen Männer gefallen sind. Zsupan singt dann noch sein Couplet und damit sei das Stück zu Ende. Da das „Publikum“ auf der Bühne aber murrt, entschließt man sich doch ein Happy-Ende zu zeigen, was ich als unzulässigen Eingriff in das Libretto bezeichnen möchte. Zudem wird das Finale dann in einer bonbonhaft kitschigen Art gebracht. Das ganze spielt – wir sind ja im zeitaktuellen Theater – in einem Einheitsbühnenbild von Ulrike Reinhard. Es ist ein nach einer Seite offener Turm – offenbar die Ruine des Schlosses – der durch verschiedene Versatzstücke bzw. Beleuchtungseffekte für alle Schauplätze herhalten muß. Die Kostüme von Daria Kornysheva sind ein ziemlicher Stilmix, wobei einige (Saffi) eher wenig kleidsam sind.

Im Grunde erleben wir wieder einmal Belehrungstheater, das längst zu hinterfragen wäre, in der Operette aber überhaupt nichts verloren hat.

Man hätte ja über manches vielleicht hinwegsehen können, wäre der Abend wenigsten musikalisch zufriedenstellend gewesen. Alfred Eschwé, eigentlich normalerweise ein Garant für gutes Operettendirigat, ließ sich offenbar von der Bühne anstecken und dirigierte alles andere als einen schwungvollen Strauss. Das Orchester klang schwerfällig, zeitweise hatte man das Gefühl, als käme die Aufführung nicht vom Fleck.

Lucian Krasznec verfügt als Barinkay über eine angenehme Tenorstimme mit durchaus sicheren Höhen. Allerdings klingen diese Höhen dann meistens etwas eng. Kristiane Kaiser sang die Saffi mit etwas steifer Stimme, die in der Höhe mit einem ziemlichen Tremolo behaftet ist. Außerdem vermag sie überhaupt nicht zu berühren. Kurt Rydl als Zsupan merkt man schon deutlich an, dass er eine lange Karriere hinter sich hat. Auch bei ihm muss man ein ziemlich heftiges Tremolo feststellen. Anita Götz als Arsena klingt etwas spitz mit schrillen Höhen. Martina Mikelic (Czipra) verfügt zwar über einen schön klingenden Mezzo, fällt allerdings in der Höhe auch durch ein gewisses Tremolo auf. Marco Di Sapia, der sonst eigentlich immer auf der Haben-Seite zu finden ist, klang als Graf Homonay diesmal ziemlich fahl und flach. Regula Rosin blieb als Mirabella eher unauffällig, während David Sitka als ihr Sohn Ottokar einer der wenigen erfreulichen Momente war. Boris Eder blieb als Conte Carnero eher trocken und humorlos.

Der von Thomas Böttcher einstudierte Chor zählte ebenfalls zu den postiven Eindrücken des Abends.

Am Ende eher schaumgebremster Applaus, wobei die üblichen Premierenjubler etwas verzweifelt um bessere Stimmung bemüht waren. Aber das Regieteam kam ohne Misstöne davon.

Heinrich Schramm-Schiessl

WIEN/ Galerie des Online-Merker: Robert Schumanns „DICHTERLIEBE“ mit MARYNA LOPEZ (Mezzosopran) und ADOLFO LOPEZ (Klavier)

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Maryna Lopez. Foto: Barbara Zeininger

WIEN/ Galerie des Online-Merker: DICHTERLIEBE von Robert Schumann. Gesungen vom Maryna Lopez, am Klavier begleitet von Adolfo Lopez

Kaum jemals ist die Ambivalenz der Liebe mit all ihren Zuständen wie Glück, Erfüllung aber auch Sehnsucht und Verzweiflung so vollkommen künstlerisch dargestellt worden wie in Robert Schumanns Gesangszyklus Dichterliebe aus dem Jahr 1840.

Die Texte der Dichterliebe beschreiben den Weg vom gefühlvollüberschäumenden Liebeserwachen über den qualvollen Moment des Abgewiesenwerdens bis hin zum fast dramatischen Stadium der Depression eines unglücklich Liebenden, der seine Liebe schließlich quasi „begraben“ muss. Schumann entwickelt in seiner Vertonung eine Art Dramaturgie, zu der er in Folge seines gerade erlittenen eigenen Liebesschicksals eine starke Affinität verspürte. Heines doppelbödige Ironie, seine fein nuancierte Symbolik, mit deren Hilfe er auch die kompliziertesten Stimmungen zu beschreiben vermag, werden in Schumanns Vertonung eingefangen. Charakteristisch für viele Heine-Vertonungen Schumanns sind die ausgedehnten Klaviernachspiele. In op. 48 reflektieren sie das zuvor durch Wort und Musik Dargestellte und verhindern eine klar abgeschlossene Wirkung: Die romantische Sehnsucht nach dem Unerreichbaren soll bestehen bleiben.

Der Zyklus dauert etwa 30 Minuten und ist für eine lyrische Tenorstimme komponiert. Die Originaltessitur wäre aber auch von einem Sopran gut singbar.Transponierte Fasssungen für Bariton liegen ebenfalls vor.


„Dichterliebe“. Foto: Barbara Zeininger

Maryna Lopez ist Mezzosopran und taucht mit ihrem Klavier- und Lebenspartner Adolfo Lopez tief in Schumanns Gefühlswelt ein. Lopez glänzte durch ihr Volumen, ihre Intonationssicherheit, ihr warmes Timbre, ihre Interpretation war ein Hörerlebnis für die zahlreich erschienenen Besucher, das auch entsprechend akklamiert wurde. Beeeindruckend auch das Wechselspiel mit ihrem kongenialen Partner am Klavier, Adolfo Lopez. Gerade die „Dichterliebe“ stellt an den Klavierbegleiter hohe Anforderungen. Beide Künstler zogen dabei alle Register ihres musikalischen Könnens.

In der Online-Galerie waren zwar bereits Weltstars für Künstlergespräche zu Gast, über Konzerte wagte man sich bisher nicht so wirklich drüber. Dieser Abend war Ermutigung und wohl auch Auftrag zugleich!

Anton Cupak


Maryna und Adolfo Lopez. Foto: Barbara Zeininger

 

ATHEN/ Onassis Stegi: SONGS OF REBELLION von Brigitta Muntendorf und Michael Hoeppner

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Onassis Stegi, Athen: Songs of Rebellion

Auffuehrung am 29. Februar 2020

Onassis Stegi bringt einmal mehr innovatives Musiktheater auf die Buehne. „Songs of Rebellion“ ist eine Koproduktion zweier Berliner Musiktheater-Kollektive: Opera Lab Berlin und Ensemble Garage. Die deutsch-oesterreichische Komponistin Brigitta Muntendorf und der Regisseur Michael Hoeppner formten hierfuer aus verschiedenen Ensembles eine „Community of Practice“. Das Werk, welches am 27. September 2019 im Berliner Ballhaus Ost seine Urauffuehrung feierte, setzt sich aus einer Folge aus Songs resp. Protestliedern zusammen. Um die Worte der Macher zu verwenden: „Songs of Rebellion entfaltet einen Erlebnisraum musikalischer, theatralischer und medialer Schaltstellen, in dem Weltflucht und Agitation, Kunst und Politik, Neue Musik und Pop, Kontemplation und Aktion zu jeder Zeit Fanfare wie auch Schlaflied der Rebellion sein koennen.“

Wie sieht dieses multidimensionale Musiktheater nun auf der Buehne aus? Das Besondere ist zuallererst einmal, dass sich Performer und Publikum gemeinsam auf der Hauptbuehne von Onassis Stegi befinden. Genauer gesagt, die Zuschauer befinden sich in der Mitte, in einer Art Arenasituation, waehrend die Akteure auf einem umlaufenden Steg oder im Publikumsbereich agieren. Eine grosse silberne Kugel im Zentrum markiert wohl unsere Welt, in deren silberner Oberflaeche wir uns und die Performer gespiegelt sehen. Das Setting soll uns wohl sagen, dass wir es sind, welche die Welt bewegen muessen, dass wir aufbegehren sollten. Von der Performanceseite kommt leider wenig, was einen als Zuschauer in Aufbegehren versetzen koennte. Musikalisch spannnt sich der Bogen von Pop zu Schubert, textlich reicht das Spektrum von Goethes „Prometheus“-Gedicht bis zu Herbert Marcuse Gedanken zum antiken Helden: „Prometheus ist der Archetypus des Helden des Leistungsprinzips.“ Prometheus als paradigmatische Figur leuchtet ein, den Bildern moderner, die Welt stimulierender Helden von Gandhi bis Maria Callas findet Zustimmung und das Vorzeigen rechtskonservativer Helden bringt eine interessante, gegenlaeufige Komponente ins Spiel. Was ist aber mit all den musikalischen Facetten des Rebellentums? Wo bleibt deren Musik? Der Ethnopop der Kostueme reicht nicht aus, um das Phaenomen in einen groesseren Massstab zu setzen. Die stilisierten Gesten der Akteure sind auch nicht wirklich den Rebellen des Alltags abgeschaut. Irgendwie bleibt dieser Abend zwischen Prometheus und Schuberts „Winterreise“ im dramaturgischen Nirgendwo stecken. Zugegeben, die Verwendung von „Fremd bin ich eingezogen“ mit unterschiedlichem Textmaterial – begleitet von Performern, welche einzelne Zuschauer zur Ruhe legen – sorgt fuer einen anruehrenden Schluss. Man koennte dies als ein Abschiednehmen von der Rebellion verstehen.

Man darf zusammenfassend festhalten, dass die Produktion in ihren visuellen Details durchaus gut gemacht war. Die Ausstattung von Jule Saworski und das Videodesign von Warped Type (Andreas Huck und Roland Nebe) befoerderten die Schaulust.

Die Akteure auf der Buehne boten musikalisch gute Leistungen: Louis Bona an der Viola, Evdoxia Filippou am Schlagwerk, Till Kuenkler an der Posaune, Carola Schaal an der Klarinette, Malgorzata Walentynowicz am Synthesizer sowie Brigitta Muntendorf und Michael Hoeppner. „Songs of Rebellion“ bietet ein paar grosse Gedanken, aber zu wenig Musik. Der rebellische Funke springt dabei nicht auf das Publikum ueber.

Die Zuschauer spenden am Schluss freundlichen Beifall.

Ingo Starz (Athen)

BERLIN/ Komische Oper: DON GIOVANNI –„aufgefritscht“

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Wolfgang Amadeus Mozart: Don Giovanni, Komische Oper, Berlin, Vorstellung: 29.02.2020

 (32. Vorstellung seit der Premiere am 30.11.2014, 2. Aufführung seit der Wiederaufnahme am 20.02.2020)

Don Giovanni aufgefritscht

Regisseur Herbert Fritsch desertiere in seiner Lesart Don Giovanni in den formal virtuos arrangierten Nonsens und gebe dem Publikum so  Gedankenfreiheit, berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung zu Mozarts «Don Giovanni» an der komischen Oper in Berlin. So zeigt der Abend ganz hervorragend, was das ach so verrufene, konventionelle Theater zu bieten hat: Regisseure, die das Stück akzeptieren, stimmige Textfassungen und Protagonisten, die sich dem Stück hingeben können und sich nicht dem Regisseur ausliefern müssen.

Der Abend stellt zuerst einmal – und einmal mehr – die Frage, weshalb ein Regisseur den Auftrag zur Inszenierung annimmt, wenn er dem Stück nicht vertraut und daher die Umstellung musikalischer Nummern wie auch die Änderung des Textes für nötig hält. «Wer etwas auf der Bühne darstellen und ausdrücken will, kann das nur durch reale ungebremste Gefühle in dem realen Moment, in dem er es ausdrückt. Es geht nicht um die Nachbildung von Realität, sondern die Bühne ist eine eigene Realität.» So Herbert Fritsch im Interview im Programmheft. Dann wäre vielleicht eine Theater-Werkstatt, ein Mit-Mach-Theater vielleicht das passendere Format gewesen.

Wer Werk und Komponist ernst nimmt und willens ist sich und seine Ideen hintan zustellen, hat auch kein Problem das Werk in seiner sprachlichen Urfassung aufzuführen. Wenn man schon in Deutsch spielen will, wäre es angebracht gewesen, sich für eine Fassung zu entscheiden. Hier aber hat Sabrina Zwach (Dramaturgie und Deutsche Fassung) den Nonsens mit grossem Einsatz in die Dialoge, die sich entsprechend mit den Ensembles reiben, übernommen.

Absolut beeindruckend ist es zu sehen, mit welchem Einsatz und Akribie die Protagonisten den Nonsens auf die von Fritsch gestaltete Bühne bringen. Als Bühnenbild dienen Fritsch vorhangartig aufgehängte Spitzenstoffe, die Frank Evin ihm kunstvoll beleuchtet. Geboten wird die zu erwartende Blödelei. Immerhin etwas Konsequentes: Wo Fritsch drauf steht, ist auch Fritsch drin.

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Foto: Monika Ritterhaus

Evan Hughes gibt einen quirligen Leporello. Musikalisch bleibt er recht eintönig, das freie «Schauspiel» scheint für ihn die Hauptsache zu sein. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm und so ist ihm Günter Papendell ein ebenbürtiger Partner. Stefano Cifolelli lässt einen schönen Tenor hören, den er vermutlich nicht so einsetzen darf, wie er könnte. Tijl Faveyts als Komtur und Nicolas Crawley bleiben angesichts des Bühnengeschens recht blass. Nadja Mchantaf als Donna Anna und Karolina Gumos geben ihre Partien soweit als möglich rollendeckend. Beide Stimmen aber fehlt das Fundament um das Haus füllen und wirklich Eindruck hinterlassen zu können. Georgina Melville ergänzt das Ensemble als Zerlina.

Das Orchester der Komischen Oper Berlin spielt unter Leitung von Jordan de Souza arg zerdehnt und farblos. Da hat man auch von klassischen Klangkörpern schon weitaus Besseres gehört.

Eine Empfehlung für all jene, die diese Art von Komik mögen, und für all jene, die ihre Sicht auf das Repertoire-Theater justieren wollen.

Weitere Aufführungen: 11.03.2020, 27.03.2020 und 01.04.2020.

01.03.2020, Jan Krobot/Zürich


KARLSRUHE/ Badisches Staatsballett: „SEID UMSCHLUNGEN“ – Weltumspannender Willkommensgruß

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Karlsruhe: Badisches Staatsballett

„SEID UMSCHLUNGEN“ 29.2. 2020 (Premiere 3.11.2019) – Weltumspannender Willkommensgruß


Ensemble unter der Möbiusschleife in „Seid umschlungen“. Foto: Jochen Klenk

Die Ballettwelt ist doch eng miteinander verknüpft. Bis zum Sommer 2019 hatte die ehemalige Stuttgarter Primaballerina Birgit Keil die Geschicke der von ihr in den Stand eines Staatsballetts geführten Companie in Karlsruhe geleitet; ihre Nachfolgerin wurde zu Saisonbeginn mit Bridget Breiner ebenfalls eine einstige Erste Solistin des Stuttgarter Balletts. Bereits in dieser Funktion hatte die Amerikanerin mit ersten Choreographien auf sich aufmerksam gemacht, ehe sie 2012 Ballettdirektorin des Theaters im Revier in Gelsenkirchen wurde. In dieser Funktion hatte sie auch selbst weiter choreographiert und stellte sich als solche nun auch in Karlsruhe beim vielsagenden Eröffnungsprogramm vor. Das Zitat aus Schillers „Ode an die Freude“ ist nicht nur Hinweis auf die Umrahmung des Abends durch eine Beethoven-Hommage, sie ist gleichzeitig eine Willkommens-Geste an das Publikum, sich in aller Offenheit und Toleranz für die Präsentation ihrer TänzerInnen angesprochen und darin einbezogen zu fühlen. Universell und weltumspannend demonstriert durch das aus 19 Nationen in aller Welt stammende 32köpfige Tanz-Ensemble.

Der Jahresjubilar Beethoven umrahmt und umschlingt im wahrsten Sinne des Wortes mit seiner Vertonung von Schillers Text in Gestalt der 9.Symphonie Breiners erstes Programm, das einen Überblick über die Bandbreite und aus persönlichen Bezügen zusammengestellte Ausrichtung ihrer Amtszeit geben soll. Bei dieser Gelegenheit greift die Direktorin auf die selten zu hörende Fassung für zwei Klaviere von Franz Liszt zurück. Elena Kuschnerova und Angela Yoffe geben bei ihrer anfangs auf der Bühne, im Finale im Orchestergraben absolvierten Präsentation des Werkes einen immer wieder aufhorchen lassenden Eindruck von der bravourösen komplexen Komprimierung von Beethovens vielschichtiger Partitur auf vier Hände. Diese Form ermöglicht eine starke Konzentration auf das Tanzgeschehen, das Breiner zunächst rund um die beiden Klaviere anordnet, ehe am Ende die komplette Weite und Tiefe der Bühne von den TänzerInnen vereinnahmt wird, der Freude schöner Götterfunken raumgreifende Gestalt gibt. In Anlehnung an das Unendlichkeit symbolisierende  Möbiusband bzw. –schleife schlingt sich ein solches in Jürgen Kirners Bühnenraum von der Rampe bis nach oben bzw. schwebt später im Hintergrund über den TänzerInnen. Die von Breiners ehemaligem Stuttgarter Kollegen Thomas Lempertz in phantasievolle Trikots mit rot-blauen Applikationen gekleideten TänzerInnen beschriften den vorne am Boden liegenden Teil des Bandes immer wieder mit Wort-Zitaten und geben zwischen den einzelnen Programm-Beiträgen parallel zu ihrer aufgezeichneten Stimme solo ihren Gedanken zu den schönen Götterfunken individuellen Ausdruck, durchaus auch mit Nachdenklichkeit und einem gewissen Fragezeichen.

Als klassisch geprägte Tänzerin möchte Breiner auch dieser Basis Raum in ihrer Repertoire-Gestaltung geben, nicht zuletzt um das diesbezüglich von ihrer Vorgängerin aufgebaute Niveau zu erhalten und ihrem größtenteils aus Gelsenkirchen mitgebrachten Ensemble eine vielseitige Plattform zu geben. Der erste der beiden klassischen Beiträge bildete indes leider das Schlusslicht in Ertrag und Echo. Der Pas de dix aus Marius Petipas „RAYMONDA“ lebt wie ein großer Teil dieses Werkes mehr in einer diffizil und fein geformten Melodik und Instrumentation von Alexander Glasunow als in seiner doch eher akademisch trocken daher kommenden Haltung. Daran kann auch die Fassung von Lynne Charles nicht rütteln. Die fünf Paare machen ihre Sache durchaus, mehr oder weniger auf einem Level, gut. Um damit wirklich zu glänzen, bedarf es wohl indes noch besserer Interpreten.

Da ist der ebenfalls divertissement-artige „PAS DE 5“ nach musikalischen Motiven aus Adolphe Adams „Giselle“ doch von ganz anderem Kaliber, zumal in der schnittig betonten Choreographie des Dresdner Ballettchefs David Dawson, wo Breiner selbst für kurze Zeit engagiert war. Hier werden klassische Formen mit viel Körperausdruck aufgeladen, die den Freiraum für jeweils bestmögliche Präsentation unterschiedlichster Tänzer bietet. Mit Lucia Solari und Daniel Rittoles als technisch heraus ragenden Akteuren (in Tutus und modischen beigen Hosen und schwarzen Oberteilen) entfaltete sich hier die ganze Würze, die im anderen Stück fehlte.

Neben Breiners eigenem Beitrag lagen in der Publikumsgunst zwei Beiträge deutlich vorne. Zunächst einmal Kevin O’ Days „ALWAYS / ONLY“ , speziell für dieses Programm geschaffen und allein schon durch Bryce Dessners Auftragskomposition „Aheym“ (= heimwärts) für das Kronos-Quartett in mitreißendem Sog zwischen jagenden sich in minimalistischer Manier wiederholenden Streicher-Staccati und sphärisch entspannten Phrasen gehalten. Dieser Klangwelt folgt O’Days Schrittekanon mit einer unablässigen Stringenz, lässt die beiden Paare in wechselnden Kombinationen einen Kreislauf beständiger Anziehung, Reibung und Abstoßung begehen. Alba Nadal,  Lisa Pavlov, Joao Miranda und Joshua Swain verdienen in ihrem engen und gleichermaßen wie unter Strom stehenden Zusammenwirken alle einzeln erwähnt zu werden.

Letzterer wird genauso wie der bereits unter Birgit Keil heraus gestochen charmante Pablo Octavio im Finale aus Richard Siegals „THE NEW 45“ hörbar zum Publikumsfavoriten, so sehr zünden beide mit ihrer lässigen Broadway-Performance als wohltuend fern jeglichem Intellekt ironisch witzig zu Kurt Weill- und Benny Goodman-Klängen groovende Boys. Der Gegensatz der von alten knisternden Single-Platten mit 45 Umdrehungen kommenden Musik und der Frische dieses Duos entwickelt dabei einen besonderen Reiz.

Selbst eine häufige Interpretin von „TUÉ“, lag es nahe, dass Breiner dieses Solo ihres Kollegen Marco Goecke, zu dem sie seit ihrer gemeinsamen Ausbildung in München eine besondere Beziehung verbindet, in diesem Programm präsentiert. Der von einem besonderen Alleinstellungs-Merkmal geprägte Flatterstil dieses Choreographen setzt in diesem hier von Rita Duclos feinnervig transparent umgesetzten Solo die Tänzerin in Bezug zur ebenfalls unruhig nervösen Stimme der Chansoniere Barbara und Prinzessin Caroline von Monaco als Widmungsträgerin. In solch auf wenige Minuten komprimierter Form kommt Goeckes unkonventioneller Körpereinsatz (hier fällt der immer wieder zur Seite geneigte Kopf mit zuckend daran gehaltenen Händen auf) am besten zum Tragen.

Einen keinesfalls stehenden Ruhepunkt schafft „DAYBREAK“ (=Tagesanbruch), ein 2017 für Gelsenkirchen geschaffener Pas de deux des auch als Filmemacher aktiven Schweden Pontus Lindberg vor im Hintergrund in Dia-Form klein erleuchteter Baum-Kulisse mit dazwischen glitzernder Sonne zum wunderschön elegischen Streicher Adagio von Samuel Barber. Bühne und Musik bilden hier eine ideale Grundlage für eine wehmütig getränkte Schönheit klassisch geformten Tanzes von seiner zerbrechlichen und flüchtig momentartigen Seite betrachtet. Lisa Pavlov und José Urrutia tragen dem von sanften Hebungen und zwischenmenschlicher körperlicher Nähe geprägten Stück auf harmonischste Weise Rechnung.

Bleibt noch als etwas zwiespältiger Programmteil Marguerite Donlons „RUFF CELTS“, das eine zehnköpfige Gruppe etwas beliebig nacheinander durch elektronische Rhythmen und Irish Folk zu unterschiedlichsten Formsprachen aus der Klassik heraus bis zum Break Dance führt. Die Hommage an ihre Heimat Irland vereint mit schon sehr speziellem Humor die Gegensätze zwischen keltisch wildem Ursprung (begleitet von kehligen Schreien der Akteure) und Zivilisation, zwischen verstaubter Historie und abstrakter Gegenwart in eigenwilligen Kostümen mit Kilts, Strumpfhosen und weißen Halskrausen.

Hatte Breiner Beethovens Neunte noch im Dämmern mit schwarzen Umhängen beginnen lassen, so schälen sich im Schlusssatz immer mehr Individuen aus der Masse lichtartig heraus. Das sowohl von Scheitern als auch von Erfolg wechselnd geprägte Dasein gehört auch zu diesem Glaubensbekenntnis an den Menschen, weshalb sich die TänzerInnnen zu den aufeinander stürzenden Motiven der Musik immer wieder aufbäumen, wieder zusammen fallen und sich erneut von der Hoffnung tragen lassen. In ihrer von vielen Sprung-Kombinationen und vielfältig ineinander laufenden Windungen durchzogenen Kreation lässt Breiner, auch in nachdenklich verharrenden Momenten ohne Spannungslöcher unablässig die humane Botschaft des Stückes mitschwingen. Und so streben zu den letzten Takten der sich im Freudentaumel überstürzenden Coda alle TänzerInnen nacheinander wie eine Kette vorne direkt vor das Publikum. Solcherart kann das Publikum das größtenteils neue Ensemble und seine Leiterin nicht anders als wie mit offenen Armen, in diesem Fall rauschenden Ovationen aufnehmen und feiern.

 Udo Klebes

 

DRESDEN: DIE BANDITEN in der Staatsoperette / DIE GROSSHERZOGIN VON GEROLSTEIN in der Semperoper

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Offenbach in Dresden – „Die Banditen“ (Staatsoperette, Premiere am 28.2.2020) und „Die Großherzogin von Gerolstein“ (Semperoper am 29.2.2020)

Nein, das hat Jacques Offenbach nicht verdient. Und nochmals Nein, das hat auch das Publikum (und nicht nur das der Premiere am Freitag, 28.Februar) der Staatsoperette Dresden nicht verdient. Diese szenische Verunstaltung von Jacques Offenbachs 1869 in Paris uraufgeführten Opéra-bouffe „Die Banditen“ (im Original „Les Brigands“). Wäre da nicht Offenbachs unsterbliche Musik, man würde in dieser Produktion das Werk nicht mehr erkennen. Dass es auch anders geht, bewies die Semperoper mit der Premiere der „Großherzogin von Gerolstein“ am Tag danach.

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Foto: Staatsoperette Dresden

Zugegeben, jede Übersetzung der Texte von Henri Meilhac und Ludovic Halévy in eine deutsche Fassung ist problematisch, weil der Wortwitz und der Zeitbezug verloren geht. Aber zwischen einer zumindest einigermaßen werktreuen Übersetzung und einer eher mehr als weniger freien Nachdichtung liegen Welten. Und um konkret zu werden – Valentin Schwarz hat für die „Banditen“ eine Textfassung erstellt, die sich angeblich auf Ernst Dohm (1870) und Karl Kraus (1928) bezieht, aber zumindest mit dem letztgenannten wenige Gemeinsamkeiten hat (weniger freundlich ausgedrückt: wäre die Rotation der beiden im Grab an einen Dynamo angeschlossen, die Stromversorgung von Dresden wäre für einige Tage gesichert), während Josef E. Köpplinger die deutsche Fassung der „Großherzogin“ von Ernst Pöttgen in seiner Einrichtung für die Semperoper mit Fingerspitzengefühl aktualisiert hat. Wobei es in diesem Zusammenhang in einer Matinee zu Offenbach am Samstag Vormittag von einem der Experten der Diskussionsrunde eine interessante Aussage gab – die Übersetzungen aus der Zeit von Offenbach in Wien kommen dem Original wesentlich näher als jede heutige und auch die berühmten Fassungen von Karl Kraus sind eher sehr freie Übertragungen.

Kommen wir also zur musikalischen Seite der beiden Premieren, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Und auch hier wieder ein Verweis auf die Gesprächsrunde am Samstag Vormittag, in der Jonathan Darlington, der Dirigent der „Großherzogin“ darlegte, man müsse Offenbach so dirigieren, als läge eine Partitur von Mozart oder Haydn am Pult. Und Frank Harders-Wuthenow vom Verlag Boosey & Hawkes ergänzte, dass bis heute nicht eindeutig geklärt ist, ob die in deutlicher Divergenz zum Libretto stehende Musik auf ein Defizit in Französisch des Komponisten rückführbar oder gewollte Karikatur des Textes ist.

Seit der Spielzeit 2013/2014 ist Andreas Schüller Chefdirigent der Staatsoperette Dresden, hat seinen Vertrag aber (dem Vernehmen nach „aus künstlerischen Erwägungen“) mit Ende der laufenden Saison gekündigt. Sein Orchester ist, ich bin versucht zu sagen natürlich, kein Spitzenorchester, aber was Schüller aus den Musikern herauszuholen vermag, wie er nahezu sektperlend musizieren lässt, nötigt Respekt ab. Und es spricht Bände, dass das Orchester und der Dirigent den mit weitem Abstand deutlichsten Beifall erhielten. Nicht nachvollziehbar ist für den Gast aus Wien allerdings, warum sich der Dirigent manch einem sinnentleerten Regieeinfall (so wurde beispielsweise zwischendurch gerappt und nach dem Finale erklang ein Chor aus der „Matthäuspassion“) nicht nachhaltig widersetzen konnte. Da war der Regisseur der Intendantin zweifellos näher als der Chefdirigent.

Mit der Staatskapelle Dresden sitzt im Orchestergraben der Semperoper eines der europäischen Spitzenorchester, das es versteht, neben Strauss und Wagner und dem klassischen Opernrepertoire auch einen hier kaum gespielten Komponisten beinahe ideal zum klingen zu bringen. Das ist Wille und Können einerseits, aber gleichzeitig auch Verdienst des Dirigenten Jonathan Darlington.

Auch stimmlich blieb in der Staatsoperette mehr als ein Wunsch unerfüllt. Einzig Laila Salome Fischer in der Hosenrolle des Fragoletto entsprach mit ihrem gut geführten wohlklingenden Mezzo auch gehobenen Ansprüchen; Annika Gerhards (Fiorella) verfügt über eine nur kleine Stimme, vermag sie durchaus hörenswert einzusetzen. Hauke Möller (Falsacappa) singt anständig, Andreas Sauerzapf muss als Pietro Pomponazzi im schlimmsten entfernt an Wienerisch erinnernden Slang parlieren; für den Finanzminister beim Herzog von Mantua konnte mit Tom Pauls immerhin eine lokale Größe aus der Kabarettszene gewonnen werden, von dem man sich allerdings auch zumindest ein Mehr an Persönlichkeit erhofft hätte. Die übrigen Mitglieder des Ensembles machen das beste aus dem geforderten Unfug. Ein Pauschallob für den von Thomas Runge einstudierten Chor.

"Die Großherzogin von Gerolstein", Semperoper Dresden | Bildquelle: © Semperoper Dresden/Ludwig Olah
Die Grossherzogin von Gerolstein: Anne Schwanewilms. Foto: Ludwig Olah

Die Semperoper kann für die „Großherzogin von Gerolstein“ dem Premierenpublikum ein teils durchaus prominent besetztes und mit Gästen verstärktes Ensemble bieten. Anne Schwanewilms kann auf eine lange Karriere mit Schwerpunkt Wagner und Strauss zurück blicken, hat sich in den letzten Jahren immer wieder auch ausgefallenen Werken gewidmet und ist hier und jetzt in der Titelpartie zu hören. Obwohl nicht angesagt, fürchte ich, dass sie am gestrigen Premierenabend indisponiert war, anders kann ich mir die vorsichtige Stimmführung nicht erklären. Maximilian Mayer, Gast aus dem Gärtnerplatztheater, singt und spielt den Soldaten Fritz, der zunächst in Windeseile geadelt und zum General befördert und nach gewonnenem Krieg und Verschmähung der Großherzogin ebenso schnell wieder degradiert wird, bestmöglich; seine große Liebe Wanda wird bei Katerina von Bennigsen in Stimme und Darstellung ideal vereint. Martin Winkler poltert stimmgewaltig als General Bumm, Daniel Prohaska ist ein ebenso liebens- wie hörenswerter Prinz Paul, Sigrid Hauser ist eine Luxusbesetzung für die Erusine von Nepumukka, Jürgen Müller und Martin-Jan Nijhof komplettieren die wesentlichen Personen der Handlung als Baron Puck und Baron Grog. Und auch an diesem Abend gilt ein pauschales Lob den Damen und Herren des Chores (Einstudierung Jan Hoffmann).

Zu guter Letzt (der was die Staatsoperette betrifft auch zu schlechter Letzt) muss über die Inszenierungen geschrieben werden.

Die erst vor wenigen Monaten in die Funktion der Intendantin der Staatsoperette Dresden berufene Kathrin Kondaurow hat den jungen und kaum operettenerfahrenen Valentin Schwarz mit der Regie der „Banditen“ beauftragt. Wenn der in Wien ausgebildete Regisseur das Publikum mit seiner Arbeit provozieren wollte, so ist ihm das gelungen. Ernst nehmen kann man das, was er im Team mit Bühnenbildner Andrea Cozzi, dem für die Kostüme verantwortlichen Otto Krause und dem Choreographen Radek Stopka auf die Bühne gestellt hat, nämlich nicht. Längst abgedroschene und an Seichtheit kaum zu unterbietende Witzchen wechseln mit dümmlichen Sexszenen, Pistolengeknalle wird von wenig sinnvollem Herumgehüpfe abgelöst. Auch die Kostüme passen eher in den Wilden Westen und einen Karl May-Film als in ein Räuberlager. Dresdens Polizei müsste im Hinblick auf die Verballhornung ihrer uniformierten Mitglieder eigentlich unverzüglich mit einer Unterlassungsklage kontern (und nein, das wäre kein Ausdruck von Humorlosigkeit sondern gerechtfertigte Gegenwehr). Der Einsatz der Drehbühne ist mehr Mittel zum Zweck als dramaturgisch einleuchtend und ein an ein Cowboylager erinnerndes Bühnenbild samt entsprechender Kostüme ist von Offenbach so weit entfernt wie die Textfassung des Regisseurs vom originalen Libretto. Dass Hauke Möller als besonderer Gag (Witz komm heraus, Du bist umzingelt) die Stimme wegbleiben muss und er also vom Band eingespielt wird, ist so wenig lustig wie die gespielte Sperre der Bühne durch angebliche Inspektionsbeamte und das weitere Spiel vor dem Orchester. Irgendwann wird auch, wie passend, Barockmusik vom Band eingespielt, am Ende des Abends zitiert man die sieben letzten Worte am Kreuz und der bedauernswerte Chor muss Bach singen. Ach ja, der Regisseur beweist auch seine bildungsbürgerlichen Weisheiten, indem er Brecht zitieren lässt. Der kann sich gegen diese Vereinnahmung ja nicht mehr wehren – und Halévy und Meilhac noch weniger. Der Unmut über das szenisch Gebotene wuchs im Laufe des Abends zunehmend und entlud sich in einem Sturm an Ablehnung gegen den Regisseur und seine Mitstreiter bei der Verbeugung. Ihm zumindest dürfte das gefallen haben. Zum Desaster des Abends passt, dass es für einige Rollen Doppelbesetzungen gibt, dem Programmheft aber kein Zettel mit der Abendbesetzung beigefügt ist.

Tags darauf, gestern am Abend, bot sich in der Semperoper das genau gegenteilige Bild. Auch Josef E. Köpplinger hat den Text bearbeitet und in Teilen in die Gegenwart transferiert. Aber Köpplinger ist intelligent genug um zu wissen, was dabei möglich und sinnvoll ist. Und auch in seiner Inszenierung geht er mit der „Großherzogin von Gerolstein“ offenbachgerecht um. Über seine Witze kann man wirklich lachen, die zeitbezogenen Liedstrophen sind von schenkelklopfendem Humor weit entfernt, die Zitate an die neu eröffnete Gemälde-Galerie (Bühnenbild Johannes Leiacker) passen in die Räume der Großherzogin so wie auch die Kostüme von Alfred Mayerhofer den schmalen Grat zwischen Realität und Satire nie verlassen. Und selbst das Ballett der Soldaten (Choreographie Adam Cooper) wirkt nicht aufgesetzt. Köpplinger beweist einmal mehr, dass er nicht nur die Personen zu führen weiß, sondern auch mit passend eingesetzten szenischen Bonmots das Interesse des Publikums wach hält. Und selbst lange bekannte Gags wirken bei ihm nicht abgestanden sondern wie neu erfunden. Mit Recht konnte das Premierenpublikum einen gelungenen Abend bejubeln. 

Michael Koling      

 

STUTTGART/ Schauspielhaus: WELTWÄRTS von Noah Haidle. Premiere

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Peer Oscar Musinowski, Therese Dörr, Elmar Roloff, Klaus Rodewald. Foto: David Baltzer

Premiere „Weltwärts“ von Noah Haidle am 29. 2. 2020 im Schauspielhaus/STUTTGART

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Es ist eine nachdenkliche Inszenierung von Burkhard C. Kosminski, die sich dem Stück „Weltwärts“ von Noah Haidle annimmt, der 1978 in Michigan geboren wurde. 2012 wurde sein erstes Drehbuch „Stand Up Guys“ mit Al Pacino und Christopher Walken verfilmt. Im weiträumigen, kreisförmigen Bühnenbild von Florian Etti (Kostüme: Lydia Kirchleitner) werden die letzten Fragen ziemlich unverblümt und schonungslos gestellt. Die von Therese Dörr mit vielen Nuancen gespielte 36jährige Anna ist unheilbar krank und hat sich entschlossen, ihren Suizid selbst zu planen – und zwar im engen Kreis ihrer Familie. Das Abschiedsfest wird dann allerdings zu einem entlarvenden psychologischen Kammerspiel, das die unterschiedlichen Charaktere der Protagonisten aufeinanderprallen lässt. Anke Schubert mimt Annas relativ gefasste Mutter Dorothy, die diese seltsame Seelenwanderungsfeier organisiert hat. Hier werden psychische Abgründe allerdings ebenfalls glaubwürdig dargestellt, denn es bereitet der als Hebamme tätigen Mutter letztendlich doch große Probleme, ihre lebensmüde Tochter auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Da kommt es zwischen den beiden Frauen zu berührenden Szenen. Elmar Roloff mimt brillant den im „Hare Krishna“-Kostüm auftretenden Zahnarzt Onkel Buddy, der als Amateurschauspieler reüssiert und die ganze Handlung erheblich durcheinanderbringt. Aber er sorgt auch dafür, dass in dieses an und für sich tragische Geschehen sogar eine Brise Humor kommt. Onkel Buddy stellt die Medikamente bereit und unterschreibt den Totenschein. Er ist sich jedoch auch bewusst, dass sein Handeln dem „Hippokratischen Eid“ der Ärzte zuwiderläuft: „Dann nehme ich meine Theaterbegabung mit in die Haftanstalt!“ Rebekka Roller spielt sehr überzeugend und mit erstaunlicher Reife die kleine Rose, die nach den perfekten letzten Worten für ihre unglückliche Mutter sucht. Josephine Köhler verkörpert sehr temperamentvoll Baby, die gegen das an und für sich grausame Geschehen aufbegehrt und als Annas Zwillingsschwester die Welt nicht mehr versteht. Diese Tatsache demonstriert sie ebenfalls überzeugend in explosiven Gesangseinlagen. Als ihre Mutter Dorothy ihr offenbart „Wir assistieren beim Suizid deiner Schwester“, verliert Baby die Fassung.

Zwischen dem von Gabor Biedermann einfühlsam dargestellten Geigenlehrer Louis und Anna entwickelt sich eine Beziehung: „Ich liebe dich“. Aber auch er kann ihren unausweichlichen Suizid nicht aufhalten und stellt dann später fest, dass er an einem Gehirntumor leidet. Peer Oscar Musinowski stellt facettenreich Officer Owen dar, der die gesamte Familie zunächst verhaften will und sich dann doch anders entscheidet. Kevin (mit vielen Nuancen: Klaus Rodewald) wird als aufbegehrender „Zaungast“ der Familie von Officer Owen regelrecht verprügelt. Er sitzt zunächst im Publikum und wird dann nicht nur vom Officer auf die Bühne gerufen.

Burkhard C. Kosminski hat sich in seiner gelungenen und mutigen Inszenierung dem offensiven Umgang mit dem Sterben und dem schwierigen Thema „Sterbehilfe“ in leidenschaftlicher Weise angenommen. Und man spürt, dass seine Schauspieler hier ganz bei der Sache sind. Da gibt es keine Langeweile, keine Pausen und Leerstellen. Gelegentlich treten zwar kleinere Schwächen in der szenischen Dichte zutage, doch der Zuschauer wird mit einem starken Schluss bei dieser Inszenierung mehr als entschädigt. Da dreht sich dann die grasgrüne Bühne – und zwischen der tristen Ausstattung von weißen Stühlen und einem ebensolchen Tisch entschließt sich Anna endgütig, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Da tun sich dann eindrucksvolle Bilder auf, die kreisrunde Scheibe auf der Bühne dreht und verändert sich in geheimnisvoller Weise – und man spürt, wie Anna zwischen Licht und Schatten ganz allmählich ins Jenseits hinübertritt. Doch selbst hier hat man die Vermutung: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Am Ende stehen alle Darsteller an der Rampe und lassen ihr Leben Revue passieren – der Zuschauer darf dann mit ihnen zusammen auch einen unmittelbaren Blick in die Zukunft wagen. Sie erzählen, wie alt sie werden. Die suggestive Musik von Hans Platzgumer und die Video-Sequenzen von Sebastian Pircher („impulskontrolle“) tragen entscheidend zum Gelingen der Inszenierung bei. Beim Publikum kam dieser ungewöhnliche Abend glänzend an, die Begeisterung und der Applaus waren groß.

Alexander Walther

WIEN / Albertina: MICHAEL HOROWITZ

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WIEN / Albertina / Galerie in der Basteihalle:
MICHAEL HOROWITZ
Vom 28. Februar 2020 bis zum 13. April 2020

Gemma Promis schau’n!

Michael Horowitz, Jahrgang 1950 und unentwegt aktiv, war pudeljung, als er sich in den späten sechziger und siebziger und achtziger Jahren in die Promi-Szene Wiens stürzte. Mit seiner Schwarzweiß-Kamera war er dabei, wurde akzeptiert und konnte erstaunliche Fotos machen. Immer wieder hat man seine Bilder gesehen, zuletzt im Jüdischen Museum. Nun ist er im Kellergeschoß (der Basteihalle) der Albertina gelandet, wo es unter dem schlichten Titel „Michael Horowitz“ vor allem Fotos aus der Wiener Kulturszene zu sehen gibt. Ein Eindruck, der sich sofort einstellt: Wie jung sie alle damals waren!

Von Renate Wagner


Alle Fotos gehören rechtlich Michael Horowitz und wurden in der Ausstellung fotografiert

Michael Horowitz   Er war und ist immer da, unermüdlich, ein Vierteljahrhundert leitete er das „Kurier“-Magazin und machte daraus eine vor allem fotografisch anspruchsvolle Beilage. Seither schreibt er seine kulturhistorischen Essays für die „Presse“, im übrigen war er vielen großen Österreicherin (von Karl Kraus und Egon Erwin Kisch bis Qualtinger) biographisch auf der Spur. Und verwertete immer wieder seine weit vernetzten Beziehungen zu den Künstlern des Landes. Man sollte nicht glauben, dass er nur in der Vergangenheit unter ihnen zuhause war. Auch wenn die derzeitige Albertina-Ausstellung – nur ein Raum, die seitliche „Galerie“ im Keller – vor allem in die Geschichte zurückgeht: Friederike Mayröcker sitzt 2019 inmitten ihres Papier-Chaos, in dem wahrscheinlich nur sie sich auskennt…

Immer dabei     Er hat schon als 15jähriger seine Kamera gezückt, damals als es in Wien zu den Protesten gegen den antisemitischen Professor Taras Borodajkewycz kam, und er war 18, als er in New York Kiki Kogelnik besuchte und in ihrer „Seltsamkeit“ einfing. Er fotografierte für den „Spiegel“ die Muehl-Kommune, und er hatte früh Kontakt zu den schnell berühmt werdenden Künstlern von Gugging. Er hielt Simon Wiesenthal vor einer Deutschland-Karte fest, die die KZs einzeichnete, und Arnulf Rainer als „Blackface“, was selbst dieser heute nicht mehr wagen durfte… Horowitz war dabei, als 1969 John Lennon und Yoko Ono in Wien aus dem Flugzeug stiegen, und auch, als 1980 Andy Warhol in Wien die Dichand-Tochter porträtierte – Horowitz dokumentierte.

Dabei will er in dieser Ausstellung doch nicht gänzlich ausschließlich die „Promis“ wissen – es ist ein berührendes Foto, das alte Frauen zeigt, die im Bellaria Kino (mittlerweile auch Geschichte…) auf einen Film aus der „guten, alten Zeit“ warten.

Wer berühmt war oder es wurde   Ein junger Niki Lauda, dem man ansieht, wie entschlossen er ist, es zu schaffen; win breit grinsender Arnold Schwarzenegger; eine junge Senta Berger, die immer wusste, wie sie sich am schönsten präsentiert. Alfred Hrdlicka, der provokant ein Riesenrohr zwischen den Beinen hält, und Qualtinger, der einen verlogenen Weihnachtsmann (oder Heiligen Drei König an der Seite von Fatty George und Al Fats Edwards) grinst…

Udo Proksch, als er noch nicht lebenslang im Gefängnis saß, sondern die Wiener Szene (vor allem die Politszene) aufmischte, während seine Erika Pluhar auf geheimnisvoll-dämonisch machte. Die Leherbs, die sich so effektvoll in Szene setzten, er so verrückt, die Lotte so blond… Brandauer, den Horowitz erwischt hat, wie er über den See ruderte. Aber im Grunde sind die „poetischen“, die stillen Fotos die schönsten: Thomas Bernhard, noch so jung, auf einem Fahrrad. Und – wenn man sein Lieblingsfoto wählen dürfte: ein ganz einsamer Oskar Werner im Kaffeehaus…

Albertina / Galerie in der Basteihalle:
MICHAEL HOROWITZ
Bis zum 13. April 2020,
täglich 10.00 bis 18.00 Uhr,
Mittwoch und Freitag 10.00 bis 21.00 Uhr

PARIS/ Théâtre Marigny: „LISCHEN ET FRITZCHEN“ von Jacques Offenbach. Vergnügliche Raritäten mitten im Pariser Opernstreik

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Paris: „LISCHEN ET FRITZCHEN“ von Jacques Offenbach im Théâtre Marigny – 29 2 2020 Vergnügliche Raritäten mitten im Pariser Opernstreik

An dieser Stelle sollte eigentlich eine Premierenkritik stehen der neuen Produktion von Massenets „Manon“ an der Opéra National de Paris. Doch diese fiel dem immer noch andauernden und inzwischen schon längsten Streik der französischen Operngeschichte zum Opfer, dessen Hintergründe sich schwierig in zwei Sätzen zusammenfassen lassen. Denn die Situation in Frankreich ist auf diesem Gebiet völlig anders als in den deutschsprachigen Ländern. Das hat nicht nur damit zu tun, dass die Streikrechte und dementsprechend Streikgewohnheiten total anders sind (laut EU wurde in Deutschland in den letzten 20 Jahren für 1000 Arbeitnehmer 9-14 Tage pro Jahr gestreikt, in Frankreich 150-180 Tage (!) – die beiden letzten wilden Jahre nicht mitgerechnet!). Es hat auch mit der politischen Kultur zu tun, die hier total hierarchisch ist und einem Minister oder Operndirektor verbietet, auch nur die geringste Kritik auszuüben auf einen Befehl der aus dem Elysee-Palast kommt. So kann Stéphane Lissner nicht in der Öffentlichkeit sagen, was inzwischen schon von allen Seiten bestätigt wurde: dass es in den zwei Jahren Vorbereitung der Rentenreform nicht ein einziges Gespräch mit der Oper gegeben hat, wie man diese in diesem spezifischen Fall umsetzen kann. In anderen Fällen auch. Als ex-Ministerin Ségolène Royal diesen allgemeinen Mangel an Vorbereitung und Kommunikation kritisierte, wurde sie Tag danach fristlos entlassen, weil sie als „Botschafterin der Pole“ (Nord- und Südpol, einen fast operettenartigen Botschafterposten den es anscheinend nur in Frankreich gibt) gegen den „devoir de réserve“ verstoßen hatte: die gesetzliche Schweigepflicht von französischen Beamten.

Nach drei Monaten Streik scheint immer noch kein klarer Lösungsvorschlag auf dem Tisch zu liegen, u.a. weil laut Insiderberichten weder die Pariser Oper noch die vielen verschiedenen Gewerkschaften ein Computerprogramm besitzen, mit dem man die verschiedenen Rentenmodelle berechnen könnte. Das Kultusministerium besitzt wohl ein solches, doch der jetzige Minister Franck Riester interessiert sich mehr für die französische Mee-too-Debatte um Roman Polanski als für die National Opern (es wird u. a. auch in Lyon gestreikt). Keiner weiß, wie es weitergehen wird und die Pressekonferenz für die nächste Spielzeit – an der Pariser Oper immer schon im Februar – wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Weil Stéphane Lissner unmöglich seine letzte Spielzeit ankündigen kann (bevor er nach Neapel weiterreist) ohne zu wissen, wieviel Geld noch in den Kassen sein wird und ob die geplanten Neuinszenierungen überhaupt stattfinden können. Positiv ist, dass seit Februar schon einige Repertoirevorstellungen stattgefunden haben und alle sich bemühen, um zumindest nach außen hin ein Gefühl von Normalität zu vermitteln, nachdem es sehr laute Proteste gegeben hatte von dem zu Recht erbosten Publikum, das im Dezember und Januar unter unmöglichen Umständen – es streikte ja auch der ganze öffentliche Verkehr – bei Schneematsch und Kälte zu Fuß dennoch in die Oper gekommen war, um dort in letzter Minute – oft erst 20 Minuten vor Beginn der Vorstellung – zuhören, dass diese abgesagt wurde. Insgesamt haben nun schon über 150.000 Besucher oft erst in letzter Minute erfahren, dass eine Vorstellung nicht stattfindet und sie wieder nach Hause gehen konnten.

In diesen nervenaufreibenden Umständen ist es wirklich bewundernswert, dass viele Künstler und Techniker dennoch hochkarätige künstlerische Arbeit geleistet haben und leisten. So ist die jetzige Neu-Produktion von „Manon“ eine der schönsten die ich je gesehen habe – nur ich darf sie aus rechtlichen Gründen nicht rezensieren. Denn ich war vorsichtshalber schon auf der Hauptprobe. Die öffentliche Generalprobe (für Jugendliche unter 25 Jahre) wurde aus „technischen Gründen“ abgesagt und die Premiere in letzter Minute wegen dem Streik.


Was nicht alles passieren kann, wenn man sich abends aus Versehen in der Wohnung seiner Nachbarin einschließt: Adriana Bignagni Lesca (Thérézina) und Damien Bigourdan (Bigorneau) in der köstlichen Offenbach-Parodie „Un mari dans la serrure“. © Raphaël Arnaud

 

Zum Glück gibt es auch an solchen Abenden in Paris viele Ersatzmöglichkeiten, sowie die köstlichen kleinen „Opéras Bouffes Bru Zane“ im Théâtre Marigny auf den Champs-Elysées (über die wir schon öfters berichtet haben). Das Palazzetto Bru Zane feiert weiter den 200. Geburtstag von Jacques Offenbach mit vielen kleinen und großen Überraschungen.


So kann eine heutige elsässische Besenverkäuferin auf den Straßen in Paris auch aussehen: Adriana Bignagni Lesca als Lischen. © Raphaël Arnaud

 

Die kleine Operette „Lischen et Fritzchen“ (kaum 20 Minuten) ist nicht ganz unbekannt, weil viele Sänger das lustige Duo „Je suis alsacienne, Je suis alsacien, Juche das Leben ist doch eine Freude, Juche das Leben ist doch ein Pläsir“ auf Platte aufgenommen haben. Aber man sieht sie selten auf der Bühne. Offenbach hat sie anscheinend nach einer Wette in nur einer Woche für den Kursaal in Bad Ems komponiert, wo das vornehme Kurpublikum sich am 21 Juli 1863 köstlich über das „Elsässisch“ auf der Bühne amüsiert hat und das Werk dann auch bald in Deutschland gespielt wurde als „Lieschen und Fritzchen“. Offenbach übernahm übrigens diese Melodie – ist das Niemanden aufgefallen? – drei Jahre später für das Duo „Je suis la gantière, je suis le bottier“ in „La Vie parisienne“ („Pariser Leben“).  


Was für eine schöne Begegnung: Lischen (Adriana Bignagni Lesca) erkennt an seiner Sprache in Fritzchen (Damien Bigourdan) einen „Landsmann“. © Raphaël Arnaud

 

Sehr origineller Weise kombiniert das Palazzetto „Lischen et Fritzchen“ mit einer vollkommen unbekannten Operette von dem genauso unbekannten Frédéric Wachs. Wachs (1824-1869) war hauptsächlich ein Arrangeur in Paris, der bekannte Melodien für Klavier und Gesang umschrieb und auch einige kleine Operetten komponierte für die Folies-Bergères und das Eldorado. So einige Offenbach-Parodien wie „Un mari dans la serrure“ (Ein Ehemann im Schlüsselloch) nach Offenbachs „Un mari à la porte“ (Ein Ehemann vor der Tür). Das Libretto, eine typisch pariserische Ehebruchskomödie, ist absolut hervorragend und könnte mit Feydeau und Labiche konkurrieren. Gefundenes Fressen für den jungen Regisseur Romain Gilbert, der mit seinem Ausstatter Mathieu Crescence beide Geschichten gekonnt zu einer zusammenschweißt und für ein äußerst vergnüglichen Abend sorgt, in dem das Publikum quasi pausenlos gelacht hat. Das lag auch an den besonders spielfreudigen Sängern (die in diesen komischen Einaktern mehr zu spielen als zu singen haben). Adriana Bignagni Lesca war uns schon in der ebenfalls durch Gilbert inszenierten „Périchole“ in Bordeaux als Brambilla aufgefallen (siehe Merker 11/2018) und besticht nun als Lischen und Thérézina durch ihre Sprachgewandtheit, die man bei diesem urkomischen „Kauderwelsch“ nötig hat. Damien Bigourdan, dem wir schon als Célestin in Mam‘zelle Nitouche von Hervé in Nantes begegnet sind (siehe Merker 1/2017), konnte ihr absolut das Wasser reichen und sie bildeten ein amüsantes Paar. Sie wurden ganz wunderbar am Klavier begleitet durch Jean-Marc Fontana, der musikalische Mentor des Abends. Denn Placido Domingo, Jessie Norman, Renée Fleming und kürzlich noch Nadine Sierra (für „Manon“) kamen zu ihm, wenig es darum geht, solche Rollen einzustudieren. Denn hier geht es darum, um genau den richtigen französischen Ton zu treffen – und das ist Allen voll und ganz gelungen. Ein vergnüglicher Abend, der Ende März in Montpellier wiedergegeben und in der nächsten Spielzeit auf einer Tournee durch Frankreich reisen wird. Zum Glück gibt es neben der „großen Oper“ auch noch die kleinen!

Waldemar Kamer


Und so erfährt man, dass man in Wirklichkeit das Kind eines unbekannten Vaters ist: Adriana Bignagni Lesca (Lischen) und Damien Bigourdan (Fritzchen). © Raphaël Arnaud

 

 Palazzetto Bru Zane: www.bru-zane.com

 

STUTTGART/ Staatsoper: DIE WINTERREISE von Hans Zender – szenisch. Premiere

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Matthias Klink. Foto: Matthias Baus

Premiere von Schuberts „Winterreise“ von Hans Zender am 1.3.2020 in der Staatsoper/STUTTGART

GRENZEN LÖSEN SICH AUF

Der Schrecken soll bei Hans Zenders Neu-Komposition von Schuberts „Winterreise“ deutlich spürbar sein. Das Staatsorchester Stuttgart ist unter der emotionalen Leitung von Stefan Schreiber vorne auf der Bühne zu sehen. Grenzen lösen sich auf – und dies auch zwischen Bühne und Zuschauerraum. Der niederländische Videokünslter Aernout Mik zeichnet bei dieser interessanten Produktion für Konzept, Video, Raum und Regie verantwortlich. In 24 Liedern begleitet Franz Schubert seinen Wanderer nach einer zerschlagenen Liebeshoffnung aus der Stadt in die Winterlandschaft hinaus. Schubert erlebte in den Jahren nach 1815 durch die Restaurationspolitik Metternichs eine vernichtende Absage an seine Kunst und sein Dasein. Diese „Winterreise“ durchlebte er ganz persönlich.


Matthias Klink. Foto: Matthias Baus

Hans Zender ist es 1993 gelungen, bei seiner „komponierten Interpretation“ die Klavierbegleitung auf kleines Orchester und verfremdet-überzeichnete Klänge zu übertragen. Man spürt diese geheimnisvolle Überwachungssituation selbst in der Partitur. Aernout Mik hat dieses Werk zwischen Cluster-, Pizzicati-, Staccati- und Glissandi-Sequenzen um die Eigendynamik virtueller Welten bereichert. So ist beispielsweise das Innere des Körpers zu sehen, aber man erkennt auch Stadtporträts von New York, Karnevalsumzüge oder Massendemonstrationen. Für Mik ist die Verlorenheit und Auflösung des Körpers zwischen virtueller und realer Welt die „Winterreise“ des heutigen Menschen. Die szenischen Übergänge sind nicht immer fließend, doch der innere Zusammenhang geht nicht verloren. Gelegentlich ergeben sich sogar Anklänge an die Musik Gustav Mahlers zwischen Schnee und Hundegebell. Die Bewegungen der 25 Musikerinnen und Musiker sind in der Partitur von Zender genau vorgegeben, der Klangkörper dehnt sich gleichsam aus. Dies ist die besondere Qualität dieser Musik. Selbst das Saxofon wird in den melodischen Prozess in wunderbarer Weise eingebunden. Und das Träumerisch-Phantastische steht weiter im Mittelpunkt. Selbst der Klangzauber der von Dominantspannungen beherrschten Klassik wird spürbar. In seinem Streben nach Selbstoptimierung gibt der ausgezeichnete Tenor Matthias Klink an diesem besonderen Abend seine gesamte Persönlichkeit und seinen Körper preis. Bei ihm gewinnen diese „schauerlichen Lieder“ wirklich eine ganz neue Dimension. Außerdem erkennt man auch bei diesem Werk Vorbilder wie Bartok, Bernd Alois Zimmermann, Boulez und Webern. Durch eine strukturell neuartig verzahnte Übernahme gesungener und gesprochener Partien tun sich bei einzelnen Nummern wie „Erfrorne Tränen“, „Der Lindenbaum“, „Auf dem Flusse“ oder „Der stürmische Morgen “ und „Täuschung“ ganz neue Klangwelten auf, die Matthias Klink mit viel Klangfarbenreichtum und stimmlichem Einfühlungsvermögen heraufbeschwört. Die Schönheit der Melodie und das Geheimnis der Harmonie werden bei Zenders Bearbeitung nicht geleugnet. Vielmehr erreichen sie durch polyphone und klangliche Verfeinerungen eine neuartige Qualität, die der Dirigent Stefan Schreiber mit dem sehr gut musizierenden Staatsorchester Stuttgart auch überzeugend herausarbeitet. So gewinnt außerden „Das Wirtshaus“ eine erstaunliche klangliche Qualität. Am meisten überzeugt hier „Der Leiermann“, dessen dynamische Kraft und grandiose Intervallspannungen sich am Ende in geheimnisvoller Weise ausweiten. Da gelingt es Matthias Klink, in die letzten Geheimnisse dieser Musik vorzudringen. Live-Kamera und Bildgestaltung von Tobias Dusche und Daniel Keller unterstreichen das visuell vielfältige Geschehen in bemerkenswerter Weise (Mitarbeit Regie/Video: Marjolaine Boonstra; Mitarbeit Kostüm/Bühne: Elsje de Bruijn). Diese Reise auf der psychischen Ebene hat Hans Zender bei seiner Bearbeitung in subtiler Weise weiter verfeinert. Hier spürt Stefan Schreiber zusammen mit dem suggestiv musizierenden Staatsorchester Stuttgart der seltsamen Klangwelt nach. Es ist ein geheimnisvoller Fortschritt der Erkenntnis. Stilistische und formale Prozesse werden dabei konsequent weiterentwickelt. Extreme Kontraste und Zeitströme sowie statische Klangkomplexe gehen eine seltsame Verbindung ein, die der exzellente Tenor Matthias Klink immer wieder bravourös durchbricht und durchdringt. Und dies vor allem dann, wenn er auch im Liegen singt. Dabei gelingen ihm die Kantilenen sogar besonders schön. Thematischer Reichtum sowie lyrische Weite und Tiefe hinterlassen beim Zuhörer einen aufwühlenden Eindruck.

Am Ende gab es begeisterten Schlussapplaus für diese sehens- und hörenswerte Produktion im Rahmen des Frühjahrsfestivals 2020, aber auch ärgerliche „Buh“-Rufe (Dramaturgie: Barbara Eckle, Julia Schmitt). Der Abend war in jedem Fall ein Erlebnis. 

Alexander Walther

ZÜRICH/ Operhaus: ARABELLA. Premiere

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 Die Hakenkreuzfahne passt farblich zum Interieur. Foto: Toni Suter

Zürich: ARABELLA – Premiere 1.3.2020   

Arabella im Schatten der aufkommenden Nazis  

Es fängt alles ganz harmlos an: die stilvolle Halle eines Hotels, elegante Menschen in Kleidern der dreissiger Jahre, angenehme Atmosphäre. Und doch deutet Alles darauf hin, dass Regisseur Robert Carsen mit seinem Leading-Team Gideon Davey (Ausstattung) und Peter van Praet (Lichtgestaltung) in dieser Inszenierung die Entstehungszeit und das ominöse Jahr 1933 der Uraufführung der Oper „Arabella“ nicht verhehlen, nein, sogar deutlich machen will. So schwebt über dieser ästhetisch wunderschönen Inszenierung immer der Ruch des aufkommenden Nazitums. Wie wir ungern zugeben wollen, hat sich Richard Strauss aus Opportunismus, wohl nicht als Überzeugter, den Machthabern „angedient“. Das geht soweit, dass er auch für die Olympischen Spiele 1936 (verewigt durch die suggestiven Bilder des Olympia-Films von Leni Riefenstahl) eine ordinäre Hymne komponiert hat. Im Zwischenspiel, eigentlich das Vorspiel zum 3. Akt, wird dieses Verhängnis durch eine in der Tat höchst beunruhigende Tanz-Szene vor Augen geführt. Aus dem ausufernden Fiakerball werden die Schuhplattler von den Nazis in ihre Reihen und zum Gruss mit dem ausgestreckten Arm gezwungen.

Doch zurück zu Arabella. Graf Waldner und seine Gattin Gräfin Adelaide sind als dem alten Adelsstand Nachtrauernde gut gezeichnet, aber umso gefährdeter für alle Verwerfungen. Adelaide äussert sich ja über Wien als die Stadt der Médisance und Intrige. Arabella und ihre als Zdenko verkleidete Schwester Zdenka bewegen sich in dieser im Umbruch befindenen Welt wie verlorene Kinder. Beide träumen von der grossen Liebe. Als sie diese beide am Schluss der Oper erlangt haben, werden sie von den einziehenden Nazis eingeigelt und bedroht. Und wie äusserte sich doch Arabella „Wir sind nicht grad sehr viel, nach dem Mass dieser Welt – wir laufen halt so mit als etwas zweifelhafte Existenzen“. Und weist dabei auf eines der inzwischen gross gehissten Nazi-Banner…


Josef Wagner, Julia Kleiter – die in der Premiere durch Astrid Kessler ersetzt werden musste.  Foto: Toni Suter

So hat Regisseur Robert Carsen der „Arabella“, dem als fälschlicherweise zweiten schwächeren „Rosenkavalier“ die Bedeutung angedeihen lassen, die der „Arabella“ schon längst hätte zukommen sollen. Nämlich als beunruhigendes Fanal einer untergehenden „besseren Welt“ (?) und der aufkommenden Katastrophe, dem Tanz auf dem Vulkan, wie es Stefan Zweig so treffend formulierte. Diese Interpretation der „Arabella“ ist eine wahre Neu-Entdeckung des Werkes – zumindest für mich.

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Astrid Kessler. Foto: Daniel Weisser

Die Besetzung ist durchwegs vorzüglich. Julia Kleiter, indisponiert, musste als Arabella kurzfristig ersetzt werden. Der Glücksfall war, dass Astrid Kessler, von der man in letzter Zeit ganz Ausgezeichnetes vernimmt, die Rolle übernehmen konnte. Sie passte hervorragend in diese Inszenierung und konnte dabei noch viel von ihrer eigenen Interpretation einbringen. Sie ist eine schöne, schlanke, junge Frau, die sich nicht einfach „dem Gebieter unterordnen“, sondern im aufkommenden Sturm ihren seelischen Hafen bei ihrem emotionalen Fluchtpunkt Mandryka finden will. Astrid Kessler verfügt über einen klar geführten Sopran, hell im Timbre, und gut fundiert in der Mittellage, mit der sie das Strauss-Parlando ideal bewältigen und über das Orchester bringen kann. Dazu krönt sie die Partie mit jugendlich-dramatischen Spitzentönen, mit denen  sie dem Charakter der Arabella ganz entschieden klare Charakterzüge verleiht. Ihr Mandryka Josef Wagner, vom Aussehen her ideal und mit einem gut geführten Bariton bedacht, stellt einen zwar eleganten Landadligen dar, der sich jedoch in der Wiener Gesellschaft (die ja im Fiakerball nicht die vornehmste war) nicht wohl fühlt. Angefeuert durch die quirlige Fiakermilli und im irrtümlichen Verdacht der Untreue Arabellas flippt er förmlich aus und benimmt sich – wohl ganz bewusst – gegen die Regeln einer nicht mehr funktioniernden Gesellschaft.  

Als zweites Paar waren die wunderbare innig singende und den Jungen Zdenko  überzeugend spielende Valentina Farcas und Daniel Behle als verzweifelter Offizier Matteo ebenso ideal besetzt wie das Protagonistenpaar. Daniel Behle, mit seinem sauber geführten Tenor und seinem guten Aussehen war in dieser Inszenierung ein sympathischer Matteo, der ja sonst eigentlich immer ein bisschen aus dem Fokus gerät. Valentina Farcas kann in ihrem rollendeckenden Portrait des Zdenko bzw. der Zdenka und mit ihrer aufblühenden Stimme alle Sympathien auf sich vereinigen. Ganz anders dagegen waren die drei Verehrer Arabellas in ihrer Wurstigkeit und Eitelkeit – sie waren alles Nazi-Offiziere – gut getroffen. Schöne Stimmen hörte man von ihnen: Dean Power (eingesprungen für Paul Curievici) als Graf Elemer, Yuriy Hadzetskyy (Graf Dominik) und Daniel Miroslav (Graf Lamoral). Als Fiakermilli jodelte kunstvoll und zugleich ordinär-agressiv Aleksandra Kubas-Kruk. Irène Friedli war die zuverlässige Kartenaufschlägerin und Judith Schmid stellte als Gräfin Adelaide Waldner eine köstliche Type auf die Bühne. Michael Hauenstein war ein überzeugender Graf Waldner, obwohl es ihm ein wenig an Komik für diese Figur fehlte, was von der Regie vielleicht auch so gewollt war. Stimmlich war Hauenstein tadellos, wie überhaupt das sängerische Niveau dieser Aufführung wunderbar ausgeglichen und ausnahmslos hoch war. In weiteren Rollen war Luca Bernhard der Zimmerkellner – ein junger Tenor, dessen Entwicklung man im Auge behalten soll! Die drei Diener des Mandryka waren Bogusław Bidziński (Welko), Andy Haueter (Djura) und Nick Lulgjuraj (Jankel). Die acht Tänzer (Schuhplattler und Nazis) waren in der rasanten Choreographie von Philippe Giraudeau hervorragend. Der Chor der Oper Zürich (Einstudierung: Ernst Raffelsberger) war wie üblich gut bei Stimme und stellte – gemeinsam mit dem Statistenverein – die untergehende Gesellschaft der dreissiger Jahre überzeugend dar.

Die Philharmonia unter ihrem GMD Fabio Luisi spielte wie gewohnt hervorragend, nur leider streckenweise einfach zu laut. Maestro Luisi hätte das Orchester durchaus zu weniger Lautstärke animieren sollen, denn so konnte das Strauss-Parlando nicht immer seine volle Wirkung entfalten. Aber eben – wie Arabella singt: „Es waren viele schöne Augenblicke drunter“…         

John H. Mueller


FRANKFURT/Opernhaus: SALOME. Premiere

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Christopher Maltman, Ambur Braid. Foto: Monika Rittershaus

Frankfurt: „SALOME“ – Premiere 01.03.2020

Nach zwei Jahrzehnten hatte die „Salome“ von Richard Strauss in einer Neuinszenierung von Barrie Kosky an der Oper Frankfurt Premiere.

Der eiserne Vorhang hob sich, Rabenschwärze, Salome im weißen Glitzerkleid mit Federschmuck auf dem Haupt kehrte uns den Rücken zu, hüpfte, wiegte die Hüften, räkelte sich lasziv am Boden, zu Flattergeräuschen eines Todesvogels (?) akustisch untermalt, danach setzte die Musik ein. Die Idee des Regisseurs war ohne „Gebrauchsanweisung“ im Programm nicht vermerkt.

Barrie Koskys Zitat zum Werk: Salome bedeutet immer eine große musikalische und szenische Herausforderung. Wie bei vielen anderen Stücken hat sich über die Jahre eine dicke Schicht Staub durch Routine angesammelt. Diesen Staub zu entfernen, einen tiefgründigen Blick auf den Text,  die Musik zu werfen und zu erkennen, woher die Ideen und Motive stammen, ist das Wichtigste für eine Neuinszenierung. Zu neuen Taten, sodann ging der Staub-Wedel ans Werk.

Der  Regisseur beleuchtete konsequent die Psycho-Analyse der Protagonisten  akribisch zum Kontext von wenigen (un)freiwillig komischen Momenten abgesehen,  schließlich lässt sich die Heimat Koskys an der „Komischen“ Oper Berlin nicht leugnen. Aber Spaß beiseite, kontinuierlich zeichnete der Exzentriker die Verwandlung des verliebten Mädchens zu Jochanaan bis zur rauschhaft erlebten finalen Konsequenz detailliert nach. Salome küsste nicht nur den bluttriefenden Kopf am Fleischerhaken, nein sie saugte, biss wie man in eine reife Frucht beißen kann, steigerte sich mit dessen Kopf zwischen den Schenkeln orgiastisch in Liebesekstase. Der Schleiertanz wurde zum szenischen Fauxpas, Salome zog sitzend meterweise Bänder bis zur Hysterie unter ihrem Kleid vor, waren eigentlich der Interpretin  Sexappeal und tänzerische Anmut in hohem Maße zu Eigen, aber … Das zuvor noch lebende Objekt ihrer sinnlichen Begierden wurde mit seltsamen Gebärden und wenig ansprechender Optik halbnackt im Schlabber-Slip und blonden Haarsträhnen präsentiert. Wie Wachs in den Händen der Regie schien Ambur Braid, ihre Darstellung der Kindfrau kam auch dank ihres persönlichen Engagements hervorragend zum Ausdruck. Unterbelichtet wirkten  das Tetrarchen-Paar sowie die weiteren Darsteller. Kosky bediente sich im Kontrast der konstant schwarz verhangenen Bühne, einer kegelförmigen Scheinwerfer-Ausleuchtung (Joachim Klein) zur jeweiligen Personen-Szenerie. Während der orchestralen Intermezzi blieb es dunkel. Katrin Lea Tag kreierte die vier Kostüme der Salome, die Alltagskleidung der restlichen Crew, die Tücher der Juden und den schwarzen Bühnenhintergrund.

Konträr der exzessiven Dramaturgie widerfuhr dieser Produktion eine überragend dargebotene Tonalität wie man sie seltener erleben durfte. Am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters waltete die Gastdirigentin Joana Mallwitz  wartete mit vortrefflicher und homogener Orchesterkultur auf.  Nürnbergs Generalmusikdirektorin ließ die Strauss´sche Partitur in völlig neuem Licht erstrahlen, in ausgewogenen Tempi flossen die überwältigenden Passagen ineinander, kammermusikalische Lyrismen, emotionale Momente von elementarer Schönheit, konträre eruptive Konstruktionen verband die umsichtige Dirigentin in prächtiger Klangbalance. Dank des hervorragend in allen Gruppen minutiös präparierten und prächtig aufspielenden Orchesters umwob Mallwitz die Solisten mit einem spannenden symphonischen Klangteppich, beleuchtete den farbschillernden Kosmos dieser Komposition insbesondere und schenkte dem kontrapunktischen Tanz der sieben Schleier den lasziv-sinnlichen, exotisch-ekstatischen Sound. Zu Herodes Worten formuliert: Herrlich, wundervoll – fürwahr!

Salome beim "Schleiertanz"
Ambur Braid. Foto: Monika Rittershaus

Gewiss zog die vorteilhafte Optik der kanadischen Sopranistin Ambur Braid zur ambivalenten Darstellung alle Blicke auf sich, jedoch konnte die Sängerin im vokalen Bereich nur zuweilen überzeugen. Stimmlich lotete Braid die kräftezehrende Partie facettenreich aus, fand Töne für trotzige Wut und gezielte Aggressionen, schenkte lyrischen Passagen sehnsüchtige Kantilenen. War die hörbare Überforderung der Stimme während der extremen hohen Lagen, Grund der teils weniger glückhaften Intonation oder lediglich das Resultat langer Proben? Oder erfüllte sich die ehrgeizige Sängerin einfach zu früh den Salome-Wunsch und wurde den Ansprüchen des Rezensenten (zu dessen 46. Interpretin) nicht gerecht?

In guten Phrasierungen der markanten Mittellage umriss Christopher Maltman den  Jochanaan, verlieh dem religiösen Fanatiker (regielich eingeschränkt) wenig Präsenz und ließ sein Organ in den mächtigen Aufschwüngen weniger kultiviert erklingen.

Fernab gewohnter Charakterstudien des Herodes sang AJ Glueckert mit schönem Timbre und schier lyrischen tenoralen Attributen einen jüngeren, agilen Tetrarchen zu prägnanter Diktion. In ihrem Chanel-Kostüm wirkte Claudia Mahnke sehr mütterlich, verlieh jedoch ihrer Herodias nachdrückliche eine angenehme Vokalise.

Wunderschön ertönte der volle weichfließende Mezzosopran von Katharina Magiera als warnender Page.  Mit strahlendem Tenor kündete Gerard Schneider als verliebter Narraboth von den optischen Reizen der Salome.

Klangschön bestens abgestimmt formierten sich Theo Lebow, Michael McCown, Jaeil Kim, Jonathan Abernethy, Alfred Reiter zum Gezeter der tuchverhüllten Schloss-Gespenster, pardon der fünf Juden. Schönstimmig ergänzten Thomas Faulkner, Danylo Matviienko (Nazarener/Cappadocier), Dietrich Volle, Pilgoo Kang, Chiara Bäuml (Soldaten/Sklave) das Solistenensemble.

Das Premieren-Publikum war zufrieden, dankte mit prasselndem Applaus und lautstarken Ovationen allen Beteiligten incl. ohne Contra dem Produktionsteam und rückte insbesondere Mallwitz und Baird in den Focus der Begeisterung.

Weitere Aufführungen am 05./08./13./20./26./29. (15:30h) März sowie 04./10./13.  April 2020

 

Gerhard Hoffmann

FRANKFURT/ Oper: SALOME . Premiere der Kosky-Inszenierung

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Foto: Monika Rittershaus

Frankfurt: Salome 1.3. 2020. Premiere

Die Inzenierung verstört einen ziemlich. So hart und brutal und auf den Kern des Dramas reduziert  hat man R.Strauss‘ Salome noch nicht erlebt. Regisseur Barrie Kosky verzichtet gänzlich auf ein Bühnenbild, es ergibt sich nur ein schwarzer Raum, in dem alle Beteiligten agieren (Bb.& Kostüme: Katrin Lea Tag). In einem ‚Mondstrahl‘, wie es Kosky nennt, also in einem runden Scheinwerferspot, können bis zu drei Personen ‚gebannt‘ werden, oder sie sind auch nur halb drin. Das sind aber nur die Hauptprotagonisten einschließlich der 5 Juden. Die anderen, Soldaten, Nazarener etc. sind nur akustisch, aus der Dunkelheit singend, vernehmbar.

Natürlich hat sich Kosky dabei sehr an der Musik inspiriert, und diese hat bei dieser relativen Bühnenarmut auch die zentrale Stellung und Wirkung inne. Das sich überschlagende dramatische Geschehen spielt also im Graben, wo alle möglichen Elemente, etwa die (von Herodes eingebildeten) Stürme, die Exotismen, die wilden Tänze der Salome etc. vonstatten gehen, da sie Strauss in höchst naturalistischer Weise auskomponiert hat. Und er findet einen beredten Anwalt dafür, d.h. in diesem Fall eine Anwältin: Joanna Mallwitz, jüngste GMD in Nürnberg, hat das Riesenorchester bestens im Griff, und wie sie etwa die berstendenden Spannungen vor der Erscheinung des Jochanaan oder am Schluß das Herunterfahren seines Hauptes mit irrer Verzögerung im Orchester ausmusiziert, das hat Klasse. Das wirbelnde Auf-der-Stelle-treten der musikalischen Metapher beim Judenstreit um Elias ist so plastisch und bis zum Zerreißen gespannt gestrichen und geblasen. Das Orchester tut es mit seiner ganzen Verve und erzeugt so einen spätromantischen Sound mit auch schneidenden harmonischen Ver-rückungen. Gerade auch die Perkussivinstrumente haben, besonders im exzentrischen Schleiertanz, einen entscheidenden Anteil dabei und erledigen es in höchster Prägnanz.

Salome ist also immer in einen Spot eingefangen und nützt ihre kleinen Pausen für Kostümwechsel, wobei sie immer schwärzer werdende Glitzerkleidchen anlegt. Sie gefällt sich in vielen ruckartigen Bewegungen, Stampfen und auch kindlichem Herumhüpfen. Den plötzlich aufgetauchten Propheten mit nacktem Oberkörper greift sie extrem forsch an, und er läßt es auch weitgehend geschehen, wirkt etwas passiv, konzentriert sich mehr auf sein mächtiges Singen. Der anfangs immer wieder in den Spot hereinpreschende Narraboth wirkt im schwarzen Anzug sehr vornehm, sein Pendant ist der Page der Herodias. Diese tritt im beigegrünem  Tailleur-Kostüm in einem 2.Spot mit ihrem Gemahl auf, der in einem weiten graumelierten Zweireiher immer wieder gefühlsmäßig ausbricht. Die 5 Juden springen voll verschleiert mit hohen schwarzen Kopfbedeckungen in die Spots hinein. Beim Schleiertanz sitzt Salome mit gespreizten Beinen auf dem Boden, und es scheint, als ziehe sie sich immer länger werdende Schlingen aus dem Körper heraus, die sich Herodes danach wie Trophäen um den Hals legt. Am Ende kommt der Kopf des Jochanaan an einem Fleischerhaken herunter, Salome küßt ihn und spielt mit ihm wie mit einem Punchingball. Ihre Hinrichtung wird aber nicht gezeigt.

Salome ist Ambur Braid, und sie geht völlig in der Rolle auf. Ihr steht dabei ein strahlender jugendlich lyrischer Sopran zu Verfügung, den sie sehr musikalisch einsetzt, und der in ihrer Liebesverzückung auch einigen Liebreiz besitzt. Ganz leichtes Distonieren in den Höhen könnte der Premieren-Nervosität geschuldet sein. Christopher Maltman kann mit warmem voluminösem, gar nicht zu Larmoyanz neigendem Bariton aufwarten (kein Orgeln). Sein Glaube an die Nachfolge Christi, die er auftrumpfend in schönstem Dur verkündet, ist tief gegründet, was aber nicht heißt, daß er in Salome nur die Natter sieht. 

Herodes ist AJ Glueckert in seinem wohl ersten Charakterfach, und eigentlich wirkt sein Tenor zu „gerade“ für die Partie. Dieser Herodes erscheint zu früh für ihn. Bei guter Artikulation fehlen ihm die unterschiedlichen gesanglichen Vailleurs. Die Herodias gibt Claudia Mahnke mit nie schrillen, sondern eher belcantescen Einwürfen, wobei ihr angenehmer Mezzo ganz obertonreich herüber kommt. Den Narraboth singt Gerard Schneider mit jungheldischem Tenor. Kathariana Magiera gibt den Pagen mit sonorem Alt. Die fünf Juden sind Theo Lebow, Michael McCown, Jaeil Kim, Jonathan Abernethy, alle Tenöre, und Alfred Reiter, Baß. Die Nazarener sind Thomas Faulkner, Baß, und Danylo Matviienko, Bariton (auch Cappadozier). Die beiden Soldaten geben Dietrich Volle und Pilgoo Kang, einen Sklaven singt Chiara Bäuml.

 

Friedeon Rosén

 

WIEN / Volkstheater: SCHULD UND SÖHNE

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lupispuma.com

WIEN / Volkstheater im MuseumsQuartier:
SCHULD UND SÖHNE
Klimatragödie mit Musik von Christine Eder (Text) und Eva Jantschitsch (Musik)
Premiere: 15. Februar 2020,
besucht wurde die Vorstellung am 2. März 2020

Zu Beginn fühlt man sich wie in einer Parodie. Irgendwann in der Zukunft (ha! Es ist schon heute) hat sich eine Handvoll Menschen aufs Land zurück gezogen und lebt im „Schutzhaus zur Zukunft“ das „richtige“, bewusste Leben. Sie teilen, sie schonen, sie sparen (auch wenn dann nur noch einmal in der Woche Duschen angesagt ist) – und wie alle Gutmenschen fühlen sie sich ganz toll, auch weil sie keine neuen Kleider tragen, nur Second Hand! Und sie beten ihr Gutsein selbstzufrieden wie ein Mantra auf und ab – man muss schließlich was davon haben, wenn man auf Dinge verzichtet, die die Rücksichtslosen noch immer in Anspruch nehmen (Auto! Flugzeug! Tourismus!)

Das ist die vegane Ashram-Variation, wo man einem Neuankömmling, der nicht so richtig willkommen ist (aber nach ihren Gutmenschen-Gesetzen müssen sie ja nun wirklich zusammen rücken und ihn aufnehmen..) die strengen Regeln des Zusammenlebens erklärt. Immerhin, jeder darf eine halbe Stunde täglich ins Internet, offenbar hat man ausprobiert, dass weniger nicht möglich ist, wenn diese braven Grünen nicht überschnappen sollen…

Das ist, wie man meint, die satirische Ausgangssituation eines Stücks, das sich „Schuld & Söhne“ nennt (ein sehr guter Titel, das muss man konzedieren) und wieder einmal ein „Lehrstück“ von Christine Eder geworden ist. Nein, kein Musical, obwohl die Komponistin und Liedtexterin Liedtexte Eva Jantschitsch so nachdrücklich genannt wird. Sie macht das trockene Polittheater nicht süffiger, denn wie stets bietet Christine Eder ihren trockenen Agitprop.

Wie konnte es nur so weit kommen, fragen sich die, die sowieso auf dem guten Gefühl schwimmen können, „alles“ getan zu haben? Und dann beginnen die Schuldzuweisungen. Die „Guten“ sagen dies, und die „Bösen“, die natürlich auch zu Wort kommen müssen, sagen das, man kennt alle Argumente. Diskutiert wird nicht, nur die Aussage des anderen wütend abgewertet.

Der Kapitalismus ist schuld, klar, keine Frage, das wird niemand auch nur bestreiten wollen. Da sind die Rechtspopulisten und da die Migranten, da ist die Erderwärmung und da die gnadenlose Ausbeutung der Rohstoffe. Aber was bringt es, immer dieselben Argumente drehen und wenden zu wollen? Das weiß man alles, und es bringt nichts weiter. Und dass es immer schlimmer wird, wenn die Vorräte schmelzen und immer mehr Menschen kommen – das weiß man auch.

Dass es keine Zukunftsperspektiven gibt und die kleine Kommune zusammenbricht, wo doch die Schauspieler doch so brav (und theatermäßig uninteressant) ihre Sprüchlein aufgesagt haben (Bernhard Dechant, Thomas Frank, Nils Hohenhövel, Evi Kehrstephan, Katharina Klar, Christoph Rothenbuchner, Claudia Sabitzer, Dominik Warta) – wie matt, wie müde. Kann das wirklich das einzige Denkergebnis des Stücks sein? Tatsächlich, mehr wird es nicht.

Freilich, ganz am Ende hat man einen Migranten-Chor zusammengestellt und diesen perfekt einstudiert: Wenn sie an der Rampe „Irgendwo, auf der Welt, gibt’s ein kleines bisschen Glück, Und ich träum davon in jedem Augenblick“ singen – ja, dann saust die Emotionskeule nieder. Das ist gut für den Schlußapplaus nach eineinhalb drögen Stunden. Wenn man ein solches Thema aufnimmt, sollte man mehr dazu zu sagen haben als bloß die alt bekannten Argumente.

Renate Wagner

MANNHEIM/ Nationaltheater: PHANTOME DER OPER von Philipp Stölzl/ Jan Dvorak. Premiere

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Michael Ransburg, Shahar Lavi,  (c) Jörg Michel

Mannheim: Phantome der Oper  von Stölzl/Dvorak  29.2.2020 Premiere

‚Phantome der Oper‘ ist kein Musical, sondern bietet eine Revue aus über 400 Jahren Operngeschichte. Das steht gleich oben auf dem Besetzungszettel, damit es zu keinen Mißverständnissen kommt. Die Idee dazu hatte der Film- und Opernregisseur Philipp Stölzl, die Ausführung oblag dem Komponisten & Autor Jan Dvorak, zuletzt Chefdramaturg am Nationaltheater, der auch die Regie übernahm. Für die Bühne ist Heike Vollmer zuständig, und für die Kostüme zeichnet Kathi Maurer. Zusammen bilden die Vier das Theaterkollektiv Fantomas, die schon mehrere Stücke herausgebracht haben wie ‚Andersens Erzählungen‘, Der Phantast‘ & ‚Frankenstein‘. Mit ‚Phantome der Oper‘ treten sie aber erstmals als Fantomas auf.

Idee ist also, die Operngeschichte seit 1598 bis ins 20.Jahrhundert zu präsentieren, aber ähnlich wie Loriot beim Ring des Nibelungen gleichzeitig eine witzig pointierte Zusammenfassung durch einen Moderatoren zu bieten. Dieser tritt in Person des italienischen Grafen Giovanni Bardi auf, der natürlich die italienische Sicht der Opernentwicklung favorisiert und durch sein witzig vorgetragenes Italienisch-deutsch  die Zuschauer oft zum Lachen bringt. Er tritt als ‚Nachtpförtner‘ aus dem eisernen Vorhang heraus und erklärt dem Publikum, daß die Oper 1598 zufällig gegründet wurde, da die Florentiner Camerata, darunter auch Bardi, die Idee hatten, die  Sprechtexte des antiken Theaters in ‚Rezitativen‘ (cantare recitando) zu singen. Als Beispiel wird nach partieller Öffnung des Eisernen „Tu dormi“ aus Dafne von Jacopo Peri von der Sopranistin vorgetragen. Im 17. Jahrhundert entwickelt dann Claudio Monteverdi die Arie aus einem Ritornell von Strophen, dazu wird die Szene aus Orfeo  „Possente spirto“/1607 gegeben. Im Barocktheater spielen natürlich schon irre Verkleidungen und die Bühne mit vielen sich verjüngenden Gassen sowie gemalte Kulissen eine Rolle, die eine ‚unendliche‘ Perspektive vermitteln soll. Heike Vollmer und Kathi Maurer legen sich diesbezüglich bei den angegebenen Werken/Ausschnitten ins Zeug. Ende des Jahrhunderts beginnt die Opera buffa ihren Siegeslauf (Beispiel: aus der meistgespielten 17.Jahrh.-Oper Giasone/Jason von F.Cavalli: „Dell’antro magico“), danach zur geht’s zur 1. Auseinandersetzung mit der französischen Oper im sog. Buffonistenstreit. Graf Bardi vertritt hier natürlich die Italiener gegen großes Orchester und viel Tanz eines Lulli am Pariser Hof. Im Hochbarock mit Händel geht es um die Kastraten, Händels Oratorium („Halleluja“ des Chors aus Messiah, „Ombra mai fu“ aus Serse) und Händels ‚Opernindustrie‘, die er in London aufbauen wollte. Die Buffo-Oper erlebt dann zweimal ihren finalen Höhepunkt bei Mozarts Nozze di Figaro und Rossinis Barbiere di Siviglia, beide zusammenhängende Stoffe, der 2.Teil wurde aber zuerst (von Mozart) komponiert. Dazu werden die Szene/Arie der Gräfin „Porgi d’amor“ mit einem barocken Fauteuill, auf dem die Gräfin hingegossen liegt, und „Largo al factotum della città“ aus dem Barbiere gegeben. Danach kommt noch eine Bardi-Theorie. Er meint,daß die Operngeschichte ganz anders verlaufen wäre, wenn Mozart nicht so früh gestorben wäre. Seine Zauberflöte sieht er nach der erfolgreichen Zusammenarbeit mit Lorenzo da Ponte als eine Abirrung ins deutsche Singspiel an, bei der sogar die Vorstadtschauspieler Hauptrollen singen können wie Schikaneder den Papageno. Mozart hätte, wenn er 70 geworden wäre, nur noch Singspiele (etwa 30) dieser Art komponiert. Einem ähnlichen Verdikt verfällt auch Beethovens einzige Oper Fidelio (3 Szenen dazu unter dem Bonmot ‚Im Kerker mit Beethoven‘). Während aber die Italiener den Belcanto  mit Donizetti (L’elisir d’amore) und Bellini in ungeahnte Höhen führen, begann mit Verdi & Wagner ein „Wettrüsten im Orchestergraben“. Beispiel ist hier aber der Nonnenchor aus Verdis Trovatore, bei Wagner Fliegender Holländer mit Intro und Hojotoho-Chor und „Wie aus der Ferne“ (Monolog des Holländers). In der nächsten Szene ‚Kampf der Giganten‘ werden Wagner, Bellini „Guerra, guerra“ aus Norma), Bizet/Carmen gespielt und z.T auch auf der Bühne ineinander verflochten, was tollen Effekt mit großer Treppe macht. Die letzte Szene ist mit ‚Schöner Sterben mit Puccini & Berg‘ (Finale aus Tosca & Wozzeck) überschrieben. 

Leider kommt die russische Oper nicht vor, das wäre zu verschmerzen, ist sie doch heute im Repertoire präsent. Daß aber die französische Grand Opera, Hauptvertreter Giacomo Meyerbeer, völlig fehlt, ist zu kritisieren, hat sie doch ins heutige Repertoire, im Unterschied zu fast allen anderen gespielten Opern, fast keinen Eingang mehr gefunden. Auch die wichtigen Komponisten des frühen 20.Jahrhundert, Zemlinky, Schreker, Korngold, die verbannt wurden, auch alle Juden wie Meyerbeer, kommen nicht vor.

Dafür ist eine Passage noch witzig und erwähnenswert. Giovanni Bardi will eine Affäre mit der Sopranistin anbahnen, um damit die herkömmliche Paarbindung Sopran – Tenor zu unterminieren. Indem er selber kleine Baritonrollen übernimmt und dann auch backstage vor dem Eisernen ihr seine Verliebtheit gesteht. Die Sopranistin scheint angetan, dann wird der Strang aber nicht weiter verfolgt.

Das Nationaltheater-Orchester, bestens instruiert von seinem scheidenden Dirigenten Marc Rohde, erweist sich in allen Opernstilen als kompetent und klangstark. Der Chor, als solcher erkenntlich mit Chor-Aufdrucken auf schwarzen T-shirts, gibt seine Parts zuverässig und wohleinstudiert (Dani Juris).

Als der Baß ist Sung Ha gewohnt zuverlässig in allen Rollen, der Bariton Joachim Goltz gibt einen Vorgeschmack auf seinen Holländer in ganz spanisch weißem Renaissance-Dress., als Wozzeck im gelblauer Uniform & Schiffchen. Den Tenor gibt Joshua Whitener und legt dabei gleich einen tollen Jungen Seemann aus Tristan & Isolde hin, was aber beim Italiener nicht ankommt, da keine ‚Melodie‘ herauszuhören. Mezzosopran Shahar Lavi ist besonders stark als Serse mit weitem knielangem Kleid, Stiefeln und Ludwig- XIV.-Schwarzperücke und Schnurrbart. Sopran Martina Welschenbach gibt eine kämpferische Leonore, Tosca & Salome. Giovanni Bardi wird hinreißend von Michael Ransburg gegeben.                       

Friedeon Rosén

 

 

Film: EMMA

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Filmstart: 5. März 2020  
EMMA
GB / 2020
Regie: Autumn de Wilde
Mit: Anya Taylor-Joy, Johnny Flynn, Bill Nighy u.a.

Die Rüschenkleider rauschen wieder verstärkt auf der Leinwand (man kann sich eigentlich nicht vorstellen, warum?), die Löckchen umrahmen Frauengesichter der Vergangenheit. Dennoch hat man dies kürzlich bei „Little Women“ (die Verfilmung des Romans von Louisa May Alcott, erschienen 1868, die Geschichte der vier Schwestern March in Neuengland, Mitte des 19. Jahrhunderts) viel weniger „gestrig“ empfunden als diesmal bei „Emma“. Es ist die neuestes (unter vielen) filmische Umsetzung des Romans von Jane Austen, 1816 erschienen, in dem englischen Dorf Highbury, 16 Meilen von London entfernt spielend, in der englischen Literatur als „romantic comedy“ eingestuft.

Tatsächlich ist dieses Buch aber etwas anders als die anderen, nicht nur, aber auch, weil die junge Heldin kein armes Mädchen ist, das ununterbrochen nach einer reichen Partie Ausschau halten muss. Emma hat eigenes Vermögen – und sie ist, wie Jane Austen selbst meinte, eine Heldin, die nicht viel Sympathie ernten würde. Denn ihr überhebliches Bestreben, ungefragt und selbstgefällig im Leben der Mitmenschen herumzufummeln und diese nach eigenen Wünschen zu lenken, ist wirklich – seltsam. Allerdings vielleicht gut gemeint. Eine frühere, sehr überzeugende Verfilmung aus dem Jahre 1996 zeigte Gwyneth Paltrow als durch und durch liebenswerte Wichtigmacherin, über die man zwar den Kopf schüttelte, wenn sie einem armen Mädchen (hier sehr gelungen: Mia Goth als Harriet Smith) unbedingt einen Gatten verschaffen will (ob diese den möchte oder nicht), der man aber die Gutherzigkeit und beste Absicht glaubte.

Die Zeiten haben sich geändert, die negativen Aspekte werden immer stark herausgearbeitet, wobei Regisseurin Autumn de Wilde bislang vor allem Musik-Videos gedreht hat (daher der starke Musikanteil des Films), aber sich die Erfahrung erst erarbeiten, eine Geschichte von dem gesellschaftlichen Standpunkt zu erzählen, der uns interessiert.

Kurz, Hauptdarstellerin Anya Taylor-Joy als Emma Woodhouse ist zwar nach außen hin ein herziger Blondschopf, aber eigentlich ein ungutes Geschöpf – und das tut keinem Film gut. Und im übrigen fühlt man sich nicht unbedingt wie bei Jane Austen (das ist ja immerhin Literatur und bohrt auch in den Untiefen der von ihr gezeigten Gesellschaft), sondern eher wie bei Barbara Cartland, wo die tollen Kostüme auf flachen Menschen und Geschichten hängen, wo sich das Leben eigentlich nur um Klatsch zu drehen scheint….

Selbst wenn ein so toller Schauspieler wie Bill Nighy hier den Vater von Emma spielt, kommt nicht viel dabei heraus. Und der Mann fürs Happyend, an das niemand glauben will (Emma am wenigsten) – nun es gab schon Überzeugendere als Johnny Flynn. Im übrigen kann man sich im Kreis der englischen Kleinstädter eher langweilen – und Emma salzt und pfeffert die Geschichte nicht wirklich. Aber wer gerne schöne, üppige, altmodische Kostümfilme, ja Ausstattungsorgien sieht – der ist hier richtig.

Renate Wagner

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